Hesses "Unterm Rad" als Kritik am Schulsystem 1892

Inwiefern bezieht Hesse in "Unterm Rad" Stellung zur Schulkritikdebatte um die Jahrhundertwende?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Rad im Detail - Was bedeutet ,Schule’ im Jahr 1892?
2.1 Repression und Altphilologie: Alltag in Maulbronn
2.2 Schülerfiguren als Kämpfer der Moderne
2.3 Funktionen des Suizids

3 Rings ums Rad - Wie werden Schule und Lehrerschaft dargestellt?
3.1 - Lehrerschaft und Erwachsene in Unterm Rad
3.1.1 Joseph Giebenrath und der Ephorus
3.1.2 Empathische Ausnahmen - Flaig und Wüterich
3.2 Schuldarstellung in Unterm Rad

4 Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Zeit um 1900 herum ist eine Epoche, die von tiefgreifenden Veränderungen beherrscht wird - und damit von Unsicherheit, Misstrauen und Konflikten. Die ersten Entwicklungen in der Elektrotechnik wie Telefone, elektrisches Licht und Straßenbahnen wurden begleitet von einem enormen Bevölkerungszuwachs[1] und der Emanzipation der Frauen; Sigmund Freud entdeckte in der Psyche eines jeden von uns Vorgänge, die den Menschen als konsequent selbstbeherrschtes Wesen in Frage stellten (und den Stellenwert der Kindheit für die soziale und psychische Ent­wicklung neu definierten); die Natur- und Ingenieurswissenschaften verdrängten 2000 Jahre alte Ansichten über den Ursprung der Menschheit. All diese Veränderungen zwischen Tradition und Moderne „erzeug[t]en ebenso viel Modernisierungsangst wie Euphorie.“[2] Der aufkeimende Generationenkonflikt unter dem Licht der in literarischen Kreisen hochstilisierten Dekadenz entwickelte sich durch Reformpädagogen und Jugendbewegungen um etwa 1880 von einem fachinternen Diskurs zu einer öffentlich diskutierten Kritik am Schulsystem, an der sich schließ­lich sogar der Kaiser persönlich beteiligte.[3] Zentraler Terminus der Debatte war der Begriff ,Überbürdung’. Parallel zu der öffentlichen Diskussion wurden auffallend viele literarische Texte veröffentlicht, die einen jugendlichen Helden am unbarmherzigen Schulsystem scheitern lassen. Einer davon ist Hermann Hesses 1905 erschienene Erzählung[4] Unterm Rad.

Diese Ausarbeitung wird versuchen die Frage zu beantworten, inwiefern Unterm Rad als Kritik am Schul- und Bildungssystem des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu verstehen ist und welche Argumente jener Debatte aufgegriffen werden. Zu diesem Zweck wird umrissen, was genau unter dem Konzept ,Schule’ anno 1892[5] zu verstehen ist und inwiefern dieses Konzept infrage gestellt wurde. Im Anschluss wird untersucht, wie der Lehrkörper und das Klosterseminar selbst im Roman dargestellt werden und inwiefern sich der Schulroman[6] (nicht) in den Zeitgeist und das gesellschaftliche Selbstempfinden der Jahrhundertwende einfügt.

Ein direkter Vergleich zwischen Hans Giebenrath und Hesses persönlichen Erfahrungen bleibt aus, da dieses Thema bereits in vielen Ausarbeitungen behandelt und der wiederkehrende For­schungsschwerpunkt sogar kritisiert wurde:

Viele Kritiker tragen im Wesentlichen vor, dass die Zusammenhänge zwischen dem Protagonis­ten Hans Giebenrath und Hesses eigenem Leben die weitere Forschung über die Erzählung stag­nieren lassen, da die literaturwissenschaftliche Diskussion immer wieder zurück zu Hesses eige­ner Erfahrung im preußischen Schulsystem kehrt.[7]

2. Das Rad im Detail - Was bedeutet .Schule’ im Jahr 1892?

Um 1900 ist (Schul-)Alltag stark militärisch gefärbt. Das liegt unter anderem daran, dass das Prestige des Militärs bis zur Verherrlichung gesteigert war. „Militärische Umgangsformen [gal­ten ebenso] als vorbildliches Verhalten“ wie Disziplin, Ordnungssinn, Gehorsam, Pflichttreue, (Selbst-) Opferbereitschaft und ein militärisch anmutender Kleidungs- und Sprachstil.[8] Der Sieg gegen Napoleon im deutsch-französischen Krieg und die daraus resultierende Reichsgründung wurde jedes Jahr mit großem Aufwand gefeiert.[9] Die militärische Ausrichtung des Bildungssys­tems war jedoch auch auf den ausgeprägten Nationalismus und die wegen des europäischen Expansionsstrebens absehbare Notwendigkeit deutscher Soldaten zurückzuführen. An den deut­schen Schulen wurden oben erwähnte Tugenden und Wertevorstellungen vermittelt, die einem Soldaten in spe und damit dem Kaiserreich förderlich waren.[10] Die nachhaltige ,Eintrichterung’ von Autoritätshörigkeit und Pflichtbewusstsein gegen das Vaterland wird als Grund angeführt, „dass der größte Teil der deutschen Bevölkerung im Jahre 1914 dem ,kaiserlichen Ruf’ zu den Waffen begeistert Folge leistete.“[11] Sehr bezeichnend ist auch, dass die Lehrkräfte „durchweg aktive oder gediente Offiziere [waren]. Ihre pädagogische Eignung spielte nur eine untergeord­nete Rolle.“[12]

In dieser Zeit autoritärer, militärischer Prinzipien entstanden vielfältige Gegenentwürfe, die sich einerseits in Reformpädagogik und Jugendbewegungen artikulierten - und andererseits wurde die Gesellschaft im Zwiespalt literarisch durch eben jene Schulromane dargestellt, die überwie­gend in dem relativ kleinen Zeitfenster zwischen 1883 und 1914 entstanden. Diese Schulromane haben gemeinsam, dass gegen die Obrigkeit rebelliert, oder sie zumindest angeprangert wird. Der Lebensentwurf vom Diener eines höheren (kaiserlichen) Ziels prallte auf den ureigenen Sinn von Entfaltung, Selbstverwirklichung, Individualität und letztlich auch Sensualität, den Hesse als unmittelbaren Kontrast zum Gehorsam interpretierte:

Von all den vielen Tugenden, von denen wir in Büchern lesen und von Lehrern reden hören, kann ich nicht so viel halten. Und doch könnte man all die vielen Tugenden, die der Mensch sich erfunden hat, mit einem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam. Die Frage ist nur, wem man gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist Gehorsam. [...] Wer eigensinnig ist, ge­horcht einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem ,Sinn’ des ,Eigenen’.[13]

Im Folgenden werden einige zentrale Aspekte der damaligen Debatte näher beleuchtet, bevor im dritten Kapitel untersucht wird, inwieweit sich diese Aspekte im Roman wiederfinden.

2.1 - Repression und Altphilologie: Alltag in Maulbronn

Bis in die 1930er Jahre hinein, waren an deutschen Schulen und Universitäten Karzerstrafen vorgesehen (wenngleich spätestens seit dem 20. Jhd. unüblich).[14] Auch Hermann Hesse musste acht Stunden[15] im Maulbronner Karzer absitzen, nachdem er am 7. März 1892 aus dem Seminar geflohen und erst am Tag darauf von einem Polizisten aufgegriffen worden war.[16] Hesse, von klein auf energisch und freigeistig, im wahrsten Sinne des Wortes seinem ,Eigensinn’ folgend, konnte sich nicht in die Strukturen der 1556 gegründeten Klosterschule einfügen, wo Freigeis­tigkeit ein Problem darstellte und stattdessen Homer „Wort für Wort wiedergekäut und unter­sucht [wird], bis es einem zum Ekel wird.“ (UR, 69)

Schwerpunkt des Zisterzienserklosters waren in erster Linie evangelische Religion und die anti­ken Sprachen, allem voran Griechisch, das man seinerzeit für besonders geeignet erachtete, den Schülern ein Gefühl für die eigene Muttersprache zu geben, da es deutliche Analogien zum Deutschen aufweise und die Schüler durch Begegnung mit dem Fremdartigen ihre Mitmenschen grundlegender kennenlernen würden.[17] Die Sprache fand sich auch deshalb sehr häufig im Lehrplan höherer Schulen, weil das außerordentliche Ansehen Griechenlands aus den Zeiten der Romantik noch nicht verklungen war und man die republikanische Regierungsform der Grie- chen „als der Ausbildung von Kultur und Humanität förderlich“ erachtete.[18] Es mag dieser ro­mantisierten Vorstellung der antiken Welt geschuldet sein, dass auch Hans sich anfangs für die Altphilologie begeistern kann, der Erzähler im Nachhinein jedoch resigniert feststellt: „Es wird [durch die Abgeschiedenheit des Klosters] ermöglicht, den Jünglingen jahrelang das Studium der hebräischen und griechischen Sprache samt Nebenfächern allen Ernstes als Lebensziel er­schienen zu lassen“ (UR, 54)

Neben den antiken Sprachen war, natürlich, Religion ein zentraler Bestandteil des Lehrplans und Lebens im „humanistischen“ (UR, 9) Maulbronn.[19] Seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 hatten Gymnasien und höhere Schulen, selbst solche, die nicht in kirchlicher Trägerschaft waren, „einen gründlichen Religionsunterricht auszuweisen und unnötiges Raisonnieren und Diskutieren war verboten“.[20] Dass Diskussionen vermieden werden sollten, zeigt deutlich, wie elementar Gehorsam und Unterwürfigkeit für das Schülerleben zumindest an höheren Schulen gewesen ist. Über jedes Gerücht, das ein Lehrer über einen Schüler aufschnappte, musste Buch geführt werden.[21] Die Lehrkräfte waren dabei jedoch nicht die alleinigen Täter, die Hesse als Schüler in ihnen sah, sondern hatten ihrerseits zu funktionieren - im Sinne des Staates. Die Selbstverwaltung der Schulen wurde reduziert, „Subordination und Gehorsam“ der Schulen gegenüber dem Staat war maßgeblich.[22] In diesem Sinne kann man unterstellen, dass die Lehr­kräfte bezogen auf die staatlichen Vorgaben in einer ähnlichen Position waren, wie die Schüler in Bezug auf den Lehrer: Sie wurden diszipliniert, wenn sie nicht die Erwartungen der Obrigkeit erfüllten, die stets „darauf bedacht [war], den ihren Zwecken entsprechenden Menschen zu for­men. Diese Intention hatten die gymnasialen Lehrkräfte zu verwirklichen“.[23] Daher wurden in den Schulgeschichten um 1900 Lehrerschaft und Schulsystem als „mehr oder weniger terroristi­sches Subsystem eines übergeordneten Machtsystems dargestellt“.[24] In Unterm Rad wird diese Funktion primär durch den Ephorus verdeutlicht, wie später gezeigt werden wird.

Dass die Lehrerschaft als eine Art pädagogische Exekutive agieren sollte, war eine vergleichs­weise neue Entwicklung, die auf einen schwelenden Generationenkonflikt und eine nachhaltige Umbruchstimmung zurückzuführen war: Die wilhelminische Gesellschaft stand unter dem Ein­druck einer „kulturellen Krise“ in der die Heranwachsenden sich von der bürgerlichen Ordnung emanzipierten[25] und in neu gegründeten Jugendbewegungen organisierten, die „als Teil lebens- reformerischer Gegenentwürfe [...] zu begreifen sind“. Diese Lebensreform der Jugend umfass­te natürlich auch - und besonders - den pädagogischen Bereich. Das bisherige Konzept von Schule und Erziehung galt als überholt und wurde in Frage gestellt, nicht nur von den Schülern selbst, sondern auch von Philosophen, Pädagogen und Kulturkritikern wie Ellen Key, Karl Kraus oder dem bereits erwähnten Friedrich Nietzsche[26].[27]

Die Reaktion des Staates auf die aufkeimende Reformpädagogik war ein umso nachhaltigeres Beharren auf den bestehenden Strukturen. „Auf die Kritik an der als verfehlt wahrgenommenen Bildung und Erziehung wird mit gesteigerter Bildungs- und Erziehungsanstrengung reagiert - die falsche Erziehung ruft mehr Erziehung auf den Plan.“[28] Dieses Prinzip taucht auch in Un­term Rad auf, wo die Lehrkräfte, konfrontiert dem eigenwilliger werdenden Hans, nur hilflos auf die Regeln pochen können und bessere Leistungen und Konformismus fordern. Die Starr­sinnigkeit der Lehrkräfte in Unterm Rad ist im Kleinen das Pendant zum reformscheuen Bil­dungssystem.

Die als Reaktion auf die Reformbewegung vermehrten Anstrengungen durch den Staat und auch das hohe Zeitpensum, das für den Unterricht und die Hausaufgaben veranschlagt war[29], führten jedoch zur „Überbürdung“ der Schüler, so das Schlagwort der damaligen Debatte.[30] Das Kon­zept von Schule wurde zudem erweitert, systematisch entgrenzt und universalisiert, sodass im Klassenzimmer nicht nur Bildung vermittelt wurde, sondern erheblich mehr Erziehung und ,Formung’, mit anderen Worten: Drill stattfinden konnte.[31]

2.2 - Schülerfiguren als Kämpfer der Moderne

Mit ausgelöst wurde das, was Nietzsche als ,kulturelle Krise’ ansah, durch die Aufwertung der Naturwissenschaften, die alte Wertestrukturen (und damit pädagogische Inhalte) zu verdrängen schienen, besonders natürlich die Religion. Damit steht die neue realistische’ Bildung dem

Konzept der klassisch-humanistischen Bildung gegenüber.[32] Aus diesem Blickwinkel gewinnt grade Maulbronn als Priesterseminar einen weiteren Interpretationsaspekt: Der anfangs konfor­me Hans wird durch Heilners Einfluss aufmüpfig und unangepasst, er wird also von seinen kon­servativen, systemorientierten Wertevorstellungen abgelenkt, bzw. befreit. Dieser innere Kon­flikt findet sich auch sinnbildlich in den äußeren Umständen wieder: Ein Jugendlicher, imma­nentes Sinnbild der Zukunft und der Vorwärtsgerichtetheit, wird an einem Ort untergebracht, der direkt atavistisch anmutet, wo obsoletes Wissen vermittelt wird, das durch die neuen Wis­senschaften überholt erscheint (Religion), oder antike Konzepte hochhält; ein Ort, der für Rück­wärtsgerichtetheit steht, der in diesem Sinne keine Zukunft hat.[33] Hesse erfasste den seinerzeit brodelndem Generationenkonflikt also nicht nur durch religiöse Traditionen, die dem modernen Hans gegenüberstehen, sondern auch durch die Kulisse der Erzählung selbst.

Der Protagonist ist somit eine Metapher für die sich herausbildende Moderne nicht nur eines Menschen, sondern der Gesellschaft im Ganzen. Hans ist jedoch nur einer von vielen Helden, die diese gattungstypische Symbolik transportieren:

Alles in allem sind die literarischen Schülertragödien des Fin de siècle jedoch mehr als nur bil­dungskritische Anklageschriften. In ihnen nämlich ist das für die Jahrhundertwende charakter­istische Phänomen der Dekadenz in seiner doppelten Ausprägung - als Degeneration und Nieder­gang einerseits, als ästhetisch motivierte Opposition gegen den Status quo andererseits - in be- son-derer Weise verdichtet. Dadurch eignen sie sich gut zur Illustration der epochenspezifischen Problemkonstellation des Fin de siècle, nämlich der Schwierigkeiten und Ambivalenzen bei der Herausbildung der Moderne. [...] Der Konflikt zwischen Schule und Schüler entspricht dann demjenigen zwischen Tradition und Moderne. Die schwächliche Konstitution des leidenden und oft künstlerisch ambitionierten Knaben weis[t] ihn als Repräsentant der Moderne aus.[34]

Ebenso wie Maulbronn ist auch Hans’ Heimatstadt ein Refugium vergangener, jedenfalls kon­servativer Vorstellungen. So ist man in der Stadt „so glücklich, keine Leute von dieser Sorte zu beherbergen“ - gemeint ist der „modern geschulte Beobachter“, der die in der Familie unerwar­tet aufgetretene Intelligenz bei Hans als „Symptom einer einsetzenden Degeneration“ interpre­tieren könnte. Von der Existenz der Moderne haben nur „die Jüngeren und Schlaueren unter den Beamten und Schulmeistern“ überhaupt schon mal etwas gehört. (UR, 8) Verstärkt wird das Motiv der Heimatstadt als traditionelle Werte vertretende Instanz auch durch die häufigen Na­turbeschreibungen[35], etwa wenn Hans aus der Residenzstadt Stuttgart zurückkehrt (wo es eine Straßenbahn und so viele Straßen gibt, dass Hans sich verläuft) und zu Hause seinen Sommer genießt: Die Heimatstadt ist im rousseauistischen Sinne so ,natürlich’, dass selbst neuartige, - in einem anderen Wortsinn - ,moderne’ Technik durch den Ort entschleunigt und ausgebremst wird: „Die Eisenbahn lief vorüber - nicht im Sturm, denn die Linie steigt dort gewaltig, sondern

[...]


[1] Zwischen 1875 und 1910 stieg die Bevölkerungszahl im Kaiserreich von 42,7 auf 64,9 Millionen an.

[2] Herwig, Henriette: Der melancholische Jüngling in Hermann Hesses Peter Camenzind und Unterm Rad und in Thomas Manns Buddenbrooks und Tonio Kröger. In: Bedenig, Katrin u. a. (Hrsg.): Thomas Mann Jahrbuch 2013, Band 26, Frankfurt/Main 2013, S. 191-208, S. 192.

[3] Vgl. Whittaker, Gwendolyn: Überbürdung - Subversion - Ermächtigung. Die Schule und die literari­sche Moderne 1880-1918, Göttingen 2013, S. 26 u. 43.

[4] Hesse selbst nannte den Text einen Roman. In der Ausgabe von 1905 fehlt diese Angabe noch; erst in der Gesamtausgabe von 1925 ist der Begriff hinzugefügt worden. Allerdings könnte im Hinblick auf die behandelte ,unerhörte’ Begebenheit auch von einer Novelle gesprochen werden. - Vgl. Wende, Waltraud ,Wara’: „Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme“, In: Solbach, Andreas (Hrsg.): Hermann Hesse und die literarische Moderne, Frankfurt/Main 2004, S. 202-223, S. 211 f.

[5] Unterm Rad erschien 1905, jedoch ist es offensichtlich, dass Hesses Erzählung stark autobiografisch gefärbt ist. Deshalb wird der Fokus auf den Zeitraum seines eigenen Aufenthalts in Maulbronn gelegt, also von September 1891 bis Mai 1892.

[6] Klaus Johann (2014) vertritt die Ansicht, dass Internatsliteratur nicht lediglich als Subgenre der Schulli­teratur gelten kann. Diese Unterscheidung wird hier jedoch vernachlässigt. Zur Begrifflichkeit: Bei Schü­lergeschichten sind die Konflikte zwischen den Schülern selbst angesiedelt, während die Schule lediglich als Setting fungiert, jedoch keine tragende Rolle inne hat. Bei Schulgeschichten dagegen ist die Institution ,Schule’ maßgeblich für die Handlung und wird als metaphorischer Antagonist etabliert, so wie es in Unterm Rad der Fall ist. - Vgl. Martin, Ariane: Die modernen Leiden der Knabenseele. Schule und Schü­ler in der Literatur um 1900, In: Scheuer, Helmut (Hrsg.): Der Deutschunterricht, Jahrgang 52/2000, Heft 2, S. 27-36, S. 27.

[7] Riggs, Kaysha: Hochbegabte Kinder - Das unterdrückte Genie. Was treibt Hans Giebenrath unter das Rad? Eine neue Perspektive zu Hermann Hesses Unterm Rad, In Bezug auf die Idee ,Das Lernen als Strafe’, Colorado State University: 2013, S. ii.

[8] Vgl. Hyeseon, Shin: Bildungs- und Kulturkritik und Adoleszenzproblematik in Schulgeschichten um die Jahrhundertwende, Bonn 2013, S. 3 f.

[9] So geht Hans’ schönste Kindheitserinnerung zurück auf den Vortag eines Sedansfestes, bei dem im Kaiserreich der Sieg über Napoleon gefeiert wurde. - Vgl. Hesse, Hermann: Unterm Rad, Frankfurt/Main 1972, S. 141. Diese Literaturangabe wird im Folgenden als UR gefolgt von der Seitenzahl direkt im Fließtext angegeben.

[10] Lange, Anja u. Melches, Angelika: Vorurteile gegenüber der Lehrkraft im Roman: Unterm Rad (H. Hesse) und Der Club der Toten Dichter (N. H. Kleinbaum). In: Grunder, Hans-Ulrich (Hrsg.): „Der Kerl ist verrückt!", Zürich 1999, S. 16-22, S. 17. - Vgl. auch UR, 114: „ Er war kein Gefäß mehr, in das man allerlei hineinstopfen konnte“.

[11] Herforth, Maria-Felicitas: Erläuterungen zu Hermann Hesse Unterm Rad, Hollfeld 2002, Königs Erläu­terungen und Materialien, Band 17, S. 13. - Vgl. auch Hyeseon, Adoleszenzproblematik, S. 2-5.

[12] Luserke-Jaqui, Matthias: Schule erzählt. Literarische Spiegelbilder im 19. und 20. Jahrhundert, Göttin­gen 1999, S. 80.

[13] Hesse, Hermann: Eigensinn, In: Hermann Hesse Lesebuch, Frankfurt/Main 1992, S. 240-245, S. 240.

[14] Auch Heilner muss nach der Attacke auf Lucius eine „schwere Karzerstrafe“ verbüßen. - Vgl. UR, 78.

[15] Acht Stunden sind eine verhältnismäßig geringe Strafe. So waren durchaus auch Karzerstrafen von mehreren Tagen und sogar Wochen zumindest an Universitäten keine Seltenheit. Vgl.: Universitätsarchiv Leipzig: Der Leipziger Universitätskarzer, 2015, einzusehen unter: https:.//www.archiv.uni- leipzig.de/karzer/karzerstrafen-deliquenten-auszug - zuletzt eingesehen am 18.09.2015.

[16] Vgl. Esselborn-Krumbiegel, Helga: Erläuterungen und Dokumente. Hermann Hesse Unterm Rad, Stuttgart 2003, S. 58 f.

[17] Es ist insofern kein Zufall, wenn Friedrich Nietzsche seine bildungskritische Vorlesung ,Über die Zu­kunft unserer Bildungsanstalten’ 1872 so aufbaut, dass „die Kultur der Antike als Bildungsideal der Art und Weise gegenüber[stellt], wie die moderne Schule diese Kultur instrumentalisiere“. - Whittaker, Überbürdung, S. 17 f.

[18] Vgl. Pöltl, Roger: Die Entwicklung des Gymnasiums im 19. Jahrhundert. In: Grunder, Hans-Ulrich (Hrsg.): „Der Kerl ist verrückt!“, Zürich 1999, S.144-148, S. 146.

[19] In diesem Zusammenhang fällt auf, dass in der Beschreibung des Landexamens viel Platz auf die Prü­fungen des Griechischen und Lateinischen verwendet wird, die Prüfungen in Religion und Mathematik jedoch mit einem Satz abgehandelt werden. - Vgl. UR, 25.

[20] Pölti: Entwicklung des Gymnasiums, S. 147.

[21] „Für [Lehrer] sind Genies jene Schlimmen [...], [die] im Diarium als Aufrührer und Karzerkandidaten notiert werden.“ - UR, 90.

[22] Vgl. Pöltl, Entwicklung des Gymnasiums, S. 147.

[23] Vgl. Ebd. S. 148.

[24] Martin, Knabenseele, S. 30.

[25] Diese Aufwertung der Jugend war ebenfalls ein Novum, da bisher alte Menschen in der gesellschaftli­chen und kulturellen Wertschätzung höher angesehen waren. Um 1900 änderte sich dies jedoch. - Vgl. Herwig, Henriette: Adoleszenskonflikte in Herman Hesses „Unterm Rad“, Robert Musils „Die Verwir­rungen des Zöglings Törleß“ und Robert Walsers „Jakob von Gunten“. In: Dies. u. Trabert, Florian (Hrsg.): Der Grenzgänger Hermann Hesse: neue Perspektiven der Forschung, Freiburg/Breisgau u. a.: 2013, S. 209-225, S. 209.

[26] Nietzsche stellte fest, dass das Bildungssystem gleichermaßen darauf abzielt, Bildung zu erweitern, „in immer weitere Kreise“ zu bringen, andererseits aber gleichzeitig zu vermindern und abzuschwächen, da der Bildung zugemutet würde, „ihre höchsten selbstherrlichen Ansprüche aufzugeben und sich dienend einer anderen Lebensform, nämlich der des Staates unterzuordnen“. Sie sei „nur eine Anweisung, auf welchem Wege man im Kampfe um das Dasein sein Subjekt rette und schütze.“ - Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, herausgegeben von Colli, Giorgio u. Montina­ri, Mazzino, Bd. 1, München: 1980. S. 511-897, S. 650 u. 715.

[27] Whittaker, Überbürdung, S. 14 ff.

[28] Ebd. S. 23.

[29] Hans bspw. ist bis sieben Uhr abends mit dem Unterricht beschäftigt, „zweimal in der Woche fand nach dem Abendessen noch eine einstündige Unterweisung beim Mathematiklehrer statt“ und die Hausaufga­ben müssen nachts „bis elf, bis zwölf und gelegentlich noch darüber“ erledigt werden, bevor er morgens vor Schulbeginn den Konfirmandenunterrichten besuchen „durfte“, wo er jedoch auch heimlich lernt. - UR, 9 ff.

[30] Vgl. Whittaker, Überbürdung, S. 25.

[31] Vgl.: Geulen, Eva: Erziehungsakte. In: Fohrmann, Jürgen (Hrsg.): Rhetorik. Figuration und Perfor- manz., Stuttgart, Weimar 2004, S. 628-652, S. 646.

[32] Whittaker, Überbürdung, S. 22.

[33] Selbst der relative Fortschritt, den Hesse dem Seminar einräumt, wirkt von Vornherein antiquiert: Nach bestandenem Landexamen besucht Hans den Stadtpfarrer, der ihm erklärt, dass ihm mit dem neutesta- mentlichen Griechisch „eine neue Welt“ aufgehen werde; es sei „kein attisches Griechisch mehr, sondern ein neues, von einem neuen Geist geschaffenes Idiom“, das den „Zauber“ rauben könne. So ist diese Maulbronner Moderne doch nur bezogen auf jene altphilologischen, antiken Gebiete. - Vgl. UR, 40 f.

[34] Martin, Knabenseele, S. 29 f.

[35] Der romantisierte Held im naturalistischen Roman wirkt mitunter wie ein Anachronismus.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Hesses "Unterm Rad" als Kritik am Schulsystem 1892
Untertitel
Inwiefern bezieht Hesse in "Unterm Rad" Stellung zur Schulkritikdebatte um die Jahrhundertwende?
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Germanistik / Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Moderne Erzählungen: Thematik, Form, Narration
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V317287
ISBN (eBook)
9783668163188
ISBN (Buch)
9783668163195
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hermann Hesse, Unterm Rad, Schulkritik, Schulroman, Schülerroman, Coming of Age, Adoleszenz, Adoleszenzroman
Arbeit zitieren
Steffen Kutzner (Autor:in), 2015, Hesses "Unterm Rad" als Kritik am Schulsystem 1892, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317287

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