Führung und Mitbestimmung unter neuen Rahmenbedingungen


Seminararbeit, 2004

58 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Formen der Zusammenarbeit zwischen Management und Betriebsrat
1.1 Geschichtliche Etappen der Mitbestimmung
1.1.1 Kaiserreich
1.1.2 Weimarer Republik und Nationalsozialismus
1.1.3 Von 1945 bis zum Betriebsverfassungsgesetz 1952
1.1.4 Die Auseinandersetzungen um ein allgemeines Mitbestimmungsgesetz (68-76)
1.1.5 Mitbestimmungsprobleme seit 1976
1.1.6 Rechtsentwicklung seit 1990
1.2 Die wichtigsten Gesetze zur Mitbestimmung
1.2.1 Betriebsverfassungsgesetz
1.2.2 Mitbestimmungsgesetz
1.2.3 Montan-Mitbestimmungsgesetz
1.3 Effektivität der Unternehmensmitbestimmung
1.3.1 Aufgaben des Aufsichtsrats
1.3.2 Möglichkeiten der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat
1.4 Interview mit dem Gewerkschaftssekretär Herbert Rittlinger

2 Risiken und Chancen der Zusammenarbeit von Management und Betriebsrat
2.1 Einleitung
2.2 Wirtschaftlichkeit der betrieblichen Mitbestimmung
2.2.1 Informationsasymmetrien und adverse Selektion als Hindernis der betrieblichen Mitbestimmung
2.2.2 Ökonomische Wirkungen der betrieblichen Mitbestimmung
2.3 Gruppenarbeit: Chance für den Betriebsrat?
2.3.1 Voraussetzungen für eine teilautonome Gruppenarbeit
2.3.2 Inhalte des Mitbestimmungsrechts
2.3.3 Gruppenarbeit als Erfolgsfaktor
2.3.4 Chancen und Risiken der Gruppenarbeit für den Betriebsrat
2.4 Der Betriebsrat als Co-Management
2.4.1 Einleitung
2.4.2 Risiken und Chancen des Co-Managements
2.5 Schlussbemerkungen

3 Innovation und betriebliche Mitbestimmung
3.1 Die Bedeutung von Innovation und Mitbestimmung
3.1.1 Innovation in Deutschland
3.1.2 Mitbestimmung in Deutschland – ein bürokratisches Monster?
3.1.3 Ursachenforschung – eine kleine Geschichte
3.1.4 Die festgefahrene Situation - eine spieltheoretische Erklärung
3.2 Innovation und Mitbestimmung in der praktischen Analyse
3.2.1 Ausgangssituation bei Bröcker
3.2.2 Reorganisation und Innovation
3.2.3 Die Rolle des Betriebsrats bei der Reorganisation
3.2.4 Das Prinzip Verantwortung
3.2.5 Die Umsetzung im Betrieb
3.2.6 Das betriebliche Vorschlagswesen (BVW)
3.2.7 Strategisches Ideen- und Veränderungsmanagement
3.2.8 Kommunikation und Kooperation
3.2.9 Merkmale erfolgreicher Reorganisation
3.2.10 Umsetzungsbilanz bei Bröcker
3.2.11 Reinvestition in die Mitarbeiter
3.2.12 Probleme bei der Reorganisation
3.3 Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

1 Formen der Zusammenarbeit zwischen Manage-ment und Betriebsrat

1.1 Geschichtliche Etappen der Mitbestimmung

Die Mitbestimmung in Deutschland hat eine sehr lange Tradition und ihre Wurzeln gehen bis auf die Zeit des deutschen Kaiserreichs zurück. Grundlage für diesen geschichtlichen Rückblick ist das Buch „Aufsichtsratpraxis“ der Autoren Roland Köstler, Michael Kittner, Ulrich Zachert & Mathias Müller in der siebten Auflage von 2003.

1.1.1 Kaiserreich

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden auf freiwilliger Basis „Arbeiterausschüsse“ gebildet, welche als Vorgänger der Betriebsräte genannt werden können. Da jedoch die Errichtung im Ermessen des Arbeitgebers stand, übten sie häufig als dessen verlängerter Arm nur Beschwichtigungs- und Disziplinierungsfunktionen aus.

Nach großen Streiks im Ruhrbergbau, im mitteldeutschen Braunkohlerevier und in Teilen Schlesiens in den Jahren 1889/1905 wurden Arbeiterausschüsse für den Bergbau Pflicht, welche gleichzeitig gesetzlich garantierte Mitspracherechte in personellen und sozialen Fragen erhielten.

Während des Ersten Weltkrieges wurden die Arbeiter- und Angestelltenausschüsse auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet. Somit erzielte man durch Einräumung beschränkter Mitspracherechte eine Zwangsverpflichtung, jegliche Arbeitskraft für die Kriegswirtschaft zu mobilisieren. Grundlage hierfür war das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“ von Dezember 1916.

1.1.2 Weimarer Republik und Nationalsozialismus

Durch die Revolution im November 1918 wurde der Gedanke der Gleichberechtigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiter vorangetrieben. Nachdem die gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit voll anerkannt wurde, bildete sich die „Zentralarbeitsgemeinschaft“ zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Eine erste rechtliche Grundlage wurde Ende 1918 mit der „Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten“ geschaffen. Durch Annerkennung der gleichberechtigten Mitbestimmung in der Weimarer Reichsverfassung von August 1919 wurde die rechtliche Verankerung noch verstärkt.

Das Betriebsrätegesetz von 1920 sah erstmals eine Beteiligung von Betriebsratsmitgliedern im Aufsichtsrat vor, um die Interessen und Forderungen der Arbeitnehmer zu vertreten. Sie erhielten Sitz und Stimme für alle Sitzungen, bekamen jedoch keine Aufwandsentschädigungen und waren dazu verpflichtet, über die von ihnen gemachten Angaben Stillschweigen zu bewahren.

Ein weiterer Impuls zur Erweiterung des Mitbestimmungsgedankens - jedoch erst nach dem zweiten Weltkrieg“ - geht auf das Referat „Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie“ von Fritz Naphtalis zurück, welches 1928 auf dem Kongress des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes gehalten wurde. Hauptpunkte für Naphtalis waren:

- politische Demokratie muss durch die wirtschaftliche Demokratie erweitert werden
- demokratischer Aufbau innerhalb des Kapitalismus unerreichbar
- Kapitalismus kann, bevor er gebrochen wird, „gebogen“ werden
- Endziel ist der Sozialismus

Als Zwischenschritte, kommen nach Naphtalis verschiedene Instrumente in Frage, die bestens geeignet sind, das kapitalistische System wenigstens teilweise auszuschalten:

- Schaffung wirtschaftlicher Selbstverwaltungskörper (Wirtschafts- und Sozialräte)
- Ausdehnung öffentlicher Betriebe und der Gemeinwirtschaft
- Demokratisierung des Arbeitsverhältnisses
- Demokratisierung der Bildung

Die Realisierung dieser Vorstellung blieb jedoch durch den aufkommenden Nationalsozialismus versagt. Im Gegenteil, das Rad der Geschichte mit all seinen positiven Entwicklungen wurde zurückgedreht. Gewerkschaften wurden zerschlagen, ihre Funktionäre eingesperrt, ermordet oder ins Exil getrieben. Das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ setze das Betriebsrätegesetz sowie das Gesetz über die Entsendung von Betriebsräten in den Aufsichtsrat außer Kraft. Von da an galt das „Führerprinzip“ in Betrieben und ein so genannter „Vertrauensrat“ wurde von dem Unternehmer und der NSDAP[1] bestimmt. Dessen Funktion lag einzig und allein in der maximalen Unterordnung der Arbeitnehmer. Weitere Entrechtungen der Arbeitnehmer folgten, bis die militärische Niederlage den Weg zu einem Neuanfang freimachte.

1.1.3 Von 1945 bis zum Betriebsverfassungsgesetz 1952

Eine Wiederherstellung der Betriebsverfassung durch Besatzungsrecht und damit die Aufhebung des nationalsozialistischen Rechts war der erste zurückhaltende Schritt nach 1945. Betriebsräte konnten zwar gebildet werden, die Kräfteverhältnisse waren jedoch nicht geregelt.

Ein herausragendes Beispiel für den Kampf um die betriebliche Mitbestimmung kurz nach dem Krieg war die Betriebsvereinbarung bei der Firma Bode-Panzer, die nach dem ersten gewerkschaftlich organisierten Streik durch den späteren Vorsitzenden der IG-Metall, Otto Brenner, 1946 abgeschlossen wurde. Weitere ähnliche Betriebsvereinbarungen folgten und in fast allen Verfassungen der Länder wurde der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie in Anlehnung an die Bestimmungen der Weimarer Verfassung aufgenommen. Allerdings blieben diese Bestimmungen meist nur Programmsätze und wurden durch spätere Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland gegenstandslos.

1948 wurden in den Ländern Betriebsverfassungsgesetze erlassen, welche jedoch voneinander sehr verschieden waren. Eine besonders weitreichende Form der Mitbestimmung enthielt das hessische Betriebsrätegesetz.

Eine weitere wichtige Entwicklung vor der Bildung der Bundesrepublik war die Einführung der Montanmitbestimmung im Jahre 1947. Als Teil der Reorganisation der Stahlindustrie im Ruhrgebiet durch die britische Militärregierung wurde auf Drängen der Gewerkschaften und mit Zustimmung der damaligen Eigentümer eine paritätische Beteiligung von Betriebsräten im Aufsichtsrat und das Vorhandensein eines Gewerkschaftsvertreters in dessen Vorstand beschlossen.

Bei der Schaffung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland wurde die Mitbestimmung als solches nicht Teil des Gesetzes. Darüber hinaus sorgte die weitere Umstrukturierung in der deutschen Stahl- und Eisenindustrie, nämlich die Überlassung der gesetzlichen Regelung hierfür an die Bundesrepublik, erneut für Zündstoff. Die damalige Regierung unter Adenauer und vor allem der Wirtschaftminister Erhard plädierten für eine generelle Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und eine Abschaffung der Montanmitbestimmung. Durch die Kampfentschlossenheit der IG Bergbau und der IG Metall wurde jedoch unter Androhung von Arbeitskämpfen und Verhandlungen des ersten DGB Vorsitzenden Böckler und der Bundesregierung 1951 das Montanmitbestimmungsgesetz verabschiedet.

Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 blieb weit hinter den Erwartungen der Gewerkschaften und den Betriebsräte-Ländergesetzen zurück. In den Aufsichträten von Aktiengesellschaften sowie in GmbHs und Genossenschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern wurde eine Repräsentation der Betriebsräte von nur einem Drittel beschlossen. Somit blieb laut DGB „das alleinige Entscheidungsrecht des Unternehmers“ aufrechterhalten.

1.1.4 Die Auseinandersetzungen um ein allgemeines Mitbestimmungsgesetz (1968-1976)

Der mitbestimmungspolitischen Niederlage der Gewerkschaften im Bezug auf das Betriebsverfassungsgesetz folgte ein langes Bemühen um eine neue gesetzliche Regelung vor allem für Großkonzerne. Seit Ende der 60er Jahren wurde in einigen Unternehmen die Mitbestimmung auf freiwilliger Basis eingeführt. Nach dem Vorbild der gewerkschaftseigenen gemeinwirtschaftlichen Unternehmen erklärten einige Städte ihre Bereitschaft, Aufsichtsräte paritätisch zu besetzten sowie einen Arbeitsdirektor in den Vorstand zu berufen.

Der Forderung bei der Neuregelung des Aktienrechts 1965, bei dem der DGB einen „Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Großunternehmen und Großkonzernen“ vorlegte, dies mit in das Gesetz zu übernehmen, wurde nicht nachgekommen. Danach konzentrierte sich der DGB auf einen gesonderten Gesetzesentwurf zur Mitbestimmung, welcher eine intensive mitbestimmungspolitische Diskussion nach sich zog und im parlamentarischen Raum 1968 von der SPD aufgegriffen wurde. Eine zentrale Rolle bei dieser Diskussion bekam die so genannte „Biedenkopf-Kommission“. Zwar wurde im empirischen Teil den Arbeitgebervorwürfen gegen die Montanmitbestimmung widersprochen, in ihrer Empfehlung jedoch schlug die Kommission weiterhin ein Übergewicht der Anteilseigner im Aufsichtsrat vor. Eine schlüssige Herleitung aus eigenen Erkenntnissen fehlte offenbar aus politischen Gründen völlig (H.O. Vetter, Der Mitbestimmungsbericht, 1970, S.169).

Die Haltungen der Arbeitgeber und ihrer Verbände blieb während der gesamten Diskussion unverändert und verlagerte sich zunehmend auf verfassungsrechtliche Argumentationen, wobei die Unvereinbarkeit mit einer paritätischen Verteilung im Aufsichtsrat mit dem Grundgesetz behauptet wurde. Auch die deutsch-amerikanische Handelskammer drohte mit einem Rückzug des amerikanischen Kapitals, falls es zu einer solchen Mitbestimmung kommen sollte. Trotz dieses Widerstandes kam es zur Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972, bei dem wesentliche Verbesserungen im Sinne der Mitbestimmung neben den Grundstrukturen enthalten waren.

Die erste Koalitionsvereinbarung über die Mitbestimmung wurde 1974 nahezu einstimmig von der sozial-liberalen Regierung beschlossen und in einen Vorentwurf eines Mitbestimmungsgesetzes umgesetzt. Jedoch kam es nach Protesten aus der Wirtschaft und von anderen Regierungsparteien zu weitreichenden Änderungen, vor allem im Falle einer etwaigen Stimmgleichheit im Aufsichtsrat. Weitere Abschwächungen wurden nach den Stellungnahmen im Bundesrat, der aus einer Mehrheit aus CDU/CSU bestand, und in weiteren Sitzungen in den Ausschüssen erreicht. Die wichtigste Veränderung war die Einführung des Zweitstimmrechts für den Aufsichtsratvorsitzenden. Das 1976 schließlich verabschiedete Mitbestimmungsgesetz wurde zwar von den Gewerkschaften aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung respektiert, natürlich mit dem Vorsatz, das Beste aus diesem Gesetz zu machen. Andererseits wurde jedoch nie ein Zweifel daran gelassen, weiter an einer paritätischen Mitbestimmung zu arbeiten.

1.1.5 Mitbestimmungsprobleme seit 1976

Der nicht enden wollende Konflikt der verschiedenen Parteien, der Wirtschaft und der Gewerkschaften mit dem Mitbestimmungsgesetz fand bereits 1977 seinen vorläufigen Höhepunkt, als nach verschiedenen Verfassungsbeschwerden einzelner Aktionäre sowie der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, unter Federführung der BDA Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war jedoch nicht überraschend. Es wurde festgestellt, dass dieses Gesetz keine paritätische Mitbestimmung erhält und somit verfassungskonform ist. Nach ersten Aufsichtsratswahlen folgten verschiedene Anwendungsprobleme des Gesetzes. Die Erwartungen, die die Arbeitnehmer mit dem Begriff „Mitbestimmung“ verbanden und die Praxis im Betrieb wichen stark voneinander ab. Außerdem kam es zu überwiegend von Arbeitgeberverbänden organisierten Praktiken, sich gänzlich dem Mitbestimmungsgesetz zu entziehen. Möglichkeiten hierfür boten Satzungs- und Geschäftsordnungsänderungen mit denen die zustimmungsbedürftigen Geschäfte verringert werden konnten.

1.1.6 Rechtsentwicklung seit 1990

Seit 1990 wurde mit vielen Ergänzungen und neuen Gesetzen die Mitbestimmung verfeinert und die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat besser kontrollierbar gestaltet. Einige der Gesetze sollen hier näher erläutert werden. Mit dem Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz vom August 1994 wurde sichergestellt, dass Unternehmen, die Betriebe oder Teile davon über die deutsche Grenze abgibt und somit unter die maßgebende Grenze von 2000 Mitarbeitern kommt, nur dann steuerliche Vorteile nutzen können, wenn sie die bisherige Mitbestimmung beibehalten.

Unerlaubte Börsengeschäfte von Aufsichtsratmitgliedern unter Ausnutzung ihres Insiderwissens sind durch das Wertpapierhandelsgesetz von Juli 1994 strafbar geworden. Das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ von 1998 sieht die Wahl des Wirtschaftsprüfers vom Aufsichtsrat statt vom Vorstand vor und erhöht somit die mögliche Kontrolle. Des Weiteren muss ein so genanntes Risikomanagement eingeführt werden, welches in Lageberichten Stellung zu Risiken der künftigen Unternehmensentwicklung nehmen soll. Durch das Betriebsverfassungs-Reformgesetz 2001 wurde vor allem eine Aufhebung des Gruppenprinzips erreicht. Künftig gibt es keine Richtlinien mehr über die Zusammensetzung zwischen Angestellten und Arbeitern der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.

Nach der von der Bundesregierung im Mai 2000 eingesetzten Regierungskommission „Corporate Governance – Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts“ wurde Mitte 2002 das Transparenz – und Publizitätsgesetz verabschiedet. Durch dieses Gesetz erhält der Aufsichtsrat erweiterte Kontrollmöglichkeiten und –pflichten bei gleichzeitiger Verschärfung der Verschwiegenheitspflicht. Außerdem wurden durch Erweiterung des Aktiengesetzes Aktiengesellschaften dazu verpflichtet, eine so genannte Entsprechenserklärung in Bezug auf die Empfehlungen der Kodex-Kommission, welche unter dem früheren Thyssen-Krupp-Vorstandsvorsitzenden Cromme erarbeitet wurden, abzugeben.

1.2 Die wichtigsten Gesetze zur Mitbestimmung

In der geschichtlichen Entwicklung wurde bereits auf verschiedene Gesetze eingegangen, die im Laufe der Zeit zum Thema Mitbestimmung verabschiedet worden sind. Im Folgenden wird näher auf die wesentlichen Inhalte der drei grundlegenden Gesetze, nämlich dem Betriebsverfassungsgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz und dem Montan-Mitbestimmungsgesetz, eingegangen. Grundlage hierfür ist das Buch „Arbeits- und Sozialordnung“ von Michael Kittner in der 25. Auflage von Januar 2000.

1.2.1 Betriebsverfassungsgesetz

1.2.1.1 Wesentliche Gesetzesinhalte

Die Basis des Betriebsverfassungsgesetzes ist die Errichtung von Betriebsräten zur Interessensvertretung von Arbeitnehmern.

- Wahl alle vier Jahre (§13)
- Unternehmen mit mehreren Betrieben haben einen Gesamtbetriebsrat (§47)
- Zur Interessenswahrung von jungen Arbeitnehmern gibt es die Jugend- und Ausbildungsvertretung (§60)
- Einbeziehung der Arbeitnehmer in Betriebsversammlungen (§42), bzw. der Jugend- und Auszubildendenversammlung (§71)
- Bildung eines Wirtschaftsausschusses als Informations- und Beratungsgremium auf Unternehmensebene (§106)

Die Mitwirkung an Entscheidungen des Arbeitgebers ist unterschiedlich stark ausgeprägt und variiert je nach Themengebiet. Folgende Möglichkeiten gibt es:

- Informationspflicht (§105)
- Beratungspflicht (§92)
- Möglichkeit des Widerspruchs (§99)
- Mitbestimmung (§87)

Im Falle einer Nichteinigung entscheidet die Einigungsstelle (§76). Sie besteht aus einem Arbeitsrichter und einer ja nach Fall unterschiedlichen Anzahl an Beisitzern.

In wirtschaftlichen Angelegenheiten gibt es grundsätzlich keine Mitbestimmung (§111), jedoch kann ein Sozialplan (§112) vereinbart werden, durch den nachteilige Folgen einer Unternehmensentscheidung für den Arbeitnehmer abgemildert werden (siehe Interview Abschnitt 1.4).

Bei personellen Fragen gibt es unterschiedlich starke Rechte des Betriebsrats. Bei einer Einstellung kann der Betriebsrat unter bestimmten Umständen (z.B. wenn ein interner Bewerber für eine vakante Stelle vorhanden wäre) widersprechen, so dass sich der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht diese Zustimmung ersetzen lassen muss (§99). Bei einer Kündigung ist der Betriebsrat nur zu hören (§102), ein Widerspruch würde jedoch nur zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Urteilende führen. Die stärkste Beteiligung hat ein Betriebsrat bei den so genannten sozialen Angelegenheiten (§87), wie z.B. der Lohngestaltung, Kurzarbeit oder Überstunden. Hierbei kann ein Betriebsrat im Falle einer Nichteinigung selbst die Einigungsstelle beauftragen (Initiativrecht).

Ergebnisse der Betriebsratverhandlungen werden in Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabsprachen (§77) festgelegt. Unter anderem können hier auch Beteiligungsrechte der Betriebsräte neu definiert werden, was jedoch sehr umstritten ist.

Betriebsräte sind verpflichtet mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten und ihnen wird, vor allem zur Sicherung und organisatorischen Erleichterung, eine Vielzahl an Rechten eingeräumt (§2).

Außerdem regelt das Betriebsverfassungsgesetz noch die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers (§§81-86).

1.2.1.2 Probleme in der Anwendung

Mit Sicherheit wird das Betriebsverfassungsgesetz in unzähligen Fällen Tag für Tag genutzt und bildet eine wirksame Interessensvertretung für die Arbeitnehmer. Inwiefern jedoch das Gesetz intensiv genutzt wird könnte man anhand des Funktionierens der Betriebsvereinbarungen überprüfen:

- Existieren für alle Belange aus §87 Betriebsvereinbarungen?
- Macht der Betriebsrat von seinem Initiativrecht Gebrauch?
- Wurde bei einem nicht zufrieden stellenden Ergebnis die Einigungsstelle angerufen?

In einem vom Bundesarbeitsministerium beauftragten Untersuch wurde festgestellt, dass wohl nur in wenigen Unternehmen diese drei Fragen mit „ja“ beantwortet werden können. Also kann auch nicht von einer so befürchteten übermäßigen Beschränkung der Handlungsfreiheit von Unternehmen die Rede sein. Im Gegenteil sind viele betriebliche Abwehrkämpfe nur in Sozialplänen gemündet.

1.2.2 Mitbestimmungsgesetz

1.2.2.1 Wesentlicher Gesetzesinhalt

Das Mitbestimmungsgesetz gilt für die meisten Kapitalgesellschaften sowie für Kommanditgesellschaften, deren persönlich haftender Gesellschafter eine solche Kapitalgesellschaft ist, mit mehr als 2000 Arbeitnehmern (§1).

In diesen Gesellschaften besteht der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Anteilseignern und zur anderen Hälfte aus Arbeitnehmervertretern, die entweder direkt oder aber bei Unternehmen mit mehr als 8000 Mitarbeitern über Delegierte gewählt werden. Je nach Arbeitnehmeranzahl gibt es eine unterschiedliche Zusammensetzung der Vertreter aus Gewerkschaft, Arbeitern, Angestellten und leitenden Angestellten (§5).

Die Entscheidungen im Aufsichtsrat erfordern eine Stimmenmehrheit, wobei der von den Anteilseignern gewählte Vorsitzende (§27) bei Stimmgleichheit eine zweite Stimme hat (§29).

Dem gesetzlichen Vertretungsorgan der Gesellschaft muss ein Arbeitsdirektor angehören, der mit den gleichen Mehrheiten bestellt ist wie alle anderen Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer.

1.2.2.2 Probleme in der Anwendung

Oft wird von dem Mitbestimmungsgesetz als „wenig mehr als ein Informationsgesetz“ (Mertens, Bestimmung 86, S.149) gesprochen. In der Studie von 1998 der Hans-Böckler- und der Bertelsmannstiftung wird die Unternehmensmitbestimmung als ein „kooperationsstiftendes Instrument zur besseren Bewältigung des wirtschaftlichen Wandels“ (Mitbestimmung 6/98) angesehen.

Zwar gibt es nach wie vor noch so etwas wie die „Flucht vor dem Gesetz“, z.B. durch Verringerung der Arbeitnehmerzahl auf unter 2000, jedoch hat sich auch auf Unternehmerseite eine Akzeptanz des Mitbestimmungsgesetzes eingestellt. Jedoch gibt es auch noch viele Satzungs- und Geschäftsordnungen die nach Inkrafttreten des Gesetzes erlassen wurden, welche viele Rechte einschränken.

1.2.3 Montan-Mitbestimmungsgesetz

1.2.3.1 Wesentlicher Gesetzesinhalt

Dieses Gesetz wird auf AGs, GmbHs oder auf einer bergrechtlichen Gewerkschaft angewendet, welche hauptsächlich in der Eisen- und Stahlerzeugung tätig sind und mehr als 1000 Beschäftigte haben.

Der Aufsichtsrat setzt sich aus einer gleichen Anzahl von Anteilseignern und Arbeitnehmervertretern, sowie einem so genannten „neutralen Mann“ auf der Anteilseignerbank zusammen. Die Arbeitnehmervertretung besteht zu gleichen Teilen aus Vertretern der Gewerkschaften und von den Betriebsräten vorgeschlagene Arbeitnehmer. Hinzu kommt noch ein weiteres Mitglied, wie bei den Anteilseignern.

Dem Vorstand gehört auch hier ein Arbeitsdirektor an, welcher nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter abberufen werden kann. Durch das Mitbestimmungsergänzungsgesetz wird auf Konzerne das Montan-Mitbestimmungsgesetz angewandt, wenn 20% des Konzernumsatzes von Montanunternehmen getätigt wird. Jedoch weicht dieses Gesetz in wesentlichen Punkten von dem Montan-Mitbestimmungsgesetz ab:

- weniger Gewerkschaftsvertreter als Arbeitnehmervertreter
- Wahl der Arbeitnehmervertreter durch spezielle Wahlmänner
- Arbeitsdirektor kann auch gegen das Votum der Arbeitnehmervertreter bestellt werden

1.2.3.2 Probleme in der Anwendung

Trotz der Bedeutung der Montanmitbestimmung für die Gewerkschaften, nämlich des Erreichens einer Gesellschaft durch diese Art der Mitbestimmung, deren Bürger wirtschaftlich, kulturell und politisch gleichberechtigt sind aber auch durch Ergebnisse der Biedenkopf-Kommission und das Überleben der tief greifenden Umstrukturierungsprozesse des Bergbaus und der Stahlindustrie, wurde deutlich, dass die äußeren Zwänge, in denen die Unternehmen tätig waren, auch nach einer regionalen und sektoralen Strukturpolitik verlangen. Die Zahl der montanbestimmten Unternehmen hat immer mehr abgenommen (1997 waren es noch etwa 45).

1.3 Effektivität der Unternehmensmitbestimmung

1.3.1 Aufgaben des Aufsichtsrats

Die Unternehmensmitbestimmung findet in erster Linie im Aufsichtsrat statt. Dadurch wird dem Gedanken Rechnung getragen, dass an den Entscheidungsstellen auch die entsprechenden Einflussrechte vorhanden sind.

Die Aufgabe des Aufsichtsrats ist in erster Linie, als Kontrollorgan für den Vorstand bzw. die Geschäftsleitung zu fungieren. Hierzu gibt es verschiedene Befugnisse, die im Einzelnen näher erklärt werden.

Das Informationsrecht beinhaltet eine regelmäßige Unterrichtung durch den Vorstand bzw. die Geschäftsleitung über sämtliche Unternehmensangelegenheiten ohne Aufforderung. Auch die Arbeitnehmervertreter müssen sich über Wünsche und Probleme der Belegschaft informieren, um somit ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Außerdem hängt die Wirksamkeit ihrer Arbeit entscheidend ab von der Kommunikation mit der Belegschaft über Themen der Sitzung sowie von Erfolgen und Misserfolgen. Jedoch sind sie an die Verschwiegenheitspflicht gebunden, weshalb sich ein Austausch von Informationen vor der Betriebsöffentlichkeit als sehr schwierig erweist.

Das Kontrollrecht bezieht sich nicht nur auf die Gesetzesmäßigkeit von Entscheidungen, sondern auch auf die Zweckmäßigkeit der Geschäftspolitik des Vorstands. Die Kontrolle findet unmittelbar in den Vorstandsitzungen statt. Wichtige Aufgaben für den Arbeitnehmervertreter sind die Inanspruchnahme jeglicher Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte sowie die perfekte Vorbereitung aller Arbeitnehmervertreter auf die Aufsichtsratssitzungen.

Über diese Rechte hinaus besitzt der Vorstand gewisse Entscheidungsrechte. Als wichtigstes ist die Wahl der Vorstandsmitglieder zu nennen. Darüber hinaus gibt es noch zustimmungsbedürftige Geschäfte und das Recht, den Jahresabschluss verbindlich festzustellen, wobei dort dann auch Weichen für die Investitionspolitik des Unternehmens gestellt werden, da es um die Rücklagen bzw. die Ausschüttung der Bilanzgewinne an die Aktionäre geht.

[...]


[1] National-sozialistische Deutsche Arbeiterpartei

Ende der Leseprobe aus 58 Seiten

Details

Titel
Führung und Mitbestimmung unter neuen Rahmenbedingungen
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Industriebetriebslehre und industrielle Produktion)
Note
1,0
Autoren
Jahr
2004
Seiten
58
Katalognummer
V31718
ISBN (eBook)
9783638326315
ISBN (Buch)
9783638703611
Dateigröße
1229 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Führung, Mitbestimmung, Rahmenbedingungen
Arbeit zitieren
Christian Julmi (Autor:in)Frank Habscheid (Autor:in)Patrick Zepf (Autor:in), 2004, Führung und Mitbestimmung unter neuen Rahmenbedingungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31718

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