Gender Mainstreaming in der Pädagogik. Geschlechtspezifische und geschlechtsneutrale Erziehung im Vergleich


Bachelorarbeit, 2014

55 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung:

A. Die Präsenz des Geschlechtes in unserer Gesellschaft

B. Erziehung zur Geschlechtslosigkeit?
2.1 Die Entstehung der Gender Theorie
2.1.1 Drei Feministinnen als Vordenkerinnen des Gender Begriffes
2.1.2 Begriffsdefinitionen
2.1.3 Gender Mainstreaming in der Politik
2.1.4 Die Zielsetzung der Gender Theorie
2.1.5 Kritik an der feministischen Entwicklung
2.2 Exkurs: Geschichte der Geschlechterrollen
2.2.1 Vom bürgerlichen Familienideal zur modernen Sicht von Geschlechterrollen
2.2.2 Wovon will die Gender Theorie weg?
2.3 Gender Mainstreaming in der Erziehung
2.3.1 Zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern
2.3.2 Ein Beispiel für geschlechtsspezifische Erziehung: TeenSTAR
2.3.3 Schwierigkeiten bei der geschlechtsspezifischen Erziehung
2.3.4 Ausgangspunkt der geschlechtsneutralen Erziehung: Geschlecht als soziales Konstrukt
2.3.5 Ein Beispiel für geschlechtsneutrale Erziehung: Egalia
2.4 Auswertungen verschiedener Studie
2.4.1 Zur Möglichkeit einer geschlechtsneutralen Erziehung
2.4.2 Zur Geschlechtsneutralität der unter Zweijährigen
2.4.3 die Geschlechtsidentität nach Trautner
2.4.4 Zu den Folgen geschlechtsneutraler Erziehung
2.5 abschließende Gedanken: Geschlechter als Pole im Miteinander

C. Der Neue Mensch

Literatur

A. Die Präsenz des Geschlechtes in unserer Gesellschaft

Das bipolare Geschlechtersystem ist so alltäglich, dass wir uns darüber gar keine Gedanken mehr machen: Wenn ein Kind geboren wird, lautet die erste Frage, ob es ein Mädchen oder Junge ist. Wir gehen entweder in die Frauen- oder Männertoilette, in den Frauen- oder Männerumkleideraum und sogar schon drei Monate alte Babys können zwischen Frauen und Männern unterscheiden, indem sie sich am Kleidungsstil, den Haaren und der Stimme orientieren. Und so verbinden wir auch gleichzeitig mit dem Geschlecht bestimmte Eigenschaften, ganz automatisch. Frauen sind eher einfühlsam, „mütterlich“ und gesprächiger, das „schöne Geschlecht“, künstlerisch begabter, dafür nicht so gut in naturwissenschaftlichen Angelegenheiten und beim Einparken; Männer dagegen sind das „starke Geschlecht“, haben einen besseren Orientierungssinn, sind geradliniger, nicht so launisch, dafür manchmal grobmotorisch, vielleicht nicht so empathisch. So hat es also als Mädchen geboren zu werden Konsequenzen, welche, die über die chromosomalen und biologischen Unterschiede weit hinausgehen.

Zugegeben, das klingt sehr stereotypisch, doch begleitet dieses Denken unser Leben. Fast jedes menschliche Verhalten und Erleben hat eine Art geschlechtliche Färbung. Durch die Einführung des Wortes gender, das den Begriff sex ablöst, sollen allerdings genau diese Paradigmen der Unterschiede zwischen Mann und Frau aufgehoben werden: Frauen sollen im Berufsleben endlich den Männern gleichgestellt und somit die gender-pay-gap aufgehoben werden. Homosexuelle Paare sollen die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare bekommen, auch die Sprache soll angeglichen werden, so soll zum Beispiel „Vater“ und „Mutter“ durch „Elter“ ersetzt werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit wir es bei den traditionellen Denkweisen über Mann und Frau tatsächlich mit obsolet gewordenen Stereotypen zu tun haben, oder ob sie doch noch essentielle Bedeutung für die Kultur haben und daher zum Erhalt einer „gesunden Kultur“ nicht ganz aufgegeben werden sollten.

B. Erziehung zur Geschlechtslosigkeit?

Hinsichtlich der Strömung, die derzeit in Politik und Gesellschaft erkennbar ist, hin zu einer geschlechtslosen Pädagogik, wird in der vorliegenden Arbeit bearbeitet, ob es für die Jugendlichen fördernder und persönlichkeitsstärkender ist, sie bezüglich ihres Geschlechtes oder ihrer Geschlechtslosigkeit zu bestärken. Nun stellt sich allerdings die Frage, inwieweit wir es bei den traditionellen Denkweisen über Mann und Frau tatsächlich mit obsolet gewordenen Stereotypen zu tun haben, oder ob sie doch noch essentielle Bedeutung für die Kultur haben und daher zum Erhalt einer gesunden Kultur nicht ganz aufgegeben werden sollten.

Kritiker und Kritikerinnen alarmiert die heutige Entwicklung: Das Gender-Mainstreaming ist für sie der Anfang vom Ende, denn für sie sind Werte, wie Familie und eine geordnete Sexualität essentiell wichtig für den Erhalt einer vitalen, nachhaltigen Kultur. Ihrer Meinung nach lässt sich die Vitalität und Nachhaltigkeit der Kultur nur dadurch fundieren, dass Werte wie eine Familien zu gründen, als Keimzellen der Kultur dienen und auf dem Boden eines richtigen Umganges mit Sexualität und Geschlecht fußen. Gerade in der Differenz der Geschlechter konstituierte sich aber auch der genuine Wert eines Mannes oder einer Frau, der bei einer Verwischung dieser Grenzen nicht mehr zutage trete.

Ist diese Position tatsächlich heute noch vertretbar? Gleitet man mit diesem traditionellen Bild von Mann und Frau nicht zwangsläufig wieder in die Diskriminierung der Frau ab, so wie es viele Vertreter des Gender-Mainstreamings behaupten? Ist es nicht auch historisch bezeugt, dass Frauen tatsächlich Opfer von Diskriminierungen waren? Und noch viel bedeutender für die Pädagogik ist die Frage, wie es letztendlich den Kinder und Jugendlichen damit geht. Welche Auswirkungen hat eine geschlechtsneutrale Erziehung? Ist sie möglicherweise die Lösung für so manche Schwierigkeiten in der Erziehung? Verhilft eine geschlechtslose Gesellschaft zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung? Anlässlich dieser Diskussion möchte ich in dieser Bachelorarbeit herausfinden, welcher Erziehungsansatz bei den Jugendlichen mehr Selbstbewusstsein und Zufriedenheit mit ihrem Geschlecht hervorrufen kann.

Im Folgenden soll zunächst die Entstehung der Gender Theorie und auf welche Weise diese den Weg in die Politik gefunden hat, erläutert werden. Es soll die Frage geklärt werden, was Gender Mainstreaming erreichen will. Über den historischen Rückblick zu dem bürgerlichen Familienideal soll erklärt werden, von welchem Geschlechterbild die Gender Theorie wegführen will. Im darauf folgenden Kapitel soll die Frage geklärt werden, ob es tatsächlich keine Geschlechtsunterschiede gibt beziehungsweise ob diese, nur auf ein gesellschaftliches Konstrukt zurückzuführen sind. Weiter wird beschrieben, inwieweit sich die Gender Theorie auf die Erziehung auswirkt und eine Gegenüberstellung von einer geschlechtsspezifischen Erziehung und geschlechtsneutralen Erziehung gegeben. Als Beispiel für die geschlechtsspezifische Erziehung ist das Projekt TeenSTAR gewählt und für die geschlechtsneutrale Erziehung die schwedische Vorschule Egalia. Im Anschluss daran werden verschiedene Studien ausgewertet, zu der Möglichkeit und den Folgen von geschlechtsneutraler Erziehung. Dabei spielt die Forschung zur Geschlechtsidentität von Trautner eine entscheidende Rolle. Abschließend wird noch ein zusammenfassendes Fazit gegeben.

2.1 Die Entstehung der Gender Theorie

Seit den 1980er Jahren wird der Ansatz der geschlechtsspezifischen Sozialisation mehr und mehr in Frage gestellt. Hauptgrund dafür ist die Frage, welche überwiegend nach Geschlechterunterschiede im Verhalten, Denken und Fühlen gestellt wird. Die Grundaussage ist dabei, dass Menschen automatisch im Laufe ihres Sozialisationsprozesses zu Männern oder zu Frauen werden. Männlichkeit und Weiblichkeit wird folglich nur von der Gesellschaft produziert, so die Meinung einiger kritischer Feministinnen (vgl. Bilden 1998; Hagemann-White 2004; Bilden; Dausien 2006). Die Kritik dabei ist, dass der Einfluss der Gesellschaft dabei zu übermächtig wird und dem Individuum eigene Entwicklungsmöglichkeiten abspricht. Auf diesem hintergrund wurde der Ansatz des Doing Gender (vgl. West; Zimmermann 1987) weiter entwickelt.

Zunächst einmal wurde das deutsche Wort Geschlecht, durch den Begriff Gender, um einen kulturellen Aspekt, ergänzt. Der Begriff Gender ist in den vergangen Jahren in der Wissenschaft und im Alltag zu einem Schlüsselbegriff geworden. Gender ist ein dynamischer Begriff und definiert das soziale Geschlecht als veränderbar. Das Geschlecht ist also nicht mehr länger eine Eigenschaft der Personen, sondern ein bestimmtes Handeln in bestimmten Situationen (vgl. Faulstich-Wieland 2006, S. 208).

Eine neue Wendung in der Genderdebatte gab es Ende der 1990er Jahre durch den Ansatz der Dekonstruktion. Der Begriff „Dekonstruktion“, der mittlerweile zu einem interdisziplinären methodischen Ansatz geworden ist, stammt von dem französischen Philosophen Jacques Derrida und hat zur Absicht, „verborgene Ambivalenzen und Widersprüche innerhalb der westlichen Denktradition“ (Boeser, Fahrenwald, Bauer (Hrsg.) 2012, S. 23) aufzudecken (vgl. Lemmermöhle; Fischer; Klika; Schüter 2000). Zur Dekonstruktion verschiedener Denksysteme ist es nach Derrida notwendig, logische Strukturen und die Bedeutung ihrer Begriffe offenzulegen. Die Struktur unseres abendländischen Denkens ist demnach binär. Binäres Denken bedeutet ein System aus oppositionärer Anordnung, wie wahr und falsch, gut und böse, zentral und marginal oder männlich und weiblich.

Die Bedeutung dieser Begriffe wird nach dem Ausschlussverfahren zugeordnet. Die Bedeutungsherleitungen geschehen allerdings nicht wertneutral, sondern werden hierarchisch vorgenommen. Ziel der Dekonstruktion ist es, diese hierarchischen Gegensatzpaare zu zerlegen und in ihrer aporetischen Logik aufzudecken, wodurch das binäre Denken nicht aufgehoben werden kann, jedoch kann auf diese Weise Raum für neue Interpretationsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies wiederum entspricht einem Grundanliegen der feministischen Diskussion, welche die Geschlechterhierarchie aufdecken will. Ein Auflösung ist nach Derrida jedoch gar nicht möglich (vgl. Kahlert 2000, S. 41). In Deutschland wurde der dekonstruktivistischer Ansatz insbesondere durch die amerikanische Gendertheoretikerin Judith Butler bekannt, wie im Folgenden noch näher erläutert wird.

In der heutigen Genderdebatte heißen die Schlüsselbegriffe, „Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Dezentralität“ (Faulstich-Wieland 2003, S. 105). Nach Wetterer hat die aktuelle Diskussion um die Modernisierung der Geschlechterverhältnisse gegenwärtig einen Stand erreicht, der vor allem durch „Widersprüche, Brüche und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet ist“ (Wetterer 2003, S. 288). Im Folgenden werden nun vier Personen genannt und ihre Ansichten beschrieben, welche einen wichtigen Beitrag zu der Entwicklung des Gender Begriffes geleistet haben.

2.1.1 Drei Feministinnen als Vordenkerinnen des Gender Begriffes

Judith Butler, 1956 geboren, ist eine US-amerikanische Philosophin und eine der führenden Wissenschaftlerinnen der Queer- und Gender-Studies. Sie ist an der University of California in Berkeley Professorin für Rhetorik, Komparatistik und Women´s Studies. Als eine ihrer wichtigsten Publikationen gilt „Das Unbehagen der Geschlechter“ (deutsche Übersetzung Butler 1991, englischsprachiger Originaltitel: Gender Trouble).

Butler schreibt in dem zuletzt genannten Werk über „geschlechtlich bestimmte[…] Körper“, welche „unterschiedliche Stile des Fleisches“ (Butler 1991, S. 151) darstellen. Diese verschiedenen Stile hätten ihre Geschichte und beschränkten die Möglichkeiten der Personen. Nach Butler wird die „Geschlechter-Realität“ (Butler 1991, S. 153) und somit auch die Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit, durch die Gesellschaft aufrecht erhalten. Das hieße, die Geschlechter an sich gebe es nur, weil diese von der Gesellschaft so gewollt seien. Sie seien folglich daher keine unveränderbare keine Tatsache. In ihrem Buch legt sie weiter dar, dass jede Geschlechterbestimmung, das System der Zweigeschlechtlichkeit spieße (vgl. Faulstich-Wieland 2003, S. 103), gerade das solle jedoch mehr und mehr verhindert werden. Zu diesem Zweck wurde der Gender-Begriff eingeführt. Für die vorliegende Arbeit ist Butler aus dem Grund wichtig, da sie Vordenkerin des Gender Begriffes ist, welcher wiederum die geschlechtsneutrale Erziehung fordert.

Weiter ist Butler der Meinung, dass die „verschiedenen Akte der Geschlechtsidentität“ überhaupt erst die „Idee der Geschlechtsidentität“ (Butler 1991, S. 151) hervorbringt. Ohne die Handlungen nach der Geschlechtsidentität, gäbe es auch diese Identität nicht. Dabei seien jedoch die Geschlechtsidentitäten weder richtig, noch falsch und auch nicht ursprünglich, noch abgeleitet, sie können jedoch glaubwürdig und unglaubwürdig gemacht werden (vgl. Butler 1991; S. 154). Butler geht sogar noch weiter mit ihrer Aussage, indem sie behauptet, dass das Wesen, zu dem eine Frau durch die Gesellschaft gemacht wird, nicht automatisch „weiblichen Geschlechtes“ (Butler 1991, S. 143) sein müsse.

Wenn jedoch die Geschlechterrollen nur gesellschaftlich quasi oktroyiert werden und eigentlich die biologische Tatsache ein Hindernis in der freien Entwicklung der Person ist, dann ist es ein logischer nächster Schritt, diese Tatsache abschaffen zu wollen. In der Auffassung der Genderdenkweise sind Geschlechter folglich nur ein Konstrukt und keine festgeschriebene Tatsache, deswegen auch veränderbar beziehungsweise sogar auflösbar.

Auch die zweite Feministin und Vordenkerin, welche hier erwähnt werden soll, sieht die Geschlechtsidentität nur als Konstrukt und nicht als absolute, unflexible Tatsache. Simone de Beauvoir (1908-1986) studierte an der Sorbonne und war eine französische Philosophin. Sie war Autorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift Les temps modernes und Vertreterin des Existenzialismus und eine der Begründerinnen der modernen feministischen Theorie. Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen „Sie kam und blieb“ (Originalausgabe in franz.: de Beauvoir 1943: LÍnvitée), „Das Blut der anderen“ (Originalausgabe in franz.: de Beauvoir 1945: Le sang des autres), „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause (Originalausgabe in franz.: de Beauvoir 1958: Mémoires dúne jeune fille rangée) und „Das andere Geschlecht“ (Originalausgabe in franz.: de Beauvoir 1949: Le Deuxiéme Sexe).

In dem zuletzt genannten Werk proklamiert sie die Anerzogenheit der Geschlechter unter anderem mit dem berühmt gewordenen Satz: On ne na î t pas femme, on le devient - Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es (vgl. de Beavoir 1968, S. 265). Sie vertritt die Ansicht, dass die Frau mit dem Eintritt in das Berufsleben der Unterdrückung durch den Mann entkommen und so ihren Selbstwert finden kann. Das Frau-Sein an sich ist somit keine Identität, sondern eine Prägung, welche man somit auch frei gestalten kann oder sollte.

Beauvoir schreibt, dass die Frauen über Jahrhunderte hinweg immer nur das erreicht hätten, was die Männer ihnen zugestanden hätten. Und sie haben nichts dagegen getan, sondern es nur hingenommen (vgl. de Beauvoir 1951, S. 51). „Das ist es, was von Grund auf die Frau charakterisiert: sie ist die Andere innerhalb eines Ganzen, in dem beide Extreme einander nötig haben.“ (de Beauvoir 1951, S. 52). Der Mann sei stolz auf sein Geschlecht und das nicht von sich heraus, sondern aufgrund der Haltung seiner Umgebung. Weiter ist sie der Ansicht, dass „kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal […] die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt“ (de Beauvoir 1951, S.59) bestimmt.

Als dritte Feministin und Vordenkerin bleibt Alice Schwarzer zu nennen. Die Journalistin und Chefredakteurin der Frauenzeitschrift EMMA schreibt in ihrem Buch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ (Schwarzer 1975) über die Unterdrückung der Frauen durch die Männer und sie vertritt ebenfalls die Position, dass die Geschlechterunterschiede auf die Sozialisation zurückzuführen sind und deswegen jeder Mensch das Recht auf freie Geschlechtswahl haben sollte. Diese besagte Unterdrückung der Frau, solle endlich verhindert werden. Aus diesem Grund ist ein Ziel der Gender Bewegung, die Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen. Diese wiederum soll erlangt werden, indem die Geschlechter an sich als von der Gesellschaft kreiert und nicht mehr als biologische Tatsache gesehen werden.

2.1.2 Begriffsdefinitionen

Durch die Trennung von Sex und Gender seit den 70er Jahren ist eine facettenreiche Behandlung des deutschen Begriffes Geschlecht möglich. Gender bezeichnet das soziale Geschlecht, das heißt die Geschlechterzuschreibung, Geschlechterrollen, Bewertungen durch die Gesellschaft, Verhaltensweisen und Selbstbilder. Sex stellt die biologische Kategorie, also die körperliche Realität des Geschlechtes dar (vgl. Bauer, Neissel 2002, S. 116). Der Begriff gender schließt mit ein, dass jede sexuelle Orientierung gleichwertig ist. Nach den beiden Vordenker, den Feministinnen Simone de Beauvoir und Judith Butler, welche den Gender Begriff und die Fortsetzung der Queer Theorie voranbrachten, hielten diese Gedanken mittlerweile auch Einzug in die Politik in UN und EU, wie im Folgenden noch näher erläutert werden soll.

Auf der Internetseite des Familienministeriums heißt es, dass der Begriff “Gender” sowohl “gesellschaftlich als auch sozial und kulturell geprägte Geschlechtsrollen” bezeichne, die als “veränderbar” charakterisiert werden. Durch diese Begriffsaufteilung oder durch das Verwenden der zwei unterschiedlichen Begriffe, wird das Geschlecht zu einem gesellschaftlichen Konstrukt und ist nicht mehr eine biologische Tatsache. Eine Einteilung der Neugeborenen in Junge und Mädchen ist folglich eine willkürliche, denn die Geschlechterrollen werden als sozial geschaffen angesehen (vgl. www.bmbf.de).

Der Begriff „ doing gender “ von Candace West und Don Zimmerman (1987) beschreibt das Geschlecht als „Geschlechterattribution, welche das Ergebnis sozialen Handelns sind oder auch infolge routinisiertes Tun entsteht“ (Garfinkel 1967, S. 181). Doing Gender ist damit ein „zirkulärer Prozess zwischen DarstellerIn und BetrachterIn“ (Degele 2008, S. 80). Das heißt, dass Geschlecht erst in der Interaktion mit anderen alltäglich gemacht wird. Es wird als eine Art Konstrukt gesehen, welche durch soziale Prozesse geschaffen wird.

Die „ Genderrolle “ (gender role) beginnt mit der Geburt und der damit verbundenen Zuschreibung eines Geschlechtes. Die Geschlechterrolle bezeichnet das äußere Verhalten und äußere Geschlechtsmerkmale, wie bestimmte Kleidung, Frisuren und Habitus. Einige Feministinnen sind der Meinung, dass diese Genderrollen geprägt sind von einem patriarchalen Rollenzwang, welche eine Diskriminierung von Frauen zur Folge hat (vgl. Kroll 2002, S. 158-160).

Zuletzt folgt der Versuch einer Definition des Begriffes „ Gender Mainstreaming “ Mainstreaming ist Englisch und bedeutet wörtlich übersetzt, „in den Hauptstrom bringen“. „Gender Mainstreaming“ bedeutet folglich direkt übersetzt: „Das soziale Geschlecht in den Hauptstrom bringen“. Damit dürfte gemeint sein, dass geschlechtsbezogene Fragen nicht mehr als Spezialthema behandelt, sondern in der ganzen Breite des Alltagshandelns berücksichtigt werden soll. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bezeichnet der Begriff „den Prozess und die Vorgehensweise, die Geschlechterperspektive in die Gesamtpolitik mit aufzunehmen“ (www.bmfsfj.de). Mit gemeint ist dabei das allgemeine Ziel einer „tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern“ (Rohrmann 2005, S. 248-252).

2.1.3 Gender Mainstreaming in der Politik

Eingang in die Politik fand das Gender Mainstreaming in Deutschland zunächst in den Gewerkschaften, die auch weiterhin bei seiner Implementation wie auch anderer feministischer Inhalte eine wichtige Rolle spielen (vgl. Zastrow 2006). Zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist die Bundesregierung durch Art. 3, Abs. 2, Satz 2 im Grundgesetzt ausdrücklich verpflichtet, sie ist folglich wesentlicher Bestandteil des politischen Handelns (vgl. Grundgesetz). Auf der Internetseite des Familienministeriums heißt es, dass der Begriff “Gender” sowohl “gesellschaftlich, als auch sozial und kulturell geprägte Geschlechtsrollen” bezeichnet, die als “veränderbar” charakterisiert werden.

Seit August 2006 gibt es in Deutschland auch ein Bundesgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches eine Strafe bei Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität rechtlich gewährleistet. Das Gesetz, das auch als Antidiskriminierungsgesetz bekannt ist, schließt, wie oben erwähnt, auch homo-, trans- und bisexuelle Personen mit ein und unterstreicht somit, dass sogenannte queer- oder GLBT-Personen nicht anders als andere Menschen zu behandeln sind. Unter der Queer- Theorie versteht man ein “inclusive umbrella label for all gendernauts and sexual outlaws, a cover-all term for lesbians, bisexuals, gays and transgendered people” (www.bmbf.de). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sieht die „Gleichstellungspolitik mittels der politischen Strategie des Gender-Mainstreaming […] als durchgängiges Leitprinzip und Querschnittsaufgabe“, womit sich die Bundesregierung in die „weltweiten Aktivitäten zur wirkungsvolleren Durchsetzung von Gleichstellungspolitik“ (ebd.) eingereiht hat.

Die Gleichstellung der Geschlechter hat seit 1999 also einen hohen Stellenwert in der Bundespolitik. Wenn man auf die Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schaut, wird sich zum einen für die Schließung der Gender-Pension-Gap ausgesprochen, zum andern ist immer wieder die Rede von der Strategie des Gender- Mainstreaming zur Gleichstellung von Mann und Frau. Unter dem des Gender-Mainstreaming versteht man bei „allen gesellschaftlichen Vorhaben“ (www.bmfsfj.de) die Berücksichtigung der „unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt“ (ebd.).

Vom Familienministerium wurde von 2003 bis 2010 das sogenannte GenderKompetenz- Zentrum, welches in der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin angesiedelt ist, finanziert. Seit 2010 wird es selbstständig weitergeführt. Als Ziel der Gender- Mainstreaming-Strategie wird hier zum einen der „Abbau von Benachteiligungen“ (www.genderkompetenz.info), also Diskriminierung, weiter die „gleiche Teilhabe“ (ebd.) und eine „von tradierten Rollenmustern freie, selbstbestimmte Lebensgestaltung beider Geschlechter“ (ebd.) genannt.

In der internationalen Politik gelang es als erstes, das Gender Mainstreaming mit Hilfe der Vereinten Nationen in der Entwicklungszusammenarbeit durchzusetzen. 1993 war Gender Mainstreaming als Auflage bei der Vergabe von Mitteln des EU-Strukturfonds durchgesetzt worden. Den Durchbruch erreichte das Gender Mainstreaming bei der von den Vereinten Nationen ausgerichteten Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995. Diese Verabschiedete neben ihrem umfangreichen Bericht auch eine sogenannte Aktionsplattform, in welcher das Gender Mainstreaming enthalten war (“an active and visible policy of mainstreaming a gender perspective in all policies and programmes“). Fast wäre das Projekt gescheitert, weil noch der Entwurf auch den Schutz der sexuellen Orientierung verlangt, also der weiblichen Homosexualität, wofür jedoch die Zustimmung des Vatikans und der meisten muslimischen, sowie der südamerikanischen Länder nicht zu erlangen war. Dass letztendlich die Annahme des Berichts in der Volksversammlung der Vereinten Nationen am 8. Dezember 1995 (Resolution 50/42) zustande kam, wurde auch mit dem Argument begründet, dass die sogenannte Aktionsplattform nur Empfehlungscharakter hatte und somit nur unverbindlich galt (vgl. http://www.un.org/depts/german/conf/beijing/beij_bericht.html).

Von welcher Wichtigkeit die Genderfrage für die UN ist, zeigte der siebte Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan, als er 2006 als seine letzte Amtstat einen Bericht mit dem Titel „Delivering As One“ verfasste. Darin stellt er die „Förderung der Gender-Gleichheit bei allen UN-Aktivitäten in den Mitgliedstaaten“ (vgl. Friday Fax 2006) in den Mittelpunkt. Im Februar 2003 hat der Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit einen Bericht über Gender-Mainsteaming im Europäischen Parlament herausgegeben (vgl. A5-0279/2003). Darin wird beschlossen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau auf allen Ebenen umgesetzt und geschlechtsbezogene Stereotype verändert werden sollen. Durch die Gender- Mainstreaming-Strategie soll für jeden Menschen das Recht gewährleistet sein, sein Geschlecht und seine geschlechtliche Orientierung frei wählen zu dürfen.

Welche Bandbreite eine Politik nach Maßstäben des Gender-Mainstreaming hat, wird unter anderem durch die Entschließung BG - 0025/ 2006 des Europäischen Parlamentes vom Januar 2006 deutlich. Es handelt sich - unter Berufung auf die Menschenrechtsverpflichtung - um eine Entschließung zur Bekämpfung der Homophobie. Homophobie wird darin als „Aversion gegen Homosexualität und schwule, lesbische, bisexuelle und transsexuelle (GLBT) Menschen“ (vgl. BG -0025/2006) bezeichnet und somit auf die gleiche Stufe mit „Rassismus, Xenophobie“ (ebd.) und „Antisemitismus“ (ebd.) gestellt. Homophobie kann sich im „privaten und öffentlichen Bereich“ (ebd.), in „Hassreden und dem Aufruf zu Diskriminierung“ (ebd.) äußern und „mit der religiösen Freiheit verschleiert“ (ebd.) werden. Ziel des Beschlusses ist es, die Homophobie unter den Bürgern „auszumerzen“ (ebd.) und eine „Kultur der Freiheit, Toleranz und Gleichheit“ (ebd.) zu fördern. Um den Kampf gegen Homophobie zu gewinnen, sollen Informationskampagnen durchgeführt und die nötigen legislativen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Auch in der pädagogischen Praxis wird „Genderkompetenz“ (Budde, Venth 2009) als eine wichtige berufliche Schlüsselqualifikation betrachtet und die Genderforschung beschäftigt sich in der Erziehungswissenschaft mit der Bedeutung von Geschlecht in Erziehungs- und Bildungsprozessen (vgl. Faulstich-Wieland 2006, S. 207).

Zusammenfassend bedeutet das, dass seit 1996 Gender Mainstreaming durch die EU-Verträge (vgl. Artikel 2 und 3) und durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vgl. Artikel 23, Nr. 1) zur Durchsetzung von Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern in allen EU-Mitgliedstaaten verbindlich ist.

2.1.4 Die Zielsetzung der Gender Theorie

Gender Mainstreaming will folglich, um es noch einmal zusammenfassend darzustellen, eine langfristige Strategie zur Förderung der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern darstellen. Gender Mainstreaming will demzufolge nicht nur eine Geschlechtergerechtigkeit schaffen, sondern das soziale Gebilde Geschlecht im Ganzen abschaffen. Es handelt sich also nicht nur um das Bemühen, die Differenzen im Stundenlohn von Mann und Frau auszugleichen oder anderen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes entgegenzuwirken. Sondern es geht vielmehr noch auch darum in gewissen Maßen die Denkweise der Menschen zu ändern. Aus diesem Grund finden auch Versuche statt, die Sprache anzupassen und gendergerecht zu machen, denn auch durch die Sprache soll sich niemand diskriminiert fühlen. An zahlreichen Universitäten und Hochschulen wurden bereits Leitfaden zur gendergerechten Sprache entwickelt (vgl. http://www.uni- augsburg.de/einrichtungen/gleichstellungsbeauftragte/sprache). Und nicht desto letzt sollen bereits die Kinder die Freiheit einer stereotyplosen Gesellschaft genießen können und dementsprechend geschlechtsneutral erzogen werden. Geschlechtsneutrale Erziehung bedeutet folglich, im Rahmen des Gender Mainstreaming, eine Erziehung, welche den Mädchen und Jungen erlaubt, sich frei von den traditionellen Rollenbildern zu entwickeln.

2.1.5 Kritik an der feministischen Entwicklung

Wie im vorhergehenden Kapitel deutlich wird, ist Gender Mainstreaming in diversen Gesetzten bereits verankert. Doch dies geschah nach Lassahn nach dem sogenannten „Top- down“-Prinzip. Man spricht dann von einer Top-down Bewegung, wenn eine neue Bestimmung, welche für mehrere Personen gelten soll, von oben herab festgelegt wird. Das heißt nicht vom Volk, von den Personen, welche diese Bestimmung betreffen wird, sondern von beliebigen Organisationen, Theoretiker oder Machthabern und dementsprechend undemokratisch durchgesetzt wurde. Gender Mainstreaming ist aus dem Grund eine Top- down-Bewegung, weil es unter anderem zur Geschäftsordnung der Regierung wurde, wofür es jedoch nie einen Parlamentsbeschluss gab, wie im obigen Kapitel bereits angesprochen. Danach gibt es keine Person in einer Organisation, die sich diesem Prinzip nicht verpflichtet fühlen müsste. Eine große Zahl der Bürger ist folglich verpflichtet, mitzuhelfen, dass die Gender Theorie in die Tat umgesetzt wird. Bei den Bürgern, von denen die Initiative hätte kommen müssen, damit es keine Top-down-Bewegung gewesen wäre, wird Gender Mainstreaming als schlichte Gleichstellungpolitik präsentiert (vgl. Lassahn 2013).

Weiter bleibt zu fragen, welchen konkreten Missstand das Gender Mainstreaming verbessern will. Man muss nicht werten oder trennen, aber auch nicht offensichtliche Unterschied ignorieren. Folgendes ist sicher: Es gibt Frauen, die werden vergewaltigt. Es gibt noch viel mehr Frauen, denen wird anderes Schlimmes angetan. In manchen Ländern werden Frauen gesteinigt, oder man schneidet ihnen gleich den Kopf ab, nachdem sie von ihrem eigenen Vater vergewaltigt worden sind. Der Grund ist Geschlechtsverkehr vor der Ehe. Diese beispiellose Grausamkeit ist für uns Menschen aus den westlichen Kulturkreisen rational nur schwer rekonstruierbar und emotional gar unmöglich nachzuempfinden. Doch in unseren westlichen Ländern gibt es mit Ausnahme der Gender-Pay-Gap, also der Differenz des durchschnittlichen Stundenlohnes von Frauen und Männern, keine wirkliche Diskriminierung der Geschlechter.

Die Vorgehensweise der Feministinnen, welche überwiegend die Gender Theorie entwickelt haben, ist jedoch ziemlich paradox und nicht sehr wissenschaftlich. So versuchten exemplarisch dafür Ingelore und Isabell Welpe, die Frau infolge der Beschaffenheit ihres Körpers über den Mann zu stellen. Sie heben also die biologischen Gegebenheiten der Frau hervor und stellen sie konträr zu denen des Mannes, indem sie das Glied des Mannes abwertend als „Klitoris am Stiel“ bezeichnet, und der Mann sei im Vergleich zur Frau weniger vollkommen, da ihm Gebärmutter und Brüste fehlen. Weiter wird die Frau als primäres Geschlecht bezeichnet, dagegen sei der Mann nur, wie ein sekundäres Geschlecht (vgl. Welpe 2003). Man könnte meinen die Feministinnen wollen etwas grenzenloses schaffen, jedoch setzten sie dadurch erst Grenzen, indem sie die Unterschiede zwischen Mann und Frau besonders hervorheben, um dann alle identisch machen zu wollen. Ist es nicht möglich, alle Menschen als gleichwertig zu sehen, jedoch die Unterschiede zu akzeptieren?

Zudem wird in der Begründung der Gender Theorie nahezu unwissenschaftlich gearbeitet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Gender Mainstreaming in der Pädagogik. Geschlechtspezifische und geschlechtsneutrale Erziehung im Vergleich
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Genderforschung
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
55
Katalognummer
V316951
ISBN (eBook)
9783668157613
ISBN (Buch)
9783668157620
Dateigröße
1168 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Genderforschung, Gender, Gender-Pay-Gap, Gender Theorie, Geschichte der Geschlechterrollen, Gender Mainstreaming, Trautner, Folgen geschlechtsneutraler Erziehungen, der neue Mensch, Geschlechtslosigkeit, Präsenz des Geschlechtes in der Gesellschaft
Arbeit zitieren
Conni Endres (Autor:in), 2014, Gender Mainstreaming in der Pädagogik. Geschlechtspezifische und geschlechtsneutrale Erziehung im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316951

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