Außen- und Selbstwahrnehmung koreanischer und okinawanischer Identität

Vergleich und Analyse


Bachelorarbeit, 2015

78 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Okinawa – historische Interaktion mit Japan
2.1 Geistiges/intellektuelles Drängen nach Japan
2.2 Emigrationsdrang
2.3 Der Zucker schmeckt nicht mehr
2.4 Japans Krieg, Okinawas Verlust

3 Korea – historische Interaktion mit Japan
3.1 Zwangsmigration ab 1939

4 Historische Interaktion mit Japan im Vergleich

5 Gründe für den Verbleib der Okinawaner

6 Gründe für den Verbleib der Koreaner

7 Oldcomer
7.1 Okinawanische Oldcomer und ihre Ansiedlung
7.2 Koreanische Oldcomer und ihre Ansiedlung

8 Newcomer
8.1 Okinawanische Newcomer
8.2 Koreanische Newcomer
8.2.1 Ansiedlung der koreanischen Newcomer
8.2.2 Religiösität, Bildung und Politik

9 Diskriminierung und Assimilierung
9.1 Diskriminierung der Okinawaner
9.1.1 Zu Kriegszeiten auf Okinawa
9.1.2 Diskriminierung auf dem japanischen Festland
9.2 Diskriminierung der koreanischen Oldcomer
9.3 „No Koreans or Ryūkyūans need apply”
9.4 Situation innerhalb der koreanischen Gemeinde
9.5 Assimilierung
9.6 Mögliche Ursachen der Diskriminierung im japanischen Selbstverständnis

10 Kulturelle Boomphasen
10.1 Okinawa-Boom
10.2 Korea-Boom
10.3 Fazit

11 Identität im Wandel der Zeit
11.1 Okinawanische Identität
11.2 Koreanische Identität
11.2.1 Phase Eins
11.2.2 Phase Zwei
11.2.3 Phase Drei
11.3 Der Vierte Weg

12 Schluss

13 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 - Entwicklung der okinawanischen Bevölkerung auf dem japanischen Festland

Abbildung 2 - Entwicklung der Zahl der Nord/Südkoreaner in Japan 1910-1944

Abbildung 3 - Entwicklung der Zahl der Koreaner in Relation zur Zahl der Chinesen in Japan 1980-2007

1 Einleitung

Japan, Korea, Okinawa – die Geschichte und Interaktion dieses Dreierpaares im Laufe des 20. Jahrhunderts ist äußerst ereignisreich. Begonnen mit Japans Kolonialpolitik kurz vor der Jahrhundertwende entspann sich eine Reihe von Ereignissen, die sowohl im Falle Koreas als auch Okinawas zur Bildung entsprechender Minderheitengruppen auf dem japanischen Festland führte. Umstritten ist hierbei jedoch die Natur jener Gruppen. Korea als ehemalige japanische Kolonie auf der einen, Okinawa – seit Ende der US-Besatzung wieder – als Teil der japanischen Nation auf der anderen Seite. Dementsprechend erfahren beide Bevölkerungsgruppen eine jeweils unterschiedliche Wahrnehmung durch den japanischen Staat und seine Mehrheitsbevölkerung. Während die koreanische Bevölkerungsgruppe in Japan ungebrochen mit der kolonialzeitlichen Vergangenheit konfrontiert und als externe Minderheit betrachtet wird, zeichnete der japanische Blick auf den okinawanischen Anteil an der Bevölkerung das Umkehrbild einer inneren Minderheit.

Inhalt dieses Aufsatzes sollen Betrachtung und Vergleich des Zustandekommens, Werdegangs und der aktuellen Situation beider Minderheiten Japans sein. Hierbei sollen auch die realen Unterschiede abseits einer Statuszuordnung durch den Staat als „intern“ oder „extern“ und im tatsächlichen Umgang mit der japanischen Mehrheitsbevölkerung erörtert werden. Weiterhin werden Veränderungen in dieser Außenwahrnehmung beider Gruppen im Laufe des 20. Jahrhunderts geschildert und auch das jeweilige Selbstbild und dessen Wandel untersucht.

Letztlich verfolgt dieser Text das Ziel, einen Schluss über den Grad der Vergleichbarkeit zwischen der koreanisch- und der okinawanisch-stämmigen Bevölkerung Japans zuzulassen. Inwiefern qualifiziert sich Okinawa für einen Status als Kolonie Japans, wenn man einen Vergleich zwischen okinawanischen Festlandbewohnern und den als ehemalige koloniale Subjekte gebrandmarkten koreanisch-stämmigen Bewohnern Japans anstellt?

In diesem Aufsatz finden sich verschiedene Begriffe, die Bezug auf die Ryūkyū-Inselkette nehmen. Da sich der Souveränitätsstatus der Region im Laufe der beschriebenen Periode grundlegend änderte, habe ich folgende Definitionen festgelegt: Ist vom Königreich Ryūkyū die Rede, so ist damit das zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert bestehende Inselkönigreich gemeint. Schreibe ich von Okinawa (oder „auf Okinawa“), so bezieht sich dies ausschließlich auf die gleichnamige Insel. Gleichzeitig ist bei der Präfektur Okinawa (vgl. „in Okinawa“) die auch heute noch gültige Zusammenfassung der Inselgruppen Okinawa, Miyako und Yaeyama als Präfektur Japans gemeint.

„Oldcomer“ – mit diesem Begriff sind im japanischen Sprachgebrauch die nach Japan immigrierten Zuwanderer aus der „alten“ Zeit vor, während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und ihre in Japan geborenen Nachkommen gemeint. Auf die Untersuchung der koreanischen Diaspora bezogen findet hier häufig der heute als diskriminierend empfundene Begriff des Zainichi[1] -Koreaners Verwendung. Weiter gefasst beschreibt der Oldcomer-Begriff auch Minderheiten anderen nicht-japanischen Ursprungs. Im Zuge dieses Aufsatzes möchte ich ihn jedoch noch weiter fassen. Insofern, dass er auch Anwendung finden kann auf die zur besagten Zeit aufs japanische Festland gelangten Bewohner Okinawas. Diese werden heute wie früher rechtlich als japanische Staatsbürger – und somit nicht als externe Subjekte – wahrgenommen. Jedoch sollen die Parallelen zur Gruppe der Koreaner in Japan in Sachen sozialer Benachteiligung ihr Übriges tun, die begriffliche Einrahmung zu begründen. Der Begriff des Oldcomers steht in seiner zeitlichen Einordnung dem des „Newcomers“ gegenüber. Im Hinblick auf Korea betrifft Newcomer die Einwanderer aus der Zeit nach Japans wirtschaftlicher Öffnung der 1980er-Jahre, bezogen auf Okinawa die aus der Zeit nach der Rückgabe an Japan 1972.

Im Laufe dieses Aufsatzes wird von einer homogenen japanischen Mehrheitsbevölkerung ausgegangen, die so natürlich nicht gegeben ist, aber wie sich zeigen wird, gerade als Abgrenzung zur koreanischen und okinawanischen Bevölkerung konstruiert wird.

Während die Menge der Ausführungen zur koreanisch-stämmigen Minderheit Japans ganze Regale füllt, sind Werke zur okinawanisch-stämmigen Bevölkerung auf dem japanischen Festland bereits rarer gesät. Gerade heute, zu Zeiten eines allgegenwärtig immer wichtiger werdenden Images als „internationale Nation“ rückt (nicht nur) die vermeintlich interne okinawanische Minderheit Japans zunehmend in den Hintergrund. Auch im Themenbereich der Newcomer-Immigration in den 70er- und 80er-Jahren finden sie, auf Grund ihrer japanischen Staatsbürgerschaft, so gut wie keine Beachtung. Entsprechend dünn war die vorgefundene Quellenlage zu den okinawanischen Newcomern, was sich in der Kapitellänge deutlich niederschlägt.

Das folgende Kapitel beschreibt die zunehmende Bindung Ryūkyūs und Koreas an Japan, bis sie schließlich im Vorlauf der Weltkriege Teil des japanischen Kaiserreichs wurden. In Koreas Falle scheiden sich die Geister der japanischen Rechten und dem Großteil der politischen Mitte. Die Perspektiven auf die Geschehnisse reichen von „Verteidigungskrieg und Entwicklungshilfe“ bis zu „kriegerischer Besatzung und Souveränitätsraub“. Beim in die Präfektur Okinawa umgewandelten ehemaligen Königreich Ryūkyū, das seit seiner Rückgabe durch die USA an Japan 1972 wieder Teil des japanischen Staates ist, sieht man allerdings selten Grund zur Debatte. Weiter noch, wird Okinawa bei aktuellen Analysen der japanischen Kolonialzeit häufig völlig außer Acht gelassen (Christy 2006: 174). Weiterhin sollen die Prozesse geschildert werden, welche die Grundlagen für die Entstehung der okinawanischen und koreanischen Minderheiten auf dem japanischen Festland schufen. Schließlich soll anhand eines Vergleichs beider Fälle ermittelt werden, inwiefern auch Okinawa als Opfer des japanischen Imperialismus vor und während des Zweiten Weltkrieges gelten kann.

2 Okinawa – historische Interaktion mit Japan

Im Jahre 1872 änderte die Meiji-Regierung Ryūkyūs Status vom „Königreich“[2] zum eigenen „Herrschaftsbereich“[3] und untersagte ab 1875 schließlich auch jegliche tributären Leistungen an China[4] (Smits 2006: 229). Als der rege innere Widerstand gegen diese Maßnahme zur Schließung Japans „offener Flanke im Süden“ (zitiert nach Antoni 1988: 89 f.) im Laufe der kommenden Jahre nicht abebbte, sah sich die japanische Regierung zu einer Strafaktion gezwungen (Hanazaki 2006: 217). 1879 wurde der Herrschaftsbereich Ryūkyū unter militärischen Muskelspielen zur vollwertigen japanischen Präfektur umgewandelt, der König aus seinem Palast eskortiert. In der Folge nahm er seinen nunmehr „angestammten“ Platz am Meiji-Hof in Tōkyō ein (Hanazaki 2006: 216 f.; Smits 2006: 230). Anders als bei der Annexion Hokkaidos (vollständig gemacht durch die Umbenennung der Insel Ezo in Hokkaido, 1869), duldete und förderte die japanische Regierung den Erhalt lokaler Bräuche und Gepflogenheiten und führte nur graduell die im Japan jener Zeit gültigen Regelungen und Steuern ein. Man versuchte sich an einer langwierigen Wandlung der Region und einer „sanften Beugung“ des Volkes nach europäischem Vorbild, um weiteren Widerstand zu vermeiden. Die Unterschiedlichkeit dieser zwei Vorgehensweisen erzeugte bei der okinawanischen Bevölkerung schnell ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber den als primitiv gebrandmarkten und entrechteten Ainu und Sympathie für den Machthaber Japan (Hanazaki 2006: 217).

Konkrete Verhandlungen mit anderen starken Kontaktstaaten – unter anderem Korea, den USA und Frankreich, vor allem jedoch China – über die Legitimität der japanischen Souveränität in Ryūkyū dauerten bis weit in die 1880er-Jahre hinein an[5]. Man bot China Teile Ryūkyūs an, um sich dadurch eine vorteilhafte Position in bestimmten Handelsverträgen zu erkaufen. Bereits hier wurde die Rolle Ryūkyūs oder speziell Okinawas als von Japan willig eingesetzter „bargain chip“ deutlich – ein wiederkehrendes Phänomen, ähnlich der späteren Vorgehensweise Japans nach dem Zweiten Weltkrieg, als Ryūkyū schnell an die amerikanische Besatzungsmacht übergeben wurde, um die militärische Präsenz der USA auf dem japanischen Festland möglichst stark einzuschränken.

Wenngleich der Handel nach einiger Diskussion perfekt schien, kam er letztendlich nie zustande und Ryūkyū blieb unter japanischer Kontrolle (Smits 2006: 230). Alle lokalen Autoritäten wurden durch Beamte vom japanischen Festland ersetzt. Auch sonst glich der Umgang der japanischen Zentralregierung mit dem alten Handelspartner, der nun offiziell Teil des Kaiserreichs geworden war, eher dem mit einer Kolonie im Inneren[6]. Hierunter hatte die verarmte und von nunmehr schwerer Besteuerung geplagte bäuerliche Bevölkerung Ryūkyūs stark zu leiden (Smits 2006: 230). Die Durchführung einer Sprachreform hatte für den neuen Gouverneur Okinawas höchste Priorität. Finanziert wurde der hierauf folgende Bau unzähliger Grundschulen, wenig überraschend, durch eine Sondersteuer[7] zu Lasten der Bauern und Weiler. Mit Beginn des ersten Sino-Japanischen Krieges 1894 hatten bereits 30% der okinawanischen Kinder diese neue Art der Schulbildung abgeschlossen (Smits 2006: 232). Die rasante Umschulung der Bevölkerung, weg von der indigenen Ryūkyū-Sprache und hin zum Japanischen, nahm ihren Lauf. Ein interessantes Detail dieser kulturellen Assimilation: Obwohl die neue Grundschulbildung die Lehre von kulturellen Ansichten identisch zu denen des Festlandes beinhaltete, so vermittelte man den Menschen Ryūkyūs im Zuge des von Tōkyō initiierten „Programms zum Erhalt der alten Bräuche“ doch sehr konkret ein Bild der eigenen Andersartigkeit. Vordergründig war dies zwar eine Geste des Respekts gegenüber der indigenen Kultur, dahinter verbarg sich jedoch ein Mittel, um die Bevölkerung Ryūkyūs auf japanische kulturelle Standards zu trimmen, sie allerdings jederzeit, sowohl sozial als auch rechtlich, als Menschen zweiter – oder vielmehr: anderer, nicht-japanischer – Klasse behandeln zu können. Schnell realisierte man auf Okinawa Sinn und Zweck dieser Politik. Es wurde damit begonnen, gegen derartige rechtliche Beschneidungen zu protestieren und forderte eine Abschaffung des Programms und seiner Inhalte. Paradoxerweise bedeutete dieser Protest jedoch gleichzeitig eine Abschaffung der Förderung der indigenen Kultur Ryūkyūs, die dem Programm zum Vorwand diente. 1896 bildete sich eine Interessengemeinschaft von Intellektuellen, an deren Spitze Shō En stand, der zweite Sohn des abgesetzten Königs Shō Tai. Zwar war man der Meinung, dass die kulturellen Unterschiede zwischen Japan und Ryūkyū für eine baldige Assimilation zu groß seien, aber im Zuge einer Petition sammelte man an die 70.000 Unterschriften, um diese am Meiji-Hof einzureichen und somit eine graduelle kulturelle und institutionelle Angleichung an Japan anzuregen. Ein Großteil der Bevölkerung Ryūkyūs sah hierin den einzigen Ausweg aus den ausbeuterischen Praktiken Japans, denen sich das ehemalige Inselkönigreich aussetzen musste.

Japan allerdings – frisch als Sieger aus dem Krieg mit China hervorgegangen – sah keinerlei Notwendigkeit, dem Begehren der Bürger Ryūkyūs nachzugeben und schmetterte das Anliegen umgehend ab (Smits 2006: 232). So hatte die angebliche Präfektur Okinawa weiterhin unter zahlreichen Benachteiligungen zu leiden. Verglichen mit ihren vermeintlichen Schwesterpräfekturen hinkte sie, was die Modernisierung beinahe aller Verwaltungsbereiche anging, drastisch hinterher: Dies betraf zum Beispiel die Reform der Grundsteuer 1899 (vgl. Festland-Japan: 1873), das Ende der Samurai-Besoldung 1909 (vgl.: 1876), die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1898 (vgl.: 1873) oder die ersten präfekturinternen Wahlen 1909 und die Wahl zur Nationalversammlung 1912 (vgl. beide: 1890). Besonders die zeitlichen Abstände zwischen der Reformierung von Wehrpflicht und Wahlen legen den Schluss nahe, dass man die Bevölkerung Ryūkyūs keinesfalls für gleichberechtigte japanische Bürger hielt. Die japanische Obrigkeit unterstellte Unmündigkeit und begegnete ihr mit Misstrauen. Hinzu kam auch das massive Ungleichgewicht im Steuerlastausgleich: 1921 entrichtete die Präfektur Okinawa beispielsweise 7.430.000 Yen an Steuergeldern an die Zentralregierung. Vor Ort investiert wurden lediglich 1.910.000 Yen an staatlichen Geldern.

Das frühmoderne Königreich Ryūkyū stellte zum Zeitpunkt seiner Übernahme durch Japan keine moderne Nation nach gängiger Definition dar. Somit sah Japan sich – dem damaligen, westlichen Zeitgeist folgend – berechtigt, Ryūkyūs Ansprüche auf Territorium und Souveränität zu hinterfragen. Die oben genannten Beispiele zeigen starke Indizien einer japanischen Kolonialpolitik nach europäischem Vorbild, unter dem löchrigen Deckmantel der Gleichberechtigung.

2.1 Geistiges/intellektuelles Drängen nach Japan

Die Reaktion auf Benachteiligung und Ausbeutung erstaunt: Mit offenen Armen empfing man in Okinawa pünktlich zur Jahrhundertwende ein neues Assimilationsprogramm der japanischen Regierung – dōka (Smits 2006: 232). Gleichzeitig setzte sich der bereits früher gegenüber den Ainu gezeigte Elitarismus der Okinawaner fort. Bei der fünften Industrieausstellung in Ōsaka 1903 präsentierte ein Japaner, der einem Viehtreiber gleich mit einer Peitsche ausgestattet war, an einem Stand die „verschiedenen Ethnien des japanischen Kaiserreichs“ (Christy 2006: 173; Rabson 2012: 61). Neben Ainu, Koreanern und Taiwanern waren auch zwei okinawanische Frauen Teil der Zurschaustellung. Ein Aufschrei ging durch die okinawanische Presse, und es hieß:

“The inclusion of people from our prefecture alongside Taiwanese aborigines and Ainu from the northern seas makes us appear comparable to primitives and Ainu. What possibly could be a greater insult to us?” und, “People of other prefectures and cities sometimes regard the people of our prefecture as a special ethnic [and/or racial] group within Japan, but we acknowledge not the slightest difference in our characteristics.” [8] (beide zitiert nach. Smits 2006: 233)

Bereitwillig stimmte man also in den propagandistischen Choral der japanischen Regierung ein. Dieser besagte, dass die „heimischen Ethnien“ der von Japan besetzten Regionen im Grunde schon immer Japaner gewesen seien, man also durch eine Übernahme lediglich die natürliche Ordnung der Dinge wiederherstelle – eine Argumentationsweise, die so später auch auf Korea Anwendung finden sollte. Nicht die Zurschaustellung anderer als „nieder“ oder der „japanischen Ethnie“ untergeordnet erzürnte die okinawanischen Gemüter, sondern die Behauptung, man selbst sei nicht Teil der „edlen japanischen Ethnie“. Tatsächlich sollten häufig vorkommende – aber eben auch bei Japanern zu findende – physische Merkmale der Okinawaner später noch zur Zielscheibe für Diskriminierung werden, wie sich im entsprechenden Kapitel zeigen wird.

Spätestens nach Ende des ersten Sino-Japanischen Krieges war ganz Japan durchsetzt von einem gefestigten Nationalbewusstsein (Smits 2006: 234). Die Präfektur Okinawa war durch Annexion und die Niederlage Chinas unbestrittener Teil der japanischen Nation geworden. Unklar war nach wie vor die (von Japan zu entscheidende) Frage der kulturellen und ethnischen Verbundenheit. In Okinawa war man sich der Tatsache bewusst[9], sich nicht mehr von Japan loslösen zu können. So setzten sich derweil die Bemühungen um einen Aufstieg in die Klasse der „vollwertigen Japaner“ fort. Um dem zumindest semi-kolonialen Status zu entkommen, entwickelte die örtliche intellektuelle Elite Strategien, die sowohl Festland-Japan als auch die eigene Inselbevölkerung glauben machen sollten, man sei Teil derselben „imagined community“ nach Anderson[10]. Fortwährend wurde durch die japanische Regierung jedoch die mangelnde Fähigkeit der Okinawaner zum einwandfreien Erlernen des Standard-japanischen beschworen, um ihre unweigerliche Andersartigkeit hervorzuheben. Grund hierfür war eher nicht ihre tatsächliche (Un-)Fähigkeit – auf Grund der neu gegliederten Grundschulausbildung sprach die Bevölkerung Okinawas damals wie heute fließend Japanisch –, sondern der stark lokal geprägte Akzent und Dialekt der Okinawaner und das Vorhandensein von Lehnwörtern aus der Ryūkyū-Sprache. Ein gewisses Maß an Sprachvermischung ist in einer derartigen Situation eigentlich weltweite Normalität. In diesem konkreten Fall schloss die japanische Seite allerdings auf einen Mangel an „Japanizität“ und ein unzureichendes Bewusstsein für die Zugehörigkeit zum japanischen Kaiserreich (Smits 2006: 236). Bereits 1894 ließ man Englisch vom Lehrplan okinawanischer Schulen streichen. Begründung hierfür war die angebliche Unsinnigkeit, jemanden Englisch lehren zu wollen, der nicht einmal seine eigene Sprache (Japanisch) beherrsche (Smits 2006: 236).

2.2 Emigrationsdrang

Seit jeher wurden Okinawa und zuvor das Königreich Ryūkyū beinahe nach Art eines Fluches von Naturkatastrophen und Krisen[11] geplagt. Zusätzlich hierzu sorgte der natürlich begrenzte Lebensraum der Inselkette für einen hohen Bevölkerungsdruck. Doch bereits vor der großen Auswanderungswelle durch die Zuckerkrise 1921, die maßgeblich zur Bildung der okinawanischen Festlandminderheit in Japan beitrug, herrschte ein nunmehr durch Japan angekurbelter Auswärtsdrang okinawanischer Arbeiter. Eine rege Aufbruchsstimmung in die Metropolen Japans bestand seit Etablierung einer Schifffahrtslinie zwischen Naha und Ōsaka zwar, zumeist jedoch automatisch verbunden mit einer Rückfahrkarte (Rabson 2003: 100). Ein dauerhafter Bedarf an ungelernten Arbeitskräften – wie die meist bäuerliche, wirtschaftlich schwache und quasi nicht mit höherer Schulbildung[12] versorgte Bevölkerung Okinawas ihn hätte decken können – war auf dem überbevölkerten japanischen Festland der Vorkriegszeit so gut wie nicht vorhanden. Zwar zog es viele gerade weibliche Okinawaner und auch Koreaner in die zahlreichen Tuchfabriken Ōsakas, wo sie für einen im Voraus verhandelten Pauschallohn ein Zubrot für ihre Familien erwirtschafteten. Die Arbeit auf dem Festland ging jedoch einher mit sozialer Stigmatisierung und war nur von vorübergehender Natur[13]. Umso mehr gerieten die okinawanischen Inseln zunehmend an ihrer Kapazitätsgrenze[14].

Die erfolglosen Maßnahmen der japanischen Außenpolitik sahen eine Entwicklung der näher am damaligen Formosa (heut. Taiwan) als Okinawa gelegenen Yaeyama-Inselkette vor. In Anbetracht der dort vorherrschenden Malaria-Problematik, einer hohen Anzahl an Stürmen und Yaeyamas traditionellen Rufes als rauem Ort des Exils war das Interesse der Okinawaner erwartungsgemäß gering. Ablassen wollte man in Regierungskreisen jedoch nicht von diesen kostbaren Trittsteinen nach Taiwan, die Japan nach seinem Sieg im Sino-Japanischen Krieg 1895 annektiert hatte (Rabson 2003: 102). Versuche, Okinawaner zur Arbeit in den örtlichen Kohleminen zu überreden, schlugen fehl. So gründete man 1896 mit Hilfe eines Investors aus Nagasaki die Yaeyama Sugar Manufacturing Company, um die okinawanische Zuckerrohrindustrie – Okinawas einzigem nennenswerten Rohstoff – anzukurbeln und vielleicht doch noch einige Arbeiter dazu zu überreden, das ihnen bekannte Gewerbe auf den Yaeyama-Inseln zu kultivieren (Kerr 2000: 435 ff.). Mit dem Vorschlag einer Ansiedlung in weniger unwirtlichen Gebieten inner- und außerhalb des Kaiserreichs, beginnend mit hawaiianischen Zuckerrohrplantagen im Jahre 1899, rannte die japanische Regierung offene Türen ein. So hatte man ein effektives Ventil für die Überbevölkerungsproblematik und einen geschickten Ausgleich für Okinawas wirtschaftliche, durch Japan geförderte Benachteiligung und Schwäche ohne kostenintensive Maßnahmen seitens der japanischen Regierung gefunden[15]. Auf der gesamten Inselkette propagierte man eine Emigration nach Übersee. Bereits 1907 arbeiteten ca. 10.000, 1930 über 54.000 Okinawaner in allen Teilen der Welt[16]. Oftmals ging das Familienoberhaupt alleine und schickte einen Großteil seines für gewöhnlich großzügigen Lohns in die Heimat[17]. Viele wurden jedoch auch ansässig oder emigrierten mitsamt ihrer Familie. Es kam zur Gründung okinawanischer Gemeinden. Diese zeichneten sich durch einen starken Zusammenhalt und Traditionsbewusstsein[18] aus, was Nachzüglern und Newcomern seither den Einstieg erleichterte. Bereits die Kinder dieser frühen Auswanderer schafften mit finanzieller Unterstützung ihrer hart arbeitenden Eltern häufig auf Anhieb den sozialen Aufstieg und etablierten sich als Anwälte, Ärzte und Lehrer. Regional traten auch rentable Spezialisierungen auf, wie zum Beispiel die okinawanische Dominanz des argentinischen Wäschereiwesens, eine große Anzahl okinawanisch-stämmiger Restaurantbesitzer und Geflügelbauern auf Hawaii oder auch einige Kaffee-Millionäre und Großgrundbesitzer in Brasilien (Kerr 2000: 438).

Diese schnelle und effektive Verankerung in der Fremde dient als Kontrast zur Entwicklung der Situation der okinawanischen Minderheit in Japan. Diese zeichnet sich in den ärmlichen Lebensumständen der okinawanischen Arbeitsaussiedler in Gebieten unter japanischem Mandat bereits ab, namentlich die pazifischen Inselgruppen der Karolinen und Marianen. Schlecht bezahlte, harte Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen und wenig bis gar keine Aussichten auf einen Aufstieg in der Yen-Wirtschaft prägte ihr Leben (Kerr 2000: 439).

Wie fand in Anbetracht dieser schwierigen Umstände nun also ein Teil der okinawanischen Bevölkerung, die vornehmlich in den nicht-japanischen Winkeln der Welt positive Erfahrungen gemacht hatte, den Weg auf die ähnlich überbevölkerten und für sie so unzugänglichen japanischen Nachbarinseln? In diesem Zusammenhang können zwei wesentliche Impulse ausgemacht werden.

2.3 Der Zucker schmeckt nicht mehr

Trotz der durchaus florierenden okinawanischen Aussiedler-Gemeinden sollten die für die Emigration ursächlichen ärmlichen Zustände in Okinawa nicht außer Acht gelassen werden. Abgesehen von einigen staatlich subventionierten herstellenden Betrieben gründete die lokale Wirtschaft beinahe exklusiv auf dem Anbau von Zuckerrohr. Der Geldrückfluss aus Übersee hatte zwar die Kaufkraft gestärkt, stellte jedoch eine Abhängigkeit dar und änderte nur wenig an der kargen Versorgungslage. Die aus diesem Grund chronisch mangelernährte Bevölkerung war zudem nur schlecht medizinisch versorgt. Ausbildungsstätten für Ärzte und Pflegepersonal existierten vor Ort aufgrund staatlichen Desinteresses kaum und wer sich ein Medizinstudium an japanischen Universitäten leisten konnte, kehrte selten in die von Armut geplagte Heimat zurück (Kerr 2000: 440). Gleichzeitig offenbarte sich in Kombination mit der schlechten Versorgungslage die Kehrseite des wiederentdeckten, regen Austauschs mit Übersee: Nahm Okinawa 1905 noch den jeweils letzten Platz in den japanischen Statistiken zu Fällen von Geschlechtskrankheiten und Tuberkulose ein, so hatte es sich 1930 in beiden Fällen an die Spitze gesetzt. Lepra stellte ebenfalls ein Problem dar[19].

Der Erste Weltkrieg bedeutete goldene Zeiten für die japanische Wirtschaft. Durch Kriegspflichten gebunden waren Deutschland und die USA nicht länger in der Lage, den internationalen Bedarf an Handelswaren und vor allem Maschinen zu decken. Zwar galten japanische Produkte zu jener Zeit nicht als hochqualitativ, aber angemessen wertig. Die Nachfrage verlagerte sich also nach Japan (Rabson 2012: 65). Durch Erschließung des riesigen überseeischen Exportmarktes waren amerikanische und europäische Konkurrenzunternehmen, insbesondere in der Rüstungsindustrie, schnell ausgestochen und das japanische Wirtschaftswachstum explodierte regelrecht. Unzählige Unternehmen auf dem japanischen Festland nutzten ihre Chance und expandierten stark. Eine ebenfalls expandierende Industrie- und Konsumwirtschaft verstärkte auch den Bedarf an willigen Arbeitskräften und die Konkurrenz ebendiese. Dies hatte bessere Arbeitskonditionen und steigende Löhne in den Fabriken zur Folge. Gerade weiblichen Angestellten boten sich nun gesellschaftliche Auswege aus den Tuchfabriken Ōsakas, da durch den sich aufblähenden Servicesektor bspw. die Massentätigkeit abseits schwerer körperlicher Arbeit zu einem relevanten Beschäftigungsfaktor wurde.

Arbeitsplätze waren so zwar geschaffen, jedoch währte das fragwürdige Glück nicht lange. Japans Wirtschaftsboom zu Ungunsten der anderen Kriegsteilnehmer hielt genau so lange an, wie es auch der Krieg tat. Hierauf fiel Japan in eine tiefe Nachkriegsdepression (Rabson 2012: 64). Eine schwere Inflation plagte die japanische Wirtschaft. Die Löhne der städtischen Arbeiterschicht standen in keinem Verhältnis zu den in schwindelerregende Höhen steigenden Verbraucherpreisen[20]. Vor allem die Landbevölkerung war nicht in der Lage, diesen Druck mit den nur marginal gestiegenen Verkaufspreisen ihrer Erzeugnisse auszugleichen; ein Zustand, der auf Okinawa – wo über 70% aller Haushalte landwirtschaftliche Betriebe darstellten – besonders schwer wog. Mit Einbruch des Zuckerpreises auf dem Weltmarkt 1921 geschah eine ökonomische Katastrophe. Okinawas einzige Exportware[21] war völlig entwertet (Rabson 2003: 100 f.). Die Krise brachte zuerst Landwirte aus dem Gleichgewicht, weitete sich jedoch bald auf verknüpfte Betriebe und Banken und zuletzt auch auf die nunmehr bankrotte Präfekturverwaltung aus. So wurde die ohnehin schwächelnde Wirtschaft Okinawas binnen kürzester Zeit in ein Trümmerfeld verwandelt[22]. Dies hatte Hungersnöte in der nunmehr „wirtschaftslosen“, als unwirtlich und knapp an Rohstoffen bekannten Präfektur Okinawa zur Folge, welche einhergehend mit der japanweiten Nachkriegsdepression bis in die 30er-Jahre anhielten[23] (Christy 2006: 176; Rabson 2012: 64 f.). Die japanische Zentralregierung war jedoch weit davon entfernt, helfend einzuschreiten. Stattdessen gab man die okinawanische Zuckerindustrie gänzlich auf und investierte in neu erschlossene Plantagen in der neuen Kolonie Formosa. Dieses plötzliche Umschlagen von Aussichts- in Hoffnungslosigkeit brachte das Fass zum Überlaufen und verstärkte die Auswanderungsaktivitäten der Okinawaner in alle Welt erneut. Statt nach Übersee machte sich diesmal allerdings ein Gros der Armutsemigranten verzweifelt nach Japan auf, welches trotz der anhaltenden Depression Hoffnungen weckte. Als Ergebnis des „World War I Boom“ wähnte man gute Chancen auf Beschäftigung. Durch seine relative Nähe war Festlandjapan oftmals ohnehin die einzige Option für die mittellose Bevölkerung (Rabson 2003: 101; Rabson 2012: 65).

2.4 Japans Krieg, Okinawas Verlust

Okinawa war der einzige Ort Japans außer Iōtō (ehemals Iōjima), an dem im Zweiten Weltkrieg entscheidende Landschlachten ausgetragen wurden. Spät im Jahre 1944 begann die Massenevakuierung Okinawas – oder zumindest derer, die sich diese auch leisten konnten[24] (Rabson 2003: 103; Kerr 2000: 466). Die Evakuierung sorgte noch einmal für einen verstärkten Zustrom von Okinawanern aufs japanische Festland. Erneut galt Ōsaka als Hauptanlaufpunkt. Als industrielles Zentrum war es jedoch selbst Ziel massiver Bombenabwürfe durch die Alliierten und bot keinerlei Sicherheit[25]. Noch schlimmer erging es dem auf Okinawa zurückgebliebenen Teil der Zivilbevölkerung, der zu beträchtlichen Teilen zum militärischen Hilfsdienst (Sanitätsdienst etc.) herangezogen wurde (Kerr 2000: 466). Der Anteil an Okinawanern in den imperialen Streitkräften wird als sehr gering beschrieben. Zwar dienten einige Zehntausend im militärischen Arbeitskorps, allerdings war die Zahl der Okinawaner im tatsächlichen Kriegsdienst weitaus niedriger (davon 4.500 auf Okinawa stationiert) (Kerr 2000: 463 f.).

Insgesamt kamen bei den von April bis Juni 1945 andauernden Gefechten auf Okinawa, welches von Japan einmal mehr als Bauernopfer oder gar „Schutzschild des Mutterlandes“ (Antoni 1988: 88) angesehen wurde, rund 120.000 okinawanische Zivilisten ums Leben (Rabson 2012: 130). Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und grausam: Während die meisten wohl im Kreuzfeuer japanischer und amerikanischer Truppen ums Leben kamen, nahm im Verlauf der Kämpfe auch die Zahl der Suizide – aus Verzweiflung oder durch japanische Truppen angeordnet – zu.

3 Korea – historische Interaktion mit Japan

Auch drei Jahrhunderte nach Toyotomi Hideyoshis Invasion Koreas im Jahre 1592 war die Kerbe, die sie in das japanisch-koreanische Verhältnis geschlagen hatte, noch sichtbar (Mitchell 1967: 8). Der 1876 geschlossene, ungleiche japanisch-koreanische Freundschaftsvertrag[26] öffnete drei koreanische Häfen für japanische Handelsschiffe. Der darauffolgende starke Zustrom japanischer Händler auf der Suche nach leichtem Verdienst schürte zusätzlich die antijapanischen Sentiments, die im eigentlich nach außen politisch wie wirtschaftlich abgeschotteten Königreich Korea präsent waren. Die ständigen Unruhen der Folgejahre gipfelten letztlich in der vornehmlich gegen Japaner, aber auch alle anderen Ausländer in Korea gerichteten Tonghak-Revolte von 1893. Diese tat dem Zustrom der geschäftstüchtigen japanischen Händler jedoch keinen Abbruch. Obwohl in Korea vereinzelt Interesse an Japan bestand – so studierten im Jahr 1907 ca. 500 koreanische Studenten an Hochschulen in Tōkyō – überwogen doch Faktoren, die die gegenseitigen Beziehungen belasteten. Hierunter vor allem der Mord an Koreas damaliger Königin und posthumer Kaiserin Myeongseong[27] 1895 durch die japanische Armee und die Ermordung des ersten Generalresidenten der japanischen Kolonie Korea, Itō Hirobumi[28], 1909 durch koreanische Nationalisten.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts intensivierten sich die Konflikte zwischen den imperialistischen Großmächten (Mitchell 1967: 10). Dadurch bedingt empfand die japanische Regierung eine Erweiterung des eigenen Einflusses in Korea als notwendig, war das Königreich doch die Türschwelle nach Japan für die expansionshungrigen Mächte China und Russland. Zum Zwecke einer umfassenden Machtaneignung und einer Beendigung des nachhaltigen Aufbegehrens der koreanischen Bevölkerung nutzte Japan den 1904 ausbrechenden Russisch-Japanischen Krieg als Vorwand zur Errichtung eines koreanischen Protektorats unter japanischer Aufsicht. Die Segel waren gesetzt, die Einflussnahme wurde rasch vorangetrieben. Bereits ab 1905 – Itōs Antrittsjahr – unterlag Koreas Außenpolitik ebenfalls formeller Kontrolle durch Japan. Koreas König sah sich dem zunehmenden politischen Druck nicht länger gewachsen und dankte 1907 ab, um seinem Sohn die Regierungsgeschäfte zu überlassen. Weitere erzwungene Zugeständnisse drängten Korea im selben Jahr in den Status eines vollwertigen Protektorats. Gerade in der Zeit zwischen 1907 und 1911 kam es zu zahlreichen gewaltsamen Ausschreitungen gegen den fortschreitenden japanischen Einfluss in Korea. Diesen fielen insgesamt ca. 18.000 Koreaner zum Opfer – eine Zahl, die eher an Bürgerkrieg als an Protest denken lässt. Infolgedessen wurde Korea am 22. August 1910 schließlich offiziell von Japan annektiert und zur Kolonie umgewandelt (Mitchell 1967: 11 f.).

Sofort traten unter dem in schwächerer Form auf Ryūkyū erprobten Leitmotiv dōka harte Maßnahmen zur Unterdrückung der koreanischen Identität in Kraft. Das Unterrichten der koreanischen Sprache und Geschichte wurde untersagt, die Pressefreiheit abgeschafft. Koreanern wurde das Tragen japanischer Namen verordnet. Man ging davon aus, dass auch das koreanische Volk so leicht zu beherrschen sei wie das der Ryūkyū-Inseln. Diesmal begann also eine Phase harscher Japanisierung ohne jegliche Zugeständnisse (Lee, De Vos 1981: 21). Geistiger wie körperlicher Widerstand wurde stur niedergedrückt. Einzig in religiöse Angelegenheiten wurde aus Angst vor internationaler Kritik kein Einfluss genommen. Religiöse Vereine wurden so bald zu Sinnbild und Träger koreanisch-nationalistischen Widerstandes. Gewissermaßen wurde zum Zeitpunkt der endgültigen Machtergreifung 1910 der Grundstein für die Bewegung des Ersten März von 1919 gelegt, welche sich aus einem Zusammenschluss christlicher, buddhistischer und sektiererischer Organisationen bildete (Lee, De Vos 1981: 18 f.). Am ersten März 1919 realisierte sich der von langer Hand in aller Heimlichkeit geplante landesweite Generalstreik in zahlreichen urbanen Zentren Koreas. Die Anführer der jeweiligen Organisationen ergaben sich nach öffentlichem Verlesen ihres Manifests und einer „koreanischen Verfassung“, inspiriert durch US-Präsident Wilson, der Verhaftung, was bei der gesamten koreanischen Nation einen tiefen emotionalen Eindruck hinterließ. Die Geschehnisse brannten sich derart ins nationale Bewusstsein ein, dass man sagt, sie hätten fortan die koreanische Identität mitgeprägt (Lee, De Vos 1981: 19). Gelähmt von der Heftig- und vermeintlichen Plötzlichkeit des Protests reagierte die japanische Kolonialverwaltung nur mit Verzögerung, dafür jedoch umso konsequenter: Es folgten tausendfache Verhaftungen, Folter und die Zerstörung ganzer Dörfer durch die imperiale Armee. Auch der japanischen Regierung bereitete das Sorgenkind Korea zunehmend Kopfzerbrechen. Dies wirkte sich letztlich negativ auf die Lage der koreanischen Arbeiter in Japan aus (Lee, De Vos 1981: 18 f.). Die Bewegung stellte gleichzeitig den endgültigen Ausbruch der jahrelang angestauten Frustration über die Unterdrückung der Bevölkerung und die versprochene, aber nie realisierte Modernisierung Koreas unter japanischer Herrschaft dar. Der durch Japan verordneten industriellen Stagnation und der praktizierten Ausbeutung Koreas stellte sich in der Volksseele vor allem das vermeintlich offene und fortschrittliche Christentum polar gegenüber. Es wurde zum Hauptsymbol des antijapanischen Widerstandes und bedingungsloser Modernität (Lee, De Vos 1981: 18 f.).

In Sachen nationaler Zugehörigkeit verlieh man den Koreanern nach der Annexion einen „japanischen“ Sonderstatus als Teil der „imperialen Familie“, sozusagen eine beschnittene Version der vollwertigen Staatsbürgerschaft gebürtiger Japaner (Lee, De Vos 1981: 31 f.). Als Folge des japanischen Wirtschaftsbooms im Vorfeld des Ersten Weltkrieges gerieten 1911 erstmals auch koreanische Bürger – vornehmlich arme, ungebildete Bauern[29] – ins Visier einer Tuchfabrik in Ōsaka auf der Suche nach billiger Arbeitskraft[30] (Lee, De Vos 1981: 35). In Frage kam hauptsächlich einfachste Fabrikarbeit, da kaum einer von ihnen der japanischen Sprache und größtenteils nicht einmal der koreanischen Schrift mächtig war. Bis 1920 verlief die Emigration nach Japan äußerst schleppend. Mit einem weiteren Erstarken der japanischen Wirtschaft nach Ende des Ersten Weltkrieges sah sich die koreanische Bevölkerung jedoch zunehmend unter ökonomischen Druck gesetzt. Die kapitalistische Ausbeutung des koreanischen Agrarstaates durch Japan hinterließ ihre Spuren und die Abwanderung nach Japan nahm zu.

Ein weiterer Faktor war die gegen Ende der 1920er-Jahre einsetzende militärische Operation Japans in China. Dies machte eine große Menge an zusätzlichen Arbeitern notwendig, um die mobilisierten Japaner zu ersetzen (Lee, De Vos 1981: 35). Wie auch im Falle der Okinawaner spielten Ōsaka und Kobe als industrielle Zentren und Hafenstädte eine wichtige Rolle für Arbeit und Ansiedlung. Die Rekrutierung koreanischer Arbeiter wurde von der japanischen Wirtschaft zunächst als rein temporär erachtet. Ohne eventuelle Langzeitfolgen für die Bevölkerungsentwicklung zu bedenken, ging man davon aus, dass die eingeführten Arbeiter mit einem Nachlassen des Arbeitskräftebedarfs ebenfalls „verschwinden“ würden (Weiner 2006: 315). Im Laufe der Rezession der 1920er-Jahre wurde man eines Besseren belehrt: Trotz anhaltender Wirtschaftskrise und dem zugehörigen Einbruch des Arbeitsmarktes stieg die Zahl der koreanischen Arbeitseinwanderer unbeirrt an. Dies spricht nicht nur für sich verschlechternde Lebensumstände im unterdrückten Korea, sondern auch für eine gewisse Abhängigkeit bestimmter japanischer Industriezweige von koreanischer Niedriglohnarbeit. 1931 machten koreanische Arbeiter 8,4% der zusammengefassten Gesamtarbeiterschaft von über tausend Fabriken in Ōsaka aus. In der chemischen Verarbeitung (z.B. Glas-, Leder- oder Düngemittelproduktion) lag der Anteil bei über 10% (Weiner 2006: 313). Ein Anhaltspunkt dafür, dass für schlecht bezahlte, gefährliche Berufe vermehrt ungelernte Arbeiter aus Korea herangezogen wurden.

3.1 Zwangsmigration ab 1939

Während die Migration nach Japan bis 1939 zwar unter wirtschaftlichem Druck, jedoch grundsätzlich aus freien Stücken geschah, änderte sich dies hiernach schrittweise. Dies war die Konsequenz der sich ab 1937 ausweitenden kriegerischen Tätigkeiten Japans auf dem chinesischen Festland im Zuge des zweiten Sino-Japanischen Krieges. Gründend auf dem Gesetz zur nationalen Mobilisierung[31] von 1938 wurden ab 1939 in höherem Maße Koreaner rekrutiert, um in den körperlich fordernden kriegsrelevanten Industrien (Munitionsfabrikation, Arbeit unter Tage[32] etc.) zu arbeiten und das durch die Massenmobilisierung japanischer Bürger entstandene Arbeitskräftedefizit auszugleichen (Lee, De Vos 1981: 52). Angesichts des bevorstehenden Eintritts in den Zweiten Weltkrieg verschärften sich die Praktiken zur Rekrutierung ab 1941 und wurden zunehmend unseriöser, da die Rekrutierungsbüros vor Ort neuerdings Quoten zu erfüllen hatten. Überwacht wurde der Prozess fortan von den allgegenwärtigen Büros der Kyōwakai[33]. Es handelte sich hierbei um eine staatliche Organisation mit dem vordergründigen Ziel, die Bewohner japanischer Territorien effektiv in die „koloniale Familie“ einzugliedern. Das Langzeitziel der Assimilierung trat jedoch schnell hinter eine bloße Erfüllung der Rekrutierungsquote zurück (Lee, De Vos 1981: 54). Mit Verabschiedung des „Korean Labor Conscription Act“ von 1944 unterlagen schließlich alle männlichen Koreaner einer grundsätzlichen Pflichtmobilisierung. Allein zwischen 1939 und dem Ende des Krieges wurden so geschätzte 822.000 Koreaner als Arbeiter oder Soldaten verpflichtet. Die Gesamtzahl der durch Japan mobilisierten Koreaner ist mit ungefähr 6 Millionen zu veranschlagen (Lee, De Vos 1981: 53).

Der Widerstand gegen eine Überführung der eigenen Person nach Japan und die Arbeit an sich nahm im Zuge dieser Maßnahmen allerdings ebenfalls zu. Alleine 220.000 Koreaner mussten während des Rekrutierungs- und Überführungsprozesses als „vermisst“ eingestuft werden, da sie desertierten und flohen. Nicht selten kam es zu Streiks und vollständigen Arbeitsstopps. Jegliche Zugeständnisse an die koreanische Arbeiterschaft zur Vermeidung derartiger Zwischenfälle erzeugten jedoch gleichzeitig Unmut seitens ihres japanischen Pendants. Die japanische Regierung befand sich also in der Zwickmühle: Man sah sich einer außerordentlich unwilligen koreanischen Arbeiterschaft gegenübergestellt, die sich nicht durch Zuwendungen gehorsam machen ließ, da dies den Protest der eigenen Landsleute zur Folge gehabt hätte. So entschied man sich für altbewährte Maßnahmen zur Unterdrückung als Mittel der Wahl, erntete auf die lange Sicht jedoch nur noch mehr Missgunst. Auch dass die ca. 13.000 koreanischen Studenten in Japan im Zuge der verstärkten Mobilisierung ab 1943 zur Arbeit herangezogen und so mit der koreanischen Arbeiterschaft vermischt wurden, erwies sich als kurzsichtig. Schnell schwangen sich Studenten zu Rädelsführern auf und fachten den latenten Widerstand der Arbeiter zu organisierten Streiks an (Lee, De Vos 1981: 54 f.).

4 Historische Interaktion mit Japan im Vergleich

Die historischen Unterschiede zwischen Okinawa und Korea unter japanischer Herrschaft beginnen auf dem Papier: die formale Dimension des kolonialen Status. In Korea wie auch in Taiwan wurde nach der Annexion ein Generalgouverneur nach westlich-kolonialer Art eingesetzt, den Gebieten also offen der Status einer Kolonie verliehen. Im Gegensatz hierzu wurde Okinawa nach der Machtübernahme durch Japan zu einer – zunächst Sonderregeln unterworfenen, später vollwertigen – Präfektur des Kaiserreichs umgewandelt (Christy 2006: 174). Hierbei handelte es sich jedoch lediglich um eine Formalität, die keine Auskunft über die tatsächliche koloniale Praxis vor Ort gibt. Betrachtet man den Prozess der Übernahme und Angleichung Koreas und Ryūkyūs durch Japan, machen sich Parallelen bemerkbar. Wenngleich die Titulierung und konkrete Ausformung der einzelnen Schritte zur Einflusssteigerung und -sicherung sich unterschieden, war der grundsätzliche Modus Operandi derselbe.

Ein weiterer signifikanter Unterschied lag in der Haltung der kolonialen Subjekte gegenüber den japanischen Machthabern. Seitens der Koreaner entwickelte sich eine fortlaufende Geschichte des organisierten Widerstandes gegen japanische Machtansprüche. In Okinawa gewannen derart aggressiv verfolgte antijapanische Tendenzen jedoch zu keinem Zeitpunkt die Überhand. Ganz im Gegenteil: Während die Unterdrückung der koreanischen Sprache und Kultur durch Japan eine Flamme des Zorns im Herzen der Bevölkerung entfachte, wuchs in Okinawa der Wunsch nach einer stärkeren Angleichung an Japan mit jedem unterlassenen Versuch durch das Kaiserreich regelrecht. Beinahe entsteht vor dem geistigen Auge das Bild der Mutter Japan, welche dem Adoptivkind Ryūkyū, dem Träumer in Inselgestalt, zwar einen neuen Namen gab und es großzuziehen gelobte, es jedoch bei jeder versuchten Annäherung zurückstieß, ihm die bitter ersehnte Wärme verwehrte. Ganz anders erging es dem ungleichen Bruder Korea, dem gebrannten Kind. Aufgrund seiner Lage zwischen hünenhaften Großmächten war er der Prügelknabe vieler. Hartgesotten und unnachgiebig. Allzeit bereit, zu kratzen und zu beißen. Nicht umsonst, so scheint es, gilt der Tiger seit mythischen Zeiten als Sinnbild der koreanischen Bevölkerung.

Umstände, die nicht nur die Grundhaltung, sondern auch die Ausgangslage der Koreaner und Okinawaner in Japan entscheidend beeinflussten. Vor allem durch die verbreitete Beherrschung der japanischen Sprache – und somit die Möglichkeiten der sozialen Interaktion „nach oben“ – und ihrem offiziellen Status als japanische Bürger hatten die Okinawaner hier einen grundlegenden Vorteil. Inwiefern sich dieser auf ihre Situation in Japan, verglichen mit der der Koreaner, auswirkte, wird im Folgenden untersucht.

Den kolonialhistorischen Ausführungen des vorigen Kapitels folgend soll nun die eigentliche Entstehung sogenannter ethnischer Gemeinschaften – von der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft abgeschlossene gesellschaftliche Räume – der Koreaner und Okinawaner auf Japans Festland betrachtet werden. Warum blieben so viele der auf der Suche nach Arbeit und Unterschlupf nach Japan gekommenen oder schlichtweg dorthin verschleppten Koreaner und Okinawaner dort? Wo und unter welchen Umständen wurden die gesellschaftlichen Grundsteine gelegt? Welche beruflichen und sozialen Perspektiven boten sich ihnen?

[...]


[1] 在日 – etwa „in Japan ansässig“. Wird der Begriff ohne nähere Definition der ursprünglichen Herkunft verwendet, verbinden Japaner damit „automatisch“ eine Assoziation zur koreanisch-stämmigen Bevölkerung Japans. Im modernen Sprachgebrauch häufig grenzübergreifend im Sinne von Nord-/Südkorea: 在日コリアン zainichikorian.

[2] Das Königreich Ryūkyū, das sich 1492 formiert hatte, wurde zwar bereits 1609 vom japanischen Shimazu-Clan besetzt. Allerdings legte dieser großen Wert auf den Erhalt okinawanischer Tradition und Sprache, um China – dessen Vasallenstaat Ryūkyū war und welches Japan nicht als Machthaber im Königreich anerkannte – nicht durch eine „Japanisierung“ Ryūkyūs und den damit einhergehenden eventuellen Verlust Ryūkūs als Tributstaat zu verärgern (Antoni 1988: 89; Hanazaki 2006: 214).

[3] Der ehemalige Souverän Ryūkyūs wurde somit in den untergeordneten Stand eines Daimyō versetzt.

[4] Ihrem Ruf als inhärenter Teil des japanischen Staates zum Trotz stand die Ryūkū-Inselkette ca. 500 Jahre lang – von 1372 bis 1872/79 – als enger Handelspartner und Tributstaat Chinas auch voll unter dessen kulturellem Einfluss. Die Inselkette war somit als sinisiertes Gebiet anzusehen, in dem aufgrund ausgedehnter Handelsbeziehungen zu China und wiederum dessen zahlreichen Handelspartnern auch Züge südostasiatischer Kulturen Einzug hielten (Antoni 1988: 89).

[5] Die vollständige Eingliederung Ryūkyūs in den japanischen Nationalstaat dauerte, was Verwaltungspraxis und Organisation anbelangte, bis in die frühen 1920er-Jahre an (Smits 2006: 227).

[6] So unterlag die Verwaltung der Präfektur Okinawa bis ins Jahr 1875 hinein bspw. dem Außenministerium in Tōkyō und auch historische Texte aus jener Zeit nennen die Rūkyū-Inselkette in einem Federstrich mit nicht-japanischen Staaten aus aller Welt (Antoni 1988: 90).

[7] Genau genommen hatte die Steuer bereits vorher Bestand. Sie war jedoch „freigeworden“, da jene höfischen Beamten, denen sie ursprünglich zugute kam, mit Abschaffung der ryūkyūschen Monarchie ebenfalls ihrer Position enthoben wurden. Die Steuer blieb jedoch bestehen (Smits 2006: 232).

[8] Identische Beschwerden darüber, man wolle sich nicht mit derartig „barbarischen“ Völkern präsentieren lassen, äußerte man auch auf taiwanesischer und koreanischer Seite (Rabson 2012: 59).

[9] Zumindest ein stetig aktiver, elitärer Intellektuellenkreis, der sich zeitweise beachtlich ausdehnte. Bis in die letzten Ecken der ländlichen Bevölkerung drang das Streben nach Integration jedoch nie gänzlich vor.

[10] Andersons populäre Nationalismusstudie besagt, dass jede Gemeinschaft, die die Größe eines Dorfes überschreitet, imaginär ist. Mitglieder einer größeren Gemeinschaft (bspw. Nation/Staat/Volk) werden sich im Laufe ihres Lebens höchstwahrscheinlich nie vollständig oder auch nur größtenteils persönlich begegnen. Aus diesen Gründen ist die eventuell gefühlte Verbundenheit nicht als real zu betrachten.

[11] Ein kurzer Abriss der Periode zwischen 1899 und 1933: Fürchterliche Stürme, die Yaeyama 1899 und 1901 zwei Mal in Folge beinahe dem Erdboden gleichmachten. Ein Vulkanausbruch auf Tori-shima 1909, der die gesamte Bevölkerung von 690 Personen zur Evakuation nach Kume-jima zwang, wodurch das empfindliche wirtschaftliche Gleichgewicht der Insel zerstört wurde. Hinzu kamen auf der gesamten Inselkette: die große Dürre von 1904, ein Ausbruch der Schweinepest 1908, Erdbeben und Taifune 1911 und 12, schwere Stürme 1917, 18 und 1922. Ein weiterer 1931, der über 7000 Gebäude schwer beschädigte und als „krönender“ Abschluss dieser Beschreibung zwei Taifune in schneller Folge im Jahre 1933 (Kerr 2000: 435 f.).

[12] Die Zentralregierung erwartete von den einzelnen Präfekturen, einen Großteil der finanziellen Lasten des Bildungssystems selbst zu tragen – was in Anbetracht der okinawanischen Wirtschaft und Vernachlässigung durch Japan schlicht nicht möglich war. Zwar gab es ab 1890 organisierte Bemühungen, diesem Missstand entgegenzuwirken. Früchte trugen sie jedoch erst nach der ersten Präfektoralversammlung 1910, die sich der Thematik annahm (Kerr 2000: 440 f.).

[13] Neben der Möglichkeit, auch als Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts finanziell unabhängig zu sein, hatte diese Arbeit einen zweiten großen Anreiz: die zugehörige Versorgung mit einer Unterkunft und immerhin drei Mahlzeiten pro Tag – für viele Okinawaner jener Zeit keine Selbstverständlichkeit (Rabson 2003: 100).

[14] Zum Vergleich einige Zahlen aus dem Jahr 1940, bereits nach der großen Auswanderung: Die Bevölkerungsdichte auf Okinawa Betrug ca. 588 Personen pro Quadratmeile. Im Vergleich hierzu Festlandjapan mit 529 und die USA mit 44 (Kerr 2000: 436).

[15] Das Konzept war derart erfolgreich, dass man 1924 die quasi-offizielle Okinawan Overseas Association unter Leitung des jeweils aktuellen Präfekturgouverneurs gründete. Weiterhin eröffnete 1934 ein sogenanntes „Emigrant Training Center“ in Naha. Die Bezuschussung dieser Maßnahmen durch die Provinzverwaltung ist als geringfügig – und somit überraschend großzügig – zu verbuchen.

[16] Unter anderem Kontinental-Amerika, Mexiko, den Philippinen, Peru, Neukaledonien und dem heutigen Taiwan (ehem. Formosa).

[17] Im Jahre 1937 etwa schickten 40.483 okinawanische Aussiedler insgesamt 3,5 Millionen Yen in die Heimat. Ein Pro-Kopf-Durchschnitt von 86 Yen, während die Summe sich bei japanischen Arbeitsaussiedlern lediglich auf 50 Yen pro Kopf belief (Kerr 2000: 438).

[18] In Okinawa traditionell besonders ausgeprägt ist ein tiefer Sinn für gegenseitige Verantwortlichkeit, zu sehen etwa am Einrichten einer durchaus auch intrafamiliären Gemeinschaftskasse, auf die alle einzahlenden Mitglieder in Notfällen zurückgreifen können.

[19] Ein wachsendes Interesse Tōkyōs an nationalen Gesundheits- und Versorgungsstandards erwachte erst im Laufe der 1930er-Jahre, als es daran ging Land und Bevölkerung auf den Kriegseintritt vorzubereiten. Im Jahre 1938 organisierte sich schließlich das Ministerium für öffentliche Gesundheit und Soziales in Tōkyō.

[20] So hatte sich der Reispreis 1918 im Vergleich zum Vorkriegsniveau vervierfacht. Es kam zu Hortungen und den landesweiten 米騒動 komesōdō, den sog. Reisunruhen von 1918 (Rabson 2012: 64).

[21] Reis wurde auf den begrenzten Ackerflächen Okinawas zumeist für den Eigenbedarf produziert. Somit machte Zucker etwa 80% aller okinawanischen Exporte aus (Rabson 2012: 65)

[22] Die dauerhafte wirtschaftliche Schwäche Okinawas gründet vor allem in Japans Verwaltung. Insgesamt war Okinawa die Präfektur, welche die höchsten Steuern zu zahlen hatte, in die jedoch gleichzeitig am wenigsten investiert wurde (Rabson 2012: 64 f.).

[23] Schon bald erlangte Okinawa hierdurch traurige Berühmtheit als „Palm Tree Hell“ ソテツ地獄 sotetsujigoku. Die hungernde Bevölkerung sah sich – wie schon im Falle von Hungersnöten zu Zeiten des Königreichs Ryūkyū – gezwungen, die im Rohzustand giftigen Samen und Fasern der Sagopalme zu verzehren. Da der Begriff mit seinem ironischen Klang die Verantwortlichkeit der japanischen Regierung in den Hintergrund rückt und somit eher das Bild einer natürlichen Katastrophe zeichnet, gilt er allerdings als umstritten (Rabson 2003: 102; Rabson 2012: 65).

[24] Was nicht unbedingt mit „Rettung“ vor der drohenden Schlacht gleichzusetzen ist. Einige der Fähren, welche zur Überfahrt genutzt wurden, fielen Torpedos der Alliierten zum Opfer (Rabson 2012: 129).

[25] Allein am 14. April 1945 gingen über 700 Tonnen an Bomben auf Ōsaka nieder (Rabson 2012: 126). Vgl.: Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki: 6. und 9. August 1945. Kapitulation Japans: 15. August 1945.

[26] Oder „Vertrag von Ganghwa“, nach dem gleichnamigen Zwischenfall. Jap.: 江華条約 (こうかじょうやく).

[27] http://de.wikipedia.org/wiki/Myeongseong Zugriff am 31.01.15, 14:00.

[28] 伊藤博文. Vormals zwischen den Jahren 1885 und 1901 insgesamt viermal gewählt und auch erster Premierminister Japans. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/It%C5%8D_Hirobumi Zugriff am 31.01.15, 14:26.

[29] 1931 machten Bauern 91% der koreanischen Arbeiterschaft in Ōsaka aus (Lie 2012: 4).

[30] Der durchschnittliche Tagesverdienst im Jahre 1930 lag bei 2,3 Yen für einen japanischen, respektive 1,4 Yen für einen koreanischen Fabrikarbeiter (errechnet aus „Table 3“, Weiner 2006: 316).

[31] 国家総動員法 (こっかそうどういんほう).

[32] Der Tagebau auf Hokkaido beschäftigte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges beispielsweise zu 48% koreanische Arbeiter (Lee, De Vos 1981: 53).

[33] 協和会 (きょうわかい).

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Außen- und Selbstwahrnehmung koreanischer und okinawanischer Identität
Untertitel
Vergleich und Analyse
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Asien-Orient-Institut; Abteilung für Japanologie)
Veranstaltung
Okinawa - Japans Kolonie im eigenen Lande
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
78
Katalognummer
V316760
ISBN (eBook)
9783668158788
ISBN (Buch)
9783668158795
Dateigröße
1348 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Japan, Korea, Okinawa, Zainichi, Gesellschaft, Diskriminierung, Minderheit, Mehrheitsbevölkerung, Oldcomer, Newcomer, Ryukyu, Kolonie, Imperialismus, Kaiserreich, Nihonjinron, Besatzung, Assimilation, Naturalisierung, Widerstand
Arbeit zitieren
B.A. David Dippong (Autor:in), 2015, Außen- und Selbstwahrnehmung koreanischer und okinawanischer Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316760

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