Fördert der "Chat" die Medienkompetenz? Deutschdidaktische Möglichkeiten und Grenzen der computervermittelten Kommunikationsform


Bachelorarbeit, 2015

60 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Deutschunterricht im Zeichen des medialen Wandels
2.1 Aktuelle Entwicklungen: Mediensozialisation von Heranwachsenden
2.2 Medienintegrativer und symmedialer Deutschunterricht
2.3 „Medienkompetenz“ als Schlüsselbegriff

3 Die Kommunikationsform Chat aus fachwissenschaftlicher Perspektive
3.1 Überblick
3.2 Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten von Chat-Systemen
3.3 Kommunikation im Chat
3.3.1 Anonymität und variable Identität
3.3.2 Kommunikation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
3.4 Sprachliche Charakteristika und graphische Elemente
3.4.1 Syntax, Phonetik, Orthographie
3.4.2 Graphostilistische Elemente

4 Die Kommunikationsform Chat im Deutschunterricht
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Möglichkeiten und Grenzen im Kontext der Literaturdidaktik
4.2.1 Der Einsatz von Chats in Unterrichtskonzepten
4.2.2 Dimensionen der Medienkompetenz nach Groeben
4.2.3 Fach- und medienspezifische Anforderungen in den Bildungsstandards
4.3 Möglichkeiten und Grenzen im Kontext der Sprachdidaktik
4.3.1 Der Einsatz von Chats in Unterrichtskonzepten
4.3.2 Dimensionen der Medienkompetenz nach Groeben
4.3.3 Fach- und medienspezifische Anforderungen in den Bildungsstandards
4.4 Status quo - Medienkompetenz in Zeiten von Bildungsstandards

5 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Die rasante Entwicklung und Verbreitung digitaler Medien, insbesondere des Computers, hat nicht nur effizientere Informations- und Datenverarbeitungsprozesse in Wirtschaft und Wis- senschaft hervorgebracht, sondern hat vor allem mit der Entstehung des Internets und World Wide Web die zwischenmenschliche Kommunikation und soziale Interaktion maßgeblich verändert. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich kann der Nutzer per Computer, Laptop oder Smartphone immer und überall auf der Welt für andere Anwender erreichbar sein, da computerbasierte Kommunikationsformen wie E-Mail oder Chat den Aufbau eines Netz- werks, eines „global village“1 ermöglichen. Aufgrund dieser zentralen Bedeutung und ständi- gen Gegenwärtigkeit von Medien eröffnen sich vielfältige Nutzungsoptionen, Unterhaltungs-, Informations- und Kommunikationsangebote, sie bringen jedoch gleichzeitig gestiegene An- forderungen an das Lernen und Zurechtfinden in der medialen Welt mit sich. „Medienkompe- tenz“ lautet deshalb die Schlüsselqualifikation der Gegenwart und Zukunft, dessen Vermitt- lung und Stärkung längst zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung avanciert ist.

Gemäß ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages steht insbesondere die Institution Schule vor der Aufgabe, den Lernenden zu vermitteln, „mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen“ (MSW NRW 2014, §2), damit auf relevante Umweltveränderungen zu reagieren und an die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen anzuknüpfen (vgl. Anhänge 1 - 7), da Schule nicht nur Lern- sondern auch Lebensraum für sie darstellt. Insbesondere der Deutsch- unterricht weist mit seinen medial geprägten Lerngegenständen Literatur und Sprache eine spezifische Eignung für die Vermittlung und Förderung von Medienkompetenz auf. Literatur, als eines der wichtigsten kulturellen Symbolsysteme, macht die die Gesellschaft prägenden Empfindungen, Denkweisen, Werte und Normen mittels unterschiedlicher medialer Präsenta- tionsformen gegenständlich, wobei Sprache - ob geschrieben, gesprochen oder gebärdet - die Kommunikation in einer Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht. Mit dem Aufkommen digita- ler Medien und computervermittelter Kommunikationsformen erfahren sprachliche und litera- rische Rezeptions- und Präsentationsformen eine grundlegende Erweiterung, die es notwendig macht, Sprache und Literatur im Deutschunterricht unter medienspezifisch neuen Perspekti- ven zu betrachten.

Diese Argumente legen die Annahme nahe, dass schulische Rahmenbedingungen, d. h. fach- didaktische Konzeptionen, Bildungsstandards sowie technische, personelle und finanzielle Voraussetzungen, einer entsprechenden Ausrichtung bedürfen, um eine Ausbildung verant- wortungsbewusster Mediennutzer realisieren zu können, die dazu befähigt werden sollen, Medien im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung adäquat einzusetzen, an der gegenwär- tigen Gesellschaft und Kultur zu partizipieren und diese kreativ mitzugestalten. Dennoch ist es gegenwärtig noch nicht flächendeckend gelungen, digitale Medien als selbstverständliche Bestandteile in den Unterrichtsalltag einzubinden und systematische Konzeptionen für die Mediennutzung praktisch umzusetzen.

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieser Bachelorthesis, mögliche sprach- und literaturdidaktische Potenziale aufzuzeigen, die eine Integration der computervermittelten Kommunikationsform Chat in den Deutschunterricht mit sich bringt sowie Möglichkeiten darzulegen, damit Medienkompetenz aus ihrem theoretischen Fundament gelöst, in die schulische Praxis transferiert und auf umfassende Weise gefördert werden kann.

Anhand ausgewählter Studienergebnisse wird dem Leser zunächst ein Überblick über aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der außerschulischen Mediennutzung und -ausstattung von Ju- gendlichen gegeben. Diese Grundlage dient im weiteren Verlauf dazu, Konsequenzen und Herausforderungen für eine in der Medienkultur verortete Deutschdidaktik zu formulieren und die Zielperspektive „Medienkompetenz“ anhand eines wissenschaftlichen Modells detail- liert darzustellen. In einer anschließenden fachwissenschaftlichen Betrachtung werden sprach- liche Strukturen und medienspezifische Besonderheiten der computervermittelten Kommuni- kationsform Chat beleuchtet, die im weiteren Verlauf unterrichtspraktisch genutzt werden. Vor dem Hintergrund eines zuvor dargestellten, außerschulischen Medienkompetenz-Modells werden ausgewählte deutschdidaktische Unterrichtskonzepte im ersten Schritt auf Möglich- keiten zur praktischen Vermittlung der theoretisch formulierten Medienkompetenz- Dimensionen untersucht. Mit den aktuellen Bildungsstandards wird im zweiten Schritt eine schulische bzw. institutionelle Perspektive eingenommen, die es ermöglicht, Anknüpfungs- punkte zu fach- und medienspezifischen Kompetenzen sowie den Stellenwert digitaler Medi- en in den Standards herauszustellen und weiterführend den aktuellen Entwicklungsstand so- wie mögliche Leerstellen kritisch zu reflektieren. Abschließend erfolgen eine Zusammenfas- sung der Ergebnisse sowie ein Ausblick hinsichtlich zukünftig notwendiger Maßnahmen für eine curriculare Verankerung von Medienkompetenz.

2 Deutschunterricht im Zeichen des medialen Wandels

2.1 Aktuelle Entwicklungen: Mediensozialisation von Heranwachsenden

Insbesondere in der außerschulischen Realität von Kindern und Jugendlichen stellt die Omni- präsenz der Medien eine sehr entscheidende Veränderung dar, in dem Sinne, dass alle Le- bensbereiche und Altersstufen mittlerweile medial geprägt sind, sie selbstverständlich mit der Nutzung von Medien aufwachsen und bereits in frühster Kindheit einen - zunächst unbewuss- ten - Umgang damit erlernen (vgl. Frederking/ Krommer/ Maiwald 2012, 80), weshalb sie im Online-Sprachgebrauch auch als „digital natives“2 bezeichnet werden. Unter dem Begriff „Mediensozialisation“ wird dieses multifaktoriell bedingte Aufwachsen in einer Medienwelt zusammengefasst:

Mediensozialisation bei Kindern und Jugendlichen umfasst alle Aspekte, bei denen die Medien für die psychosoziale Entwicklung der Heranwachsenden eine Rolle spielen [...] Die Medi- ensozialisation wird beeinflusst durch die Erziehenden, die Gleichaltrigen, die Individuen selbst und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche Spielräume eröffnen und Ein- schränkungen machen für den Umgang mit den Medien und ihren Inhalten (Süss/ Lampert/ Wijnen 2013, 29).

Diese mediale Durchdringung des Alltags eröffnet vielfältige Nutzungsoptionen, stellt jedoch ebenso Herausforderungen an die Mediennutzer, mit dem vorhandenen Angebot angemessen umzugehen, die Optionen sinnvoll einzusetzen sowie den Stellenwert zu definieren, den die Medien in ihrem Alltag einnehmen sollen.

Der Medienpädagogische Forschungsverband Südwest (mpfs) untersucht mit der Langzeit- studie JIM (Jugend, Information, (Multi-) Media) seit 1998 die Auswirkungen der alltäglichen Mediennutzung von 12- bis 19-Jährigen in Deutschland sowie die Bedeutung und Nutzung verschiedener Medienformate. In den nachfolgenden Ausführungen stehen einerseits die elektronischen Medien Computer, Smartphone, Internet und die damit verbundenen neuen Kommunikationsformen im Fokus sowie andererseits die Printmedien bzw. das Buch im Spe- ziellen. Es werden ausgewählte Studienergebnisse aus den Jahren 2010 und 2014 dargestellt, die zunächst etwaige Entwicklungslinien hervorbringen sollen, um im Anschluss einen Zu- sammenhang mit Herausforderungen und Konsequenzen für Deutschunterricht und -didaktik herstellen zu können.

Der Besitz elektronischer Geräte seitens der Jugendlichen, vergleiche hierfür Anhänge 1 und 2, stellt im Rahmen ihrer Mediennutzung einen wichtigen Anhaltspunkt dar und weist inner- halb einer Entwicklung von vier Jahren bedeutende Veränderungen auf. Die Befunde zeigen neben der gleichbleibenden Relevanz von Handy, Computer und Laptop eine klare Markt- durchdringung für Smartphones, die in den letzten Jahren stattgefunden und andere Geräte wie den Media-Player verdrängt hat. So waren in 2010 nur ca. 14% der Befragten im Besitz eines Smartphones, in 2014 sind es nahezu 90%. Diese Entwicklung hängt unbestritten mit der technischen Weiterentwicklung zusammen, die außerdem ein Indiz für den Anstieg beim Internetzugang darstellt, den in 2010 nur etwas mehr als die Hälfte (52%) der Jugendlichen besaßen, vier Jahre später nahezu alle Befragten (92%). Die dargestellten Ergebnisse verwei- sen auf den deutlichen Anstieg der Besitzrate bei Smartphones, den damit verbundenen fast flächendeckenden Zugang zum Internet sowie auf die bleibende Bedeutung von Computer bzw. Laptop und machen insgesamt deutlich, dass Medien seit mehreren Jahren fester Be- standteil der jugendlichen Welt sind.

Analog zu der sich verändernden Medienausstattung werden auch die Nutzungsangebote und -optionen, aus denen der Jugendliche als Mediennutzer auswählen kann, immer komplexer und vielfältiger. Die Anhänge 3 und 4 liefern hierzu die statistischen Belege für die Nut- zungshäufigkeit von elektronischen Medien und Printmedien. Die tägliche Mediennutzung in der Freizeit der Befragten wird sowohl in 2010 als auch in 2014 an erster Stelle vom Handy bestimmt, dicht gefolgt vom Internet, das im Vergleich zum Jahr 2010 um knapp 20% auf 81% ansteigt. Die Nutzung von Fernsehen, MP3-Player und Radio hat innerhalb von vier Jah- ren leicht abgenommen, doch für knapp die Hälfte der Jugendlichen stellen diese Medien stets wichtige Alltagsbegleiter dar. Die Nutzung von Printmedien verteilt sich mit über 20% auf Bücher, mit 28% in 2010 und 18% in 2014 auf Tageszeitungen. Entgegen der Befürchtung, Jugendliche würden in ihrer Freizeit auf Bücher verzichten, greifen trotz gestiegener Internet- nutzung 22% von ihnen sogar täglich zum gedruckten Buch und fast keiner der Befragten zum E-Book.

Da diese Arbeit sich schwerpunktmäßig mit einer Form der computervermittelten Kommuni- kation, i. e. S. mit dem Chat, beschäftigt, liegt der Fokus im weiteren Verlauf auf Untersu- chungsergebnissen zur Computer- und Internetnutzung der Jugendlichen zum Zweck der Kommunikation. In der JIM-Studie zählen zu dieser Kategorie Kommunikationswege wie E- Mail, Chat oder Online-Communities, die in den Anhängen 5 und 6 hinsichtlich ihrer tägli- chen bzw. regelmäßigen Nutzung dargestellt werden. Da die Ergebnisse der befragten Ziel- gruppe im Jahr 2010 geschlechterdifferenzierend und im Jahr 2014 nach Altersgruppen dar- gestellt wurden, lassen sie sich nicht analog, sondern nur anhand von Mittelwerten miteinan- der vergleichen.

Die aktuellen Befragungsergebnisse repräsentieren bedeutende Veränderungen hinsichtlich der kommunikativen Tätigkeiten von Heranwachsenden. Im Vergleich zur Studie 2010 wurde eine Veränderung des Items „Chatten“ vorgenommen, da das Chatten bis vor einiger Zeit immer an die Nutzung eines anbieterbezogenen „Chatrooms“ gebunden war. Inzwischen bie- ten auch andere Plattformen diesen Dienst an, sodass der einschränkende Zusatz „Chatrooms besuchen“ wegfallen konnte. Für alle Altersstufen stellt das Chatten die wichtigste Art der Online-Kommunikation dar, denn 80% der Befragten nutzen den Chat mindestens mehrmals pro Woche zum direkten Austausch mit anderen Teilnehmern. Im Vergleich zum Jahr 2010 hat der Chat einen Zuwachs von über 30% erfahren und verdrängt Online-Communities wie „schülerVZ“ oder „facebook“ damit von der Spitze der kommunikativen Tätigkeiten im In- ternet. Ein noch bedeutenderer Verlust lässt sich bei der Nutzung von Instant-Messengern im Internet (z. B. ICQ) verzeichnen, die mehr als 50% verlieren. Insbesondere mit zunehmendem Alter greifen die Jugendlichen vermehrt auf die Kommunikation via Chat, soziale Netzwerke und E-Mail zurück. Umso weniger Beachtung die internetbasierten Instant-Messenger bei den Jugendlichen in den letzten Jahren gefunden haben, desto wichtiger ist die (Individual-) Kommunikation auf dem Smartphone geworden. Besaß 2010 nur jeder Siebte ein Smartphone, so haben aktuell fast 90% ein eigenes Gerät. In der aktuellen JIM-Studie wurde u. a. nach den wichtigsten Apps auf dem Smartphone gefragt, vergleiche hierzu Anhang 7, und als die mit Abstand beliebteste App in allen Altersstufen erwies sich dabei der Instant-Messenger „WhatsApp“ (86%), mit dem der Nutzer nicht nur synchron kommunizieren, sondern auch Bilder, Videos und Sprachnachrichten verschicken kann. Zwar sind Communities als App auf dem Smartphone weiterhin beliebt (46%), doch speziell bei den Jüngeren (12 - 13 Jahre) lässt sich feststellen, dass sie zur Kommunikation lieber direkt mit WhatsApp einsteigen, sodass soziale Netzwerke zur direkten Kommunikation für sie an Bedeutung verlieren.

Die dargestellten Ergebnisse der JIM-Studien 2010 und 2014 weisen insgesamt wichtige Entwicklungslinien und Veränderungen hinsichtlich der Medienausstattung und -nutzung im außerschulischen Alltag der Jugendlichen auf. Das Medienangebot ist in den letzten Jahren neben Computer, Internet und Handy immer vielfältiger geworden. Zwar bleibt die Bedeu- tung des Handys als wichtigster alltäglicher Begleiter und meist genutztes Gerät unverändert bestehen, wird jedoch durch das Aufkommen des Smartphones in den letzten Jahren ergänzt, da es zahlreiche Funktionen vereint, die bisher von unterschiedlichen elektronischen Geräten erfüllt wurden. Der technische Fortschritt zeigt sich im Zusammenhang mit dem Smartphone zudem in der gestiegenen Nutzung des Internets, das als Informations-, Unterhaltungs- und insbesondere als Kommunikationsmedium eine elementare Rolle in der Lebenswelt der He- ranwachsenden einnimmt. Der Chat stellt für die befragten Jugendlichen neben Communities die wichtigste kommunikative Tätigkeit im Internet dar, wobei die Relevanz sozialer Netz- werke aufgrund der verstärkten Verbreitung von WhatsApp auf dem Smartphone deutlich abgenommen hat.

Trotz der tragenden Rolle, die elektronische Geräte in der Gegenwart spielen, hält das Print- medium bzw. das Buch dem medialen Wandel Stand, da es weiterhin zu den regelmäßigen Freizeitaktivitäten der 12- bis 19-Jährigen zählt. In Bezug auf den Deutschunterricht würde ein rein printmedial ausgerichteter Unterricht der heutigen medialen Wirklichkeit der Heran- wachsenden jedoch nicht mehr gerecht werden, da der Computer, das Smartphone sowie das mobile Internet für die Jugendlichen unverzichtbarer Bestandteil ihres Alltags geworden sind und in diesem Zuge das Buch als Leitmedium ablösen. Die Komplexität, Vielfältigkeit und Informationsflut, die mit dem Medienangebot einhergehen, bedürfen eines angemessenen alltäglichen Umgangs, der den Jugendlichen sowohl im Elternhaus als auch in der Schule mit auf den Weg gegeben werden muss.

2.2 Medienintegrativer und symmedialer Deutschunterricht

Neue Medien im Deutschunterricht - das ist die Geschichte einer bislang noch nicht wirklich bzw. umfassend eingelösten didaktischen Option. Der Deutschunterricht der Gegenwart ist weit davon entfernt, die Potentiale der neuen Medien auch nur annähernd in fachspezifischer Perspektive ausgeschöpft zu haben (Frederking/ Kepser/ Rath 2008, 7).

In einer Zeit, in der sich Kinder und Jugendliche einen Alltag ohne Computer, Internet und Smartphone nicht mehr vorstellen können, erwachsen für das Schul- und Bildungssystem, besonders für den Deutschunterricht, neue Aufgaben und Herausforderungen, denen auf un- terschiedlichen Ebenen begegnet werden muss, was in der Praxis jedoch noch nicht ausrei- chend umgesetzt werden konnte. So ist der gegenwärtige Deutschunterricht von einer starken Medien- und Computerskepsis der Lehrenden geprägt3, die zur Folge hat, dass der Unterricht hauptsächlich an den Mediengewohnheiten der Lehrenden sowie ihrem Bezug zum Leitmedi- um Buch ausgerichtet ist, jedoch kaum durch auditive oder audiovisuelle Medien ergänzt wird. Angesichts dieser mangelnden Integration digitaler Medien erwächst eine Divergenz zwi- schen privater und schulischer Mediennutzung,4 die erhebliche Konsequenzen für die Motiva- tion der Lernenden mit sich bringt.

Es zeigt sich somit die dringende Notwendigkeit, an die Sozialisationserfahrungen und Re- zeptionsgewohnheiten der Schüler und Schülerinnen5 anzuknüpfen und didaktische Konzep- tionen für den Unterricht anders auszurichten, da sich mit der Computernutzung vor allem die primären fachlichen Lerngegenstände des Deutschunterrichts Literatur und Sprache verändert haben und deshalb unter medienspezifischen Perspektiven anders betrachtet werden müssen. Zwar entstanden bereits in den späten 50er Jahren erste mediendidaktische Ansätze für den Deutschunterricht,6 die akustisch-auditive, visuelle und audiovisuelle Medien in den Blick nahmen und damit bereits über das Printmedium Buch hinausreichten, doch spiegelte sich in diesen Ansätzen ein stark ausgeprägter Kulturpessimismus7 wider, der mehr etwaige negative Wirkungen und Gefahren der Medien reflektierte. So erfuhr der Diskurs um deutschdidakti- sche Medienkonzeptionen erst in den 70er Jahren eine Wendung, mit der Medien ihre Funkti- on als reine Hilfsmittel verloren und erstmalig als vollwertige Unterrichtsgegenstände in den Fokus gerückt sind. Das Fundament dafür legte der Literatur- und Filmdidaktiker Rudolf Denk mit seiner Forderung nach einer „medialen Erweiterung des [Deutsch-] Unter- richts“ (Denk 1977, 9). Dafür sei es wichtig, den Fokus nicht mehr länger auf die mögliche manipulative Wirkung der Medien zu legen, sondern ihren Charakter als Kommunikations- und Gestaltungsmedien sowie Möglichkeiten der aktiven Mediennutzung (vgl. ebd., 14) im Unterricht zu betonen, um zum einen das Medienbewusstsein seitens der Schüler zu schärfen und zum anderen produktiv-kreative Prozesse im Deutschunterricht anzuregen (vgl. ebd., 19).

Trotz Denks reformerischen Ansätzen erfolgte die Etablierung mediendidaktischer Fragestellungen erst zum Ende der 90er Jahre, u. a. durch Jutta Wermkes wegweisende Konzeption eines medienintegrativen Deutschunterrichts. Hierin betont sie die Notwendigkeit einer Neuausrichtung deutschdidaktischer Positionen, da eine Reihe auditiver, audiovisueller und interaktiver Medien neben das Buch als Printmedium getreten seien. Sprache und Literatur würden längst nicht mehr nur im Medium der Schrift erscheinen und das Printmedium müsse damit seine Alleinstellung im Unterricht aufgeben (vgl. Wermke 1997, 45):

Deutschunterricht in einer Medienkultur muß integrativer Deutschunterricht sein. Er muß das sein, weil sein traditioneller Gegenstandbereich - das Buch bzw. die Buchkultur - nur noch bedingt isoliert betrachtet werden kann. Buch und Buchkultur sind eingebunden in eine Medi- enkultur zusammen mit audiovisuellen und zunehmend auch mit interaktiven Medien (ebd., 46).

Aus dieser Eingebundenheit resultiere, dass die elementaren Lernbereiche Lesen und Schrei- ben ebenfalls in einen multimedialen Zusammenhang gestellt werden müssen. Im Unterricht kann das gelingen, indem bspw. Medienverbünde in den Blick genommen werden oder ein Einstieg in das Lesen mittels Hörspiel oder Film ermöglicht wird, sodass Buch- und Medien- kultur auf diese Weise integrativ miteinander verbunden werden. In jedem Fall sollte in der Unterrichtsplanung stets die Mediensozialisation, d. h. der Wissensstand, die Erfahrungen und Rezeptionsgewohnheiten der Schüler berücksichtig werden und mit dem zentralen Ziel der Ausbildung von Medienkompetenz8 einhergehen, damit ein Beitrag zur Medienerziehung geleistet werden kann (vgl. ebd., 55 f.).

Als Fortsetzung und Spezifizierung der dargestellten medienintegrativen Ansätze hat Volker Frederking das Konzept eines symmedialen Deutschunterrichts entwickelt. Speziell Freder- kings Begriff der „Symmedien“ soll im Folgenden erläutert werden, da dieser als weitere Grundlage dieser Arbeit dient, um die Digitalmedien Computer und Internet begrifflich ein- zuordnen. In der Diskussion um die Bezeichnung der technischen Entwicklungen standen lange Zeit vor allem zwei Begrifflichkeiten im Zentrum: „Neue Medien“ und „Multimedia“. Da mit diesen Begriffen jedoch Schwierigkeiten in ihrer spezifischen Verwendung und Aus- sagekraft einhergehen, hat ein Vorschlag zur Lösung dieser terminologischen Problematik innerhalb der Deutschdidaktik Beachtung gefunden. „Symmedialität“, geprägt von Volker Frederking, ist ein Hybridwort und zusammengesetzt aus dem lateinischen „medium“ = „Mittler“ und dem griechischen „syn“ bzw. „sym“ = „zusammen, zugleich“, was auf das Ver- schmelzen unterschiedlicher medialer Formen - analog wie digital - in einem Medium hin- weist. Auch wenn der Computer als „Symmedium par excellence“ (Albrecht 2014, 145) gilt, da er als Integrationsmedium alle medialen Optionen auf einer Bildschirmseite zusammen- bringt, wird das Buch als das erste vortechnische Symmedium angesehen, das Text und Bild vereint hat, und der Tonfilm als erster elektronisch erzeugter symmedialer Verbund. Da Com- puter und Internet nicht nur Simulations- sondern gleichzeitig Integrationsmedien sind, ist mit ihrer Entstehung die bisher weitreichendste technische Neuerung sowie Ausformung der Symmedialität gelungen (vgl. Frederking/ Krommer/ Maiwald 2012, 205 f.).

In didaktischer Hinsicht ergeben sich für den Sprach- und Literaturunterricht vielfältige Funk- tionen des Computers, da er als Informations-, Schreib-, Kooperations- und Kommunikati- onsmedium sowohl im Offline- als auch im Online-Modus sinnvoll genutzt werden kann. Offline können Textverarbeitungsprogramme bspw. den kreativ-produktiven Schreibprozess im Unterricht unterstützen, da die Bearbeitung der Texte sehr komfortabel gestaltet ist, wo- hingegen die Möglichkeiten im Online-Modus vom Schreiben auf Blogs oder Websites über die Informationsrecherche im Internet und virtuelle Kooperationen bis hin zu computerver- mittelten Kommunikationsformen wie Chat und E-Mail reichen (vgl. ebd., 250).

Unabdingbar ist dabei, dass die Medienintegration nicht als ein isoliertes Nebeneinander er- folgt, sondern als didaktischer Verbund, d. h. in reflektierter Verbindung und Bezugnahme. Nur so können eine Beschäftigung mit Sprache und Literatur unter neuen Perspektiven er- möglicht, kreativ-dynamische Arbeitsphasen angeregt und Lese- bzw. Schreibprozessen ein interaktiver Charakter verliehen werden (vgl. ebd., 97). In Anlehnung an Wermkes These können sowohl medienintegrative als auch symmediale Lehr-Lern-Prozesse so an die Stelle eines rein monomedialen, „buchzentrierten“ Deutschunterrichts rücken, der - mit Blick auf die dargestellten Forschungsergebnisse - der heutigen medialen Wirklichkeit der Heranwach- senden längst nicht mehr gerecht werden würde (vgl. Frederking 2010, 521; 530 f.).

2.3 „Medienkompetenz“ als Schlüsselbegriff

Grundlage aller Bildung und lebenslangen Lernens ist die sichere Beherrschung der Kulturtechni- ken, zu denen traditionell Lesen, Schreiben und Rechnen gehören [...] Als neue Grundkompetenz muss in der Wissensgesellschaft die Medienkompetenz hinzutreten (Initiativkreis Bertelsmann Stiftung 1999, 22).

Eine veränderte Medienausstattung bei den Jugendlichen9 eröffnet ihnen vielfältigere Unter- haltungs-, Informations- und Kommunikationsangebote, bringt jedoch gleichzeitig gestiegene Anforderungen an das Lernen und Zurechtfinden in der medialen Welt mit sich, die in allen Lebensbereichen von Interaktion und Kommunikation geprägt ist. Mit jedem neuen Medium muss der Nutzer komplexere Voraussetzungen erfüllen und sich neues Medienwissen aneig- nen, um einen kompetenten Umgang mit dem Medium sicherzustellen. Medienkompetenz ist deshalb keine Fähigkeit, die einmalig erworben wird, sondern muss - so fordert die Bertels- mann-Stiftung - als fortwährende Bildungsaufgabe und elementarer Bestandteil der in der Schule zu erlernenden Kompetenzen ernst genommen werden. Da es für die Zielsetzung dieser Arbeit erforderlich ist, das in fachdidaktischer Literatur dargestellte, auf die Schule und i. e. S. den Deutschunterricht ausgerichtete Verständnis von Medienkompetenz zu erweitern,10 wird mit Norbert Groebens Modell eine außerschulische Perspektive eingenommen. Im weiteren Verlauf wird diese zunächst sehr theoretische Grundlage in eine unterrichtspraktische Analyse eingebunden, um etwaige Realisierungsmöglichkeiten im schulischen Kontext zu überprüfen.

Medienkompetenz versteht Groeben als wichtigsten Aspekt des gesellschaftlichen Wandels und als „Reflex“ (Groeben 2002a, 11) einer Entwicklung zur Mediengesellschaft. Um ein schlüssiges Konzept darlegen zu können, bestimmt er den Medien- und Kompetenz-Begriff näher. Er legt einen Medienbegriff mittlerer Reichweite zugrunde, d. h. unter Medien sollen vor allem „technologische Kommunikationsmittel bzw. -instrumente“ (Groeben 2002b, 160) verstanden werden, „ohne aber zu vernachlässigen, dass damit auch Sozialisationsinstanzen vorliegen“ (ebd.). Groeben schreibt den Medien als Gesamtheit demnach eine Enkulturations- und Sozialisationsfunktion zu, wobei er immer von der individuellen Mediennutzung auf der Mikroebene ausgeht, um auf deren Funktionen auf der Meso- und Makroebene, d. h. für Gruppen und gesellschaftliche Systeme, zu schließen (vgl. Groeben 2002a, 14). Den Kompe- tenz-Begriff führt er historisch auf Chomsky zurück, wendet sich jedoch davon ab, Medien- kompetenz analog zur Sprachkompetenz als eine angeborene Fähigkeit zu betrachten, sondern betont den prozesshaften Charakter des Kompetenzerwerbs. In Anlehnung an Mikos versteht er Medienkompetenz stets als Medienhandlungskompetenz (vgl. ebd., 14 f.), womit er einen notwendigen dreifachen Bezug „zum Wissen der handelnden Subjekte; zu deren Bedürfnissen, Wünschen und Phantasien; zu alltäglichen Handlungssituationen“ (Mikos 1999, 22) betont. Daraus ergibt sich „das gesellschaftlich handlungsfähige Subjekt“ als oberster Grundwert bzw. den Dimensionen vorgelagerter Rahmen.

Vor diesem Hintergrund formuliert Groeben ein multidimensionales Modell, das sich mit sieben Dimensionen an bereits bestehenden Konzeptionen von Baacke und Tulodziecki orientiert. In vielen Aspekten nimmt er jedoch eine Ausdifferenzierung und Generalisierung vor, um eine spezifisch subjektzentrierte Sichtweise unter lebensweltlichem Bezug zu ermöglichen statt bloße normative Zielsetzungen von Medienkompetenz zu entwickeln.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Medienkompetenz-Modell nach Groeben (Quelle: eigene Darstellung)

Medialitätsbewusstsein steht in Groebens Konzept als kognitive Komponente an erster Stel- le, da es die Voraussetzung für alle nachfolgenden medialen Verarbeitungsmuster bildet. Der Mediennutzer soll hier das Bewusstsein erlangen, dass er sich nicht in der alltäglichen Realität, sondern in einer medial konstruierten Welt befindet, was Unterscheidungen auf drei Ebenen erfordert. Zum einen ist die Unterscheidung zwischen Medialität und Realität notwendig, da- mit das alltägliche Leben nicht mit der Realität in einem fiktiven Computerspiel gleichgesetzt wird sowie zwischen Fiktionalität und Realität, da in medialen Inhalten sowohl reale, tatsäch- lich stattgefundene als auch fiktionale, erfundene Dinge präsentiert werden. Zum anderen ist die Differenzierung zwischen Para- und Orthosozialität nötig, d. h. der Rezipient muss bspw. zwischen der Persönlichkeit, die ein Schauspieler im Film darstellt und der Person im realen Leben differenzieren, da sonst die Gefahr besteht, dass diese Grenze nicht wahrgenommen und eine Verbindung oder gar Beziehung zu einer medialen Figur aufgebaut wird (vgl. Gro- eben 2002b, 166). Medienwissen umfasst nach Groeben all das, „was auch die Wissenschaft über die Medien, ihre Strukturen, Bedingungen und Wirkungen in der Gesellschaft herauszu- finden in der Lage ist“ (ebd. 167), wobei dieses Wissen in unterschiedlichen Kategorien vor- handen sein sollte - von rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen einzelner Medien über bestimmte Arbeitsweisen von Medien bis hin zu ihren Wirkungen (vgl. ebd., 166 f.). Die Ausbildung medienspezifischer Rezeptionsmuster geht mit Medienwissen und Medialitätsbewusstsein einher, denn je nach Medium werden andere Fähigkeiten vom Nutzer verlangt, die von technisch-instrumentellen Fähigkeiten wie beim Computer bis hin zu kom- plexen kognitiven Verarbeitungsmustern beim Print-Medium reichen können. Verbunden damit ist der Aufbau adäquater Erwartungen an ein Medium, z. B. dass der Nutzer die Unter- schiede zwischen einem Internet-Chat und einer persönlichen Begegnung realisiert, um nega- tive Effekte möglichst vermeiden und positive Effekte maximieren zu können (vgl. Krommer/ Dreier 2010, 674).

Obwohl die Genussfähigkeit „motivational der entscheidende Faktor für die Aufnahme und Aufrechterhaltung von Medienrezeption“ (Groeben 2002b, 170) ist, ist die affektive Dimensi- on der Medienkompetenz eher unzureichend begründet und erforscht, da die Priorität bislang auf der Förderung von Kritikfähigkeit lag. Erst als das Identifikationsbedürfnis sowie der Un- terhaltungswert literarischer Texte in den Fokus der Literaturdidaktik rückten, wurde die Ge- nussfähigkeit als Komponente von Medienkompetenz zunehmend akzeptiert, muss jedoch als zukünftige Forschungsaufgabe weiter ausgearbeitet werden (vgl. ebd.). Die normative Dimen- sion der medienbezogenen Kritikfähigkeit gilt historisch betrachtet als Kerndimension aller Konzeptionen von Medienkompetenz. Sie ist mit dem Ziel verbunden, „sich von medialen Angeboten nicht überwältigen zu lassen, sondern eine eigenständige, möglichst rational be- gründete Position aufrechtzuerhalten“ (ebd., 170), damit problematische Botschaften eines Mediums mit eigenen Überzeugungen verglichen werden können und ggf. mit Distanz oder Ablehnung auf diese reagiert werden kann (vgl. ebd., 172 f.).

Gesellschaftliche Handlungsfähigkeit eines Individuums wäre nicht denkbar ohne die Selek- tion und Kombination von Mediennutzung, d. h. die Fähigkeit, aus der Vielfalt der Medi- enangebote und -inhalte je nach Bedürfnis, Zielsetzung und Problemstellung angemessen aus- zuwählen. Aufgrund der Komplexität und des Überangebots der Medien beinhaltet Selekti- ons- und Entscheidungskompetenz immer auch eine Orientierungsfähigkeit, um anhand von Medienwissen verschiedene individuelle Medienkombinationen und -verbünde aufzubauen, was zu einer gelingenden Mediensozialisation des jeweiligen Nutzers beiträgt (vgl. ebd., 175 f.). Eine kompetente Mediennutzung geht neben der Rezeption mit medienspezifischen Par- tizipationsmustern einher. Diese technische und zugleich sehr handlungsorientierte Dimen- sion umfasst die Art und Weise, wie der Nutzer mit den medialen Inhalten umgeht bzw. an ihnen teilnimmt. Generell herrscht immer ein Kontinuum zwischen Rezeption und Produktion, da der Mediennutzer sich bei keinem Medium ausschließlich in der Rolle des Rezipienten befindet. Dies wird besonders im Web 2.0 deutlich, denn es hebt traditionelle Grenzen zwischen Rezipienten und Produzenten auf und ist ohne aktiv parti- zipierende Nutzer, die in sozialen Netzwerken Profile erstellen, in Blogs eigene Texte veröf- fentlichen und Texte anderer Nutzer kommentieren [...] nicht denkbar (Krommer/Dreier 2010, 675).

Auch innerhalb der Literaturdidaktik zeigen sich Weiterentwicklungen in diesem Bereich.

Wurde das Print-Medium stets eher der Rezeption zugeordnet, gibt es mittlerweile Modelle, die vielfältige Möglichkeiten zur Produktion aufzeigen. Darüber hinaus kann die produktive Partizipation an Medien, wie bspw. mittels eines fiktiven Nicknamens, fiktiver Interessen oder eines fiktiven Lebenslaufs, eine elementare Funktion für die Identitätsbildung des Individuums erfüllen (vgl. Groeben 2002b, 176 ff.).

Mit der Einbindung einer sozialen Dimension hat Groeben sein Konzept im Vergleich zu bis- herigen Modellen fundamental erweitert. Anschlusskommunikation beinhaltet „solche Kommunikationen [...], die außerhalb der medienspezifischen bzw. -bezogenen Rezeptions- und Partizipationsmuster ablaufen“ (ebd., 178). Prozessual findet Anschlusskommunikation somit am Schluss statt, sie ist jedoch gleichzeitig Voraussetzung für die Entwicklung der an- deren Teildimensionen von Medienkompetenz. Erst die Kommunikation in der Familie, in der Schule oder im Freundeskreis ermöglicht die dialogische Ausbildung anderer Teilkompeten- zen bei Kindern und Jugendlichen, sodass diese Dimension bereits während Kommunikati- onssituationen im frühen Kindesalter, wie z. B. beim Vorlesen, einen hohen Stellenwert be- sitzt. Grundlegend nimmt die Anschlusskommunikation Einfluss auf die persönliche Identi- tätskonstruktion des gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekts, da stets ein Abgleich der eigenen mit gesellschaftlich vorgegebenen Identitätsmustern stattfindet.

Medienkompetenz, so wie Groeben den Begriff anhand von sieben Dimensionen darlegt, ist nicht manifestiert, bezieht sich nicht allein auf technisches Wissen oder kognitive Fähigkeiten, sondern bleibt aufgrund seiner Offenheit flexibel adaptierbar und weist einen umfassenden Bezug zur Lebenswirklichkeit des Individuums sowie zur kulturellen Teilhabe auf. Diese kann in der gegenwärtigen Mediengesellschaft nur gelingen, wenn Individuen Kompetenzen entwickeln, die ihnen zu einem adäquaten, reflektierten Medienumgang verhelfen. Der Institution Schule kommt an dieser Stelle eine Schlüsselfunktion zu. Sie kann als Ort der Bildung und Erziehung einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung und Förderung von Medienkompetenz leisten, werden digitale Medien und neue Kommunikationsformen als Bereicherung des Fachunterrichts wahrgenommen und reflektiert eingesetzt.

[...]


1 Dieser Begriff stammt aus der Medientheorie von Marshall McLuhan und bezieht sich auf die moderne Welt, die durch elektronische Kommunikationsmedien zu einem „Dorf“ zusammenwächst (vgl. McLuhan/ Powers 1995).

2 Wird in Abgrenzung zu „Digital immigrants“ verwendet (vgl. Süss/ Lampert/ Wijnen 2013, 16 f.) 6

3 Vgl. hierzu Frederking/ Kepser/ Rath 2008, 8 ff.

4 „Nur 14% der befragten Schüler und Schülerinnen geben an, häufiger mit dem Computer im Deutschunterricht zu arbeiten. Bei 79% der Befragten kommen die neuen Digitalmedien eher selten zum Einsatz“ (Frederking/ Kepser/ Rath, 11).

5 Zur besseren Lesbarkeit wird nachfolgend die männliche Form verwendet, die die weibliche Form stets mit einschließt.

6 Vgl. hierzu Staiger 2007, 136 ff.

7 Vgl. hierzu Süss 2013, 21.

8 Vgl. Abschnitt 2.3.

9 Vgl. Abschnitt 2.1.

10 U. a. hat Petra Josting ein Medienkompetenz-Modell für den Deutschunterricht entworfen, das auf der Grundlage von vier unterschiedlichen Formen von Medienkompetenz erforderliche Fähigkeiten, Rezeptions- und Wahrnehmungsweisen ausweist (vgl. Josting 2008, 78 ff.).

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Details

Titel
Fördert der "Chat" die Medienkompetenz? Deutschdidaktische Möglichkeiten und Grenzen der computervermittelten Kommunikationsform
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
60
Katalognummer
V316723
ISBN (eBook)
9783668155145
ISBN (Buch)
9783668155152
Dateigröße
1432 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medienkompetenz, Deutschunterricht, Didaktik, Literaturdidaktik, Chat, Mediensozialisation, Schule, Computer, Internet, Medien, Sprache, Kommunikationsform
Arbeit zitieren
Isabel Potthoff-Wenner (Autor:in), 2015, Fördert der "Chat" die Medienkompetenz? Deutschdidaktische Möglichkeiten und Grenzen der computervermittelten Kommunikationsform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316723

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Titel: Fördert der "Chat" die Medienkompetenz? Deutschdidaktische Möglichkeiten und Grenzen der computervermittelten Kommunikationsform



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