Der "PISA-Schock" in Norwegen. Politische und ökonomische Hintergründe der PISA-Studien


Seminararbeit, 2015

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung:

I. Einleitung

II. PISA und TIMSS

III. Norwegen im Fokus der Bildungspolitik

IV. Fazit

V. Literatur

I. Einleitung

Die seit einigen Jahren regelmäßig durchgeführten PISA-Studien sind mehr als nur einfache Vergleichstests zwischen gleichaltrigen Schülern, denn hinter PISA steht die OECD, und damit eine mächtige internationale Organisation mit der globalen Agenda der Wirtschaftsförderung im Sinne des angelsächsisch gefärbten (Neo-)Liberalismus, also einer überaus wirkmächtigen Ideologie.

Die OECD selbst, mit ihren 34 Mitgliedern, von denen die 20 Gründungsmitglieder praktisch identisch mit der NATO sind, plus die militärisch neutralen Länder Schweden und Schweiz, macht aus dem Primat der Wirtschaft wenig Hehl, Soziales und Umweltschutz kommen erst auf Stelle 2 und 3 ihrer selbstgenannten Ziele[1].

Ohnehin ist die dezidiert prowestliche Ausrichtung der Organisation offensichtlich, schon aus ihrer Herkunft aus der OEEC heraus, besser bekannt als Marshall-Fund, also dem wesentlich aus US Mitteln finanzierten Wiederaufbau Westeuropas nach dem Weltkrieg. Auch die Nuclear Energy Agency ist unter ihrem Dach angesiedelt, nicht zu verwechseln mit der IAEA der UNO mit Sitz in Wien.

Insofern ist es mitunter etwas verwunderlich, daß die OECD in der öffentlichen, und teils heftigen Debatte über Bildungspolitik, schließlich schlug der „Pisa-Schock“ besonders heftig in Deutschland und in skandinavischen Ländern, vor allem Norwegen, ein[2], meist unkritisch als neutraler Beobachter wahrgenommen wird, obwohl sie aktiv die politische Agenda im Sinne ihrer Ideologie beeinflusst.

Und diese Agenda beißt sich durchaus mit der in den klassisch sozialdemokratischen Ländern in Nord- und Mitteleuropas verbreiteten Bildungsphilosophie der Chancengleichheit aller sozialen Schichten, aber eben auch der klassischen humanistischen Bildung, so spielen musische Fächer z.B. keine Rolle, ebenso wenig wie Sozialkunde, Geschichte, sozio-politischer Kontext et.c..

Im Folgenden soll also der Hintergrund der PISA-Tests im Rahmen der OECD diskutiert werden, und wie sich die regelmäßigen PISA-Studien auf die nationale Bildungspolitik und die öffentliche Debatte darüber auswirken, im Hinblick auf die durchaus spezielle Lage in Norwegen.

II. PISA und TIMSS

Diese beiden Studien werden oft in einem Atemzug genannt, unterscheiden sich aber in wesentlichen Punkten, wie Methodik, Finanzierung und politischem Hintergrund.

TIMSS, Trends in International Mathematics and Science Study , ist was der Name verspricht, ein seit 1995 im vierjährigen Turnus international durchgeführter vergleichender Mathematik- und Naturwissenschafts-Test[3]. Dieser findet jeweils in den Klassen 4 und 8 statt, und orientiert sich an den jeweiligen nationalen Curricula.

Während bei dem ersten Test dieser Art, sinnigerweise First International Mathematics Study genannt, noch 12 Länder teilnahmen, sind es mittlerweile über 60 Teilnehmerländer neben den westlichen Ländern auch Russland und diverse asiatische Länder, wobei eben jene auch ausgesprochen gut abschneiden.

Ausgerichtet wird das ganze von der IEA, International Association for the Evaluation of Educational Achievement, mit Sitz in Amsterdam. Die IEA geht auf ein UNESCO-Projekt im Jahr 1958 zurück, und kann wohl als neutral gelten.

Die Finanzierung ist staatlich, und wird jeweils von den Teilnehmerländern gestemmt, die Zahl privater Partner ist überschaubar[4], nämlich Educational Testing Service aus Princeton, allerdings werden die formal staatlichen Tests in den USA von Ford gesponsert, was den Preis auf kaum 30.000 $ pro Jahr drückt[5]. Die Kosten der PISA-Studien sind praktisch unbekannt.

Die mathematisch-statistischen Verfahren zur Auswertung der Testergebnisse waren offenbar Vorbild für die PISA-Studien, zumal bestimmte Leute wie Peter Fensham an beiden Programmen beteiligt waren[6], doch hält sich die OECD in diesem Punkt sehr bedeckt, es herrscht da faktisch Geheimhaltung.

Schon hier zeigt sich einer der Hauptunterschiede zur IEA, die nahezu völlige Intransparenz seitens der OECD in diesem Feld, die übrigens auch in völligem Gegensatz zu ihren üblichen ökonomischen Vergleichsstudien steht, die OECD Zahlen zum Gross National Product einzelner Industrieländer und dergleichen mehr, sind oft die einzig brauchbaren Zahlen überhaupt, weil nationale Statistikbehörden die nationale Wachstumsstatistik schon aus Prinzip fälschen.

Der naheliegende Grund dafür ist, daß die eigentlichen Testfragen, die Items, wiederverwendet werden, und man verhindern will, daß bestimmte Länder die Leistung ihrer Schüler durch Kenntnis der Items gezielt pushen, was angesichts der Gewohnheiten in Ostasien[7], auch das letzte Quantum Leistung aus ihren Kindern herauszuholen, oft auch durch chemisches „Doping“mit Ritalin und dergleichen[8], durchaus berechtigt ist. Auch die TIMSS hält den Kern ihrer Items aus diesem Grunde geheim, doch orientiert sich die Studie am nationalen Curriculum, was das ganze deutlich vorhersehbarer macht.

Die PISA-Studien, die seit 2000 alle 3 Jahre in den Disziplinen Mathematik, Naturwissenschaft und Leseverständnis, in nunmehr 65 Ländern durchgeführt wird, orientiert sich hingegen ausdrücklich NICHT am nationalen Unterricht.

Stattdessen verwenden sie einen Pool aus eben jenen „kontextuellen“ Items, die auf „authentischen“ Textaufgaben basieren, die also jeweils in einem der Mitgliedsländer mal gestellt worden sind, und von den Vertragspartnern der OECD für politisch korrekt und neutral bewertet wurden. Dadurch sind sie notwendigerweise identisch für alle Teilnehmer der Studie, in allen Ländern, was zwangsläufig zu Übersetzungen, und damit auch zu Übersetzungsfehlern führen muss. Zudem gibt es eine gewisse Bevorzugung von ursprünglich englischsprachigen Testfragen, nicht zuletzt wegen des Übersetzungsdilemmas, was aber natürlich dem Dogma der Vorurteilsfreiheit der PISA zuwiderläuft.

Ohnehin gibt es zahlreiche Widersprüche und Paradoxien im Rahmen der Methodik, auch und gerade bei der Auswertung der Statistik; So wird z.B. auch nicht nach Klassenstufen getestet, sondern nach Altersgruppen, wodurch zahlreiche Verzerrungen entstehen, weil in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Alterskohorten die teilnehmenden Schulklassen frequentieren[9]. Und Länder mit hoher sozialer Ungleichheit wie die USA, aber auch Italien mit seinem Mezzogiorno, haben teils krass nach Regionen divergierende Testergebnisse, von Spitzenklasse bis dritte Welt.

Bezeichnend auch das Tabu mit dem das Wort Intelligenztest innerhalb PISA belegt ist[10], obwohl es sich, durch die Ablösung von nationalen Curricula und der Standardisierung für zig Länder, de facto als eben solcher lesen lässt.

Die in der Literatur reichlich vorhandene Kritik an der Methodik von PISA ist aber nicht Kern dieser Arbeit, sondern die Beeinflussung nationaler Bildungspolitik durch eben diese Studien, und Wie erwähnt, ist das Wort Intelligenztest innerhalb der PISA-Studien tabuisiert, nicht zuletzt deshalb, weil keine Regierung es schriftlich bekommen will, daß ihre Schüler zu „doof“ sind, noch dazu in einer Studie, die sie auch noch selbst finanziert haben, und zwar mit den Steuergeldern von den Eltern dieser Kinder.

Dies führt direkt zum undurchsichtigsten Kapitel der PISA-Studien, der Finanzierung. Während TIMSS noch mehr oder weniger direkt staatlich finanziert ist, siehe eingangs Ford, bewegt sich PISA auf den Pfaden der halbstaatlichen P rivate Public Partnership. Gjert Langfeldt beschreibt in einem passenderweise PISA INC.[11] genannten Kapitel, die Abhängigkeit von privaten Unternehmen wie WESTSTAT(US) und CITOGROEP(NL), sowie halbstaatlichen Unternehmen wie dem schon bei TIMSS prominenten ETS(US) und dem Hauptpartner der OECD in Bildungsfragen, ACER(AUS). Der Artikel Langfeldts bezieht sich auf den Test von 2003, aber die Lage sieht 2012 kaum anders aus[12], CITOGROEP ist wohl raus, dafür sind nun auch deutsche und norwegische Institute dabei, einschließlich der Leibnizgesellschaft. Weitere Contributoren sind innerhalb diverser Annexe versteckt, und die genauen Kosten der Studien sind geheim, mit Hinweis auf die Geschäftsinteressen der beteiligten Unternehmen, doch aufgrund vereinzelter durchgesickerter Informationen und Reaktionen auf offizielle Anfragen diverser Lokalpolitiker, lassen sich die Kosten ungefähr einschätzen, z.B. 64.000 € für ein kleines Bundesland wie Schleswig-Holstein pro Jahr und mehrere Millionen insgesamt für die großen und den Bund[13].

Über die Jahre hinweg summiert sich das zu einem Milliardengeschäft europaweit. Jahnke und Meyerhöfer dürften wohl recht haben mit ihrer These( PISA&Co, 2007), daß PISA als Türöffner betrachtet werden muss, um eine Industrie für Standardtests in kontinentalem Maßstab zu schaffen. Am Ende der Kette käme dann ein europäisches Standardabitur, bzw. ein europäischer Universitätszugangstest, geradeso wie in den USA. Dies ist nur die logische Folge, wenn man die Bologna-Reformen zu Ende denkt.

Dies wiederum trifft sich wie von Zauberhand mit der neoliberalen Ideologie von OECD,Weltbank und IWF, was natürlich auch kein Zufall ist, weil die „Mainstream“-Ökonomen zwischen diesen supranationalen Institutionen hin und her wechseln, unterbrochen von Ausflügen in die Unternehmensberatung und oder Ratingagenturen.

Ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen über den Endlos-Streit zwischen Chigaco-Schule und Keynesianern, also Angebots- und Nachfrage-orientierten Ökonomieschulen, die allgemeine Stoßrichtung des Neoliberalismus als politische Denkschule ist klar : Privat gut, Staat schlecht.

[...]


1 Siehe OECD.org/about , abgerufen 5.8.2015

2 SjØberg,Svein: Pisa and Real Life Challenges. Mission impossible?, in Hopmann/Brilek/Retzel: Pisa zufolge Pisa, Wien 2007, S.203ff

3 Siehe en.wikipedia.org/wiki/Trends_in_International_Mathematics_and_Science_Study, abgerufen 11.8.15

4 Siehe www.iea-dpc.de/studies/current-studies/timss-1995-2015.html, abgerufen 11.8.15

5 Langfeldt, Gjert: PISA- Undressing the Truth or Dressing Up a Will to Govern, in Hopmann/Brilek/Retzel: Pisa zufolge Pisa, Wien 2007, S.238

6 SjØberg: Pisa and Real Life Challenges., 2007, S.207

7 Ein Ausdruck der konfuzianischen Kultur, und ein Nachklang der elitären Ausbildung der kaiserlichen Beamten, der Mandarine, die so oder so ähnlich auch in Japan und Korea seit dem Mittelalter nachgeahmt wurde.

8 SjØberg: Pisa and Real Life Challenges., 2007, S.222

9 Zu den zahlreichen und systematischen Statistikfehlern Wuttke, Joachim: Uncertainties and Bias in PISA, in Hopmann/Brilek/Retzel: Pisa zufolge Pisa, Wien 2007, S.241ff

10 Wuttke: Uncertainties and Bias in PISA, 2007, S.260

11 Langfeldt: PISA- Undressing the Truth or Dressing Up a Will to Govern, 2007, S.239

12 www.oecd.org/pisa/pisaproducts/PISA%202012%20Technical%20Report_Chapter%201.pdf, abgerufen 12.8.15

13 Lind, Georg: Was kostet Pisa?, http://www.phil-fak.uni- duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Institute/Sozialwissenschaften/BF/Lehre/Materialien/Pisa/Georg%20Lind_Was %20kostet%20PISA.pdf, abgerufen 12.8.15

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der "PISA-Schock" in Norwegen. Politische und ökonomische Hintergründe der PISA-Studien
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Erziehungswissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V316227
ISBN (eBook)
9783668151796
ISBN (Buch)
9783668151802
Dateigröße
1008 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eher politikwissenschaftlich orientierte Arbeit
Schlagworte
pisa-schock, norwegen, politische, hintergründe, pisa-studien
Arbeit zitieren
Philipp-Henning v. Bruchhausen (Autor:in), 2015, Der "PISA-Schock" in Norwegen. Politische und ökonomische Hintergründe der PISA-Studien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316227

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