Sallusts entlarvende Reden. Memmius, Lepidus, Philippus und Macer


Bachelorarbeit, 2015

49 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Methode der Untersuchung
2.2 Memmius
2.3 Lepidus
2.4 Philippus
2.5 Macer

3. Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Romer, es gibt einige Romer, denen es zu viele Romer in Rom gibt. [...] Ihr, Romer, wohnt in elenden Mietskasernen zu viert in einem Kammerchen, man konnte vielleicht sagen, es gibt zuwenig Kammerchen, aber einige Romer sagen, es gibt zu viele Romer. [...] Tatsachlich wohnen einige Rauber in den Palasten und Garten, und der Rest wohnt zusammengepfercht in den Mietshausern. Tatsachlich schlagen sich einige Romer den Bauch voll mit allen Leckerbissen Asiens, und der Rest steht um Gratiskorn an. Bibulus und seine Freunde im Senat, das sind die Versprechungen. Ich und meine demokratischen Freunde, das ist der Friede, das ist der Boden. Romer, lasst einige Romer den Bibulus wahlen, ihr aber, der Rest der Romer, wahlt Caesar![1]

Stammte diese Passage aus einem Werk eines antiken Autors, so wurde man nicht zu Unrecht mit vielen Aufsatzen rechnen, die versucht waren,jede Passage undjede Aufierung genaustens unter die Lupe zu nehmen, um zu einer richtigen Deutung des Gesagten und des Redners zu kommen. Man wurde die popularen Allgemeinplatze ausmachen und den antithetischen Charakter der Rede betonen und anschliefiend die Frage formulieren: Was daran ist wahr und was falsch? Welche Absichten verfolgt der Redner, welche der Autor etc. Dies erubrigt sich an dieser Stelle, da Brechts Leser mit der Verschlagenheit und dem Pragmatismus der Hauptfigur Caesar von Beginn an vertraut sind und wissen, dass seine Ansprache vor den ,,Distriktsobleuten der Wahlkomitees“ einen erneuten Beleg fur seine politische Raffinesse und sein Schindluder liefert. Der Leser kann sich folglich zurucklehnen und die Lekture sorglos auskosten, es sei denn, er ist bestrebt, Analogien zu zeitgenossischen Politikern und ihrem Gebaren herauszuarbeiten.

Anders verhalt es sich mit antiken Autoren im Allgemeinen und ihren ins Werk eingeflochtenen Reden im Besonderen. Sie sind „ungefiltert“ auf uns gekommen, im Gegenteil: die Verfasser sind bemuht, ihre Leser bei der Lekture vor viele Herausforderungen zu stellen.[2] Dies trifft zweifelsohne auch auf Sallust zu. Nicht ohne Grund fallt in der Forschung die Deutung seiner Protagonisten so unterschiedlich aus. Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt, wenn wir uns Catilina anschauen: Auf den ersten Blick gibt er eine typische Schurkenfigur ab. Lesen wir aber zwischen den Zeilen, so wird ersichtlich, dass auch er mit guten Eigenschaften versehen ist und somit als ein ambivalenter Charakter dargestellt wird.[3] Diese Ambivalenz der von Sallust dargestellten Protagonisten soll das Thema dieser Arbeit sein. Ich habe mich dabei auf die Reden fokussiert, da sie aufgrund ihrer Kraft und Lebendigkeit grofie Faszination auf mich ausuben. Im Folgenden sollen populare Ansprachen untersucht werden, wobei die Auswahl auf die weniger abgehandelten Reden getroffen ist: die des Memmius, Lepidus und Macer.[4] Und obwohl Philippus nicht zur popularen Klientel gehort, habe ich ihn dennoch hinzugenommen, da man auf ihn nicht verzichten kann, wenn man Lepidus verstehen will.

Ausgehend von einer widerspruchlichen Darstellung der Figuren durch Sallust will ich ihre Reden analysieren und interpretieren. Die Frage wird sein, was der Redner konkret fordert und welchen Weg er vorschlagt, um zu seinem Ziel zu gelangen. Ferner welche Interessen und wie er sie vertritt: Handelt er in gruppenegoistischer Manier, oder behalt er das Ganze - die res publica - im Auge? An welcher Stelle kollidiert das Gesagte mit dem wahren Gehalt seiner Aufierungen? Und wie druckt sich das aus? Es ist naturlich von Interesse, dies mit den Ansichten von Sallust zu uberprufen. Dabei stellt sich folglich die Frage, wie der Autor die Dinge im Allgemeinen und seine Redner im Besonderen bewertet, was er uber ihre Losungsvorschlage denkt. An welchen Stellen spricht der Redner Wahres aus und wo er irrt er sich in seiner Einschatzung? Daraus ergibt sich ferner die Frage, worauf sein Irrtum zuruckzufuhren ist und was er hatte sagen sollen, welche Alternative also der Autor empfiehlt, wenn er denn uberhaupt eine hat. Als Letztes spielt bei der Bewertung des Redners eine Rolle, wie er seinem Publikum begegnet. Macht er das auf konstruktive Weise, oder tritt er ihm anmafiend gegenuber? Hetzt er die Zuhorer gegen seine Kontrahenten auf, oder wirkt er mafiigend auf sie ein? Es durfte dabei klar sein, dass viele andere Fragen aufien vor bleiben und somit unbeantwortet bleiben; dennoch hoffe ich, einen kleinen Beitrag zu leisten, um bestehende Lucken zu schliefien.

2. Hauptteil

2.1 Methode der Untersuchung

Um die Aussagen der sprechenden Figuren richtig deuten zu konnen, wird als erstes notwendig sein, kurz auf ihre Person einzugehen. Dabei wird von Interesse sein, weshalb gerade diese Figur dazu auserkoren wurde. Ferner soil die konkrete politische Situation kurz skizziert werden, so dass sich uns der Kontext im Groben erschliefit und uns ermoglicht, den Akteur besser einzuschatzen zu konnen. Dies ist v.a. fur diejenigen in den Historien der Fall, da uns hier aufgrund der Beschaffenheit der Uberlieferung die notwendigen Angaben zum Umfeld der Rede fehlen und der Interpretationsspielraum von vornherein eingeschrankt wird. Daher werde ich mich bei der Untersuchung von Lepidus, Philippus und Macer darauf beschranken herauszuarbeiten, welche soziale und politische Perspektive dem Rezipienten prasentiert wird und inwiefern diese mit der Selbstdarstellung des Redners ubereinstimmt. Ferner prasentieren diese Redner eine eigene Sicht auf die jungere wie auf die weiter zuruckliegende Vergangenheit, was nicht nur viel uber sie selbst aussagt, sondern sie daruber hinaus „versehentlich“ entlarvt. Dies gilt v.a. in der Darstellung ihrer eigenen Rolle, die sie in den bestehenden Konflikten gespielt haben bzw. spielen. Hier ergeben sich einige Divergenzen, die ich aufgreifen und in die Deutung ihrer Person integrieren werde. Denn nicht selten bergen sich personliche Eigenschaften und die eigenen Ziele der Figuren wie unter einem Gewand, ja, sie sind regelrecht maskiert. Aufierdem deutet uns des Ofteren der Autor kunstvoll an, dass das Gesagte mehr als nur eine Deutungsebene hat. In dem Sinne sollen auch die von den Rednern erhobenen Vorwurfe gegen die Kontrahenten eine besondere Berucksichtigung finden und daraufhin uberpruft werden, inwiefern sie einerseits zutreffend sind und andererseits ob sie nicht ebenso auf sie selbst bezogen werden konnen.

In der Beschaftigung mit Memmius sind wir im Vergleich zu den Reden aus den Historien dadurch im Vorteil, dass uns hier der Kontext vorliegt: Sallust gibt seinem Leser an, unter welchen Umstanden der Volkstribun gesprochen hat, mit welcher Motivation, was er bewirkt hat und welche Funktion seiner Rede im Gesamtwerk zukommt. Daher soll in der Analyse seines Charakters das literarische Umfeld erschlossen werden.[5] Hierbei wird wichtig herauszuarbeiten, wie uns der Redner eingefuhrt wird im Hinblick auf die Entwicklung der Figur innerhalb der Erzahlung. Ein Augenmerk soil darauf gerichtet sein, wie Sallust den Volkstribun einfuhrt und ob dieser seinen redlichen Absichten treu bleibt, oder sich etwa im Laufe der Handlung zum Schlechten hin entwickelt, wie Levene es generell fur alle Handlungstrager in Jugurtha festgestellt hat.[6] Zweifellos wird die Rede im Zentrum der Analyse stehen. Besonderes Gewicht werde ich auf die Wortwahl legen, zumal es bei Memmius gilt herauszufinden, unter welchen Parolen und fur welche Ziele er seine Zuhorer mobilisieren will. Hier soll darauf eingegangen werden, ob es sich um hohle populare Phrasen handelt, oder ob diese doch mehr Ambivalenz aufweisen als auf den fluchtigen Blick ersichtlich. Ebenso wichtig wird die Berucksichtigung des Tons sein, in dem die Rede gehalten ist. Hierzu werde ich auf die von Pausch herausgearbeiteten Thesen zur Verwendung der Polyphonie und Multiperspektivitat zuruckgreifen.[7] Sie scheinen mir insofern fruchtbar zu sein, da wir dadurch von eindimensionalen Urteilen uber einzelne Figuren wegkommen und uns uber sie ein facettenreicheres Bild machen, so dass wir dem Vorhaben des Autors gerecht werden konnen. Schliefilich ermoglicht uns das, Sallust und sein Werk als Ganzes besser einschatzen zu konnen.

2.2 Memmius

Als Erstes skizziere ich kurz den Kontext, in dem C. Memmius eingeflochten wird. Im Anschluss daran soil erfasst werden, wie uns der Autor den Volkstribunen durch Wort und Tat einfuhrt. Den grofiten Raum wird selbstverstandlich die Analyse seiner Rede finden. Im nachsten Schritt geht es darum, Memmius' Rolle nach seinem Auftritt und die Entwicklungen, die er in Rom durch sein Debut auslost, genauer unter die Lupe zu nehmen. Dies findet seinen Abschluss mit dem Kapitel uber den „Parteienkampf‘ (41f.). Da seine Rolle in der Forschung umstritten ist - ,,unverantwortlicher Demagoge“ vs. „Idealpostulat“ -, werde ich dieser Frage einen besonderen Augenmerk widmen.[8] Zum Schluss soll der Bezug auf die Haltung Sallusts zu seiner Figur im Besonderen hergestellt werden als auch im Allgemeinen darauf, ob denn die Funktion dieses Protagonisten fur die Sinnlosigkeitjeglichen popularen Unternehmens spricht oder nicht.

Jugurtha, einst ein Mann mit ansehnlichen charakterlichen Qualitaten,[9] wird durch den Umgang im romischen Heer rasch verdorben und begreift, nach welchem Prinzip man zu seinen Zielen gelangt: Romae omnia uenalia esse (8,1). Nach der Ermordung seines Bruderkontrahenten sichert er sich mithilfe von Gold und Silber in Rom ab, so dass es nach Adherbals Auftritt im Senat dazu kommt, dass er zum ersten Mal ungeschoren entrinnen kann.[10] Es kommt zu der ersten Gesandtschaft nach Numidien und auch diese wird grofitenteils bestochen; die Rechtschaffenen bleiben in der Minderheit (paucis carior fides quam pecunia fuit; 16,5). Nach einer kurzen Unterbrechung des

Erzahlstranges durch den „Afrikaexkurs“ schwenkt Sallust zuruck und erinnert sein Publikum an das Scheitern der Mission der Gesandtschaft, indem er seinen Leitsatz durch Jugurtha bestatigen lasst: omnia Romae uenalia esse (20,l)[11].n Er bedrangt weiterhin Adherbal, dieser wendet sich hilfesuchend nach Rom, wieder kommt es zu einer Gesandtschaft, die nichts bewirkt, so dass Adherbal ein letztes Mal den Senat um Unterstutzung bittet. Zwar sind dort die Positionen geteilt, doch die Guten werden besiegt (Ita bonum publicum [...] priuata gratia deuictum, 25,3). Nun erfahrt die Erzahlung an Fahrt. Jugurtha kriegt es gar mit der Angst zu tun - er furchtet den Zorn des Senats (25,7). Die Gesandten kehren unverrichteter Dinge zuruck, Cirta, Adherbal, ja sogar die Italiker geraten in hochste Not. Letztere setzen - propter magnitudinem populi Romani (welch Tragik!) - auf Rom, alle werden jedoch niedergemetzelt (26,3). Damit hat Jugurtha das Fass zum Uberlaufen gebracht, die Nachrichten uber Cirta gelangen nach Rom, im Senat wird heftig verhandelt (agitari) und beinah hatte die Obstruktion der Fursprecher des Konigs Erfolg gehabt, wenn nicht C. Memmius interveniert hatte (27,2f.).

Wie wird uns Memmius vorgestellt? Als Erstes erfahren wir, in welcher institutionellen Funktion er agiert: als designierter Volkstribun. Dadurch wird im Leser eine gewisse Erwartungshaltung geweckt, zumal bisher stets nur Manner im Rang eines Konsuls oder Legaten gewirkt haben. Mit Memmius tritt zum ersten Mal die plebs auf die politische Buhne und zu Recht kann nun mit Widerstand gegen die Machenschaften der Nobilitat gerechnet werden, wie von Sallust im Proomium versprochen (quia tunc primum superbiae nobilitatis obuiam itum est, 5,2). Die Bedeutung der Figur des Volkstribuns ist wohl dadurch verstarkt, dass sie mit einem Konditionalsatz eingefuhrt wird, was so viel bedeutet: dass wenn es diesen Mann nicht gegeben hatte - der obendrein aus dem nichts auftaucht (deus ex machina) -, die Geschichte wohl ganz anders verlaufen ware.[12] Die Verwendung des einleitenden ac kann man aufgrund seines stechenden Lautes als einen adversativen Einwurf interpretieren.

Memmius ist ein uir acer et infestus potentiae nobilitatis (27,2). Bereits beim ersten Attribut ergeben sich aufgrund der Ambivalenz des Begriffs interpretatorische Schwierigkeiten. Sowohl bei Sallust wie auch bei anderen Autoren kann diese Bezeichnung positiv wie negativ konnotiert sein. Zuvor ist Jugurtha, im nachsten Kapitel Calpurnius, dann Metellus mit acer versehen.[13] Die offensichtliche Anhaufung dieses Ausdrucks kann als ein charakteristisches Merkmal der zugespitzten Situation innerhalb der Erzahlung angesehen werden. Weiter heifit es, Memmius sei ein Feind der Macht der Nobilitat. Man muss zugestehen, infestus habe einen aggressiven Anklang, ja es fungiere nahezu als militarischer Terminus technicus. Allerdings muss dies dahingehend entscharft werden, da es auf die potentia nobilitatis bezogen ist. potentia umschreibt insbesondere die Machtmittel, die ein Einzelner oder eine Gruppe innehat und aus der ihr Einfluss erwachst. Es ist zu betonen, dass es sich dabei zumeist um eine betrachtliche Macht handelt und ,,diese in einer Weise organisiert und eingesetzt wird, die den guten Sitten widerspricht.”[14] Wir konnen getrost davon ausgehen, dass Sallust diesen Sachverhalt ablehnt und also diese Charaktereigenschaft des Memmius gutheifit.

Das war es erst einmal mit dem Auftritt des Memmius, der bewirkt, dass der Senat in Furcht vor dem Volk gerat (27,3). Auch wenn diese begrundet ist - die Senatoren sind sich ihrer Vergehen bewusst (conscientia delicti) -, kann man sehr wohl sagen, dass die Atmosphare der Angst vom Autor missbilligt wird. Obwohl ein erneuter militarischer Anlauf seitens von Rom unternommen wird (27,4-28,7), uberzeugt dennoch Jugurtha mithilfe von grofizugigen Geldzuwendungen die romischen Feldherren, von ihrem Vorhaben abzulassen und alles bleibt beim Alten. Sallust jedoch macht durch seine konzis geaufierte Ironie (in Numidia et exercitu nostro pax agitabatur; 29,7) deutlich, dass sich die Situation nun noch mehr zugespitzt hat. Wieder verbreiten sich Geruchte in Rom und wieder wird uber die Schandtaten der Verantwortlichen heftig verhandelt; diesmal nicht nur im Senat wie in 27,1, sondern uberall und auf allen Versammlungen. Sowohl schwelgt die plebs in schwerem Unmut, als auch sind Senatoren voller Unruhe (30,1). Die Buhne fur den Auftritt des Volkstribuns ist frei, nur folgt - womoglich um die Erzahlung zu retardieren? - eine Vorwegnahme des Autors uber die Person des Redners und sein Sujet.

Die vor C. Memmius platzierte Konjunktion at lasst aufhorchen und eine entgegengesetzte Entwicklung im Geschehen erwarten. Freilich ist diese Erwartung berechtigt, da der Volkstribun einen freimutigen Charakter hat (libertas ingeni; 30,3). Vretska konstatiert zwar, dass „libertas nirgends bei Sallust einen negativen Wert hat”,[15] jedoch reicht es fur eine angemessene Beurteilung nicht aus, dieses Attribut isoliert zu betrachten; blicken wir also auf den weiteren Kontext. Memmius besitzt odium potentiae nobilitatis: Das erinnert stark an infestus potentiae nobilitatis aus 27,2, jedoch ist odium hier mit „Hass“ wiederzugeben, was eine Steigerung von infestus ware; da sich die Sachlage verscharft hat, ist dies fur den Leser nachvollziehbar und vertretbar. Ferner erlaubt die Eingrenzung seines Hasses auf die potentia Legitimitat, da er dadurch gezielt und nicht spontan oder willkurlich ausgeubt wird.[16] Die Scharfe, mit der Memmius hier charakterisiert wird, scheint durch den Sachverhalt erforderlich, da der Senat zogert und zaudert (inter dubitationem et moras senatus; 30,3). Also wird der Volkstribun das Volk ermuntern, die Vergehen der Nobilitat zu ahnden und ermahnen, das Gemeinwesen und ihre libertas nicht im Stich zu lassen.[17] Will man die Prioritaten in seinem Anliegen richtig beurteilen, dann ist die Reihenfolge der Objekte zu beachten: an erster Stelle steht die res publica, erst daraufhin folgt die libertas. Dies konnte man Buchner entgegnen, der meint, Memmius sei nicht ums Ganze bemuht und es werde nicht die gemeinsame Sache in den Vordergrund geruckt.[18] Allenfalls konnte man dem Redner vorwerfen, er gabe beiden Kola gleiches Gewicht und relativiere dadurch die Bedeutung des Gemeinwesens. Andererseits aber kommt ein popularer Agitator, ohne libertas zu postulieren, nur schwer aus.[19] In welchem Verhaltnis nun res publica und libertas letztendlich zueinander stehen, soll sich in der Rede zeigen. Als letzten Programmpunkt der anstehenden Ansprache nennt Sallust die Schandtaten der Nobilitat (multa superba et crudelia facinora nobilitatis ostendere). Da hier immer noch der auktoriale Erzahler spricht, fallt es schwer nicht zu glauben, die folgenden Worte des Memmius fanden bei Sallust keinen Anklang.[20] Kritisch zu lesen ist jedoch, welche Wirkung seine Darbietung erzielte: prorsus intentus omni modo plebis animum accendebat (30,3). intentus betont m.E. die Rastlosigkeit im Agieren des Volkstribuns, wobei die Wortverwandtschaft mit dem militarischen Sprachgebrauch nicht zu leugnen ist.[21] Wichtiger in der Beurteilung istjedoch das Entfachen der Gemuter der plebs, was den Satz abschliefit und der Vorstellung der nun ins Zentrum geruckten Figur den kronenden Abschluss gibt, sich also im Gedachtnis des Leser einpragt. Wir kommen nicht umhin, diese Umschreibung als etwas Gefahrliches zu sehen, tragt doch das Bild vom Feuer (animum accendebat) Zerstorerisches in sich. Mit dieser Marke haftet der Autor seinem Protagonisten eine Eigenschaft an, die ihn nicht ohne Weiteres makellos erscheinen lasst.

Als erstes liefert uns Memmius personlich sein Motiv, warum er die Rednertribune betritt: Es sei seine Sorge um die res publica.[22] Dass das die zentrale Erwartung des Autors an politische Akteure ist, ist bereits erwahnt worden. Nun muss uberpruft werden, ob der Redner dem gerecht wird. Der Grund fur sein Engagement sind die Machenschaften der factio - nicht der Nobilitat! -, die Lethargie der plebs, die daraus resultierende Rechtlosigkeit, aber v.a. der Umstand, dass der Unbescholtenheit eher Gefahren als Ehre erwachsen (§1). Damit ist der Rahmen der Rede in groben Zugen abgesteckt und ihre Stofirichtung vorgegeben. Im weiteren Verlauf wird ausgefuhrt, wie es dazu kommen konnte und was der Redner vorschlagt, wie man diese Situation uberwinden kann. Den Weg fur ihre Herrschaft hat sich die Nobilitatsclique gebahnt, indem sie die Gracchen, die defensores der plebs, auf abscheuliche Weise (foede) beseitigt hat, was gleichzeitig zur Folge hatte, dass die plebs feige und trage wurde (animus ab ignauia atque socordia corruptus sit; §2). Memmius sieht, dass die Dinge Kopf stehen,[23] und bietet sich als derjenige an, der sich - dem Freiheitsideal entsprechend - gegen die Macht der Clique entgegenstellen, also die Rolle eines defensor ubernehmen will. Niemand konnte was dagegen einwenden, er istja auch ein Volkstribun. Wichtiger ist viel mehr, wie sich das Publikum verhalten wird. Davon hangt der ganze Erfolg ab (uerum idfrustra an ob remfaciam, in uostra manu situm est; §5). An dieser Stelle weifi der Redner nicht, dass seine Zuhorerschaft sich im Verlauf der Handlung ebenso mit Schuld beflecken wird wie ihr Kontrahent, um so tragischer fallt seine Rolle bereits jetzt aus, zumal er im folgenden Satz warnt, man solle nicht gewaltsam gegen das Unrecht vorgehen (§6). Dies betont er durch die Verneinungspartikel neque, die nicht nur den Satz eroffnet, sondern auch den Gedankengang einleitet, verstarkt durch das folgende nihil ui nihil secessione. Also eine eindeutige Ablehnung gewaltsamen Vorgehens, was angesichts der Umstande Memmius hoch angerechnet werden sollte.

Grund genug fur berechtigten Aufruhr gibt es, so z.B. die Eliminierung der gracchischen Bewegung, wobei hier auf den Hinweis von Memmius aufmerksam gemacht werden muss, dass er anmahnt, nicht Gesetz hatte das Blutbad beendet, sondern erst die Willkur des Klungels (utriusque cladis non lex, uerum lubido eorum finem fecit, §7). Dies ist insofern wichtig, da einerseits die Orientierung an Recht und Gesetz (lex) als Mafistab fur staatliches Handeln durchschimmert und andererseits die lubido als das Gegenteil davon verurteilt wird. Weitere Vergehen[24] werden in §9 angeprangert und in ihrer Bedeutung noch dadurch gesteigert, dass sie unverschamt offen zur Schau gestellt werden (incedunt per ora uostra magnifier, §10). Man konnte meinen, dies sei bereits der rhetorische Todesstofi, doch der Redner spannt den Bogen aufs Aufierste und vergleicht die romische plebs mit Sklaven (§11)! Es ist offensichtlich, dass Memmius sein Publikum wachrutteln will und er suggeriert, die plebs - und mit ihr die res publica - stunden am Scheideweg, es ginge ums politische Uberleben und um die Wahl zwischen Freiheit und Sklaverei. Wir wissen zwar nichts uber die soziale Zusammensetzung dieser contio, aber die Titulierung eines Romers mit der Bezeichnung „Sklave“ stellt zweifellos einen Affront dar. Insofern kann das Vorgehen Memmius' als scharf und polarisierend umschrieben werden, er zieht alle rhetorischen Register, um seine Zuhorerschaft aufzurutteln und zum Handeln zu mobilisieren.[25]

Als ware diese Schmahung nicht genug, holt Memmius weiter gegen die korrupten Teile der Nobilitat zum erneuten Angriff aus (§12): Sie haben das Gemeinwesen fur sich in Beschlag genommen (qui rem publicam occupauere). Dass occupare ein Begriff aus dem militarischen Sprachgebrauch ist, ist ersichtlich; in Verbindung mit res publica gibt er einen Zustand wieder, der nicht hinnehmbar ist, bedenkt man die strenge Trennung domi militiaeque. Nur Leute, die nach einer Alleinherrschaft streben, konnten den Versuch unternehmen, sich daruber hinwegzusetzen. Aber sie sind homines sceleratissumi, ihre Hande sind blutbesudelt, sie sind habgierig, von hochster Gefahrlichkeit und aufierster Anmafiung. Die Kardinaltugenden fides, decus, pietas so wie uberhaupt samtliche ehrenhafte wie unehrenhafte Dinge dienen ihnen lediglich zum Erwerb (ebenda). Die schonungslose Bestandsaufnahme des Charakters der factio stellt einen Generalangriff des Redners dar, der weniger mit den Vergehen in der Jugurthageschichte begrundet wird, sondern mit der bereits erwahnten rigorosen Unterdruckung der gracchischen Bewegung, die fur den Redner (und auch fur Sallust) offensichtlich einen Meilenstein in dem Prozess des Verderbens der factio markiert. Es wird zuvor Gesagtes (§7) wieder aufgenommen, doch diesmal nicht wie zuvor mit lubido, sondern damit in Verbindung gebracht, dass die vorgebrachten Vergehen einen Schutz fur die Verantwortlichen darstellen. Memmius suggeriert, der Klungel ginge dabei arbeitsteilig und organisiert vor: Ein Teil sei fur die Ermordung der Volkstribunen zustandig gewesen, andere sicherten das Vorgehen juristisch ab, wahrend die meisten sich an der Ermordung der plebejischen Anhangerschaft beteiligten.[26] Die Subjekte sind durch ihre Anfangsstellung im (Teil-)Satz betont und bilden eine Klimax (pars eorum, alii, plerique). Dadurch wird der Eindruck erweckt, es hatte keinen Weg gegeben, sich dieser rucksichtslosen Repressionswelle entziehen zu konnen. Der Verzicht auf die namentliche Nennung der Ubeltater verleiht dem Vorgehen Anonymitat, so dass man meinen konnte, es handele sich um eine Art Verschworung. Der Hohepunkt des Gedankens wird darin begrundet, dass diese Exzesse als Schutz dienen, die Herrschaftsstellung aufrecht zu erhalten, wenn nicht sogar weiter auszubauen. An dieser Stelle ist die gedankliche Verwandtschaft mit der Aussage aus §10 ersichtlich, wo es hiefi, es wurde mit den errungenen Ehrenstellungen und Siegen auf unverschamte Weise geprahlt. Insofern macht der Redner wiederholt auf die Perversion der politischen und sozialen Umstande im Gemeinwesen aufmerksam, die scheinbar durch eine Art Naturgesetz begunstigt werden, wie es die folgende Sentenz verrat: Ita quam quisque pessume fecit, tam maxume tutus est (§14). Furcht, die man aufgrund der verbrecherischen Veranlagung empfinden musste, wird auf die Feigheit der plebs ubertragen. Hierin wird somit nicht nur die Opferrolle der ubrigen gesellschaftlichen Schichten betont, sondern auch die Tatsache, dass wenn man diesen Zustand uberwinden wolle, es eben grofier Anstrengungen bedurfte, zumal die factio bereits eine starke Interessengemeinschaft bildet, da sie das selbe begehren, das selbe hassen, das selbe furchten.[27] Vielleicht ist hierin ein Erklarungsansatz enthalten, warum im weiteren Verlauf der Erzahlung der „Parteienkampf‘ sich derart heftig abspielen wird.

Aber der Volkstribun tadelt die plebs scharf und gibt ihr eine Teilschuld an der Verheerung des Gemeinwesens.[28] Freilich fallt die Verteilung der Schuld nicht gleichermaBen aus, denn bei der Zuhorerschaft wird lediglich die fehlende Sorge um die libertas angemahnt, wahrend die factiosi mit gluhendem Eifer auf die Alleinherrschaft (dominatio) aus sind; die Feuermetapher (adcensi sunt) verdeutlicht die zerstorerische Kraft ihres Unternehmens. Nichtsdestotrotz tragt die lethargische Haltung der plebs dazu bei, dass nicht die Besten den Staat lenken, sondern die Verwegensten.[29] Implizit kann man hieraus eine Aufforderung heraus lesen, endlich zur Tat zu schreiten und dem schandlichen Treiben der factio ein Ende zu bereiten - eben mit der Aussicht, wie es denn sein konnte (beneficia penes optumos [...] forent). Eben darauf steuert Memmius im Folgenden zu, indem er sich auf die Konstituierung der Rechtssicherheit (ius) und damit einhergehend der Wurde (maiestas) beruft, die die Vorfahren im muhevollen Kampf erkampfen mussten. Diese gilt es wiederzugewinnen. Die folgende rhetorische Frage soll das Gesagte als selbstverstandlich erscheinen lassen.[30] Mit hochster Anstrengung sollen die Plebejer fur die Freiheit kampfen, wenn sie der Tradition der Vorfahren gerecht werden wollen.

Endlich ist das Publikum ausreichend getadelt und die Kontrahenten sind diskreditiert, so dass wir nun auf den konkreten Plan und das Ziel des Redners vorbereitet sind. Die Staatsfeinde mussen bestraft werden! Dagegen ist nichts einzuwenden, aber wie soll das erfolgen? Unbedingt soll auf gewaltsames Vorgehen verzichtet werden, was man an dem tautologischen non manu neque ui sehen kann. Diese Forderung wirkt wie eine Pramisse in seiner Ansprache. Memmius besteht darauf, dass der Verzicht auf gewaltsames Vorgehen auch zu dem einfaltigsten Zuhorer durchdringt. Stattdessen sollen die Verantwortlichen juristisch (quaestionibus) zur Rechenschaft gezogen werden. Daran wird der moderate Charakter des Redners deutlich, der ja die Aufregung unter den Massen hatte leicht ausnutzen konnen, anstatt unter Muhenjuristische Schritte zu einzufordern.

Also setzt Memmius im Folgenden zur exhortatio an, wo eine zentrale Forderung darin besteht, die Verbrechen der korrupten Teile der Nobilitat nicht ungestraft zu lassen. Es zeugt nicht nur von groBter Schande, empfangenes Unrecht nicht zu sanktionieren; eine solche Haltung wirkt sich ferner schlimm aus, da sie geradewegs ins Verderben (pernicies) fuhrt (§21). Das Unverstandnis des Volkstribuns wird daran deutlich, dass der Bezeichnung hominibus sceleratissumis unmittelbar ein Verb des Verzeihens (ignoscere) folgt. Falls diesen Leuten nicht Einhalt geboten wird, fahren sie in ihrem Treiben fort, denn es reicht ihnen nicht, straflos Ubel zu begehen (§22).[31] Hieraus entsteht Willkur bei der einen Seite, die andere Seite werde auf Ewigkeit bedruckt, so dass man letztendlich vor der Wahl stehen wird, entweder sich mit dem Sklavendasein arrangieren zu mussen, oder gewaltsam die Freiheit zuruck zu erobern. Beide Optionen kommen fur den Redner nicht in Frage, woran zum letzten Mal die Ablehnung gewaltsamen Vorgehens erkennbar wird. Das Mantra, Verbrechen nicht ungestraft zu lassen, wird nochmals in §25 aufgerollt; dann im folgenden Paragraphen nochmals, um die sich daraus ergebende Konsequenz mit der Konigsherrschaft gleichzusetzen (nam inpune quae lubet facere, id est regem esse). Daher nochmals die Forderung nach gerichtlicher Verfolgung. Es gilt auch daher unnachsichtig zu sein, um die moralisch Guten in der Burgerschaft vor dem sittlichen Ruin zu bewahren (ne ignoscundo malis bonos perditum eatis; §27). Auf diesem Gedanken baut auch die Sentenz auf, die die Rede abschliefit: Eher solle man der Wohltat nicht eingedenk sein, als dass man die Untat vergisst, da dadurch die Schlechten noch schlechter wurden.

Freilich konnte man einwenden, der haufige Ruf nach Strafe komme einer Forderung nach Rache gleich. Und womoglich ist dieser Aspekt auch in den geaufierten Ansichten des Redners enthalten. Jedoch meine ich, geht es nicht um blinde Rache, da diese unweigerlich Gewaltausbruche zur Folge hatte, die Memmius ja explizit ablehnt; dann, weil er sich um die moralisch Guten in der Burgerschaft sorgt; und drittens weil er auf juristische Untersuchungen abzielt. Diese sollen eben den Rahmen schaffen, um den erwunschten rechtlich geordneten Status wiederherzustellen.[32] Insofern ist m.E. das Resumee legitim, Memmius als Reformer zu klassifizieren.

Die Agitation des Volkstribuns hat Fruchte getragen, so dass der populus sich zu dem Antrag durchgerungen hat, Jugurtha nach Rom zu zitieren (32,1). Gleichzeitig hat dieser Akt zur Folge, dass die Nobilitat in arge Defensive gedrangt wird (perculsa omni nobilitate; 32,5). Die vorangestellte Position des Partizips hebt die niederschmetternde Situation der Nobilitat hervor. Schwer nachzuvollziehen istjedoch der Umstand, warum sie als als Ganzes erschuttert ist und nicht lediglich der schuldig gewordene Teil. Eine mogliche Erklarung konnte sein, dass die anstandigen von ihnen befurchten, falls die Dinge aus dem Ruder laufen - wie es ja im Anschluss geschieht -, mit zur Verantwortung gezogen zu werden. Womoglich ist es auch ein Verweis darauf, dass die Dinge eine Eigendynamik entwickeln, die Unschuldige in den Zwist verwickelt. Als Jugurtha in Rom ankommt, ist die Stimmungjedenfalls auf der Seite der plebs angespannt: Diese ist dem Konig feindlich gesinnt (infesta plebes; 33,3). Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass sie diese Haltung infolge seiner Agitation geerbt hat, schliefilich wird auch Memmius mit selben Attribut versehen.[33] Es wird gefordert, Jugurtha einen kurzen Prozess zu machen, wogegen der Volkstribun in moderierender Weise Einhalt gebietet: Eher aus Sorge um Wurde als aus Zorn heraus (dignitati quam irae consulens) will er die Erregung hemmen und die Gemuter beschwichtigen. Das Hendiadyoin (sedare motus et animos eorum mollire) weist darauf hin, wie sehr Memmius die Affekte der Massen zu bandigen bemuht ist. Allerdings wird man das Gefuhl nicht los, dass die Lage fortan schwer kontrollierbar wird.

Doch nun, als endlich Jugurtha vor dem romischen Volk Rede und Antwort stehen soll, passiert etwas, das alles das, worauf Memmius hingearbeitet hatte, zunichte macht: Baebius, der gekaufte Volkstribun, interzediert (34,1). Die Menge entbrennt vor Wut, bedroht den Konig, ist aufier Rand und Band. Die Hilflosigkeit gegenuber diesem Umstand wird an dem konzisen Kommentar ersichtlich, dass letztendlich die Unverschamtheit sich durchsetzt.[34] Alles bleibt also beim Alten, denn der populus verharrt in eben dem Zustand, wie er vor dem Auftritt des Memmius bestand: er wird zum Narren gehalten.[35] Hiermit verschwindet unser Protagonist von der Buhne. Er, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die von seinen Vorfahren uberlieferte Freiheit zu verteidigen, der das schandliche Treiben einiger Weniger entlarvt hatte, der das Volk an seine Souveranitat erinnert und es dazu angehalten hatte, diese pflichtgemafi zu verteidigen, ist gescheitert. Er hat alles richtig gemacht, denn er tadelte beide Seiten, die eine aufgrund ihrer Vergehen, die andere wegen ihrer Lethargie. Seine Wortwahl war zwar scharf aber er hetzte nicht. Was er forderte, war im legalen Rahmen. Sogar als die Menge diesen ignorieren und Jugurtha toten wollte, glattete er die Wogen, beharrte auf seine Befragung. Gewaltsames Vorgehen lehnte er konsequent ab. Ware er ein hemmungsloser Demagoge oder jemand, der sein Publikum aufhetzt und auf berechnende Weise politisches Kapital herausschlagen will, dann hatte er wohl in solcher Situation, als die Massen aufgrund der skandalosen Vorgange in Aufruhr versetzt waren, die optimale Gelegenheit gehabt, in opportunistischer Manier zu agieren. Daher sehe ich in Memmius eine tragische Figur, die alles richtig gemacht hat und dennoch nicht zum Ziel kommt. Er nimmt die factio ins Visier und nicht die Nobilitat als Ganzes. Die plebs aber halt sich nicht an seine Anweisungen und zieht sich selbst den Makel der lubido zu. Hinzu kommt, dass die wichtigste Waffe, die der Volkstribun zum Schutze des plebejischen Standes hat, gegen ihn selbst gerichtet wird. Dies mag das Zunglein an der Waage sein, das das Aufkeimen der lubido bei der plebs auslost und sie in den „Parteienkampf ‘ drangt.

2.3 Lepidus

Bedauerlicherweise verfugen wir in den Historien nicht uber den Erzahltext, in dem die Reden eingebettet sind, so dass wir eher in der Lage waren (und in den Genuss kamen), sie in ihrem Wesen tiefer zu verstehen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass der uberlieferte Text genug Stoff bietet, um den Protagonisten auf seine Widerspruchlichkeit zwischen Wort und Tat zu uberprufen, zumal wir - aber der antike Leser mit Sicherheit um so mehr - Sallust nicht anders kennen, als jemanden, der die meisten seiner historischen Figuren ambivalent zeichnet. Die Interpretation gestaltet sich nicht leicht, da Politiker wie etwa Lepidus einerseits die Missstande im Gemeinwesen zu Recht kritisieren, auf ihre wahren Ursachen verweisen und dabei auch romische Ideale und Werte als Ausgangspunkt nehmen,[36] andererseits verstecken sie sich hinter schon klingenden Parolen und agieren als „Heuchler“, die den Gegner fur ihre eigenen Zwecke attackieren.[37] Um hier klarer trennen zu konnen, soll im Folgenden besonders beachtet werden, wie der Redner die eigene Person in Szene setzt: Stellt er das Ganze - also die res publica - ins Zentrum seiner Auseinandersetzung, oder sind doch eher gruppenegoistische Motive vordergrundig? Wenn ja, wie kommt dies zum Ausdruck? Welche Losungen prasentiert Lepidus? Und wie will er ans Ziel gelangen, und zwar ohne dass es zum Blutvergiefien kommt, oder eine Grundlage fur erneute Umsturzversuche geschaffen wird?

Lepidus startet seine Ansprache mit einer Captatio benevolentiae,[38] was an sich nichts ungewohnliches ist, wenn man sein Publikum umschmeicheln will. Hierbei handelt es sichjedoch nicht um eine blofie Bemuhung um Wohlwollen, da der Konsul spater (§20) die Lethargie des Volkes als socordia bezeichnet - also mit einem negativen Merkmal versieht. Eine Irritation ergibt sich aber daher, da diese eigentlich guten Eigenschaften dem Redner grofite Furcht (plurumum timoris) einflofien. Dieser Sachverhalt - dass namlich gute Wesenszuge sich in schlechte wandeln - weist, wie sich an anderen Stellen zeigen wird, darauf hin, dass der gesellschaftliche Zustand als pervertiert dargestellt wird. Zugleich veranlasst diese Irritation den Leser, den Fortgang der Rede aufmerksam zu verfolgen.

Sodann fallt das Stichwort „Tyrannis“ und der Urheber fur diesen Missstand wird beim Namen gennant: Sulla. Dass mit dieser Rede Sallust mit dem Diktator abrechnet, ist an vielen Stellen in der Forschung hingewiesen worden.[39] Man kann sich also auf eine harsche Abrechnung gefasst machen. Wovor Lepidus sich so sehr furchtet, ist, dass seine Zuhorer durch die Schandtaten Sullas umgarnt werden, weil sie so unglaublich grofi sind. Um dem entgegenzuwirken, verwendet der Redner den bildlichen Ausdruck circumueniamini: Die Assoziation einer feindlichen Umzingelung ist hergestellt und daruber hinaus wird das Volk als Opfer stilisiert. Die Passivform unterstreicht diese Deutung. Wenn man die Rede zu Ende gelesen hat, weifi man, dass Lepidus sich hiermit zum ersten Mal als derjenige anbietet, der aus dieser Situation herauszuhelfen sucht. (Es ware ferner legitim zu fragen, ob nicht er selbst, der ja seine Zuhorer umschmeichelt, diese umgarnen will - was seine Rolle ambivalent oder gar doppelzungig erscheinen liefie.) Aufierdem erfullt dieses Verb auch eine kompositorische Funktion: Rosenblitt macht auf die Besonderheit dieses circumueniamini aufmerksam: Zusammen mit dem ad rem publicam circumueniundam aus §25 bildet es eine Klammer um Lepidus' Vortrag.[40]

Da Sallust sich dem ersten Satz mit grofier Sorgfalt gewidmet hat - er besteht aus nicht weniger als 10 Teilsatzen! -, will ich hier noch etwas verweilen. Sullas Personlichkeit ist derart verschroben, dass nicht nur seine ganze Hoffnung auf Verbrechen und Treuebruch liegt, sondern auch wird er durch die Furcht des Volkes ermuntert, sich sicher zu fuhlen.[41] Freilich ist die Furcht ein fester Bestandteil der Herrschaft Sullas; hier istjedoch augenfallig, dass sie, wahrend noch kurz zuvor Lepidus selbst furchtend war, den Zuhorern zugeschrieben wird: Soll dem Publikum etwa eine Gemeinsamkeit suggeriert werden, dass man im selben Boot sitze? Jedenfalls, so Lepidus weiter, wird wegen der Furcht und dem daraus resultierenden Elend die Sorge um die libertas entwunden. Hiermit fallt ein zentraler Slogan, der im Weiteren sieben Mal aufgegriffen wird.[42] An dieser Stelle fungiert libertas als Motiv und gibt die Stofirichtung der Ansprache vor.

Ein weiteres Kennzeichen der Rede ist ihr immer wiederkehrender sarkastischer Ton. Dieser wird in §2 vorbereitet: Es ist unglaublich, dass es Leute gibt, die, nur um andere zu knechten, die Knechtung ihrer eigenen Person in Kauf nehmen. Die Verwendung von dominatio und seruitium in unmittelbarer Folge wiegt schwer. Zugleich bildet diese Verkommenheit der satellites die Antithese zu der vorbildhaften Funktion der Vorfahren (optumis maiorum exemplis), gefolgt von einem weiteren Gegensatz: dass sie lieber unrechtmaBig als unter bestem Recht und frei leben konnen.[43] Der spottische Ton wird in §3 angezogen: Die Herrlichkeit der Nachkommenschaft vornehmer Familien - darunter auch der Clan seines Kollegen Catullus - zeichnet sich dadurch aus, dass sie nun im Begriff sind, die durch virtus ihrer Vorfahren verwirklichten Errungenschaften umzusturzen.[44] Selbstverstandlich dient virtus hier nicht nur als Schlagwort, sondern auch als Bezugspunkt, den Lepidus auf die Vorfahren projiziert und im weiteren Verlauf der Rede von seinem Publikum einfordert.[45] Die Anomalie des Tuns dieser Nachkommenschaft wird im Gerundivum ad ea subuortunda deutlich gemacht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die sarkastische Geisteshaltung des Lepidus eine Seite von ihm zeigt, der zwar hoch zielt, aber wenig Hoffnung hat, der nicht an die Verwirklichung eigener Ziele glaubt und frustriert ist. Weiter macht er darauf aufmerksam, dass es die Freiheit, der sichere Wohnsitz und die GesetzmaBigkeit sind, die muhevoll im Krieg erkampft wurden und woran man sich orientieren soll (§4). Aber die einzigartige Perversion Sullas Charakter (solus omnium post memoriam humani <generis>[46] ) steht im Wege. Dieser bestraft namlich sogar die Nachkommen der bereits bestraften Proskribierten. Es drangt sich eine Parallele zwischen der vorher erwahnten Traditionslinie der Vorfahren und den uberlieferten Errungenschaften (libertas, sedes, leges) und der jetzigen Verkehrung dieses Erbes: Proskriptionen gegen Kontrahenten in der jungeren Vergangenheit, die auf die Nachkommen ubertragen werden (supplicia in post futuros conposuit; §6).[47] Zweifellos dient diese raffiniert vorgetragene Anklage als Aufforderung an sein Publikum, die eigene Furcht zu uberwinden (dum uos metu grauioris seruituti a repetunda libertate terremini) und endlich zur Tat zu schreiten, wie das folgende Kapitel zeigt.

Agundum atque obuiam eundum est, Quirites, ne spolia uostra penes illos sint, non prolatandum neque uotis paranda auxilia (§7). Dies ist der erste explizite Aufruf, der lange hat auf sich warten lassen - bzw. lange vorbereitet wurde - und nun mit um so groBerem Nachdruck und offensiv vorgetragen wird.[48] Dass man dabei selbst aktiv werden soll, macht der ungeduldige Lepidus dadurch klar, dass man nicht auf Hilfe von Gottern warten soil. Allerdings kann auch er nicht zur Ganze auf sie verzichten, wenn er zum Schluss seiner Rede auch diese mit einbezieht {bene iuuantibus diuis; §27), was ihn im Nachhinein nicht ganz konsequent erscheinen lasst. Viel interessanter jedoch ist seine sarkastische Bemerkung uber einen moglichen Einwand, Sulla wurde aus Ekel oder Scham uber seine Tyrannis die Macht aufgeben. Aber hier irrt Lepidus! Wie der Leser weifi - und was die Nachwelt bis heute in Staunen versetzt hat Sulla das Amt des Diktators aus freien Stucken aufgegeben.[49] Lepidus' Einschatzung ist demnach in einem zentralen Punkt falsch. Das muss dem zeitgenossischem Leser aufgestofien sein. Uber die Absicht Sallusts kann nur spekuliert werden.[50] Zumindest muss diese Irritation den Leser nicht nur zur aufmerksamen Lekture, sondern auch dazu veranlasst haben, noch sensibler in der Urteilsbildung uber den Protagonisten und sein Anliegen vorzugehen.[51] Der Redner scheint sich nur noch an Sulla und seiner verderbenbringenden Herrschaft zu orientieren, ihm scheint es an einem positiven Bezugspunkt zu mangeln. Insofern radikalisiert sich Lepidus derart, dass er so weit geht, die Zuhorer vor die Wahl zu stellen: hac tempestate seruiundum aut imperitandum [est] - das ware noch hinnehmbar, allerdings weist das Intensivum imperitare unverkennbar ein militarische Note auf - habendus metus est aut faciundus. Der Konsul treibt seine Polarisierung auf die Spitze und geht dabei eindeutig zu weit: Nach einer jahrelangen Phase des hemmungslosen Mordens und Terrors die Burger dazu aufzurufen, weiterhin Furcht zu verbreiten, kann keine Zustimmung des Lesers finden und kann keineswegs vom Autor gebilligt werden. Ferner disqualifiziert sich Lepidus selbst, der ja unentwegt uber die dominante Rolle der Furcht in der Burgerschaft lamentiert.[52] Daraus schliefie ich, dass sein Programm - auch wenn es nur gegen einige Wenige gerichtet ist - rigide umgesetzt werden soll und zwar mit Formen und Mitteln, die sich nicht wesentlich von den seiner Kontrahenten unterscheiden. Spatestens hier muss der Leser dem Konsuln mit Misstrauen begegnen.

Die Vorwurfe gegen Sullas Tyrannis gehen weiter: Alle gottlichen wie menschlichen Dinge sind entweiht. Das romische Volk - zum ersten Mal findet der populus als Gesamtheit seine explizite Erwahnung -, der eigentliche Lenker der Volker, ist der Herrschaft, des Ruhmes, der Rechte beraubt, seine Versorgung mit Getreide wurde auf die Ration eines Sklaven heruntergefahren (§11).[53] Auch die Bundesgenossen sind von der Alleinherrschaft auf das Ubelste betroffen (§12). Leges iudicia aerarium provinciae reges: Alles ist in der Hand eines Einzigen, hammert der Redner seinem Publikum im Stakkato ein.[54] Wo es um das Leben und den Tod der Burger geht, legt der Redner eine Atempause ein, um ihr Abschlachten anschaulich darzustellen: simul humanas hostias uidistis et sepulcra infecta sanguine ciuili.[55] Der Redner verweilt beim Thema „Tod“ und fragt rhetorisch, ob es denn fur Manner was anderes gibt, als Unrecht aufzulosen oder tapfer zu sterben (§15). Wieder polarisiert Lepidus, es gabe nur die Moglichkeit des Kampfes, wobei das Polyptoton (uiris; per uirtutem) deutlich macht, man solle fur das Ideal gar bis zum Aufiersten gehen. Damit hebt er sich zwar von dem Vorgehen Sullas ab, der aus verabscheuenswurdigen und selbstsuchtigen Motiven totet, nichtsdestotrotz deutet Lepidus an, einen Burgerkrieg in Kauf zu nehmen. Davon sucht er sein Publikum nicht nur zu uberzeugen, indem er schon beinah philosophisch konstatiert, die Natur habe ohnehin nur ein Ende fur jeden vorgesehen, also auch fur die, die vom Schwert umschlossen sind,[56] sondern auch macht er den Kampf ex negativo schmackhaft: Nur der, der weibischen Sinnes ist, wartet auf den Tod, ohne etwas gewagt zu haben. Dabei bildet muliebri ingenio die Antithese zum starkeren, weil verdoppelten uiris, per uirtutem, wahrend die Periphrase extremam necessitatem als eine feige Umschreibung fur den Tod ausgelegt werden kann, die durch nihil ausus und die dreifache Negation (neque quisquam, nihil, nisi) unterstutzt wird. Auf diese Einforderung der uirtus wird noch weiter unten eingegangen. Wichtig ist vorab der Umstand, dass in diesem Redeabschnitt (§7-15), der mit Agundum atque obuiam eundum est beginnt und mit dem ehrenhaften Tod im Kampf endet, Lepidus' Absicht auf eine militarische Losung des Konflikts zumindest implizit zum Vorschein kommt.

Insofern entlarvt der Redner sich selbst, wenn er in dem Kapitel, wo er die Argumente der Gegner entkraften will,[57] kurz und knapp den Vorwurf in den Raum wirft: Uerum ego seditiosus. An dieser Stelle liegt eine doppelte Ironie vor. Einerseits die des Lepidus, der sich aus dieser Beschuldigung herauszuwinden sucht, indem er ihr seine Klage uber vermeintliche Belohnungen fur politische Unruhen entgegenstellt; dem Vorwurf bellum cupiens entgegnet er durch die Beteuerung seiner lauteren Absicht, die im Frieden geltenden Rechte wiederherzustellen (qui iura pacis repeto). Andererseits - und hier liegt das grofiere Gewicht - haben wir die Ironie des Autors, derja unmittelbar zuvor die zumindest implizite Absicht des Konsuls, bis zum Aufiersten zu gehen (§15), dokumentiert hat. Uerum ego seditiosus: ,,Ja, Lepidus, du hast doch zum mannhaften Kampf bis zum Tod aufgerufen“, mag die Antwort des Lesers ausfallen. Freilich stimmt die Einschatzung, dass die Verbrechen Sullas ungeheuer sind, und dass ein ehrenhafter Tod ehrenhaft ist; nur spielt der Redner mit der Gefahr eines erneuten Burgerkrieges, so dass nun seine Rechtfertigung hinsichtlich ihrer Legitimitat ganz genau unter die Lupe genommen werden muss.[58]

In sarkastischer Manier macht Lepidus seinen Zuhorern klar, dass sie keineswegs eine sichere Zukunft erwartet (non aliter salui satisque tuti in imperio eritis; §17), das Gegenteil wird eintreten: Gunstlinge des Tyrannen und Emporkommlinge, die sich teilweise aus Sklaven rekrutieren, werden weiterhin ihr schandliches Unwesen treiben und fremde Guter nicht nur an sich reifien, sondern auch verschwenden. Ferner werden unschuldige Manner proskribiert, ehrenhafte gemartert und die Stadt durch Verbannung und Mord verheert. Die Perversion des politischen und gesellschaftlichen Zustands wird also fortdauern. Es handelt sich dabei um die von Lepidus bereits dargestellte Analyse derjungsten Vergangenheit, nur ist sie nun auf die Zukunft projiziert.

Der zweite gegen Lepidus erhobene Vorwurf lautet Erwerb von Proskriptionsgutern (§18). Der Redner weifi damit offensiv umzugehen: Dieser Sachverhalt speist sich aus dem grofiten Verbrechen Sullas, dass alle dabei mitgemacht haben, um ihre eigene Sicherheit zu gewahrleisten. Lepidus' Versuch, sich hinter dem quod scelerum illius maxumum zu verstecken, scheitert in seiner Begrundung {non me neque quemquam omnium satis tutum fuisse, si recte faceremus; ebenda). Es war eben Sulla, der alien Wert darin gelegt hat, sich in Sicherheit zu wiegen und nun werden es eben Lepidus' Zuhorer sein, die unter den Spiefigesellen Sullas auf Sicherheit bedacht sein werden.[59] Kurzum: Lepidus rechtfertigt sein Verhalten mit einem Argument, das er zuvor rigoros und im spottischen Ton abgelehnt hatte. Hinzu kommt, dass er ein Ideal entworfen hat, an dem man sich nicht nur orientieren soll, sondern auch das aufgrund seiner Ehrenhaftigkeit unbedingt erstrebenswert ist.[60] Zur Entlastung Lepidus' konnte man einwenden, er werde fur ein gesellschaftliches Klima sorgen, das ein recte facere ermoglicht, aber der Leser weifija, dass er mit seinen Truppen gegen Rom marschieren wird. Folglich fordert er von seinem Publikum etwas, was er unter Sulla aufgrund fehlenden Muts selbst nicht einlosen konnte {uirtus) und tadelt das an seinem Kontrahenten und dem populus, was er selbst praktiziert hatte {tutum fuisse). Er wird langsam unglaubwurdig.

Vielleicht merkt er, dass er mit seiner Rechtfertigung auf tonernen Fufien steht, und gelobt die Restitution der Proskriptionsguter.[61] Im Anschluss daran verspricht er ein Ende der innerromischen militarischen Auseinandersetzungen {§19). Dass er das nicht einhalten wird, ist bereits gesagt worden, womit seine Glaubwurdigkeit nun erhebliche Risse bekommt - und das in dem Redeabschnitt, wo der Leser um so grundlicher die Argumente uberpruft![62]

Im weiteren Verlauf seiner Argumentation gibt sich Lepidus zuversichtlich, dass sein Publikum nun von der Schlechtigkeit Sullas uberzeugt ist und er sieht die Schlaffheit des Volkes {socordia) als das einzige Hindernis auf dem Weg zur Uberwindung der Tyrannis {§20). Um dem abzuhelfen, greift er zum alt bewahrten Mittel des Sarkasmus: Ob es denn noch irgend jemand anderes gabe aufier den schmachbefleckten satellites, die alles beim Alten belassen wollen undkommt endlich auf die Soldaten zu sprechen (§21). Sie haben ihr Blut fur die ubelsten Kreaturen unter den Sklaven gegeben. Hier wird das Bild von den mit Burgerblut getrankten Grabern aus §14 abgerufen. Die Soldaten stellen die Basis im Kampf gegen den pervertierten Zustand der Burgerschaft und aus ihnen schopft er seine ganze Zuversicht fur den Erfolg seines Unternehmens.[63] Es wird also die Stofirichtung klar: Lepidus will militarisch vorgehen. Im sarkastischen Ton prangert er den Umstand an, dass die Soldaten dazu missbraucht wurden, die tribunicia potestas zugrunde zu richten und sich selbst damit Recht und Gerichte zu entwinden. Der Redner peitscht sein Publikum noch mal richtig an, bevor er in §24f. seine Punkte nochmals gebundelt vortragt.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Lepidus nicht wirklich an seine Zuhorer glaubt. Seine Aufforderungen in dem beschworenden Kapitel (§25) grenzen beinah an Beleidigung, wenn er postuliert, man soll die Vernichtung des Gemeinwesens billigen, den aufgezwungenen Gesetzen zustimmen, die Knechtschaft hinnehmen und v.a. den folgenden Generationen als ein feiges Beispiel dienen - nur auf eigene physische Existenz bedacht zu sein, anstatt die Vernichtung des Gemeinwesens zu verhindern. Dass er seine Ziele nicht positiv formulieren kann, zeugt m.E. von seiner destruktiven Haltung.[64] Oder aber er ist unehrlich zu seinen Zuhorern, hat er doch diese zu Beginn seiner Rede zuerst umschmeichelt und im weiteren Verlauf sich um sie besorgt gezeigt. Der spottische Ton zum Schluss legt seine wahre Gesinnung offen. Fur den Kampf fur die gefahrliche aber unbedingt notwendige Freiheit (periculosa libertas; §26, ad recipiundam libertatem; §27) und gegen die trugerische Sklaverei (quieto servitio; §26) bietet sich M. Aemilius Lepidus nicht nur als Konsul an, sondern auch als dux und auctor.[65]

Lepidus zeichnet Sullas Regime zurecht als eine Karikatur des alten Gemeinwesens und attackiert es von allen Seiten. Dieser pervertierte gesellschaftliche und politische Zustand kommt u.a. durch seinen Sarkasmus zum Ausdruck. Dabei spart er nicht an Hohn, wenn er seine Zuhorer tadelt. Nicht selten hat der Leser den Eindruck, dem Redner fehle der Glaube an die Moglichkeit, Seite an Seite mit dem populus die res publica in Schritten zu reformieren. Von Geduld ist in seiner Ansprache keine Spur. Stattdessen offenbart sich zum Schluss, auf wen er sich in der Hauptsache zu stutzen sucht: das Heer. Hier zeigt er sich zuversichtlich, allerdings ahnt der Leser in Kenntnis der spateren Entwicklung nichts Gutes. Seine wahre Haltung hinsichtlich der Restitution der tradierten Rechte im Allgemeinen und der tribunizischen im Besonderen ist schwer auszumachen. Es geht aus seiner Rede nicht hervor, dass er sich durch seine Stellung machtpolitisch oder personlich bereichern will. Insofern ist die Annahme legitim, er wolle den alten Zustand der Verfassung wiederherstellen. Folglich gibt es in zentralen Punkten sowohl Ubereinstimmung als auch Divergenz mit Sallusts Ansichten. Letzteres druckt sich v.a. darin aus, dass Lepidus seine Vergangenheit beschonigt und, wahrend er Ideale einfordert (libertas), den gewaltsamen Weg einschlagt. Konkretes positives politisches Programm scheint nicht durch.

2.4 Philippus

So weit wir wissen, ist die Rede des Philippus nur bei Sallust uberliefert. Die Anmerkung von Burton impliziert zwar die Moglichkeit, dass diese Rede nie gehalten worden ist,[66] aber es soil nicht nach dem Prinzip der historischen Authentizitat gehen, sondern nach dem literarischen Grundsatz, wie die Rede hatte gehalten werden konnen und welche Funktion sie innerhalb des Werkes einnimmt. Die Grundvoraussetzungen konnen folgendermaBen umrissen werden: Wir sind im Fruhjahr 77, wo es bis dato keine Konsuln gibt und Lepidus mit einem Heer vor der Stadt steht; er will einen zweiten Konsulat erringen.[67] Philippus spricht in der Kurie als Princeps senatus,[68] wahrend Lepidus' Publikum die Volksversammlung ist. Dies ist insofern wichtig, da jener unter Seinesgleichen und als ihr Wortfuhrer redet, dieser einen gefalligen Ton anschlagen muss, um das Wohlwollen seiner Zuhorer zu gewinnen. Beide Redner drangen auf die Zustimmung zu einer militarischen Initiative.

Philippus fasst seine Agitation um sechs Kapitel kurzer, was ich u.a. auf seine Klarheit im Ausdruck zuruckfuhre. Diese wird bereits im ersten Satz und Kapitel deutlich, wo sich das Anliegen und Thema der Rede ankundigt: 1. ein unbekummerter Zustand des Gemeinwesens (rem publicam quietam esse), 2. dass es bei Gefahren von entschlossenen Mannern verteidigt werde (in periculis a promptissumo quoque defendi) und 3. dass ein verderblicher Ausgang denjenigen beschieden sein moge, die Verderbliches vorhaben (praua incepta consultoribus noxae esse). consultor ist zwar allgemein gehalten, es ist aber klar, dass damit Lepidus gemeint ist, der ja vor den Toren Roms steht. Ich denke, es ist nicht falsch zu sagen, dass dieser Ratgeber mit der Selbstbezeichnung des Lepidus auctor aus §27 verwandt ist, was als Brucke zu dieser Rede gesehen werden kann. Dieses Phanomen - namlich die Ubernahme des Vokabulars des Vorredners - ist ein Kennzeichen der Ansprache des Philippus, wie sich im Folgenden zeigen wird.[69] Ein weiteres Merkmal,ja ein Motiv, ist der scharfe Tadel an den schlaffen Senatoren: Es ziemte sich, dass sie Verwerfungen und Aufruhr im Gemeinwesen abwehrten, stattdessen sorgen sie als Verdorbenste und Torichteste (pessumi et stultissumi) fur eine Notlage, die andere (bonis et sapientibus) ausbaden mussen. Wie oben erwahnt liegt hier in der Kurie eine andere Redesituation vor als vor der contio - im Senat, wo politisches Tagesgeschaft hart verhandelt und ausgefochten wird, wird ein rauer Ton nicht ungewohnlich gewesen sein -, dennoch grenzt diese Anrede des Publikums an Beleidigung. Es ist wohl keine gewagte These zu behaupten, hier sprache der Princeps senatus als Vertreter des Senatsadels, dem Sallust so oft Hybris (superbia) vorgeworfen hat.[70] Ich gehe davon aus, dass solche Worte eines einflussreichen Mannes Senatoren niedrigen Ranges eingeschuchtert haben mussen.[71] Als Leser sind wir nun auf einen scharfen Ton und antithetischen Duktus vorbereitet.

Nachdem nun Philippus seine Wunschvorstellungen vom Gemeinwesen dargelegt und sein Publikum angemessen angesprochen hat, kommt er sogleich zu seinem Antrag: arma [...] summunda sunt (§2). Um die Zuhorer auf seine Forderungen vorzubereiten, hat Lepidus sich dabei mehr Raum dafur geschaffen. Wir sehen also einen energischen Princeps senatus, der gleich zur Sache kommt. Auch er verwendet gem einen sarkastischen Unterton um zu verdeutlichen, wie schrag eine andere Position im Vergleich zu der eigenen ist (nisi forte quoi pacem praestare et bellumpati consilium est; ebenda). Fur den Frieden zu sein, heifit also Krieg wollen. Der Gegensatz pax-bellum zieht sich ebenfalls durch die ganze Rede hindurch, womit wir die wichtigsten Charakteristika der Rede komplett hatten, wenn wir noch das Lepidusbild hinzufugen: M. Aemilius ist der schandlichste aller Lasterhaften, man weifi nicht, ob er mehr schlecht ist oder mehr feige und er hat ein Heer, um die Freiheit zu sturzen (§3). Dass der Prokonsul sich von einem Verachteten zu einem zu Furchtenden entwickelt hat, ware fur den Rezipienten weniger von Bedeutung, wenn man sich nicht daran erinnerte, dass diese Redewendung dem Munde des Kontrahenten entstammt.[72] Der Leser wird also zur sorgfaltigen Lekture angehalten, gerade weil der Redner sich klar auszudrucken vorgibt.[73]

Lepidus hat ein Heer zum Sturze der Freiheit.[74] Dabei hat er moniert, die Nachkommen ehrbarer Familien wurden das zerstoren, was die Vorfahren zuvor tapfer errungen haben (§3). Burnand bringt das auf den Punkt: „Philippus now turns the tables by asserting that Lepidus was destroying the very things which he claimed to be defending/4[75] Lepidus ruckt also in das Licht eines Feindes der Freiheit und man getrost konstatieren, dass der Sachverhalt nun langsam kompliziert wird und der Leser in eine Situation versetzt wird, die einer Aporie gleicht: Was stimmt nun? Wer von den beiden hat Recht? Lepidus wollte doch die Rechte und die Entrechteten starken. Nun steht er aber mit einem Heer vor der Stadt. Und auch die Auswirkungen lethargischen Verhaltens wirken sich laut Philippus verderblich aus: Die Weichheit der Senatoren hat zur Folge, dass sie an Wurde verlieren, wahrend bei Lepidus die Furcht schwindet (mollitia decretorum uobis dignitatem, illi metum detrahi; §3). Lepidus' erste Worte waren ja, dass ihm die Milde und Rechtschaffenheit seiner Zuhorer zur Furcht gereichen.[76]

Diejenigen, die bis zu allerletzt Legaten zu Lepidus geschickt und mit ihm verhandelt haben, erhalten als Dank, so der polemische Philippus, dass sie nicht nur verachtet und der Teilhabe am politischen Leben fur nicht wurdig erachtet, sondern sogar selbst zur Beute werden (Immo despecti et indigni re publica habitipraedae loco aestumantur; §5). Der Redner kritisiert demnach diejenige Position, die auf Ausgleich aus ist und der Gegenseite moglicherweise entgegenkommt, um Schlimmeres zu verhindern. Wenn die Ungeduld des Lepidus ihm zuvor in der Beurteilung zum Nachteil gereichte, dann mussen wir nun die Senatoren in Schutz nehmen, da sie alles unternommen haben, um Blutvergiefien zu vermeiden und gerechterweise dieses Vorgehen kritisch sehen. Diese Marke des Philippus kommt im nachsten Satz (§6) um so mehr zu Vorschein, wenn er aufgeblasen behauptet, er hatte alles Ubel von Anfang an gesehen und er, mit nur Wenigen, hatten die richtigen Entschlusse gefasst.[77] Seine Auffassungsgabe und Tatkraft lasst sich auf die Formel bringen: uidebam, putabam, secutus sum (§6). Das Gerundivum maturandum scheint mit dem Agundum aus Lepidus' Mund zu korrespondieren, zumal die Stellung innerhalb der Reden beinah identisch ist.[78] Beide also sehen einen Grund zur Eile.

Im Gegensatz zu Philippus, Catulus und den pauci priesen die allermeisten Senatoren die gens Aemilia, meinten auch noch, durch Verzeihen wuchse das Ansehen des Romers und ubersahen bei all dem, dass Lepidus inzwischen eine Armee auf personliche Initiative aufgestellt hat, um die Freiheit zu sturzen (§6). Wahrend der Redner nun die Gelegenheit ergreift, knapp ein Schurkenbild des Prokonsuls und seiner Anhanger zu skizzieren, knupft er weiter an dem Zusammenhang zwischen diesen verdorbenen Elementen (latro cum calonibus et paucis sicariis, homines omnium ordinum curruptissumi,flagrantes inopia et cupidinibus etc.; §7) und dem Tun des Senats: Lepidus hat sich das imperium nicht genommen, sie haben ihm das gegeben.[79] Diese Leute saen den Krieg regelrecht, das hat eine populare Tradition (Saturninus, Sulpicius, Marius, Damasippus). Auch liegt darin ein Bezug zur Ansprache des Lepidus und zwar ist es die Antwort auf die praeclaraproles des Hochadels, die alles umsturzt, was ihre Vorfahren errungen haben (or. Lep. §3). Die Variatio liegt darin begrundet, dass Lepidus' Anhanger nicht einmal eine gute Herkunft vorzuweisen haben. Auch wenn die Hinweise auf die Bezuge zur Lepidusrede nunmehr strapazieren, muss die Verwendung des Begriffs satellites erwahnt werden. Wahrend Lepidus sich uber die Anhanger des Sulla ausgelassen hat, tut dies nun Philippus mit seinem Gegenspieler. Damit musste klar ersichtlich sein: Lepidus ist der neue Sulla. Das mag auf der einen Seite eine Ubertreibung sein, die zu jeder gewohnlichen Rede gehort, auf der anderen Seite aber druckt sich hier viel mehr die harte und kompromisslose Haltung eines machtigen nobilis, der jede Art von Opposition und Unruhe mit Terror qualifiziert und dabei abschreckende Beispiele aus der Vergangenheit als Horrorszenario an die Wand projiziert.[80]

Das von Philippus entworfene Szenario soll seine Wirkung u.a. dadurch entfalten, dass es einen zeitlichen Vorganger und ein gegenwartiges Pendant hat, namlich die aktuelle, aufierst angespannte militarische und aufienpolitische Notlage (§8).[81] Um in naher Zukunft die Herrschaft zu vemichten, fehlt es vermeintlich nur noch an einem Fuhrer (quin praeter idoneum ducem nihil abest ad subuortundum imperium). Dass es an einem Fuhrer nicht mangelt, sondern dass er mit einem Heer direkt vor der Stadt steht, kann der Leser an dem Begriff ducem ablesen und mit dem ducem aus Lepidus' letztem Satz belegen. Daher zieht Philippus den Ton an und beschwort sein Publikum nicht zuzulassen, dass das Ubel licentia die guten Elemente im Staat verdirbt und sich ausbreitet (§9). Eine ahnliche Vorstellung kennen wir nicht nur aus dem Mund von Memmius sondern auch aus der Feder Sallusts.[82] Dies und noch dazu die darauffolgende Sentenz, die das Kapitel abrundet, stellt den Leser vor die Herausforderung, Wahres vom Falschen zu unterscheiden. Freilich wird man dem zustimmen, dass integre Manner vor moralisch ansteckender Beruhrung geschutzt werden mussen, aber stimmt auch das Bild, welches Philippus von Lepidus und der Lage Roms zeichnet?

Um es dem Leser nicht zu einfach zu machen, liefert Philippus das grausige Bild vom Schwert und Feuer, das in die Stadt dringt (§10). Ob es denn das sei, worauf man wartet, so die rhetorische Frage. Hinzu kommt der verschrobene Charakter des Lepidus, diesmal mit Catilina assoziiert.[83] Vor ihm verharren die Senatoren in Furcht wie vor einem Blitz, sind feige und nicht recht bei Sinnen (metus, ignauia, dementia; §12) - ein schwerer Angriff gegen sein Publikum, was ihn in seinen Vorwurfen scharfer als Lepidus erscheinen lasst. Dieser Umstand ruhrt wohl daher, da die allgemeine Lage pervertiert ist (considerate quam conuorsa rerum natura sit; §13), eine weitere Gemeinsamkeit mit Lepidus' Analyse der Situation. Offensichtlich erschweren diese Bedingungen richtig zu handeln (recte facere): Damals beteiligte sich Lepidus aus Furcht an den Proskriptionen (or. Lep. §18), ebenso furchten sich nun die Senatoren (§13); es sei denn - Philippus fordert seine Zuhorer heraus -, sie empfinden Scham oder Missmut, das Richtige zu tun (§14).

Der Princeps senatus spart in seiner Ansprache nicht an Schmahung des Kontrahenten. In der Apostrophe an Lepidus fahrt er ihn als pessume omnium atque inpudentissume (§15). Dies sind weitere Epitheta zu omnium flagitiosorum postremus (§3), latro cum calonibus et paucis sicariis (§7) etc. - man kann sagen ein Merkmal der scharfen Rhetorik Philippus'.[84] Die Vorwurfe lauten: mangelnde Sorge und Empathie fur die Verelendung der Mitburger, die widerrechtliche Aneignung fremden Eigentums aber v.a. die verfassungswidrige Forderung nach einem zweiten Konsulat, was soviel bedeutet wie Streben nach Alleinherrschaft, und schliefilich die Zerstorung der concordia durch Krieg (§15). Das gibt genug Grunde, ihn als Verrater des eigenen Standes, Verrater an den ubrigen Senatoren und Feind aller Guten zu diffamieren (nostri proditor, istis inftdus, hostis omnium bonorum; ebenda). Damit wird darauf gezielt, Lepidus zu isolieren, um ihn einfacher zum Staatsfeind (hostis) zu erklaren und die spatere Forderung nach dem senatus consultum ultimum (SCU) vorzubereiten. Lepidus empfindet nicht einmal Scham vor seinem Treuebruch und dem Bruch des Gelubdes gegen Menschen und Gotter, was ich als weiteren Versuch der Isolation seiner Person interpretiere. Daher fordert Philippus konsequenterweise die Konfrontation, um dem Ubel endlich ein jahes Ende zu bereiten: Lepidus soll seine Waffen behalten, ja vielmehr seinen geplanten Aufruhr nicht weiter hinauszogern (§16). prolatandis seditionibus ist selbstverstandlich eine Anspielung auf die Forderung Lepidus', man solle die Angelegenheit nicht mehr hinausschieben (non prolatandum; or. Lep. §7). Philippus zeigt sich also genauso konfliktbereit wie sein Widersacher. Weder die Provinzen noch die Gesetze noch die Penaten dulden Lepidus als Burger - also eine Untermalung der Hostiserklarung aus vorhergehendem Satz. Vom patiuntur setzt sich dann die Aufforderung an Lepidus perge qua coeptasti ab und schliefit mit quam maturrume seinen Angriff gegen Lepidus dynamisch ab. Abermals zeigt sich Philippus als hartgesottener nobilis, der die vom Leser erwartete harte Haltung und Bereitschaft, keine Auseinandersetzung zu scheuen, voll und ganz erfullt.

Ohne Umschweife wendet sich der Redner von Lepidus weg und zu den Senatoren hin, um diese weiter mit seinen Vorwurfen zu qualen (§17). quo usque cunctando rem publicam intutam patiemini ist an die besorgten Worte des Konsuln aus dem Jahr der Catilinarischen Verschworung angelehnt und schafft somit eine enge Verwandtschaft zwischen der Person Catilinas und Lepidus.[85] Daruber hinaus spricht hier auch Sallusts Catilina,[86] der im Allgemeinen zwar aus schlechten Motiven heraus handelt, aber in diesem Kontext zu Recht die Anhaufung von Macht und Reichtum bei einigen Wenigen kritisiert.[87] Insofern lasst sich diese Stelle mit ihrer doppelten Anspielung schwer lesen und einordnen,ja versetzt den Leser in einen Zustand der Ratlosigkeit: Spricht hier der verdienstvolle Konsul und Redner oder der Schurke, der sich dessen Worte dienstbar macht oder etwa der rucksichtslose Fuhrer des Senats, dem jedes Mittel zum Erreichen der eigenen Ziele recht ist und der sich uber die Integritat bzw. Verschlagenheit der Herkunft „seiner“ Formeln hinwegsetzt?

Ansonsten bleibt Philippus dem Duktus seiner Rede treu. Er geifielt weiterhin die zogerliche Haltung der Senatoren, was in §17 an der primaren Stellung des Gerundiums cunctando deutlich wird. Zogern ist fur die Gefahrdung des Gemeinwesens verantwortlich. Die rege Kriegsvorbereitung des Lepidus (Dilectus aduorsum uos habiti [...] praesidia deducta atque inposita; ebenda) wird auf gewohnt antithetische Weise der Untatigkeit des Senats gegenubergestellt (quom interim uos legatos et decreta paratis; ebenda; armato Lepido uos inermos retinet; §18; ita a uobis pacem, uobis ab illo bellum suadet; ebenda). Ihre Stumpfheit druckt sie nieder und hat zur Folge, dass sie die nicht weit zuruckliegenden Verbrechen Cinnas aus dem Gedachtnis tilgen (§19). Mit dem Bild von der Ruckkehr Cinnas in die Stadt (quoius in urbem reditu decus ordinis huius interiit; ebenda) sucht Philippus bei den Zuhorern Furcht zu evozieren. Appian bietet eine Kostprobe davon, welche Erinnerung bei den Senatoren hervorgerufen werden sollte.[88] Aber der Redner entpuppt sich an dieser Stelle nicht nur als derjenige, der sein Publikum mit Furcht bearbeitet und es dadurch unter Druck setzt (anstatt mit Argumenten zu uberzeugen). Daruber hinaus gibt Philippus dem historisch versierten Leser auch den Hinweis, dass er in jenen Jahren selbst genug politisches Geschick aufgeboten hat, nicht nur um dem Massaker zu entkommen, sondern auch um im Jahr darauf das Amt des Censors zu erlangen.[89] Daher sei es legitim, eine Parallele zu Lepidus zu ziehen: Wahrend dieser von den Proskriptionen profitierte, tat dies Philippus, indem er das bedeutendste Amt bekleidete. Das Verruckte dabei ist, dass der popularis Lepidus dem Optimaten Sulla unterstand, der Optimat Philippus dem popularis Cinna.

Zum Schluss seiner Ansprache treibt der Wortfuhrer des Senats seinen Sarkasmus auf die Spitze und stellt seine Zuhorer vor die Wahl, sich entweder den Verratern anzuschliefien, am Raub und Brandschatzen zu beteiligen und sich gegen die Penaten zu wappnen; oder - diesmal in konstruktiver Manier - sich fur die Freiheit und das Wahre zu entscheiden, einen ihres Namens wurdigen Beschluss zu fassen und den Mut bei tapferen Mannern zu starken.[90] Auffallig in diesem Ausspruch sind zwei Dinge: Erstens die Trennung der Senatoren von den uiris fortibus, was so viel bedeutet wie, dass sie feige bleiben und durch ihre Beteiligung an dem Beschluss ihnen lediglich die Rolle des Stimmviehs zukommt; und zweitens die erstmalige positive Konnotation von decernere bzw. decretum. Bis dahin haben sie sich eben dadurch ausgezeichnet, dass sie nichts anderes machten, als zu verhandeln und Dekrete zu beschliefien.[91] Diesmal soll die Beschlussfassung honorig sein?

Philippus bleibt sich treu und setzt auf den Krieg: Adest nouos exercitus, ad hoc coloniae ueterum militum (§21).[92] Die Anlehnung an Lepidus' adeste in seinem Schlusssatz ist wohl nicht zufallig und nicht anders verhalt es sich mit dem duces optumi, die auf sein ducem anspielen. Beide Fuhrer suchen fur ihr militarisches Vorhaben Gefolgsleute zu gewinnen. Ferner bemuht sich ersterer Zuversicht dadurch zu erwecken, dass er die Bereitschaft der ganzen Nobilitat (nobilitas omnis) suggeriert. Auch hieran wird der politische Standort Philippus' deutlich und der Leser mag sich fragen: Aber was ist denn mit den anderen Teilen des Gemeinwesens? Geht es hier etwa um eine Willenserklarung im Sinne von einigen Wenigen? Lediglich zum Schluss steigt Philippus von seinem hohen Ross und ruhrt sich zur captatio benevolentiae: es sei die gemeinsame (nostra) socordia, die sich nun bald auflosen wird.[93] Zum ersten Mal schafft der Redner eine Gemeinsamkeit zwischen sich und seinem Publikum. Der Hintergedanke ist pragmatisch wie durchsichtig, will er doch Unterstutzung fur den SCU und die Bereitstellung eines Heeres gegen Lepidus mobilisieren (§22).

Die Analyse der Ansprache Philippus' ergibt das Bild eines hartgesottenen nobilis, der um keinen Preis gewillt ist, mit dem Kontrahenten zu verhandeln. Er fahrt einen Konfrontationskurs, der sich in dem antithetischen Duktus der Rede widerspiegelt: ihm zufolge gibt es nur die Option Krieg oder Frieden. Den Frieden, den die verhandlungsbereite Seite der Senatorenschaft anstrebt, sei in Wirklichkeit nichts anderes als Krieg. Die sarkastische Manier Philippus' entlarvt ihn als einen Besserwisser, dessen Tadel an seinem Publikum nicht selten an Beleidigung grenzt. Ferner setzt er seine Zuhorer unter Druck, indem er Horrorszenarien entwirft. Dadurch beabsichtigt er, sie in einen Zustand der Furcht zu versetzen mit dem Ziel, sie fur die Sanktion des SCU zu bewegen. Je mehr Philippus bemuht ist, seinen Widersacher zu denunzieren, um so augenfalliger treten die Gemeinsamkeiten beider Redner zu Tage, die sich in der Ubernahme zahlreicher Begriffe des Lepidus widerspiegeln. Nachdem der Leser also erkannt hat, dass auch Philippus' Programm keine wirkliche Losung bietet, sondern die Situation viel mehr verscharft, ist er uber die Entwicklungen des Konfliktes aufgeklart und kann gut vorbereitet mit der Lekture fortfahren.[94]

2.5 Macer

Ich komme nun zur Rede des C. Licinius Macer, die daher interessant ist, da der Autor und sein Protagonist beide nicht nur als Geschichtsschreiber tatig waren, sondern sie teilten auch eine gemeinsame Vergangenheit als Volkstribunen.[95] Beide traten als populare Politiker in Erscheinung. Zwar ist uns der literarische Kontext der Rede nicht uberliefert, stattdessen konnen wichtige Eckdaten der Situation ermittelt werden: Die wirtschaftliche und soziale Lage Roms war desolat. Auf die strapaziosen militarischen Unternehmungen in Spanien und im Osten gegen Mithridates ist bereits eingegangen worden. Daher und durch die Umtriebe der Seerauber leiteten sich u.a. Engpasse in der Versorgung der stadtischen Bevolkerung mit Getreide ab. Militarische Kommandos mussten mit aufierordentlichen Vollmachten ausgestattet werden, wodurch die einzelnen Feldherren gestarkt und der Senat geschwacht wurden.[96] Wichtig fur uns ist, dass der Volkstribunat, auch wenn Cotta ein Gesetz durchbrachte, das den Volkstribunen die kunftige Amterlaufbahn ermoglichte, immer noch blockiert war. Ex eventu kann man sagen, dass die Rede die Bemuhungen um die Restitution der tribunicia potestas illustrieren und daruber hinaus schon mal die Ereignisse des Jahres 70 vorbereiten soll. Selbstredend fungiert Macer an dieser Stelle als der Prototyp eines popularen Redners.

Macer startet mit einer Praeteritio, die veranschaulichen soll, dass die rechtlose Lage der plebs zu Zeiten der Standekampfe analog ist zu dem nun von Sulla hinterlassenen Zustand der Sklaverei. Der Volkstribun muss nicht erwahnen, dass die Vorfahren einen Volkstribunat mit voll ausgestatteten Rechten (omnis iuris sui; §1) erkampft und als Erbe hinterlassen haben. Seine Aufgabe besteht in der Ermahnung und darin, den Weg zur Erlangung eben dieser Rechte zu ebnen. Die zentralen Begriffe (seruitium, ius, tribuni plebis und naturlich libertas) werden eingefuhrt und geben die Stofirichtung vor. Wenn man so will, kann man bei dem capessundam libertatem die Fortsetzung von Lepidus' letzten Worten seiner Ansprache recipiundam libertatem sehen, womit eine populare Verwandtschaft hergestellt ware oder zumindest die Uberschneidung in der Verwendung selben

Vokabulars. Hierin druckt sich, so meine ich, die Herausforderung in der Interpretation dieser Rede aus: Ob Macer ein vorbildhafter popularis[97] ist, oder ob er eben nur sein populares Politikersprech zum Zeugnis gibt,[98] oder ob sich wieder mal Wahres mit Falschem vermischt,"[99] das zu ermitteln stellt den Leser vor keine leichte Aufgabe.

Der Kampf, in den Macer sich begibt, ist gekennzeichnet von einer Ungleichheit der Krafteverhaltnisse, denn auf der einen Seite sind viele Machtmittel der Nobilitat (quantas opes nobilitatis; §3), denen gegenuber er allein (solus) steht, da ohne die Unterstutzung eines Kollegen, machtlos (inpotens) ist, da Sulla die Macht genommen hatte, und sein Amt ist nur noch eine leere Hulle (inani specie magistratus). Als ob das nicht schon schlimm genug ware, kommt noch die Tatsache hinzu, dass die mit Schuld beladenen Gegner organisiert sind und sich in grofierer Sicherheit wiegen konnen als die rechtschaffenen Manner, die ebenfalls allein stehen. Aber er uberwindet seine Furcht, da die plebs in ihm Hoffnung weckt - dafur weckt Macer Wohlwollen bei seinen Zuhorern -, ferner sei es fur einen Mann besser, fur die Freiheit Widrigkeiten in Kauf zu nehmen, als uberhaupt nicht gekampft zu haben (§4). Ahnlich hat sich Sallust bei Memmius und Lepidus zu Wort gemeldet.[100]

Macer ist es wichtig zu betonen, dass er allein auf weiter Flur steht, denn omnes alii aus §5 klingt dem solus aus §3 nach. Alle machen das Gegenteil von dem, wozu sie sich feierlich verpflichtet haben (creati pro iure uostro), sie missbrauchen ihre qua Amt verliehene Macht (uim cunctam et imperia sua) und das nur aus Eigensucht und auf die eigene Karriere bedacht (gratia aut spe aut praemiis). Dieser Einwurf ware an sich nicht spektakular, wenn es sich bei dieser Gruppe um Angehorige der Nobilitat handelte.[101] Gewichtig wirkt die Aussage dafur, wenn man die creati pro iure uostro auf Volkstribunen munzt, da sie dadurch einen aufklarenden Charakter erhalt und die Zuhorer dazu anhalt, zwischen wahren und falschen Fuhrern zu unterscheiden. Denn eine Bedingung zur Erlangung und Aufrechterhaltung der Souveranitat des Volkes, um die es ja dem Redner (und Sallust) geht, ist die Fahigkeit, die Worte und Motive seiner Reprasentanten zu durchschauen. Erst dann ist man in der Lage zu beurteilen, ob ein erklarter Volkstribun sich fur einen Lohn eher vergehen will oder ohne Entgelt richtig handelt (meliusque habent mercede delinquere quam gratis recte facere, §5). Wie bedeutsam es ist, recte facere zu identifizieren, belegt die Tatsache, dass diese Phrase Politiker verschiedener Couleur fur sich vereinnahmen.[102]

Macer weitet seine Anklage nun weiter aus und tadelt, dass alle sich in die Herrschaft Weniger begeben haben (§6). Nun scheint der Gegensatz „alle-wenige“ bzw. omnes/cuncti- soluspauci zu einem Leitmotiv heranzuwachsen. Hier soll m.E. die Verkehrung der Dinge ahnlich wie in der Lepidusrede illustriert werden. Die Herrschaft, dieja eigentlich der Gesamtheit der res publica zu Gute kommen soll, wird unter militarischem Vorwand von Wenigen erobert (per militare nomen [...] occupauere).[103] Im selben Atemzug pendelt die Anklage gegen die Zuhorer, die sich nach Art des Viehs zur Ausbeutung feilbieten. Die Perversion des Verhaltens der plebs liegt darin, dass sie nicht nach dem mos maiorum handelt sondern einem mos pecorum, wie das folgende quae maiores reliquere belegt. Hier spricht ein scharfzungiger Volkstribun und vergreift sich zur ironischen Bemerkung, man wahle sich - nicht wie einst die Beschutzer (praesides) - nun selbst die Herren (dominos). Aber Macer gibt sich zuversichtlich, denn bald nach dem Erringen der vollen Rechte (si uostra receperitis, §7) werden sich alle anderen in wankelmutiger Manier der plebs zuwenden. Diese Zuversicht erscheint jedoch ambivalent, denn sie fungiert hier wohl als Menetekel: Der Volkstribunat wird aufgrund seiner Kompetenzen und Moglichkeiten, politische Beschlusse am Senat vorbei durchzusetzen, in den folgenden Jahrzehnten heifi begehrt sein.[104] Inwiefern soll dies also erstrebenswert sein, wenn starke Manner um die Gunst der plebs buhlen, nur um noch machtiger zu werden? Das kann nicht die von Macer geforderte libertas sein. Allerdings ist der Protagonist nicht etwa naiv oder der Sache unkundig, sondern es muss sich hier um dramatische Ironie handeln, die einerseits einen wohlmeinenden und mutigen Volkstribunen zeigt und andererseits den kunftigen maBlosen Missbrauch des Tribunats antizipiert.[105] Daher kann man anfanglich den Redner als tragische Figur anpeilen.

Im zweiten Teil der tractatio[106] beschwort Macer die plebs, einmutig vorzugehen und zu begreifen, dass der Gegner diese bereits in ihrem schlaffen und sorglosen Zustand furchtet (§8). Dafur fuhrt er folgende Beispiele an: Cotta hatte aus Furcht die Amterlaufbahn fur ehemalige Volkstribune wieder ermoglicht. Sicinius wagte es ein Jahr zuvor, die tribunicia potestas als Programmpunkt auf die politische Tagesordnung zu bringen - wobei diejenigen, die davon potentiell profitieren wurden, nur leise vor sich hin murmelten (mussantibus uobis). Als Dank dafur wurde er von Curio in den (politischen) Untergang getrieben. Auch muss man noch Quintius dazuzahlen, gegen den Lucullus rigoros vorgegangen ist (§11). Die Nobilitat agierte stets aus Furcht, wahrenddessen die plebs passiv blieb und mit dem Dahinscheiden Sullas hoffte, dass dies das Ende der Sklaverei bedeutete. Aber da erstand auch schon der viel grausamere Catulus.[107] Diese Ernuchterung der hoffenden plebs spiegelt sich in der Aufeinanderfolge der Verben credebatis, das den Satz abschlieBt, und ortus est wieder. Es ist klar, dass der Vergleich des Diktators mit Catulus eine Ubertreibung darstellt, die ich auf den popularen Charakter der Agitation zuruckfuhre. Bedeutenderjedoch ist, dass Macer in seiner Ausfuhrung auffallig ungenau ist, was daran sichtbar wird, dass er seinem Publikum Namen und historische Zusammenhange verschweigt: Der tumultus im Konsulatsjahr des Brutus und Mamercus (§10) ist eine beschonigende Periphrase fur den gewaltsamen Versuch der Neuordnung der politischen Verhaltnisse unter der Fuhrung Lepidus', der mit der popularen Bewegung in Verbindung gebracht werden muss aber nicht wird. Damit umgeht Macer leichtfuBig, aber fur den Leser erkennbar, dass Lepidus noch vor Sicinius die tribunicia potestas wiederherstellen wollte! Diese vorsatzliche Ungenauigkeit des Redners wirft einen Schatten auf seine Person und lasst ihn, wenn schon nicht demagogisch, so doch zumindest taktisch erscheinen. Das kann man auch an den unglucklich gewahlten Beispielen Sicinius und Quintius sehen. Beide waren nicht so sauber, wie Macer seinem Publikum glauben machen will: Der eine liefi sich bei seinen Versuchen einschuchtern, der andere wurde zwar wegen seiner Versuche, den Volkstribunat zu restaurieren, von Lucullus angegriffen, liefi sich aber gerade einmal 6 Jahre spater von eben demselben bestechen.[108] Das musste Macer eigentlich wissen, war Quinitus im Jahr 68 doch sein Pratorkollege. Aber ihm liegt eher daran, die Volkstribunen in einem hellem Licht zu zeigen und sie in ihrem Kampf zu idealisieren. Aus dem Standpunkt des Lesers muss das als eine Tendenz zur Schwarz-Weifi-Malerei interpretiert werden.

Trotz dieses Vorgehens konnen wir mit dem Redner dadurch Nachsicht uben, dass wir in Rechnung stellen, dass er seine Zuhorer aus der Lethargie ziehen und ermutigen will. Ferner weist er sie erneut darauf hin, dass in den nun tobenden Kampfen (his ciuilibus armis; §11)[109] die Schlagworter zwar verschieden sind, es geht jedoch stets nur um die Herrschaft uber die plebs. Dieser lehrende Warnruf knupft nicht nur an das in §5f. gesagte an, sondern greift Sallusts Ausfuhrungen aus seinem Proomium auf.[110] Macer wappnet also seine Zuhorer gegen die Verfuhrungsversuche der Popularen- wie Optimatenseite durch die Verwendung schon klingender Begriffe. So soll man sich z.B. vor dem Schlagwort der innenpolitischen Ruhe (otium) in Acht nehmen, denn dieses soll letztendlich die Herrschaftsverhaltnisse (seruitium) verschleiern (§13).[111] Macer hat also erkannt, dass im Kampf um die politische Macht den Akteurenjedes Mittel recht ist und die Verkehrung des politischen Vokabulars ein Kennzeichen dessen ist. Folglich kann es nicht richtig sein, auf eine von beiden Seiten zu bauen, da sie sich innerhalb dieses Rahmens bewegen. Er wahlt also den schweren, aber auch den einzig gangbaren Weg, wenn er seine Zuhorer auffordert, sich ausschliefilich auf sich selbst zu verlassen.

Der Einwurf quid censes igitur (§14) ist lediglich rhetorisch, da die contio seit Sulla kein Vorschlags- und Beschlussrecht mehr besitzt. Man konnte aber auch meinen, Macer ignoriere diese Tatsache, setze sich uber diese Beschrankung hinweg und schafft letztendlich Fakten, indem er zu seinem Gesetzesantrag ubergeht. Die erste Konsequenz, die er aus der gegebenen Situation zieht, stellt die Voraussetzung fur den Erfolg des gesamten Unternehmens dar und wird, durch Homoioteleuta unterstutzt (primum omnium ommitumdum morem hunc quern), eindringlich und klar verstandlich vorbereitet: die Ruhrigkeit mit der Zunge nach aufien hin, aber Energie- und Mutlosigkeit nach innen, diese schlechten Angewohnheiten mussen als Erstes abgelegt werden. Er tadelt, wie es der Leser bei Sallust gewohnt ist, die ignavia des Publikums, die das Hauptubel fur den rechtlosen Zustand des Gemeinwesens ist. Lediglich auf dem Versammlungsplatz verhalt man sich grofisprecherisch, daruber hinaus ist man der Freiheit uneingedenk.[112] Die zweite Forderung wird sorgfaltiger angebahnt, indem uber den Ursprung der vor kurzem verlorenen Rechte doziert und implizit vorweggenommen wird, diese sollten nicht bewaffnet verteidigt werden (ne uos ad uirilia ilia uocem). Damit stellt sich Macer in die Tradition eines Memmius, der nicht auf Umsturz sondern auf Reformen aus ist. Um diese durchzufechten, muss die plebs sich auf ihre Macht besinnen (quom uis omnis, Quirites, in uobis sit) und nicht auf die Hilfe von Gottern warten (Iouem aut alium quem deum consultorem expectatis). Dass das ein antagonistischer Gegensatz ist, zeigt sich stilistisch u.a. an dem unterschiedlichen vokalischen Gleichklang. Nun will der Leser so langsam erfahren, was denn der Weg sein soll. Aber Macer tastet sich nur sorgsam an seinen Vorschlag heran: Er will auf die hochfahrenden Befehle der Konsuln und Dekrete der Vater hinaus (Magna illa consulum imperia etpatrum decreta; §16), die man selbst mehrt und stutzt. Bedachtig, weil ex negativo, fordert Macer nun, man solle nicht auf Rache aus sein (Neque ego uos ultum iniurias hortor, §17), sondern Fassung bewahren; nicht Zwietracht, sondern deren Ende solle man anstreben. Um ganz sicher zu gehen, dass er nicht missverstanden wird, wendet er sich nun explizit gegen gewaltsames Vorgehen (neque arma neque secessionem [repeto]) und bringt ganz bescheiden (tantummodo) die Forderung auf den Tisch: ne amplius sanguinem uostrum praebeatis. Censebo bildet mit dem quid censes igitur (§14) die Klammer seines Initiativantrags.[113] Fur die Bewertung des Redners ist diese Passage insofern bedeutend, da er die (nach Sallust) richtige - weil gewaltfreie - Methode des Vorgehens deutlich macht und eine mustergultige Motivation des Handelns einfordert: keine Rache, ein Ende der Zwietracht.

Die militarischen Untemehmungen der machtigen Feldherren verhohnt Macer (§18) aber die Erklarung ist rational und eingangig: Warum Gefahren eingehen, wenn sie keinen Nutzen bringen (absit periculum et labos quibus nulla pars fructus est)1 Nun, konnte jemand einwenden - Macer setzt mit dem gewohnt ironischem nisi forte zur Praemunito an -,[114] die Dienste wurden doch durch das jungst erlassene Getreideversorgungsgesetz vergutet. Dass das ein lacherliches Argument ist, zeigt die stilistische Aufgeblasenheit von lex, der drei Bezugsworter vorgeschaltet werden (repentina ista frumentaria lege). Dennoch erklart und entlarvt er dieses politische Manover: Anstatt der plebs ihre libertas zuruckzugeben, speisen sie diese mit einer Gefangniskost ab, die zu wenig ist um zu leben aber zu viel um zu sterben. Aufjeden Fall bedeutet sie eine Ehrverletzung der Empfanger, die ja durch ihre militarischen Dienste zur wahren Grofie des romischen Imperiums beitragen.[115] Macer tritt hier aber als Idealist auf, denn er verkennt, dass der Kampf um die Versorgung mit Getreide spatestens seit den Gracchen ein zentrales Anliegen der stadtischen Romer war.[116] Auch wenn diese grofizugiger ausfiele (Quae quamuis ampla; §20), so zeugte es doch nur von Stumpfsinn (torpedo), sich tauschen zu lassen und schlimmer noch den Verantwortlichen zu Dank verpflichtet zu sein.

Frei nach Art eines aufklarenden Redners folgt der warnende Ausruf Cauendus dolus est (§21). Die List besteht, wie erwahnt, in der Bereitstellung von Beschwichtigungsmitteln aber auch darin, dass die Machtigen das Volk auf die Ankunft des starken Mannes vertrosten: Pompeius. Dieser ist bereits im Vorfeld vom Autor als grofienwahnsinnig charakterisiert worden.[117] Demgegenuber steht das positive Bild, das Macer von ihm zeichnet (§23). Demnach ist Pompeius, ein junger Mann von uberaus hohem Ansehen, der nichts anderes vorhat, als - sofern die plebs das nur billige (uolentibus uobis) - den Volkstribunat wiederherzustellen. Sicherlich musste diese Sicht einige Irritationen beim Leser erwecken, der sich Pompeius' Rolle unter Sulla aber auch danach, als er an der Seite Catulus' gegen den „Popularen“ Lepidus kampfte, bewusst war. Und bereits in §18 war Pompeius mitgedacht, als es hiefi, die Herrschenden sollen ihre militarischen Kommandos und

Triumphe behalten: Wenn die Rede von Sertorius und den Resten der Verbannten ist, dann ist in erster Linie Pompeius gemeint. In den 70-er Jahren hielt er seine ersten Triumphe ab.[118] Als er in seinem Brief an den Senat seine militarischen Grofitaten glorifiziert, gibt er die Erfolge des Metellus und anderer Heerfuhrer als seine eigenen aus (Hist. 2,98,4-6). Den Senat erpresst er quasi, damit dieser ihm Truppen schickt und droht im letzten Satz, das Heer konne sonst Richtung Italien marschieren (ebenda; §10). Pompeius erfullt demnach die erforderlichen Kriterien eines Politikers, die Macer in all dem zuvor Gesagten von Grund auf ablehnt. Im Gegenteil: Er gibt sich hinsichtlich seiner Lauterkeit absolut zuversichtlich (Mihi quidem satis spectatum est; §23). Man muss folglich sagen, dass Macer Pompeius hier falsch einschatzt und selbst einer List unterliegt. Gerade er, der seine Zuhorer davor gewarnt hat, dass Politiker aller Couleur nur auf Herrschaft aus sind (§11), hatte den neuen starken Mann richtig beurteilen mussen. Dadurch erscheint der Volkstribun an dieser Stelle in einem tragischen Licht: Pompeius wird drei Jahre spater den Volkstribunat wieder zu seinem Recht fuhren, allerdings wird er auch derjenige sein, dem es dadurch ermoglicht wird, seine Machtposition im Gemeinwesen weiter auszubauen.[119]

Dennoch lasst Macer durchblicken, dass die Sache mit Pompeius einen Haken hat und zwar den Umstand, dass nun alle Burger ihren Schutz in einem Einzigen suchen mussen, wahrend der Idealzustand war, dass jeder Einzelne in der Mehrheit sicher war (antea singuli ciues in pluribus, non in uno praesidia habebatis; §24). Er orientiert sich an den guten alten Zeiten, als das Gemeinwesen kollektiv gefuhrt wurde und einzelne Personlichkeiten noch keine Macht anhauften.[120] Daher liegt die Vermutung nahe, auch Macer sei mit dieser Alternative nicht glucklich, zumal er darauf verweist, dass das, was ein Einziger gibt, alsbald von ihm geraubt werden kann (neque mortalium quisquam dare aut eripere talia unus poterat).121 Das Gesagte soll als eine Wamung wirken und die Zuhorer dazu anhalten, in der Gesamtheit fur ihre Rechte zu streiten. Um das zu verdeutlichen, greift der Redner erneut auf den Gegensatz unus-cuncti zuruck, den er nochmals mit der Antithese dare-eripere steigert.

Bevor Macer nun seine Rede abschliefit, setzt er nochmals zum Tadel seines Publikums an, der vergegenwartigen soll, dass keine Erkenntnis nutzen wird, wenn nicht Tragheit und Feigherzigkeit abgelegt wird (§26). Auch ist die Haltung falsch, grundlegende Rechte fur Freiheit zu halten.[121] Abgesehen davon gelten diese lediglich fur die Stadtromer und nicht fur die Bewohner italischer Gemeinden. Die - militarischen - Machtkampfe tragen die Machtigen nicht nur auf ihren Rucken aus, sondern sie verpulvern sie in ihren Kriegen (§27). Das kann als ein Aufruf verstanden werden, sich mit der plebs rustica zu solidarisieren oder zumindest einzusehen, welche Tragweite der Zustand der Rechtlosigkeit aufweist. Es geht Macer also in erster Linie nicht um die Vertretung der Interessen einer eng begrenzten Klientel (plebs urbana), sondern um die Sache an sich: die Gewahr der Rechtssicherheit. Diese wird nicht eintreten, im Gegenteil: Die Plebejer werden stets Besiegte bleiben, wofern nur die Machtigen sich mehr um ihre Herrschaft sorgen, als man selbst um die Wiedererlangung der Freiheit (§28).

Wie in den Ansprachen zuvor spart der Redner hier nicht mit Tadel an seinem Publikum und ebenso ist der Kritikpunkt der selbe: die Lethargie der Massen. Zwar ist der Umstand, dass man seiner von den Vorfahren uberlieferten Rechte verlustig gegangen ist, nicht selbst verschuldet - Ursache dafur ist der standige Machtkampf der pauci potentes -, aber dass dieser Zustand seit Sullas Tod so lange anhalt, dafur tragt die feige und sorglose plebs die Verantwortung. Macer ruttelt also seine Zuhorer auf, ermahnt und klart sie auf. Einerseits legt er die eigensuchtigen Interessen der Optimaten- wie Popularenseite auf, was sich mit Sallusts Ideen deckt und gelobt werden muss, zumal dies eine Absage an pragmatisches Handeln bedeutet; stattdessen ermuntert Macer seine Zuhorer, den schwierigeren Weg zu beschreiten. Andererseits neigt er aber dazu, die jungste Geschichte der popularen Volkstribune zu beschonigen (Sicinius, Quintius) oder unliebsame Fakten unerwahnt zu lassen (Lepidus' erstmaliges Engagement fur die Wiederherstellung des Volkstribunats). Hier kann der Leser Nachsicht mit Macer uben, denn sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zielt nicht auf gewaltsames Vorgehen und das ist zentral. In diesem Punkt gleicht er seinem Vorganger Memmius. Lediglich die falsche Einschatzung des Pompeius muss Macer zur Last gelegt werden, ist jener letztlich nicht nur einer der Hauptakteure im Kampf um die Alleinstellung im Staat, sondem er ist wohl der erste Mann Roms, der die Rechte des Volkes wiederhergestellt hat, um sie spater wieder zu beseitigen. Macer, dem man ohne weiteres gute Absichten unterstellen kann, gibt hier eine tragische Figur ab, indem er eben dies „nichtsahnend“ ausspricht: neque mortalium quisquam dare aut eripere talia unuspoterat (§24).[122]

3. Fazit

Die Situation, in die die Redner ausgesetzt werden, ist stets aus den Fugen geraten. Sie sehen ihre Aufgabe darin, die Wiederherstellung des Rechtszustandes einzufordem. Das stellt sie vor eine schwierige Aufgabe, da das Publikum lethargisch, feige und des Vergangenen wie der daraus resultierenden staatsburgerlichen Verpflichtungen uneingedenk ist. Aus diesem Umstand ruhrt ihr scharfer Ton und heifiblutiger Tadel her. Dies allein ist aus der Warte des Autors nicht verwerflich, da auch er sich selbst in seinen Anklagen - sei es gegen die eine Partei, sei es gegen die andere - leidenschaftlich zu Wort meldet. Viel mehr von Bedeutung ist, welche konkreten Ziele derjeweilige Redner anstrebt und wie er diese umzusetzen gedenkt. Memmius nutzt seine Stellung, um dem mafilosen Treiben der Nobilitatsklique ein Ende zu setzen und beantragt juristische Untersuchungen. Macer sieht seine Aufgabe darin, die tribunizischen Rechte wiederherzustellen. Beide sprechen sich in ihrem Vorgehen ausdrucklich gegen eine gewaltsame Losung aus. Dies stellt m.E. ein zentrales Kriterium in der Bewertung ihrer Person dar, kontrastiert man die Ziele und Losungsvorschlage der anderen Redner mit den der Volkstribunen. Lepidus klagt zwar zu Recht die Tyrannis des Sulla an, jedoch will er diese letzten Endes militarisch uberwinden. Ahnlich verhalt es sich mit Philippus, der auf diese Bedrohung hin die Ausrufung des Notstands (SCU) fordert und eine friedliche Losung des Konfliktes strikt ablehnt. Sallust uberlasst es zwar seinem Leser, diese Mafinahmen zu bewerten, dass er solcherlei Vorstofie missbilligt, durfte allerdings klar sein.

Schwierig gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob die Redner im gruppenspezifischen Interesse handeln, oder sie in ihrem Tun das Wohl des Gemeinwesens im Auge haben. Lediglich Memmius beteuert in seiner Ansprache, dass ihn die Sorge ums Ganze (studium rei publicae; §1) zur Aktion veranlasst. Und in der Tat ist er nach dem Scheitern seines Antrages, als die plebs uber die Unverschamtheit der factio in Wallungen gerat, bemuht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Er vermag nicht zu verhindern, dass im weiteren Verlauf die plebs sich den Makel der lubido zuzieht; dennoch kann sein Auftritt durchaus so interpretiert werden, dass er dem oben genannten Anspruch gerecht wird. Schuld daran ist namlich die Interzession des korrupten Baebius. Macer hingegen scheint da eher voreingenommen zu sein. Dies mag dem Umstand geschuldet zu sein, dass er in seinem Kampf um die libertas allein auf weiter Flur steht, was an dem solus-cuncti-Motiv ersichtlich ist. Da aus seiner Sicht nicht nur die popularen Staatsmanner, sondern auch die Volkstribunen lediglich um die Herrschaft uber das Volk kampfen, ist seine Perspektive nachvollziehbar. Es fehltjedoch ein Hinweis darauf, dass er einen Beitrag dazu leisten will, die res publica wieder einzurenken. Die Ziele des Lepidus sind ebenso wenig ersichtlich. Klar ist, dass er die durch Sulla geknebelten wieder zu ihrem Recht fuhren will. Allerdings kompromittiert er sich, indem er seine ganze Hoffnung auf das Heer setzt, anstatt Geduld zu uben und das Volk zu mobilisieren. Philippus spricht offen im Interesse der Senatsoligarchie und wettert unaufhorlich gegen die verhandlungsbereiten Senatoren. Dabei lasst er durchblicken, dass er zu keinem Kompromiss bereit ist. Anhand seiner Darstellung wird am ehesten ein Charakter deutlich, der die Belange nur einer Gruppe im Blick hat.

Inwieweit entlarven sich aber die Akteure? Bei Memmius konnte kein Makel festgestellt werden. Er geifielt das verderbliche Treiben der factio scharf und genauso vehement ermahnt er seine Zuhorer, ihre Souveranitat zu wahren. In seiner Agitation und auch als die Situation sich verscharft, macht er alles richtig. Wo aber die wichtigste Waffe, die ein Volkstribun zum Schutze des plebejischen Standes, gegen ihn selbst gerichtet wird, da ist er machtlos und verlasst anschliefiend die Szene - als eine tragische Figur. Er hat all seine Mittel ausgeschopft. Anders verhalt es sich mit Macer. Er agiert aus richtigen Motiven und fur richtige Ziele, unterschlagt aber Einzelheiten oder beschonigt diejungste Geschichte der popularen Volkstribune. So vergisst er z.B. zu erwahnen, dass Lepidus sich als Erster fur die tribunicia potestas eingesetzt hat, oder geht nicht auf die Schattenseiten von Sicinius und Quintius ein. Dieses taktische Verhaltnis zur Wahrheit wiegt jedoch nicht so schwer wie seine katastrophale Einschatzung des Pompeius. Die spatere Entwicklung zeigt, dass dieser - mutatis mutandis - derjenige sein wird, der nicht nur am meisten davon profitieren, sondern die Fuhrer der plebs urbana im grofien Stil ausschalten wird. Diesen Missgriff Macers schatze ich als versehentlich ein, so dass auch er als tragische Figur gedeutet wird. Lepidus erscheint in einem deutlich ambivalenten Licht. Er prangert Sullas Verbrechen an, legt aber „offen“, dass er sich daran beteiligt hat. Er brandmarkt den Zustand der Furcht unter Sulla und fordert selbst, Furcht zu verbreiten. Er geifielt die mit Burgerblut getrankten Graber und ruft zum Burgerkrieg auf. Lepidus will den Vorwurf „seditiosus“ entkraften, gibt aber selbst zu, mit Waffen gegen das Gemeinwesen vorzugehen. Er greift Sulla mit allen erdenklichen Waffen an und zum Schluss stellt es sich heraus, dass er der neue Sulla ist. Was er an der Tyrannis kritisiert, ist richtig; sein Programm und seine Tatenjedoch falsch. Zum Schluss Philippus: Er schlagt in seiner Agitation uber die Strange, beleidigt die Senatoren, setzt sie unter enormen Druck. Er prasentiert sich als Besserwisser und nutzt seine Stellung als Princeps senatus schamlos aus. Philippus ist das Paradebeispiel fur einen hartgesottenen nobilis, der seine Interessen - koste es, was es wolle - durchsetzen muss. Dass er um keinen Deut besser ist als derjenige, gegen den er mit allerlei Unterstellungen und Beschimpfungen angeht, zeigen die begrifflichen Anleihen aus Lepidus' Ansprache. Vor allem bei den letztgenannten Rednern ist das fur Sallust so typische Phanomen deutlich geworden, dass sich namlich an vielen Stellen Wahres mit Falschem vermischt; dabei hinterlasst das Falsche einen faden Nachgeschmack, wahrend das Wahre melancholisch nachklingt.

4. Literaturverzeichnis

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[...]


[1] Brecht, B.: Die Geschafte des Herrn Julius Caesar. Romanfragment. Berlin 1969, S. 229f.

[2] Zur Funktion der Reden in antiker Historiographie vgl. Marincola, J.: Speeches in Classical Historiography, in: ders. (Hg.): A Companion to GreekandRomanHistoriography. Oxford2007, S. 118-132; fernerPitcher, L.: Writing Ancient History: An Introduction to Classical Historiography. London 2009; aufierdem Pausch, D. (Hg): Stimmen der Geschichte. Funktionen von Reden in der antiken Historiographie. Berlin 2010; vgl. auch ders.: Livius und der Leser. Narrative Strukturen in ,,ab urbe condita“. Munchen 2011. Hier insbesondere S. 157-190.

[3] Vgl. dazu v.a. Wilkins, A.: Villain or Hero. Sallust's Portrayal of Catiline. New York 1994; oder Batstone, W.: Catiline's Speeches in Sallust's Bellum Catilinae, in: Berry, H.; Erskine, A. (Hgg.): Form and Function in Roman Oratory. Cambridge 2010, S. 227-246.

[4] Fur diese Arbeit habe ich die Ausgabe von Reynolds verwendet. Sallustius, Crispus C.: Catilina, Iugurtha, Historiarum fragmenta selecta, Appendix Sallustiana. Recognouit, breuique adnotatione critica instruxit L. D. Reynolds. Oxford 1991.

[5] Pausch betont die Bedeutung der Interaktion der Rede und des narrativen Kontextes, anstatt die Rede als ,,stilistische lumina oder rhetorische Kabinettstucke“ isoliert zu betrachten. Sie werde vom Leser als wesentlicher und integraler Teil der historiographischen Darstellung wahrgenommen. Vgl. Pausch, Stimmen der Geschichte, S. 3f. Daruber hinaus kann die Verflechtung einer Rede mit dem literarischen Kontext sehr komplex werden. Rosenblitt zeigt am Beispiel des Lepidus auf, dass sein erzahlender Teil der Rede (narratio) eine Erzahlung innerhalb der Erzahlung Sallusts ist: „a play within a play“. Diese rhetorische Strategie giefie die narratio als eine Art Mikrogeschichte, die mit der ubergeordneten geschichtlichen Erzahlung, in die sie eingeflochten ist, konkurriert Vgl. Rosenblitt, J.: Sallust's ,,Historiae“ and the Voice ofSallust's Lepidus, in: Arethusa 46 (2013), S. 447-470, hier S. 458.

[6] Levene zeigt am Beispiel von Jugurtha, Metellus, Marius und Sulla auf, dass jeder Charakter zu Anfang als gut eingefuhrt wird, im weiteren Verlauf jedoch die schlechten Eigenschaften seines Vorgangers ubernimmt. Die Ursache fur die Vererbung der schlechten Eigenschaften an den Nachfolger sieht Levene in der Korruption Roms. Lediglich Sulla geht unverdorben aus dem Werk hervor, was der Autor daraufhin zuruckfuhrt, dass das Bellum Iugurthinum ein „unvollendetes“ Werk sei. Vgl. Levene, D.: Sallust's Jugurtha: An Historical ,Fragment", in: The Journal ofRoman Studies 82 (1992), S. 53-70, hier S. 59-64.

[7] Pausch meint, ein zentraler Faktor fur die Wahrnehmung historischen Geschehens sei die Perspektive, wobei die Reden eine herausragende Rolle fur eine polyphone Presentation der Vergangenheit spielen. Durch die Involvierung des Lesers ins Geschehen und die Erzeugung von Emotionen werde der Rezipient befahigt, sich ein eigenes Urteil bilden zu konnen. Anhand dieser Methode kann beim Leser ein Bewusstsein dafur geschaffen werden, dass historische Urteile relativ sind. Pausch, Stimmen der Geschichte, S. 6; ders., Livius und derLeser, S. 140-142.

[8] Die Einschatzung in der Forschung ist heterogen. Buchner meint zwar, Memmius' Rede sei ,,heilsam, weil sie die gesunde Reaktion des Volkes gegen korruptes Handeln, seine invidia, schurt und zur Abwehr aufruft.“ Aber seine Rede sei ,,nicht nur offen und freimutig, sondern auch einseitig gehassig, politische Kampfrede.“ Buchner, K.: Sallust. 2. verbesserte und erweiterte Auflage. Heidelberg 1982, S. 190. Earl sieht Memmius als Vertreter einer der Parteien, die beide in selbstsuchtiger Manier nach Macht streben und zum Erreichen eigener Ziele bereit sind, bis zum Aufiersten zu gehen. Als Reprasentant der popularen Seite sei Memmius ein unverantwortlicher Demagoge. Vgl. Earl, D.: The Political Thought of Sallust. Cambridge 1961, S. 118. Vretska hingegen interpretiert den Auftritt Memmius' durchaus positiv: Die Rede diene ,,nicht als demagogische Vorspiegelung einer Obsorge fur den Staat. [... Aus] ihr hat also ein wirklicher Romer gesprochen“. Vretska, K.: Studien zu Sallusts Bellum Jugurthinum (Osterreichische Akademie der Wissenschaften/Philosophisch-historische Klasse: Sitzungsberichte; 229, Bd. 4). Wien 1955, S. 92f. Leeman spricht der Rede ,,die Funktion eines Idealpostulats“ zu. Leeman, A.: Aufbau und Absicht von Sallusts Bellum Jugurthinum. Amsterdam 1957 (Mededelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afdening Letterkunde. Nieuwe Reeks. Deel 20, Nr. 8), S. 209, hier S.11.

[9] Es ist zwar keine neue Erkenntnis, aber dennoch muss Folgendes erwahnt werden, um die Rolle Jugurthas im Werk im Besonderen aber auch die folgende Entwicklung im Allgemeinen angemessen zu erfassen. Zu Anfang seiner Darstellung (6f.) zeigt Sallust seinen Protagonisten in einem aufierst positiven Licht: strotzend von Korperkraft, von einem schonen Antlitz und am meisten durch Begabung stark, keine Ausschweifungen, keine Untatigkeit also kein Verderb des Charakters. Ganz so wie Sallust es in Cat. 7 fur die Erziehung junger Leute durch Wettbewerb fordert, ritt Jugurtha, warf den Speer, stritt im Wettlauf mit seinen Altersgenossen. Erst durch dieses Training kann er sich im Krieg auf Scipios Seite bewahren (7,4).

[10] Uicit tamen in senatu pars illa quae uero pretium aut gratiam anteferebat (16,1). Diese Information ist insofern wichtig, dass der Leser langsam darauf vorbereitet wird, die spater aufkeimende Emporung der guten Elemente der romischen Burgerschaft zu verstehen.

[11] Diesmal liegt wohl - infolge der Vertauschung der Wortfolge - die Bedeutung darauf, dass in der Hauptstadt alles kauflich ist, wahrend in 8,1 die Emphase auf Rom lag. Wieder wird durch die Erwahnung dieses Grundsatzes angebahnt, was sich nach dem Auftritt des Memmius in Rom zur Unruhe steigert. Es ist Koestermann zuzustimmen, wenn er sagt, dieses ,,Leitmotiv taucht erneut auf [...] das Geschehen beherrschend, um cap. 35,10 seinen grandiosen Hohepunkt zu fmden.“ Koestermann, E.: C. Sallustius Crispus: Bellum Iugurthinum. Heidelberg 1971, S. 98.

[12] Auch wenn hier die Protasis nicht so lang ausfallt, ist es m.E. vertretbar zu sagen, dass hier ein klassischer Fall von einer „Beinah-Episode“ vorliegt, die abgesehen von der Absicht, Spannung beim Leser zu erzeugen und die Bedeutung der handelnden Figur herauszustreichen, auch darin begrundet sein kann, den Leser hinsichtlich des Ausgangs der Geschichte zu verunsichern. Vgl. Pausch, Livius und der Leser, S. 200f. Im Kontext der Caesar-Cato- Synkrisis konstatiert Batstone, Sallust ziele auf die Verunsicherung des Lesers, damit dieser den richtigen Standpunkt fur die Beurteilung der im Wettstreit stehenden Tugenden einnahme. Vgl. Batstone, W.: Antithesis of Virtue: Sallust's ,,Synkrisis“ and the Crisis of the Late Republic, in: Classical Antiquity 7 (1988), S. 1-29, hier S. 15.

[13] Jugurtha in 7,4 mit positiven Bezug; in 20,2 negativ. Calpurnius ist acri ingenio im positiven Zusammenhang (28,5; 28,7); Scaurus, obwohl verdorben, fuhrt den Krieg acerrume (29,2); Metellus, der ja v.a. zu Beginn seines Auftritts eine gute Figur abgibt, ist ebenfalls ein uir acer (43,1) etc. Ubrigens charakterisiert auch Cicero die Memmiusbruder mit dem selben Begriff, allerdings ist das Bezugswort accusator (Brut. 136). Hier liegt die Bedeutung „energisch“, „tatkraftig“ vor, die ich auch fur Sallusts Memmius vorschlage, da es an unserer Stelle um eine moralische Eigenschaft geht.

[14] Vgl. Meier, Ch.: Art. „Macht, Gewalt. II. Terminologie und Begrifflichkeit in der Antike”, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3. Stuttgart 1982, S. 820-835, hier S. 833.

[15] Vretska, Studien, S. 226.

[16] Warum Buchner in seiner Ubersetzung den Genitivus objectivus (potentiae) ausgelassen hat, ist mir unverstandlich. Vgl. Sallustius, C. Crispus: Bellum Iugurthinum. Der Krieg mit Jugurtha. Lateinisch/Deutsch. Ubersetzt und herausgegeben von Karl Buchner. Stuttgart 1971, S. 55. Vermutlich hangt es mit seiner Gesamtinterpretation der Figur des Memmius zusammen, die auf diese Lesart zuruckwirkt: Memmius sei in Hass verstrickt, auch wenn er in Teilen Recht habe. Vgl. Buchner, Sallust, S. 195. Vretska hingegen betont die Zielgenauigkeit des Memmius: „Sein Angriffsziel ist der umgrenzte Kreis der - nach seiner und Sallusts Meinung - wirklich Schuldigen.“ Vretska, Studien, S.89.

[17] At C. Memmius [...] populum ad uindicandum hortari, monere ne rem publicam, ne libertatem suam desererent; 30,3.

[18] Vgl. Buchner, Sallust, S. 195. Memmius nutze die offentliche Meinung gegen die Korruption aus und damit beginne der Burgerzwist. Dadurch erst entfremden sich die Partner, die eigentlich aufeinander angewiesen sind. Ebenda.

[19] Vgl. Paul, G.: A Historical Commentary on Sallust's Bellum Jugurthinum. Liverpool 1984, S. 97: „The recovery of popular liberty was one of the most widely used slogans of popular oratory, especially when directed against those in power in the senate^. Den Begriff libertas bringt Brunt am besten auf den Punkt: „The rights and material interests of the common people could all be subsumed under, or closely associated with, libertas A Brunt, P.: The Fall of the Roman Republic and Related Essays. Oxford 1988, S. 331. Zu libertas vgl. ferner Bleicken, J.: Art. „Freiheit. II. Antike Grundlagen. 2. Romische libertasP, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2. Stuttgart 1975, S. 430-435.

[20] Ebenso meint Koestermann, in „Memmius glaubte Sallust den Mann gefunden zu haben, den er zum Sprachrohr fur seine eigenenpolitischenUberzeugungenmachenkonnte“. Koestermann, BellumIugurthinum, S. 125.

[21] Selbiges konnte man fur acer und infestus in 27,2 behaupten. Diese Lesart ist insofern legitim, da spatestens seit dem Auftritt Memmius' alles auf den „Parteienkampf ‘ ausgerichtet ist.

[22] Holkeskamp weist darauf hin, in den antiken Reden sei es ublich, ,,direkt oder indirekt Bezug auf sich selbst zu nehmen, die eigenen Absichten, Motive und Ziele hervorzuheben.“ Dabei verknupfe der Redner seine Person, seine virtus, sein Wohlergehen und sein Schicksal mit dem der res publica. Vgl. Holkeskamp, K.-J.: Senatus Populusque Romanus. Diepolitische Kultur der Republik - Dimensionen undDeutungen. Stuttgart 2004, S. 226.

[23] qui ne nunc quidem [...] timetis eos quibus decet terrori esse; ebenda.

[24] Aerarium expilari, reges et populos liberos paucis nobilibus uectigal pendere, penes eosdem et summam gloriam et maxumas diuitias esse, [...\postremo leges, maiestas uostra, diuina atque humana omnia hostibus tradita sunt.

[25] Es ist auch eine Interpretation moglich, die diese Lesart etwas entscharft. Demnach entsprache dieses Vorgehen der gangigen Strategie der Ermahnung der Zuhorerschaft. Der Redner erinnerte dabei im ersten Schritt an die von den Vorfahren uberlieferten Errungenschaften und Traditionen. Dann erschien er als Mahner vorm Volk und erinnerte sie an ihre dignitas, die den Referenzpunkt bildet. ,,Dieser dignitas und der vielzitierten maiestas populi Romani Reverenz zu erweisen, direkt und indirekt, gehort zu den unbedingt zu respektierenden Konventionenjeder Rede“. Holkeskamp, SPQR, S. 244f. An dieser Stelle geht Memmius explizit (uos, Quirirtes, in imperio nati) und implizit vor (aequo animo seruitutem toleratisl). In ahnlicher Manier, ja noch eindringlicher, drangt Memmius in §20 auf sein Publikum ein: uos autem, hoc est populus Romanus, inuicti ab hostibus, imperatores omnium gentium, satis habebatis animam retinere.

[26] Pars eorum occidisse tribunos plebis, alii quaestiones iniustas, plerique caedem in uos fecisse pro munimento habent; §13. Die Rache der „Optimaten“ fiel in der Tat grausam aus. Im Zuge der Sauberung des gracchischen Lagers wurden 200 Anhanger des Tiberius und 250 des Caius ermordet. Im weiteren Verlauf wurden nach Caius' Tod mehrere Tausend Menschen hingerichtet. Vgl. Linke, B.: Die romische Republik von den Gracchen bis Sulla. 2., durchgeseheneundbibliographischaktualisierte Auflage, Darmstadt2012, S. 35; 60.

[27] quos omnis eadem cupere, eadem odisse, eadem metuere in unum coegit; §14. Vgl. mit Cat. 20,4: nam idem uelle atque idem nolle, ea demum firma amicitia est. Auf den ersten Blick herrscht hier eine Ubereinstimmung mit Catilinas Worten, allerdings wird bei Memmius amicitia genauer definiert: Diese gibt es nur unter den Guten, wahrend die aus Leidenschaft, Hass und Angst erzwungene Interessensgemeinschaft unter den Schlechten eine factio erstehen lasst (Sed haec inter bonos amicitia, inter malosfactio est; §15).

[28] Quod si tam uos libertatis curam haberetis quam illi ad dominationem adcensi sunt, profecto neque res publica sicuti nunc uastaretur et beneficia uostrapenes optumos, non audacissumosforent; §16.

[29] Mit optumos wird Bezug auf die boni aus dem vorangehenden Satz gemacht, wahrend sich audacissumos als Variatio auf die mali bezieht. Durch diese Steigerung malt Memmius ein Szenario fur die Zukunft aus, das noch unertraglicher als die momentane Lage erscheinen lasst.

[30] uospro libertate quam ab illis accepistis, nonne summa ope nitemini; §17

[31] Koestermann verweist bei nisi deinde faciundi licentia eripitur auf Cat. 12,4, wo es heifit: neque uictis quicquam praeter licentiam eripiebant und deutet zu Recht auf die Gedankenverwandtschaft des Autors. Vgl. Koestermann, Bellum Iugurthinum, S. 137. Dass Sallust mit Memmius damit konform geht, den Machenschaften der factio ein Ende zu bereiten, durfte freilich nicht besonders uberraschen.

[32] Das Fundament dafur bilden das Vertrauen (fides) und die sich darauf grundende concordia, ebenjene Verhaltnisse, die aufgrund des gegenwartigen sozialen und politischen Antagonismus nicht gegeben sind. Vgl. §23f.

[33] infestuspotentiae nobilitatis; 27,2.

[34] uicit tamen inpudentia; 34,1.

[35] Vgl. 31,2: ludibrio fueritis superbiae paucorum. Hier zeigt sich, dass Memmius in der Einschatzung der Rolle des populus richtig gelegen hat. Dennoch lasst er sich durch die Interzession des Baebius nicht provozieren. Er konnte, wie Koestermann anfuhrt, im Ruckgriff auf die lex de abactis des C. Gracchus zuruckgreifen und seinen Kontrahenten von der Versammlung entfernen lassen. Vgl. Koestermann, Bellum Iugurthinum, S. 145. Der Verzicht auf weitere Eskalation unterstreicht seine besonnene Haltung.

[36] So meint z.B. Poschl, in den Reden von Personen wie Catilina oder Lepidus, die der Autor ausdrucklich verurteile, konne man die Sprache idealer romischer Gesinnung suchen. Dies leitet er von der Beharrungskraft der romischen Tradition ab, die sich noch in dem Stadium des Verfalls in dem Bewusstsein der Romer aufrechterhalten hat. Vgl. Poschl, V.: Grundwerte romischer Staatsgesinnung in den Geschichtswerken des Sallust. Berlin 1940, S. 9. Ahnlich Buchner, der meint, die Unterdruckung und Verbrechen Sullas sind so weit gegangen, dass selbst der ehemalige Sullaner Lepidus ,,den Gedanken der Freiheit mit einer gewissen Kraft der Wahrheit vertreten kann“. Buchner, Sallust, S. 211. McGushin sieht in einigen Aussagen des Lepidus eine Schnittmenge mit Sallusts Gedanken: ,,The attack is couched in terms with which we are already familiar from Sallust's descriptions of the power of the nobility inhis monographs/1 McGushin, P.: Sallust. TheHistories. Bd.1, Oxford 1992, S. 113.

[37] So meint z.B. Earl, das geheuchelte Gerede von libertas konne auch auf Widersacher des Lepidus angewendet werden. Dieser sei nicht ihr Verteidiger, sondern ihr Unterdrucker und die popularen Forderungen seien nur ein Mantel fur ihr gewaltsames Vorgehen. Vgl. Earl, The Political Thought, S. 107.

[38] Clementia etprobitas uostra, Quirites, quibusper ceteras gentis maxumi et clari estis; §1.

[39] Vgl. Schmal, Sallust. Hildesheim 2009, S. 85. Ferner Rosenblitt, Sallust's Lepidus, S. 447; vgl. auch McGushin, Historiesl, S. 113; ebenso Buchner, Sallust, S. 208.

[40] Vgl. Rosenblitt, Sallust's Lepidus, S. 467.

[41] praesertim quom illi spes omnis in scelere atque perfidia sit neque se aliter tutum putet quam si peior atque intestabilior metu uostrofuerit; §1.

[42] §1,2 (liberi), 4, 6, 9, 26, 27.

[43] utrumque per iniuriam malunt quam optumo iure liberi agere. Dass liberi agere wiederum eine Antithese zu vorhergehendem dominatiolseruitium bildet, ist nicht nur rhetorische Untermalung des Anliegens von Lepidus, sie weist auch auf die mantraartig vorgetragene Perversion des Zustandes im Gemeinwesen.

[44] geniti ad ea quae maiores uirtutepeperere subuortunda.

[45] Vgl. vor allem §15: Estne uiris relicui aliud quam soluere iniuriam aut moriper uirtutem?

[46] Zu der Junktur generis vgl. Perl, G.: Zu Sallusts oratio Lepidi 6. 12. 17; oratio Philippi 11, in: Hermes 130 (2002),

S. 63-71, hier 63-66. Ferner hat Klingenberg einen textkritischen Aufsatz zu Lepidus' Rede verfasst: Klingenberg, G.: Die Restitutionsankundigung des Lepidus, in: Grazer Beitrage. Zeitschrift fur die klassische

Altertumswissenschaft24 (2005), S. 63-91.

[47] Ferner uberschreiten diese sullanischen Verbrechen nicht nur das Erinnerungsvermogen, schlimmer noch: Durch die Bestrafung der Nachkommen der Proskribierten ubertragen sich die schlimmen Konsequenzen aus der Vergangenheit auf die Gegenwart und auf die Zukunft. Vgl. Rosenblitt, Sallust's Lepidus, S. 458.

[48] Zu beachten ist die Spitzenstellung im Satz (und Kapitel) von Agundum, ferner die Steigerung durch die Erweiterung des zweiten Gerundivums durch das Adverb obuiam, welches einen Finalsatz nach sich zieht, der zur Abwechslung negiert ist. Das allein reicht Lepidus nicht: man solle daruber hinaus nichts hinausschieben {non prolatandum)! Wieder einmal drangt und bohrt Lepidus. Dieser notigende Charakter seiner Ermahnung kann leicht an der vierfachen Verwendung der Gerundiva ersehen werden.

[49] Erstaunt stellt Appian fest: ,,Man kann es kaum glauben, dass jemand sich unter vielen Gefahren den Weg zur Herrschaft bahnte und sie, nachdem er sie erlangt hatte, freiwillig aufgab. [... Er] erklarte sich einfach zum Privatmann.“ App. BC, 103/482f. Die Ubersetzung stammt aus Appian von Alexandria: Romische Geschichte/Teil 2. Die Burgerkriege. Ubers. von Otto Veh. Duchges., eingeleitet und erlautert von Wolfgang Will. Stuttgart 1989.

[50] Meines Erachtens soll hier en passant die Fehlbarkeit des Redners, der vor Ungeduld brennt und keine andere Alternative sieht, angedeutet werden. Dass auch ohne Sulla der Restitution der Rechte noch seine Spiefigesellen im Wege stunden, ist hier zweitrangig.

[51] Uber den urteilenden Leser meint Pausch, er fungiere in einem Geschichtswerk als externer Rezipient aller Reden und daher kann er ,,die kontraren Positionen im Lauf seiner Lekture miteinander vergleichen [...] und auf diese Weise [wird er] zur Partizipation an der historischen Urteilsbildung und zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Text angehalten.“ Pausch, Livius und der Leser, S. 169.

[52] Bis dahin sind 9 Begriffe, die mit Furcht und dem Gegenteil davon zu tun haben, vorgekommen: plurumum timoris; neque se aliter tutum putet; metu; tutandis periculis; alle Begriffe in §1. Ferner tutus §6; periculosius §7; tutum §8; quies et otium §9. Im weiteren Verlauf kommen noch aufier metus in §10 folgende 9 hinzu: salui satisque tuti §17; satis tutum undformidine §18; formidatus §24;pax, otium §25;periculosa, quieto §26.

[53] Zwar sind die Befugnisse aller Magistrate vermindert worden, jedoch war der Volkstribunat am meisten verstummelt. Zu den Eingriffen Sullas in die Rechte des Volkstribunats vgl. Hantos, T.: Res publica constituta. Die Verfassung des Dictators Sulla. Wiesbaden 1988, S. 74-89. Hier ist wohl die erste Anspielung auf die Amputation der tribunizischen Rechte. Es kommt also der volksnahe und um die Belange des Volkes besorgte Politiker zum Vorschein.

[54] Dieses Polysyndeton fasst den schmerzhaften Raub der Verfugungsgewalt des Volkes durch Sulla auf emphatische Weise zusammen und bildet zugleich eine Steigerung der Anklage. Ahnlich ging Memmius in §20 vor: regna proviniciae leges iura iudicia bella atque paces, postremo diuina atque humana omnia penes paucos erant. ,,Diese Haufung der einzelnen Begriffe [...] geht selbst uber das bei Sallust Gewohnte noch hinaus“, so Koestermann, Bellum Iugurthinum, S. 136. Was bei Memmius penes paucos war, ist bei Lepidus penes unum, das aus dem vorherigen Satz (per unum; §12) wiederaufgegriffen wird. Dadurch soll die Willkur des Diktators hervorgehoben werden, die Lepidus nun auch namentlich nennt: denique necis ciuium et uitae licentia (§13). Ferner wirkt diese Aufzahlung dadurch effizient, dass auf ein Verb verzichtet wird.

[55] Auch wenn diese Verbildlichung sehr kurz ausfallt - es liegt auch eine Rede vor und keine Erzahlung -, kann man m.E. dennoch von einer enargeia sprechen, die dazu dient, eine detaillierte (was in diesem Fall nicht zutrifft) und emotional aufgeladene Darstellung zu erzeugen. Zur literarischen Technik der enargeia vgl. Pausch, Livius und der Leser, S. 209-223. Zweifelsohne ist das Bild von Menschen, die wie Opfertiere abgeschlachtet werden und von Grabern, die mit Burgerblut durchtrankt sind, plastisch und ruft das Gefuhl von Abscheu hervor. Zur Unterstutzung dieser Anschaulichkeit verwendet der Redner das Verb des Sehens (uidistis); die zweite Person Plural aktiviert die sinnliche Wahrnehmung des Lesers/Zuhorers.

[56] Der Bezug zu Catilinas Ende ist hier nicht zu ubersehen. Dieser entwickelt sich zum Schluss hin zu einem militarischen Fuhrer mit bewundernswerten Qualitaten; dabei unterstutzt er seine Anhanger vorbildlich und kampft bis zum bitteren Ende. Vgl. Wilkins, Villain or Hero, S. 47. Wilkins fasst seine positive Seite richtig zusammen: ,,no supporter of traditional Roman ideals could have fallen more nobely“. Ebenda, S. 49.

[57] Hier setzt Lepidus zur confutatio an. Zur Gliederung der Rede vgl. Rosenblitt, Sallust's Lepidus, S. 451-453.

[58] Rosenblitt weist darauf hin, dass die confutatio im Allgemeinen der Ort ist, wo der Leser die Argumentation beider Parteien kritisch beurteilt: ,,The reader recognises a confutatio as the area within a speech where the speaker and his opponents most directly and openly collide. The reader knows how he is supposed to read at this point in a speach: he is being invited tojugde who comes offbetter.“ Rosenblitt, Sallust's Lepidus, S. 462.

[59] Vgl. §8: Dort halt Sulla nur das Sichere {tutum) fur ruhmvoll und alles fur ehrenhaft, was der Behauptung seiner Herrschaft dient. Damit stellt sich Lepidus „versehentlich“ auf eine Stufe mit Sulla. Aber v.a. die kurz zuvor in die Zukunft projizierte, sarkastische Vorstellung {non aliter salui satisque tuti in imperio eritis; §17) entfaltet nun ihre ganze Wirkung, zumal satis tutumfuisse wortgleich ubernommen wird.

[60] Gemeint ist seine Forderung aus §15: Estne uiris relicui aliud quam [...] mori per uirtutem? Auch wenn man in einer Lage sei, wie Catilina in Pistoria: Die Natur habe fur alle nur ein Ende vorgesehen.

[61] Atque illa quae tum formidine {!) mercatus sum, pretio soluto iure dominis tamen restituo; §18. Die Proskribierten sind in Lepidus' Augen die ehemals rechtmafiigen Eigentumer und sind es nach seinem Rechtsempfinden immer noch. Damit meint er, damals rechtschaffen gehandelt zu haben {pretio soluto) und dennoch sei er nun zu Vermogensopfern bereit {tamen restituo). Vermutlich handelt es sich hierbei um ein Teilgestandnis, das an ein Versprechen gekoppelt ist, um sich von seiner Komplizenschaft an Sullas Verbrechen zu distanzieren und zugleich seine Anhangerschaft zu erweitern. Burton verweist auf eben diesen Aspekt, wenn er sagt, ,,the repatriated sons of the proscribed could become powerful senatorial and equestrian alies.“ Burton, P.: The Revolt of Lepidus (Cos. 78) Revisited, in: Historia. Zeitschrift fur Alte Geschichte 63 {2014), S. 404-421, hier S. 417. Dagegen konnte man nichts einwenden, wenn er dabei nur den verfassungskonformen Weg gehen wurde, um zum Ziel zu kommen. Da er aber die militarische Option wahlt, dient sein Ausspruch lediglich dazu, eine Klientel fur eigene Ziele zu gewinnen.

[62] Vgl. Anm. 60. Vielmehr ist von einer Ironie von Seiten des Autors auszugehen, da er Lepidus ein Ende des Burgerkrieges einfordern lasst, wahrend der Leser weifi, dass das erst ein erneuter Anfang ist. Daruber hinaus ist auch die Einschatzung des Redners falsch, Sulla wurde seine Ubeltaten noch begieriger ausfuhren {si liceat, auidius [facta] fecerit; §19), dadieserjaabdankenwird.

[63] Itaque maxumam mihi fiduciam parit uictor exercitus (§22). Das Attribut zu fiduciam ist nicht umsonst im Superlativ. Die Apposition uictor soll die Siegeszuversicht unterstutzen, zumal es exercitus vorangestellt ist. Ambivalent ist das Verb parit, dass aus dem Satz zuvor wiederaufgegriffen wird, wo es den Sklaven Reichtumer verschafft hatte (Tarulae Scirtoque, pessumis seruorum, diuitiae partae sunt; §21). Eine grofizugige Interpretation lasst zu, dass das Heer als Instrument furjegliche Zwecke missbraucht wird.

[64] Anders z.B. Cicero am Schluss seiner Murenarede, wo er ahnlich viele Imperative verwendet: Quae si acerba [...] sunt [.] conseruate [.] reddite [.] date [.] date [.] date [.] date [.] Nur einmal verwendet er eine negierte Form, das aber nur, um einen etwaigen negativen Ausgang deutlich zu machen: Nolite [...] auellere; §90.

[65] dux kann getrost mit ,,militarischer Fuhrer“ wiedergegeben werden. Ambivalenter ist der Begriff auctor. Ich ziehe Leggewies „Ratgeber“ vor. S. Leggewie, Historiae, S. 21. Freilich wurde auch Urheber gut passen, zumal Lepidus die Entwicklung des Geschehens in der Erzahlung vorantreiben wird. „Ratgeber“ ist insofern legitim, da dieser Ausdruck den Rezipienten berucksichtigt, der ja die Motive und das Programm des Lepidus kennenlernen und beurteilen soll, v.a. da schon bald die Gegenrede des Philippus folgt.

[66],,But we do not even have to go as far as to dismiss the speech of Philippus as inauthentic to resolve this problem/1 S. Burton, The Revolt of Lepidus, S. 411. Wichtig ist vielmehr die ideologische Herkunft der Rede, die der „optimatischen“ Seite zuzuordnen ist.

[67] Uber die Motive fur Lepidus' Vorgehen konnen bis heute nur Hypothesen aufgestellt werden. Leggewie z.B. halt sich linear an die Quellen, wenn er sagt, ,,Lepidus bereitet den Umsturz vor“. Leggewie, Historiae, S. 22. Burton hingegen sieht in Lepidus zu Beginn seines Konsulats einen Politiker, der zwar populistisch ist, ,,but by no means rabidly anti-Sullan. The consul made not a single move in the direction of overturning the dead dictator's constitutional legislation, and he could indeed argue that he was behaving in a more Sullan fashion than even Catulus.“ Burton, The Revolt of Lepidus, S. 413. Erst im weiteren Verlauf wollte Lepidus dringende soziale und okonomische Problem angehen: ,,He tried to redress the grievances of the dispossessed and disenfranchised Italians (among others) before their anger and hopelessness spread much further.11 Ebenda, S. 419.

[68] Qui aetate et consilio ceteros anteibat aus dem Kapitel zuvor (Hist. 1,75) bezieht sich wohl aufPhilippus.

[69] Auch Burnand konstatiert, ,,there is a great deal of similarity of language between the two.11 Burnand, C.: Roman Representations of the Orator during the Last Century of the Republic. Diss., St. Hugh's College 2000, S. 260.

[70] McGushin sieht darin die Funktion, ,,to give a version of the oligarchic reaction to the threat which reveals [...] its determination to cling to power.“ McGushin, Historiesl, S. 133.

[71] Will bringt die Meinungsbildung in der Kurie auf den Punkt, wenn er sagt, sie sei im Prinzip ,,mit den Aufierungen der Konsulare abgeschlossen. Allenfalls duldete oder erduldete man noch die sententia eines Praetoriers. [...] Die pedarii konnten nur mit den Fufien denken. [...] Wer Geld und Einfluss besafi, sah auf Senatoren in den Landstadten ohnehin herab.“ Will, Der romische Mob. Soziale Konflikte in der spaten romischen Republik. Darmstadt 1991, S. 7f.

[72] Philippus: M. Aemilius [...] se <e> contempto metuendum effecit. Uber Sulla sagt Lepidus: quam formidatus est, tam contemnetur (§24). Die Analyse der Lepidusrede hatja ergeben, dass er einen engen Zusammenhang zwischen Sulla und der Furcht knupft. Nun heftet Philippus diese Eigenschaft dem Lepidus an.

[73] Leggewie lobt Philippus fur seine Klarheit im Ausdruck: ,,Philippus spricht flussig und verstandlich [...] er verzichtet auf rednerische Effekte und baut die Perioden symmetrisch und ausgewogen.“ S. Leggewie, Historiae, S. 23. Schmal meint, Philippus' Rede sei der Ansprache des Lepidus nicht nur inhaltlich sondern auch stilistisch entgegengesetzt. Vgl. Schmal, S.: Sallust. Hildesheim 22009, S. 85. Am deutlichsten wird dieser Kontrast, wenn man die ersten Satze miteinander vergleicht.

[74] Die selbe Phrase (libertatis opprimundae) verwendet Philippus auch in §6. In §10 gibt es ein anderes Verb aber nur als Synonym (libertatis subuortundae) und ebenfalls in Gerundivform. Dann etwas abgewandelt in §8 (subuortundum imperium). McGushin sieht hier zu Recht eine andere Auffassung von libertas: ,,the freedom of the senatorial nobility to continue without interference the control of the political and economic life of the Roman Republicwhichtheyconsideredtheirbirthright.“ McGushin, TheHistoriesl, S. 133.

[75] Burnand, The Orator, S. 261.

[76] Vgl. §1. Beide Male wird also die Weichheit - bei Lepidus ist es clementia, bei Philippus mollitia - beanstandet und in Verbindung mit Furcht (metus) gebracht. Der Unterschied dabei ist, dass Lepidus diese seinem Publikum scheinheilig unterstellt (Captatio benevolentiae), wahrend Philippus sie offen anprangert.

[77] Burnand macht auf Philippus' Bemuhung aufmerksam, sich als derjenige herauszustellen, der von Anfang an alles besser gewusst hatte. Dadurch wolle er sich von seinem Publikum isolieren, um seinen Verdienst hervorzuheben und den Wert seiner sententia zu steigern. Vgl. Burnand, The Orator, S. 263. Allerdings kann man seine Besserwisserei relativieren. Holkeskamp verweist namlich auf die prinzipielle Asymmetrie zwischen dem Redner und seinem Publikum und sieht darin einen ,,Teil des allgemeinen Grundkonsenses, weil Uberlegenheit an Wissen, Konnen, Verdiensten, auctoritas und dignitas einerseits und Unterordnung, selbstverstandliche Folgsamkeit und Respekt moralisch, historisch und durch die bewahrte Praxis vieler Generationen als festes Fundament der gemeinsamen Grofie erscheinen konnten.“ Holkeskamp, SPQR, S. 250. Zwar ist hier insbesondere das Verhaltnis zwischen der politischen Klasse und populus gemeint, allerdings kann dieses Prinzip m.E. auch auf das hierarchische Gefalle im Senat ubertragen werden.

[78] Hier §6, bei Lepidus §7. Allerdings ist hier die Position des Gerundivs nicht am Satzanfang, sondern es wird durch seine Mittelstellung betont.

[79] nunc est pro consule cum imperio, non empto sed dato a uobis; §7. Man kann diese Verknupfung auch an den o- Lauten identifizieren, die in uobis ihren Abschluss finden.

[80] Zu recht meint Burnand, this ,,is a grave charge and serves to undermine potential opposition by denying that they would be speaking in the public interests Burnand, The Orator, S. 262.

[81] Etrurien und ubriggebliebene Gebiete sind in Aufruhr und die beiden Spanien auch; ferner wartet Mithridates nicht nur auf den richtigen Augenblick, sondern bedroht zugleich eine der wichtigsten Einnahmequellen, die Cicero an anderer Stelle nicht ohne Grund als nerui rei publicae bezeichnet. Vgl. Cic. Manil. 17; de leg. agr. 2,47. Zur der misslichen militarischen Lage Roms in den 70-er Jahren bei Sallust vgl. auch Hist. 2,47,6-8 (or. Cott.); Cotta geht in seiner Rede zwei Jahre spater sogar so weit, dass er sich fur das Gemeinwesen opfern will: uoueo dedoque me pro re publica; §10. Vgl. ferner Hist. 2,98,9 (ep. Pomp.): Pompeius' Versorgung durch die Provinzen kann nicht gewahrleistetwerden. Vgl. auch Syme, Sallust, S. 184.

[82] Memmius betont die Bedeutung, der Ubeltat eingedenk zu sein, da bonus tantummodo segnior fit ubi neglegas, at malus inprobior; §29. Ansonsten ahnlicher Gedanke in Cat. 2,5; aber v.a. ebenda 10,6: post ubi contagio quasi pestilentia inuasit, ciuitas inmutata, imperium ex iustissumo atque optumo crudele intolerandumquefactum.

[83] expers consili, inquies, haec atque illa temptans. Diese Charakterisierung erinnert an Sall. Cat. 15.4: namque animus inpurus [...] neque uigiliis neque quietibus sedari poterat: ita conscientia mentem excitam uastbat. Zur Deutung dieser Catilinastelle vgl. Wilkins, Villain or Hero, S. 36f. Auch Arena sieht eine enge Verbindung zwischen Lepidus und Catilina. Vgl. Arena, Sallust' Lepidus, S. 310. Ich gehe davon aus, dass der zeitgenossische Leser diesen Konflikt in einen Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung der Geschichte der spaten Republik brachte, namentlich mit der angedeuteten Catilinarischen Verschworung. So z.B. Burton, der meint, Lepidus' Scheitern sei bedauerlich, ,,given that the senate would continue to ignore the grievances of the dispossessed and disenfranchised Italians, until, in 63, some of these same people wouldjoin forces with failed Sullan farmer-settlers and instigate a new uprising, which we now call the Conspiracy of Catiline.“ Burton, The Revolt ofLepidus, S. 420.

[84] Allerdings kann man diese Schmahungen relativieren, da sie ein gangiges Mittel eines Redners waren, um seine Rivalen anzugreifen, ,,um sie zu desavouieren, blofizustellen und aus dem Feld der Konkurrenz zu schlagen. Und dabei ist jedes Mittel recht - bis hin zu Unterstellungen, Verleumdungen und Anspielungen auf Geruchte, erfundenen Anekdoten uber den Gegner und Angriffen gegen seine virtus und fides.“ Holkeskamp, SPQR, S. 231.

[85] Cic. Cat. 1,1: Quo usque tandem abutere, Catilina,patientianostra?

[86] Cat. 20,9: Quae quo usque tandem patiemini.Vretska meint, hier liege eine Parodie des ,,drohnenden Anfangs“ Ciceros Rede vor. ,,Man wird die sachliche Verwandtschaft der Rede-Situationen anerkennen mussen: beide Male sollen die Horer besonders beeindruckt und zu einer Tat bewogen werden. [...] Horer, die je gegen einen herrschsuchtigen Gegner rebellieren.“ Allerdings schliefit Vretska nicht aus, dass die Verwendung der gleichen Formel den ,,reinen Missbrauch einer rechtschaffenen Formel im Munde des Catilina bedeuten“. Vretska, K.: C. Sallustius Crispus, De Catilinaeconiuratione. Halbbd. 1. Heidelberg 1976, S. 315.

[87] Sall. Cat. 20,7: nam postquam respublica in paucorum potentium ius atque dicionem concessit. Vretska sieht darin eine Ubereinstimmung mit Sallusts Gedanken. Catilina gehe es aber nicht um politische Reformen, sondern lediglich ,,um den Wunsch des Positionsaustausches. Er und seine pauci sollen anstelle der bisherigen treten“. Vretska, Catilina, S. 311.

[88],,Wahrend Marius und Cinna in Rom einzogen, empfing sie jedermann voll Angst, und sogleich begann denn ungehindert ein allgemeines Plundern bei jenen, die der Gegenpartei anzugehoren schienen. [...] Mitleidslos mordeten sie, schnitten bereits Toten die Halse ab und stellten diese Graueltaten der Offentlichkeit zur Schau, um die Menschen mit Furcht und Schrecken zu erfullen oder ihnen eine ruchlosen Anblick zu bieten. [...] Niemand durfte einen von den Getoteten bestatten, Vogel und Hunde rissen vielmehr Manner gleich diesen in Stucke“. App. BC 1,71/325-73/338. Auch wenn Appian an der einen oder anderen Stelle ubertreibt oder hinzudichtet, es waren sicherlich solche Erzahlungen, die bei Sallusts Lesern mit der Ruckkehr Cinnas in die Stadt hervorgerufen wurden. Fur die Zuhorer Philippus' sollte von Belang sein, dass unter diesen Opfern Senatorenjeglichen Ranges waren, mit denen sie sich identifizieren sollten.

[89] Vgl. McGushin, The Historiesl, S. 145: ,,the fact that Philippus himself was politically skilful enough to avoid slaughter in this crisis and to attain the censorship in 86 contains an element of irony.“

[90] parate uobis Cethegi atque alia proditorum patrocinia, qui rapinas et incendia instaurare cupiunt et rursus aduorsum deos penatis manus armare. Sin libertas et uera magis placent, decernite digna nomine et augete ingenium uirisfortibus; §21.

[91] Vgl. §3; 17. In §19 gibt sich Philippus noch hoffnungslos und negiert die Notwendigkeit der Beschlusse der Senatoren wegen ihrer Stumpfheit (torpedo).

[92] Der Verweis auf die coloniae ueterum militum lasst beim Leser nichts Gutes ahnen, da erja weifi, dass im Gegensatz dazu Lepidus' Heer sich auf die beraubten Etrurier stutzt. Dadurch treffen die Enteigneten und ihre Widersacher direkt aufeinander.

[93] iam illa quae socordia nostra conlecta sunt dilabentur; §21.

[94] Daruber hinaus hat der Leser nun eine Darstellung zweier antagonistischer Perspektiven auf die Ereignisse prasentiert bekommen, so dass er durch diese polyphone Sicht auf die Vergangenheit zur Bildung eines eigenen Urteils aufgefordert wird. Dieser momentane Zustand der Aporie, so Pausch, bietet einen besonderen Reiz. Er kann, im Gegensatz zu den internen Zuhorern, beide Positionen miteinander vergleichen und sie zudem auf die vom Erzahler selbst zuvor prasentierte Version des Geschehens beziehen. Pausch, D.: Der Feldherr als Redner und der Appell an den Leser. Wiederholung und Antizipation in den Reden des Livius, in: ders. (Hg.): Stimmen der Geschichte. Funktionen von Reden in der antiken Historiographie. Berlin 2010, 183-210, hier S. 191.

[95] Zur Biographie Macers vgl. Blansdorf, J.: Populare Opposition und historische Deutung in der Rede des Volkstribunen Licinius Macer in Sallusts ,,Historien“. Zur Ideologie Sallusts und seiner Interpreten, in: Der altsprachliche Unterricht 21, Heft 3 (1978), S. 54-69, hier S. 55f. Ferner Walt, S.: Der Historiker C. Licinius Macer. Einleitung, Fragmente, Kommentar. Stuttgart 1997, S. 1-9. Vgl. auch Latta, B.: Die Rede des Volkstribunen C. Licinius Macer in den Historien des Sallust (III-48), in: Maia. Rivista di letterature classiche 51 (1999), S. 205-241, hierS. 209-211.

[96] Siehe dazu v.a. die Kontextualisierung von Blansdorf, Populare Opposition, S. 54-56. Aus dieser Situationsbeschreibung leitet er ab, dass der Augenblick geeignet war, die populare Bewegung zu starken. Allerdings bezeichnet die Rede Macers ,,noch keinen Wendepunkt [...] sondern zeigt den politischen Zustand, der reif ist fur den Umschlag.“ Ebenda, S. 56. Zur popularen Politik in den 70-er Jahren und die innenpolitischen Kampfe um die Restitution der tribunicia potestas vgl. Millar, F.: The Crowd in Rome in the Late Republic. Michigan 1998, S. 49­72.

[97] So Syme, Sallust, S. 195: ,,Macer war nach Sallusts Darstellung ein wahrer, uberzeugter Verteidiger der Rechte des Volkes“. Ferner hat ihm Sallust ,,Lauterkeit und Vaterlandsliebe zugebilligt.“ Ebenda, S. 204. Schmal meint, Macer ,,kann bei Sallust zweifellos als Sympathietrager gelten, der ein berechtigtes Anliegen mit Uberzeugung und mafivoll vortragt.“ Schmal, Sallust, S. 89.

[98] In Abgrenzung zu Memmius erscheine ,,Macer fast als bedachtig, trocken im Ausdruck, aber hinterhaltig in seinem Ziel.“ Vretska, Studien, S. 90.

[99] Macers Rede sei durch einseitige Parteinahme charakterisiert und enthalte ,,viel Wahres wie Falsches“. Leggewie, Historiae, S. 47. Ahnlich resumiert Buchner, Macers Rede sei ,,einseitig, parteiisch, aus Wahrem und Falschem gemischt.“ Buchner, Sallust, S. 221.

[100] Memmius: atque eo uehementius quo maius dedecus est parta amittere quam omnino non parauisse; §17. Und Lepidus: Quoniam quidem unum omnibus finem natura uel ferro saeptis statuit, neque quisquam extremam necessitatem nihil ausus nisi muliebri ingenio expectat; §15. Damit ware die erste wichtige Ubereinstimmung mit Sallusts Ansichten hergestellt.

[101] Dafur, dass mit omnes alii die kurulischen Magistrate gemeint sind, spricht die Bezeichnung imperia sua und uim cunctam, da nun der Tribunat de factojeder uis entmachtet ist. So z.B. die Lesart bei Latta, Macer, S.213. Blansdorf hingegen meint, imperia sei kein Terminus technicus, da die Volkstribunen kein imperium inne hatten. Vgl. Blansdorf, Populare Opposition, S. 57. Ich tendiere zu Blansdorfs Auslegung, da pro iure uostro auf das ius a maioribus relictum aus §1 bezogen werden kann und ferner der Redner den Gebrauch verfassungsrechtlicher Begriffe nicht so eng zu nehmen scheint, wie die Verwendung von (inani specie) magistratus aus §3 zeigt. Auch die inhaltliche Aussage, namlich der Blick auf die eigene Karriere eines Volkstribuns, stutzt diesen Bezug auf die Volkstribune. Zu Recht meint Blansdorf, den ,,schwersten Anklagepunkt bildet die Korrumpierung des Volkstribunats“. Ebenda, S. 65. Nicht selten namlich diente dieses Amt als ein Sprungbrett in der politischen Laufbahn. Vgl. dazu Thommen, L.: Das Volkstribunat der spateren romischen Republik, in: Historia. Zeitschrift fur Alte Geschichte. Einzelschriften, Heft 59 (1989), S. 25-30.

[102] Beispielhaft dafur dienen Lepidus (§18) und Philippus (§14). Diese drei Stellen sind ubrigens die einzigen bei Sallust, wo die Formel rectefacere verwendet wird.

[103] Hier spricht wieder Sallust. Die macht- und geldbesessene Nobilitatsclique besetzt bei Memmius reges, populos, uectigal, summam gloriam und maxumas diuitias (§9), bei Lepidus leges, iudicia, aerarium, prouinciae und reges (§13), bei Catilina sind es reges, tetrarchae, uectigales (20,7) und gratia, potentia, honos, diuitiae (20,8). Im Parteienexkurs (BI, 41,7) prangert Sallust die rucksichtslose Ausnutzung der Machtstellung durch die Nobilitat an: Sie okkupieren aerarium, prouinciae, magistratus, gloriae und triumphi. Zur letzten Stelle meint Koestermann, im ,,gesamten Tenor decken [sich seine Feststellungen] weitgehend mit den Ausfuhrungen, die er dem Volkstribunen Macer in den Mund gelegthat“. Koestermann, Bellum Iugurthinum, S. 170.

[104],In der Forschung zur spaten Republik wird die Politik gegen die Senatsmehrheit und der instrumentelle Charakter im Dienste einzelner Adliger oder Adelsgruppen fur die Zeit nach den Gracchen geradezu als Konstitutivum des Volkstribunats gesehen.“ S. Thommen, Volkstribunat, S. 140. In erster Linie ging es um die Zuteilung eines Imperiums, wodurch man seine Stellung gegenuber dem Senat starken konnte. Ebenda. Auch Feldherren trugen ihre Rivalitaten uber den Volkstribunat aus oder wurden durch die Amtstrager bei Konsulatsbewerbungen unterstutzt, wie z.B. Pompeius durch Palicanus in 71 oder sogar alle 10 Tribunen Caesar im Jahre 52. Vgl. ebenda, S. 144, Anm. 105.

[105] Mutig ist Macer u.a. wegen folgender Sentenz raris enim animus est ad ea quae placent, ceteri ualidiorum sunt (§7). Ansonsten ist auf seine Alleinstellung gegen die machtige Nobilitat (§3) und seine tapfere Bereitschaft, fur die Freiheit Widrigkeiten in Kauf zu nehmen (§4) bereits hingewiesen worden.

[106] Zur Gliederung der Rede vgl. Walt, Der Historiker Macer, S. 14-18; Blansdorf, Populare Opposition, S. 60; ferner Latta, Macer, S. 211. Ihr Aufbau ist nicht besonders spektakular, erwahnenswert ist lediglich die symmetrische Zweiteilung, die durch den „Gesetzesantrag“ quid igitur censes in§14 vollzogen wird.

[107] ortus est longe saeuior Catulus; (§8). Dunkle bemerkt, dass in der spatrepublikanischen Literatur die Eigenschaft saevitia als eine charakteristische Zuschreibung zu einem Tyrannen fungiert. Sie beinhalte nicht nur die Bedeutung „Grausamkeit“, sondern es tritt noch die Konnotation der Hysterie und des manischen Sadismus hinzu. Ferner spielt saevitia auf die Wildheit eines Tieres an. Vgl. Dunkle, J.: The Rhetorical Tyrant in Roman Historiography: Sallust, Livy and Tacitus, in: The Classical World 65 (1971), S. 12-20, hier S. 14.

[108] Vgl. Blansdorf, Populare Opposition, S. 55. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Attribut insons eine Spitze Sallusts ist, die Sicinius als gar nicht so unschuldig erscheinen lassen sollte. Dazu fehlt aber der Kontext. Auf jeden Fall bildet insons das Gegenstuck zu exitium und dient zur Dramatisierung der Bemuhungen der „guten“ Volkstribunen.

[109] Gemeint sind die Auseinandersetzungen in der Zeit nach Sulla und insbesondere die mit Lepidus. Vgl. Blansdorf, Populare Opposition, S. 57 und Latta, Macer, S. 217, Anm. 38.

[110] Hist.1,12: dum pauci potentes, quorum in gratiam plerique concesserant, sub honesto patrum aut plebis nomine dominationes adfectabant. Ahnlich hat sich Sallust bereits in Cat. 38,3 zu Wort gemeldet: quicumque rempublicam agitauere, honestis nominibus, alii sicuti populi iura defenderent, pars quo senatus auctoritas maxuma foret, bonum publicum simultantes, pro sua quisque potentia certabant. Fur Vretska bedeutet das ,,die altbekannte und verwertete ,Umwertung der Werte‘“. Die Ursache dafur sieht er in der ethisch-politischen Entartung der Oberschicht. Vgl. Vretska, Catilina, S. 440f.

[111] Man muss allerdings einwenden, dass Macer sich in seiner Kritik auf die optimatische Seite fokussiert: Der Begriff otium ist eine Parole der Optimaten, die positiv konnotiert in Sallusts Reden nur bei Cato (Cat. 52,5) und Philippus (§11) vorkommt, auf der popularen Seite bestenfalls im ironisch formulierten Zusammenhang (Lepidus, §9;25); bei Macer an eben dieser Stelle. Ferner hat das hier verwendete seruitium den Beigeschmack eines popularen Schlagwortes. Lepidus macht davon vier Mal Gebrauch, ebenso Macer, Memmius lediglich zwei Mal; Philippus verzichtet darauf ganzlich.

[112] Auf die Bedeutung von (im-)memorem esse ist bereits hingewiesen worden. Der Gedanke ist klar und eingangig: Ohne das Ziel (libertas) vor Augen zu haben, ist dessen Erreichen unmoglich. Zugleich bereitet dieser Ausspruch die Erinnerung an die Errungenschaften der Vorfahren aus dem folgenden Satz vor (tribunos plebei [...] libera ab auctoribuspatriciis suffragia maiores uostriparauere; §15).

[113] Die Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung mutet seltsam an, da man davon ausgehen kann, dass die stadtische plebs zu dieser Zeit vom militarischen Dienst befreit war. Vgl. dazu Brunt, Roman Republic, S. 253f. Eine mogliche Interpretation konnte sein, dass Sallust sich in diesem Punkt ziemlich eng an Macers Darstellungen des Standekampfes als Vorlage fur diese Rede gehalten hat. Vgl. dazu Syme, Sallust, S. 202. Zu der parallelen Darstellungsmethode der Kriegsdienstverweigerung als politisches Kampfmittel bei Livius vgl. Walt, Der Historiker Macer, S. 13f.

[114] Zur Verwendung des nisi forte s. die Anmerkung von McGushin, Histories 1. S.123: „Use is made [...] of nisi forte [.. .]to put forward, for purposes of rejection, ideas which are impossible, absurd, far-fetched.“

[115] Vgl. dazu die Bemerkung von Memmius: uos autem, hoc est populus Romanus, inuicti ab hostibus, imperatores omnium gentium, satis habebatis animam retinere; §20.

[116] Vgl. dazu Will, Der romische Mob, S. 39-41 und insbesondere ebenda, S. 85: „Die Getreideversorgung war eine Kernfrage im Leben des armeren Volkes, Hunger machte es erpressbar.“ Auf die Abhangigkeit der plebs hinsichtlich der Getreideversorgung weifi Macer keine Losung.

[117] Hist. 2,16f. Sallust charakterisiert Pompeius als hinterhaltig (Oris probi, animo inuerecundo; 2,16). Diese Zuschreibung erinnert an Catilinas Charakterisierung satis eloquentiae, sapientiae parum (Cat. 5,4), was darauf hinweist, dass Pompeius in den Rang eines Schurken eingestuft werden kann. Modestus ad alia omnia, nisi ad dominationem im folgenden Kapitel (17) zeigt Pompeius' wahre Ambitionen. Tatsachlich gibt es auch hier eine Parallele zu Catilina, den ein gluhender Wunsch befallen hatte, sich des Staates zu bemachtigen (Cat. 5,5). In Hist. 3,88 glaubt Pompeius, er sei das Ebenbild des Alexander und bemuht sich, seine Taten und Plane nachzuahmen. Dem Leser wird im Folgenden also eine konkurrierende Sichtweise auf Pompeius geliefert, die er mit der Perspektive eines Macer vergleichen kann.

[118] Einen Triumph errang er im Jahr 79 nach dem Sieg in Afrika und einen im Jahr 71 nach dem Sieg in Spanien. Vgl. Broughton T.: The Magistrates of the Roman Republic. Bd. 2. 99 B.C.-31B.C. Atlanta 1984, S. 84 und S. 124.

[119] Gewiss wurde sich Macer im Grab umdrehen, wenn er erfahren wurde, welche Mafinahmen der gelobte Pompeius im Zuge des Prozesses gegen Milo ergriffen hatte - in eben dem Jahr, wo Sallust als Volkstribun aktiv war -, als u.a. zentrale Fuhrungsfiguren der plebs urbana politisch kaltgestellt oder beseitigt wurden. Vgl. dazu Nippel, W.: Aufruhr und „Polizei“ in der romischen Republik. Stuttgart 1988, S. 128-144; ferner ders.: Publius Clodius Pulcher - der ,,Achill der Strafe", in: Holkeskamp, K.-J.; Stein-Holeskamp, E. (Hgg.): Von Romulus zu Augustus. Grofie Gestalten der romischen Republik. Munchen 2000, S. 279-291, hier S. 289f.; vgl. aufierdem Will, Der romische Mob. S. 105-110. Pompeius als consul sine collega hatte so viel Macht wie kein Politiker seit Sulla und verabschiedete etliche Sondergesetze. Er beabsichtigte u.a., die fuhrerlos gewordenen Anhanger des Clodius en passant auszuschalten. ,,Erstes Ziel freilich war, die plebs urbana aller politischen Moglichkeiten zu berauben, die sie im letzten Jahrzehnt gewonnen hatte, das neue Selbstbewusstsein in die alte Ohnmacht zu verwandeln.“ Ebenda, S. 107.

[120] Vgl. McGushin, P.: Sallust. The Histories. Bd.2, Oxford 1994, S. 97.

[121] In Wahrheit gab Pompeius nicht die Rechte des Volkstribunats, sondern erzwang sie viel mehr, da er sich selbst davon Vorteile versprach. Als Argumentationshilfe diente sein Heer, das vor den Toren Roms stand. Vgl. Brunt, P. A.: Der romische Mob, in: Schneider, H. (Hg.): Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der spaten romischen Republik. Darmstadt 1976, S. 271-310, hier S. 299. Im Ruckblick muss es fur Sallust tragisch erscheinen, dass es gerade das Volk war, das ihm 67 den Oberbefehl gegen die Piraten verschaffte, der wiederum seine Fuhrung im Feldzug im Osten zur Folge hatte. Dies diente als Voraussetzung fur seine spatere Machtstellung im Staat, gegen die Macer sich hier ausspricht. Aus der Perspektive der plebs standen handfeste Interessen im Vordergrund: ,,Allein die Ernennung des Pompeius brachte gleich einen Preissturz fur Getreide“. Ebenda, S. 299. Dass Macer, aber auch Sallust daraufkeine Antwort haben, ist bereits erwahnt worden.

[122] Gemeint sind die leges Porciae, die die korperliche Unversehrtheit romischer Burger garantieren sollten. hue ire licet atque illuc ist eine Anspielung auf die lex Iulia und Plautia et Papiria, die Italikern das Zugangsrecht nach Rom oder in andere Gemeinden gewahrte. Vgl. McGushin, Historiae2, S. 97 und Blansdorf, Populare Opposition, S. 59.

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Sallusts entlarvende Reden. Memmius, Lepidus, Philippus und Macer
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
49
Katalognummer
V315992
ISBN (eBook)
9783668155169
ISBN (Buch)
9783668155176
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sallust, Reden, Ambivalenz
Arbeit zitieren
Bernd Kühn (Autor:in), 2015, Sallusts entlarvende Reden. Memmius, Lepidus, Philippus und Macer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315992

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