Der Bundesrat im Blickfeld. Machtsymmetrie zwischen den Kammern?


Hausarbeit, 2015

21 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Fragestellung und Hypothesenbildung

3. Die Vetospielertheorie im Spiegel der Institutionen

4. Die Länderkammer als Vetospieler in der Bundesrepublik

5. Der Bundesrat bei den Steuerreformen 1997 und 2000
5.1 Heterogenität im Bundesrat 1997 – 13. Bundestag
5.2 Heterogenität im Bundesrat 2000 – 14. Bundestag

6. Operationalisierung / Forschungsdesign – Die Steuerreformen 1997 und 2000
6.1 Fallbeschreibung- und erhebung gemäß Tsebelis' 4-stufiger Analyse (Merkel 2003: 260)
6.1.1 Identifizierung der Vetospieler
6.1.2 Absorbtion institutioneller Vetospieler durch parteipolitische Vetospieler
6.1.3 policy congruence der relevanten Vetospieler
6.1.4 Interne Geschlossenheit der Vetospieler

7. Befunde

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Flächendeckend wirksame Reformprogramme zu entwickeln, die umsetzbar sind und allgemeine Akzeptanz finden, ist eine der an demokratische Politik gerichteten zentralen Wertmaßstäbe. Ausgehend von der Erkenntnis, dass strategische Reformpolitik das Ergebnis abstrakter Interaktionsabläufe realisiert, stellen sich drei Grundfragen: Wie sind Reformen im Zuge dieser Abstraktion durchsetzbar? Wer ist an diesen Abläufen maßgeblich beteiligt? Welches sind die nutzenmehrenden Strategieoptionen für die Akteure? Dies ist noch nicht die wissenschaftliche Fragestellung für die analytische Vergleichsanordnung. Das bundesrepublikanische Zweikammersystem sieht die Mitwirkung der Länderregierungen an der Bundesgesetzgebung vor (Ismayr 2006: 215). Konzeptioneller Rahmen der vorliegenden Arbeit ist die Vetospielertheorie in ihrem Zuschnitt auf die Vetopunkte der Konkordanz und der Legislative (Abromeit und Stoiber 2012: 50f.). Die von George Tsebelis 1995 autorisierte Vetospielertheorie verleiht diesem politikwissenschaftlichen Phänomen normativen Ausdruck (Blank 2012: 1). Sie fasst durchzuführende Politik aus modellhafter Sichtweise und gibt parlamentarischer Gesetzgebung einen authentischen Funktionsrahmen (Abromeit und Stoiber 2012: 46). Die in Demokratien durchgeführten Wahlen führen stets zu Mehr- und Minderheiten, daher müssen die darin vertretenen parteipolitischen Gruppen ihre Handlungsmuster und Interessen auf ein denkbar gemeinsames ideologisches Niveau bringen. Hierbei ist die Entfaltung der Untersuchungsgrößen parteiübergreifende Deckungsgleichheit (Kongruenz) und interne Präferenzdichte (Kohäsion) von zentraler Bedeutung (Tsebelis 2002: 12). In sachlicher Übereinkunft mit Merkel (2003: 262) basiert mein Vergleich auf den politischen Leitmotiven policy seeking – Streben nach gesamtgesellschaftlicher Problemlösung, vote seeking – Streben nach Wählergunst und dem office seeking – Streben nach Ämterbesetzung. Tsebelis spricht im Hinblick auf eine gemeinsame Konsenslinie zwischen den Vetospielern vom policy winset (Abromeit und Stoiber 2012: 46f.). Häufig legt die „Kernexekutive“ (Helms 2005: 93) als „Agenda-Setzer“ (Abromeit und Stoiber 2012: 47) fest worüber abgestimmt wird. Über das Steuerungsinstrument Agenda-Setting kann grundsätzlich jeder Vetoakteur verfügen, sofern es ihm gelingt Alternativentwürfe zu eliminieren, da sein Entwurf das winset abbildet (ebd.). Nach welchen Kriterien ist die strategische Handlungsrationalität zur Implementierung politischer Reformen im demokratischen Institutionengefüge – unter besonderer Betrachtung des „fallabhängigen“ Vetospielers Bundesrat (Stoiber 2007: 131) – einzuordnen? Tsebelis' Charakterisierung solcher Verfahrensbläufe als political game (ebd.: 128) stützt meine Absicht dies herauszufinden. Zunächst wird geklärt was eine Reform ist. Tsebelis definiert sie als legislative Veränderung des Status quo (Tsebelis 2002: 2). Der Duden schildert Reform als „planmäßige Neuordnung, Umgestaltung, Verbesserung des Bestehenden (ohne Bruch mit den wesentlichen geistigen und kulturellen Grundlagen)“ (Duden 2007: 1369). Die politikwissenschaftliche Lexika operiert eng am Aspekt der checks and balances, wenn von einer „Bezeichung für die gewaltlose, planvolle (…) schrittweise Neuordnung in (…) Bereichen der Politik“ die Rede ist (Friedrich u.a. 2007: 295). Eine weitere Behandlung findet sich bei Petring, der sich auf Paul Piersons Programmreformen und Systemreformen (Petring 2007: 4) bezieht. Die von mir gewählte wissenschaftliche Sekundärliteratur besteht im Wesentlichen aus Monographien, Aufsätzen in Sammelwerken, Artikeln in Fachzeitschriften und Internetquellen. Ganghofs Fachbuch (Ganghof 2004) beschreibt realpolitische Fakten zu beiden Reformvorhaben eher aus Sicht der Betroffenen; greift die einzelnen Zusammenhänge aber sehr verdichtet und prägnant auf, so dass sie leicht nachvollziehbar werden. Fröhlichs und Schneiders Fachlektüre diskutiert mit ihrem „Strategietool für politische Reformprozesse (SPR) der Bertelsmann Stiftung“ (Fröhlich und Schneider 2010: 254) Planungs- und Durchführungsdefizite, die während der Steuerdebatte 1997 entstanden sind. Die Abhandlung von Merkel (2003) „Institutionen und Reformpolitik“, im Berliner Journal für Soziologie, skizziert die Ereignisskette entlang der Steuerdebatte 2000. Merkels Deutungsmuster der Vetospielertheorie sind in meiner Arbeit bindend für die zu bestimmenden Vetospieler und die zu kategorisierenden Länder im deutschen Bundesrat.

2. Fragestellung und Hypothesenbildung

Die Ermittlung eines stetigen Einflusses der Parlamentsopposition im Bundesrat – unter verschiedenen Vetospielerkonstellationen – wurde im wissenschaftlichen Diskursfeld von Tsebelis' Theorie bislang nicht erwogen. Durch die Maßgabe von Politik (polity), unter Einsatz politischer Strategien (politics) Politik zu realisieren (policy) (Stoiber 2007: 128), wird mit dieser Vergleichsuntersuchung eine komplett politikwissenschaftliche Arbeit erstellt. Die Abgrenzung des Themas von allen anderen Forschungsfeldern ist hiermit gewährleistet. Typologisch lassen sich jetzt zwei voneinander abweichende Oppositions- bzw. Regierungskoalitionen vergleichen die ermöglichen, dass der Bundesrat vom parteipolitischen Einfluss abhängig ist. Die Arbeit entschlüsselt Tatbestände welche erklären, warum der sachpolitische Status quo bei verschiedenen Vetospielerkonstellationen – unter identischen formalen Bedingungen (unabhängige Variable) – einmal stabil bleibt und andernfalls sich wandelt (abhängige Variable) (Merkel 2003: 256). Wie der Bundestag und das Bundesverfassungsgericht qua Verfassung die Gesetzgebung der Länder mitbestimmen, fungiert der Bundesrat als „eingeschränkter“, da fallabhängiger Vetoakteur (Stoiber 2007: 134). Je nach Zusammensetzung ermöglicht es die oppositionelle Mehrheit im Bundesrat, eine bestimmte Partei als zusätzlichen Vetospieler zu identifizieren. In welchen Situationen initiiert oder verwirft die Länderkammer entscheidende Gesetze? Die von mir untersuchte Frage lautet: Wann agiert der Bundesrat in bundesdeutschen Gesetzgebungsverfahren als möglicher Vetospieler und wie nutzt er die damit verbundenen Handlungsspielräume? Die daraus abzuleitende These lautet: Der Bundesrat blockiert Rechtssetzung vorrangig dann, wenn die parlamentarische Opposition als Mehrheit im Bundesrat vertreten ist. Diese These basiert auf dem argumentativen Austausch zwischen Koalition und Opposition, der Effekte auf die Länderkammer zeitigt. Die Opposition wirkt grundsätzlich als Gegenpol zur Regierungskoalition (Bräuninger und Ganghof 2005: 152). Für die quantitativen Messvorgänge unterteile ich daher beide Seiten definitorisch in Plus- und Minuspol. Für das Erhebungsfeld Länderkammer realisiere ich als dritten Einflusspol entlang der „Mischländer“ den „neutralen Einflusspol“. Gemäß dieser Festlegung handelt die Regierungskoalition im Gesetzgebungsverfahren als Plus-, die Opposition als Minuspol. Mischländer entstehen längs jenen Landesregierungen, deren Koalitionen sich sowohl aus Oppositions-, wie aus Regierungsparteien der Bundesebene zusammensetzen (Pannowitsch 2012: 87). Der Weg von der Gesetzinitiative zum Output wird – im bundesrepublikanischen Zusammenhang – in mindestens 57% der Fälle durch das verfassungsrechtlich geschützte Mitwirkungsrecht des Bundesrats erschwert (Helms 2005: 153). Die Opposition ist im Bundesrat teilweise sehr heterogen vertreten, was die Variablen interne Geschlossenheit und parteiübergreifende Deckungsgleichheit stets verändert. Daher greife ich als zweite These Michael Stoibers Gedanken (Stoiber 2007: 136) auf: Je stärker der Parteienwettbewerb, desto abhängiger die föderalen Interessen im Bundesrat. In der vorliegenden Hausarbeit werden beide Thesen längs einer empirisch-analytischen Vergleichsanordnung auf ihre Gültigkeit überprüft. Scharpf mutmaßt, dass parteipolitische Akteure im Parteienwettbewerb sich nicht allein auf ihre Erfolgs- und Problemstellungen konzentrieren, sondern diese stets im Verhältnis zu anderen an der organisierten Politik mitwirkenden Akteuren deuten (MPIfG: 2005). Bevor die Untersuchung der Parteipolitik durchgeführt wird, folgt die Vertiefung der Vetospielertheorie. Ziel der Arbeit ist es, entlang zweier Gesetzgebungsverfahren zur Steuerreform herauszufinden, ob die Länderkammer wirklich ein Instrument der Parteipolitik ist oder ob sie ihrer verfassungsmäßigen Pflicht als Vertretungsorgan der Länderinteressen gerecht wird.

3. Die Vetospielertheorie im Spiegel der Institutionen

Der US-Politologe Georges Tsebelis entwickelte und veröffentlichte seine Theorien, um das Dominanzgefüge verschiedener politischer Institutionen aufzuzeigen und dieses vergleichbar zu gestalten. Darin beschreibt er wie bestimmte Akteure demokratische Rechtsetzung stoppen können (Tsebelis 2002: 6). Tsebelis macht die politische Lenkungsfähigkeit in der Gesetzgebung von der Vetospielerzahl und deren inhaltlicher Abstände zueinander abhängig (ebd.: 19). Seine Theorie eignet sich für die theoretische Verbindung zwischen reformrealisierender Koalition und tatsächlichem Gesetzoutput, da gemäß der Theorie erfolgreich initiierte Reformen, die Implementierung neuer policies zur Etablierung eines fortgeschrittenen Status quo darstellen (ebd.: 2). Prägnant ist sein Zitat: „Veto players are individual or collective actors whose agreement is necessary for a change of the status quo“ (ebd.: 19). Institutionelle Vetospieler ergeben sich aus der Verfassung, während parteipolitische Vetospieler im political game entstehen, aber innerhalb institutioneller Vetospieler agieren (ebd.: 79). Das Bundesverfassungsgericht ist im tsebelischen Sinne kein Vetospieler, da es keine formale Abstimmungsbefugnis inne hat und nicht nach politischer Dominanz strebt, sondern durch andere am Rechtsetzungsprozess mitwirkende Akteure veranlasst wird (Stoiber 2007: 128). Für die Anrufung durch Parteien ist eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern notwendig. Verfügt die Regierungskoalition über die Mehrheiten in beiden Kammern, ist die Länderkammer als Vetospieler hinfällig. Hier greift Tsebelis' Absorptionsregel (Tsebelis 2002: 28, 145 Fn. 7). Im Bundesrat finden sich häufig wechselnde Mehrheiten, bedingt durch die einzelnen Landtagswahlergebnisse. Wie steht es um das föderale Verhandlungs- und Interaktionsgefüge, wenn die Bundesregierung aufgrund konstitutioneller Gegebenheiten andere institutionelle Interessen steuert? Ihr Gestaltungs- bzw. Vetopotential ist ebenfalls begrenzt (ebd.: 3). Die theoretische und methodische Ausrichtung des Vetospielertheorems operierte zunächst einzellfallbezogen (Merkel 2003: 256). Die Falldesigns verlagerten sich von der allgemeinen Systemuntersuchung auf die Performanzforschung (Blank 2012: 8). Zunächst wird die Rolle des Bundesrates in seinem Vetorahmen skizziert, dann werden Heterogenität in der Länderkammer und Anschlussfähigkeit der oppositionellen Ländervertreter an die Bundesopposition gemessen. Es folgt die qualitative und quantitative Erhebung realpolitischer Fakten zur Steuerreform: einmal um ihr scheitern 1997, während der CDU/CSU-FDP-Koalitionsregierung 1994-1998 unter Kanzler Helmut Kohl – zum zweiten um ihr gelingen, während der SPD-Grüne-Koalitionsregierung 1998–2002 im Jahr 2000 unter Kanzler Gerhard Schröder. An diesen Praxisbeispielen lässt sich rekonstruieren wie sich der parteipolitische Machtkampf um ein Gesetz, vom Bund auf die Länderkammer ausweitet. Das wechselseitige Handeln zwischen Regierungskoalition und Opposition ist geprägt vom Willen zum Machterhalt und Kontrolle (Ismayr 2006: 40). Daher ist die inhaltliche Übereinkunft zwischen beiden Antipoden eher gering. Nach Tsebelis sinkt mit ansteigend wettbewerbsgespeistem Verhandlungsstil zwischen den Parteien die Aussicht auf policy Wandel (Merkel 2003: 257). Damit festigt sich, je nach Mehrheitserfordernis, bei erhöhter oder verminderter Präferenzdichte innerhalb des kollektiven Vetospielers der Status quo (Tsebelis 2002: 54). Die deutsche Steuergesetzgebung ist Teilgebiet des üblichen Rechts – für deren zustandekommen genügt die einfache Mehrheit in beiden Kammern (Art. 105 GG Abs. 2a, 3). Meine Fallanalyse enthält die quantitative Vergleichsanordnung der beiden oben genannten Legislaturperioden, unter Anwendung der Differenzmethode » most similar systems design (Lauth u.a. 2011: 62f., Behnke und Behnke 2008: 70).

4. Die Länderkammer als Vetospieler in der Bundesrepublik

Als mitentscheidendes Verfassungsorgan (Art. 76 GG Abs. 1) prägt die Länderkammer die föderalen und administrativen Anteile im Rechtsgestaltungsprozess (Ismayr 2006: 20f.). Sie ist nicht dem klassischen Bikameralismus zuzuordnen, sondern „ein Organ eigener Art“ (bpb.de 2009). Daher müssen alle von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwürfe dem Bundesrat zugeleitet werden (Ismayr 2006: 264, Art. 76 GG Abs. 2). Der Unterschied zwischen Zustimmungs- und Einspruchsgesetzen verläuft entlang der konkurrierenden und der ausschließlichen Gesetzgebung (Art. 70 GG Abs. 2). Entlang der Einspruchsgesetze fehlt es dem Bundesrat am nötigen formalen Einfluss, seine Anliegen vollständig geltend zu machen (Art. 71 GG). Die Verlegung der Debatte auf den Vermittlungsausschuss erfüllt hier den Zweck inhaltliche Argumente zu einer Drucksache vorzutragen (DHB 10.4: 1). Bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen herrscht zwischen beiden Kammern ein formales Legitimationsgleichgewicht (DHB 10.3: 1). Ansonsten steht dem Bundesrat ein verfassungsmäßiges Instrumentarium an Regeln zur Verfügung, mit dem er den Bundestag entsprechend konditionieren kann (ebd.). Der Bundesrat verfügt als dauerhafter Vetospieler bei zustimmungspflichtigen Gesetzen über ein absolutes Veto (Ismayr 2006: 288).

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Details

Titel
Der Bundesrat im Blickfeld. Machtsymmetrie zwischen den Kammern?
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften)
Note
2
Autor
Jahr
2015
Seiten
21
Katalognummer
V315677
ISBN (eBook)
9783668144200
ISBN (Buch)
9783668144217
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bundesrat, blickfeld, machtsymmetrie, kammern
Arbeit zitieren
Stefan Holger Bußhardt (Autor:in), 2015, Der Bundesrat im Blickfeld. Machtsymmetrie zwischen den Kammern?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315677

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