Die Bedeutung des Vaters in der kindlichen Entwicklung. Ursachen und Folgen von Vaterentbehrung und die Rolle der Sozialen Arbeit


Bachelorarbeit, 2013

71 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Vaterschaft.
2.1 Die historische Entwicklung des Vaterbildes
2.1.1 Im alten Rom.
2.1.2 Im 18.Jahrhundert
2.1.3 Nach dem Zweiten Weltkrieg
2.1.4 In unserer Zeit
2.2 Rollenverständnis des Vaters in unserer Gesellschaft
2.2.1 Versorger der Familie
2.2.2 Erzieher und Lehrer
2.2.3 Interaktionspartner bei Spiel und Freizeit
2.2.4 Mögliche Identifikationsfigur
2.2.5 Bild der neuen Väter
2.3 Die Bedeutung des Vaters für die entwicklungspsychologische Reifung des Kindes
2.3.1 Triangulierungsphase
2.3.2 Vorschulphase
2.3.3 Pubertät und Adoleszenz

3 Familien im Wandel- Familien ohne Väter
3.1 Ursachen von Vaterentbehrung
3.1.1 Physische Abwesenheit des Vaters
3.1.1.1 Tod
3.1.1.2 Trennung und Scheidung
3.1.2 Emotionale Abwesenheit des Vaters
3.1.2.1 Psychische Krankheit
3.1.2.2 Missbrauch und Gewalt
3.1.3 Sonstige Ursachen.
3.2 Auswirkungen der Vaterentbehrung auf die Entwicklung von Kindern
3.2.1 Soziale Entwicklung
3.2.2 Verantwortungsbewusstsein und Gewissen
3.2.3 Kognition
3.2.4 Geschlechtsidentität
3.2.5 Erwachsenenalter..
3.2.5.1 Fallbeispiel
3.3 Auswirkungen der Vaterentbehrung auf die Familie
3.3.1 Ökonomische Situation.
3.3.2 Soziale Situation
3.3.3 Beziehung der Eltern
3.3.3.1 Situation des Vaters
3.3.3.2 Situation der Mutter

4 Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit
4.1 Traumapädagogik
4.2 Offene Kinder- und Jugendarbeit
4.3 Erlebnispädagogik
4.4 Schulsozialarbeit

5 Die Vaterschaft in einer sich wandelnden Gesellschaft

5.1 Die Chancen von Vaterschaft

5.2 Unterstützungsformen für Väter

6 Zusammenfassung62 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem väterlichen Einfluss auf die kindliche Entwicklung. Dabei wird auf Ursachen und Folgen von Vaterentbehrung eingegangen und mögliche Interventionen der Sozialen Arbeit aufgezeigt.

In Populärwissenschaft, Internet, Magazinen, Zeitschriften, Foren etc. wird die starke Präsenz des Themas Vaterschaft deutlich. Männer fragen sich, wie sie ein guter Vater werden können, und aktuelle Medien versuchen, darauf eine Antwort zu geben.

„Verpasse nicht die Rolle deines Lebens“ (Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein Westfalen zit. nach Röhrbein 2009, S.23). So lautete die Kampagne Nordrhein-Westfalens, die auf die Bedeutung des Vaterseins hinweisen wollte. Zentraler Inhalt dabei war, dass Vatersein sich bereichernd auf das Leben auswirkt und dabei hilft, neue Akzente im persönlichen Leben zu setzen (Röhrbein 2009, S.23). Dabei wird deutlich, dass nicht nur Männer selbst sich mit dem Thema Vaterschaft beschäftigen, sondern dass dieses Thema in Gesellschaft und Politik Brisanz zeigt.

Zu Beginn der Arbeit erfolgt eine kurze Definition des Begriffes „Vaterschaft“. Im weiteren Verlauf wird die Veränderung der Vaterrolle im Kontext der historischen Entwicklungen betrachtet. Weiterhin werden die verschiedenen Vaterrollen, die in unserer Gesellschaft existent sind, aufgezeigt und anschließend beschrieben, welche Auswirkungen sie auf die kindliche Entwicklung haben. Bei der entwick- lungspsychologischen Reifung des Kindes kommt dem Vater eine wichtige Bedeu- tung zu, die insbesondere im Ablösungsprozess des Kindes von der Mutter deut- lich wird (vgl. Kapitel 2.3.1). Im Mittelteil der Arbeit werden die vielfältigen Ursa- chen von Vaterlosigkeit beschrieben. Dabei wird jeweils auf die physische und emotionale Entbehrung des Vaters hingewiesen und diese an verschiedenen Bei- spielen verdeutlicht.

Die Folgen der Vaterabwesenheit auf die kindliche Entwicklung wurden erstmalig in der Zeit des Zweiten Weltkrieges untersucht. Es wurde zu einem bedeutsamen Forschungsthema in der Psychologie, an dem in späteren Jahren immer wieder angeknüpft wurde. Die Abwesenheit des Vaters wurde zum Mittelpunkt der Vater- forschung. Es gelang somit, die Funktion des Vaters für die kindliche Entwicklung zu erforschen (Fthenakis 1988, S.326).

Welche Auswirkungen beim Kind durch das Fehlen des Vaters sichtbar werden, wird anhand der Darstellung einzelner Entwicklungsbereiche des Kindes deutlich. Weiter werden die Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter beschrieben und mit Hilfe eines Fallbeispiels verdeutlicht. Doch nicht nur das Kind selbst ist von den Folgen der Vaterlosigkeit betroffen. Die gesamte Familie wird in ihrer ökonomi- schen wie auch sozialen Situation beeinflusst. Die Eltern als Einheit und Mutter und Vater als Einzelpersonen erleben durch das Fehlen des Vaters bzw. das Fernbleiben von der Familie Veränderungen in ihrem alltäglichen Leben. In der Sozialen Arbeit gibt es Formen der Hilfe, die betroffene Kinder und Jugendlichen dabei unterstützen können, sich mit den Folgen der Vaterentbehrung auseinan- derzusetzen und diese zu bewältigen. Anhand von vier Beispielen aus der Sozia- len Arbeit soll dies verdeutlicht werden.

Am Ende der Arbeit werden die positiven Aspekte des Vaterseins noch einmal betont, und es wird auf Initiativen und Hilfen verwiesen, die bei der Gestaltung der Vaterrolle bestehen.

2. Vaterschaft

Das Wort „Vater“ stammt von dem lateinischen Wort „pater“ ab. Die Bedeutung liegt darin, dass der Vater die Funktion des Erzeugers eines Kindes einnimmt. Der Ursprung des heutigen Vaterbegriffes und des heutigen Vaterbildes sind in der römischen Kultur und Gesellschaft zu finden, die eine patriarchale Ausrichtung aufweisen. Teile dieser Überzeugung sind bis heute in die Traditionen und Auffas- sungen über die Vaterbilder eingeflossen (Werneck 1998, S.5). Seit den 90er Jah- ren wird von einigen Verfassern1 versucht, Vaterschaft detaillierter und umfangrei- cher als in der Vergangenheit zu definieren. Dabei geht es nicht nu1 r darum, die direkten, sondern auch die indirekten Auswirkungen der väterlichen Partizipation auf die kindliche Entwicklung zu evaluieren. Nach dem Konzept der Generativität „ist Vaterschaft ein komplexer, lang andauernder und entwicklungsbezogener Pro- zess“ (Fthenakis 1999, S.32). Dabei werden die seit Generationen überlieferten Sichtweisen über die Entwicklungen von Männern und Kindern integriert. Die ge- nerative Vaterschaft beinhaltet die Bedürfniserfüllung des Kindes durch den Vater mit einer ständig weiterentwickelnden Beziehung zu seinem Kind. Den Autoren geht es dabei nicht primär darum, eine Darstellung der Realität von Vaterschaft vorzunehmen, sondern vielmehr mögliche und erstrebenswerte Bestandteile väter- licher Verhaltensweisen aufzuzeigen (Fthenakis 1999, S.32f.).

Im folgenden Abschnitt wird deutlich, dass sich im Laufe der Geschichte ein Wandel der Vaterrolle und Vaterschaft vollzogen hat. Um dieses Phänomenen darzustellen, wurden aus unterschiedlichen Geschichtsepochen Merkmale von Vaterschaft und Vaterrollen zusammengefasst.

2.1 Die historische Entwicklung des Vaterbildes

Die Rolle des Vaters unterlag in den letzten Jahren einigen Veränderungen. Auch das heutige Vaterbild hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt. In der damali- gen römischen Kultur waren die Väter ein Sinnbild für Tradition. Sie stellten eine hohe Autorität dar, die sich für die Rituale und Brauchtümer der damaligen Zeit einsetzten (Tellenbach 1978, S.18). Das Vaterbild im 18. Jahrhundert wurde durch eine patriarchalische Autorität geprägt, die durch zeitlich vorausgegangene Um- stände bedingt war. Das Funktionieren des Haushaltes wurde durch den Vater abgesichert, Frauen und Kinder mussten sich dem Mann unterordnen (Fthenakis 1999, S.17). In der Zeit des Zweiten Weltkrieges kamen Familien in Konflikt mit den heimkehrenden Vätern. Diese waren von den Kriegserfahrungen seelisch und körperlich verwundet und hatten große Mühe, sich in den Versorgungsalltag der Familie einzubringen. So war es für Frauen und Kinder meist schwierig, sich den Kriegsvätern zu fügen (Plötz 2006, S.59). In heutigen Entwicklungen taucht zu- nehmend der Begriff „neuer Vater“ auf. Dieser Vater zeichnet sich „durch seine verstärkte Familienzentrierung, sein hohes aktives Engagement für seine Kinder und die Umsetzung einer egalitären Partnerschaft“ aus (Werneck 1998, S.1).

An diesen Entwicklungen soll deutlich werden, dass es schon lange kein festge- schriebenes Vaterbild mehr gibt, sondern dass es stets den gesellschaftlichen Einflüssen und Veränderungen unterworfen war. Wie diese im Einzelnen in Erscheinung traten, wird in den folgenden Abschnitten beschrieben.

2.1.1 Im alten Rom

Das Vaterbild der römischen Kultur wurde durch unterschiedliche Erscheinungs- formen geprägt. Der Ursprung dieser verschiedenen Erscheinungen ist der Fami- lien- oder Hausvater (pater familias), der die weiteren Vatervorstellungen beein- flusst hat. Bezeichnend ist die monarchische Herrscherstellung, die der römische Vater in der Familie innehatte. Es wurde ihm somit uneingeschränkte Gewalt über die Mitglieder der Familie zuteil, die eine lebenslange Wirkung hatte. Dazu zählten alle Personen, die im rechtlichen Sinne dem Familienverband zugehörig waren. So bestand die römische Familie des Vaters nicht nur aus seiner Ehefrau und sei- nen leiblichen oder adoptierten Kindern, sondern auch aus Schwiegertöchtern und Enkeln aus männlicher Linie. Alle weiteren Frauen und Nachkommen dieser männlichen Linie zählten auch zur Familie des römischen Vaters, über die er in seiner Lebenszeit Gewalt ausübte (Wlosok 1978, S.18-20). Zwei Jahrtausende lang prägte dieses Vaterbild des pater familias das Denken des Abendlandes. Da- bei war es „die vollendetste Form des Patriarchats“ (Knibiehler 1999, S.31). Der römische Vater war innerhalb seiner Familie zuständig für den alltäglichen Rechts- und Geschäftsverkehr. Es war seine Verantwortung, den Hauskult der Familie zu leiten, da das gesamte Familienwohl davon abhängig war. Im Falle eines Delikts, das von einem Mitglied des Familienverbandes begangen wurde, musste er haf- ten. Schutz und Unterhalt der Familie oblagen seiner Verantwortung. Eine zentrale Aufgabe des römischen Vaters war die Führung der Hauswirtschaft. Dazu gehörte die Verwaltung des Vermögens, die Bewirtschaftung des Bauernhofes und die Zuteilung der Aufgaben. In diesen Aufzählungen wird deutlich, für welche Vielzahl von Tätigkeiten der römische Vater zuständig war. Von seinem Handeln hing es ab, ob die Familie ihre Existenz aufrechterhalten konnte. Der römische Vater hat das Recht, das Straf- und Tötungsrecht zu nutzen. Er verfügte über das Leben aller Familienangehörigen und hat das Recht, seine Kinder zu verkaufen, zu ver- heiraten oder ihre Ehen zu scheiden. Weiterhin war es ihm möglich, von jeder Art der Züchtigung Gebrauch zu machen (Wlosok 1978, S.20f.). Auch in anderen Kulturkreisen waren diese Handlungen üblich. Die sogenannte Munt-Gewalt des Vaters erlaubte es den Germanen, ihre Kinder umzubringen, zu verlassen oder abzugeben (Werneck 1998, S.5). Dem pater familias war es auch möglich, Kinder mit einer seiner Sklavinnen zu zeugen. Wenn er mit ihr besonders verbunden war, konnte er sie und ihr Kind freigeben. Im anderen Fall blieb das Kind ein Teil seines Besitztums (Knibiehler 1999, S.33).

Der Umfang an Macht, über die der römische Vater verfügte, war weitaus größer als sie in unserer heutigen Gesellschaft aufgrund von juristischen und gesellschaftlichen Festlegungen ist. Im weiteren Verlauf der Geschichte wurden die Rechte des Vaters zunehmend eingeschränkt.

2.1.2 Im 18. Jahrhundert

Bis zu dieser Zeit hatte sich die Vaterrolle gewandelt. Dem Vater war es nicht mehr erlaubt, seine Kinder zu verkaufen oder gar zu töten (Wlosok 1978, S.20f.). Dennoch wurde ihm in dieser Zeit eine patriachialische Autorität zugeschrieben. Betont wird diese Autorität durch die vorherrschende protestantische Reformation (Fthenakis1999, S.17). Daraus lässt sich schließen, dass die bürgerlich- patriachialische Familie durch die historischen Umstände geformt wurde. Patriar- chat bedeutet, dass die Familie von väterlicher Gewalt bestimmt wird (Knibiehler 1996, S.18-20). Der hierarchischen Ordnung kam eine zentrale Bedeutung zu, denn durch sie wurde das Funktionieren des Haushaltes gewährleistet. Die Väter und Ehegatten waren für die Organisation gemeinsamer, familiärer Aktivitäten verantwortlich, wobei Frauen und Kinder sich stets der männlichen Autorität unter- ordnen mussten. Die Regierung übergab den Vätern entscheidende und bedeut- same Verantwortlichkeit für alle Bereiche des familiären Lebens, da sie eine ent- scheidende Rolle bei der Erhaltung der sozialen Ordnung übernahmen. Ähnlich wie in der früheren römischen Kultur mussten alle Familienmitglieder unter der Führung des Vaters zum familiären Einkommen beitragen. Der Bauernhof war hierbei die Hauptquelle der Güterproduktion. In dieser Zeit stand der Vater als Au- toritätsperson allein. Die Kinder wurden meist informell unterrichtet. Der Vater traf für die Kinder Entscheidungen bei Heirat und Berufswahl. In der weiteren Entwick- lung zeigt sich jedoch, dass das patriachialische Modell aufgrund von steigenden Geburtsraten und einer hohen Mobilität an Bedeutung verlor. Es entwickelte sich eine Jugendkultur, die losgelöst von der Kontrolle der Erwachsenen lebte. Diese entstand z.B., wenn junge Menschen der Armee beitraten. Die externe Kontrolle über das Sexualverhalten von jungen Menschen durch andere Institutionen wie der Kirche und Gerichte verlor an Effektivität, was einen Zuwachs von voreheli- chen Geburten zur Folge hatte. Es entstanden zunehmend beziehungsreiche Fa- miliengebilde mit Stief- bzw. Halbgeschwistern usw. Die Kleinfamilie verlor dabei an Bedeutung, und die Bedeutung komplexer Familiensysteme nahm zu (Fthena- kis 1999, S.17f.).

2.1.3 Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in einer Bevölkerungszählung festge- stellt, dass ein Viertel der Kinder ohne Vater aufwuchs. So kam es zur Entstehung von „unvollständigen“ Familien, jenen Familien, die aus Mutter und Kind bestan- den. Als „vollständig“ wurden Familien bezeichnet, wenn ein Ehegatte die Vaterrol- le einnahm (Plötz 2006, S.58). Während der Kriegszeit waren viele Väter für ihre Kinder nicht präsent, da ein Urlaub von der Front nur selten möglich war. Mütter versuchten in dieser Zeit durch Erzählungen und Fotos, ein Bild von dem Vater aufrecht zu erhalten, welches meist idealisiert worden war. Es war ein Anliegen der Mütter, dass die Kinder eine Beziehung zu ihrem Vater aufbauten, trotz seiner ständigen Abwesenheit (Roberts 1994, S.50). Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten viele Familien mit der Vaterlosigkeit zu kämpfen. Für die Kinder, die ohne Vater aufwuchsen, mussten alle Krisen meist ohne männliche Hilfe bewerkstelligt werden. Kinder mussten früh lernen, selbstständig und verantwortlich in ihrer Um- welt zu interagieren. Sie wurden bestimmt von verschiedenen Männerbildern. Zum einen von den erkrankten und depressiven Männern und zum anderen von jenen, die ausgebildete Soldaten waren und den Kindern bei Gelegenheit Süßigkeiten schenkten (Schulz et al. 2005, S. 155f.). Wenn die Väter jedoch aus dem Krieg heimkehrten, waren sie häufig psychisch krank, hatten physische Schädigungen erlitten und waren in manchen Fällen sogar zu Invaliden geworden. Die Väter ent- wickelten oft den Wunsch, von ihren Frauen und Kindern verstanden und umsorgt zu werden. Gleichzeitig fehlte dem Mann das Vorstellungsvermögen dafür, was seine Frau während seiner Abwesenheit in der Bewältigung des Alltags erlebt und erduldet hatte. Es fiel den Männern häufig schwer, sich in den neuen Lebenssitua- tionen mit all ihren Anforderungen zurechtzufinden. Arbeitsplätze waren nicht aus- reichend vorhanden, und somit kam es meist zum finanziellen und gesellschaftli- chen Abstieg. In der Ehe waren die Partner sich fremd- besonders dann, wenn die Eheschließung während des Krieges erfolgte. Viele Familien und Ehen wurden getrennt oder veränderten sich massiv, da die Autorität und Bedeutsamkeit des Vaters verloren ging. Kinder rückten an die Stelle des Vaters und lernten, seine Aufgaben zu übernehmen. Neben dem Schulbesuch waren sie verantwortlich da- für, den Haushalt zu organisieren und für Nahrung und Heizung zu sorgen. Die älteren Geschwister waren oft auf sich allein gestellt und suchten Zusammenhalt in Banden (Radebold 2000, S.20f.).

2.1.4 In unserer Zeit

Die Vaterrolle hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Neudefinition erlebt. Es konnte belegt werden, dass Werte wie „Kameradschaft und Intimität zwischen Vä- tern und ihren Kindern“ zugenommen haben (Werneck 1998, S.53). Die Fürsorge für das Kind und die Hausarbeit werden nicht mehr zwingend von der Mutter erle- digt. Der Grund hierfür liegt darin, dass Paare heute die Arbeitsteilung selbst or- ganisieren und nicht aus einer traditionellen Orientierung heraus handeln. Sie nehmen dabei keinen von der Gesellschaft vorgegebenen Platz ein (Maiwald 2010, S.252). Väter nehmen zunehmend häufiger an der Kinderfürsorge teil. In den Bereichen des direkten Kontakts, der Verfügbarkeit für die Kinder und der di- rekten Verantwortlichkeitsbereiche im alltäglichen Leben (z.B. Arztbesuch) zeigen Väter deutlich Präsenz. Eine weitere Entwicklung, die die anwachsende Partizipa- tion von Vätern in den letzten Jahren deutlich macht, ist, dass sich geschiedene Väter häufiger Zeit für ihre Kinder nehmen. Zusätzlich kommt es zu einer wach- senden Zahl von Vätern, die Elternzeit in Anspruch nehmen. Väter sind zu einem großen Teil an Freizeitaktivitäten (Sport und Spiel) mit den Kindern beteiligt, wobei die Mutter „im Bereich verantwortlicher Zuständigkeit der primäre Ansprechpartner für das Kind“ ist (Maiwald 2010, S.257f.). Bei väterlicher Fürsorge für das Kind werden nicht nur die Kinder selbst, sondern auch die Väter bereichert. Sie empfin- den dieses Erleben als eine wesentliche Erweiterung ihrer Lebenserfahrung. Jedoch zählt das Vaterwerden nicht mehr zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit, sondern hat sich zu einem individuellen Entscheidungsvorgang gewandelt. Dabei beeinflussen den Mann seine eigene Einstellung und die damit verbundenen Ängste. Erst die eigene väterliche Erfahrung verändert den Blick auf das Vaterwerden (Dammasch/Metzger 2006, S.7-9).

2.2 Rollenverständnis des Vaters in unserer Gesellschaft

In den 90er Jahren wurde in der Forschung die Frage nach der Rolle des Vaters aus der sozialwissenschaftlichen und historischen Perspektive untersucht. Doch seit dem Jahr 2000 interessieren sich auch immer mehr populäre Medien für die- ses Thema. 2005 beschäftigte sich der „Focus“ in einer ganzen Ausgabe mit dem Thema Vaterschaft. Durch das Vordringen dieses Themenfeldes in den populären Bereich wird ein öffentliches Interesse deutlich (Baader 2006, S.120). Durch eine Umfrage wurde herausgefunden, dass zwei Drittel der Väter sich mehr als Erzie- her und erst sekundär als Ernährer der Kinder sehen. Das aktuelle Vaterbild ist wenig von normativen Vorstellungen geprägt. Vielmehr zeichnet es sich durch Suchbewegungen aus. Es wird nach Vaterbildern gesucht, die sich nicht durch die tradierte Ernährer-Rolle auszeichnen. Zeitgleich lassen sich bei Männern andere Erwartungshaltungen erkennen. Es ist die Rede von Männern, die sich intensivere Zeit mit den eigenen Kindern wünschen (Baader 2006, S.123). Bisher wurden ver- schiedene Theorien darüber entwickelt, warum Väter ein geringeres Ausmaß als Mütter an Partizipation in Hausarbeit und Familienleben zeigen. Jedoch gelingt es nur beim Betrachten aller Bereiche, in denen sich der Vater aktiv an der Gestal- tung des Familienlebens beteiligt, seinen Wert und die Folgen seiner Partizipation für die gesamte Familie zu erfassen (Fthenakis 1999, S.31f.). Aktuelle Entwicklun- gen zeigen, dass sich Väter mehr um ihre Kinder kümmern und die Kindererzie- hung und den Haushalt mit ihrer Partnerin gemeinschaftlich teilen wollen (Grant zit. n. Werneck 1998, S.54).

In welchen einzelnen Bereichen sich Väter in der Erziehung und Fürsorge der Kinder beteiligen und welche Funktionen sie in der Gestaltung des Haushaltes einnehmen soll in den folgenden Abschnitten dargestellt werden.

2.2.1 Versorger der Familie

Frauen haben in den letzten Jahren einen immer stärkeren Zugang zum Arbeits- markt bekommen. Dennoch hat sich bei der Gewichtung des Verantwortungsbe- wusstseins für die Kinderversorgung zwischen Vater und Mutter wenig verändert. Trotzdem ist festzustellen, dass Väter sich besonders bei der Versorgung der Kin- der und Haushaltsführung mehr beteiligen als früher (Camus 2001, S.27). Heutzu- tage stehen Väter häufig einem Problem gegenüber. Auf der einen Seite haben sie den Wunsch, ein aktives Elternteil zu sein, und auf der anderen Seite die Auf- gabe, die wirtschaftliche Situation der Familie sicherzustellen. Resultierend dar- aus entsteht eine Anspannung. Zum einen besteht der widersprüchliche Anspruch, sich um die Familie zu kümmern und eine Karriere zu verfolgen, und zum anderen die unvermeidbare Frage, inwiefern individueller Wille und Eigenständigkeit den familiären Pflichten untergeordnet werden müssen (Fthenakis 1999, S.62). Damit wird auf eine neue historische Sachlage hingewiesen. Nicht nur Frauen, sondern auch Männer sind von der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrof- fen. In der Zeitschrift „Focus“ wurden Ratschläge für Väter veröffentlicht, wie Fami- lie und Beruf sich vereinbaren lassen. Diese beinhalten hauptsächlich geringe Verkürzungen von Arbeitszeit. Es wird somit deutlich, dass Männer vordergründig als Ernährer der Familie gesehen werden. Für die Zeit mit der Familie sind nur geringe Zeiträume vorgesehen. Dass das Streben nach Erfolg in Beruf und Karrie- re Priorität hat, ist somit nicht von der Hand zu weisen. Väter stehen häufig in dem Konflikt, die Rolle des Ernährers oder des Erziehers einzunehmen (Baader 2006, S.123). Weiterhin gehören der berufliche Einsatz und der berufliche Status zu den Hauptelementen der männlichen Identität. Bei fehlendem Entgegenkommen und keiner Zustimmung des Arbeitgebers ist eine Reduktion der Arbeitszeit nicht mög- lich. Männer, die zum Vorteil ihrer Familie Zeit opfern, riskieren, in ihrem berufli- chen Umfeld als „inkonsequent“ bezeichnet zu werden, und verpassen möglicher- weise Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf. In Zeiten von Hochkonjunktur wird häufig von Familienfreundlichkeit in Unternehmen gesprochen. Jedoch ist es fraglich, ob dieser Zustand bei einer Wirtschaftskrise weiter Bestand hat (Bürgisser 2008, S.102). In vielen europäischen Nationen ist die Karenzzeit ein Mittel, um Müttern zu ermöglichen, in den ersten Lebensjahren intensive Zeit mit ihrem Kind zu ver- bringen. Doch gab es in den letzten Jahren häufig die Forderung, dass auch Väter im Berufsleben eine solche Zeit in Anspruch nehmen, um sich Zeit für die Fürsor- ge des Kindes zu nehmen (Mosheim et al. 2002, S.73). Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen, nutzen Frauen häufiger familienbezogene Hilfsan- gebote. Dies ermöglicht ihnen, ihre Verantwortung innerhalb der Familie in Ver- bindung mit beruflichen Anforderungen besser zu organisieren und zu bewältigen. Männer nehmen hingegen kaum außerfamiliäre Hilfsangebote wahr. Diese Tatsa- che spiegelt eine traditionelle Rollenerwartung wieder, dass die Vaterrolle keine familienbezogenen Verpflichtungen, wie z.B. die Fürsorge für die Kinder, beinhal- tet. Jedoch deutet sich bei einem Teil der Männer eine Neuorientierung bezüglich ihrer Vaterrolle an. Wenn sie sich dafür entscheiden, Zeit der Familie zu widmen, dann partizipieren sie häufig bei der Kinderbetreuung und weniger im Haushalt (Fthenakis 1999, S.63).

2.2.2 Erzieher und Lehrer

Im 20. Jahrhundert stellten sich Forscher häufig die Frage, welche Bereiche der Vater im Leben seines Kindes beeinflussen kann und muss. Es wurde anerkannt, dass der Vater bei der Persönlichkeitsentwicklung seines Kindes eine entschei- dende Rolle spielt. Dem Kind werden durch die Erziehung des Vaters ein starker Charakter und ein moralisches Gewissen zuteil. Die Grundlage dafür kann der Vater legen, indem er sein Kind mit Autorität erzieht. Wenn diese Autorität aus- bleibt, kann es bei dem Kind zu einem Mangel kommen. Die Folgen davon sind Ich-Schwäche, Unbeständigkeit und ein Gefühl der Ungewiss- bzw. Unentschlos- senheit (Camus 2001, S.15f.). Für die Entwicklung der Identität des Mannes nimmt die Vaterschaft eine eher untergeordnete Rolle ein. Bei Frauen hingegen trägt Mutterschaft erheblich zur Identitätsbildung bei. Männer sehen sich als Väter häufiger im Schulalter des Kindes für die Erziehung zuständig. In ihrem Selbstbild agieren sie mehr als Erzieher und Spielkamerad und sehen sich im Säuglingsalter eher im Hintergrund (Grossmann et al. 2002, S.47). Bei Untersuchungen von El- tern wurde festgestellt, dass dem Vater oft die Rolle des Erziehers zugeschrieben wird. Diese Position beinhaltet, dass der Vater eine führungsgebende Funktion beim Aussprechen von Regeln und Sanktionen einnimmt (Camus 2001, S.45). Im Erziehungsprozess kann es bei beiden Elternteilen zu Überforderung und Überbe- lastung kommen. In diesen Fällen ist es stets ratsam, zu einem frühen Zeitpunkt professionelle Hilfsangebote wahrzunehmen. Die Herausführung aus einer Krise stellt für das Kind eine hohe Priorität dar (Röhrbein 2010, S.31). In der Vergan- genheit wurde den Kindern durch ihre Väter ein größeres Maß an Bildung vermit- telt als heute. Gleichzeitig wurde dem Vater eine stärkere Erziehungsfunktion zu- geschrieben. Väter unterrichteten ihre Kinder selbst und bildeten sie in Hinblick auf das Erlernen eines Berufes aus. In der heutigen Zeit werden diese Funktionen häufig von Institutionen übernommen. Gleichzeitig leisteten Väter in der Vergan- genheit ihren Kindern mehr Beistand beim Verlassen des Elternhauses als heute. An diesen Beispielen wird deutlich, dass der Vater einige wichtigen Funktionen verloren hat (Werneck 1998, S.9f.). Wenn der Vater eine erzieherische und leh- rende Funktion im Umgang mit seinen Kindern einnimmt, sollte er sich nicht zu bestimmend oder gar kontrollierend verhalten. In diesem Fall wird es dem Kind erschwert, soziale Kompetenzen zu erlernen. Bei fehlender väterlicher Aufmerk- samkeit oder Kontakt kann es in einigen Fällen sogar zu delinquentem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen kommen (Fthenakis 1999, S.152f.).

2.2.3 Interaktionspartner bei Spiel und Freizeit

Das Kind durchläuft während seines Lebens einen Sozialisationsprozess. Der Va- ter bewirkt beim Kind die Entwicklung sozialer Fähigkeiten, indem er beim Spiel mit ihm interagiert. Es entwickeln sich gewisse soziale Kompetenzen, die für den Aufbau von Beziehungen zu anderen Gleichaltrigen erforderlich sind. Bei Spielen in neuen, ungewohnten Gegenden, die teilweise auch mit Risiko verbunden sein können, lernt das Kind, mit kritischen Situationen umzugehen. Durch neue Her- ausforderungen, die vom Vater an das Kind gestellt werden, lernt es, seine eige- nen Fähigkeiten wahrzunehmen und sie für eine effektive Problemlösung einzu- setzen (Camus 2001, S.46). Die väterliche Einflussnahme durch einfühlende und angebrachte Herausforderungen beim Spiel bewirkt bei seinem Kind eine sichere Bindung und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein in unvertrauter Umgebung, und es beeinflusst die Einstellung gegenüber Freund- und Partnerschaft (Grossmann 2002, S.54.) Weiterhin bringt der Vater dem Kind einzelne Umwelträume näher. Beim Lagerfeuer, Bewässern des Gartens und Klettern auf Bäumen entdeckt der Vater gemeinsam mit seinem Kind die Natur. Es gelingt dem Kind, seine nähere Umgebung zu explorieren, ohne dabei in Gefahr zu geraten, da der Vater unmit- telbar an diesem Lernprozess beteiligt ist. Durch das Wissen des Vaters wird die Erkundung der Umwelt ein spannendes und lehrreiches Erlebnis (Grossmann 2002, S.47). Insbesondere für kleine Kinder hat das Spiel mit dem Vater einen hohen Wert. Kinder in diesem Alter genießen Spiele mit viel Bewegung, bei denen sie körperlich stimuliert werden. Der Wechsel zwischen dynamischen und adyna- mischen Spielabschnitten wird bei Kindern als sehr spannend wahrgenommen (Röhrbein 2010, S.24). Weiterhin tragen Spiele mit einem Wettspielcharakter zwi- schen Vater und Kind zur Entwicklung von Normenbewusstsein und Rücksicht- nahme bei. Das Kind lernt im Spiel mit Gleichaltrigen, Regeln zu akzeptieren und nach ihnen zu handeln. Es konnte in Untersuchungen festgestellt werden, dass durch elterliche Interaktionen im Spiel die Beschaffenheit von Beziehungen zu an- deren Kindern positiv geprägt wurden. Besonderen Einfluss hatte dabei die emoti- onale Anteilnahme des Vaters in Verbindung mit dem körperbetonten Spiel (Camus 2001, S.47). Die emotionale Entwicklung des Kindes, besonders die Ent- stehung von Empathiefähigkeit wird auch durch das Spiel mit Köperkontakt beein- flusst. Der Vater nimmt somit eine bedeutende Rolle für das emotionale Wachs- tum des Kindes ein (Fthenakis 1999, S.151f.).

2.2.4 Mögliche Identifikationsfigur

In der Psychoanalyse finden sich verschiedene Modelle dafür, inwieweit das Kind vom Vater beeinflusst wird, die Betrachtungsweise bleibt jedoch gleich. Winnicott beschreibt, dass der Vater die Mutter in der Autorität unterstützt, um ein Sinnbild für Disziplin und Ordnung darzustellen. Widlöcher vertritt das Denken von Sig- mund Freud und meint, dass der Vater den Inzest von Mutter und Kind verhindert. Durch den Vater lernt das Kind Barrieren und Unterweisungen kennen, die es selbst verinnerlichen kann. Es kann jedoch weiterhin von einem anderen Identifi- kationstyp gesprochen werden. Durch den Vater gelingt es dem Sohn, ein Urbild zu finden, mit dem er sich identifizieren kann. Für die Tochter stellt der Vater ein Leitbild des anderen Geschlechts dar (Camus 2001, S.16f.). Vater und Mutter bil- den für das Kind zwei verschiedene Beziehungsobjekte. Das Kind hat somit auch zwei verschiedene Möglichkeiten, sich zu identifizieren. Durch diesen Umstand wird die Reifezeit des Kindes beschleunigt. Durch das Verinnerlichen der männli- chen und weiblichen Anteile kann ein komplettes Selbstbild entwickelt werden (Petri 2009, S.26). Söhne identifizieren sich dabei häufiger mit dem Vater und werden durch seine Wertvorstellungen beeinflusst (Fthenakis 1988, S.322). Bei einer problembeladenen Beziehung zwischen Vater und Sohn gelingt es dem Sohn kaum, sich mit dem Vater zu identifizieren. Wenn der Vater seinem Sohn mit Warmherzigkeit und Freundlichkeit begegnet, dann beeinflusst das seine Entwick- lung der männlichen Identität positiv. In welchem Maß Söhne sich mit ihren Vätern identifizieren, hängt vom Erziehungsstil ab. Die Theorie, dass Söhne mit einer ausgeprägten, männlichen Identität von verständnis- und liebevollen Vätern erzo- gen wurden, kann unterstützt werden. Wenn eine reservierte Vater-Sohn Bezie- hung besteht, entwickeln sich häufig weniger Gemeinsamkeiten zwischen beiden Parteien. Der Vater bildet für den Jungen ein wichtiges Objekt zur Entwicklung seiner Geschlechterrolle. Söhne werden von den Interaktionen zwischen Vater und Mutter, bei der Entwicklung ihrer Geschlechtsrollenidentität geprägt, insbe- sondere dann, wenn die Kommunikation zwischen den Eltern von Dominanz sei- tens des Vaters bestimmt ist. Eine weitere Verstärkung der Geschlechterrolle des Sohnes wird von einem autoritären Verhalten des Vaters begünstigt. Wenn das autoritäre Verhalten des Vaters in einer fürsorglichen Beziehung zwischen Vater und Sohn integriert ist, begünstigt das die Entwicklung der Geschlechtsidentität des Jungen (Fthenakis 1988, S.312-314). Der Vater ist weiterhin bei der Entwick- lung der weiblichen Geschlechtsidentität der Tochter beteiligt. Das Verhalten der Tochter wird durch Freundlichkeit, eine positive Grundeinstellung gegenüber Frauen und den Zuspruch des Vaters, an Wünschen wie Autonomie und Selbst- ständigkeit festzuhalten, positiv geprägt. Frauen, die eine vertrauensvolle Bezie- hung zu ihrem Vater pflegen, haben es leichter, dauerhafte, heterosexuelle Bezie- hungen zu pflegen. Auch Biller bestätigt, dass eine gesunde Vater-Tochter Bezie- hung ein zukünftiges glückliches Eheleben beeinflusst (Fthenakis 1988, S.317f.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Entwicklung der Per- sönlichkeit des Kindes die Funktion des Vaters eine primäre Rolle spielt (Camus 2001, S.19) und dass Kinder sich besonders mit fürsorglichen, aufopfernden und aktiven Vätern identifizieren (Fthenakis 1988, S.321).

2.2.5 Bild der neuen Väter

Die Entstehung der Rolle des „neuen Vaters“ reicht bis in die Mitte des 20. Jahr- hunderts. In der vorhergehenden Zeit übernahm der Vater kaum Verantwortung für die Pflege und Erziehung der Kinder. Seine Aufgaben beschränkten sich auf die Versorgerfunktion der Familie. In der heutigen Zeit gibt es zunehmend Väter, die sich im Bereich der Betreuung und Erziehung der Kinder als zuständig sehen. Dabei übernimmt der Vater nicht nur erzieherische und fürsorgliche Aufgaben, sondern er wirkt aktiv an der Gestaltung des Haushaltes mit. In manchen Fällen kommt es sogar zu einem Rollentausch zwischen Vater und Mutter. Die Folgen dieses Phänomens wurden evaluiert. Prinzipiell beeinflusst das väterliche Mitwir- ken in den Bereichen Erziehung und Haushalt die kindliche Entwicklung positiv (Heberle 2008, S.145). Unterstützend für dieses Modell der Vaterrolle ist eine Rol- lenverteilung in der Partnerschaft, die auf Gleichheit zwischen Mann und Frau be- dacht ist. Ein Teil der Männer vertritt die Meinung, dass dadurch das Bild einer vollkommenen Lebensführung entsteht. Die Fürsorge für die Kinder soll dabei den gleichen Stellenwert einnehmen, wie die (außer)-beruflichen Tätigkeiten. Somit gelingt es Vätern, im Alltagsleben der Kinder anwesend zu sein und an ihren Fort- schritten teilzuhaben (Bürgisser 2008, S.100). Es wird deutlich, dass aktives Va- tersein eine persönliche Bereicherung für Männer darstellt. Dieser Umstand wird zunehmend anerkannt. So kommt es, dass Männer häufiger an Kursen der Ge- burtsvorbereitung oder an der Geburt selbst partizipieren. 90 Prozent der Väter sind bei der Geburt ihrer Kinder dabei (Röhrbein 2010, S.25). Heutzutage nutzen Männer die Möglichkeit des Erziehungsurlaubs. Die Gründe dafür benennen sie mit der Gleichberechtigung gegenüber ihrer Partnerin, mit ihrer grundsätzlichen Einstellung und mit dem Wunsch, intensive Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. Gründe gegen einen Erziehungsurlaub waren zum Teil finanzieller Natur. Als Er- gebnis lässt sich festhalten, dass sich die Karenzzeit positiv auf die Empathiefä- higkeit gegenüber dem Lebenspartner und dem harmonischen Ablauf innerhalb der gesamten Familie auswirkt (Mosheim 2002, S.76). Die tatsächliche Anteilnah- me von Männern bei Erziehung und Fürsorge stellt sich im Folgenden dar: Väter partizipieren zu knapp 90 Prozent bei der Betreuung von Kindern. Die alleinige Verantwortung bei der Betreuung der Kinder ist deutlich geringer. Rund 30 Pro- zent der Väter sind für die Betreuung der Kinder an den Werktagen für dreißig Mi- nuten allein zuständig. An Wochenenden beträgt die Zahl der betreuenden Väter nur 14 Prozent. Während einer ganzen Woche versorgten nur drei Prozent der Väter ihre Kinder 20 Stunden ohne Mithilfe einer anderen Person. So zeigt es sich, dass nur ein geringer Prozentsatz der Männer während der Woche längere oder kürzere Zeiträume mit ihren Kindern verbringen. Dennoch sind viele Väter bereit, bei dem Erziehungsprozess mitzuwirken. Jedoch gelingt es nur selten und in ge- ringem Ausmaß, dass Väter die Fürsorge der Kinder in einer gewissen Zeitspanne alleine übernehmen. Die alleinige Verantwortung wird von ihnen nur bei Notwen- digkeit übernommen. Weitere Einflussfaktoren der väterlichen Betreuung sind die Verfügbarkeit der Mutter auf Grund ihrer Erwerbstätigkeit und das Vorhandensein weiterer Betreuungspersonen, wie beispielsweise der Großeltern. Die Verhältnisse des Arbeitsmarktes erschweren die Betreuung der Kinder durch Väter, dennoch kann dieser Umstand nicht als Begründung für die Passivität einiger Väter dienen (Fthenakis 1999, S.128f.).

2.3 Die Bedeutung des Vaters für die entwicklungspsychologische Reifung des Kindes

Das Kind empfindet ein durchdringendes Gefühl von Sehnsucht nach seinem Va- ter. Um so wichtiger sind die Präsenz des Vaters und sein Bemühen, aktiv an ei- ner Beziehung zum Kind zu arbeiten. Selbst in der Zeit vor dem Spracherwerb des Kindes kann es durch Erfahrungen mit einem fürsorglichen Vater zur Entstehung einer festen Beziehung kommen. Auch das Kind besitzt bereits in den ersten Le- benswochen die Fähigkeit, eine selbstständige Beziehung zum Vater aufzubauen. Es verfügt dabei über die Bereitwilligkeit, eine Beziehung mit den Eltern zu for- men. Dabei scheint es, als ob das Zusammenwirken von Vater und Mutter und die Sehnsüchte des Kindes die Dynamik der Beziehung in den ersten Lebensjahren beeinflussen (Dammasch 2006, S.12f.). Der Vater spielt in der Phase der Loslö- sung des Babys von der Mutter eine wichtige Rolle. Dem Kind wird nach der Ge- burt durch den Vater vermittelt, dass die „Verschmelzung mit der Mutter“ nur über einen bestimmten Zeitraum besteht (Camus 2001, S.9). Weiterhin prägt der Vater die geschlechtliche Rollenidentität des Kindes (Camus 2001, S.10). Der Vater prägt das Kind in den einzelnen Sozialisationsprozessen. Durch den Vater gelingt es dem Kind, sich in seiner Umwelt gegenüber anderen Menschen zu öffnen. Es wird dabei unterstützt, Fähigkeiten wie Selbstbeherrschung zu erlernen (Camus 2001, S.43). Nach der Lerntheorie, geschieht Lernen durch die Änderung des Verhaltens, das erfahrungsbedingt ist. In Lerntheorien werden die Voraussetzun- gen beschrieben, unter denen es möglich ist, Prozesse des Lernens zu vollziehen (Lefrancois 2003, S.8). Die Interaktionstheorie fokussiert die aufeinander abge- stimmten Beziehungen zwischen zwei Gebilden. Beide Einheiten (Vater, Kind etc.) beeinflussen sich gegenseitig. Die gegenseitige Beeinflussung entsteht aus ihrer Beziehung heraus und es lässt weitere Interaktionen entstehen, sodass während der Interaktionszeiten eine Vielfältigkeit an Prozessen der Beeinflussung entsteht (Schaschke 2010, S.99). In der Kognitionstheorie gelten das Lösen von Proble- men und Strukturieren als die ausgeprägteste Form des Lernens beim Menschen (Schulz 2006, S.87).

Inwieweit und in welchen Entwicklungsstufen der Einfluss des Vaters zur vollständigen Entwicklung des Kindes eine Rolle spielt, wird in diesem Abschnitt beschrieben. Dabei werden anhand von Beispielen die Bedeutung von Lern-, Interaktions- und Kognitionstheorie deutlich.

2.3.1 Triangulierungsphase

In den ersten Lebensjahren versucht sich das Kind, sich von der engen Bindung zur Mutter zu lösen. Nur durch diesen Prozess der Ablösung kann es dem Kind gelingen, eine eigenständige Persönlichkeit zu entwickeln. Während dieses Pro- zesses gerät das Kind in einen Zustand der Ambivalenz. Zum einen besteht das Verlangen, die vertraute Bindung zur Mutter aufrecht zu erhalten, und zum ande- ren der Wille nach Selbstbestimmtheit. Diese zwiespältigen Gefühle werden von dem Kind auf die Mutter übertragen. Deshalb fühlt sich das Kind von der Mutter auf einer Seite festgehalten und in anderen Situationen wiederum abgestoßen. Auf dieses Problem stößt die Mutter in den ersten Lebensjahren ihres Kindes. Es ist ihr kaum möglich, dieser Problemlage allein gerecht zu werden.

[...]


1 Um die Arbeit leserfreundlich zu gestalten, wurde auf eine durchgehende Nennung beider Geschlechter verzichtet. Wo nur die männliche Form verwendet wird, kann davon ausgegangen werden, dass auch immer das weibliche Geschlecht gemeint ist.

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung des Vaters in der kindlichen Entwicklung. Ursachen und Folgen von Vaterentbehrung und die Rolle der Sozialen Arbeit
Hochschule
Theologische Hochschule Friedensau
Note
2,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
71
Katalognummer
V315389
ISBN (eBook)
9783668142831
ISBN (Buch)
9783668142848
Dateigröße
931 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vater, Vaterrolle, Vaterentbehrung
Arbeit zitieren
Udo Brünner (Autor:in), 2013, Die Bedeutung des Vaters in der kindlichen Entwicklung. Ursachen und Folgen von Vaterentbehrung und die Rolle der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315389

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