Was hätte Jugendlichen aus ihrer Sicht geholfen, das Scheidungserleben als Kind (besser) zu verarbeiten?

Eine empirische Untersuchung


Masterarbeit, 2015

131 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Kindliches Erleben der elterlichen Trennung
2.1 Folgen der Trennung
2.2 Exkurs Entwicklungspsychologie
2.3 Kinder der mittleren Kindheit
2.4 Geschlechtsspezifische Reaktionen bei Jungen
2.5 Schutz- und Unterstützungsfaktoren für Kinder
2.5.1 Widerstandsfähigkeit des Kindes
2.5.2 Qualität der Bindung
2.5.3 Empathie
2.5.4 Beständige elterliche Liebe
2.5.5 Schuldlosigkeit
2.5.6 Kontakt zum anderen Elternteil
2.5.7 Loyalitätskonflikten entgegenwirken
2.5.8 Eltern lassen sich helfen
2.5.9 Transparenz
2.5.10 Soziale Unterstützungssysteme
2.5.11 Soziale Beziehungen
2.5.12 Zusammenfassung

3 Therapie- und Beratungsangebote für Kinder
3.1 Trennungs- und Scheidungsberatung
3.1.1 Themenzentriertes Kinder-Interview
3.1.2 Kinderpsychodrama
3.2 Gruppenangebote für Kinder
3.3 Zusammenfassung

4 Methodik
4.1 Qualitatives Forschungsdesign
4.2 Auswahl der Interviewpartner
4.3 Problemzentriertes Interview
4.4 Auswertung der Daten

5 Darstellung der Ergebnisse
5.1 Kindliches Scheidungserleben
5.1.1 Loyalitätskonflikte
5.1.2 Parentifizierung
5.1.3 Transparenz
5.1.4 Bedeutung des Vaters
5.1.5 Konflikte der Eltern
5.1.6 Bezugspersonen
5.1.7 Inanspruchnahme professioneller Hilfe
5.1.8 Schulische Leistungen - Sozialverhalten
5.1.9 Positive Effekte elterlicher Trennung
5.2 Reflexion der Interviews

6 Diskussion der Ergebnisse
6.1 Kindliches Scheidungserleben
6.2 Transparenz über den Scheidungsprozess
6.3 Auflösen elterlicher Konflikte
6.4 Bedeutung von Bezugspersonen
6.5 Kontakt zum anderen Elternteil

7 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

„ Und wenn man mich im Nachhinein glaub ich, auch fragt,ähm Scheidung und so ganz allgemein, ist es glaub ich etwas was ich, sag ich, hab ich oft gesagt, dass hätte, was ich meinemärgsten Feind nicht wünsche. “ (Nico, 24)

Zu Beginn der Einleitung sollen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts dazu dienen, einen Überblick über die Anzahl der Scheidungen in Deutschland zu erhalten, und inwieweit Kinder davon betroffen sind. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland ca. 166.000 Ehen geschieden. Von der elterlichen Trennung waren ca. 135.000 minderjährige Kinder betroffen (Vgl. Destatis 2015). Die Zahl derer die sich im Laufe ihres Lebens entscheiden eine Ehe einzugehen ist in Deutschland abnehmend (Walper/Fichtner 2011, S.91), wobei die durchschnittliche Ehedauer im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen ist (Vgl. Destatis 2015).

Scheidung ist ein Thema, welches in der Gesellschaft stets aktuell ist. Dennoch hat sich die gesellschaftliche Sicht und Bewertung in Bezug auf Trennung und Scheidung verändert. Dies zeigt sich in den theoretischen Modellen der Schei- dungsfamilie. Anfänglich stellte die Scheidung kein normatives Ereignis dar. In den Studien wurden negative Auswirkungen, atypische und pathogene Entwicklungs- tendenzen der Familie fokussiert. „Heute definiert man hingegen Scheidung nicht mehr als negatives Einzelereignis, sondern als einen von verschiedenen Über- gängen im Entwicklungsprozess der Familie“ (Fthenakis/Walbiner 2008, S.1). Scheidung steht für eine Herausforderung, mit der sich eine Familie in der heuti- gen Zeit wohlmöglich konfrontiert sieht. Somit wird dieses Ereignis nicht mehr ausschließlich negativ betrachtet. Es kann vielmehr als ein Beginn konstruktiver Veränderungen im Leben der betroffenen Familien gesehen werden. „Die For- schung konzentriert sich in der Folge auf die komplexen Aufgaben, die für alle Familienmitglieder mit der Bewältigung des Übergangs verbunden sind und die hierbei effektiven Hilfen“ (Fthenakis/Walbiner 2008, S.1).

Öffentliche Stimmen zum Thema Trennung und Scheidung schwanken zwischen Dramatisierung und Entwarnung. Zum einen werden auf belastende Langzeitfol- gen verwiesen und zum anderen auf positive Entwicklungsmöglichkeiten und die Resilienz der von Scheidung betroffenen Kinder. Die Unvereinbarkeit dieser Be- funde kann auf den ersten Blick für Verwirrung sorgen. Dennoch wird ein zentrales Ergebnis der Scheidungsforschung deutlich: Die Vorgeschichte und Rahmenbe- dingungen einer Trennung und der Bewältigungsverlauf des Einzelnen können sehr unterschiedlich ausfallen. Damit verbunden sind die Vielfalt der Reaktionen von Kindern und Jugendlichen auf dieses Ereignis (Vgl. Walper/Fichtner 2011, S.91).

Auch Rentschler (2013, S.5) bemerkt, dass Trennungs- und Scheidungsforscher1 unterschiedliche Standpunkte vertreten. Zum einen gibt es die Meinung, dass El- tern nach der Trennung zwar glücklicher sind aber die Kinder sehr darunter leiden. Zum anderen besteht die Meinung, dass Kinder aufgrund der elterlichen Trennung keine negativen Folgen erleiden. Rentschler nennt die Forschung von Wallerstein et al. (2002), die belegt, dass die elterliche Trennung für Kinder eine Krise dar- stellt, deren negative Folgen bis ins Erwachsenenalter sichtbar werden (Waller- stein et al. zit. n. Rentschler 2013, S.5). Auf der anderen Seite nennt sie die Publi- kation von Largo/Czernin (2003), die besagt, dass Kinder unter der Scheidung nicht leiden müssen. Es gehe den Kindern besser, wenn Eltern sich trennen und Kinder nicht mehr mit den elterlichen Auseinandersetzungen konfrontiert sind. El- tern sollten die Konflikte so regeln, dass die Mutter-Kind-Beziehung bzw. die Va- ter-Kind-Beziehung nicht beeinträchtigt wird (Largo/Czernin zit. n. Rentschler 2013, S.5 f.).

So scheinen sich die Forschungen zur elterlicher Trennung und Scheidung in Be- zug auf die Kinder uneinig zu sein. Zum einen gibt es die Ansicht, dass Scheidung dem Kind nicht (sehr) schade und zum anderen, dass die elterliche Trennung doch negative Folgen mit sich bringt. In dieser Arbeit wird durchaus sichtbar, dass die Trennung für das Kind durchaus positive Effekte mit sich bringen kann, diese jedoch den Verlust eines Elternteils nicht aufwiegen. Die Befragten dieser Unter- suchung hätten sich gewünscht, weniger den elterlichen Konflikten ausgesetzt zu sein. Doch auf der anderen Seite sehen sie in der elterlichen Scheidung ein Ereig- nis, welches sie negativ geprägt hat. Es wurde deutlich, dass jede Scheidungsge- schichte unterschiedlich ist und individuelle Folgen mit sich bringt, dennoch aber Gemeinsamkeiten aufweist.

Um die Arbeit leserfreundlich zu gestalten, wurde auf eine durchgehende Nennung beider Geschlechter verzichtet. Wo nur die männliche Form verwendet wird, kann davon ausgegangen werden, dass auch immer das weibliche Geschlecht gemeint ist.

Die Ausarbeitung untergliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil erfolgt eine Dar- stellung des aktuellen Forschungsstands zum kindlichen Erleben elterlicher Scheidung. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um eine Zusammenfassung der Literatur. Die Diskussion der Literatur erfolgt im letzten Kapitel der Arbeit. Dort werden die gewonnenen Erkenntnisse der Untersuchung, mit denen der Schei- dungsforschung gegenübergestellt. Der zweite Teil der Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Darstellung, Analyse und Auswertung der gewonnenen Daten aus den problemzentrierten Interviews.

Die vorliegende Untersuchung fragt junge Erwachsene zwischen 23-29 Jahren, wie sie als Kinder die Trennung ihrer Eltern erlebt haben. Es handelt sich bei der Forschungsgruppe um männliche Personen, die zum Trennungszeitpunkt der El- tern zwischen acht und elf Jahren alt gewesen sind. Mithilfe von retrospektiven Befragungen wird versucht, folgende Forschungsfrage zu beantworten:

Was hätte jungen Heranwachsenden aus ihrer subjektiven Sicht geholfen, das (kindliche) Scheidungserleben (besser) zu verarbeiten?

Diese Ausarbeitung ist ein Plädoyer für die Arbeit in der Trennungs- und Schei- dungsberatung. Die Bedürfnisse der Kinder werden in den Streitigkeiten der Eltern leicht übersehen. Sie sind so sehr in ihren eigenen Konflikten verhaftet, dass sie vergessen zu fragen, was ihr Kind während dieser krisenhaften Zeit benötigt. Dar- über hinaus ist die Partizipation von Kindern in der Trennungs- und Scheidungsbe- ratung eher selten (Vgl. Bernhardt 2013). Dennoch existieren in der Literatur ver- schiedene Konzepte die Perspektive des Kindes in einen Beratungsprozess mit den Eltern zu integrieren (Vgl. Alfes 2013; Bernhardt 2013). Diese Untersuchung soll den Kindern ein Gehör verschaffen und die Aufmerksamkeit auf sie lenken.

Auch ich war als Kind von der Scheidung meiner Eltern betroffen. Aus heutiger Sicht sehe ich die damalige Situation mit anderen Augen und hätte mir von mei- nen Eltern mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung gewünscht, um nur eine Sache zu nennen, die mir damals fehlte. Weiterhin ist es erschreckend zu sehen, wie viele Ehen auseinandergehen, aus denen Kinder hervor gegangen sind. Dies sind u.a. Gründe die mich dazu bewegt haben diese Untersuchung durchzuführen und diese Arbeit zu schreiben.

2 Kindliches Erleben der elterlichen Trennung

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Perspektive des Kindes im Trennungs- und Scheidungsprozess der Eltern. Zu Beginn werden typische Reaktionen bei Kindern beschrieben, die von einer elterlichen Trennung betroffen sind. Im nächsten Abschnitt erfolgt ein Exkurs in die Entwicklungspsychologie von Kindern in der mittleren Kindheit. Dabei wird eine Auswahl verschiedener Entwicklungsbereiche dargestellt. Gleichzeitig stellt diese Gruppe von Kindern, die Forschungsgruppe der vorliegenden Untersuchung dar.

Da es sich bei der Auswahl der Forschungsgruppe um Jungen, die zum Zeitpunkt der Trennung bzw. Scheidung zwischen 8-10 Jahren alt gewesen sind, handelt, werden weiterhin typische Reaktionen von Kindern mittlerer Kindheit auf elterliche Trennung bzw. Scheidung zusammengefasst.

Im Abschluss des Kapitels werden geschlechtsspezifische Reaktionen von Jungen auf Trennung und Scheidung der Eltern beschrieben.

2.1 Folgen der Trennung

Levine und Kline (zit. in Loschky/Koch 2013, S.167) stellen fest, dass es im Trennungsprozess Zeiten gibt, in denen Kinder am stärksten verletzlich sind:

„1. wenn sie zum ersten Mal davon fahren
2. wenn ein Elternteil auszieht
3. wenn Vereinbarungen zur Sorgepflicht getroffen werden
4. wenn der Ehevertrag/finanzielle Regelungen ausgehandelt werden
5. wenn die Kinder anfangen, in zwei verschiedenen Welten zu leben: Mamas Wohnung/ Papas Wohnung
6. wenn einer oder beide Elternteile eine neue Beziehung anfangen
7. wenn ein Elternteil beschließt wegzuziehen
8. wenn Eltern beschließen, wieder zu heiraten, und eine Stieffamilie entsteht“ (Levine/Kline zit. in Loschky/Koch 2013, S.167).

Bauers (1993, S.39f.) verweist auf eine Vielzahl von Publikationen, die sich mit dem kindlichen Erleben bei Trennung und Scheidung der Eltern beschäftigt haben: (Vgl. Wallerstein/Kelly 1974;1975; 1977; 1980, Bowlby 1976, 1980; Holder, 1986; Heekerens, 1987; Figdor, 1991).

Nach Figdor (2011,S.21f.) ist eine Trennung der Eltern für Kinder in jedem Fall mit Schmerzen verbunden, auch wenn die Beziehungen von starken Konflikten ge- prägt waren. Bei den Kindern wird eine Vielzahl von Gefühlen, Gedanken und Ängsten hervorgerufen. Bei Kindern entsteht die Angst einen der beiden meistge- liebten Menschen nicht wiedersehen zu können. Dabei ist jede erlebte Trennung in einer Form mit früheren Trennungserlebnissen oder Ereignissen die Tren- nungsängste hervorriefen, verbunden. Diese können dann z.B. bei der Trennung der Eltern reaktiviert werden.

Bauers (1993, S.40) fasst typische emotionale Reaktionen von Kindern auf die Scheidung der Eltern wie folgt zusammen: Angst verlassen zu werden, Wut, Trau- er, Schuldgefühle, Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, Loyalitätskonflikte und geschädigtes Vertrauen in die Beständigkeit menschlicher Beziehungen. Häufig erleben die Kinder die Trennung als einen teilweisen Identitätsverlust. Trennungen werden als Selbstverlust erlebt, da in jeder Liebesbeziehung ein Teil des Gegenübers aufgenommen wird und somit eine Identifikation mit ihm stattfin- det. Ein großes Stück des Selbstwertgefühls wird durch die Interaktion mit einem geliebten Menschen geschaffen. Das Weggehen eines Elternteils steht nicht nur für den Verlust der Person an sich, sondern auch für den Verlust der eigenen Identität (Figdor 2011, S.22).

Figdor (2011, S.20) stellte jedoch fest, dass ein großer Anteil von Kindern existiert, die vorerst scheinbar keine Reaktionen auf die Trennung der Eltern zeigen. Kinder nehmen häufig nicht wahr, welche Bedeutung die Trennung für ihr Leben hat. Ob und wie sich seelische Störungen und symptomatisches Verhalten entwickeln (Art und Ergebnis der kindlichen Bewältigung der Scheidungssituation), ist abhän- gig von verschiedenen Faktoren. Das sind zum einen individuelle Faktoren wie z.B. Alter, kognitive und soziale Kompetenz, Verfügbarkeit von Bewältigungsstra- tegien (z.B. Angsttoleranz, Anpassungsverhalten an die neue Situation). Weiterhin beeinflusst die Qualität der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen vor und nach der Scheidung, das Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Schei- dungssituation. Ein weiterer Faktor ist, inwieweit und in welcher Form Eltern Mög- lichkeiten besitzen, die Trennung (äußerlich und psychisch) zu bewältigen und ob sich nach der Scheidung in Erziehung kooperativ zusammenarbeiten. Zum ande- ren sind die sozioökonomische Situation der Rest-bzw. Fortsetzungsfamilie, das Ausmaß der Bewältigung und die Zufriedenheit des Alleinerziehenden weitere Ein- flussfaktoren (Bauers 1993, S.40).

Dadurch, dass Kinder sich allein gelassen, verraten und in ihren Bedürfnissen nicht respektiert fühlen, entstehen in ihnen Gefühle der Aggression. Diese können sich auch als Gegenreaktion gegen andere bestehende Ängste zeigen. Der Hass und die Wut richten sich manchmal gegen den Elternteil, dem die Schuld für die Trennung zugewiesen wird, zeitweilig gegen beide Elternteile oder im Wechsel gegen die Mutter und dem Vater. Oft versuchen Kinder als Vermittler bei Familien- konflikten aufzutreten und ihre Eltern wieder zu versöhnen. Haben sie dabei kei- nen Erfolg, sehen sie ihre Mühe als gescheitert an (Figdor 2011, S.23).

Die kindlichen altersspezifischen und entwicklungsabhängigen Reaktionen auf die elterliche Scheidung sind verschieden. In der Göttinger familientherapeutischen Studie von 1981-1984 wurden 37 Scheidungsfamilien mit 66 Kindern untersucht. Diese Untersuchung beschäftigte sich mit der manifesten Symptomatik bei Scheidungskindern und kam zu folgenden Ergebnissen: Ein knappes Drittel der untersuchten Kinder wiesen dissoziale Verhaltensweisen auf. 25% der Kinder zeigten eine schwere Kontaktarmut, wobei ein Fünftel der Kinder von Schulstörungen (Verhaltensauffälligkeiten, Lern- und Leistungsstörungen) und die restlichen Fälle psychosomatische Symptome als Leitsymptomatik aufwiesen. Häufig wurden diese durch andere Symptome begleitet (Bauers 1993, S.40).

2.2 Exkurs Entwicklungspsychologie

Bei diesem Exkurs in die Entwicklungspsychologie wurde sich lediglich auf eine Auswahl bestimmter Entwicklungsbereiche beschränkt. Dieser dient dazu ein Verständnis über die Entwicklungsstufe zu erhalten, in der sich die befragten Personen zum elterlichen Scheidungszeitpunkt befanden.

Piaget entwickelte die Theorie der geistigen Entwicklung. Demnach erreichen Kin- der zwischen 7 und 12 Jahren die konkret-operationale Stufe. Durch die Entste- hung des logischen Denkens wird das kindliche Denken flexibler und strukturierter. Logisches Denken meint bei Piaget „die Fähigkeit, Repräsentationen in einem System mentaler Handlungen zu koordinieren“ (Schneider/Lindenberger 2012, S.212). Das Kind ist nun fähig verschiedene Aspekte einer Situation gleichzeitig zu erfassen. In diesem Stadium der Denkentwicklung ist es dem Kind möglich, kon- krete gegenwärtige Probleme zu lösen (Schneider/Lindenberger 2012, S.212). Die

Eigenschaften des konkret-operationalen Denkens prägen das Denken des Kin- des im sozialen Bereich und werden dort eingeübt. Dies geschieht z.B. durch die Hierarchiebildung bei Normen und Werten und dem Vergleich bei sportlichen Aktivitäten (Kienbaum/Schuhrke 2010, S.159).

In der mittleren Kindheit entwickelt sich eine sprachliche Bewusstheit. Der Wort- schatz des Kindes wird umfangreicher. Es profitiert dabei von Gesprächspartnern die komplexen Worte benutzen und erklären. Erhalten Kinder eine Definition für ein neu erlerntes Wort, so fügen sie es zu ihrem bisherigen Wortschatz hinzu. Darüber hinaus lernt es zu verstehen, dass bestimmte Worte mehrfache Bedeu- tungen haben können. Kinder lernen in diesem Alter vermehrt Sprache zu analy- sieren und zu reflektieren. Die Gesprächsstrategien des Kindes werden an- spruchsvoller. Das Kind lernt Dinge so zu formulieren, dass es seinen Willen er- reicht. Äußerungen des Kindes werden strukturierter, ausdrucksstärker und detail- lierter. Es beschreibt in seinen Erzählungen mehr Rahmeninformationen und wer- tende Kommentare. Schriftliche und mündliche Sprachkenntnisse sind bei den Kindern weiter entwickelt, die viel Zeit mit ihren Eltern verbringen. Hier gibt es häu- fig Raum zum Erzählen von langen, komplizierten und persönlichen Geschichten (Berk 2011, S.425-427).

Nach Erikson erstreckt sich die Identitätsentwicklung als Bestandteil der Persön- lichkeitsentwicklung eines Menschen vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter. Dabei unterscheidet er in acht Persönlichkeitskomponenten, Vertrauen, Autono- mie, Initiative, Werksinn, Identität, Intimität, Generativität, Integrität. Diese domi- nieren jeweils die Entwicklung in einem der acht unterschiedenen Lebensalter (Kienbaum/Schuhrke 2010, S.250). Die Komponente Werksinn dominiert die Le- bensphase ab dem sechsten Lebensjahr, die bis in die (frühe) Pubertät hinein- reicht. Das Kind lernt in dieser Phase Bestätigung zu erhalten, in dem es Dinge herstellt. Es identifiziert sich dabei mit Menschen, die wissen wie bestimmte Dinge gemacht werden und gesellschaftliche Anerkennung erhalten. Darüber hinaus er- lernt es rudimentäre technische Fertigkeiten. In der Zusammenarbeit mit anderen lernt das Kind erfolgreich Dinge herzustellen. (Rotter/Hochreich 1979, S.50). An anderer Stelle spricht Erikson von dem psychischen Konflikt der mittleren Kindheit (Fleiß vs. Minderwertigkeitsgefühl). Dieser entsteht durch die Erwartungen der Erwachsenen und dem Streben des Kindes nach Fähigkeiten. Dieser Konflikt kann positiv aufgelöst werden, in dem sich das Kind kompetent in nützlichen Fertigkei- ten und Aufgaben fühlt. In dieser Phase besteht die Gefahr, dass beim Kind Min- derwertigkeitsgefühle entstehen, die im Pessimismus des Kindes deutlich werden. Sie haben wenig Vertrauen in eigene Fähigkeiten, gestellte Aufgaben angemes- sen zu bewältigen. Ursachen sind dafür häufig, dass das Kind nicht ausreichend durch Eltern auf die Schule vorbereitet wurde oder Lehrer und Mitschüler durch Reaktionen das Kompetenzgefühl des Kindes negativ beeinflussen. Der Fleißbe- grif f nach Erikson vereint dabei verschiedene Aspekte der mittleren Kindheit: ein positives und realistisches Selbstkonzept, Stolz auf erbrachte Leistungen, morali- sches Verantwortungsgefühl und kooperativer Umgang mit Gleichaltrigen (Berk 2011, S.444f.).

Die emotionale Entwicklung der mittleren und späten Kindheit (6.-11. Lebensjahr) ist durch den Anstieg selbstbezogener Emotionen, differenzierter Auffassung emo- tionaler Zustände und Verbesserung der emotionalen Selbstregulation gekenn- zeichnet. In dieser Lebensphase entstehen intrapersonale Emotionen wie Stolz, Scham oder Schuld häufig auch ohne das Dasein von Erwachsenen. Vorschulkin- der beziehen ihre Emotionen aus der Umwelt. In diesem Abschnitt beginnen Kin- der jedoch ihre Emotionen für die Beschreibung ihrer Gefühlslagen zu verwenden. Die Beschreibungen werden dabei immer differenzierter. Im Alter zwischen 10 und 11 Jahren verstehen Kinder ambivalente Emotionen, z.B. dass zur gleichen Zeit Wut und Freude empfunden werden kann. Darüber hinaus begreifen sie, dass ihr tatsächlicher Gefühlsausdruck abweichend von der eigentlichen Gefühlslage sein kann. Lernen Kinder in dieser Lebensphase mit negativen Ereignissen umzuge- hen, entsteht bei ihnen das Gefühl ihre emotionalen Erfahrungen kontrollieren zu können. Daraus resultiert ein Gefühl von emotionaler Selbstwirksamkeit (Schnei- der/Lindenberger 2012, S.232).

Nach Piaget verändert sich das moralische Denken des Kindes. Im jungen Kin- desalter übernimmt ein Kind die Gebote und Regeln von Autoritätspersonen, ohne diese zu hinterfragen. Zwischen dem elften und zwölften Lebensjahr erkennt es jedoch, dass moralische Regeln das Ergebnis sozialer Interaktionen und somit veränderbar sind. Kinder zwischen sieben und zehn Jahren befinden sich in der Übergangsphase zwischen den Stadien der heteronomen und der autonomen Mo- ral. In dieser Phase lernen Kinder durch das Spiel mit Gleichaltrigen, dass Regeln von der Gruppe aufgestellt und verändert werden können. Sie lernen dabei sich in ihren Gegenüber hineinzuversetzen, und zu kooperieren. Das Kind fängt deshalb an, auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung Wert zu legen. Darüber werden sie in ihrem Denken über moralische Fragen autonomer (Siegler et al. 2011, S.539- 541).

Während der mittleren Kindheit (6-11 Jahren) gewinnt der Umgang mit Gleichaltri- gen im Kontext der Entwicklung mehr an Bedeutung. In dieser Lebensphase ge- lingt es dem Kind durch Überzeugung und Kompromisse einen Konflikt beizule- gen. Die prosozialen Verhaltensweisen wie z.B. Teilen und Helfen nehmen zu. Weiterhin nehmen Aggressionen, besonders körperliche Angriffe ab. Dennoch treten verbale und soziale Aggressionen weiterhin bei der Bildung von Peergrup- pen auf. Das Bedürfnis einer Peergruppe zugehörig zu sein, steigt während der mittleren Kindheit stark an. Das Schließen von Freundschaften fördert die fördert die Entwicklung von Vertrauen und Sensibilität. In diesem Lebensalter ist Freund- schaft für Kinder eine auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung. Sie schätzen die Eigenschaften des anderen und gehen auf seine Bedürfnisse und Wünsche ein. Vertrauen wird dabei zu einem definierenden Merkmal der Freundschaft (Berk 2011, S.458f.). Mütter verbringen in dieser Lebensphase häufiger Zeit mit dem Kind als der Vater. Weiterhin wissen sie mehr über die alltäglichen Aktivitäten des Kindes. Jeder Elternteil verbringt tendenziell mehr Zeit mit dem Kind des eigenen Geschlechts. In Bezug auf die Aktivitäten des Kindes sind Mütter fürsorglicher. Sie sorgen dafür, dass das Kind seinen Verpflichtungen wie z.B. das Machen der Hausaufgaben nachkommt. Väter hingegen sorgen sich vermehrt um die leis- tungsorientierten Aktivitäten und Freizeitbeschäftigungen. Sind beide Elternteile anwesend, so verhalten sich Väter ebenso fürsorglich wie Mütter. Kinder fordern in diesem Alter häufig nach Unabhängigkeit. Dennoch sind sie sich bewusst, dass sie die Unterstützung ihrer Eltern benötigen. Sie wenden sich an ihre Eltern, wenn sie Zuneigung und einen Rat brauchen, in ihrem Selbstwert Bestätigung suchen und sie sich Hilfe bei der Lösung von Alltagsproblemen wünschen. Neben Freun- den und Eltern bilden Geschwister eine Ressource für das Kind. Dennoch steigen Geschwisterrivalitäten in der mittleren Kindheit. Eltern fangen an die Persönlich- keitseigenschaften und Erfolge der Geschwister miteinander zu vergleichen. Er- fährt eines der Kinder weniger elterliche oder materielle Zuwendung, so reagiert es häufig mit Ablehnung. Sind Eltern zu sehr in eigenen Problemen verstrickt, le- gen sie eher weniger Wert darauf die Geschwister gleichberechtigt zu behandeln. Trotz der Konflikte zwischen den Geschwistern verlassen sie sich darauf vonei- nander Unterstützung zu erhalten. Bei Schul- und Familienproblemen bieten sie sich gegenseitige Hilfe an. Damit Geschwister von ihrer Beziehung profitieren können, ist es Aufgabe der Eltern eine liebe- und rücksichtsvolle Bindung zwischen ihnen zu fördern (Berk 2011, S.466f.).

2.3 Kinder der mittleren Kindheit

Kinder dieser Altersgruppe sind bereits selbstständig und besitzen die Fähigkeit, die Perspektive eines anderen einzunehmen. Sie können logische Zusammen- hänge begreifen. In dieser Lebensphase spielt das soziale Milieu der Kinder eine große Rolle. Vor allem sind es die Beziehungen zu Kindern und Schulfreunden im gleichen Alter. Vorrangig ist es für ein Kind im Schulalter eine traumatische Erfah- rung, wenn ein Elternteil die Familie verlässt. Das Risiko für das Kind, in Loyali- tätskonflikte zu geraten, steigt. Häufig verweigert es die Trennung der Eltern zu akzeptieren. Sie reagieren mit Verleugnung, Trauer oder Depression. Sie neigen dazu Aggressionen gegen sich selbst oder andere zu richten. Weiterhin kommt es in dieser Altersgruppe häufig zum Leistungsabfall und Konzentrationsschwierigkei- ten in der Schule (Teba 2012, S.10f.).

Teba (2012, S.11) nennt eine Studie von Lansford et al. (2006) die belegen konnte, dass die Trennung der Eltern bei Kindern im Schulalter zu internalisierenden und externalisierenden Störungen führen kann (Lansford et al. zit. n. Teba 2012, S.11). Darüber hinaus belegte die Metanalyse einer Studie von Amato/Sobolewski (2001), dass Grundschulkinder die von elterlicher Trennung betroffen sind, häufiger psychische Anpassungsprobleme aufweisen als ältere Kinder (Amato/Sobolewski zit. n. Teba 2012, S.11).

In dieser Altersgruppe kann es vorkommen, dass Kinder ihre Eltern nicht mehr als Erziehungspersonen akzeptieren. Daraus resultiert eine Erschwerung von Grenzsetzung und Disziplinierung, was sich wiederum negativ auf die Leistung und das Sozialverhalten des Kindes auswirkt (Fthenakis/Walbiner 2008, S.50). Bezeichnend für diese Altersgruppe ist die intensive, objektbezogene Wut. Diese wird direkt zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus wird das Selbstwertgefühl des Kindes beschädigt. In diesem Entwicklungsstadium ist die Wahrnehmung der Identität stark mit der Familie und der physischen Präsenz beider Elternteile verbunden. Die Eltern gelten als Betreuer, Versorger, externe Kontrollinstanz und Identifikationsmodell (Fthenakis/Walbiner 2008, S.50).

Eltern verlangen von Kindern dieser Altersgruppe häufig in der ehelichen Ausei- nandersetzung einen Standpunkt einzunehmen. Somit fällt es ihnen schwerer, bei einem der beiden Elternteile Trost zu suchen. Inmitten des elterlichen Konflikts fühlen sie sich zurück gelassen (Fthenakis/Walbiner 2008, S.50).

2.4 Geschlechtsspezifische Reaktionen bei Jungen

Bauers (1993, S.40f.) verweist auf eine Reihe von Untersuchungen, die anzeigen, dass Scheidungsreaktionen der Kinder geschlechtsabhängig sind. Jungen gelten allgemein als stärker von Auswirkungen der Konflikte betroffen als Mädchen (Vgl. Fthenakis 1981, Hetherington/Cox 1978, Hetherington 1980, Bauers/Reich 1984). Ein wesentlicher Grund dafür bildet ein Widerspruch, mit denen Jungen, die nach der Scheidung bei ihrer Mutter leben, konfrontiert sind: Zum einen werden sie mit dem negativen Vaterbild identifiziert und auf der anderen Seite werden sie von der Mutter als Partnerersatz gebraucht. Somit sind sie den ambivalenten Gefühlen der Mutter ausgesetzt.

Jungen drücken ihre Trennungsprobleme eher in ihrem äußeren Verhalten aus. Sie zeigen dabei mehr forderndes Verhalten, Aggressivität, Unruhe und weniger Selbstkontrolle als Mädchen. Es ist für sie schwerer Gefühle und Wünsche in di- rekte Worte zu fassen und sich Unterstützung bei anderen zu suchen. Treten Problemsituationen auf, so reagieren weniger anpassungsfähig und beziehungs- orientiert als Mädchen. Weiterhin neigen sie dazu eigene Fähigkeiten zu über- schätzen und Ängste und Schwächen durch starkes Auftreten zu verstecken. Eini- ge Jungen versuchen die Rolle des Vaters einzunehmen, der nicht mehr anwe- send ist. Dennoch fügt ihnen die Trennungssituationen Schmerz zu. Deshalb ist der Beistand in ihrer Trauer und Verzweiflung unerlässlich. Darüber hinaus ist es hilfreich, sie bei der sprachlichen Ausformulierung ihrer Gefühle zu unterstützen. Sowohl Mädchen als auch Jungen leiden unter gegenseitiger Abwertung beider Elternteile. Es entstehen somit negative Elternbilder, woraus Selbstwertprobleme resultieren. Die positive Übernahme der männlichen bzw. weiblichen Rolle wird somit erschwert (Jaede 2006, S.24-26).

Teba (2012, S.11f.) bezieht sich bezüglich der geschlechtsspezifischen Reaktio- nen bei Jungen auf verschiedene Studien, die mit ihren Ergebnissen an dieser Stelle verkürzt aufgeführt werden: Jaede et al. (1996) vermutet als weiteren Grund für die größeren negativen Folgen der elterlichen Trennung bei Jungen gegenüber Mädchen, den hohen Anteil von Jungen in den spezifischen Beratungsstellen.

Auch Furstenberg/Cherlin (1993), Hetherington et al. (1985), Morrison/Cherlin (1995) belegten, dass die Reaktionen der Jungen von Außen deutlich sichtbar werden. Sie reagieren mit Verhaltensauffälligkeiten, Aggressionen und Schulprob- lemen. Kardas und Langenmayr (1996) konnten in ihren Studien belegen, dass Jungen aus einer Scheidungsfamilie in Frustrationssituationen anders reagieren, als die Jungen aus der Kontrollgruppe und als Mädchen aus Scheidungsfamilien. Jungen aus Scheidungsfamilien richten in solchen Situationen ihre Aggressionen gegen sich selbst und sind selbstkritisch. In einer Langschnittstudie von Napp- Peters (1995) wurde herausgefunden, dass Jungen häufiger Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen aufweisen. Deshalb müssen sie öfter als Mädchen eine Klasse wiederholen.

2.5 Schutz- und Unterstützungsfaktoren für Kinder

Dolto (2008, S.24) stellt fest, dass gewöhnliche Ratgeber zum Thema Scheidung den Kindern nur wenige Zeilen widmen. Sie fügt hinzu, dass eine Informationsbroschüre zu diesem Thema alleine nicht ausreichend ist. Kinder brauchen jemanden der mit ihnen über die Scheidung spricht.

Diese und andere Faktoren werden in diesem Kapitel ausführlich beschrieben. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht, was aus Sicht der Scheidungsliteratur, Kin- dern hilft das Trennungs- und Scheidungsgeschehen der Eltern zu bewältigen. Dabei werden die Ansichten verschiedener Autoren beschrieben, die sich mit die- sem Thema beschäftigen. Ziel ist es möglichst viele verschiedene Faktoren aufzu- zeigen. Im letzten Teil der Arbeit werden diese Erkenntnisse mit denen der vorlie- genden Untersuchung diskutiert.

2.5.1 Widerstandsfähigkeit des Kindes

Die Reaktionen der Kinder auf Trennung und Scheidung weichen stark voneinan- der ab. Sind sie vor der elterlichen Trennung in einer psychisch stabilen Verfas- sung gewesen, zeigen sie sich auch danach als resistenter in Stresssituationen und verfügen über bessere Anpassungsleistungen in der veränderten Lebenssitu- ation. Besitzen Kinder aktive Bewältigungsstrategien (Abwehr der negativen Scheidungsfolgen), wird die krisenhafte Lebensphase besser verarbeitet. Diese Kinder weisen weniger Ängste, Depressionen und Verhaltensprobleme auf. Resili- ente Kinder verfügen über eine innere Gewissheit, dass sie geliebt und wertvoll sind. Sie schätzen sich selbst als positiv ein. Dabei sind sie sich ihrer Schwächen und Stärken bewusst. Diese Kinder suchen zunächst selbständig nach Lösungen, scheuen sich aber nicht Hilfe zu erfragen. Kinder mit hoher Widerstandsfähigkeit haben ein starkes Sicherheitsgefühl in ihrer Rolle und sind weniger der Gefahr ausgesetzt, parentifiziert zu werden. Kinder entwickeln je nach ihren Resilienzfä- higkeiten eigene Strategien, um die Trennung der Eltern zu bewältigen. Verfügen sie über unterstützende Beziehungen, ist ein Wachstum von Resilienz wahr- scheinlich (Hötker-Ponath 2009, S.58).

Eine Voraussetzung für die Entwicklung von Widerstandsfähigkeit bei Kindern, ist der Aufbau einer engen Bindung zu einer Bezugsperson, die fähig ist, auf die Be- dürfnisse des Kindes einzugehen. Kinder mit hoher Widerstandfähigkeit war dies möglich, obwohl sie sich in einem Familienumfeld befanden, in denen es zu eska- lierenden Elternkonflikten kam. Darüber hinaus suchen sich diese Kinder in Kri- senzeiten Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld (z.B. Verwandte, Freunde, Nachbarn), um in bestimmten Lebensfragen Ratschläge zu erhalten. Sie gelten gleichzeitig für ihre jüngeren Geschwister als Bezugsperson und Identifikations- modell (Plass 2015, S.4f.).

2.5.2 Qualität der Bindung

Nach Hötker-Ponath (2009, S.55) gilt eine gelungene Bindungsbeziehung des Kindes zu seinen Eltern, als Voraussetzung für eine positive Entwicklung seiner Persönlichkeit und seelischen Gesundheit. Diese Kinder haben eine Ausgewo- genheit zwischen den elementaren Bedürfnissen nach Schutz und Nähe sowie von Individuation und Autonomie. Ein sicheres Bindungsmuster wurde vielfach als Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung benannt. Bei Eltern die sich in einer Trennungssituation befinden, ist es von besonderer Bedeutung, auf die Bedürfnis- se des Kindes zu antworten. Bindungssicherheit wird durch die feinfühlige Unter- stützung beider Elternteile entwickelt. Dabei sollte auf die kindlichen Bedürfnisse nach Sicherheit, Schutz, Nähe und Exploration eingegangen werden. Das Wech- selspiel zwischen Bindung und Exploration ist wichtig. Erleben Kinder liebevolle Fürsorge und Kompetenzförderung, sind sie in Stresssituationen anpassungsfähi- ger als Kinder ohne diese Unterstützung. Die Ausgewogenheit zwischen Unter- stützung und unterstützenden Herausforderungen ist etwas das Kinder von ihren Eltern brauchen. Beide Elternteile unterstützen die Bindungsentwicklung gleichermaßen aber auf unterschiedliche Art und Weise. Mütter stillen häufig die Bedürfnisse nach Nähe und Trost, wobei Väter die Kinder durch Spiel in kognitiver und sozialer Kompetenz herausfordern. Bindungssicherheit bewirkt beim Kind eine stärkere Zuversicht und weniger Ängstlichkeit in Hinblick auf Beziehungen und anderen Lebensherausforderungen (Hötker-Ponath 2009, S.55f.).

Die Trennung der Eltern bedeutet für die Kinder vorrangig den Verlust einer ge- liebten Bezugsperson. Die Geborgenheit und Sicherheit des Kindes werden dadurch gefährdet (König zit. n. Klein 2010, S.73). Es gilt dabei vor allem die räumliche Trennung eines Elternteils und die damit verbundene Verunsicherung und Enttäuschung zu bewältigen (Gloger-Tippelt zit. n. Klein 2010, S.73). Entscheidend ist jedoch die Qualität der familiären Beziehungen vor und nach dem Trennungsprozess. Sie beeinflusst wie sich die Familie mit ihren Mitgliedern als individuelle Persönlichkeiten weiterentwickelt (Klein 2010, S.74). Die Entwicklungschancen für Kinder mit alleinerziehendem Elternteil sind nicht allein von der Familienform abhängig, sondern vielmehr von der Beziehungsquali- tät und dem Funktionsniveau der neuen Familie (König zit. n. Klein 2010, S.74).

2.5.3 Empathie

Von der emotionalen Resonanzfähigkeit ausgehend, ist es als Elternteil wichtig sich vorstellen zu können, in welcher Verfassung sich das eigene Kind befindet. Kann ein Elternteil mit seinem Kind mitfühlen, so entsteht eine affektive Brücke. Die Bindung zwischen den Beiden wird gestärkt. Durch die Resonanz des Er- wachsenen wird das Kind gestärkt eigene Gefühle wahrzunehmen und verstehen zu können. Darüber hinaus können sie das erfahrene Verständnis im Umgang mit anderen Kindern übertragen. Dadurch wird ihr Sozialverhalten gefördert (Jaede 2006, S.67).

Kinder spüren die Erwartungen ihrer Eltern und versuchen ihnen gerecht zu wer- den. So kann es z.B. passieren, dass Kinder versuchen ihren Schmerz nicht zu zeigen, um die Mutter bei der Verarbeitung der Trennung zu unterstützen. Sie of- fenbaren ihren Schmerz nicht und können ihn erst dann wahrnehmen und zeigen, wenn der Raum dafür gegeben wird. Offenbarter Schmerz hat einzig die Chance verarbeitet zu werden. Die Unterdrückung des Schmerzes führt zu einem Weg- schieben, die eine seelische Verletzung des Kindes zur Folge hat (Figdor 2011, S.21).

So werden die Gefühle in andere Lebensbereiche wie z.B. Kindergarten und Schule verdrängt oder das Kind sucht Anlässe für Konflikte im Alltag. Weiterhin steigt das Risiko an neurotischen Spätfolgen, wenn Gefühle wie Angst, Wut, Schuld und Scham verdrängt werden (Figdor 2012, S.58).

In bestimmten Situationen ist es für Eltern jedoch schwierig auf z.B. Kummer der Kinder einzugehen. Gerade dann wenn sie sich selbst in einer krisenhaften Situa- tion befinden. Nach einer Trennung kann sich das Gefühl einstellen als Partner und Elternteil versagt zu haben. Zum Teil versuchen Eltern eigene Anteile die zum Scheitern der Beziehung geführt haben zu verneinen und dem Partner die Ver- antwortung für die Krise zu geben. Um Schuldgefühle zu reduzieren kommt es vor, dass Eltern auf Grund der Trennung für ihr Kind alles gut machen wollen, was ei- ner Verzerrung der Realität entspricht. Wenn die Eltern hingegen die gescheiterte Partnerschaft anerkennen und betrauern und die Trennung als Chance zur Wei- terentwicklung nutzen, bietet das dem Kind eine Voraussetzung das Scheidungs- erleben zu bewältigen. Weiterhin sollte den Eltern bewusst sein, dem Kind durch die Trennung Schmerzen zugefügt zu haben. So können sie sich in die Krisensitu- ation des Kindes einfühlen und Trost und Unterstützung spenden (Bauers 1993, S.56).

Häufig fallen Kinder wegen ihrer Ängste für einen bestimmten Zeitraum in eine bereits überwundene Entwicklungsstufe zurück. Dies äußert sich z.B. in einer reduzierten Selbstständigkeit, Frustrationstoleranz und Leistungsfähigkeit. Es bedarf an dieser Stelle Verständnis der Eltern. Die Regression sollte weitgehend zugelassen werden (Figdor 2012, S.59).

Ein Großteil der von Scheidung betroffenen Kinder hat eine geschädigte Bezie- hung zur eigenen Mutter. Sie haben nicht nur Angst den Vater, sondern auch die Mutter zu verlieren. Die Wut und regressiven Bedürfnissen der Kinder führen so häufig zu Streit und Auseinandersetzungen. Die Mutter sollte an dieser Stelle klare Grenzen aufzeigen, ohne dem Kind für seine Übertretungswünsche böse zu sein, Auseinandersetzungen mit Versöhnungsritualen beenden und dem Kind signali- sieren, dass es für Beide derzeit eine schwierige Zeit ist (Figdor 2012, S.60f.).

2.5.4 Beständige elterliche Liebe

Kinder brauchen wiederholend die Bestätigung von den Eltern geliebt zu sein (Bauers 1993, S.57). Das Kind könnte durch die Trennung der Eltern denken, dass nicht nur das Versprechen der Eltern füreinander ungültig ist, sondern auch die Liebe zum Kind (Dolto 2008, S.30).

Als Trennungsgrund wird von Eltern häufig genannt, dass sie sich nicht mehr lieb haben. Der Glaube an die ewige Beständigkeit der Liebe wird bei Kindern somit erschüttert. Sie befürchten, dass die elterliche Liebe zu ihnen auch eines Tages erlöschen könnte und sie zurück gelassen werden (Figdor 2011, S.22). Hatten die Eltern zum Zeitpunkt der Empfängnis und Geburt des Kindes eine Lie- besbeziehung, sollten sie dazu stehen. Dem Kind kann so vermittelt werden, dass die Eltern nicht bereuen geheiratet bzw. zusammen gelebt zu haben, da durch diese Zeit das Kind entstanden ist. Diese Aussagen muss jedoch von beiden El- ternteilen ausgesprochen werden. Ist das Kind z.B. aufgrund einer Affäre oder ei- nes One-Night-Stands entstanden, ohne das Wissen der Eltern, ob sie zusam- menbleiben werden, so kann auch das dem Kind vermittelt werden. Dolto (2008, S.31f.) spricht davon, dass das Kind selbst stark genug war und den Willen hatte, in diese Welt geboren zu werden, auch wenn die Eltern eine unsichere Beziehung geführt haben. Wenn das Kind zum Ausgangspunkt von Problemen der Eltern wird, so ist es wichtig dem Kind zu vermitteln, dass sich die Paarbeziehung der Eltern durch seine Geburt erfüllt hat.

Hierbei wird der Grundgedanke deutlich, dass die elterliche Liebe zum Kind unabhängig von der Liebe der Eltern zueinander ist. Dolto (2008) spricht hier explizit von der Liebe des Paares bei der Zeugung des Kindes.

Klein (2010) spricht auf der anderen Seite davon, dass eine konfliktbelastete Paarbeziehung der Eltern, negative Auswirkungen auf die Bindung zwischen Eltern und Kind hat.

Dies suggeriert, dass die elterliche Beziehung zueinander Einfluss auf die ElternKind-Beziehung hat. Zu beachten ist an dieser Stelle, dass Dolto (2008) Bezug auf die Paarbeziehung zum Zeitpunkt der Zeugung des Kindes nimmt und Klein (2010) von der elterlichen Beziehung zueinander allgemein ausgeht.

2.5.5 Schuldlosigkeit

Ein erheblicher Teil der Kinder geben sich selbst die Schuld an die Trennung der Eltern. Das ist teilweise durch das Entwicklungsstadium des Kindes bedingt. Sie besitzen eine egozentrische Erlebnisweise und empfinden sich als Dreh- und An- gelpunkt des Weltgeschehens. Zum Teil beschäftigen sich elterliche Konflikte mit Erziehungsfragen und den angemessenen Umgang mit dem Kind. Bemerken die Kinder, dass die Eltern ihretwegen Konflikte austragen, denken sie, dass sie der Grund für die Streitereien sind. Somit treten bei Kindern die von Trennung der El- tern betroffen sind, häufig Schuldgefühle auf. Durch die Abwehr dieser Gefühle können depressive Verstimmungen auftreten. Werden diese Gefühle in Vorwürfe verwandelt, äußert sich dies in Aggressionen gegen die Eltern (Figdor 2011, S.23f.).

Thöne-Jäpel (1993, S.146) fand heraus, dass Kinder und Jugendliche sich wünschen, von ihren Eltern nicht das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass sie Schuld an ihrer Trennung seien.

Dem Kind muss vermittelt werden, dass sie nicht der Grund für die Konflikte von Mutter und Vater sind. Besonders dann, wenn sich die elterlichen Auseinanderset- zungen mit Erziehungsfragen beschäftigten (Bauers 1993, S.57). Auch Figdor (2012, S.59) fordert dem Kind sollte die Angst genommen werden, Schuld an der Trennung der Eltern zu sein. Er stellt fest, dass nahezu alle Schei- dungskinder Schuldgefühle haben und denken, dass sich die Eltern ihretwegen getrennt haben.

Sie denken, dass ihre Existenz das Leben der Eltern erschwert. Sie stellen ihr Dasein in Frage und beschließen in Zukunft besser keine Ehe einzugehen, um nicht später ihr eigenes Kind unglücklich zu machen. Sie geben sich die Schuld, dass sie durch ihre Eltern in die Welt gekommen sind. Deutlich tritt dieses Schuldgefühl in der Pubertät auf, insbesondere dann wenn der Heranwachsende eine Liebesbeziehung eingeht (Dolto 2008, S.32).

Eltern sollten für den Schmerz, den sie in ihrem Kind durch die Trennung zufügen, Verantwortung übernehmen und es ihm mitteilen. Gleichzeitig sollte das Kind erfahren, dass die Eltern ihm dabei helfen, diese tiefe Verletzung zu verarbeiten (Figdor 2012, S.58f.).

2.5.6 Kontakt zum anderen Elternteil

Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Kontakts zum anderen Elternteil ist, dass (häufig) der Vater am Kontakt zu seinen Kindern interessiert ist und von ihm keine Gefahr ausgeht (körperliche und sexuelle Gewalt, Alkoholismus). Die Schei- dung kann von Kindern besser verarbeitet werden, wenn eine intensive Beziehung zum Vater erhalten bleibt. Dabei ist es wichtig, dass bei den Eltern weitgehend Einigkeit über die Regelung des Sorgerechts besteht. Die Besuchsregelung sollte auf die Kontakt- und Lebensbedürfnisse von Eltern und Kindern abgestimmt wer- den. Ein gewisses Maß an Flexibilität ist förderlich (spontane Terminverschiebun- gen), dennoch sollte das Mindestmaß der regelmäßigen Kontakte nicht unter- schritten werden. Kinder sollten den Vater nicht alleine an Wochenenden und Fe- rientagen sehen. Der Alltag sollte mit seinen Aufgaben und Grenzen einen Platz in der Vater-Kind-Beziehung einnehmen. Geschwister sollten zudem die Möglichkeit haben, mit dem Vater alleine Zeit zu verbringen (Figdor 2012, S.60).

Diese Ausführungen benennen klar in welcher Form der Kontakt zum anderen Elternteil aufrecht gehalten werden soll. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit dies umzusetzen ist. Bei Berufstätigkeit der Eltern und regelmäßigen Schulbesuch der Kinder ist es fraglich, ob der Kontakt wie oben beschrieben umgesetzt werden kann, insbesondere in Bezug auf den Kontakt außerhalb der Wochenenden und Ferientagen.

Thöne-Jäpel (1993, S.146) stellt fest, dass Kinder und Jugendliche sich auch nach der elterlichen Trennung wünschen, dass beide Elternteile sich um sie kümmern und für sie da sind.

Wird der Kontakt zum anderen Elternteil untersagt entsteht im Kind eine tiefgrei- fende Verunsicherung. Zum einen wird dem Kind suggeriert, dass es nur zur einer Hälfte wertvoll ist. Auf der anderen Seite wird ihm non verbal zu verstehen gege- ben, dass der Ex-Partner ein Mensch ist, der keinerlei Liebe und Anerkennung verdient und darüber hinaus alleinig die Schuld am Scheidungskonflikt trägt (Dolto 2008, S.48).

Geht die Mutter nach der Trennung eine neue Beziehung ein, so ist für das Kind der Kontakt zum leiblichen Vater weiterhin unerlässlich. Dies ist auch der Fall wenn das Kind den neuen Partner akzeptiert und mag. Das Identitätsgefühl des Kindes wird durch die andauernde Beziehung zum Vater gestärkt, sowie sein Vertrauen in Liebesbeziehungen (Figdor 2012, S.63).

Trennen sich Eltern und gehen eine neue Beziehung ein, ist es wichtig, dass das Kind den neuen Partner des Elternteils akzeptiert. Behindern Eltern die Kontaktaufnahme des Kindes mit dem neuen Partner der Ex-Frau bzw. des Ex-Manns, erhöht sich die Gefahr von Loyalitätskonflikten beim Kind. Es öffnet sich ein neuer Loyalitätskonflikt zwischen Mutter und Stiefmutter bzw. Vater und Stiefvater. Weiterhin wird die eigene Beziehung zum Kind gefährdet. Dies kann aufgrund der zusätzlichen Konfliktbelastung geschehen. Weiterhin kann die Entscheidung des Kindes für den anderen Elternteil, um den Loyalitätskonflikt zu vermeiden, zu einer Schädigung der Beziehung führen (Figdor 2012, S.63f.).

2.5.7 Loyalitätskonflikten entgegenwirken

Bei Kindern ab ca. fünf Jahren steigt die Sensibilität und Belastung durch Loyalitätskonflikte. Diese werden zu einem Teil von den Eltern induziert und gehen zum anderen vom Kind selbst aus (Figdor 2012 a, S.161).

Häufig wird der Besuch bzw. die Rückkehr des Kindes bei bzw. von dem anderen Elternteil als ein Verrat dem verlassenden Elternteil gegenüber empfunden. Das Kind versucht diesen Konflikt zu lösen, indem es die Schuldgefühle auf einen der Elternteile projiziert. Dies geschieht meist zu dem Elternteil, zu dem die stärkere Bindung besteht. Das Kind muss erfahren das frühere Beziehungsverhältnisse erloschen sind aber eine Beziehung zu jedem Elternteil ohne Dasein des anderen möglich ist. Dabei lernt es sich zu trennen und zu vertrauen, dass soeben verlassene Objekt nicht zu verlieren (Figdor 2012 a, S.158f.).

Den Kindern sollte ermöglicht werden zu dem jeweilig anderen Elternteil Kontakt aufzunehmen. Dadurch kann eine Beständigkeit der Beziehungen und emotiona- len Bindungen gesichert werden. Darüber hinaus kann sich die Identität des Kin- des besser entfalten. Eltern sollten vermeiden den anderen Elternteil schlecht zu reden oder das Kind aufzufordern eine bestimmte Seite einzunehmen (Bauers 1993, S.57).

Thöne-Jäpel (1993, S.146) fasst den Wunsch von Kindern und Jugendlichen wie folgt zusammen: „Wir wünschen uns, dass wir nicht hin- und hergerissen, dass wir keine Botschafterfunktion für unsere Eltern übernehmen müssen und das unsere Eltern den Kontakt von uns zu ihnen fördern“.

Erklären Eltern dem Kind die Trennungsgründe, ist es möglich, dass jeder Eltern- teil seine eigene Sicht der Dinge schildert. Wichtig dabei ist, dass die Eltern be- gründen, dass die unterschiedlichen Versionen der Trennungsgeschichte nicht bedeuten, dass einer der Elternteile lügt. Das Kind ist somit nicht in der Position sich entscheiden zu müssen, welcher der Elternteile die Wahrheit bzw. Unwahrheit sagt. Auf diese Weise werden Loyalitätskonflikte abgeschwächt (Figdor 2012, S.58).

Konflikte des getrennten Paares sollten selbstständig und nicht über die Kinder ausgetragen werden. Wird der Kontakt zum anderen Elternteil verboten, ist die Begründung häufig, dass der Kontakt dem Kind schade oder das Kind kein Inte- resse an einem Besuch habe. Hinter den Besuchsverweigerungen stehen oft Lo- yalitätskonflikte. Es ist die Angst den Elternteil, bei dem es lebt, zu verletzen. Das Kind spürt ob Mutter oder Vater etwas gegen den Besuch haben. Das Kind gerät hier in einen Konflikt. Auf der einen Seite hat es das Bedürfnis nach existenzieller Sicherheit, der Wunsch die stärkste Bindung, meist zur Mutter, zu erhalten. Dem- gegenüber steht das Bedürfnis mit dem anderen Elternteil in Kontakt zu treten. Lastet dieser Konflikt zu stark auf dem Kind, wird es versuchen den Kontakt zum anderen Elternteil zu meiden. Es handelt dabei im eigenen Interesse, das Bedürf- nis nach Sicherheit zu stillen und für die emotionale Stabilität der Mutter zu sorgen (Bauers 1993, S.57).

2.5.8 Eltern lassen sich helfen

Kindern in seelischen Tiefpunkten zur Seite zu stehen ist keine leichte Aufgabe. Erschwert wird sie, wenn ein Mensch sich selbst in einer Krise befindet. Geschiedene Paare haben vor allem mit emotionalen, finanziellen und sozialen Herausforderungen zu kämpfen. Der Gedanke diese Zeiten ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen ist nicht förderlich. Figdor (2012, S.62) empfiehlt deshalb für Eltern Beratungsangebote in Paar-, Familien- und Erziehungsfragen, Mediation, Kindergruppen oder therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig bezeichnet er es als die vielleicht wichtigste Empfehlung für Eltern, um ihre Kinder in der Scheidungsverarbeitung zu unterstützen.

Auch Kinder wünschen sich von ihren Eltern, dass sie Hilfe von Außen (z.B. Bera- tungsstelle) in Anspruch nehmen und vermittelt werden. So lernen Kinder am Bei- spiel der Eltern sich bei Bedarf Hilfe und Unterstützung zu suchen (Thöne-Jäpel 1993, S.146).

Kann durch solche Angebote ein kooperativer Austausch in Erziehungsfragen zwi- schen den getrennten Elternteilen hergestellt werden (kooperative Elternschaft), so besteht mit den Kindern auch nach der Trennung ein hohes Maß an Zusam- menhalt. Auch die Beziehung der Ex-Partner zeichnet sich durch eine positive Hal- tung zueinander aus, ohne die Trennung zu verleugnen (Vgl. Hötker-Ponath 2009, S.55).

Das Ausmaß der kindlichen Sicherheit ist von der Qualität der Bindung zwischen Kind und Bindungsperson abhängig. Diese wird auch von der Qualität der elterlichen Paarbeziehung bestimmt. Ist die elterliche Beziehung von zu starken Konflikten geprägt, so steigt das Risiko das, dass Kind in ihnen keinen sicheren Zufluchtsort mehr findet. Das Verhalten der Eltern kann das Kind ängstigen. Es kann somit Verhaltensweisen entwickeln, die das Konfliktpotenzial der Eltern verringern, damit das eigene Sicherheitsgefühl zunimmt (Klein 2010, S.57).

Hötker-Ponath (2009, S.59) hält es für sinnvoll, dass eine alleinerziehende Mutter, die mit Arbeitslosigkeit konfrontiert ist, erneut eine Beschäftigung aufnimmt. Fi- nanzielle und materielle Ressourcen gelten als wichtige Schutzfaktoren. Innerfami- liäre Geldprobleme verursachen häufig einen Anstieg von Konflikten, Kraftlosigkeit und Erziehungsproblemen. So kann eine erneute berufliche Tätigkeit anfänglich als zusätzliche Belastung empfunden werden. Längerfristig gesehen stellt sie eine Kompetenzerweiterung und ein Stützfaktor dar (Hötker-Ponath 2009, S.59).

2.5.9 Transparenz

Für Kinder ist es wichtig, dass sie über den Prozess der Scheidung informiert werden. Sie sollten über die Planung und Ergebnisse informiert werden, auch wenn sie sich im Kleinkindalter befinden. Die Entscheidungen der Eltern sollen dabei offen gelegt werden (Dolto 2008, S.24).

Bauers (1993, S.56) betont das Kinder über die Gründe der Scheidung aufgeklärt werden sollten. Es sollen Planungen für die zukünftige Lebenssituation offen ge- legt werden und über Ängste und Sorgen des Kindes gesprochen werden. Thöne-Jäpel (1993, S.145f.) hat mit Kindern und Jugendlichen, die von Scheidung betroffen sind Wünsche und Forderungen an die Eltern zusammengetragen. Da- bei stach heraus, dass sich fast alle Betroffenen wünschten, auf die elterliche Trennung vorbereitet zu werden. Sie forderten gemeinsame Gespräche, in denen ihre Gefühle offen gelegt werden können und über zukünftige Perspektiven ge- sprochen werden kann.

Wenn Eltern die Scheidungspläne mit den Kindern zu besprechen, bestünde für sie die Möglichkeit Vorschläge zu äußern, kleine Änderungswünsche vorzutragen und den Teil der Pläne, in dem sie involviert sind, mit zu gestalten. Auf diesem Weg könnten die Beschlüsse bezüglich der Trennung besser vorbereitet und umgesetzt werden (Dolto 2008, S.37).

Eltern sollten dabei die Endgültigkeit der Trennung unterstreichen. Kinder können so schrittweise die schmerzliche Realität annehmen und nach und nach von uner- füllten Wünschen, die Eltern könnten erneut zusammenkommen, loslassen. Kinder halten häufig konsequent an diesen Wünschen fest. Deshalb ist es durchaus er- forderlich mehrmals und eindeutig über die Folgen der Trennung zu sprechen (Bauers 1993, S.57).

Dolto (2008, S.36 f.) nennt ganz konkret wie Eltern dem Kind vermitteln können, dass die Trennung nicht rückgängig gemacht wird. Dem Kind sollte vermittelt wer- den, dass die Entscheidung zu heiraten und sich zu trennen gut durchdacht wor- den ist. Dabei kann auf die Bedeutung von Heirat und Trennung eingegangen werden. Kinder sollen verstehen, dass die Eltern nicht wahllos eine Beziehung eingehen bzw. beenden. Weiterhin sollte bekräftigt werden, dass Vater und Mutter die Entscheidung sich zu trennen ernst meinen und nicht zurücknehmen.

Auch bei Streitigkeiten der Eltern ist es wichtig den Kindern gegenüber transparent zu sein. Eltern streiten häufig miteinander vor ihren Kindern, ohne zugeben zu wollen, dass sie nicht einer Meinung sind. Kinder werden dann bei Streitigkeiten in einen anderen Raum geschickt. Das Kind besitzt jedoch die Fähigkeit mit seiner Realität umzugehen. Wird dem Kind die Realität bewusst gemacht, in dem die Si- tuation in Worte gefasst wird, wird sie seinem Bewusstsein zugänglich. So bleibt das Kind nicht in seinem Unterbewussten zurück oder flüchtet in eine Traumwelt mit einer idealisierten Realität, in der Vater und Mutter als unteilbar gelten (Dolto 2008, S.28f.).

2.5.10 Soziale Unterstützungssysteme

Soziale Unterstützungssysteme beweisen sich nach verschiedenen Forschungs- befunden als Ressource in der Bewältigung von Herausforderungen. Verfügen Menschen über Unterstützungssysteme, können sie sich besser an neue Lebens- situationen anpassen. Dagegen sind Forschungen selten, die sich mit der Bedeu- tung sozialer Unterstützungssysteme als Hilfesystem für Kinder beschäftigen, die eine Scheidungssituation der Eltern erleben. Dennoch belegen Metaanalysen der Scheidungsforschung das Geschwister, gleichaltrige Freunde und erwachsene Vertrauenspersonen (außerhalb und innerhalb der Familie) als mögliche Unter- stützungsressource für Kinder gelten. Amato fasst aus vergangenen Studien zu- sammen, dass Kinder, sich besser mit den Folgen der elterlichen Trennung arran- gieren können, wenn sie sich Hilfe von außerhalb suchen können oder erhalten (Beham/Wilk 2004, S.213-215).

Für Scheidungskinder dienen die Kontinuität im Wohnumfeld, Kindergarten und Schule, Freundschaften und die Beziehung zu den Großeltern als Schutzfaktoren. Soziale Unterstützungssysteme sind für Einelternfamilien bedeutsam. Deren Un- terstützung und das Schließen neuer Freundschaften gelten als weitere Stabilisa- toren. Durch die Kontinuität in außerfamilialen Bezugssystemen (Freunde, Woh- numfeld) wir dem Kind Halt und Sicherheit gegeben (Hötker-Ponath 2009, S.54- 59).

Für das Kind ist es von Bedeutung das Vater und Mutter über Beziehungen in der Familie und mit Freunden verfügen. Dabei nimmt jeder dieser Personen eine wichtige Funktion ein. Lebt ein Mädchen z.B. mit ihrem Vater alleine, hat es für sie einen hohen Stellenwert mit Frauen Kontakt zu haben, um ihr Selbst zu entwickeln. Genauso ist es für Jungen die bei ihrer Mutter leben wichtig Kontakt zu Männern zu haben, an denen sie sich orientieren können. Dolto spricht von „symbolischer halbseitiger Lähmung“ wenn das Kind keinen unmittelbaren Kontakt zu beiden Geschlechtern hat (Dolto 2008, S.46).

2.5.11 Soziale Beziehungen

Beham/Wilk (2004, S.222) nennt mehrere Studien, sie sich mit den Auswirkungen der elterlichen Scheidung auf die Beziehung der Großeltern zu den Enkeln be- schäftigen (Fabian 1994; Fthenakis 1998; Gladstone 1988; Johnson/Barer 1987; Johnson 1988; Matthews/Sprey 1985). Diese zeigten anschaulich, dass Großel- tern eine zentrale Unterstützungsfunktion nach der Scheidung einnehmen können. Großeltern geben im Gegensatz zu vollständigen Familien mehr finanzielle Unter- stützung und übernehmen Aufgaben der Kinderbetreuung. Die Kinder erfahren durch ihre Großeltern Kontinuität und Stabilität. Großeltern versuchen, die negati- ven Faktoren der Scheidung zu mildern.

In der Untersuchung von Beham/Wilk (2004, S.224) stellte sich heraus, dass die Hälfte der befragten Scheidungskinder ihre Großeltern als wichtige Gesprächspartner wahrnehmen, mit denen sie sich über ihre Probleme austauschen können. Ein Teil der Kinder berichtet, dass die Großeltern bei den Hausaufgaben unterstützen und sie in den Ferien bei ihnen betreut werden, wenn die Eltern beruflich verhindert sind. In dieser Untersuchung bleibt jedoch offen, inwieweit die Großeltern auch vor der Scheidung diese Aufgaben ausgefüllt haben.

Hötker-Ponath (2009, S.54f.) beschreibt die kontinuierliche, förderliche und kon- sequent positiv erlebte Beziehung des Kindes zu seinen Geschwistern, als protek- tiven Faktor.

Andere Forschungen belegen, dass Geschwister füreinander bedeutsame Be- zugspersonen darstellen. Dies geht über die alltägliche Hilfe und Unterstützung hinaus und ist besonders in kritischen Lebenssituationen und Krisen und bei ge- ringer Verfügbarkeit der Eltern, als soziale Ressource bedeutsam. Die elterliche Trennung bildet für die Geschwister eine Erfahrung, die sie gemeinsam erleben und verarbeiten können. Mehrfach belegten Studien z.B. von Wallerstein (2002) und die Kölner Längsschnittstudie (Schmidt-Denter/ Beelmann1995), dass Ge- schwister eine wichtige Ressource im Scheidungsprozess waren und zur Verar- beitung der Scheidung beitrugen. Die Studie von Beham/Wilk (2004) beschreibt, das der Großteil der untersuchten Kinder ihre Geschwister als wichtige Ressource wahrnehmen. Dabei wird besonders die Kontinuität der Geschwisterbeziehung hervorgehoben. Die Geschwister gelten als dauerhaft präsente und verlässliche Bezugspersonen. Darüber hinaus gelten sie auch in der Nachscheidungszeit als besondere Gesprächspartner und Vertrauenspersonen Sie helfen einander ihre Interessen gegenüber den Eltern durchzusetzen. Weiterhin gab es Geschwister- konstellationen, in denen das ältere von beiden, eine elterliche Rolle für das jünge- re Geschwister einnahm. Das ältere Geschwisterkind kann dabei eine Stärkung des Selbstbewusstseins erleben und das jüngere Kind verfügt über eine weitere wichtige Ressource (Beham/Wilk 2004, S. 215-218).

Auf der anderen Seite existieren Untersuchungen, die belegen, dass Geschwis- terbeziehungen in Scheidungsfamilien problembelasteter sind als in Kernfamilien. Nach Hetherington (1993) äußert sich dies bei Jugendlichen in gesteigerter Rivali- tät und gehäuften Konflikten. Fand dennoch eine gegenseitige Unterstützung der Geschwister statt, waren davon häufig Schwestern betroffen (Beham/Wilk 2004, S.217).

Beham/Wilk (2004, S.232) nennt Publikationen (Samera/Stolberg 1993; Silitsky 1996; Tejan/Stolberg 1993), die belegen, dass die soziale Unterstützung durch Freunde für Scheidungskinder helfen sich an die neue Situation anzupassen. Sie nennen auch andere Untersuchungen (Wolchik et al. 1989; Hirsch/Reichl 1985), die diesen Zusammenhang nicht feststellen konnten. Die verursachende Variable hierfür, ist möglicherweise das Alter der Kinder. Vor allem ältere Kinder nehmen ihre Freunde als hilfreiche Gesprächspartner wahr. Sie erleben eine Stärkung des Selbstwertgefühls und ihrer sozialen Kompetenzen. Eine Befragung aus England (Douglas et al. zit. n. Beham/Wilk 2004) mit ca. 100 Kindern bzw. Jugendlichen zwischen 7-14 Jahren zeigten die Erwartungen der Scheidungskinder an ihre Freunde an. Sie erhoffen sich einen guten Rat und Bestätigung aber auch ge- meinsame Aktivitäten, die sie von der angespannten Situation zu Hause ablenkt.

2.5.12 Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde das kindliche Erleben bei elterlicher Trennung beschrie- ben. Dabei stellte sich heraus, dass die Reaktionen auf das Trennungserlebnis von Faktoren wie z.B. Geschlecht, Alter, Situation des Kindes abhängig sind. Fig- dor (2011) und Bauers (1993) stellen fest, dass die elterliche Trennung für Kinder ein schmerzliches Erlebnis ist. Dennoch gibt es eine Reihe an Unterstützungs- und Schutzfaktoren, die Kindern helfen, besser mit der Scheidung der Eltern um- zugehen. Dabei stellte sich heraus, dass Kinder einen Raum brauchen um ihren Gefühlen wie z.B. Angst, Trauer und Wut Ausdruck verleihen zu können. Sie sind weiterhin abhängig von der Zuwendung beider Elternteile und wünschen sich auch nach der Trennung die Liebe beider Seiten. Weiterhin wurde die Bedeutung von sozialen Unterstützungssystemen und Beziehungen für Kinder in einer Tren- nungssituation deutlich (Vgl. Beham/Wilk 2004; Hötker-Ponath 2009). Kinder möchten keinen Loyalitätskonflikten gegenüber den Eltern ausgesetzt sein (Vgl. Bauer 1993; Figdor 2012; Thöne-Jäpel 1993). Eltern sollten sich die Zeit nehmen über Scheidungsfolgen zu sprechen (Vgl. Dolto 2008) und bei Bedarf professionel- le Hilfe in Anspruch nehmen, um den Kindern ein sicherer Zufluchtsort zu sein (Vgl. Klein 2010).

3 Therapie- und Beratungsangebote für Kinder

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, Kindern in Trennungs- und Scheidungssituationen der Eltern, professionelle Hilfe anzubieten. Häufig sind Eltern während des Trennungs- und Scheidungsprozesses stark in einer persönlichen Krise verstrickt. Dabei vernachlässigen sie oftmals die entwick- lungsfördernde Unterstützung der Kinder und erkennen nicht die Probleme, die sie mit der elterlichen Trennung bzw. Scheidung haben. Die alleinige Arbeit mit Eltern in Bezug auf die Reduzierung von Konflikten und das Erreichen von Versöhnung reicht nicht aus. Vielmehr muss Kindern durch Einbeziehung in Beratungsprozes- se und weitere spezielle Angebote geholfen werden, ihren Standpunkt deutlich zu machen (Suess 1993, S.171).

Je stärker Eltern in Konflikten verhaftet sind, desto weniger haben sie das Wohl des Kindes im Auge. Aussagen des Kindes werden vor dem Hintergrund der elter- lichen Konfliktdynamik interpretiert. Auf diese Weise steigt das Eskalationsniveau des Konflikts. Die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes bleiben dabei auf der Strecke. Berater sollten deshalb den persönlichen Kontakt zum Kind suchen. So können sie seine Bedürfnisse und Sichtweise des Konflikts erfahren, diese Per- spektive in den elterlichen Beratungsprozess integrieren und feststellen, wie stark das Kind von den Konflikten belastet ist und ob weitere professionelle Hilfe ange- messen ist (Alfes 2013, S.186).

3.1 Trennungs- und Scheidungsberatung

Internationale Studien ergeben, dass die Beteiligung von Kindern in der Tren- nungs- und Scheidungsberatung selten stattfindet. Ihre individuellen Ansichten und Vorlieben werden in der gesellschaftlichen Diskussion kaum berücksichtigt. Der prozentuale Anteil von Kindern, die an einem solchen Beratungsprozess be- teiligt werden, schwankt zwischen fünf und zwanzig Prozent. Die professionellen Helfer, die Kinder nicht an diesem Prozess beteiligen, haben bestimmte Vorbehal- te und Zweifel. Sie haben dem Kind gegenüber eine protektive Haltung und wollen es nicht zusätzlichen Stressfaktoren aussetzen. Zusätzlich wollen sie die Eltern- Kind-Beziehung nicht in Frage stellen (Bernhardt 2013 a, S.7-12).

Andere Berater empfinden das Einbeziehen der Kinder als zu kompliziert und schätzen ihre Beratungskompetenzen als nicht ausreichend ein. Die Kinder wer- den als unruhig empfunden und stellen zu direkte Fragen. Entscheiden sich Bera- ter gegen eine Einbeziehung der Kinder, ist es wichtig ihre Bedürfnisse zu beach- ten und in den Elterngesprächen zu thematisieren. Das Einbeziehen der Kinder ist nicht sinnvoll, wenn die Eltern stark in Konflikten involviert sind, interne und exter- ne Trennungskonflikte bestehen, Kinder sich weigern und der Berater keine stabile Beziehung zur Familie herstellen konnte (Hötker-Ponath 2009, S.74). Kinder haben vor dem 12.Lebensjahr haben eher wenig zum Scheidungsgesche- hen der Eltern beizutragen, insbesondere wenn die elterliche Beziehung durch Konflikte belastet ist. Laut einer Forschung sind professionelle Helfer eher bereit auf die Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen zwischen 12-14 Jahren einzu- gehen. Dennoch zeigen Schulkinder eine prinzipielle Bereitschaft an den elterli- chen Gesprächen über Scheidungsfolgen teilzunehmen. Sie äußern mehrheitlich den Wunsch für ihre Bedürfnisse eine Stimme zu haben und ein Gehör bei den Erwachsenen zu finden (Bernhardt 2013 a, S.17f.).

Mit Kindern sollte in der Beratung altersgemäß gesprochen werden. Sie gelten als autonome Gesprächspartner. Der Berater sollte sich nicht alleine auf die Sprache und den Entwicklungsstand des Kindes einstellen. Durch andere Interventionen können ihnen andere Ausdruckweisen angeboten werden. Der Einsatz von erleb- nisorientierten und gestalterischen Methoden wie z.B. Skulpturarbeit, Geschichten, Bilder, Metapher und symbolische Gegenstände, sind in diesem Rahmen von gro- ßer Bedeutung. Die Familie kann auf diese Weise kreatives und spielerisches Inte- resse entdecken und für die Problemlösung einsetzen (Hötker-Ponath 2009, S.75).

In der Trennungs- und Scheidungsberatung sollte kein Konzept mit idealtypischen Vorstellungen formuliert werden. Sonst entsteht ein Erwartungsdruck auf alle Be- teiligten, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Darüber hinaus werden indivi- duelle Wünsche und Möglichkeiten der Familienmitglieder vernachlässigt. Das erarbeitete Konzept des Beraters, sollte bei allen Familienmitgliedern Anklang fin- den. Weiterhin kann den Eltern und Kindern mit Hilfe von anderen Beratungsan- geboten ermöglicht werden, die Trennung für sich individuell aufzuarbeiten (Thö- ne-Jäpel 1993, S.148).

Hötker-Ponath (2009, S.72-76) beschreibt vier verschiedene Formen der Trennungs- und Scheidungsberatung. Sie unterscheidet dabei in Einzelsetting, Paarsetting, Familiensetting und Gruppenangebote für Eltern.

Im Rahmen einer Trennungs- und Scheidungsberatung erfolgt der Wunsch nach einem Familiensetting von Seiten des Paares selten. Wie bereits in der Einleitung des Kapitels erwähnt, sind die Erwachsenen häufig zu sehr in den Auseinander- setzungen mit dem (Ex-) Partner involviert. Voraussetzung dieser Form von Bera- tung ist, dass jedes Familienmitglied bereit ist, in einem Veränderungsprozess mitzuwirken. Kinder können im Familiensetting erleben Bedürfnisse auch in schwierigen Familiensituationen zu äußern. Mit der Hilfe von Erwachsenen kön- nen sie eigene Stärken entdecken, um die elterliche Trennung zu bewältigen. Sie erfahren durch die elterlichen Gespräche eine Stärkung des Selbstwertes und er- leben sich erneut als wahrgenommen. Auf diese Weise können Lösungen entwi- ckelt werden, die konkret die Kinder miteinbeziehen. Durch eine einzelne Sitzung können Eltern für die Bedürfnisse der Kinder sensibilisiert werden. Darüber hinaus wird in einem Familiensetting die Geschwistersolidarität gestärkt (Hötker-Ponath 2009, S.73f.).

Kinder sollen in die Lage versetzt werden, über Zusammenhänge des Trennungs- und Scheidungsgeschehens informiert zu sein. Dabei sollen sie verständliche Er- läuterungen der Vorgehensweise und Rahmenbedingungen erhalten. Ziel ist es sie mit-entscheidungsfähig zu machen (Lenz zit. n. Hötker-Ponath 2009, S.75).

3.1.1 Themenzentriertes Kinder-Interview

Das themenzentrierte Kinder-Interview dient als Beispiel, in welcher Form die Be- teiligung von Kindern in der Trennungs- und Scheidungsberatung erfolgen kann. Voraussetzung dieser Intervention ist das Einverständnis der Eltern und des Kin- des. Die Teilnahme an dem Interview ist für das Kind freiwillig. Das themen- zentrierte Kinder-Interview findet bei folgenden Familienkonstellationen Anwen- dung: die Eltern haben Trennungsabsichten bzw. sind bereits getrennt oder ge- schieden, die Diskussionen und Auseinandersetzungen der Eltern beinhalten kin- desbezogene Streitfragen, beide Elternteile zeigen Bereitschaft den elterlichen Konflikt zu lösen, die Eltern sind einverstanden, die gewonnenen Informationen nicht im Gerichtsverfahren preiszugeben (obwohl dies Plausibilitäten erhöhen könnte), das Kind ist sich über die Trennungsabsichten der Eltern bewusst, das Kind befindet sich im Schulalter, die Eltern sind offen für die Bedürfnisse des Kin- des, die Eltern sind in der Lage eigene Sichtweisen kritisch zu betrachten, die El- tern sind in der Lage für das Kindeswohl zu sorgen und der Berater kann ein- schätzen, dass das Kind von dem Interview profitieren wird. Befindet sich ein Kind in therapeutischer Behandlung, ist diese Intervention nur dann sinnvoll, wenn keine therapeutischen Schritte wiederholt und das Kind nicht überfordert wird. (Bernhardt 2013, S.212).

Vor Beginn des Interviews erzählt der Berater mit dem Kind über ein alltägliches Thema, um Rapport herzustellen. Im Anschluss wird dem Kind der Zweck des In- terviews erläutert. Es erfährt weiterhin, dass alle Informationen vertraulich behan- delt werden. Das Kind wird im Interview über seine Lebensverhältnisse und Um- gangskontakte befragt. Dem Kind soll dabei die thematische Führung überlassen werden. Der Berater bringt so in Erfahrung was dem Kind wichtig ist. Diese Punkte können im weiteren Verlauf aufgegriffen und vertieft werden. In einem weiteren Schritt werden Erwartungen der Eltern aus Sicht des Kindes ermittelt und Abhän- gigkeiten des Kindes offen gelegt (z.B. Was sind die Wünsche deiner Eltern? Wel- che Wünsche hast du?). Anschließend werden die Präferenzen des Kindes er- fragt. Mit dem Kind werden zusätzlich weitere Lösungen erarbeitet, falls die beste Lösung nicht umsetzbar ist. Der Berater entdeckt die inneren Spielräume des Kin- des die für die Entwicklung integrativer familiärer Lösungen von Vorteil sind. Zu- sätzlich werden die Erwartungen des Kindes auf die Reaktionen der Eltern und Geschwister sondiert. Durch invariante Fragen werden Wünsche zur Veränderung des aktuellen Zustands erhoben. Weiterhin wird geprüft ob das Kind sich in einem Zustand von Hoffnung oder Hoffnungslosigkeit befindet und ob es den familiären Stress bewältigen kann. Der Berater sollte nach dem Interview einschätzen kön- nen welches elterliche Konfliktverständnis das Kind hat und wie es zur elterlichen Trennung steht. Er sollte einen Eindruck haben wie das Kind die elterliche Fürsor- ge und emotionale Erreichbarkeit einschätzt. Weiterhin sollen Belastungen des Kindes deutlich geworden sein und welcher zentrale Konflikt bei ihm besteht. Dar- über hinaus sollte nach dem Interview erkennbar sein welche Anliegen das Kind bezüglich seiner Lebensverhältnisse hat, welche Hoffnung für die Zukunft beste- hen, welche Bedürfnisse des Kindes bei Konfliktlösungen beachtet werden sollten und über welche internen und externen Ressourcen es in seiner familiären Situati- on verfügt (Bernhardt 2013 a, S.53-61).

Ziel ist es den Standpunkt und die Perspektive des Kindes zu den aktuellen inner- familiären Trennungs- und Scheidungsfolgen zu ermitteln. Es geht dabei um seine Sichtweisen, Wünsche, Ängste, Probleme, Fragen usw. Primär verfolgt das Kin- derinterview kein therapeutisches Ziel. Es stellt somit keine Gelegenheit dar, dem Kind Trost zu spenden, Hoffnungen zu wecken oder Versprechen zu geben. Das Kind sollte sich jedoch fürsorglich behandelt fühlen und die Möglichkeit haben Knabbereien und ein Getränk zu sich zu nehmen. Dem Kind sollte vermittelt werden, dass das Interview eine Hilfe für die Eltern darstellt, gute, für das Kind dienliche Entscheidungen zu treffen (Bernhard 2013, S.217).

3.1.2 Kinderpsychodrama

Im Beratungskontext mit Kindern hat sich eine Methode aus dem Kinderpsycho- drama bewährt. Das Kind kann mit Hilfe des Symbolspiels kommunizieren. Im all- täglichen Spiel verlassen Kinder die reale Ebene und gehen auf die So-tun-als-ob Ebene. Der gleiche Vorgang findet beim Symbolspiel statt. Das Kind wird bei die- ser Intervention geschützt und entlastet, da das innere Erleben und innere Konflik- te externalisiert werden. Die Sprache des Symbolspiels ist dabei vielseitig. Zum einen kann das Kind innere Anteile können durch Tierfiguren darstellen. Zum an- deren kann mit Kind ein freies Symbolspiel gestaltet werden (Alfes 2013, S.187).

Darstellung innerer Anteile durch Tierfiguren Vor Beginn der ersten Sitzung wird dem Kind mitgeteilt, dass der Berater in sei- nem Interesse eine friedensstiftende und angemessene Vereinbarung mit den El- tern erarbeiten möchte. Der Berater teilt dem Kind mit, dass er an seiner Sichtwei- se interessiert ist. Er geht davon aus, das dass Kind seine eigene Meinung in den elterlichen Konflikten hat. Dem Kind wird so signalisiert, dass seine Meinung wich- tig ist und ernst genommen wird. Das Kind darf selbst entscheiden was von den einzelnen Sitzungen den Eltern erzählt bzw. gezeigt werden darf. Im nächsten Schritt wird das Kind gebeten jeweils ein Spielzeugtier für alle beteiligten Famili- enmitglieder auszuwählen und so anzuordnen, wie er die Familiensituation gerade erlebt. Der Berater nimmt im Sinne der inneren Anteile die zu den Elterntieren ge- hörenden Jungtiere dazu. Der Berater verbalisiert nun verschiedene Aspekte, von denen er vermutet, dass sie für das innere Erleben des Kindes bedeutsam sind (Alfes 2013, S.188).

Durch das Aufstellen der Jung- und Elterntiere wird die Beziehung zwischen Kind und Eltern deutlich. Weiterhin finden ambivalente Gefühle wie z.B. Wut, Trauer, Scham ein Sprachrohr, die differenziert dargestellt werden können. Es ist möglich, dass der kindliche Vater-Anteil sich bei der Mutter unwohl fühlt. Der kindliche Mut- ter-Anteil fühlt sich bei ihr hingegen geschützt und geborgen. Durch dieses Vorgehen bekommt der innere Widerspruch eine Form und kann nachvollzogen werden. Das Geschehen kann vom Kind von außen beobachtet werden. Das führt bei ihm zu Entlastung und stärker innerer Orientierung. Die vom Kind generierten Bilder können den Eltern vermittelt werden. Diese erreichen sie oftmals mehr als die Worte des Beraters (Alfes 2013, S.190).

Freies Symbolspiel

Kinder steigen in dieses Spiel ohne jeglichen Vorgaben sein. Sie können den Freiraum nutzen, um ihre inneren Befindlichkeiten in Szene zu setzen. Durch den Einsatz von psychodramatischen Interventionsformen und das Mitspielen des Be- raters, eröffnen sich Möglichkeiten, mit dem Kind an den Konflikten zu arbeiten. Dem Kind wird gesagt, dass eine Geschichte mit Hilfe von Tieren gespielt werden soll. Das Kind sucht die Tiere für sich und den Berater aus. Mit Hilfe von Kissen, Tüchern, Bauklötzen und anderem Material wird eine Szene erstellt, in der die Ge- schichte stattfindet. Jedes Tier bekommt einen Wohnort. Kinder fangen im Sym- bolspiel selbständig an Lösungen für ihre Konflikte zu finden. Das Kind kommt da- bei mit seinen kreativen Fähigkeiten in Kontakt. Im Spiel hat das Kind Handlungs- möglichkeiten und Macht. Es kann Einfluss nehmen und Wirkung erzielen. Die Resilienzforschung fand heraus, dass dies ein wichtiger Faktor für Kinder ist, emo- tional belastende Situationen gut zu überstehen. Unterstützend können solche Spiele durch bewundernde und spiegelnde Interventionen ergänzt werden. Vor- teilhaft bei dem freien Symbolspiel ist, dass Kinder die zu spielende Szene frei wählen können. In elterlichen Konflikten können sie diese Erfahrung häufig nicht machen. Die Übersetzung in die Erwachsenensprache gestaltet sich schwierig, da verschiedene Interpretationsmöglichkeiten der Szene in Frage kommen (Alfes 2013, S.192-194).

3.2 Gruppenangebote für Kinder

Ende der 70er Jahre gab es in den USA erste Gruppenangebote für Kinder die von elterlicher Scheidung betroffen waren. Diese wurden dann von Fachkräften an Schulen oder kommunalen Einrichtungen angeboten. In Deutschland wurden die- se Angebote zu Beginn der neunziger Jahre eingeführt. Im Folgenden sollen Grundannahmen und Ziele der Programme dargestellt werden: Kinder haben die Möglichkeit sich mit Kindern auszutauschen, die bereits ähnliche Erfahrungen ge- macht oder noch zu bewältigen haben. In diesem Rahmen erhalten sie Unterstüt- zung und können von den Erfahrungen anderer profitieren. Dabei leiten neutrale Erwachsene die Gruppe und sind Ansprechpartner bei Fragen. Je nach Konzepti- on unterscheiden sich die Programme in ihren Schwerpunkten. Inhalte befassen sich mit Informationen über das Scheidungsverfahren, dem Lernen und Üben von Kommunikationsfertigkeiten, dem Wahrnehmen und Ausdrücken von Gefühlen, Umgang mit Konfliktsituationen und der Aneignung von Entspannungstechniken. Konzipiert sind diese Programme für Kinder im mittleren Schulalter. Es werden gewisse kognitive Fähigkeiten und Teilnahmebereitschaft vorausgesetzt (Niesel 2008, S.341f.).

In der Gruppe werden die Kinder nicht vom Loyalitätskonflikt gegenüber den Eltern beeinflusst. Sie finden hier den Raum Ängste und Wünsche bezüglich der elterli- chen Trennung und ihrer aktuellen Lebenssituation zu äußern und auszuleben. Das Kind erfährt in der Gruppe eine Stärkung seines Selbst und lernt Wege, sich an die neue Lebenssituation anzupassen. In der Gruppe lernen sie neue und al- ternative Familienformen kennen. Auf diese Weise erweitert sich ihr Familienbild (Schüler/Löhr 2011, S.147).

Die Gruppenleitung wird bestenfalls von einer Frau und einem Mann gemeinsam übernommen. Kinder lernen so am Modell den Umgang in bestimmten Schlüsselsituationen. Darüber hinaus stellen die Leiter „Projektionsflächen für die innerpsychischen Bilder der Kinder von Frauen (Müttern) und Männern (Väter) dar“ (Niesel 2008, S.342). Dies erfordert sorgfältiges Kommunikations- und Interaktionsverhalten der Gruppenleiter. Zusätzlich sollten sie über Fachkenntnisse in den Bereichen kindliche Entwicklungspsychologie und Verhalten von Jungen und Mädchen in gemischten Gruppen verfügen (Niesel 2008, S.342).

Es kann in den Gruppen verschiedene methodische Verfahren eingesetzt werden., dazu gehören u.a. scheidungsspezifische Kinderbücher (Bibliotherapie), Rollen- und Puppenspiel, Vorführen und Besprechen von Filmen, gespielte Fernsehtalk- show, Zeichnung eines Lebensbaums und Genogrammarbeit. Durch die Investiti- on von Kraft und Kreativität in die einzelnen Projekte, wird bei den Kindern die Gruppenidentität gestärkt. Nach Beenden des Gruppenangebots haben Kinder und Eltern die Möglichkeit soziale Netzwerke zu bilden (Niesel 2008, S.342).

3.3 Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurden Therapie- und Beratungsangebote für Kinder vorgestellt. Dabei wurde besonders auf die Arbeit mit Kindern in der Trennungs- und Schei- dungsberatung eingegangen. Es stellte sich heraus, dass hier ihre Beteiligung e- her vernachlässigt wird (Vgl. Bernhardt 2013), obwohl eine Reihe von Konzepten existieren, die Möglichkeiten bieten, die Ansicht der Kinder in den Beratungspro- zess zu integrieren. Als Beispiel hierfür dient das von Bernhardt (2012) entwickelte themenzentrierte Kinder-Interview. Hier wird das Kind über seine Sicht in Bezug auf die elterliche Trennung befragt. Einen spielerischen Ansatz um die kindliche Perspektive in Erfahrung zu bringen beschreibt Alfes (2013). Dem Kind ist es mög- lich, durch Spiel z.B. seine Emotionen auszudrücken und die Beziehung zu seinen Eltern, z.B. durch Tierfiguren darzustellen. Hötker-Ponath (2009, S.75) hält eine Kombination der Methoden für sinnvoll. Neben den verbalen Interventionen sind auch erlebnisorientierte und gestalterische Methoden ein wichtiger Bestandteil des Beratungsprozesses. Der Berater stellt sich nicht allein auf die Sprache und den Entwicklungsland des Kindes ein, sondern bietet dem Kind durch verschiedene Interventionsformen andere Ausdrucksweisen an. Darüber hinaus bieten Grup- penangebote Kindern die Möglichkeit, um mit Gleichaltrigen in den Austausch zu kommen, die ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht haben (Vgl. Niesel 2008).

4 Methodik

„Jede Forschung erfordert eine methodologische Positionierung, die Konsequenzen für das weitere Vorgehen hat. Wenn man sich mit seiner Fragestellung aus bestimmten Gründen für ein qualitatives Vorgehen entscheidet, muss man sich konsequent im Rahmen dieses methodologischen Paradigmas bewegen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008, S.20).

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Auswahl der Methodik zur Untersuchung der vorliegenden Forschungsfrage. Zu Beginn wird geklärt, warum sich für ein qualitatives Forschungsdesign entschieden wurde.

Im nächsten Schritt wird beschrieben, in welcher Form die Auswahl der Inter- viewpartner erfolgte. Darüber hinaus werden biografische Daten der Inter- viewpartner in einer Tabelle kurz dargestellt. Hierbei wird auch auf die Grenzen des Samplings eingegangen.

Weiterhin wird beschrieben, wie die Datenerhebung mittels der problemzentrierten Interviews durchgeführt wurde. Dabei wird auf die Kontaktaufnahme und Rahmenbedingung des Interviews eingegangen. Zusätzlich wird kurz auf die Aufnahme und Transkription des Interviews eingegangen.

Abschließend die Methode zur Auswertung des Interviews beschrieben. Dabei wird auf die Grounded Theory Methodologie eingegangen und beschrieben welches Kodierverfahren zur Analyse der Daten verwendet wurde.

4.1 Qualitatives Forschungsdesign

Zur Beantwortung der Fragestellung erschien ein qualitatives Forschungsdesign angemessen. Das zentrale Anliegen dieser Ausarbeitung ist es, die Perspektiven von jungen Erwachsenen, ihr Erleben und Bewältigungsstrategien in Bezug auf elterliche Trennung in den Mittelpunkt zu stellen. Sie sollen aufgefordert werden über ihr kindliches Scheidungserleben zu berichten und reflektieren.

Aus diesem Grund ist die Auswahl eines qualitativen Forschungsdesigns sinnvoll. Mit Hilfe von problemzentrierten Interviews ist es den Befragten möglich, ihre kindlichen Erinnerungen an die elterliche Trennung darzulegen.

4.2 Auswahl der Interviewpartner

Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass das Finden von Interviewpartnern für diese Untersuchung nicht einfach war. Grund hierfür waren zu einem die spezi- fischen Auswahlkriterien der Interviewpartner wie z.B. Alter zum Scheidungszeit- punkt und Geschlecht. Zum anderen gelang es aus datenschutzrechtlichen Grün- den nicht über Institutionen wie z.B das Jugendamt und Beratungsstellen Inter- viewpartner zu erreichen. Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte aus einer Kombination zweier Sampling Verfahren. Zum einen fand das selektive Sampling Anwendung und zum anderen war das Schneeballsystem hilfreich um geeignete Interviewpartner zu finden.

Beim selektiven Sampling wird die Samplestruktur vor der eigentlichen Erhebung festgelegt. Dies bezieht sich auf die relevant erachteten Merkmale der zu erhe- benden Fälle sowie die Größe der Stichprobe. Dabei soll das Untersuchungsfeld in seinen Ausprägungen möglichst umfassend dargestellt werden. Handlungslei- tend für die Formulierung der relevanten Merkmale sind einerseits das bereits vor- handene theoretische Vorwissen über das Feld und andererseits statistische Merkmale, wie z.B. Alter und Geschlecht. Nach Erstellung des Stichprobenplans erfolgen die Datenerhebung und anschließend die Datenanalyse. Dieses Vorge- hen ist jedoch mit zwei Risiken verbunden. Zum einen besteht die Gefahr, dass nicht alle Fälle eines Feldes berücksichtigt werden. Grund hierfür sind häufig for- schungspraktische Entscheidungen, wie beispielsweise die Verfügbarkeit von In- terviewpartnern oder das Fehlen von potenziellen Informanten. Zum anderen steht die Auswahl nach äußeren Kriterien, dem Anspruch der qualitativen Forschung, aus dem Material heraus Kategorien zu bilden, konträr gegenüber. Dennoch kön- nen bei der beschriebenen Vorgehensweise zu einem späteren Zeitpunkt Daten zu erheben. Dies wäre z.B. sinnvoll wenn sich während der Analyse herausstellt, dass wesentliche Fälle im Sample fehlen (http://user.uni- frankfurt.de/~begloff/Kapitel2_2.pdf, o.J.).

Die Interviewpartner wurden nach folgenden Merkmalen ausgewählt: Sie sollten zum Trennungszeitpunkt der Eltern zwischen sechs und elf Jahren alt gewesen sein. Für diese Eingrenzung war die Literatur der Entwicklungspsychologie hand- lungsleitend. Es war mir Anliegen, dass sich die Befragten zum elterlichen Tren- nungszeitpunkt in derselben entwicklungspsychologischen Stufe befanden. Auf diese Weise war es möglich die gewonnenen Erkenntnisse der einzelnen Inter- viewpartner miteinander in Verbindung zu setzen. Der Trennungszeitpunkt ist bei allen Interviewpartnern mit dem Auszug des Vaters gleichzusetzen.

Um die Auswahl der Interviewpartner noch weiter einzugrenzen, beschränkte ich die Auswahl der Interviewpartner auf männliche Personen. In der Scheidungsliteratur wurde deutlich, dass sich geschlechterspezifische Reaktionen auf elterliche Trennung zeigen (Vgl. Bauers 1993; Jaede 2006; Teba 2012). Diesem Phänomen wollte ich weiter nachgehen. Weiterhin spielte auch meine persönliche Motivation eine Rolle, die Auswirkungen von Scheidungen auf Jungen zu untersuchen, da ich selbst von elterlicher Scheidung betroffen war.

Die Befragten sollten sich zum Interviewzeitpunkt im frühen Erwachsenenalter (18- 35 Jahren) befinden. Berk (2011, S.612f.) beschreibt in ihrem Buch die kognitive Entwicklung dieser Altersgruppe. Sie bezieht sich dabei auf die Theorie von Gisel- la Labouvie-Viefs. Personen in diesem Lebensabschnitt erleben eine Veränderung vom hypothetischen zum pragmatischen Denken. Die Logik wird dabei zu einem Werkzeug, um reale Probleme zu lösen. In diesem Lebensabschnitt verbessern sich die reflexiven Fähigkeiten und somit verändert sich die Dynamik des Gefühls- lebens. Es gelingt jungen Erwachsenen jetzt besser, Kognition und Emotion zu integrieren.

Darüber hinaus sind Personen dieser Altersgruppe noch relativ nah dran am Scheidungsgeschehen der Eltern. Liegt zwischen dem Befragungszeitraum und der elterlichen Trennung ein zu großer Zeitraum, besteht die Gefahr, dass Erinne- rungen nicht mehr oder nicht mehr ausreichend abgerufen werden können und somit retrospektive Verzerrungen in der Erinnerung der Befragten entstehen. Kruse (2015, S.250f.) beschreibt eine Rekrutierungstechnik zum Finden von Inter- viewpartnern - das sogenannte Schnellballsystem. Es geht darum Personen anzu- sprechen, die wiederum andere Personen ansprechen und diese wieder andere ansprechen usw., um geeignete Interviewpartner im Hinblick auf die Sampleüber- legungen zu finden. Folgenden Punkt sieht Kruse (2015, S.216) als problematisch an: „Dieses Verfahren ist nicht unproblematisch, da sich die Frage stellt, welche systematischen Lücken ein so generiertes Sample aufweist im Hinblick auf die eigentliche Heterogenität des Feldes“.

Durch Aufrufe in sozialen Netzwerken (z.B. Facebook), Rundmail in der Hochschule und persönliche Gespräche wurde auf das zu untersuchende Forschungsthema aufmerksam gemacht.

Der Aufruf auf Facebook, der gleichzeitig die Rundmail darstellt, ist im Anhang dieser Arbeit zu finden. Der Beitrag wurde auf meiner Pinnwand geteilt, sodass dieser für meine Facebook-Freunde (knapp 400 Personen) sichtbar wurde. Dieser Beitrag wurde darüber hinaus von weiteren vier Personen geteilt, sodass auch deren Facebook-Freunde meinen Aufruf lesen konnten. Demnach wurden mit die- sem Aufruf alleine auf Facebook ca. 500 Leute erreicht. Diese wurden gleichzeitig gebeten in ihrem Bekanntenkreis mögliche Interviewpartner anzusprechen. Zu den Ursachen für die geringen Rückmeldungen (zwei Rückmeldungen) auf meinen Facebook-Aufruf zählen aus meiner Sicht zum einen der Anteil (ca. 30%) von fremdsprachigen Facebook-Freunden. Der Aufruf erfolgte absichtlich in deutscher Sprache, da ich die Auswahl auf deutschsprachige Interviewpartner beschränken wollte. Als eine andere Ursache für die geringen Rückmeldungen sehe ich die Fragestellung der Forschung. Ich erfuhr in zwei Gesprächen, dass es für die Per- sonen schwer war, Bekannte anzusprechen, die von elterlicher Scheidung als Kind betroffen waren. Das Thema Scheidung scheint immer noch stark negativ belastet zu sein. Dass es weiteren Personen ähnlich erging, bleibt nur zu vermu- ten.

Derzeit besuchen ca. 200 Studierende die Theologische Hochschule Friedensau. Durch die Rundmail mit demselben Aufruf wie auf Facebook, wurden schätzungs- weise weitere 80-100 deutschsprachige Studierende erreicht. Auf diesem Weg erhielt ich eine Rückmeldung. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass Stu- dierende auch bei anderen Anliegen (z.B. Anfragen zur Gestaltung eines Gottes- dienstes, Mitgestaltung der Hochschulzeitung) nur sporadisch auf E-Mails reagie- ren. Darüber hinaus ist die Durchführung eines Interviews mit einem gewissen zeitlichen Aufwand verbunden. Weiterhin gibt es auch hier einen hohen Anteil (ca. 40%) von fremdsprachigen Studenten. Statistisch gesehen sind unter den 100 Empfängern der E-Mail 30-40 Scheidungskinder. Die dazu passende Altersgruppe lässt diese Gruppe auf ca. 10 Personen schrumpfen. Zusätzliches Kriterium war eine männliche Person zu interviewen, was diesen Anteil weiter zurückgehen lässt. So betrachtet ist der Anteil der möglichen Kandidaten, die für ein Interview zur Verfügung standen relativ hoch. Um mehr Interviewpartner gewinnen zu kön- nen, hätte der Pool an möglichen Interviewpartnern größer sein müssen.

Hinzu kam, dass einige der Personen, die sich für ein Interview zur Verfügung stellen wollten, die Kriterien nicht erfüllten (insbesondere Alter zum elterlichen Trennungszeitpunkt).

Durch persönliche Gespräche machte ich auf meine Untersuchung aufmerksam. So wurde mir ein weiterer Interviewpartner von jemanden vermittelt, der durch ein persönliches Gespräch auf meine Forschung aufmerksam gemacht wurde. Durch die Kontaktaufnahme zu Beratungsstellen wurde versucht, weitere mögliche Interviewpartner zu finden. Zwei Familienberatungsstellen, mit denen ich im Rah- men des Studiums in Kontakt stand, teilten mir mit, dass es ihnen aus daten- schutzrechtlichen Gründen nicht möglich sei, (ehemalige) Klienten als Inter- viewpartner zu vermitteln. Ein Mitarbeiter der Beratungsstelle teilte mir mit, dass Daten wie der elterliche Trennungszeitpunkt nicht bei jedem Klienten erhoben werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 131 Seiten

Details

Titel
Was hätte Jugendlichen aus ihrer Sicht geholfen, das Scheidungserleben als Kind (besser) zu verarbeiten?
Untertitel
Eine empirische Untersuchung
Hochschule
Theologische Hochschule Friedensau
Veranstaltung
Counseling
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
131
Katalognummer
V315384
ISBN (eBook)
9783668141421
ISBN (Buch)
9783668141438
Dateigröße
740 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trennung, Scheidung, kindliches Erleben, Retrospektive, Scheidungsfolgen, Auswirkungen von Scheidung auf Kinder, Konflikte, Eltern
Arbeit zitieren
Udo Brünner (Autor:in), 2015, Was hätte Jugendlichen aus ihrer Sicht geholfen, das Scheidungserleben als Kind (besser) zu verarbeiten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315384

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