Die Rolle des Nichtwissens in der Beratungspraxis von Problemlösungsprozessen in Organisationen


Masterarbeit, 2015

144 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Teil - Formen, verwandte Begriffe, Funktionen und Potenziale des Nichtwissens
2.1 Eine Einführung zum Nichtwissen
2.2 Nichtwissen und verwandte Begriffe
2.3 Die Pionierarbeit in der Wissenssoziologie von Jerome Ravetz
2.4 Noch-nicht-wissen-Können und Noch-nicht-wissen-Wollen und ihre Bedeutung für den OBP
2.5 Die Potenziale des Nichtwissens für Organisationsberatungsprozesse
2.6 Voraussetzungen und Funktionen der Haltung des Nichtwissens im OBP

3 Praktischer Teil
3.1 Methodisches Vorgehen
3.1.1 Zugang zum Feld - der Expertenbegriff
3.1.2 Datenerhebung mittels Fragebogen
3.1.3 Auswertungsprozess
3.2 Ergebnisdarstellung
3.2.1 Vorstellung der Expertinnen und Experten
3.2.2 Ergebnisdarstellung nach Kategorien
3.2.2.1 OK „Botschaft über das Nichtwissen
3.2.2.2 OK „Haltung des Nichtwissens als wertvolle Ressource“
3.2.2.3 OK „Stabilisierungs- und Sensibilisierungsfunktion“
3.2.2.4 OK „Ermöglichungs- und Orientierungsfunktion“
3.2.2.5 OK „Noch-nicht-Wissen“
3.2.2.6 OK „Begriff des Nichtwissens“
3.3 Diskussion
3.3.1 Beantwortung der Fragestellung und Operationalisierung der Forschungshypothese
3.3.2 Zusammenführung von Theorie und empirischen Ergebnissen
3.3.3 Kritische Betrachtung des methodischen Vorgehens

4 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Eidesstattliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Das Berater-Klienten-System der Prozessberatung. Eigene Darstellung

Abbildung 2 Formen des Noch-Nicht-Wissens und deren Wirkungszusammenhänge. Eigene Darstellung

Abbildung 3 Fünf Ebenen (E1-5) von Veränderungen. Quelle: Scharmer (2009, S. 52) nach Abb. 2.2

Abbildung 4 Fünf Ebenen (E1-5) von Veränderungen in Organisationen. Scharmer (2009 S. 52) nach Abb. 2.2

Abbildung 5 Untersuchungsdimensionen der Haltung des Nichtwissens im OBP. Eigene Darstellung

Abbildung 6 Die Wirkung der Haltung des Nichtwissens des BS im Möglichkeitsraum des OBP. Eigene Darstellung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Expertenprofile. Eigene Darstellung

1 Einleitung

In einem Beratungsunternehmen geht ein Anruf ein. Kunde: „Ich brauche eine Teamentwicklung.“ Berater: „Okay, genau, kenne ich, verstehe ich. Gut, ich schreibe Ihnen ein Angebot, und dann könnte es in einer Woche losgehen.“ Dieser sehr kurze Auszug aus einem Erstkontakt zwischen Berater und Klient spiegelt den Alltag der Beratungspraxis wider. Oftmals jedoch steckt hinter einem solchen scheinbar klaren Anliegen ein „eigentliches“, noch nicht benanntes oder erkanntes Problem. Müsste hier nicht erst einmal sortiert und einen Gang zurückgeschaltet werden?

Wer die systemische Beratung aus eigener Erfahrung kennt, weiß jedoch, wie schwer es ist, sein eigenes Methoden- und Erfahrungswissen zurückzustellen, um eben nicht, mit den Worten Niemeyers (2010) „vorschnell eigene Lösungen zu generieren [und diese] in das Gespräch einzustreuen“1. Wie sollte sich der Berater indes bei einem Erstkontakt verhalten? Die systemische Beratung geht davon aus, dass der Berater „zwischen dem, was er zu wissen glaubt, und dem, was er wirklich nicht weiß“2, unterscheidet und ent- sprechend handelt. Niemeyer nimmt sogar an, dass „Nicht-wissen [sic] die Ressource des Systemischen Beraters“3 sei, da der Berater den Klienten bereits durch Neugier, das bewusste oder unbeabsichtigte Nicht-Verstehen und durch Fragen helfen könne, sein Problem zu ordnen.

Die Masterarbeit geht somit folgender Fragestellung nach: Inwiefern ist die Haltung des Nichtwissens des Beraters eine wertvolle Ressource im Organisationsberatungsprozess, um den Klienten bei der Problemlösung sinnvoll zu unterstützen?

Im theoretischen Teil der Masterarbeit werden, ausgehend von einer Einführung zum Nichtwissen in Kapitel 2.1 und der Abgrenzung verwandter Begrifflichkeiten in Kapi- tel 2.2, die für die Beantwortung der Fragestellung relevanten Formen des Nichtwissens in Kapitel 2.3 diskutiert. In Kapitel 2.4 wird die Pionierarbeit von Jerome Ravetz vorge- stellt, die wichtige Erkenntnisse für die theoretische Herleitung der Annahmen zur sys- temischen Beratungspraxis enthält. In Kapitel 2.5 werden sodann die Potenziale des Nichtwissens für Organisationsberatungsprozesse anhand der Theorie U von Scharmer und der Erkenntnisse von Schildberg zur ressourcenorientierten Beratung erörtert.

Die Masterarbeit nutzt im Rahmen einer qualitativen Forschung die schriftliche Befra- gung von vier Expertinnen und Experten mittels Fragebogen als explorative Vorstudie. Der Aufbau der qualitativen Untersuchung ist in Kapitel 3.1 beschrieben. Im Mittel- punkt der Auswertung der Fragebögen in Kapitel 3.2 stehen die praktischen Erfahrun- gen im Umgang mit Nichtwissen und dessen Auswirkungen in Organisationsberatungs- prozessen. Die Masterarbeit nutzt Funktionszuschreibungen des Nichtwissens und dia- logische Fähigkeiten als Untersuchungsdimensionen zur Bildung und Modifizierung eines entsprechenden Kategoriensystems. Die Erarbeitung dieses Kategoriensystems dient dazu, eine systematische Grundlage für die systemische Beratung in Bezug auf den Einsatz der Haltung des Nichtwissens zu erarbeiten. Das entwickelte Kategorien- system ist das Resultat der beantworteten Fragestellung. Das explorative Vorgehen führt dazu, dass die Forschungshypothese der Arbeit erst im Rahmen der Beantwortung der Fragestellung anhand der Auswertung der Fragebögen operationalisiert werden kann, was in Kapitel 3.3.1 erfolgt. Im Anschluss daran werden die gewonnenen Ergebnisse aus der Untersuchung mit den theoretischen Erkenntnissen in Kapitel 3.3.2 zusammen- geführt. Eine kritische Betrachtung des methodischen Vorgehens schließt das Kapitel ab (3.3.3). Die Arbeit endet mit einem Fazit in Kapitel 4.

Bereits zu Beginn dieser Masterarbeit ist es wichtig für das Verständnis der inhaltlichen Zusammenhänge, die zentralen Begriffe der systemischen Beratung zu erläutern, ohne den Inhalten der Masterarbeit vorzugreifen. Dies sind der Beratungsbegriff, der Ansatz der Prozessberatung, das Berater-Klienten-System und die systemische Haltung.

Beratungsbegriff

Die Masterarbeit orientiert sich zum einen am in der Beratungspraxis anerkannten sys- temischen Begriff von Schmid und Hipp (2003) und bezogen auf die zentrale Thematik der Arbeit am Begriffsverständnis von Schildberg (2005). Der Begriff „Beratung“ ist Schmid und Hipp zufolge „eine durch Kontrakt zwischen den Beteiligten entstehende kommunikative Beziehung, innerhalb derer für die Fragestellung des Klienten Antwor- ten erarbeitet und/oder seine Steuerungsfähigkeit verbessert werden“4. Im weitesten Sinne ist Beratung nach Schildberg (2005) eine Dienstleistung, die vom „angewandtem Nichtwissen, respektvoller Neugier, Selbstreflexivität und zirkulärem Denken geprägt ist. Der Fokus liegt auf der Betrachtung von Beziehungen“5. Somit wird unter Beratung in dieser Arbeit eine kommunikative Beziehung zwischen Berater- und Klienten-System verstanden, in der das Problem des Klientensystems zunächst gemeinsam analysiert wird und darauf aufbauend die Voraussetzungen für den Lösungsmodus durch das Kli- entensystem erarbeitet werden. Die Analyse- und Lösungsarbeit erfolgt auf Seiten des Beratersystems v. a. durch Wissenszurückhaltung, respektvolle Neugier, Reflexion und zirkuläres Denken.

Ansatz der Prozessberatung

Aus dem Beratungsbegriff geht hervor, dass systemische Beratung einen prozesshaften Charakter besitzt. Die systemische Beratung basiert auf dem sogenannten Prozessbera- tungsansatz nach Schein (2010). Der Problemlösungsprozess nach dem Prozessbera- tungsansatz geht in der Beratungspraxis von Organisationen von einer dortigen grund- sätzlich nicht zu bewältigenden Komplexität aus. Im Kern zielt der Ansatz darauf ab, den Klienten beratend zu unterstützen, damit dieser seine Aufgaben zukünftig wieder eigenständig bewältigen kann. Der Berater liefert im Beratungsprozess daher keine ei- genen Lösungsvorschläge. Vielmehr begleitet und unterstützt er den Klienten in Prob- lemlösungsprozessen kommunikativ, indem er ihn anregt und ihm hilft, eigene Lösun- gen zu entwickeln, und indem er Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt, kommuni- ziert.6 Der Berater unterstützt also vorrangig durch Fragen, anstatt von vornherein Ant- worten zu geben. Aus diesem Grund bleibt der Klient innerhalb der Prozessberatung Experte in seinen Aufgabengebieten7, anstatt vorschnell die Lösungsvorschläge des Be- raters zu adaptieren.

Das Berater-Klienten-System im Organisationsberatungsprozess Nach dem Begriffsverständnis von Schmid und Hipp zum Beratungsbegriff und dem Ansatz der Prozessberatung findet Beratung als kommunikative Beziehung zwischen zwei sozialen Systemen statt. Diese Untersuchung orientiert sich, wie bei der Definition des Beratungsbegriffes angezeigt, bei der Beschreibung der Beratungsbeziehung am Ansatz von Königswieser und Hillebrand (2013). Es handelt sich beim Kunden somit um die Beratung anfragende Organisation als Klientensystem (KS) und die Berateror- ganisation als Beratersystem (BS)8. Die Beratung anfragende Organisation kann z. B. ein privatwirtschaftliches Unternehmen jeder Art, eine Institution, eine Verwaltung oder eine Nichtregierungsorganisation sein. Beide Systeme agieren auf der Basis des Kontraktes in einem Berater-Klienten-System im Organisationsberatungsprozess (OBP). Ziel des Systems ist die Ankopplung des BS ans KS, woraus sich eine vertraute BeraterKlienten-Beziehung entwickeln kann, wenn es dem BS gelingt, die systemische Haltung im gesamten Prozess einzunehmen.

Bevor die systemische Haltung erläutert wird, erfolgt an dieser Stelle eine zusammenfassende Darstellung des Berater-Klienten-System in der Prozessberatung, anhand der folgenden Grafik:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Das Berater-Klienten-System der Prozessberatung. Eigene Darstellung.

Die systemische Haltung des BS

Eine Haltung kann basierend auf der kommunikativen Beziehung grundsätzlich als Grundeinstellung einer Person definiert werden.9 Die systemische Haltung des BS greift diesen Grundtenor auf (gepunktete Linie von BS zur Figur). Sie geht davon aus, dass v. a. durch eine Organisationsanalyse [verdeutlicht durch das Symbol der Lupe in der Grafik] Hypothesen gebildet werden müssen, um den Kontext einer Handlung bzw. eines Verhaltens verstehen zu können: „Es geht darum, für mehrere Perspektiven Raum zu schaffen (Mehrbrillenprinzip).“10 Und weiter: „Widerstand wird als Energie interpre- tiert und Konflikte sind Entwicklungschancen.“11 Bezogen auf die geforderte Teament- wicklung im einführend geschilderten Telefonat hieße das, das eigentliche Anliegen hinter dieser Anfrage aus verschiedenen Blickwinkeln zu ergründen. Erst dadurch wird das KS zum Nachdenken, Entscheiden und Handeln angeregt [Zahnradsymbol in der Grafik].

Ein weiteres wichtiges Element der systemischen Haltung ist daher die sogenannte Ent- dramatisierung. Konkret bedeutet das für die Teamentwicklung die Beantwortung der Frage: Was steckt „eigentlich“ dahinter? Systemische Berater wollen laut Königswieser und Hillebrand „zuerst verstehen, welche Funktion, welcher Sinn hinter den typischen Mustern im System liegen“12. Des Weiteren ist das Erkennen und Verändern von Struk- turen, Beziehungsmustern und Denkprozessen ein wesentlicher Bestandteil der systemi- schen Haltung. Systemische Berater verstehen sich daher als Impulsgeber und Begleiter, um „eine höhere Problemlösungskompetenz des Systems zu entwickeln“13.

2 Theoretischer Teil - Formen, verwandte Begriffe, Funktionen und Potenziale des Nichtwissens

2.1 Eine Einführung zum Nichtwissen

Den Begriff „Nichtwissen“ umfassend zu definieren ist schwierig. Dem Psychologen Michael Smithson glückte es dennoch. Als „The greatest creative work on ignorance since the decade of 1660“14 bezeichnete er 1989 die wachsende disziplinübergreifende Aufmerksamkeit für alle Formen des unvollständigen und unsicheren Wissens.15 Dabei prägte er den Begriff „ignorance“. Aufgrund der sich in der Folge entwickelnden diszip- linübergreifenden Auseinandersetzung mit Erscheinungen von „ignorance“ konzentriert sich der wissenschaftliche Diskurs vor allem seit den 1980er Jahren auf Formen des Nichtwissens. Diese sind in Anlage 1 „Soziologie des Nichtwissens“ zusammengefasst. Für die vorliegende Masterarbeit sind insbesondere Beiträge der Management- und Or- ganisationsforschung zum Nichtwissen von Bedeutung. Derartige Beiträge wurden bis- her jedoch lediglich von Strulik (2004) bzw. Zeuch (2007) erarbeitet. In der Beratungs- forschung im engeren Sinne existieren außer den Beiträgen von Dorniok und Mohe (2009, 2010, 2011, 2012) über die Bedeutung des Nichtwissens für Organisationsberater bisher keine einschlägigen Forschungsergebnisse.

Die einführende Betrachtung konzentriert sich daher auf soziologische Forschungsas- pekte. Die Soziologie setzt sich im Zusammenhang mit sozialen Prozessen intensiv mit dem Nichtwissen auseinander, woraus im Wesentlichen auch der systemische Bera- tungsansatz hervorgeht. Besonders seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wird Nichtwissen aufgrund von Umwelt- und Risikokonflikten zunehmend intensiver disku- tiert. Beck (1991, 1996 und 2007), Luhmann (1992) und Wehling (2006) haben in die- sem Zusammenhang die Möglichkeiten, Probleme, Risiken und Gefahren gesellschaftli- cher Entscheidungen unter Nichtwissen untersucht. Ausgehend von deren Erkenntnissen wird Nichtwissen bis heute als komplexes und differenziertes Phänomen verstanden, in dessen Mittelpunkt ausgehend von erfolgten Handlungen deren Folgen stehen. Unvoll- ständiges und unsicheres Wissen können in diesem Zusammenhang als Bestandteile von Handlungen interpretiert werden. Das impliziert, dass Handlungen auf Wissen und Nichtwissen basieren, wobei die Handlungsfolgen Bestandteile des Nichtwissens sind. Stehr (2000) z. B. geht davon aus, dass man nicht alles wissen könne, woraus er schlussfolgert: „Handeln unter Bedingungen der Unsicherheit ist alltäglich. Genau die- ses [Wissen über das tägliche Handeln] ist Wissen von diesen Lücken.“16. Das bedeutet, dass erst das Nichtwissen um die Handlungsfolgen Handeln ermöglicht. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass das Nichtwissen von der Verantwortung für Handlungen Systeme entlastet. Aus diesem Grund ist Nichtwissen für Smithson die „wichtigsten Ressource des Handelns“17.

Kommunikation ist im Sinne der Systemtheorie darüber hinaus ein wichtiger Bestand- teil von Handlungen. Niklas Luhmann prägte den systemtheoretischen Begriff des Nichtwissens durch seine Überlegungen zur „Ökologie des Nichtwissens“18. Dabei ging er davon aus, dass die ökologische Kommunikation weniger eine Kommunikation von Wissen als vielmehr eine von Nichtwissen sei. Denn erst durch die Kommunikation sozialer Systeme wird unvollständiges und unsicheres Wissen transparent und nutzbar in Form von Handlungen. Bezogen auf die einführend geschilderte Situation der ange- fragten Teamentwicklung geht es v. a. im Erstkontakt darum, die Schlussfolgerungen des KS hinsichtlich der Notwendigkeit einer Teamentwicklung in der gemeinsamen

Analyse zu ergründen. Wird tatsächlich eine Teamentwicklung benötigt? Sind nicht eine Prozessoptimierung oder Programme zur Steigerung der Mitarbeitermotivation vielleicht hilfreicher? Erst durch das gemeinsame Sortieren werden Entscheidungen getroffen, die auf Unterscheidungen basieren, die das BS aus Beobachtungen, z. B. im Erstkontakt zum Anliegen der Teamentwicklung, gewonnen hat. Daher entwickelte Luhmann sein Verständnis von Nichtwissen aus dem formalen Begriff des Beobachtens, in dessen Zentrum das Unterscheiden und Differenzieren steht. Insofern bewirkt jede Beobachtung eine Unterscheidung. Wissen kann dabei als „Innenseite“, Nichtwissen dagegen als „Außenseite“ der Unterscheidung interpretiert werden.19 Damit soll ausge- drückt werden, dass Wissen und Nichtwissen aneinander gekoppelt sind. Erst durch aktives Handeln wird Wissen erzeugt, generalisiert und zur Selbstorganisation der Sys- teme genutzt.20 Wiederum sei hier das Beispiel der Teamentwicklung aufgeführt. Im Rahmen des Auftragsklärungsgesprächs werden die relevanten Informationen erfragt bzw. erste Daten ausgewertet. Verwertbares Wissen wird insofern erst an dieser Stelle erzeugt. Das erzeugte Wissen kann dann dazu führen, dass eine neue Hypothese aufge- stellt werden muss, die z. B. anstatt der Teamentwicklung nun eine Optimierung der vorhandenen Arbeitsprozesse beinhaltet. Innerhalb dieses Prozesses wurde das KS zum Nachdenken angeregt. Es hat den Gedanken reflektiert und akzeptiert ihn wahrschein- lich. Das Wissen wird in diesem Prozess somit generalisiert, dass das KS dieses neue Wissen für die Arbeit in der sich anschließenden Lösungsphase nutzt, um dann die Teamprozesse zu verbessern.

Basierend auf den soziologischen Erkenntnissen von Luhmann wird in dieser Masterar- beit zusammenfassend von folgender Nichtwissensdefinition ausgegangen: Nichtwissen ermöglicht in sozialen Systemen wie Organisationen Handlungen. Es „setzt etwas in Gang“21. Diese sozialen Prozesse werden beobachtet. Dabei geht es laut Großmann et al. um „eine Kette von aufeinander und auseinander folgenden Kommunikationen“22, die Kommunikation von Unterscheidungen. Demnach wird der Unterschied zwischen Wis- sen und Nichtwissen in Handlungen kommuniziert. Ausgehend von der vorgestellten systemischen Haltung sind die Unterscheidungen zwischen Wissen und Nichtwissen das Resultat von Hypothesen aus der Beobachtung des KS im OBP, um dessen Strukturen, Beziehungsmuster und Denkprozesse analysieren und verändern zu können.

2.2 Nichtwissen und verwandte Begriffe

Ausgehend von der Einführung zum Begriff „Nichtwissen“ werden in diesem Kapitel die verwandten Begriffe „Irrtum“, „Ignoranz“ und „Intuition“ vom Nichtwissen abgegrenzt, um die Aufmerksamkeit auf die Ausarbeitung der Dimensionen des Nichtwissens im OBP in dieser Arbeit zu richten.

Irrtum

Irrtümer lösen ganz unterschiedliche Effekte aus. Bezogen auf das Beispiel der Tea- mentwicklung kann beim KS auch lediglich ein Irrtum über den Begriff „Teamentwick- lung“ vorliegen. Denn Irrtümer lenken die Aufmerksamkeit auf bestimmte Zusammen- hänge oder Ergebnisse, unabhängig davon, ob diese später als „unklar“ interpretiert werden.23 Irrtümer können auch im OBP auftreten. Dieser Aspekt ist aber kein Gegen- stand der Masterarbeit, da die Haltung des BS im OBP im Vordergrund steht und keine inhaltlichen Fehlinterpretationen.

Positive Ignoranz

Zur Erläuterung des Begriffs „positive Ignoranz“ wird die Untersuchung, die Schneider (2006) durchführte, aufgegriffen. Die Intention des Begriffs „positive Ignoranz“ kann als besondere Haltung verstanden werden und ist eng mit der Haltung des Nichtwissens verbunden.24 Kern einer solchen Haltung ist die Konzentration auf wesentliche Inhalte, die sich an einem gesteckten Ziel orientieren. Die Haltung der „positiven Igno- ranz“ kann daher als Immunität gegenüber Ablenkung durch Nebenaspekte und gegen „Verzettelung“ aufgefasst werden.25 Mittels Immunität verschaffen sich Personen eine gewisse Unabhängigkeit in kommunikativen Handlungen. Diese Eigenschaft wird in den folgenden Überlegungen dieser Arbeit jedoch unter dem Begriff „Beobachtung 2. Ordnung“, gemeint ist das Suspendieren und Zurückhalten von Wissen durch die For- men des Noch-nicht-Wissens, wieder aufgegriffen.

Intuition

Des Weiteren kann Intuition als besonderer Aspekt der positiven Ignoranz aufgefasst werden, da auch sie nur den wichtigsten Faktor in einer Situation berücksichtigt, auf den man sich konzentriert.26 Sie wird nach Ansicht von Haupt oft belächelt27 oder mit den Worten von Gigerenzer als „Intelligenz des Unbewussten“28 tituliert, obwohl sie nach Ansicht von Haupt die Entscheidungsfindung in Handlungssituationen beschleunigen und dadurch Komplexität reduzieren kann.29

Intuition ist zugleich ein Element der systemischen Beratung. Bernd Schmid definiert Intuition als „ein Urteilen über Wirklichkeit, ohne daß der Beurteilende weiß, wie er sein Urteil bildet, und oft ohne daß er in Worten weiß, worin sein Urteil besteht. Die Urteile zeigen sich jedoch in seinen Handlungen. Intuition kann daher als Handlungs- wissen bezeichnet werden.“30 Gerade deshalb ist Intuition eine wichtige Kompetenz systemischer Organisationsberater, um zeitlich wie qualitativ effektivere Beratungsar- chitekturen und -designs flexibel wählen zu können. Dasselbe wird auch für die Haltung des Nichtwissens in Beratungsarchitekturen und -designs im Rahmen dieser Masterar- beit angenommen. Im telefonischen Erstkontakt zum Anliegen der Teamentwicklung beispielsweise kann das BS anhand der Schilderung des Anliegens schon zu diesem Zeitpunkt beurteilen, ob es sich intuitiv tatsächlich um eine Teamentwicklungsmaß- nahme handeln wird oder ob nicht ein anderer Grund vorliegt. Aus diesem Grund erzie- len beide Formen vergleichbare Wirkungen im OBP. Die Masterarbeit fokussiert aber ausschließlich die Wirkung aus der Perspektive des Nichtwissens.

2.3 Die Pionierarbeit in der Wissenssoziologie von Jerome Ravetz

Nichtwissen hat in den verschiedensten gesellschaftlichen Systemen eine eigene funkti- onale Bedeutung, was z. B. aus der soziologischen Analyse der Handlung ersichtlich ist.31 Für die im Rahmen dieser Masterarbeit thematisierten Zusammenhänge ist die Pio- nierarbeit von Jerome Ravetz ausschlaggebend, denn bereits in den 1980er Jahren be- schäftigte sich der britische Wissenschaftstheoretiker mit dem „Management von Un- gewissheit und Nichtwissen“32. Ihm ging es um die Erforschung der Nutzung des Nichtwissens unter neuartigen Bedingungen und in veränderten Kontexten. Er bezeich- nete die Nutzbarkeit als „usable ignorance“. Daraus entwickelte er auf einer tieferen Ebene die „science-based ignorance“33. Ravetz erforschte dort z. B. die Wechselbezie- hungen zwischen dem wissenschaftlichen Wissen und Nichtwissen. Seine diesbezügli- che Forschungsmotivation resultierte aus der zunehmenden Risiko- und Ökologieprob- lematik der 1980er Jahre, vor allem aus der Beschäftigung mit den Schadenswirkungen von FCKW für Organismen. Im Ergebnis seiner Forschung kam Ravetz zu dem Schluss, dass Gesellschaft und Wissenschaft lernen müssen, in Risikosituationen mit Nichtwis- sen zurechtzukommen und es produktiv einzusetzen.34 Aus diesem Grund befürwortet er auch einen „bewussten und reflexiven Umgang mit Nichtwissen“35 durch bewusst zu treffende Entscheidungen.

Ravetz entwickelte darüber hinaus gemeinsam mit Silvio Funtowicz ein dreistufiges Modell für einen adäquaten Umgang mit Nichtwissen und Ungewissheit in der Wissen- schaft: Bei „normalwissenschaftlich“ angewandter Forschung bei geringer Systemun- gewissheit und geringe Entscheidungsbrisanz geht es um Entscheidungen und deren Handlungsfolgen die mit existierendem Wissen überblickt werden können. Beide For- scher empfehlen, gegenüber der „normalwissenschaftlich“ angewandten Forschung, bei einer mittleren Ausprägung der Systemungewissheit die „technical consultancy“ bzw. „professional consultancy“36. „Professional consultancy“ korrespondiert mit der metho- dologischen Ungewissheit. Für den Fall der hohen Ungewissheit des Wissens und eines hohen Einsatzes der zu treffenden Entscheidung halten Ravetz und Funtowicz einen offenen und umfassenden Lernprozess („total environmental assessment“37 ) unter Betei- ligung nichtwissenschaftlicher Akteure, z. B. Laien, für erforderlich. Als Beispiel für Prozesse mit hoher Ungewissheit, bei dem nichtwissenschaftliche Akteure beteiligt sind, ist der Beteiligungsprozess der Öffentlichkeit im Bauleitplanungsprozess nach dem Baugesetzbuch.38 Der Bauleitplanungsprozess nutzt insbesondere die Beteiligung der Öffentlichkeit, um möglichst viele Wissen zu generieren, was in der Entscheidung zur Bauleitplanung einfließt und dadurch die Ungewissheit verringert. Die Intention des Ansatzes des „professional consultancy“ kann auf den Prozessberatungsansatz übertra- gen werden. Im systemischen OBP geht es bei Veränderungsvorhaben ebenfalls um die Bewältigung methodologischer Systemungewissheit, die eine Beteiligung verschiedener Akteure erfordert. Als Beispiele seien hier Fusionsprozesse von Organisationen, Strate- gieentwicklungsprozesse oder Programme zur Kulturveränderung in Organisationen genannt. Aus systemischer Sicht werden diese Prozessbeispiele als offene und umfas- sende Lernprozesse bearbeitet. Im Zentrum dieser Lernprozesse steht die „Miteinbezie- hung der relevanten Umwelten, z. B. Mitarbeiter, Betroffene, und Schlüsselpersonen (z. B. Führungskräfte)“39. Grossman et al. vertreten eine ähnliche Auffassung, denn „je größer die ,Oberfläche‘ in der Beziehung zu den relevanten Umwelten ist und je mehr Personen [...] in unterschiedlicher Form und Intensität einbezogen werden, desto erfolg- reicher wirken Veränderungen.“40 Der Erfolg von Veränderungen hängt nicht zuletzt davon ab, wie mit Bedrohlichkeiten, Unwillen und Widerstand der Organisationsmit- glieder umgegangen wird. Die Beratungspraxis zeigt, dass sie bestimmte Kommunikati- ons- und Orientierungsbedürfnisse haben, um sich auf das Ausmaß an Einstellungs- und Verhaltensänderungen einstellen und dabei mitwirken zu können. An dieser Stelle wird wiederum deutlich, dass das KS und seine Organisation die eigentlichen Experten und Wissensträger für Veränderungsvorhaben sind.

Für die Überlegungen im Rahmen dieser Masterarbeit liefert das Modell der beiden For- scher wichtige Erkenntnisse, wie im OBP bei hoher Systemungewissheit methodolo- gisch die Haltung des Nichtwissens des BS genutzt werden kann, um die mit der Unge- wissheit verbundenen Fragestellungen zu Prozessen, Strukturen und Beteiligten besser verstehen und darauf aufbauend analysieren zu können, was bewirkt werden kann und soll.

2.4 Noch-nicht-wissen-Können und Noch-nicht-wissen-Wollen und ihre Be- deutung für den OBP

Um ein grundlegendes Verständnis über das Nichtwissen zu gewährleisten, ist es not- wendig, sich mit Nichtwissensformen auseinanderzusetzen. Die vorliegende Masterar- beit konzentriert sich auf die vorübergehenden Formen „Noch-nicht-wissen- Können“ und „Noch-nicht-wissen-Wollen“, die in diesem Kapitel erläutert werden. Ins- besondere Faber und Proops (1993) bzw. Beck (1996) prägten diese Formen41, während Wehling (2006) beide Begriffe unter dem Begriff „gewusstes Nichtwissen“ subsumiert. Zeuch (2007) und Brodbeck (2007) stützen sich auf die Erkenntnisse von Beck und Wehling. Sie entwickelten eigenständige Formate. Anhand der nachfolgenden Grafik werden die Wirkungszusammenhänge der Formen hinsichtlich ihrer Bedeutung für den OBP erläutert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Formen des Noch-Nicht-Wissens und deren Wirkungszusammenhänge. Eigene Darstellung.

Als Ausgangspunkt für die Erläuterung dient die Form des gewussten Nichtwissens [oberes und unteres Kästchen als Rahmen]. Als „gewusstes Nichtwissen“ lassen sich grob offene Fragen, Unbeobachtetes und Wissenslücken zusammenfassen.42 Wehling geht davon aus, dass es von temporärer Natur sei, da es im Zeitverlauf in aktuell nicht bewusstes Wissen bzw. in grundsätzlich nicht gewusstes bzw. unbewusstes Wissen um- gewandelt werde, wenn es situativ relevant wird.43 Gewusstes Nichtwissen ist für den OBP insofern relevant, als nur so in der Beratungspraxis zu beobachten ist, dass es so- wohl vom BS als auch vom KS vor allem durch Zurückhaltung des eigenen Erfah- rungswissens und faktischen Wissens gezielt für die Auseinandersetzung mit dem An- liegen bzw. mit der Problemstellung genutzt werden kann, während eine unterbliebene Berücksichtigung dazu führen kann, dass in der Realität plötzlich Situationen entstehen, in denen ein anderes Handeln hilfreicher ist. Bezogen auf das Beispiel der Teament- wicklung kann es sinnvoller sein, in der Organisationsanalyse den Fokus auf die Tea- mentwicklungsmaßnahme erst einmal zurückzustellen, um sich auf die bisher unbeo- bachteten Aspekte im Team zu konzentrieren. Im Anschluss kann dann auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse entschieden werden, welche Lösungen angemessen sind. Im Kern des gewussten Nichtwissens geht es daher um die Erweiterung der Beobach- tungsräume durch die Nutzung der Perspektive des Nichtwissens im OBP, um die, so Wehling, „bisher ungesehenen Räume des Nichtwissens“44. Aus dem Beispiel heraus wird deutlich, dass es sich bei einigen Aspekten des Teams um eine temporäre Unge- wissheit (Noch-nicht-Wissen) handelt, welches das BS mit der Analyse der Teamsitua- tion ausräumen kann.45 In der Grafik erscheint deshalb der Begriff „Noch-nicht- Wissen“ unterhalb des Begriffes „gewusstes Nichtwissen“ [jeweils ein oberes und unte- res Kästchen als Rahmen].

Bevor auf die Formen des Noch-nicht-wissen-Wollens und des Noch-nicht-wissen- Könnens eingegangen wird, werden die Begriffe „fachliches Nichtwissen“, „strategi- sches Nichtwissen“, „operatives Nichtwissen“ [drei Kästchen auf der oberen Ebene der Grafik], geprägt durch Zeuch (2007)46, sowie die Formen des modalen Nichtwissens, des abstrakten Wissens und des wahrscheinlichen Wissens [drei Kästchen auf der untere Ebene der Grafik], geprägt durch Brodbeck (2007)47, erläutert. Denn aus diesen Arten können die Bedeutungen des Noch-nicht-wissen-Wollens und des Noch-nicht-wissen- Könnens abgeleitet werden.

Fachliches Nichtwissen ist selbsterklärend. Strategisches Nichtwissen bezieht sich im Kontext der Masterarbeit auf alle kurz-, mittel- und langfristigen strategischen Aspekte einer Organisation. Operatives Nichtwissen ist das Nichtwissen über die tatsächlichen Ansichten von Mitarbeitern, Führungskräften und Geschäftspartnern, bzw., wie Zeuch es formuliert, „ihr Verhalten außerhalb des eigenen Beobachtungsrahmens“48. Beispiel- haft sei hier die Frage genannt, was die Führungskräfte tun, wenn sie die Sitzung verlas- sen haben. Halten sie sich ans Geäußerte bzw. Vereinbarte oder handeln sie genau ent- gegengesetzt? Im Wesentlichen geht es beim operativen Nichtwissen also um Aspekte des Vertrauens.

Brodbecks Ansatz ist im Kontext der Masterarbeit relevant, da er davon ausgeht, dass verteiltes Wissen und Nichtwissen Produkte der Arbeitsteilung seien: „Was A nicht weiß, kann B wissen.“49 Somit sind beide in ihren Arbeitsprozessen abhängig voneinan- der. Modales Nichtwissen wird in Lernprozessen erworben. Dabei handelt es sich um Wissen, das „zurückgestellt“ wird, später in routinierten Handlungen ins Unbewusste versinkt, aber jederzeit aktiviert werden kann, z. B. Fahrradfahren. Abstraktes Wissen bzw. unscharfes Wissen kann mit dem alltagssprachlichen Ausdruck sen“ gleichgesetzt werden, z. B. weiß man im Prinzip, wie ein Fernseher bedient wird. Wahrscheinliches Wissen ist ein „Nichtwissen im Wissen“50 und insofern dem gewuss- ten Nichtwissen Wehlings ähnlich.

Abschließend stehen die Formen des Noch-nicht-wissen-Wollens und des Noch-nicht- wissen-Könnens im Betrachtungszentrum. Aus diesem Grund bilden sie den Mittelpunkt der Grafik. Beide Formen bedingen sich gegenseitig. Noch-nicht-wissen-Wollen kann zu Noch-nicht-wissen-Können werden und umgekehrt. Die Formen des Nochnicht-wissen-Könnens und des Noch-nicht-wissen-Wollens zirkulieren deshalb wie in einem Kreislauf [Rad], woraus im Ergebnis [gestrichelt-gepunkteter Pfeil jeweils in Richtung gewusstes Nichtwissen] gewusstes Nichtwissen entsteht. Noch-nicht-Wissen kann insofern irgendwann in Wissen verwandelt werden.

Noch-nicht-wissen-Können ist vergleichbar mit einem objektiven, temporären Nichtwissen, z. B. Fakten und Zusammenhänge über die Organisation. Noch-nicht-wissen- Wollen ist vergleichbar mit einem subjektiven, temporären Nichtwissen des BS. Beispielsweise sind geschilderte Details der Wahrnehmung eines Problems im Erstkontakt für das BS noch nicht von Interesse, da Detailwissen in dieser Phase das BS dazu verleiten kann vorschnell Hypothesen und Lösungsansätze zu formulieren.

Wird der in der Abbildung verdeutlichte Wirkungszusammenhang auf den OBP proji- ziert, beginnt er auf Seiten des BS mit einem Zustand zwischen Noch-nicht-wissen- Wollen und Noch-nicht-wissen-Können des Anliegens, z. B. hinsichtlich der Frage, warum eine Teamentwicklung gewollt wird. Häufig handelt es sich bei der artikulierten Lösung „Teamentwicklung“ um eine Vermutung. Innerhalb des Zustandes geht es da- rum, diesen Zustand in gewusstes Nichtwissen zu transformieren. Die beschriebenen Arten nach Zeuch und Formen nach Brodbeck zeigen sich in der Beratungspraxis häufig in falschen Vorannahmen bezüglich einer Teamentwicklung, in Dekontextualisierungen und in einer unverständlichen Fachsprache auf Seiten des KS. Diese gilt es systematisch „zu betasten“ und zu sortieren. Das ist erfahrungsgemäß ein sich wiederholender zirku- lärer, aber auch temporärer Prozess. Innerhalb des Prozesses werden Lernprozesse beim KS angeregt, die Wissen erzeugen („reducible ignorance“)51, so die Hypothese Brod- becks. Aus diesem Grund werden im systemischen OBP gezielt Fragetechniken einge- setzt, um die Zustände des Noch-nicht-wissen-Wollens und des Noch-nicht-wissen- Könnens sichtbar zu machen bzw. vorerst zurückzustellen („Noch-nicht-wissen- Wollen“).

Die in diesem Kapitel aufgeführten Nichtwissensformen sind zusammengefasst in Anlage 2 „Nichtwissensformen“ aufgeführt.

2.5 Die Potenziale des Nichtwissens für Organisationsberatungsprozesse

In unserer heutigen Gesellschaft ist im Allgemeinen zu beobachten, dass die Bedeutung des Wissens und seine Quantität stetig wachsen. Rückt im Umkehrschluss das Nicht- wissen an der Außenseite des Wissens in den Mittelpunkt des Wachstums? Zumindest für den Soziologen Helmut Willke ist das der Fall, denn er definiert Nichtwissen als die Schlüsselressource unserer Gesellschaft.52 Wie kann das Verhältnis zwischen Nichtwis- sen und Wissen dabei definiert werden? Bildlich gesprochen gleicht das Verhältnis von Wissen und Nichtwissen einer Landkarte. Eine Karte vereint als Medium Wissen und Nichtwissen, indem sie sich auf die Darstellung bestimmter Inhalte und somit auf be- stimmtes Wissen beschränkt. Z. B. eine Karte über die Klimazonen der Erde verzichtet auf die Darstellung der Vegetationszonen der Erde, als politisches Wissen, welches in diesem Kontext Nichtwissen ist. „Jedes Wissen ist begrenzt, und nicht nur jenseits der Grenze liegt das Nichtwissen. Jedes Wissen verbirgt in sich ein viel größeres Nichtwis- sen.“53 Ziel ist es laut Brodbeck, „die positiven Inhalte des Nichtwissens herauszuarbei- ten“54. Dies gilt auch für Organisationen und den OBP. Denn erst durch das Herausar- beiten des Nichtwissens werden die „eigentlichen“ Probleme und Anliegen des KS im OBP sondiert und besser verstanden, um geeignete Lösungen aufzeigen und im weiteren Verlauf das KS bei der Lösung unterstützen zu können.

Dagegen ist in der Beratungspraxis oft festzustellen, dass Organisationen und ihre Mit- glieder davon ausgehen, dass der Expertenstatus des Beraters impliziere, bereits alles über ihr Problem und Anliegen zu wissen. Brodbeck nimmt daher an, dass die Ergebnis- se einer sogenannten Expertenberatung eher Routinelösungen darstellen und keine wirk- lichen Veränderungen bewirken können.55 Beispielsweise ist das der Fall, wenn vorhan- dene Softwaresysteme optimiert werden sollen. Solche Lösungen sind in bestimmten Beratungssituationen durchaus relevant.56 Häufig versagt aber die Expertenberatung, wenn es um Lösungen für komplexe Probleme geht, wie eine Veränderungsprozess in einer Organisation, weil die Berater im OBP bei der Problemlösung an ihrem bisherigen Experten- und Erfahrungswissen festhalten und Nichtwissen nicht zulassen, wie Brod- beck weiter feststellte.57 An diesem Punkt rückt die eingangs erläuterte systemische Hal- tung wieder in den Blick. Durch sie soll erreicht werden, dass Berater ihren „Anfänger- geist“ wecken und dass ihr umfangreiches Erfahrungs- und Expertenwissen sie „nicht blind für das mit dem Wissen verbundene Nichtwissen“58 macht. Beispielsweise werden schriftliche Mitarbeiterbefragungen anhand standardisierter Frageblöcke durchgeführt, die theoretisch und praktisch immer möglich, aber in bestimmten Situationen, z. B. in einem Change-Prozess, nicht angemessen sind, da sie kein direkte Kommunikation er- möglichen.

Mit der sogenannten Theorie U von Claus Otto Scharmer (2009) können die eben erläuterten Feststellungen näher erklärt werden. Die Theorie U basiert auf fünf Ebenen der Veränderung in Organisationen (E1-E5). Anhand der nachfolgenden Grafik wird der Ansatz der Theorie U im Kontext der Masterarbeit erläutert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 Fünf Ebenen (E1-5) von Veränderungen. Quelle: Scharmer (2009, S. 52) nach Abb. 2.2.

Scharmer nimmt an, dass die Entwicklung eines Veränderungsvorhabens in Organisati- onen davon abhänge, wie man an sie herangehe, z. B. an einen Umstrukturierungspro- zess in der öffentlichen Verwaltung. Das bedeutet, es muss die gegenwärtige Realität in der Verwaltung betrachtet werden, um eine andere Perspektive hinsichtlich der Ist- Situation und zur Zukunft überhaupt wahrnehmen zu können, und um darüber in einen Dialoge einzutreten, wie die Restrukturierung gedacht und konzipiert werden soll. Da- bei entstehen neue Strukturen, Prozesse und Praktiken, durch gemeinsames Handeln. Erfahrungsgemäß fällt Organisationen und ihren Mitgliedern dieser Veränderungspro- zess schwer, und häufig bleiben extern unterstützte Veränderungsprozesse auf der Ebe- ne „Reaktion auf Veränderungen durch bestehende Routinen“ (E 1) bzw. auf der Ebene „Reorganisation von Strukturen und Prozessen“ (E 2) stehen. Im Falle der Restrukturie- rung in der Verwaltung werden neue Strukturen und Prozesse, z. B. mittels Organi- gramm und formaler Regelungen, beschlossen, die Mitarbeiter denken aber nach wie vor in ihren bisherigen Mustern und handeln auf der Basis bestehender Routinen. Sys- temisch betrachtet ist dem BS in solch einem OBP die Ankoppelung an das KS nicht gelungen.

Im Rahmen dieser Masterarbeit wird mit Brodbeck davon ausgegangen, dass BS wie KS Nichtwissen akzeptieren sollten, wenn Veränderungen gewollt werden.59 Geschieht dies, etabliert sich im Idealfall eine vertrauensvolle kommunikative Beziehung, wie es der systemische Beratungsbegriff fordert, um einen Raum zu schaffen, in dem sich lang- fristiges Denken entfalten kann.60 Mittels der Zustände „Noch-nicht-wissen- Wollen“ und „Noch-nicht-wissen-Können“ kann das BS eine konstruktive Kultur des Fragens, aktiven Zuhörens und die Bereitschaft zum Lernen aufbauen, um die Ebene der Veränderung ab E3 erreichen zu können.61 Erst auf dieser Ebene, dem sogenannten Reframing, beginnt die Veränderung von Mustern und Denkstrukturen. Reframen (Um- deuten) beruht auf Selbstreflexionsprozessen sowie auf dem bewussten Umgang mit gewusstem Nichtwissen und seinen Formen des Noch-nicht-Wissens.62 Folglich kann die Intention von E3 auch als „Steigerung der Lernfähigkeit von Organisationen“63 be- zeichnet werden. Damit Organisationen ihre Lernfähigkeit steigern können, brauchen sie wiederum Wissen über ihr Wissen.

An dieser Stelle wird die Abbildung zu den fünf Ebenen einer Veränderung erneut aufgeführt, wobei in der nachfolgenden Grafik die angenommene Position der Haltung des Nichtwissens des BS abgebildet ist [blaue Ellipse]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 Fünf Ebenen (E1-5) von Veränderungen in Organisationen. Scharmer (2009 S. 52) nach Abb. 2.2.

Die Haltung des Nichtwissens geht davon aus, dass Organisationen und ihre Mitglieder Meta-Wissen durch Reflexionsprozesse gewinnen. Dies geschieht, indem das KS durch die Fragen des BS im OBP angeregt wird, über sein System und sein Veränderungsvor- haben nachzudenken, um Lösungen zu entwickeln, wie mit Systemungewissheit umzu- gehen ist. An dieser Stelle ist es das Ziel des OBP, Fragen zu formulieren, auch wenn die Antworten zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt sind bzw. noch nicht gewusst werden sollen. Das Nichtwissen des BS ermöglicht laut Dorniok und Mohe (2011), durch Fragen „an bisher unerforschten Stellen anzusetzen und in Richtungen zu denken, die bisher unentdeckt blieben“64. Als einen Prozess des Ausbrechens aus eingefahrenen Handlungsroutinen und Mustern“65 bezeichnen Böhle und Busch (2012) diese Situation. Dorniok und Mohe stellten in ihrer Untersuchung zum Umgang mit Nichtwissen durch Organisationsberater fest, dass das Nichtwissen, basierend auf situationsbezogenen ein- gesetzten Fragetechniken, als katalysatorische Ressource im OBP wirke66. Systemisch betrachtet vereint die katalysatorische Wirkung des Nichtwissens die systemische Hal- tung, indem sich das BS durch eine offene Einstellung nicht von Vorerfahrungen beein- flussen lässt.67 Dabei nutzt das BS gerade den Dialog, wie dies auch der systemische Begriff der Beratung als kommunikative Beziehung definiert. Beispielsweise ergeben sich im OBP Dialoge darüber, warum diese Strukturen und Regelungen existieren und woher sie stammen. Inwiefern ist die strategische Neuausrichtung auf der Basis dieser Standards effizienter und effektiver? Die Überführung gewussten Nichtwissens in Wis- sen wird durch Dialoge wahrscheinlicher, denn BS und KS denken sich im OBP suk- zessive in den Entstehungsprozess von Zukunftsmöglichkeiten hinein, was der Pfeil in seiner Symbolik als U symbolisiert.68 Deshalb wird auf der Ebene 4 (E4) der Theorie U der Dialog angeführt.

Der Dialog wird unter dem Fokus der systemischen Beratung in dieser Masterarbeit als das elementarste Kommunikationswerkzeug interpretiert, da es, wie im Absatz über die Haltung des Nichtwissens beschrieben, um die Kommunikation des Nichtwissens hin- sichtlich Veränderungssituationen geht. In diesem Zusammenhang ist der sogenannte bohmsche Dialog ein wichtiges Instrument. Er ist für die Materie insofern von Interesse, als Bohm davon ausgeht, „dass unser Denken das ursprünglich Ganze teilt“69. Damit ist gemeint, dass wir in unseren Denkprozessen Aspekte teilen, um deren Komplexität zu reduzieren, um Entscheidungen überhaupt treffen zu können. Folglich ist anzunehmen, dass auch Nichtwissen und Wissen geteilt werden. Im Dialog vereinen sich Wissen und Nichtwissen in Denkprozessen. Der gedankliche Ansatz von Bohm zum Dialog ent- spricht dem Ansatz der Beobachtung 2. Ordnung, der hier nur angekündigt wird. Mittels der Beobachtung 2. Ordnung werden Prozesse von einer Metaebene aus beobachtet70. Um die Beobachtung 2. Ordnung ausführen zu können, werden bestimmte Fähigkeiten vorausgesetzt. Im folgenden Kapitel werden diese und die daraus resultierenden Funkti- onen erläutert.

2.6 Voraussetzungen und Funktionen der Haltung des Nichtwissens im OBP

Henriette Schildberg (2005) hat sich in ihrer Dissertation „Ressourcenorientierte und reflexive Beratung - Erfurter ModerationsModell“ u. a. intensiv mit der Haltung des Beraters im OBP auseinandergesetzt, insbesondere mit der Frage, welche Fähigkeiten dieser benötigt, um im Sinne des Prozessberatungsansatzes professionell agieren zu können; u. a. greift sie dabei Aspekte der Beobachtung 2. Ordnung auf. Sie hat im Rahmen dessen gesprächsbegleitende Fragen und Prinzipien für den OBP definiert, zu denen sie u. a. auch das Nichtwissen zählt, wie sie folglich formuliert: Dessen Wirkung „ermöglicht es dem BS sich mit dem KS im lösungsorientierten Möglichkeitsraum zu bewegen, ohne stundenlang Probleme analysieren zu müssen“71.

Die Masterarbeit nutzt die Erkenntnisse von Schildberg für die konzeptionelle Erarbei- tung der explorativen Vorstudie und hat, ausgehend von der Beobachtung 2. Ordnung, folgende dialogische Fähigkeiten erarbeitet: Wahrnehmen, Neugierig sein und aktives Zuhören. Mittels der im weiteren Verlauf vorgenommenen qualitativen Untersuchung erfolgt die Analyse und Auswertung von Interviews mit systemischen Organisationsbe- ratern über die hier erarbeiteten dialogischen Fähigkeiten. Dabei wird gefragt, inwiefern sich die dialogischen Fähigkeiten des BS im OBP auf die Haltung des Nichtwissens des BS auswirken. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich diese Grundhaltung im Mo- ment des Noch-nicht-wissen-Könnens und des Noch-nicht-wissen-Wollens ereignet, welches den temporären Zustand des Noch-nicht-Wissens ausdrückt, bevor es zu ge- wusstem Nichtwissen im oben beschriebene Kreislauf umgewandelt wird. Im Folgenden werden die dialogischen Fähigkeiten Wahrnehmen, Neugierig sein und aktives Zuhören auf der Basis der Beobachtung 2. Ordnung erörtert:

Wahrnehmen

Wahrnehmen erfolgt durch das Feststellen von Unterscheidungen durch aktives Zuhö- ren und mittels Metabeobachtung. Ziel ist es, das Wahrgenommene von den eigenen Bewertungen zu trennen, um vorschnelle Schlussfolgerungen, z. B. über ein Problem des KS, zu verhindern. An dieser Stelle ist es für das BS unabdingbar, seine Fähigkeit der Selbstbeobachtung zu schulen und eigene Vorurteile und Muster zu erkennen. Denn sonst bringt es vorschnell Lösungen in den OBP ein. Die Unterscheidung zwischen dem Beobachten einer Handlung und der Beobachtung der beobachteten Handlung wurde von Fritz B. Simon (2006), Professor für Führung und Organisation an der Universität Witten/Herdecke, als „Beobachtung 2. Ordnung“ definiert. Es wird genutzt, um Per- spektiven zu ermöglichen, aus denen sich im Anschluss weitere anschlussfähige Kom- munikationen ergeben, da nicht nur beobachtet wird, was der andere wahrnimmt, son- dern auch, was er nicht wahrnimmt, und dass er nicht wahrnehmen kann, was er nicht wahrnehmen kann.72 An dieser Stelle wird erneut das einführende Beispiel der Tea- mentwicklung aufgegriffen: Im Erstkontakt beobachtet das BS nicht nur, wie das KS sein Problem wahrnimmt, beschreibt und lösen würde, sondern auch, was das KS dabei ausblendet, nicht weiß, vergessen hat oder worüber es irrt. Das wiederum weiß das KS noch nicht und kann es auch nicht wissen. Dieser Prozess der Metabeobachtung kann daher auch unter dem Begriff des „Noch-nicht-Wissens“ subsumiert und mit dem durch Spencer Brown eingeführten Begriff des „re-entry“ als Wiedereintritt der Unterschei- dung in den durch sie unterschiedenen Bereich73 begründet werden. An dieser Stelle lässt sich anhand des „re-entrys“ schlussfolgern, dass diese der Kommunikation der Komplexitätsbejahung und der Komplexitätsreduktion dient.74 Beispielsweise muss das BS die Situationszuschreibung des Kunden hinsichtlich seiner Teamentwicklung in ih- rer Komplexität sortieren und demzufolge verringern, gleichzeitig muss es aber bei der Eruierung des eigentlichen Problems die Komplexität wiederum erhöhen, damit er es in der Folge das KS bei der Umsetzung der angemessenen Lösung unterstützen kann.

Neugierig sein

Neugier als die Eigenschaft des BS definiert, die im ‚Möglichkeitsraum’ eine besondere Rolle einnimmt. Dies gilt vor allem für die sogenannte epistemische Neugier. Darunter ist eine durch Lernen, Entdecken, Freude am Problemlösen und Erkennen von Zusam- menhängen motivierte Fähigkeit von Menschen zu verstehen.75. Diese Form der Neugier lädt das KS im OBP dazu ein zu erzählen, ohne Angst haben zu müssen, dass die Erzäh- lung kommentiert wird. Das KS und seine Organisation erhält dadurch die Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Insofern geht Naughton davon aus, dass ein neugierig gewordenes KS im weiteren Verlauf Neues besser integrieren kann. Es ist sich seiner Wissenslücken bewusst und akzeptiert das Nichtwissen.76 Neophobie, also die Angst vor etwas Neuem, Unbekanntem und Ungewissem, kann durch eine neugieri- ge Einstellung verhindert werden. Besonders das offene untersuchende Fragenstellen des BS (systemische Fragetechniken), als eine Form des Sprechens, hilft dem KS da- bei.77

Ronny Lindner setzte sich mit der Praxis des Nichtwissens in der sozialen Beratung auseinander. Er nimmt in diesem Zusammenhang Folgendes an: „[A]kzeptiert das KS das BS als Beobachter 2. Ordnung, umso neugieriger darf dieser nachfragen und umso größer ist das Irritationspotenzial“78. Erst durch die Irritation des KS kann sukzessive über das eigentliche Anliegen im OBP kommuniziert werden. In der Konsequenz geht diese Untersuchung davon aus, dass innovative Problemlösungen möglich werden. An dieser Stelle wird wiederholt deutlich, warum das BS in der Prozessberatung im Nicht- wissen agiert:79 In ungewissen Situationen wie dem OBP kann weniger auf bekannte Interventionsmöglichkeiten zurückgegriffen werden, wie dies bereits Ravetz durch sei- nen Ansatz der „professional consultancy“ zum Ausdruck brachte. Diese Unsicherheit bewältigt die Prozessberatung durch sich wiederholende Interventionen, wobei beim wiederholen immer verschiedene Perspektiven beobachtet werden. Erst durch die Wie- derholung wird es dann möglich die Probleme in sinnvolle Lösungsmöglichkeiten zu übersetzen. Die einleitend erläuterte systemische Haltung unterstützt dabei durch da ‚Mehrbrillenprinzip’.

Aktives Zuhören

Beim aktiven Zuhören geht es darum, das Gesagte auch wirklich verstanden zu haben. Das aktive Zuhören ist eine Methode zur Analyse von Situationen in Gesprächen, die von dem Psychotherapeuten Carl Rogers entwickelt wurde. Die Neugier und das Wahr- nehmen vereinen sich im aktiven Zuhören. Eine wichtige Leistung des aktiven Zuhörens ist das „Suspendieren“ (Bohm)80. Damit ist gemeint, dass das BS darauf verzichtet, das beim aktiven Zuhören Entdeckte anderen aufzunötigen. Die Entdeckung soll sich im OBP selbst entfalten. Das aktive Zuhören hilft dem BS, den Inhalten, der Stimmlage, dem Tonfall und den Pausen des KS interessiert zuzuhören.

Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass Nichtwissen durch dialogi- sche Fähigkeiten im OBP kommuniziert wird und dass das BS durch die Haltung des Nichtwissens über den Dialog die Denk- und Verhaltensweisen des KS steuert, um ins- besondere Veränderungen ab E3 der vorgestellten Theorie U im OBP erzielen zu kön- nen.81 Als eine Voraussetzung wurden im ersten Teil des Kapitels die dialogischen Fä- higkeiten vorgestellt [Kästchen rechts]. Im nun folgenden zweiten Teil werden die Funktionen erläutert [Kästchen links], von denen in der vorliegenden Masterarbeit an- genommen wird, dass sie gemeinsam mit den dialogischen Fähigkeiten eine bestimmte Wirkung entfalten, welche wie ein Katalysator wirkt [gepunktete Pfeilbeziehung vom Sechseck zwischen den erläuterten Kästchen]. Die Wirkung wird ausgelöst durch die Nutzung der systemischen Fragetechniken als eine Art Werkzeug. Die nachfolgende Grafik dient dazu, die Wirkungszusammenhänge der beiden Untersuchungsdimensionen zu verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 Untersuchungsdimensionen der Haltung des Nichtwissens im OBP. Eigene Darstellung.

In der Masterarbeit wird ausgehend von der systemischen Haltung und der Beratungs- praxis auf die Ermöglichungs-, Sensibilisierungs-, Orientierungs- und Stabilisierungs- funktion der Haltung des Nichtwissens geschlossen. Im explorativen Untersuchungsin- teresse der Arbeit steht daher die Auseinandersetzung mit der Wirkungsweise dieser Funktionen in der Beratungspraxis im OBP, z. B. inwiefern sie zusammen mit den dia- logischen Fähigkeiten eine katalysatorische Wirkung entfalten können. Vor diesem Hin- tergrund erfolgen die nachfolgenden Erläuterungen in Form von Hypothesen. Die Erklä- rung der Funktionen stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Erkenntnisse der Bera- tungspraxis zu den systemischen Fragetechniken. Fragen zu stellen gehört zu den wich- tigsten Aufgaben des BS im OBP, um komplexe Muster und Prozesse erkennen zu kön- nen. Gleichzeitig stellen sie selbst damit eine Intervention im OBP dar. Entwickelt wur- den die systemischen Fragen im Wesentlichen durch Fritz B. Simon und Christel Rech- Simon (1999) sowie durch Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer (2000).

Ermöglichungsfunktion

Ermöglichen bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das BS besonders in der Phase der Auftragsklärung die Bereitschaft und Fähigkeit des KS zum gleichberechtigten Mitwirken im OBP herstellt, um das Anliegen des KS im OBP gemeinsam besprechen zu können. Das BS nutzt dabei gezielt die systemischen Fragetechniken, z. B. Skalie- rungsfragen, Verschlimmerungsfragen, Prognosefragen etc. zusammen mit den vorge- stellten dialogischen Fähigkeiten „Wahrnehmen“, „Neugierig sein“ und „aktives Zuhö- ren“.

Sensibilisierungsfunktion

Sensibilisieren bedeutet, dass das BS im Sinne der Beobachtung 2. Ordnung das KS ganzheitlich beobachtet. Der Sensibilisierungsprozess setzt Impulse für Interventionen, z. B. durch eine „paradoxe Intervention“. Dabei werden besonders starre Denkweisen durch das Artikulieren des Gegenparadoxons aufgelöst.82 In der Beratungspraxis würde das BS bezogen auf das Anliegen der Teamentwicklung beispielsweise fragen: „Wie müssen Sie sich im Team verhalten, damit man Sie keinesfalls als TeamleiterIn aner- kennt?“ Das KS reagiert daraufhin intensiv, da die paradoxe Intervention soll dem Ge- fühl des KS entgegenwirken, seinen bisherigen Standpunkt verteidigen zu müssen.83 Vielmehr soll das KS sich mittels dieser Intervention dazu eingeladen fühlen, seine ei- genen bisher als selbstverständlich empfundenen Annahmen ohne Wertung zu hinter- fragen.84

Orientierungsfunktion

Orientieren bedeutet, dass das BS den gemeinsamen Entwicklungsprozess aufrechter- hält. Es soll nach dem Verständnis der Prozessberatung ausschließlich als Experte für die Prozess- und Beziehungsgestaltung agieren und diagnostizieren, um keine eigenen Erklärungsgewohnheiten auf das KS zu projizieren und vorschnelle Schlussfolgerungen und Lösungsangebote zu artikulieren. Beispielsweise kann das BS das KS fragen, wie es sich in der Vergangenheit hinsichtlich seines Anliegens verhalten hat, und zugleich wie es sich in Zukunft anders verhalten will. Dabei soll das BS Schildberg zufolge durchaus respektlos gegenüber selbstverständlich gewordenen Ideen bzw. Sichtweisen des KS auftreten, es aber respektvoll zur De- und Neukonstruktion von Annahmen einladen („respektvolle Respektlosigkeit“85 ).

Stabilisierungsfunktion

Stabilisieren bedeutet, dass das BS die Impulse des KS im Prozess aufgreift. Beispiels- weise helfen dem BS hierbei Fragen, die einen beschreibenden („Woran erkennen Sie das?“), bewertenden („Wie bewerten es Ihre Mitarbeiter?“) bzw. erklärenden Charakter haben („Wie erklären Sie sich, dass dieses Problem ausgerechnet in Team auftritt?“).

Bisher wurde ausgehend von der begrifflichen Einführung zum Phänomen des Nicht- wissens, insbesondere die Abgrenzung verwandter Begriffe und die Pionierarbeit von Ravetz, dort hauptsächlich die „professional consultancy“, erläutert. Darauf aufbauend wurden die beiden Formen des Nichtwissens „Noch-nicht-wissen-Können“ und „Noch- nicht-Wissen-Wollen“ in ihrem Wirkungszusammenhang besprochen und gefragt, wie aus ihnen gewusstes Nichtwissen erzeugt werden kann. Diese Erkenntnisse wurden ge- nutzt, um die Potenziale des Nichtwissens anhand der Theorie U für den OBP zu disku- tieren, um letztlich die Voraussetzungen und Funktionen der Haltung des Nichtwissens erörtern zu können.

Die Annahmen zu den dialogischen Fähigkeiten und über die Funktionen der Haltung des Nichtwissens werden daher abschließend durch folgender Annahme zusammenge- fasst: Die Haltung des Nichtwissens des BS wirkt wie ein Katalysator im Moment des Noch-nicht-wissen-Könnens und des Noch-nicht-wissen-Wollens. Diese Annahme bil- det die Grundlage für die Auswertung wessen im sich anschließenden praktischen Teil der Arbeit.

3 Praktischer Teil

Der praktische Teil dieser Masterarbeit befasst sich mit der Auswertung der geführten Interviews mit den Expertinnen und Experten zu den Voraussetzungen der Haltung des Nichtwissens. Die angenommenen Funktionen der Haltung des Nichtwissens des BS im OBP und die Nutzung der dialogischen Fähigkeiten, die im vorangegangenen Kapitel erörtert wurden, stehen im Auswertungsinteresse. Dazu wird im Folgenden zunächst das methodische Vorgehen vorgestellt, um im Anschluss daran die Ergebnisse nach Kategorien auszuwerten und sie zu diskutieren.

3.1 Methodisches Vorgehen

Das methodische Vorgehen besteht in einer Datenerhebung mittels schriftlicher Befragung und im darauf aufbauenden Auswertungsprozess. Das explorative Vorgehen basiert auf dem Ansatz der Feldforschung. Deren Ziel ist es u. a., Äußerungen von Personen festzuhalten, um alltägliche soziale Zusammenhänge zu erforschen, z. B. innerhalb der Beratungspraxis von systemischen Organisationsberatern.86

3.1.1 Zugang zum Feld - der Expertenbegriff

Ein Experte verfügt laut Mieg und Näf (2005) über besonderes Wissen und entspre- chende Fertigkeiten hinsichtlich eines bestimmten Sachverhalts.87 Das impliziert, dass der Experte jemand ist, „der aufgrund langjähriger Erfahrung über bereichsspezifisches Wissen und Können verfügt.“88 Beide betrachten Kompetenz als zentrales Element des Expertenbegriffs89. Bei der Auswahl der Experten für diese Masterarbeit galt diese Kompetenz als Maßstab. Die Expertenkompetenz ist feldspezifisch.90 Die für die Zwe- cke der Masterarbeit geforderte Kompetenz der Experten beruht auf deren Beratungs- praxis in Bezug auf Problemlösungsprozesse in Organisationen nach dem systemischen Beratungsansatz. Darüber hinaus wird die Expertenkompetenz durch langjährige Erfah- rung ausgeprägt. Mieg und Näf (2005) gehen hierbei von in der Regel zehn Jahren aus.91 Somit wird davon ausgegangen, dass die Experten näherungsweise über eine Praxiserfahrung von zehn Jahren verfügen müssen.

Für die Interviews konnten vier Expertinnen und Experten gewonnen werden. Die Kon- taktaufnahme zu den potenziellen Teilnehmern erfolgte in zwei Richtungen, und zwar mittels eines Call for Experts. Dieser ist als Anlage 4 „Call for Experts“ der Arbeit bei- gefügt. Zum einen wurden Beratungssozietäten direkt per E-Mail angeschrieben. Zum anderen erfolgte die Kontaktaufnahme über mehrere Gruppen der Internetplattform Xing, eines sozialen Netzwerks für berufliche Kontakte: „Systemisches Denken“, „Sys- temische Organisationsberatung“, „Ideen- und Innovationsmanagement“, „GWS- Netzwerk für Systemische Organisations- und Personalentwicklung“ sowie „Intuition und Nichtwissen in Unternehmen“. Bei der Auswahl der Gruppen wurde inhaltlich auf einen systemischen Arbeitsschwerpunkt geachtet. Der Call for Experts diente als Orien- tierungshilfe, um den potenziellen Experten einen ersten Eindruck vom Thema und von der Erhebungsmethode zu verschaffen und ihr Interesse und ihre Motivation zu wecken.

3.1.2 Datenerhebung mittels Fragebogen

Aus dem Call for Papers wurde der Fragebogen entwickelt. Der Fragebogen ist Aus- druck eines explorativen Vorgehens und bildet die Grundlage für die Auswertung, wel- che die Situation eines qualitativen Interviews nachempfinden sollen. Ziel dessen ist es, ein noch weitgehend unbekanntes Wissensgebiet zu erkunden, um eine Orientierung für das betreffende Feld zu bekommen, welches im Anschluss systematischer und hypothe- sengeleiteter erforscht werden kann. Die Auswertung stützte sich deshalb auf die feld- spezifischen Fachtermini und klärt ihren systematischen Zusammenhang.92 Bei der Ana- lyse der Haltung des Nichtwissens im OBP handelt es sich um ein noch weitgehend nicht explizit erkundetes Wissensgebiet, da zu diesem Thema bis auf die Untersuchun- gen von Dorniok und Mohe (2008) keine weiteren einschlägigen Untersuchungen be- kannt sind. „Wenn Untersuchungsteilnehmer schriftlich vorgelegte Fragen (Fragebögen) selbständig schriftlich beantworten, spricht man von einer schriftlichen Befragung“, definieren Bortz und Döring93. Dieses Vorgehen resultiert aus der Teilnehmerstruktur:

Die Experten waren zu weit weg, um mit ihnen persönliche Interviews durchführen zu können. Um die Experten hinlänglich für den Untersuchungsgegenstand zu interessieren, wurden im Vorfeld der schriftlichen Befragung telefonische Vorgespräche geführt. Ziel der Vorgespräche war es, einen einführenden Dialog zum Aufbau des Fragebogens und zum Ablauf der Untersuchung mit den Experten zu führen, um auf Nachfragen eingehen zu können, damit keine Verständnisprobleme entstehen. Zudem können damit Stim- mungslagen und Einstellungen erfasst werden, was in schriftlichen Befragungen nur schwer möglich ist. Anhand des telefonischen Kontaktes kann erfahrungsgemäß damit gerechnet werden, dass sich die Teilnehmer anhand der ihnen zugänglichen Vorinfor- mationen zwischenzeitlich einschlägige Gedanken gemacht haben und sie über entspre- chendes Vorwissen verfügen.94 Aus diesem Grund erhielten die Teilnehmer den Frage- bogen im Vorfeld des Gesprächs per E-Mail, um ihn innerhalb von zwei Wochen nach dem Telefonat zu beantworten.

Eine prozessuale Darstellung des erläuterten Vorgehens ist zusätzlich in Anlage 3 „Auswertungsprozess der Fragebögen“ der Arbeit beigefügt.

Auf der Basis des vorausgesetzten Vorwissens der Experten zum systemischen Bera- tungsansatz und der Systemtheorie wurde der Fragebogen inhaltlich konzipiert. Aus diesem Grund sind die Fragen hypothesenartig formuliert, indem sie bestimmte Zu- sammenhänge enthalten, die im Sinn eines „Entdeckungszusammenhangs“95 überprüft werden sollen. Schwerpunktmäßig zielen die Fragen darauf ab, Antworten der Experten zu deren Arbeitsschwerpunkten zu erhalten. Durch die besondere Formulierung der Fragen soll eine grundlegende thematische Auseinandersetzung zur Haltung des Nicht- wissens im OBP exploriert werden, die im Wesentlichen auf die Beobachtungen und Erfahrungen der Experten in der Beratungspraxis zurückgehen. Denn ohne eine thema- tische Auseinandersetzung ist es nicht möglich, ein Erkenntnisinteresse zu erzeugen, um das Formulieren von Hypothesen und Theorien vorzubereiten. Deshalb basieren die Fragen im Fragebogen auf theoretischen Kriterien, die einen gedanklichen Rahmen dar- stellen, damit die Untersuchungsteilnehmer zu den Fragen ihre Erfahrungen reflektieren können.96 Der Fragebogen besteht aus zwei Teilen mit insgesamt zehn Fragen. Die Struktur der Fragen gliedert sich wiederum in drei Teile97: Einstiegsfragen und Inter- vieweröffnung (Teil 1), Hauptteil mit Frageblöcken zu Themen und Unterthemen (Teil 2) sowie Abschluss und Dank (Teil 3). Ausgehend von Fragen zur Expertenrolle mit persönlichen Angaben enthält der Fragebogen Fragestellungen zum Begriff des Nicht- wissens, zum Verhältnis des Begriffs Wissen, um die begrifflichen Zusammenhänge zu analysieren, zur Haltung des Nichtwissens, zur Ermöglichungs-, Orientierungs-, Stabili- sierungs- und Sensibilisierungsfunktion sowie zum Nichtwissen als Ressource und zur Botschaft des Nichtwissens an das KS. Die Fragen sind standardisiert, jedoch überwie- gend offen formuliert, um durch offene Antworten eine gewisse Befragungstiefe errei- chen zu können, damit sich Zusammenhänge besser erkennen lassen. Zusätzlich wurden Hybridfragen gewählt, eine Kombination von offenen und geschlossenen Antwortvor- gaben.98 Beispielsweise wird nach der Entscheidung für eine Antwort nach der Begrün- dung dafür gefragt, z. B.: „Bewerten Sie jede Funktion. Begründen Sie ihre Bewertung anhand Ihrer Erfahrungen aus der Beratungspraxis und Ihren Arbeitsschwerpunkten.“ In Anlage 5 „Schriftlicher Fragebogen mit Hinweisen“ kann dieser nachgelesen werden.

3.1.3 Auswertungsprozess

Die Auswertung der Fragebögen beruht auf dem Prinzip der qualitativen Analyse. Im Zentrum der qualitativen Analyse steht die interpretative und analytische Textarbeit mit Kategorien. Dieser Analyseansatz geht auf den Ansatz der Grounded Theory von Strauss, Glaser und Corbin zurück.99 Der Systematisierungsprozess unterliegt aber kei- nem streng fixierten Ablauf, da Annahmen über Zusammenhänge, Unterschiede und Veränderungen zu ausgewählten Merkmalen erst generiert werden sollen. Die Auswer- tung orientiert sich am Vorgehen des thematischen Codierens anhand eines Kategorien- systems, um die Forschungshypothese zu präzisieren und zu operationalisieren. Ausge- hend von der Einzelanalyse der Interviews erfolgt die Reduktion des Materials durch die Fixierung eines Kategoriensystems. Dabei wird aus Gemeinsamkeiten und Regelmäßig- keiten der Interviews eine typisierende Generalisierung erarbeitet. Parallel finden Kon- trollphasen statt. Hier werden die erarbeiteten Ergebnisse regelmäßig reflektiert.

Das Kategoriensystem wird im gesamten Prozess ausdifferenziert und präzisiert. Kate- gorien besitzen dabei bestimmte Eigenschaften und Merkmale.100 Analytische Katego- rien werden benutzt, um bestimmte Phänomene im Text zu identifizieren, die sich dann auch im Auswertungsprozess wiederfinden.101 Das Kategoriensystem basiert auf den ermittelten Voraussetzungen und Funktionen der Haltung des Nichtwissens des BS.

Das Codieren ist der wichtigste Arbeitsschritt im Auswertungsprozess. Der Codierpro- zess erfolgt durch offenes, axiales und selektives Codieren. Wegweisende, auffällige und bewertende Codes dienen als übergeordnetes Analysegerüst.102 Wegweisende und auffällige Codes geben bestimmte inhaltliche Hinweise zu einem Thema im Text. Be- wertende Codes sind komplex, und ihr Maßstab ist an den jeweiligen Experten gebun- den. Codes identifizieren semantisch ein Textsegment als Indikator für das Vorliegen einer bestimmten Kategorie eines Kategoriensystems. Der Codierprozess gleicht der initiierenden Textarbeit. Dort werden zentrale Begriffe markiert, unverständliche Passa- gen und schwierige Stellen gekennzeichnet. Die Argumentationslinie wird betrachtet, ebenso die formale Struktur des Textes, z. B. die Länge der Antworten oder die inhaltli- che Struktur wie Absätze und Formatierungen.

Das offene Codieren leitet den Auswertungsprozess ein. Beim offenen Codieren werden Eigenschaften aus den Antworten identifiziert und dimensioniert. Das sogenannte In- vivo-Codieren erlaubt es, einen Ausdruck des Befragten, der als besonders charakteris- tisch erscheint, als neuen Code zu definieren. Die zugehörige Textstelle wird sodann mit diesem Code codiert. Beim anschließenden axialen Codieren werden die Textstellen neu zusammengefasst. Dieser Prozessschritt basiert auf Code-Paradigmen. Kuckartz erläu- tert diese wie folgt: „Code-Paradigmen setzen sich aus der Bedingung, dem Kontext, der Handlungs- und Interaktionsstrategie und Konsequenzen zusammen.“103 Bei diesem Analyseschritt werden Überschneidungen und Überlappungen von Codes und deren strukturelle Einbettung ausgewertet.

Im Rahmen des abschließenden selektiven Codierens werden die Textstellen erneut sor- tiert und auf Redundanzen und Widersprüche überprüft.104 Dabei geht es um die Be- stimmung der Kernkategorien durch das Erkennen von Mustern und Routinen in den Antworten. Die gesamte interpretative Arbeit wird in diesem Prozessschritt verdichtet. Der gesamte Analyseprozess einschließlich des Codierens erfolgt mit Hilfe der compu- tergestützten Analyse qualitativer Daten. Hierzu wird die Software „MaXQDA11“ ein- gesetzt. Mit Hilfe von MAXQDA11 wurde die intendierte Textarbeit durchgeführt. An dieser Stelle werden zur Analyse der Zusammenhänge die Funktionen „Summary“ und „Grid-Tabellen“ eingesetzt. Bei diesem Auswertungsverfahren werden die vorhandenen codierten Textsegmente für eine oder mehrere Kategorien ausgewählt, zusammen- und gegenübergestellt sowie miteinander verknüpft.105 Zusätzlich wird im Analyseprozess mit der Memofunktion von MAXQDA11 gearbeitet, um Ideen, Hypothesen und Theorien festzuhalten. Die Memos werden genutzt, um die Ergebnisse und Eigenschaften von Codes zu dokumentieren bzw. um theoretische Zusammenfassungen zu den einzelnen Codes zu erstellen. Als Ergebnis des vollständigen Codierprozesses liegt das für diese Untersuchung gültige Kategoriensystem vor.

3.2 Ergebnisdarstellung

3.2.1 Vorstellung der Expertinnen und Experten

Anhand der Arbeitsschwerpunkte, der Erfahrungen in der Beratungspraxis, des Beraterstatus und der fachlichen Ausbildung werden die Experten und ihre Funktionen in dieser Untersuchung vorgestellt. Dazu dient die nachfolgende tabellarische Übersicht:

[...]


1 Niemeyer (2010, S. 24).

2 Vgl. Schein (2010, S. 30).

3 Niemeyer (2010, S. 24).

4 Schmid; Hipp (2003, S. 3).

5 Schildberg (2005, S. 133).

6 Vgl. Schein (2010, S. 23).

7 Vgl. ebd. (S. 39).

8 Königswieser; Hillebrand (2013, S. 36).

9 Duden, Das Synonymwörterbuch, (S. 464).

10 Königswieser; Hillebrand (2013, S. 40).

11 Königswieser; Hillebrand (2013, S. 40).

12 Ebd.

13 Ebd. (S. 41).

14 Smithson (1998, S. VII).

15 Wehling (2001, S. 472).

16 Stehr (23.04.2013)

17 Smithson (1985, S. 169), zitiert nach Wehling (2006, S. 23).

18 Luhmann (1992b, S. 154), zitiert nach Wehling (2006, S. 188).

19 Vgl. Luhmann (1995 b, S. 177), zitiert nach Wehling (2006, S. 188).

20 Vgl. Wehling (2006, S. 36f.).

21 Ebd. ( S. 23).

22 Großmann et al. (2015, S. 30).

23 Duden Online (2015).

24 Vgl. Schneider (2006, S. 79).

25 Vgl. ebd.

26 Vgl. Haupt (2009, S. 520).

27 Ebd.

28 Gigerenzer (2007), Bestandteil des Titels („Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition“).

29 Vgl. Haupt (2009, S. 520).

30 Schmid (1992, S.3).

31 Vgl. Stehr (2013, S. 174).

32 Wehling (2006, S.98).

33 Ravetz (1990, S. 217), zitiert nach Wehling (2006, S.100).

34 Vgl. Wehling (2006, S.101).

35 Ebd.

36 Ebd.

37 Ebd. ( S.102).

38 Vgl. dejure.org (§3 BauGB).

39 Königswieser; Hillebrand (2013, S. 44).

40 Grossmann et al. (2015, S. 44).

41 Faber; Proops (1993, S. 116 f.) bzw. Beck (1996b, S. 302), zitiert nach Wehling (2006, S. 132).

42 Wehling (2006, S. 119).

43 Vgl. ebd. (S. 118).

44 Wehling (2006, S. 118).

45 Vgl. ebd. (S. 208).

46 Zeuch (2007, S. 102).

47 Brodbeck (2007, S. 53.)

48 Brodbeck (2007, S. 103).

49 Ebd. (S. 53).

50 Ebd. (S. 54).

51 Vgl. Brodbeck (2007, S.132).

52 Zeuch (2007, S. 14).

53 Brodbeck (2007, S. 33).

54 Brodbeck (2007, S. 30).

55 Vgl. ebd. (S. 48).

56 Vgl. ebd. (S. 49).

57 Vgl. ebd.

58 Ebd. (S. 48).

59 Vgl. Brodbeck (2007, S. 48).

60 Vgl. Grossmann et al. (2015, S. 96).

61 Vgl. a. a. O (S. 59).

62 Käufer; Scharmer (2007, S. 207).

63 Vgl. Grossmann et al. (2015, S. 45).

64 Dorniok; Mohe (2011, S. 107).

65 Vgl. Böhle; Busch (2012, S. 17).

66 Vgl. Dorniok; Mohe (2011, S. 107).

67 Vgl. ebd.

68 Vgl. ebd. (S. 106).

69 Geiser (2000, o. S.)

70 Vgl. Königswieser; Hillebrand (2013, S. 39).

71 Ebd. (S. 86 f.).

72 Vgl. Nörenberg (2007, S. 89).

73 Ebd.

74 Vgl. Stadelbacher (2012, S. 126f).

75 Vgl. Naughton (2015, S. 71).

76 Ebd. (S. 73).

77 Vgl. ebd.

78 Lindner (2004, o. S.).

79 Vgl. Kleve (2011, S. 353).

80 Geiser (2000, o. S).

81 Vgl. ebd.

82 Vgl. Königswieser; Hillebrand (2013, S. 91).

83 Vgl. Schildberg (2005, S. 90).

84 Vgl. Schildberg (2005, S. 90).

85 Vgl. ebd.

86 Vgl. Frietsch; Rogge (2013, S. 146).

87 Mieg; Näf (2005, S. 7).

88 Ebd.

89 Ebd.

90 Ebd.

91 Mieg; Näf (2005, S. 6).

92 Vgl. ebd. (S. 23).

93 Bortz; Döring (2007, S. 253).

94 Honer (1994, S. 634).

95 Bortz; Döring (2007, S. 353)

96 Krizanits (2013, S. 117.)

97 Mieg; Näf. (2005, S. 14 f.).

98 Schnell; Hill et al. (2008, S. 340).

99 Kuckartz (2010, S. 72).

100 Vgl. ebd. (S. 74).

101 Kuckartz (2010, S. 58).

102 Ebd. (S. 61).

103 Ebd. (S. 76).

104 Ebd.

105 Vgl. Kuckartz (2010, S. 110 f.).

Ende der Leseprobe aus 144 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Nichtwissens in der Beratungspraxis von Problemlösungsprozessen in Organisationen
Hochschule
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
Veranstaltung
Organisationsentwicklung
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
144
Katalognummer
V315382
ISBN (eBook)
9783668141223
ISBN (Buch)
9783668141230
Dateigröße
2058 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Organisation, Organisationsentwicklung, Systemische Beratung, Nichtwissen, Beratungskompetenzen, Problemlössungsprozesse, qualitative Forschung, Experteninterviews, Beratung
Arbeit zitieren
Vanessa Burgardt (Autor:in), 2015, Die Rolle des Nichtwissens in der Beratungspraxis von Problemlösungsprozessen in Organisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315382

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