Ernährungsphysiologisches und medizinisches Potenzial von Bienenprodukten

Honig, Gelée Royale, Propolis, Pollen der westlichen Honigbiene Apis Mellifera L. und ihre spezifischen Wirkstoffe


Bachelorarbeit, 2014

117 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Teil 1 : Grundlagen

1 Einleitung und gesellschaftliche Relevanz

2 Methode

3 Kurze Entwicklungsgeschichte der Biene

4 Biologie der Honigbiene Apis Mellifera L.
4.1 Zoologische Einordnung der Honigbiene Apis Mellifera L.
4.2 Aufbau des Bienenkörpers und Sinnesorgane
4.2.1 Kopf
4.2.2 Brust
4.2.3 Hinterleib
4.3 Organisation und Aufgaben des Bienenvolks
4.4 Lebensdauer und Vermehrung
4.5 Reproduktive Arbeitsteilung und Nahrungsgrundlage der Bienen
4.6 Kommunikation durch Pheromone und Tanzsprache
4.6.1 Pheromone
4.6.1.1 Nassanoff`sche Drüse
4.6.1.2 Alarmpheromone
4.6.1.3 Königinnenpheromon
4.6.2 Tanzsprache
4.7 Bienengehirn und Orientierung in der Landschaft
4.7.1 Das Gehirn der Bienen und ihre Gedächnisleistung
4.7.2 Orientierung in der Landschaft durch das visuelle und olfaktorische System
4.8 Nutzen der Bienen
4.8.1 Ökologischer und ökonomischer Wert der Honigbienen
4.8.2 Honigverzehr in Deutschland
4.9 Bienensterben
4.9.1 Varroose
4.9.2 Flügeldeformationsvirus und Akuter Bienen-Paralyse-Virus
4.9.3 Überalterte Königinnen
4.9.4 Pflanzenschutzmittel
4.9.5 Nahrungsmangel

Teil 2 : Produkte des Bienenvolks

Einführung in die Welt der Bienenprodukte und kurzer Exkurs in die Apitherapie

1 Honig
1.1 Honigsorten
1.2 Gewinnung, Verarbeitung und Anwendungsformen
1.3 Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und der Ernährungsbedarf
1.4 Ernährungsphysiologischer und medizinischer Nutzen für den Mensch
1.5 Nutzen für das Bienenvolk
1.6 Fazit

2 Gelée Royale
2.1 Gewinnung, Verarbeitung und Anwendung
2.2 Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und Ernährungsbedarf
2.3 Ernährungsphysiologischer und medizinischer Nutzen für den Mensch
2.4 Nutzen für das Bienenvolk
2.5 Fazit

3 Propolis
3.1 Gewinnung, Verarbeitung und Anwendung
3.2 Zusammensetzung der Inhaltsstoffe
3.3 Ernährungsphysiologischer und medizinischer Nutzen für den Mensch
3.4 Nutzen für das Bienenvolk
3.5 Fazit

4 Pollen
4.1 Gewinnung, Verarbeitung und Anwendung
4.2 Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und Ernährungsbedarf
4.3 Ernährungsphysiologischer und medizinischer Nutzen für den Mensch
4.4 Nutzen für das Bienenvolk
4.5 Fazit

5 Zusammenfassung

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis
7.1 Bücher und Fachzeitschriften
7.2 Internetquellen
7.3 Abbildungsverzeichnis
7.4 Tabellenverzeichnis

8 Anhang

Übersicht über die Wirkungsweisen der Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente

Abstract

Zielsetzung der vorliegenden Bachelorarbeit ist es, auf der Basis eines grundlegenden Verständnisses der Honigbiene Apis mellifera L. ein tieferes Wissen über ihre Produkte und deren potenzielle Wirkungen als funktionelles Lebensmittel und Heilmittel zu erarbeiten. Im Ersten von zwei Teilen fokussiere ich mich auf die biologischen Grundlagen, die erklären, wie das einzelne Insekt als solches und der Bienenstaat im Sinne eines „Superorganismus“ aufgebaut sind und funktionieren. Zudem setzte ich mich mit dem ökologischen und ökonomischen Wert der von Bienen erbrachten Arbeitsleistung, sowie mit den Faktoren, die zum Bienensterben führen aus- einander.

Im zweiten Teil geht es um die Bienenprodukte Honig, Gelée Royale, Propolis und Pollen. Dargelegt werden die Entstehung der Produkte, ihre grundlegenden und spezifischen Inhaltstoffe, ihre Verarbeitung sowie mögliche Anwendungsformen. Auf die Auseinandersetzung mit ihrem ernährungsphysiologischen wie medizinischen Nutzen folgt die Beschäftigung mit dem Nutzen der Bienenprodukte für das Volk selbst und ein abschließendes Fazit.

Zentrale Fragen meiner Forschung waren: Welche potenziellen Nutzungsmöglichkeiten bieten die Produkte der Biene dem Menschen im ernährungsphysiologischen und medizinischen Kontext? Welche möglichen Anwendungsformen dienen der sinnvollen Nahrungsergänzung oder als natürliches Heilmittel? Haben wir ihre Potenziale bereits erkannt oder gar ausgeschöpft - oder sind sie vielleicht eine unbedenkliche und dabei möglicherweise unterschätzte Alternative zu schulmedizinischen Arzneimitteln? Und: Schlummern auch Gefahren in ihnen für unsere Gesundheit? Um die Kenntnisse über die einzelnen Produkte der Honigbiene in ein breites Grundwissen über die sowohl biologischen, als auch ökologischen und ökonomischen Produktionsbedingungen einzubetten, recherchierte ich umfassend in Hochschul- und Landesbibliotheken und im Internet. Zudem absolvierte ich einen praktischen Einführungskurs bei einer Nebenerwerbsimkerin.

Als zentrales Ergebnis lässt sich festhalten, dass aus ernährungsphysiologischer Sicht unter den Bienenprodukten vor allem der Honig als hochwertiges, natürliches Nahrungsmittel heraussticht. Zudem hat sich gezeigt, dass Bienenpollen eine wertvolle Möglichkeit zur Nahrungsergänzung bzw. ein Zusatzmittel für die tägliche Ernährung ist, insbesondere für Vegetarier und Sportler. Aus medizinischer Sicht betrachtet haben alle Bienenprodukte eine generell gesundheitsfördernde Wirkung und bieten zum Teil erhebliche Möglichkeiten und Potenziale der Linderung und Heilung im naturheilkundlichen wie medizinischen Bereich.

The objective of this Bachelor Thesis is to generate a comprehensive knowledge of the bee products and their potential effects as functional food and remedy based on a consolidated understanding of the honey bee Apis mellifera L.The Thesis is divided in two sections. In the first section, the focus is on the biological principles demonstrating how both, the single insect in itself as well as the whole bee colony as a „super-organism“, are composed and are functioning.Besides, the Thesis addresses the ecological and economic value of the honey bees’ performance as well as the factors causing bee mortality

The second section is about the bee products honey, royal jelly, propolis and pollen. The origin of the products, their basic and specific ingredients, their processing as well as possible applications are presented. After having considered the nutritional and medical benefit, the benefit of the bee products for the bee community itself follows, complemented by a final conclusion. Core questions of the Bachelor Thesis are: Which potential opportunities for use offer bee products to human beings with reference to the nutritional and medical context? Which possible applications serve as reasonable food supplements or even as a natural remedy? Have we already recognised their whole potential, if not exploited it? Can they safely be used - possibly as an underestimated alternative to orthodox Western medicine? And: Is there a latent intrinsic hazard for human health? In order to combine the knowledge on the single bee products with a comprehensive basic knowledge on the biological, ecological and economic production conditions, I solidly researched in university and state libraries as well as in the Web. Additionally, I followed a practical training at a part-time bee-keeper’s.

As a main result, on a nutritional point of view, especially honey among all bee products is standing out as a high-quality natural foodstuff. Pollen offers a valuable opportunity as a food supplement, respectively as a supplement to the normal daily diet, especially for vegetarians and sportsmen. From a medical perspective, all bee products have health-enhancing properties, partly bearing the potential of recovery and healing regarding both, naturopathic and conventional medicine.

Erläuterungen

- Literaturhinweise sind unter Aufführung von maximal den beiden erstgenannten Autoren und des Erscheinungsjahres in Klammern angegeben und im Literaturverzeichnis Bücher, Pdf oder Internetverzeichnis vollständig hinterlegt.
- Gesetzlich geschützte eingetragene Warenzeichen sind im Text durch den Zusatz „®“ gekennzeichnet.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung und gesellschaftliche Relevanz

Die westliche Honigbiene (Apis Mellifera Linnaeus) fasziniert den Menschen, seit es geschriebene Geschichte gibt und vermutlich schon sehr viel länger. Wer schon einmal einem Imker bei seiner ruhigen und bedachten Arbeit zugesehen hat, versteht die große Faszination des geordneten Zusammenlebens tausender von Bienen in einem Volk und des eindrucksvoll regelmäßigen geometrischen Musters ihrer Waben. Zudem erfahren sie Wertschätzung als Lieferanten von Produkten wie Honig, Pollen und Propolis sowie Gelée Royale, Bienengift und Wachs. Ähnlich wie im Ernährungsbereich ist auch im medizinisch heilenden Bereich eine gesellschaftliche Rückbesinnung auf die Natur zu verzeichnen. Bienenprodukte erleben in den letzten Jahren eine Renaissance, auch bei uns in Deutschland. Dabei kommt ihrer Anwendung bei der Apitherapie als naturheilkundlich tradiertem Verfahren der Heilung und Linderung von Beschwerden eine große Rolle zu. Die Nutzung von Bienenprodukten, vor allem zu medizinischen Zwecken, ist bereits aus der Antike bekannt (ÖGA, 2014). So wird etwa der Einsatz von Apitherapie in alten Schriften (Papyrusrollen) anschaulich erklärt. Bereits vor über 2500 Jahren verwendete Hippokrates Honig, Propolis und das Gift der Bienen zu therapeutischen Zwecken (Ruttner, 2003). Die Apitherapie gilt als ein anerkanntes und erprobtes Heilverfahren in fast allen alten Kulturen. Heute ist es besonders in Asien, in Süd- und Mittelamerika und in den Staaten des ehemaligen "Ostblocks" als anerkannter Zweig der Medizin weit verbreitet (ÖGA, 2014).

Bestäuber wie die Honigbiene gehören zu den wichtigsten Tiergattungen überhaupt. Durch Bestäubung werden Pflanzen befruchtet, können sich fortpflanzen und liefern uns Früchte, Samen und Blätter, die Teil unserer Ernährung sind. Darüber hinaus ermöglicht Bestäubung das Gedeihen eines Großteils der Flora in unserer natürlichen Umwelt, in unseren Gärten, Wiesen und Parks. Zudem sorgt die Bestäubung für blühende Felder und üppige Obst- und Gemüsekulturen. Dem Menschen dient die Biene nach Tautz (2007) nicht nur als eifriger Mitarbeiter in der Landwirtschaft, sondern auch als Indikator für den Zustand unserer Umwelt und als Zeuge für ein intaktes Zusammenleben von Mensch und Natur. Nach dem Kinoerfolg des Dokumentarfilms „More than Honey“ von Markus Imhoof sowie Gesetzen, wie beispielsweise dem EU-weiten Verbot von drei Neonicotinoiden (EFSA, 2013) in der Landwirtschaft im Frühjahr 2013, ist das Thema Bienensterben in unserer Gesellschaft angekommen. Dennoch ist den meisten Menschen nicht bewusst, wie brisant die Problematik ist, und was die Ursachen für das Verschwinden der Honigbienen sind.

Ich möchte deshalb mit dieser Bachelorarbeit zum Verständnis der geheimnisvollen Welt der Bienen beitragen und etwas von der Faszination vermitteln, die von den Honigbienen ausgeht.

Vielleicht überrascht zunächst der rein quantitative Umfang der Auseinandersetzung mit der Biologie unserer heimischen Honigbiene (s. Kapitel 4), und doch ist es wesentlich, in diesem Teil der Arbeit etwas Entscheidendes zu verdeutlichen: Thema kann nicht nur die Auseinandersetzung mit den Produkten eines unbedeutendes Insektes sein - vielmehr geht es um den ungeheuer komplex funktioniereden Gesamtorganismus. Erst durch die auf vielen verschiedenen Ebenen zugleich stattfindende Organisation und Kommunikation der einzelnen Teile dieses „Superorganismus Bienenstaat“ (Reeve & Hölldobler, 2007) können die Produkte entstehen, die uns Menschen ernährungsphysiologisch und medizinisch seit Jahrtausenden begleiten und zum Teil von hohem Nutzen sind - und hier näher untersucht werden sollen.

Die Arbeit soll aktuelle wissenschaftliche Einsichten mit bekanntem Wissen verknüpfen und eine Übersicht über den heutigen Forschungsstand zu Bienenprodukten, ihr bislang wissenschaftlich belegtes ernährungsphysiologisches Potenzial sowie den Nutzen in der Medizin und Apitherapie aufzeigen. Ergänzt wird die wissenschaftliche Aufarbeitung um Tabellen, Grafiken und Abbildungen-zur Veranschaulichung, besseren Übersicht und leichteren Verständlichkeit.

2. Methodik

Für die Recherche der Primär- und Sekundärliteratur nutzte ich Bibliotheken und das Internet, z.B. die Hochschulbibliothek Fulda, die Universitätsbibliothek und die Landesbibliothek Potsdam sowie die Zeitschriftenbibliothek und die Fernleihe der Universität Potsdam. Die Online-Datenbank http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed durchsuchte ich nach den Stichworten „Honeybees“ und „Bee products“. Durch Folgeartikel und Links wurde die Recherche vertieft. Zudem durchsuchte ich die Datenbanken von www.agroscope.ch, www.laves.de, www.unihohenheim.de, www.beegroup.de, www.deutscherimkerbund.de, www.bmel.de, www.nature.com und weitere nach ähnlichen Kriterien und Stichworten. Zur weiteren Quellensuche diente eine Internetrecherche mit Hilfe der Suchmaschine www.google.de. Dazu wurden einzelne Stichworte in die Suchmaschine eingegeben und so hilfreiche Diplom- und Doktorarbeiten zum bearbeiteten Thema ermittelt sowie Auszüge aus Büchern und Artikel aus verschiedenen Fachzeitschriften, z.B. „Bienen-Journal “, „Ärzte Zeitung“, „American Bee Journal“ oder „The Journal of Experimental Biology“. Als weitere Grundlagen dienten die Bücher renommierter deutscher Bienenexperten: „Phänomen Honigbiene“ von Dr. Jürgen Tautz, „Naturgeschichte der Honigbiene“ von Friedrich Ruttner, „Honigbienen: Im Mikrokosmos des Bienenstocks“ von Thomas D. Seeley, „Bienen Mitteleuropas“ von Felix Amiet und Albert Krebs sowie weitere wissenschaftlichen Veröffentlichungen wie z.B. von Dr. Werner von der Ohe vom Bieneninstitut Celle oder auch von Stefan Bogdanov, dem Präsident des schweizerischen Zentrums für Bienenforschung. Zudem habe ich neben meiner theoretischen Literaturrecherche auch einen praktischen Einführungskurs über mehrere Wochenenden bei der Imkerin Ilga Vis absolviert, um empirisch einen direkten Einblick in die Welt der Bienen zu gewinnen.

3. Kurze Entwicklungsgeschichte der Biene

Die Bienen (Apidae) haben sich nach Amiet & Krebs (2012) vermutlich im Zeitabschnitt der Kreidezeit vor ca. hundert Millionen Jahren aus Grabwespen-ähnlichen Vorfahren (Bembex) entwickelt. Mit dem Aufgeben ihrer räuberischen Lebensweise, bei der sie noch ihren Eiweiß- und Fettbedarf aus Beutetieren und ihren Kohlenhydratbedarf aus austretenden Pflanzensäften bezogen, und dem Übergang hin zu reiner Blütennahrung lösten sie eine sprunghafte Beschleunigung der Artenbildung bei den Blütenpflanzen aus. Sie deckten jetzt ihren Bedarf an Eiweiß, Fett und Kohlehydraten, indem sie ihn aus den Blütenpollen entnahmen oder ihn in Form von Zuckersaft aus den Nektarien der Pflanzen aufnahmen (Amiet & Krebs, 2012; Reiter, 2006). Mit der höheren Artenvielfalt der Blütenpflanzen ging wiederum eine Artenaufsplitterung bei den Bienen einher. Das Resultat sind ca. 250.000 verschiedene Blütenpflanzen, von denen ein großer Teil von Bienen bestäubt wird. Schätzungsweise 20.000 Bienenarten leben derzeit auf unserer Erde. Allein in Europa sind weit über 1.000 Bienenarten nachgewiesen, von denen in Deutschland rund 560 Arten in unseren Ökosystemen und Landschaften heimisch sind (BLMV, 2014). Diesen hohen Artenzahlen entspricht eine enorme Vielfalt der Bienen in Gestalt und Aussehen. Es gibt schwarz-, braun- und rotgefärbte, gelb-schwarz-gebänderte, weißgefleckte sowie blau- und grünschimmernde Bienen. Zudem existieren sowohl stark pelzige als auch komplett unbehaarte Arten. Große Unterschiede gibt es bezüglich ihrer Lebensweise, beispielsweise hinsichtlich differierender Lebensräume, ihres Nestbaus und ihrer Pollenquellen. Jede Bienenart hat ihre eigenen charakteristischen Eigenschaften (Amiet & Krebs, 2012). Alle anderen Vertreter der Bienen, wie z.B. Blattschneider-, Holz-, Pelz-, Mauer-, Sand- und Wespenbienen sowie Hummeln (Bombus) werden häufig unter dem Begriff Wildbienen zusammengefasst. Diese Aufzählung ist unvollständig, umfasst aber die meisten in Deutschland lebenden Gruppen. Sie entspricht keiner biologischen Klassifizierung (Honigmacher, 2014; Ruttner, 2003).

Der Mensch steht seit seiner altsteinzeitlichen (Paläolithikum) Entwicklungsstufe kontinuierlich in Beziehung zu den Honigbienen. Im frühen Kulturstadium war er allerdings lediglich „Nutznießer aus den Plünderungen der Honigreserven wilder Honigbienen“, so Reiter (2006). Vermutlich ab der Jungsteinzeit (Neolithikum), dem Zeitpunkt der Sesshaftigkeit, und vom Beginn des Landbaues an hat der Mensch begonnen, Honigbienen zu kultivieren. Er ging mit ihnen eine Symbiose ein, die dem Menschen höhere landwirtschaftliche Erträge und den Bienen Monokulturen und saisonale Häufungen blühender Pflanzen gebracht hat. Zudem wurde die Biene vom Mensch als Lieferantin wertvoller Naturstoffe geschätzt. Honig war der einzige Süßstoff und Bienenwachs war unentbehrlich, unter anderem zur Herstellung von Kerzen. Davon zeugen nach Ruttner (2003) schon steinzeitliche Felsenbilder, die nicht nur „eine frühe Bienennutzung darstellen, sondern auch Ausdruck einer mythologischen Beziehung des Menschen zu seiner Jagdbeute sind“, schreibt Ruttner (2003, S.16). Sicher ist, dass seit dem Alten Ägypten (ca. 2400 v. Chr.) der Mensch den Honigbienen eigene Unterkünfte in Form von horizontal gelagerten Röhren herstellte, wie sie auch heute noch Verwendung finden, und sie so in seinem Umfeld züchtete und selektierte (Reiter, 2006; Ruttner, 2003). Nach Nord- und Mitteleuropa wanderte die Honigbiene nach dem Ende der letzten Kaltzeit im Alpenraum (Würm - Kaltzeit 70.000 v.h. bis 10.000 v.h.) und dem darauffolgenden Anstieg der Temperaturen ein. Sie besiedelte die ausgedehnten Wälder und nutzte Höhlen in den Bäumen als Schutz für ihren Wabenbau. Heutzutage wird die westliche Honigbiene in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebietes von Hobby- und Berufsimkern gehalten und gezüchtet. Das Leben der domestizierten Honigbiene unterscheidet sich deutlich von dem der Wildbienen, die einst die Landschaften Europas besiedelten. Die Praktiken der Bienenzucht haben sich auf die genetische Vielfalt der Honigbiene, auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, ihre Aggressivität und ihren Status als Wildtierart ausgewirkt (Künast et al., 2014). Zur Diskussion steht, ob es in Mitteleuropa überhaupt noch echte Wildbienengattungen gibt. Möglicherweise sind sie in freier Wildbahn ausgestorben. Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei den nicht von Imkern gehaltenen Bienenvölkern in Wahrheit um verwilderte Exemplare handelt, das heißt um Ableger von ehemals domestizierten Bienenvölkern, und nicht um wirklich wilde Exemplare (Künast et al. 2014; BMEL, 2014a; Amiet & Krebs, 2012). Denn wilde Honigbienenvölker sind auf eine lückenlose und reichhaltige Pflanzennahrung (Trachten) vom Frühjahr bis in den Spätsommer angewiesen, damit sie genügend Vorräte für den Winter anlegen können. Zudem brauchen sie große und geräumige Nistmöglichkeiten in der freien Natur. Beides ist nach BLMV (2014), Tautz (2007) und v. d. Ohe (2006a) aber mittlerweile sehr selten geworden. Deshalb kann die Honigbiene als wildlebendes Insekt in unseren Breitengraden als ausgestorben gelten. Eine weitere wichtige Ursache hierfür ist auch die Bedrohung durch die Varroa - Milbe. Ohne eine regelmäßige Behandlung des Imkers mit einer organischen Säure sterben die Honigbienenvölker innerhalb eines Jahres in jedem Fall durch die Varroa - Milbe, die jedes Volk befallen hat. Aus diesem Grund leistet die Imkerschaft mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität unserer heimischen Lebensräume und zur Nahrungserhaltung für die Tierwelt in Form von Samen und Früchten (BLMV, 2014; LAVES, 2012; aid, 2012).

4. Biologie der Honigbiene Apis Mellifera L.

Um zu begreifen, wie die Produkte der Bienen im einzelnen entstehen, die im zweiten Teil der Arbeit einer genaueren Analyse hinsichtlich ihres Nutzens für den Menschen unterzogen werden sollen, ist es zunächst nötig, das Insekt selbst genauer ins Auge zu fassen. Es fällt auf, dass es in all seinen Ausprägungen eine faszinierend funktionalen Körperbau aufweist, der nicht nur perfekt geeignet ist, enorme Leistungen hinsichtlich bspw. der Flugdauer oder der Tragekapazität zu erbringen, sondern auch vollständig darauf angelegt ist, dem Superorganismus Bienenstaat in seiner jeweiligen Funktion optimal zu dienen. Daher soll im Folgenden zunächst die Biologie unserer heimischen Honigbiene und im Anschluss die Organisation des Bienenstaates als solchem ausführlicher dargestellt werden.

4.1 Zoologische Einordnung der Honigbiene Apis Mellifera L.

Alle Bienen (Apidae) gehören zu den Aculeata, einer Untergruppierung der Hautflügler (Hymenoptera), die mit ca. 12.000 Arten die artenreichste Insektenordnung in Mitteleuropa ist. Die Hautflügler sind vor allem durch zwei häutige Flügelpaare und Mundwerkzeuge mit Kieferzangen und Zungen charakterisiert (Tautz, 2003; Hölldobler & Wilson, 2013). Sie werden in zwei Gruppen aufgeteilt: die Pflanzenwespen (Symphyta) und die Taillenwespen (Apocrita). Die Taillenwespen, die in Mitteleuropa mit über 11.000 Arten vertreten sind, werden ihrerseits wieder in zwei Gruppen gegliedert, die Legimmen (Terebrantes) und die Stechimmen (Aculeata), wozu auch die Bienen gehören. Charakteristisch ist, dass letztere ihren Eilegeapparat zu einem Giftstachel umgewandelt haben (Amiet & Krebs, 2012; LAVES, 2012).

Von den staatenbildenden Honigbienen (Gattung Apis) gibt es weltweit nur neun Arten, von denen acht in Asien beheimatet sind, z.B. die Riesen-Honigbiene (Apis dorsata) oder die indische Honigbiene (Apis cerana). In Europa lebt nur eine einzige Honigbienenart, die westliche Apis Mellifera L. Von ihr gibt es verschieden ausgebildete Unterarten (s. Abb. 1), die auch Rassen genannt werden und untereinander kreuzbar sind. Die Übersetzung des lateinischen Namens Apis Mellifera bedeutet die „Honig tragende Biene“. Der Name stammt aus dem Werk „Systema Naturae“ (1735 - 1768) des schwedischen Naturforschers und Taxonomen Carl Nilsson Linnaeus (späterer Adelstitel: Carl von Linné), dessen offizielles botanisches Autorenkürzel „L.“ lautete, und sich im Namen der westlichen bzw. europäischen Honigbiene Apis Mellifera Linnaeus (L.) wiederfindet. Im Gesamtverbreitungsgebiet von Apis Mellifera L. auf dem europäischen, afrikanischen und asiatischen Kontinent werden gegenwärtig 26 Unterarten unterschieden ( Tautz, 2007; Ruttner, 2003). Die dunkle europäische Biene Apis mellifera mellifera (Nigra) ist eine natürlich entstandene Rasse der westlichen Honigbiene. Sie ist in ganz Nordwest-, Mittel- und Nordosteuropa heimisch und hat ihr natürliches Verbreitungsgebiet in Europa, südlich bis zu den Pyrenäen und den Alpen, nördlich bis maximal zum 60. Breitengrad sowie östlich bis zum Ural (s. Abb. 2). Sie ist die einzige Unterart von Apis mellifera L., die so weit nach Norden vorgedrungen und durch verschiedene Eigenschaften gut an kältere Klimate angepasst ist (Ruttner, 2003). Allen Arten gemeinsam ist eine typische Nestanlage aus senkrechten Wachswaben, die beidseitig mit sechseckigen Zellen für Brut und Vorräte versehen sind (Ruttner, 2003; Kleinhenz et al., 2002).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Verbreitungsgebiet der Unterarten der westlichen Honigbiene in Europa und im vorderen Orient unterteilt in Gruppen nach Ruttner (2003) Quelle: https://de.wikibooks.org/wiki/Einf%C3%BChrung_in_die_Imkerei/ _Bienenkunde#/media/File:EU_Apis_Mellifera_L_Map.svg

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Ursprüngliche Lebensräume der westlichen A. Mellifera L. und der östlichen A. Cerana. Das Wabenmuster zeigt das Gebiet der rein tropischen Honigbienen aus Ruttner (2003)

Im Anschluss folgt eine genauere Beschreibung des Bienenkörpers.

4.2 Aufbau des Bienenkörpers und Sinnesorgane

Im Folgenden werden die wichtigsten Körperteile und Sinnesorgane der Honigbiene Apis Mellifera

L. kurz beschrieben, um in den anschließenden Kapiteln komplexere Funktionen des Bienenkörpers verständlich zu machen.

Jeder Bienenkörper ist in drei Teile gegliedert: Kopf, Brust und Hinterleib (s. Abb. 3 und Tab.1). Die behaarte Körperhülle aus Chitin gibt dem Insekt Form und Halt und bildet ein Außenskelett.

4.2.1 Kopf

Der Kopf (Caput) wird von zwei Komplexaugen dominiert, die aus vielen Einzelaugen (Ommatidien) zusammengesetzt sind. Diese ermöglichen Bild- und Farbensehen. Das Farbensehen der Bienen ist im Vergleich zu dem des Menschen in Richtung des kurzwelligen Lichtwellenbereichs verschoben. Das bedeutet, Bienen können keine roten Farben erkennen, sehen dagegen aber das für uns unsichtbare Ultraviolett (Amiet & Krebs, 2012; Tautz, 2003). Zudem verfügt die Biene über weitere Lichtsinnesorgane, den drei im Dreieck angeordneten Punktaugen (Ocelli). Sie stehen mit dem Steuerungszentrum der Flugmuskulatur in Verbindung und tragen vermutlich zur Stabilisierung während des Fluges bei. Zwischen den Augen sitzen die Sinnesstäbe (Fühler), die aus Schaft und Geißel bestehen und viele kleine Sinnesorgane (Sensiellen) enthalten. Mit ihnen können die Bienen riechen, tasten, schmecken, aber auch Wärme, Luftfeuchte und CO2 wahrnehmen (Tautz, 2003). Der Geschmackssinn liegt in den Mundteilen, die aus der unpaarigen Oberlippe (Labrum), den paarigen Oberkiefern (Mandibeln) und Unterkiefern (Maxille) sowie aus zwei Teilen der verwachsenen Unterlippe (Labium) bestehen. Die Oberkiefer werden vorwiegend als Werkzeuge eingesetzt, während Unterkiefer und Unterlippe mit der Zunge zusammen einen leckend-saugenden Rüssel für die Flüssigkeitsaufnahme bilden. Im Ruhezustand liegt dieser zurückgeklappt unter dem Kopf. Des Weiteren befinden sich im Kopf Ausfuhrgänge der Stirnseitendrüsen, der Oberkiefer-(Mandibular-) und Futtersaftdrüsen (Hypopharnxdrüsen) (Amiet & Krebs, 2012). Mehrere Nervenknoten (Ganglien) sind zum einzigen Kopfganglion, dem „Gehirn“, verschmolzen. Von dort verlaufen durch alle Segmente Nerven in Form eines Strickleiternervensystems (Honigmacher, 2014; Tautz, 2003).

4.2.2 Brust

Die Brust (Thorax), die Beine und Flügel trägt, besteht aus vier miteinander verschmolzenen Teilen: Vorder-, Mittel- und Hinterbrust sowie Mittelsegment. Bienen können nicht hören. Das bedeutet, dass sie keine Luftschallwellen wahrnehmen. Um aber trotzdem Vibrationen und Erschütterungen registrieren zu können, verfügen sie über spezielle Sinnesorgane an den Beinen. Die drei Beinpaare, die in den Brustteilen entspringen, bestehen jeweils aus fünf gelenkig miteinander verbundenen Teilen: Hüfte (Coxa), Schenkelring (Trochanter), Schenkel (Femur), Schiene (Tibia) und Fuß (Tarsus). An der Basis der Schiene befindet sich die Basitibialplatte, mit deren Hilfe sich die Bienen an den Wänden der Nestgänge abstützen. Der Fuß ist aus fünf Gliedern zusammengesetzt, einer Ferse mit Penicillus (Haarpinsel zum Imprägnieren der Zellwände mit Drüsensekret), zudem vier Klauengliedern mit zwei Klauen und Haftlappen (Pulvillus). Des Weiteren befinden sich an den Beinen Geschmackssinneszellen und an der Hinterschiene der Weibchen zusätzliche Haarbürsten für den Pollentransport, die wie in einem Körbchen (Corbicula) eingelagert werden (Amiet & Krebs, 2012; Ruttner, 2003). Die beiden Flügelpaare setzen an der Mittel- bzw. Hinterbrust an. Ihre Ansatzstellen werden von den Flügelschuppen (Tegulae) überdeckt. Während des Fluges sorgen kleine Häkchen (Hamuli) an der Vorderkante der Hinterflügel für den Zusammenhalt der Flügelpaare. Die kräftige Flugmuskulatur treibt die Flügel indirekt an, indem sie den Brustpanzer rhythmisch zusammenzieht. Die Flugmuskulatur kann über einen Gelenkmechanismus von den Flügeln abgekoppelt werden, um im Leerlauf arbeiten, Wärme erzeugen oder Pollen aus den Blüten herauszuschütteln zu können (Honigmacher, 2014; Amiet & Krebs, 2012).

4.2.3 Hinterleib

Der Hinterleib (Abdomen) besteht bei den Weibchen aus sechs, bei den Männchen, den Drohnen, aus sieben sichtbaren Segmenten, die je aus einem Rückenteil (Tergit) und einem Bauchteil (Sternit) bestehen. Die übrigen Hinterleibsegmente sind vollständig ins Körperinnere verlagert und sowohl am Aufbau des Giftstachels als auch der Eierstöcke (Ovarien) des Weibchens und des Geschlechtsapparats der Männchen beteiligt. Im Hinterleib liegen der Verdauungstrakt, das Herz, die Geschlechtsorgane und mehrere wichtige Drüsen: Giftdrüse, Dufoursche Drüse, Nasanoff`sche Drüse, Wachsdrüsen, etc.. Teil des Verdauungstraktes ist die Honigblase, in welcher die Bienen während ihrer Sammeltätigkeit den Nektar speichern. Feine Schläuche, sogenannte Malpighische- Gefäße, die vom Darm in den Hinterleib hineinragen, nehmen die Abfallstoffe auf und führen sie über den Darm ab. Das Herz der Bienen ist eine gegliederte Röhre, die im Rückteil des Hinterleibs verläuft und mit einem Fortsatz bis zum Kropf reicht. Bienen besitzen kein Blut, wie es bei uns Menschen oder anderen Wirbeltieren durch die Adern fließt; ihre Körperflüssigkeit besteht aus Hämolymphe, bei der es keine Trennung zwischen Blut (Hämo) und Gewebsflüssigkeit (Lymphe) gibt. Sie dient dem Transport von Nährstoffen, Abbauprodukten, Hormonen und Wärme. Bienen besitzen jedoch ein offenes Kreislaufsystem. Das bedeutet, dass die Hämolymphe nicht in einem geschlossenen System von Adern fließt. Stattdessen wird sie vom Herzen gesammelt, um dann anschließend freizirkulierend im Inneren des Körpers die Organe und Gewebe mit Nährstoffen zu versorgen. Von dort fließt die Hämolymphe wieder in den Hinterleib zurück und wird dann durch Klappen im Herzschlauch wieder aufgenommen. Die Sauerstoffversorgung der Organe und des Gewebes erfolgt dabei durch pumpende Atembewegungen des Hinterleibs, bei dem der Sauerstoff zunächst an seitlichen Luftlöchern (Stigmen) der Brust und des Hinterleibs vorbei und dann von dort durch die verästelten Luftröhren (Tracheen) transportiert wird (Honigmacher, 2014; Tautz, 2003).

Die Giftdrüse und die Dufoursche Drüse mit ihrer alkalischen Gleitflüssigkeit stehen mit ihren Ausfuhrgängen in Verbindung mit dem Giftstachel. Die Nasanoff`sche Drüse produziert ein Pheromon, das andere Bienen anlockt. Arbeiterinnen und Königin besitzen spezielle Nasanoff`sche Drüsen, die für den Zusammenhalt und die Kommunikation im Volk von Bedeutung sind. In den Wachsdrüsen produzieren die Bienen, wie der Name schon sagt, Wachs aus einem Gemisch von Fettsäuren, Alkoholen und Fettsäureestern, das nach der Ausscheidung mit Mandibeldrüsensekret weiter verarbeitet wird (Honigmacher 2014; LWG, 2014; Amiet & Krebs, 2012). Es folgen zum besseren Verständnis Abbildung 3 und Tabelle 1 mit dem Querschnitt des Körpers einer Honigbienenarbeiterin, sowie eine Auflistung der wichtigsten Körpermerkmale.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Körperbau und wichtigste Merkmale einer Arbeiterin der Gattung Apis Mellifera L. nach Tautz (2003) und Amiet & Krebs (2012), modifiziert durch Manz (2014)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Innere und äußere Körpermerkmale einer Arbeiterin der Gattung Apis Mellifera L. nach Tautz (2003) und Amiet & Krebs (2012)

4.3 Organisation und Aufgaben des Bienenvolks

Die westliche Honigbiene Apis Mellifera L. gehört zu den hochentwickelten eusozialen Insekten, die durch Schaffung spezialisierter Kasten als funktionales Ganzes gemeinsam handeln (Soziogenese) (Hölldobler & Wilson, 2013). Sie ist charakterisiert durch hohe Individuenzahlen innerhalb des Staates, einer reproduktiven Arbeitsteilung, Nestbau, Fortpflanzung durch Spezialisten, altruistisches Verhalten bei der Nahrungssuche und komplexe Formen der sozialen Fütterung (Trophallaxis), ferner Koloniegeruch (Hölldobler & Wilson, 2013; Tautz, 2003; Elzinga, 1978) sowie die gemeinsame Brutpflege und eine Überlappung der Generationen (Buschinger, 1985). Man spricht nach Reeve & Hölldobler (2007) auch von einem „Superorganismus Bienenstaat“. Bausteine dieses Superorganismus sind die fruchtbare Königin, sterile Arbeiterinnen und Drohnen, wobei sich die Ausprägungen der Gattung deutlich in Größe und Körperform unterscheiden (s. Abb. 4) (Tautz, 2007). Der Begriff „Superorganismus“ stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde ursprünglich durch den Imker und Schreinermeister Johannes Mehring (1815 -1878) formuliert. Er wagte einen mutigen Vergleich, indem er das Bienenvolk als „Einwesen“ bezeichnete, das „einem Wirbeltier entspräche“. Die Arbeitsbienen seien dabei „der Gesamtkörper, seine Erhaltungs- und Verdauungsorgane, während die Königin den weiblichen, die Drohnen den männlichen Geschlechtsorganen entsprächen“ (Ruttner, 2003). Diese Sichtweise, eine ganze Bienenkolonie mit einem einzigen Tier gleichzusetzen, brachte den Begriff des „Bien“ hervor, mit dem die „organische Auffassung des Einwesens“ ausgedrückt werden sollte: Man betrachtete die Bienenkolonie als ein unteilbares Ganzes, als einen einzigen lebenden Organismus. Für diese Lebensform prägte der amerikanische Biologe William Morton Wheeler (1865 -1937) auf der Grundlage seiner Arbeiten an Ameisen dann 1911 den Begriff des „Superorganismus“, der auch heute noch Verwendung findet (Hölldobler & Wilson, 2013; Tautz, 2007).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: In einem Bienenvolk leben drei verschiedene Typen von Bienen, die sich in Größe und Körperform unterscheiden, nach Künast et al. (2014) & Bild von D.I.B (2014)

Superorganismen sind nicht hierarchisch aufgebaut. Die Struktur der Kolonie entspricht viel eher einem gleichberechtigten Nebeneinander bei einer begrenzten Selbststeuerung des Individuums (Heterarchie). Das kollektive Verhalten der Bienen ist dezentral organisiert. Jede einzelne Biene verhält sich so, als ob sie alleine Entscheidungen treffen würde. Die Folgen dieser Entscheidungen sind kleine lokale Änderungen in der Kolonie. Diese kleinen Änderungen sind wiederum Reize für andere Bienen, die sich nach den veränderten Kleinsituationen richten und ihrerseits Entscheidungen treffen (Hobos, 2014). Erst durch das Zusammenwirken dieser vielen Klein- und Kleinstentscheidungen ist es möglich, dass die Kolonie gemeinschaftlich Waben baut und nutzt, die Nestumgebung erforscht und sich insgesamt innerhalb des Schwarms organisiert. (Hobos, 2014). Von Tautz (2007) werden diese strukturellen Verhältnisse und Vorgänge als ein komplexes adaptives System, also als ein dynamisches Netzwerk mit vielen Akteuren, beschrieben.

Wie die staatenbildenden Ameisen und Wespen entstammt die westliche Honigbiene der Ordnung der sozialen Hautflügler (Hymenoptera), innerhalb derer sich sehr komplexe Verhaltensmuster entwickelt haben (Hölldobler & Wilson, 2013). Für die sozialen Formen dieser Ordnung ist die haplodiploide Geschlechtsbestimmung von Bedeutung, bei der Männchen, die Drohnen, aus unbefruchteten Eiern und Weibchen - Arbeiterinnen und Königin - aus befruchteten Eiern entstehen (Tautz, 2007; Ruttner, 2003). Honigbienen bilden mehrjährige Bienenstaaten aus 30.000 bis 50.000 Einzeltieren, die - unabhängig von der jeweiligen Kaste, der sie angehören - immer wieder ausgetauscht werden. Eine reproduktive Kaste besteht aus einem Weibchen, der Königin, sowie zur Fortpflanzungszeit aus mehreren hundert bis eintausend Männchen, den Drohnen, und einer gewaltigen Arbeiterkaste, der ausschließlich Weibchen angehören (LAVES, 2012; Tautz et al. 2007, Ruttner, 2003).

Die Bienenkönigin ist die Mutter des Volkes und kümmert sich um die Fortpflanzung, den Zusammenhalt und die Koordination des Volkes (Hölldobler & Wilson, 2013; Tautz, 2003). Dafür nutzt sie als Kommunikationsmittel chemische Botenstoffe, die Pheromone, und gibt diese fortlaufend in winzigen Mengen an das Volk ab (Spektrum, 2013; Ruttner, 2003). Eine weitere bindende Kraft ist der ständige Nahrungsaustausch (Trophallaxis), bei dem die adulten Bienen einer Kolonie nicht nur ihre Larven nähren, sondern auch einander wechselseitig mit dem hervorgewürgten Inhalt ihres Honigmagens füttern (Ruttner, 2003; Buschinger, 1985). Über das so gebildete Netzwerk (s. Abb. 5) wird Nahrung und Information gleichmäßig im ganzen Volk verteilt. Alle Einzeltiere erlangen Zugriff auf den Nahrungsstand des Volkes und auf die abgegebenen wichtigen Botenstoffe, z.B. das Königinpheromon, wodurch nach Ruttner (2003) „ein harmonisches Bienenvolk entsteht“. Doch hier liegt auch ein Problem: Gifte und Krankheitserreger können auf diesem Weg ebenfalls zügig alle Individuen erreichen und im ganzen Volk verteilt werden. Außerdem gibt es nicht nur zwischen der Königin und den Arbeiterinnen eine hierarchische Ordnung, sondern auch unter den Arbeiterinnen selbst. Es gibt dominante Arbeiterinnen, denen Futter gereicht wird, und andere subalterne Arbeiterinnen, die Futter abgeben. Die richtige Mischung dieser beiden Typen scheint nach Ruttner (2003) und Tautz (2007) für das Funktionieren des sozialen Gefüges enorm wichtig zu sein.

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Abbildung 5: Verteilung eines Stoffes im Trophallaxisnetzwerk aus Ruttner (2003)

Als maßgebliches Verhaltensprinzip des Zusammenlebens der Honigbienen gilt die Bildung einer Bienentraube, bei der die äußere Hülle aus sich aneinander klammernden Bienen besteht. Im Inneren der Traube herrschen konstante Temperaturen, da sie auf Temperaturveränderungen zu reagieren vermag. Bei Wärme strecken die Bienen an der Außenseite der Traube Kopf und Brust nach außen und halten Abstand zueinander und bei Kälte rücken sie dichter zusammen und stecken den Oberkörper, der mit den Flugmuskeln die benötigte Wärme erzeugt, nach innen (s. Abb. 6). Honigbienen leben in Staaten und jeder Staat baut sein eigenes Nest - die natürliche Behausung für ein Bienenvolk. Erst die Bildung einer Bienentraube und der Schutz des Nestes ermöglichen das Überleben in einem Temperaturbereich von - 80°C bis + 45°C. Dabei wird die Temperatur durch Wärmeerzeugung mit den Flugmuskeln (s. Kapitel 4.2) und Kühlung durch eingetragenes und verdunstendes Wasser reguliert (Thermoregulation) (Stabentheiner, 2005; Ruttner, 2003; Kleinhenz et al., 2002).

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Abbildung 6: Thermoregulation in einer Schwarmtraube bei 5°C (links) und 30°C aus Ruttner (2003)

Honigbienen sind in Ländern wie Deutschland mittlerweile ohne Imker nicht mehr lebens- und überlebensfähig. Mensch und Honigbiene sind aufeinander angewiesen. Die Bienen finden keine hohlen Bäume mehr, in denen sie leben können, deshalb brauchen sie die Behausung durch den Imker (Tautz, 2007). Der Imker gibt seinen Bienenvölkern in künstlichen Bienenkästen (Beuten) eine Behausung und beeinflusst durch Holzrähmchen mit vorgefertigten Wachsmittelwänden die Ausrichtung der Waben (s. Abb. 7 & 8) (LAVES, 2012; Seeley, 2012; v. d. Ohe, 2006a). Früher wurde das Nest zum Schutz vor Klimaeinflüssen und Räubern durch wilde Bienen in mehrere Meter über dem Boden liegenden natürlichen Hohlräumen wie Baum- oder Felshöhlen angelegt (v. d. Ohe, 2006a; Seeley & Morse, 1976). In dieser Höhlung legten die Bienen aus einem körpereigenen Baustoff, der zum Teil aus mit Baumharz vermischtem Wachs besteht, Waben an (s. Abb. 9). Zu Zellen geformt können 20 g Wachs zwei Kilogramm Honig halten. Die Wabenzellen sind jedoch mehr als reine Verpackung für Nahrung und Brut. Da die Baubienen dem Wachs unterschiedliche Fremdstoffe beimengen, bildet jede Wabe nach Kleinhenz et al. (2002) „eine Art chemischen Flickenteppich“, der den Bienen als Duft-Landkarte dient (Seeley, 2012; Kleinhenz et al., 2002). Ein typisches Nest in freier Natur enthält etwa sechs räumlich unterschiedlich gegliederte Waben mit 100.000 Zellen. Diese Größe wird benötigt, um mindestens 20 Kilogramm Honig als Wintervorrat und einen Platz für 20.000 Brutzellen für das schnelle Wachstum im Frühjahr zur Verfügung zu halten (Seeley, 2012). Ist dann ein Schwarm eingezogen, werden die Oberflächen der Höhle geglättet und mit einer Schicht aus Propolis (Kittharz) versehen. Die Waben bestehen aus regelmäßigen sechseckigen Zellen, welche vertikal von oben nach unten gebaut sind (Kleinhenz et al., 2002). Sie fügen sich vor allem aus kleineren Arbeiterinnenzellen und zu ca. 15% aus größeren Zellen für die Drohnenbrut zusammen, die meist am Rande der Waben angelegt werden. Für Königinnenlarven werden besondere Zellen (Weiselzellen) am Wabenrand gebaut, deren Öffnung nach unten weist. Umgeben von den Pollenvorräten befindet sich der Brutbereich meist in der Nähe des Fluglochs. Die Vorratszellen (Pollen und Honig) sind räumlich von den Brutzellen getrennt und liegen hinter und über diesen (s. Abb. 10). So haben die Arbeiterinnen, die den Nachwuchs füttern, kurze Versorgungswege. Durch Kühlen und vor allem Heizen wird der Temperaturbereich auf 34 - 36°C eingestellt und gehalten (Tautz et al., 2007). Wie die Temperatur geregelt wird, war lange Zeit ein Rätsel. Heute weiß man, dass die Bienenarbeiterinnen an den Spitzen ihrer Antennen empfindliche Temperatursensoren tragen (s. Kapitel 4.1), und die Larven bei zu hohen oder zu niedrigen Temperaturen chemische Botenstoffe abgeben, die anwesende Arbeiterinnen zur Temperaturregulation veranlassen (Kleinhenz et al., 2002).

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Abbildung 7 & 8: Aufbau und Querschnitt einer Imker-Bienenbeute von Bienenweber (2014). Abbildung 9: Querschnitt eines typischen Nestes in einer Baumhöhle aus Seeley (2012)

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Abbildung 10: Brutwabe mit gedeckelten und ungedeckelten Brutzellen, sowie Vorratszellen mit Honig und Pollen gefüllt von Kleinhenz et al. (2002)

Das nun folgende Kapitel behandelt die Lebenszeit des einzelnen Insekts, sowie die Vermehrung der Bienen innerhalb des Bienenstaates.

4.4 Lebensdauer und Vermehrung

Das Leben der Honigbienen ist durch zwei sehr unterschiedliche Abschnitte gekennzeichnet: die Jugendentwicklung und die Verwandlung zum adulten geflügelten Insekt (Imago). Die Jugendentwicklung, die in einer Brutzelle stattfindet und aus fünf Larvenstadien und dem nachfolgenden Puppenstadium besteht, beginnt, sobald die Königin ein befruchtetes Ei in eine zuvor von anderen Bienen gesäuberte Zelle legt. Bereits nach drei Tagen schlüpft aus dem Ei eine winzige Larve. Sie wird von Ammenbienen mit ausgewürgtem Futtersaft gefüttert, einem Gemisch aus Honig und Pollen. Innerhalb weniger Tage nimmt die Larve damit um mehr als das 500 - fache zu. Sie füllt nach sechs Tagen fast die ganze Zelle aus (s. Abb.11). Nun verpuppt sich die Larve und der zweite Lebensabschnitt beginnt. Der Übergang erfolgt durch eine komplette Verwandlung, eine Metamorphose, die zwölf Tage andauert. Dadurch zählen die Bienen zu den holometabolen (altgr. Holos = vollständige; metabolé = Veränderung) Insekten, zu denen auch die Fliegen, Schmetterlinge und Käfer gehören (Fluri et al., 2012; Kleinhenz et al., 2002).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11: Schlüpfen von winzigen Larven (links). Bei guter Fütterung füllen die Larven nach 6 Tagen die ganze Zelle aus (rechts) aus Kleinhenz et al. (2002)

Die Jugendentwicklung dauert bei den Honigbienen 21 Tage und weist nur eine geringe zeitliche Variabilität auf. Im Gegensatz dazu zeigt die Dauer des Lebensabschnitts als adulte Biene eine erstaunliche Wandelbarkeit. Als Anpassung an die gemäßigte Klimazone und Jahreszeit hat sich innerhalb der Arbeiterinnenkaste eine kurzlebige Sommerform (ca. 3 - 6 Wochen Lebenszeit) und eine langlebige Winterform (ca. 3 - 8 Monate) entwickelt, die als „saisonaler Dimorphismus“ (saisonales Auftreten von zwei deutlich verschiedenen Erscheinungsformen) bezeichnet wird (Fluri et al., 2012; v. d. Ohe, 2006a). Sommerbienen verbringen etwa drei Viertel ihrer Lebenszeit im Nest, Winterbienen etwa die Hälfte (Kleinhenz, et al., 2012). Mit Ausnahme der Arbeiterinnen, die mehrere Tage Sammlerinnen waren, können all jene Bienen zu Winterbienen werden, denen ausreichend Nahrung, sowie Zeit und Ruhe zum Aufbau ihrer Proteinreserven vor dem Winter zur Verfügung stehen (Fluri et al., 2012; Amdam & Omholt 2002). Ausgelöst wird die Entwicklung zur Winterbienenpopulation und im Frühjahr zur Sommerbienenpopulation durch das Juvenilhormon, das für die Steuerung der Entwicklung und der Fortpflanzung bei Insekten zuständig ist. Es wird in ihrem Gehirn gebildet und über endokrine Drüsen in die Hämolymphe abgegeben und darüber im ganzen Körper verteilt (Robinson, 1987). Es beeinflusst unter anderem Elemente der sozialen Arbeitsteilung und der Lebensdauer (Lüscher et al., 1982). Zudem spielt es eine wichtige Rolle bei der Regulation des „Alterspolyethismus“ (Arbeitsteilung in Altersabhängigkeit) bei Sommerbienen (Stockbiene, Flugbiene), und der Differenzierung danach, ob eine Arbeiterin den physiologischen Zustand und das Verhalten einer Sommer- oder einer Winterbiene annimmt (Bühler et al., 1983; Robinson, 1992). Auch gibt es bei der Arbeiterbiene nach Fluri et al. (2012) eine Beziehung zwischen der Lebensdauer der Biene und der Konzentration des Juvenilhormons in der Hämolymphe. Der Gehalt des Juvenilhormons im Blut ist sowohl abhängig von der Intensität der Ausschüttung im Gehirn als auch vom Abbau des Hormons im Blut. Die Winterbienen bleiben nach dem Schlupf physiologisch über lange Zeit auf dem Stand einer frisch geschlüpften, jungen Sommerbiene. Die langlebigen Winterbienen überleben normalerweise den Winter und erfüllen im einsetzenden Frühjahr mit Beginn der Eiablage durch die Königin, die pro Tag ca. 2.000 Eier legt, die gleichen Aufgaben wie eine Sommerbiene (Fluri et al. 2012). Mit diesen Aufgaben werden sie physiologisch zu Sommerbienen und sterben im Laufe des Frühjahrs allmählich ab, während eine neue Generation von Sommerbienen schlüpft. Bei entsprechend guter Versorgungslage durch Massentrachten wie Obstgehölze, Weißdornhecken oder Weiden erhöht sich dann im fortschreitenden Frühjahr kontinuierlich der Anteil der Brut und somit - zeitlich versetzt - auch der Anteil der erwachsenen Bienen auf ca. 30.000 bis 50.000 Individuen. Zum Ende der Bienensaison legt die Königin wieder weniger Eier, wodurch sich allmählich die Bienenpopulation wieder auf 10.000 bis 15.000 Stück reduziert (aid, 2012; v. d. Ohe, 2006a). Die eigentliche Vermehrung des Bienenvolkes findet über die Teilung des Volkes statt. Hierzu müssen jedoch verschiedene Faktoren zusammenkommen; unter anderem nötig ist eine Zunahme der Bienenpopulation im Frühjahr und der sich daraus ergebende Platzmangel im Stock. Dieser führt wiederum zu einer Verringerung der Abgabe des Königinnenpheromons (des Duftstoffs der Königin) im Stock. Dazu sollten noch Trachtverhältnisse kommen, also ein hohes Nektar- und Pollenangebot. Beim Zusammentreffen dieser Faktoren gerät das Volk in eine Schwarmstimmung, die zu einer abnehmenden Sammel- und Bautätigkeit bei zugleich erhöhter Aggressivität führt. In Folge dieser Verhältnisse werden im Bienenvolk Jungköniginnen (max. 25 Stück) nachgezogen (LAVES, 2012). Zudem füllen Arbeiterinnen ihre Honigblasen mit Futter aus den Vorräten und verhindern ein weiteres Eierlegen der Königin, wodurch diese leichter und dadurch flugfähig wird. Kommt es zum Ausschwärmen, so ziehen zwischen April und September ca. 50 - 70% eines Volkes - im Querschnitt aller erwachsenen Arbeiterinnen - mit der alten Königin als Primärschwarm aus. Als Traube hängt sich der Schwarm an den nächsten geeigneten Ort, z.B. an den Ast eines Baumes oder einen Felsüberhang (Fluri et al., 2012; Honigmacher, 2014a). Dann machen sich Spurbienen sofort auf die Suche nach einer potenziellen neuen Dauerbehausung. Ist ein geeigneter Ort gefunden, zieht der Schwarm in diese neue Nisthöhle ein (s. Abb. 12). Ist im restlichen Volk beim Schlüpfen der Jungköniginnen die Individuenzahl durch die inzwischen geschlüpften Arbeiterinnen noch zu hoch, kommt es zu einem oder mehreren Nachschwärmen (Seeley, 2012). Schließlich bleibt eine der neuen Jungköniginnen als Nachfolgerin der Stockmutter im Urvolk, dem Muttervolk, und verleiht der so entstandenen neuen Tochterkolonie, so Tautz (2007), „eine potenzielle Unsterblichkeit“, da das Volk theoretisch so viele Jahre in Folge mit wechselnder Regentschaft überleben kann (aid, 2012; Tautz, 2007; v. d. Ohe, 2006a).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 12: Ablauf des Schwärmens nach Ruttner 2003, modifiziert durch Manz (2014)

Ungefähr eine Woche nach dem Schlupf aus der Zelle fliegen jungfräuliche Königinnen zum Hochzeitsflug aus. Ihr Ziel: Drohnensammelplätze. Die Drohnen warten dort im Luftraum auf einfliegende Königinnen, um sie zu begatten. An den Sammelplätzen trifft die Königin auf viele fremde Drohnen. Es kommt dadurch zur „biologisch sinnvollen Mehrfachpaarung, die eine möglichst hohe genetische Vielfalt ermöglicht und Inzucht vermeidet“ (LAVES, 2012). Eine Königin paart sich im Durchschnitt mit 15 - 30 verschiedenen Drohnen (Polyandrie), die nach der Begattung sterben (Ruttner, 2003). Die Arbeitsbienenpopulation eines Volkes setzt sich so aus Gruppen verschiedener Vaterlinien zusammen, deren jeweilige Verhaltensformen unterschiedlich ausgeprägt sind. Im Idealfall reicht ein einziger Flug für die optimale Begattung (Füllung der Samenblase). Die dabei übertragenen Spermien werden gemischt und ein Teil davon lebend bis zu fünf Jahre in der Samenblase der Königin gespeichert, wodurch die Befruchtung eines Eies noch Jahre nach der Begattung möglich ist (Honigmacher, 2014a; Tautz, 2007; v. d. Ohe, 2006a; Ruttner, 2003). Bei der Eiablage kann die Königin aus der Samenblase Spermien abgeben. Das Spermium dringt in die Eizelle ein. Die zwei haploiden Kerne - Ei und Sper mium - verschmelzen zu einem diploiden Kern (Befruchtung), und es entsteht eine Arbeiterin oder Königin mit einem diploiden Chromosomensatz. Die Differenzierung in Königin oder Arbeiterin (Kastenbestimmung) wird während der Larvenentwicklung von den Ammenbienen über die Zusammensetzung des von ihnen zur Verfügung gestellten Futtersafts gesteuert. Die weibliche Larve, die in einer Königinnenzelle (Weiselzelle) liegt, wird hierbei während der gesamten Versorgungsphase ausschließlich mit Königinnenfuttersaft (Gelée Royale) versorgt. Drohnen gehen aus unbefruchteten Eiern mit einem haploiden Chromosomensatz der Mutter hervor (Parthenogenese = Jungfernzeugung). Zur Produktion der Spermien in den Hoden der Drohnen ist also keine Meiose (Reifeteilung) notwendig, sondern nur die einfache Zellteilung. Bei der Bildung der Spermien klont der Drohn sich millionenfach selbst (Tautz, 2007; v. d. Ohe, 2006a).

4.5 Reproduktive Arbeitsteilung und Nahrungsgrundlage der Bienen

Innerhalb der Arbeitsbienen gibt es eine altersabhängige Arbeitsteilung, die sich in Phasen gliedert und nach Ruttner (2003) und v. d. Ohe (2006) vom Entwicklungsstand der Drüsen und dem Wechsel der Aktivität der verschiedenen Drüsen einhergeht. In den einzelnen Phasen sind die Arbeiterinnen als Stock-, Ammen-, Bau-, Wächterbiene, Nektarverarbeiterin und Sammelbiene tätig und mit spezifischen Aufgaben betreut (s. Tab. 2). Dieses Phänomen wird als „altersabhängiger Polyethismus“ (Arbeitsteilung in Altersabhängigkeit) bezeichnet und ist ein grundlegendes Prinzip der Arbeitsteilung im Bienenvolk (Fluri et al., 2012, Ruttner, 2003). Das System erweist sich durch die mögliche Rückkehr zu vorherigen Kasten und ein Überspringen von Kasten als sehr flexibel (Amdam et al., 2005). Es gibt dabei zwischen den einzelnen Bienen enorme Unterschiede hinsichtlich ihrer Spezialisierung auf Aufgabenbereiche. Sammelbienen können die ganze Zeit nur Pollen oder Wasser sammeln. Andere Bienen werden nie den Stockeingang bewachen. Letztendlich sind die Tätigkeiten der Bienen immer an die von inneren und äußeren Bedingungen abhängigen Bedürfnisse ihres Volkes angepasst. Diesen differierenden Verhaltensweisen liegen genetische Unterschiede zwischen den Arbeiterinnen zu Grunde, die eine Folge der Mehrfachbegattung der Königin sind (Seeley, 2012; Fluri et al., 2012). Das Juvenilhormon spielt, wie auch bei der Lebensdauer, bei der Regulation der Arbeitsteilung eine wichtige Rolle (Fluri et al,. 2012).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Aufgaben einer Arbeiterin im Laufe ihres Lebens - aus v. d. Ohe (2006)

Der Polyethismus schließt auch die spezifische Änderung von anatomischen und physiologischen Merkmalen ein (Fluri et al., 2012), die parallel mit dem Übergang von einer Verhaltensphase zur nächsten erfolgen. So weisen Ammenbienen gut entwickelte Futtersaftdrüsen und Fettkörpergewebe sowie erhöhte Eiweiß- und Stickstoffgehalte in bestimmten Organen und in der Hämolymphe auf. Bei Sammelbienen sind diese Gewebe und Gehalte reduziert. Winterbienen zeigen im Dezember und Januar wohlentwickelte Futtersaftdrüsen und Fettkörper, ähnlich wie Stockbienen im Sommer. Andererseits sind diese Organe bei Winterbienen im Frühjahr wie bei Flugbienen im Sommer reduziert (Fluri et al., 2012). In verschiedenen Drüsen bilden ausgewachsene Arbeiterinnen Wachs, Nahrung und Botenstoffe (Pheromone). Auf der Unterseite des Hinterleibs werden durch Wachsdrüsen bei Baubienen Wachsplättchen produziert, durch Kauen und Speichelsekret weich gemacht und dann zum Wabenbau verwendet. In den Futtersaftdrüsen (Hypopharynxdrüsen) wird von jungen Ammenbienen proteinreiches Futter für Larven gebildet. Ältere Nektarverarbeiterinnen bilden Enzyme zum Saccharoseabbau im Nektar (Seeley, 2012).

Nahrungsgrundlage der Bienen: Tracht

Als Tracht bezeichnet ein Imker das gesamte Angebot an Pollen, Nektar und Honigtau. Bienen sind Vegetarier, die Tracht ist ihre Ernährungsgrundlage, die für ein Bienenvolk aktuell zur Verfügung steht. Eine gute Tracht ist die Grundlage für eine reiche Honigernte (Honigmacher, 2014g)

Die Honigbiene gilt als typischer Vertreter eines Tieres mit polylektischer und general-istischer (sammeln der Tracht von vielen verschiedenen Pflanzenarten) Sammelstrategie (Tautz, 2007; Ruttner, 2003)

Logistisch organisiert wird die Nahrungssuche nach Tautz (2007) durch einen dezentralen selbstorganisierenden Verteilungsmechanismus, der durch viele kleine Kontakte unter den Sammelbienen entsteht und so eine Art Beutenetz über hunderte von Quadratkilometern zieht.

Honigbienen nutzen Blütennektar und Honigtau als Kohlehydratquelle und Blütenpollen als Eiweißquelle zur Ernährung (Seeley 2012).

Nektar wird getrunken und ist Energie- und Wasserquelle zugleich. Primär dient eradulten Bienen für den eigenen Betriebsstoffwechsel (Westerkamp, 1987). Aus ca. 50 Kilogramm des Nektars wird der für blütenlose und für kalte Zeiten benötigte Honigvorrat angelegt (ca. 30kg) (Seeley, 2012).

Es dienen viele, sehr verschiedene Blütenpflanzen als Pollen- und/oder Nektarquelle. Eine Bevorzugung bestimmter Pflanzen richtet sich im Allgemeinen nach der Qualität und Quantität der angebotenen Nahrung (Seeley, 2012; von Frisch, 1967). Pollen werden gesammelt und sind sowohl Eiweiß- als auch Stickstoffquelle. Sie dienen sekundär der Nachwuchsproduktion, bieten Larvenfutter und befördern die Eireifung (Westerkamp, 1987).

Durchschnittlich werden ca. 25 kg Pollen und 120 kg Nektar im Laufe eines Jahres von einem Bienenvolk gesammelt. Der größte Teil davon wird zur Brutpflege im Frühling und Sommer verwendet (Seeley, 2012).

Die Arbeiterinnen sammeln die Nahrung in der Umgebung ihres Nests („central place forager“). Wie weit sie dabei fliegen, ist abhängig vom Nahrungsangebot und der Dichte aller Kolonien in der Umgebung. So beschreiben Visscher & Seeley (1982) für 95% der Sammelflüge einen 6 km-Radius in einem Laubwald der gemäßigten Zone, während Walther-Hellwig et al. (2002) und Tautz (2007) für eine mitteleuropäische Agrarlandschaft 2 bis 4 km bei wenig und weit verteiltem Blütenangebot und ca. 1,5 km für eine Massentracht angeben.

Um nahrungsfreie Zeiten zu überbrücken, legt ein Volk einen Vorrat von Pollen und Honig an (Seeley, 2012). Dieser Vorrat nimmt durch die mit der Wintersonnenwende beginnenden Brutaufzucht bis zum Mai hin ständig ab. Dann ist das Nahrungsangebot reich genug zur Fütterung des Nachwuchses und um neue Vorräte anzulegen.

Weitere Gründe für die Bienen Blüten auszusuchen, können der Bedarf an Nestmaterial (Wildbienenarten) sein, die Suche nach einem Nachtquartier oder nach einem warmen Ort (Westerkamp, 1987), wobei es die Nestklimatisierung den Tieren ermöglicht, zu jeder Tageszeit auszufliegen (Göbel, 2011; Westerkamp, 1987).

Im Anschluss werden die verschiedenen Kommunikationsarten der Bienen untereinander dargestellt, da es, um sich mit den Produkten der Honigbiene auseinandersetzen zu können, unablässig ist, die Produktionsbedingungen selbst ins Auge zu fassen. Dies gilt nicht nur für die äußeren - ökonomischen und ökologischen - Bedingungen, die an späterer Stelle betrachtet werden sollen, sondern ebenso für die Bedingungen innerhalb dieses Superorganismus. Ohne das perfekte kommunikative Zusammenspiel aller einzelnen Bienen im Stock, sowohl auf der Verhaltensebene als auch auf chemischer Ebene, wäre das Einbringen der Tracht als Basis der Honigherstellung unmöglich. Auf welchen Wegen diese Kommunikation im Einzelnen stattfindet, soll im Folgenden skizziert werden.

4.6 Kommunikation durch Pheromone und Tanzsprache

4.6.1 Pheromone

Pheromone sind Duftstoffe, die aus den exokrinen Drüsen der Honigbienen abgegeben werden und sich aus einzelnen chemischen Substanzen oder Mischungen verschiedener Substanzen zusammensetzen. Sie dienen der innerartlichen Kommunikation und Informationsübertragung; daher werden sie auch als „Sozialhormone" bezeichnet (Honigmacher, 2014c). Ähnlich wie Hormone sind auch Pheromone bereits in einer sehr geringen Konzentration wirksam. Über ihre Zufuhr werden die einzelnen Individuen des Bienenstaats permanent über den Zustand der Kolonie auf dem Laufenden gehalten. Jede Biene gibt Botenstoffe ab. Die Pheromone unterscheiden sich jedoch in ihrer Zusammensetzung und Wirkung abhängig von einer Vielzahl von Faktoren - je nachdem, ob sie von Königin, Arbeiterin, Drohne oder Larve stammen, welche Drüse die Stoffe produziert und in welcher Phase und Situation sich die Biene befindet. Die Stoffe haben aber immer die Wirkung eines Signals und lösen unterschiedliche Verhaltensweisen der Bienen aus (Honigmacher, 2014c; Hölldobler & Wilson, 2013; Ahrens et al., 2007). Zurzeit sind 18 von den Tieren selbst produzierte, teils flüchtige chemische Verbindungen als Pheromone bekannt. Im Zentrum des Pheromonsystems steht die Königin als Koordinatorin des Superorganismus. Aber auch jede Arbeiterin ist durch das Verteilen der königlichen Pheromone und die Produktion eigener Pheromone beteiligt (Honigmacher, 2014c; Seeley, 2012). Es sollen im Folgenden beispielhaft drei wichtige Drüsen und ihre Pheromonproduktion vorgestellt werden, um die komplexen chemischen Kommunikationswege im Bienenstaat zu verdeutlichen. Eine ausführliche Beschreibung aller bislang erforschten Pheromone würde jedoch den Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit sprengen.

4.6.1.1 Nassanoff`sche Drüse auch Duftdrüse oder Sterzeldrüse genannt

Diese Drüse befindet sich unter dem vorletzten Hinterleibsring der Arbeiterinnen. Hauptkomponenten des von ihr produzierten Pheromons sind die Terpene Citral und Geraniol, welche zugleich Hauptkomponenten der Blütendüfte sind (Seeley, 2012). Die Arbeiterinnen nutzen den Duftstoff aus dieser Drüse zur Orientierung und signalisieren anderen Arbeitsbienen attraktive Orte wie Futterplätze und Wassersammelstellen. Zudem wird er beim sogenannten Sterzeln, der Anhebung des Hinterleibes beim gleichzeitigen Ventilieren mit den Flügeln, in die Luft abgegeben, um den anderen Bienen den Weg zum Flugloch zu weisen. Er dient auch als Sammelsignal zur Traubenbildung im Schwarm (Honigmacher, 2014c; Seeley, 2012).

4.6.1.2 Alarmpheromone

Alarmpheromone nutzen die Bienen als Warnsystem, um die Wachsamkeit und Verteidigungs- bereitschaft ihrer Artgenossen zu fördern und um sie über Angreifer auf den Stock zu unterrichten sowie über Feinde, die sich in der Nähe von Trachten befinden. Auch das Gift der Bienen enthält Alarmpheromone. Ein gestochener Mensch wird damit als Feind markiert. Entfernt er sich nicht, werden ihn weitere Bienen angreifen und stechen (Honigmacher, 2014c; Seemann, 2013).

4.6.1.3 Das Königinnenpheromon, auch Weiselstoff oder Queen Mandibular Pheromone (QMP) genannt

Die Königin bildet in den Mandibeldrüsen ein Pheromongemisch, das sie bei ihrer Körperpflege über ihren gesamten Körper verteilt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Ernährungsphysiologisches und medizinisches Potenzial von Bienenprodukten
Untertitel
Honig, Gelée Royale, Propolis, Pollen der westlichen Honigbiene Apis Mellifera L. und ihre spezifischen Wirkstoffe
Hochschule
Hochschule Fulda
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
117
Katalognummer
V315323
ISBN (eBook)
9783668146020
ISBN (Buch)
9783668146037
Dateigröße
3937 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Honigbiene, Apis Mellifera Linnaeus, Apitherapie, Propolis, Gelée Royale, Medizin
Arbeit zitieren
Jannis Manz (Autor:in), 2014, Ernährungsphysiologisches und medizinisches Potenzial von Bienenprodukten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315323

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