Verführt - verlassen - verurteilt. Kindsmord als Motiv in der englischen und der deutschen Literatur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Inhalt

2. Einleitung

3. Hauptteil
3.1. Sozial- und rechtsgeschichtliche Aspekte des Kindsmordes
3.1.1. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert
3.1.2. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart
3.2. Kindsmord in der Literatur
3.2.1. Die Kindsmörderinnen
3.2.2. Die Verführer
3.2.3. Die Tat und das Motiv
3.2.4. Das Urteil und die Reaktion der Umwelt

4. Schlussbemerkungen

5. Literaturverzeichnis

2. Einleitung

Kindsmord als Motiv in der Literatur spielte vor allem in deutschsprachigen Texten des 18. Jahrhunderts eine große Rolle. Insbesondere unter den Autoren des „Sturm und Drang“ gab es kaum einen Schriftsteller, der sich nicht mit diesem Thema befasste. Innerhalb anderssprachiger Literaturen ist eine solche Konzentration nicht feststellbar. In Vorbereitung auf die vorliegende Arbeit, habe ich sowohl im Internet, als auch im Kindler Literaturlexikon und verschiedenen Motivlexika versucht fremdsprachige Texte zu finden, die sich mit diesem Thema befassen. Die Ausbeute ist sehr spärlich. Zum einen „Adam Bede“(1859) von George Eliot und „The Heart of Midlothian“ (1818) von Sir Walter Scott. Aus der deutschsprachigen Literatur werde ich mehrere Texte kurz behandeln, um auch in dieser Arbeit die Textvielfalt zu zeigen. Ich habe mich für folgende Texte entschieden „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“ (1775) von Gottfried August Bürger, „Die Kindermörderin“ (1776) von Heinrich Leopold Wagner, „Das Nusskernen“ (1776) von Maler Müller, „Ida“ (1777) von Anton M. A. Sprickmann, „Die Kindermörderin“ (1782) von Friedrich Schiller und „Faust I“ (1808) von Johann Wolfgang von Goethe.

Ich möchte mich in der vorliegenden Hausarbeit damit befassen, wie das Thema in den einzelnen Texten behandelt wird und in wie weit die Autoren die realen Begebenheiten der Zeit mit einbeziehen. Zu Beginn werde ich einen kurzen sozial- und rechtsgeschichtlichen Abriss zum Kindsmorddelikt liefern. Im Anschluss werde ich die literarischen Texte beleuchten. Eckpunkte meiner Untersuchung werden die Darstellung der Frau, die Charakterisierung des Mannes, die Ursache und Ausführung der Tat, die Strafe und die Reaktion der Umwelt sein.

Beim Blick auf die Entstehungsdaten der von mir ausgewählten Texten fällt auf, dass die Werke der deutschen Autoren im 18. Jahrhundert entstanden sind und die der englischsprachigen im 19.. Dies hat verschiedene Ursachen. Zum einen war wie anfangs bereits erwähnt die Hochzeit der Beschäftigung mit dem Kindsmord in Deutschland im 18. Jahrhundert, im 19. hingegen war die Auseinandersetzung damit bereits stark abgeflaut. Wohingegen innerhalb der englischen Literatur erst im 19. Jahrhundert eine Auseinandersetzung mit dem Kindsmord stattfand. Das interessante an beiden Romanen ist, dass sie nicht in der Zeit spielen, in der sie entstanden sind. Eliot verlegte ihre Romanhandlung 60 Jahre vor, auf den Zeitraum 1799- 1801, Scotts Handlung spielt ca. 80 Jahre vor der Entstehungszeit, im Jahr 1736. Letztlich beschäftigen sich also beide Romane mit dem 18. Jahrhundert.

Im Vorfeld möchte ich noch erwähnen, dass auch die Ausbeute an Sekundärliteratur zu diesem Thema sehr gering ausgefallen ist. Rüdiger Scholz’ Aufsatz „Die Gewalt dichterischer Ideologie- Das Bild der ‚Kindsmörderin’ in der Literatur und die soziale Wirklichkeit“ ist sehr aufschlussreich im Bezug auf die sozialen Umstände und vor allem die Textvielfalt im 18. Jahrhundert. Letzteres gilt auch für Jürgen Jacobs Aufsatz „Gretchen und ihre Schwestern. Zum Motiv des Kindsmords in der Literatur des 18. Jahrhunderts“ Einen sehr guten Gesamtüberblick über die allgemeine Sozialgeschichte des Kindsmordes liefert Rosalia Kulnik in ihrer Diplomarbeit „Weiber- Schicksal: Gebärfähigkeit als Dilemma. Kindsmord und Abtreibung in der deutschen Literatur“. Einen hervorragenden Überblick über die Sozial- und Rechtsgeschichte des Kindsmordes in England liefert „The massacre of innocents“ von Lionel Rose.

3. Hauptteil

3.1. Sozial- und rechtsgeschichtliche Aspekte des Kindsmordes

3.1.1. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert

Die soziale und rechtliche Beurteilung des Kindsmordes unterlag im Laufe der Jahrhunderte starken Wandlungen. In der Antike galten Abtreibung, Aussetzung und Kindstötung als legitime Mittel der Geburtenkontrolle. Uneheliche Kinder waren nicht vollkommen rechtlos, da es noch nicht solch rigide Einstellungen gegenüber dem Konkubinat und noch nicht das Gebot der Monogamie gab. Das gesellschaftliche Wertesystem änderte sich erst mit dem wachsenden Einfluss der christlichen Heilslehre. In der christlichen Moralvorstellung hatte nur Gott Verfügungsgewalt über die Kinder. Von daher wurde Geburtenkontrolle jeglicher Art von der kirchlichen Autorität strikt abgelehnt. Das Christentum wurde der entscheidende Faktor für das Mittelalter. Die christliche Ideologie steht der weiblichen Sexualität grundsätzlich ambivalent gegenüber. Auf der einen Seite ist die Erbsünde Evas und auf der anderen Seite sowohl die Heilige Mutter Maria, als auch der Fortpflanzungsauftrag. Diese Widersprüche wurden durch die Ehe als einzigen Ort für sündenfreie Fortpflanzung gelöst. Ein bedeutender Einfluss kommt hier dem Kirchenvater Aurelius Augustinus (354-430) zu, der das Gebot der Monogamie veranschlagte. Somit veränderte sich die Einstellung zu Konkubinen und deren Kindern. Allerdings trat Kindsmord im Mittelalter nicht sehr häufig auf, da in dieser Zeit äußerst selten Überbevölkerungsprobleme auftraten. In den selten Fällen, wo Abtreibungen oder Kindstötungen im Sinne der Geburtenkontrolle Anwendung fanden, wurden diese Delikte nicht durch die weltliche Obrigkeit geahndet. Letztlich waren diese Taten nur für die Kirchenväter Todsünden und wurden durch die Kirchenbuße bestraft.

Erst nachdem 1532 unter Kaiser Karl V. die peinliche Halsgerichtsordnung verabschiedet wurde, wurden Abtreibung und Kindsmord auch durch weltliches Recht geahndet. Die Gesetze sahen für diese Straftaten die Todesstrafe durch Pfählen oder Säcken vor. Von den drakonischen Strafen abgesehen, war diese Gerichts-ordnung vergleichsweise human. Um eine Verdächtige des Kindsmordes zu überführen mussten verschiedene Verdachtsmomente erfüllt sein. Dazu gehörten eine verheimlichte Schwangerschaft, eine heimliche Niederkunft und der Nachweis über eine Lebend- bzw. Todgeburt. Sollte am Ende des Prozesses nicht hundertprozentig erwiesen sein, dass die Angeklagte ihr Kind getötet hat, konnten auch geringere Strafen, wie Landesverweisung, verhängt werden. In Frankreich (ab 1556) und England (ab 1624) reichten hingegen schon die verheimlichte Schwangerschaft und die heimliche Geburt aus, um eine Frau zum Tode zu verurteilen.[1]

Die Frühe Neuzeit brachte für Europa vor allem eine Zeit des Umbruchs. Das kapitalistische Weltsystem begann sich zu formieren und die Ständegesellschaft wurde festgeschrieben. Die Ehe wurde zentraler Bestandteil der Ordnung. Regelbrüche wurden nicht nur durch die Umwelt, sondern auch gesetzlich stark sanktioniert. Wenn der uneheliche Geschlechtsverkehr einer Frau bekannt wurde, war nicht nur gesellschaftliche Schande die Folge, sondern sie konnte dafür auch z.B. öffentlich ausgepeitscht werden. Auch die Kirchenbuße wurde nach wie vor verhängt. Durch Schwangerschaft wurde ein Fehltritt offensichtlich. Erschwerend für schwangere Frauen kam hinzu, dass der Hexenmythos im 16. und 17.Jahrhundert immer noch allzu gegenwärtig war. Vor allem heilkundige Frauen und Hebammen waren davon betroffen. Gerade letztere hatten Mittel und Wege einen Schwangerschaftsabbruch einzuleiten. Aber „Die Ausbildung und Kontrolle der Hebammen ging in die Hände der Mediziner über, was den Verlust ihrer Autonomie in Schwangerschafts- und Geburtsangelegenheiten zur Folge hatte.“[2] Auch durch Gesetze wurden die Hebammen in ihrer Autonomie beschränkt. Sie wurden durch einen zu leistenden Eid dazu verpflichtet, keine Abtreibungen vorzunehmen und schwangere Frauen zu melden. Dadurch wurden unehelich Schwangeren ihre wichtigsten Ansprechpartnerinnen genommen. Dies und die steigende Moralisierung führte zur Zunahme der Kindsmorddelikte. Eine weitere Ursache lag

...in der Verschärfung der Gesetzgebung hinsichtlich der Alimentationsprozesse. Galt im 16. Jahrhundert ein Eheversprechen, dem eine sexuelle Beziehung folgte, als bindend und endete die Bekanntgabe einer Schwangerschaft noch im 16. und 17. Jahrhundert in einer erzwungenen Ehe oder der finanziellen Entschädigung von Mutter und Kind, wurde die Last der Beweisführung im 18. Jahrhundert auf die Mutter abgewälzt, mit dem Ergebnis, dass gerichtlich beschlossene Eheschließungen eine Seltenheit wurden.[3]

3.1.2. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Wenn von einem Anstieg des Kindsmordes im 18. Jahrhundert die Rede ist, muss auch erwähnt werden, dass die Zahl des Kindsmordes und die der Verurteilungen von Kindermörderinnen relativ gering waren.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert kamen auf ca. 100.000 Personen pro Jahr 1 Kindsmord. In Brandenburg- Preußen wurden zwischen 1774 – 1781 pro Jahr 40 – 60 Kindsmörderinnen verurteilt.[4] In Nürnberg wurden zwischen 1700 – 1781 31 Todesstrafen wegen Kindstötungen verhängt.[5] Trotz der relativ geringen Zahlen wurde der Kindsmord im 18. Jahrhundert – in Deutschland – zum Dreh- und Angelpunkt der aufklärerischen Diskussionen. Dies hing nicht nur mit dem barbarischen Akt des Mordes in einer aufgeklärten Welt zusammen, sondern hatte auch ökonomische Gründe. Menschen wurden Kapital. Man brauchte Soldaten. Gerade vor diesem Hintergrund sind die rechtsreformerischen Bestrebungen Friedrich II. (1712-1786) zu sehen. Als er 1740 die Regierung übernahm, verfügte er unter anderem, dass die Kindsmörderinnen „nur“ enthauptet werden sollten. Er erkannte, das Ehrverlust und soziale Probleme die Gründe für Kindsmord darstellten. Auf sein Wirken hin wurden die Unzuchtsstrafe und die Kirchenbuße abgeschafft.

Im 18. Jahrhundert begann man sich nicht mehr nur für die Tat, sondern auch für die Täterin und ihre Motive zu interessieren. Im Jahr 1780 stiftete ein anonymer „Menschenfreund“ in den „Rheinischen Beiträgen zur Gelehrsamkeit“ 100 Dukaten für die beste Antwort auf die Frage „Welches sind die besten ausführbaren Mittel, dem Kindsmord abzuhelfen, ohne die Unzucht zu begünstigen?“ Es gingen rund 400 Antworten ein. Durch fast alle Beiträge zog sich Mitleid mit den Täterinnen. Es wurde gefordert, dass unverheiratete Schwangere betreut und beaufsichtigt werden sollten. Dazu sollten Gebäranstalten und Findelhäuser eingerichtet werden.

In England, Frankreich und verschiedenen südeuropäischen katholischen Ländern wurden solche Hospitale mit Drehklappen schon in der ersten Hälfte des 18.Jahrhundert eingerichtet. Auch gab es in Paris Ende des 18. Jahrhunderts „...Hebammen, die schwangere Mädchen bei sich ausnahmen.[...]ohne dass nach Namen und Stand der Kindsmutter gefragt worden wäre.“[6]

[...]


[1] Vgl. Ulbricht, Otto: Kindsmord in der Frühen Neuzeit, in: Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, hrsg. von Ute Gerhard, München, 1997, S. 235- 247, S. 236f..

[2] Kulnik, Rosalia: Weiber- Schicksal: Gebärfähigkeit als Dilemma. Kindsmord und Abtreibung in der deutschen Literatur, Wien, 1996, S.30.

[3] Grieco, Sara F. Matthews: Körper, äußere Erscheinung und Sexualität, in: Geschichte der Frauen, hrsg. von Arlette Farge und Natalie Zemon Davis, Bd. 3, Frühe Neuzeit, Frankfurt. 1994, S.61- 102, S. 96.

[4] vgl. Ulbricht: Kindsmord Frühe Neuzeit, S. 246.

[5] Vgl. Kastner, Klaus: Literatur und Wandel im Rechtsdenken, Stuttgart. 1993, S. 9f..

[6] Jacobs, Jürgen: Gretchen und ihre Schwestern. Zum Motiv des Kindsmords in der Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Ethik und Ästhetik. Werke und Werte in der Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Festschrift für Wolfgang Wittkowski zum 70. Geburtstag, hrsg. von Richard Fisher, Frankfurt a. M., Berlin, 1995, S.103- 120, S. 106.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Verführt - verlassen - verurteilt. Kindsmord als Motiv in der englischen und der deutschen Literatur
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V31512
ISBN (eBook)
9783638324946
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verführt, Kindsmord, Motiv, Literatur
Arbeit zitieren
Jenny Maus (Autor:in), 2004, Verführt - verlassen - verurteilt. Kindsmord als Motiv in der englischen und der deutschen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31512

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