Die Poetik Paul Celans und ihre Wechselwirkung mit Ossip Mandelstam und Sergej Jessenin


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


1.Inhalt

2. Einleitung

3. Hauptteil
3.1. Gespräch im Gebirg
3.2. Der Meridian
3.3. Die Bremer Rede
3.4. Über die Dichtung Ossip Mandelstamms
3.5. Jessenin Übertragungen

4. Schlussbemerkungen

5. Literaturverzeichnis

2. Einleitung

Im Jahr 1957 begann Celan sich wieder intensiv mit russischen Autoren auseinander zu setzen. Er hatte bereits in seiner Jugendzeit Sergej Jessenin und andere gelesen. Während seiner Zeit in Bukarest übersetzte er für den Verlag „das russische Buch“ systemkonforme Autoren vom russischen ins rumänische. Nachdem er Bukarest verlassen hatte, befand er russische Autoren für nicht mehr wert sich mit ihnen auseinander zu setzen. In seiner Anfangszeit in Paris kämpfte er mit einer tiefen Identitätskrise. Er versuchte u.a. sein Judentum zu verleugnen, wie James K. Lyon in seinem Aufsatz „Judentum, Antisemitismus, Verfolgungswahn: Celans „Krise“ 1960-1932“ darstellt. Auf den Höhepunkt dieser Krise ab 1957 beginnt Celan sich wieder mit russischen Autoren zu beschäftigen, wieder beginnt er mit Sergej Jessenin. Neben Jessenin standen Alexander Block und Ossip Mandelstamm im Mittelpunkt von Celans Interesse. Die Gedichtübertragungen dieser Autoren erscheinen 1958 „Die Zwölf“ von Block, 1959 „Gedichte“ von Mandelstamm und 1961 die „Gedichte“ von Jessenin.

Ossip Mandelstamm wurde zu Celans großem Idol. Alexej Struve, ein Buchhändler aus Paris schrieb in einem Brief an seinen Bruder, den Slawisten Gleb Struve: „Then he ‚fell in love’ with Mandelstam...“[1] Für Celan war Mandelstamm nicht nur aufgrund seiner Lyrik bedeutend. Celan war sowohl von der Person Mandelstamm und von seinem Schicksal als verfolgter jüdischer Dichter fasziniert, als auch von seinen poetologischen Essays. Eben jene Essays sind auch in die Poetik Paul Celans mit eingeflossen.

Parallel zu seiner Beschäftigung mit den russischen Autoren schrieb Celan in dieser Zeit auch eigene poetologisch wichtige Texte. Zum einen die „Ansprache anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansastadt Bremen“ 1958 – im folgenden Bremer Rede genannt -, im Jahre 1959 folgte die Erzählung „Gespräch im Gebirg“ und im Jahr 1960 „Der Meridian. Rede anlässlich der Verleihung des Georg- Büchner- Preises“. Im selben Jahr strahlte der Norddeutsche Rundfunk eine Sendung über Ossip Mandelstamm aus, und bat Paul Celan das Skript zu dieser Sendung zu schreiben.

Das im wesentlichen also nicht mehr als drei Jahre anhaltende, dabei aber höchst intensive Übersetzen aus dem Russischen hat für Celans eigenes Werk eine unvergleichliche Bedeutung [...] Diese Koinzidenz, diese enge Wechselbeziehung von übersetztem und originärem Werk, lässt sich so deutlich für keine andere Werkphase Celans belegen. Sie kulminiert im Werk und in der Person Mandelstamms, dessen Andenken „Die Niemandsrose“ gewidmet ist.[2]

Ich möchte in dieser Arbeit die Poetik Paul Celans erfassen und zeigen, wie sehr die Beschäftigung vornehmlich mit Mandelstamm auf Celans Dichtung gewirkt hat. Doch auch, wie sehr Celans Poetik in seine Übersetzerarbeit eingewirkt hat. Ich werde mich hier lediglich auf Ossip Mandelstam, in Form der theoretischen Texte und Sergej Jessenin innerhalb der Gedichtübertragungen beziehen. Ich werde drei Gedichte Jessenins in der Übertragung Celans und in wörtlichen Übertragungen von mir gegenüberstellen.

Vor Beginn meiner Arbeit möchte ich sagen, dass es sehr schwierig war wirklich aufschlussreiche Literatur zu diesem Thema zu finden. Im Bezug auf Celans Poetik ist zu bemängeln, dass die meisten Autoren nur Celans eigene Worte wiederholen, ohne diese zu erläutern. Im Bezug auf seine Beschäftigung mit den russischen Autoren, wird kaum auf ihre Bedeutung für seine Poetik geachtet. Christine Ivanović ist eine der wenigen, die dies in ihrem Buch „Das Gedicht im Geheimnis der Begegnung. Dichtung und Poetik Celans im Kontext seiner russischen Lektüren“. Ansonsten ist zu beobachten, dass hauptsächlich Celans Beziehung zu Mandelstamm betrachtet wird, z.B. bei Bernhard Böschenstein „Celan und Mandelstamm – Beobachtungen zu ihrem Verhältnis“. Sergej Jessenin wird relativ wenig beachtet. Ich messe ihm hingegen große Bedeutung bei und möchte dies auch in meiner Arbeit unterstreichen.

3. Hauptteil

3.1. Gespräch im Gebirg

Auf der Suche nach Sekundärliteratur zu dem Prosatext „Gespräch im Gebirg“ von Paul Celan, musste ich feststellen, dass es sehr wenig Literatur über ihn gibt. Es erweckt also den Anschein, dass dieser Text relativ wenig Beachtung gefunden hat. Obwohl er für Celans Poetik eine große Rolle spielte. Es gibt mehrere Elemente, die man im Bezug auf diese Erzählung herausstellen sollte.

Zum einen der Titel „Gespräch im Gebirg“. Der Dialog, also das Gespräch spielt in Celans Poetik eine wichtige Rolle. Zum anderen ist zu beachten, dass dies Celans einziger erzählerischer Text ist[3] und er schon allein dadurch aus dem sonst komplett lyrischen Schaffen heraussticht. Ebenfalls zu beachten ist der Entstehungszeitpunkt. Celan schrieb den Text im August 1959. Zu einer Zeit, in der er sich intensiv mit den russischen Autoren auseinander setzte und auch seine poetologisch wichtigen Reden zum Literaturpreis der freien Hansestadt Bremen und zum Georg- Büchner- Preis schrieb. Wichtig vor allem im Bezug auf letztere ist die Nähe zu Büchners Lenz- Fragment, die dem Text inne wohnt. Celan tritt hier mit Büchner und auch mit Lenz in Dialog. Büchner spielt auch im „Meridian“ eine herausragende Rolle. Schlussendlich ist auch die Frage der (jüdischen) Identität im Text grundlegend für Celans eigene Poetik.

Ein Kernsatz im Meridian lautet „Vielleicht darf man sagen, dass jedem Gedicht sein ‚20. Jänner’ eingeschrieben bleibt?“[4]. Am 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirge und eines Abends ging auch der Jud durchs Gebirg. Seine Bewegung „ging“, „kam“, „kam und ging“ wird besonders am Anfang der Erzählung durch häufige Wiederholung immer wieder hervorgehoben. Diese Bewegung, das Unterwegssein wird auch im „Meridian“ immer wieder im bezug auf das Gedicht betont.

Der Jud ging also abends durchs Gebirg, wie Lenz. Lenz der sich ins Gebirge flüchtete vor seinem eigenen Wahnsinn und auf der Suche war nach den Bedingungen und Möglichkeiten der Kunst. So ist auch Celan in seiner Poetik unterwegs und der Jud wiederum ist auf der Suche nach seiner eigenen Identität und seiner eigenen Sprache.

Der Jude wird hier von Celan als Dichter angelegt, der einen Gesprächspartner sucht. Hier finden sich Spuren der Poetik Mandelstams

Aber wie soll man denn nicht ins Staunen geraten über dieses fruchtbarste aller Prinzipien- das Prinzip der Identität. Wer durchdrungen ist von ehrfürchtigem Staunen über dieses Prinzip, der ist zweifellos ein Dichter.[5]

Der Jude ist ein Dichter, da er ob des Staunens über die eigene Identität sich auf die Suche nach ihr begibt.

Der Jude hat nichts, was wirklich ihm gehört, nicht einmal sein Schatten. Er spricht eine andere Sprache und er hat verschleierte Augen. Nimmt man hier das Zwetajewa Zitat „Alle Dichter sind Juden“[6], welches Celan als Präambel seinem Gedicht „Und mit dem Buch aus Tarussa“ voran stellt, schließt sich ein poetologischer Kreis.

„Aber sie, die Geschwisterkinder, sie haben, Gott sei’s geklagt, keine Augen. Genauer: sie haben, auch sie, Augen, aber da hängt ein Schleier davor, nicht davor, nein, dahinter, ein beweglicher Schleier; kaum tritt ein Bild ein, so bleibts hängen im Geweb, und schon ist ein Faden zur Stelle, der sich da spinnt, sich herumspinnt ums Bild, ein Schleierfaden; spinnt sich ums Bild herum und zeugt ein Kind mit ihm, halb Bild und halb Schleier“[7]

Sie nehmen die Welt nicht wahr, wie sie ist, sondern entwerfen etwas anderes. So wie es auch die Dichter tun. Hier sei auf das Medusenhaupt im Meridian verwiesen. „...’Man möchte ein Medusenhaupt’ sein, um... das Natürliche als das Natürliche mittels der Kunst zu erfassen! Man möchte heißt es hier freilich, nicht: ich möchte.“[8]

Besonders Wichtig ist hier das „Nicht: ich möchte“ Celan will das Natürliche nicht einfangen und versteinern. Er sieht in der Kunst diesen Schleier, durch den die Welt anders dargestellt wird. Kunst ist etwas subjektives. Karin Lorenz- Lindemann schreibt: „Unmittelbare Wahrnehmung von Welt bleibt verwehrt, sie ist als wahrgenommene immer schon eine dem Subjekt kreativ anverwandelte.“[9]

Kunst ist auch aus dem Grund subjektiv, da sie sich immer aus der Gegenwart des Dichters her schreibt. Dies wird im Gespräch deutlich durch das häufig wiederholte „Ich bin da“[10] Der Jud ist im Hier und Jetzt und wenn er sich an seine Vergangenheit auf dem Steinfliesenboden erinnert, ist diese Erinnerung gefärbt durch seine Gegenwart. Er beschreibt seine Vergangenheit als Überlebender. Hätte er dieses Erlebnis zur Zeit desselben erzählt, hätte er es anders beschrieben. Erst in seiner Gegenwart kann er wissen, das dieser Tag nicht der letzte war[11].

Im Mittelpunkt des Textes steht die Identitätssuche. Die Verankerung der eigenen Person in der Welt. Das Gespräch und auch die Begegnung des Juden Groß mit dem Juden Klein wird am Ende als imaginär entlarvt: „- ich hier, ich; ich, der ich dir all das sagen kann, sagen hätt können; der ich dirs nicht sag und nicht gesagt hab [...] ich auf dem Weg hier zu mir, oben“[12] Es ist also das Selbstgespräch eines „Ich“ mit einem imaginären „Du“. Der Jude hat „reden müssen“[13] über seine Vergangenheit. Das Problem im Deutschland dieser Zeit war, eine fehlende Auseinandersetzung mit der jüdischen Problematik. Keiner wollte zuhören, also redet der Jude zu einem imaginären Gesprächspartner in einer Umgebung, die eine andere Sprache spricht als er. Er ist, wie das Gedicht voller Hoffnung, dass jemand ihn hört und versteht.

Der Jud ist wie Lenz auf der Flucht, allerdings flieht er weniger vor sich selbst, als mehr vor der Ignoranz seiner eigentlichen Umgebung, die ihn in den „Niederungen“[14] sein lässt. Also redet er zu sich selbst und findet letztlich auch zu sich selbst, indem er Frieden mit seiner Vergangenheit und seiner unverdienten Stunde schließt. In dem Text ist permanent das schlechte Gewissen des Überlebenden gegenwärtig. Mit diesem hatte auch Celan selbst zu kämpfen.

Einige Kritiker, die das Schuld- Thema in Celans Gedichten bemerkt haben, vermuten, dass er an einem schweren Fall von „survivor guilt“ (Überlebensschuld) gegenüber seiner Familie und anderen Juden litt, die den Holocaust nicht überlebt hatten. Ironischer Weise scheint es, dass er desto stärker ein teilweise verdrängtes Schuldgefühl entwickelte, je mehr Sachs ihm half, seine Identität als Jude anzuerkennen.[15]

Auch schreibt Lyon in seinem Aufsatz

Er schreibt weiter „Vielleicht bin ich einer der letzten, die das Schicksal der jüdischen Geistigkeit in Europa zuende leben müssen.“ Aus solchen Äußerungen könnte man unter anderem schließen, dass er, wenigstens zu diesem Zeitpunkt, sich selbst als Sprecher seines Volkes verstand.[16]

Diese Rolle ist auch dem Juden im Gebirge und auch dem Dichter an sich in Celans Poetik eingeschrieben. Der Jude ist, wie anfangs bereits erwähnt ein Dichter. Ossip Mandelstam schrieb in seinem Essay über den Gesprächspartner:

[...]


[1] Christine Ivanović: Das sah ich dich, Mandelstamm, in: Fremde Nähe. Celan als Übersetzer, hrsg. von Axel Gellhaus, Marbach 1997, S.342.

[2] Kyrillisches. Übersetzungen aus dem Russischen, in: Fremde Nähe. Celan als Übersetzer, hrsg. von Axel Gellhaus, Marbach 1997, S. 287f..

[3] Vgl. Theo Buck: Kommentar. Entstehungszusammenhang. In P.C. Gespräch im Gebirg, mit einem Kommentar von Theo Buck, hrsg. von Bernhard Albers und Reinhard Kiefer, Frankfurt am Main 2002, S. 17.

[4] Paul Celan: Der Meridian. Rede anlässlich der Verleihung des Georg- Büchner- Preises, in: Paul Celan. Gesammelte Werke in fünf Bänden, hrsg. von Beda Allemann und Stefan Reichert, Bd. 3, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1983, S.196.

[5] [5] Ossip Mandelstam: Der Morgen des Akmeismus, in: Ossip Mandelstam: Über den Gesprächspartner. Gesammelte Essays 1913- 1924, hrsg. von Ralph Dutli, Frankfurt am Main 1994, S. 21.

[6] Paul Celan: die Niemandsrose, in: Paul Celan. Gesammelte Werke in fünf Bänden, hrsg. von Beda Allemann und Stefan Reichert, Bd. 1, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1983, S. 287.

[7] Paul Celan: Gespräch im Gebirg, in: Paul Celan. Gesammelte Werke in fünf Bänden, hrsg. von Beda Allemann und Stefan Reichert, Bd. 3, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1983, S.170.

[8] Celan: der Meridian, PC 3, S. 192.

[9] Karin Lorenz- Lindemann: Paul Celan: Gespräch im Gebirg – ein Palimpsest zu Büchners Lenz, in: Datum und Zitat bei Paul Celan, hrsg. von Chaim Shoham und Bernd Witte, Frankfurt am Main 1987, S. 174.

[10] Celan: Gespräch im Gebirg, PC 3, S. 171.

[11] vgl. ebd. S. 172.

[12] ebd. S. 173.

[13] Vgl. 10

[14] ebd. S. 169

[15] James K. Lyon: Judentum, Antisemitismus, Verfolgungswahn: Celans „Krise“ 1960-1932, in: Celan Jb. 3(1989), hrsg. von: Hans- Michael Speier, Heidelberg 1990, S. 185.

[16] ebd. S. 176.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Poetik Paul Celans und ihre Wechselwirkung mit Ossip Mandelstam und Sergej Jessenin
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V31511
ISBN (eBook)
9783638324939
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Poetik, Paul, Celans, Wechselwirkung, Ossip, Mandelstam, Sergej, Jessenin
Arbeit zitieren
Jenny Maus (Autor:in), 2004, Die Poetik Paul Celans und ihre Wechselwirkung mit Ossip Mandelstam und Sergej Jessenin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31511

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