Literaturverfilmung und Werktreue. „Tod in Venedig“ im Vergleich


Hausarbeit, 2013

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2 Literaturverfilmung und Werktreue
2.1 Das Problem des Medienwechsels
2.2 Indirekte Werktreue nach Bazin

3 Der Tod in Venedig: Vergleich Novelle und Film
3.1 Handlungsebene
3.2 Deutungsebene
3.3 Erzählperspektive

4. Fazit

5 Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

1. Einleitung

Literaturverfilmungen haben keinen leichten Stand. Das gnadenlose Publik schreckt oft nicht vor dem direkten Vergleich mit der literarischen Vorlage zurück und so lautet das vernichtende Urteil nach dem Kinobesuch nicht selten, der Film sei ja gar nicht so wie das Buch und überhaupt, das Buch sei ja viel besser.. Auch im akademischen Kontext wurden Literaturverfilmungen aufgrund unzureichender Werktreue jahrelang verunglimpft und die Kritik sogar auf den Film als Medium insgesamt ausgeweitet: „The cinema inevitably lacks the depth and dignity of literature“.[1] Der Ruf nach Werktreue und die geradezu „konfessorische Ablehung“ gegenüber Literaturverfilmungen war lange Zeit vorherrschend und ist trotz großer Fortschritte im akademischen Bereich noch immer nicht vollkommen überwunden.[2] Die vorliegende Arbeit möchte daher ihren Beitrag dazu leisten, mehr Verständnis für die Eigenständigkeit von Literaturverfilmungen zu schaffen. Folgende These gilt es dabei zu stützen: Um ein literarisches Werk adäquat ins Medium Film zu übersetzen muss die Forderung sklavischer Werktreue gegen den Anspruch interpretativer Transformation ersetzt werden.

Hierzu soll zunächst der Prozess des Medienwechsels nachvollzogen werden, der die Unmöglichkeit absoluter Werktreue beweißt und die Forderung somit hinfällig macht. Nach welchen Maßstäben man stattdessen eine gelungene Literaturverfilmung schaffen kann, soll daraufhin unter Bezug auf die Theorie von Bazin gezeigt werden, der für eine indirekte Werktreue plädiert. Anschließend soll die Analyse eines konkreten Beispiels Bazins Theorie stützen. Hierfür wurde Luchino Viscontis Film MORTE A VENEZIA gewählt, die „von der überwiegenden Mehrheit der Kritiker als gelungene Literaturadaption anerkannt [wurde].“[3] Es soll herausgearbeitet werden, an welchen Stellen und zu welchem Zweck Visconti von der literarischen Vorlage abweicht und wie er Thomas Manns Novelle dadurch im Kern näherkommt. Im Fazit sollen die Erkenntnisse dieser Arbeit abschließend zusammengefasst werden.

2 Literaturverfilmung und Werktreue

2.1 Das Problem des Medienwechsels

Wenn wir uns mit Beziehungen zwischen verschiedenen Medien und Medienprodukten auseinander setzten, so bewegen wir uns im Forschungsbereich der Intermedialität. Der Begriff bezeichnet nach Rajewsky „die Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene und konzeptualisiert insbesondere Beziehungen zwischen konventionell als distinkt angesehenen Medien und Medienelementen“.[4]

Nach Rajewsky lassen sich drei intermediale Kategorien unterscheiden: Medienkombination, Medienwechsel und Intermediale Bezüge.[5] Für diese Arbeit ist einzig die Kategorie des Medienwechsels interessant, da Literaturverfilmungen eindeutig in diese Kategorie fallen: Sie vollziehen einen Wechsel vom Ausgangsmedium Literatur in das Zielmedium Film - oder wie Rajewsky es beschreibt: „Ein in Medium A realisiertes Produkt wird in einem Medium B, das einem anderen semiotischen System zugeordnet werden kann, umgesetzt.“[6] Dieser besagte Wechsel von A nach B wirft Fragen auf, denn geht man davon aus, dass der Ausgangstext „medienspezifisch fixiert“ ist, lässt sich dieser dann überhaupt adäquat in ein Zielmedium übersetzen?[7] Filmtheoretiker Stam beantwortet diese Frage folgendermaßen:

„The shift from a single-track, uniquely verbal medium such as the novel, which has only words to play with, to a multi-track medium such as film, which can play not only with words (written and spoken), but also with theatrical performance, music, sound effects, and moving photographic images, explains the unlikelyhood – and I would suggest even the undesirability – of literal fidelity.“[8]

Adäquate Übersetzung ist möglich - nur eben nicht mit dem Vorsatz absoluter Werktreue. Wie das Zitat verdeutlicht, nutzt die Filmkunst andere Möglichkeiten, Geschichten zu präsentieren als die Literatur und dieser Medienwechsel bringt automatische Veränderungen mit sich, die im Folgenden aufgeführt werden und die es bei der Bewertung von Literaturverfilmungen stets zu bedenken gilt:

Ein erster Unterschied kommt schon dadurch zustande, dass der Film gezwungen ist, zu konkretisieren: Ein literarisches Werk hat Leerstellen, die sich der Leser durch Phantasie füllen muss. Ein Film hingegen gibt die Visualisierung vor und da wohl kaum alle Leser eine identische Vorstellung bei der Lektüre eines Werkes entwickeln, so kann ein Film gar nicht jeder dieser Phantasien gerecht werden. So liefert Flaubert beispielsweise keine umfassende Beschreibung der Romanprotagonistin Emma Bovary und jeder Leser wird sich ein anderes Bild von ihrer Schönheit gemacht haben. Dennoch muss für den Film eine konkrete Entscheidung in Bezug auf die Besetzung getroffen werden. Gleiches gilt für Set, Requisiten, Licht – eben alles was im Film später gezeigt wird.[9]

Hinzu kommen außerdem Entscheidungen in Bezug auf Kameraeinstellungen, Schnitttechnik und musikalische Untermalungen, für die man im Buch wahrscheinlich keine konkreten Anhaltspunkte finden wird.[10] Auch stellt sich die Frage, wie die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt ist, filmisch zu übersetzen ist. Einen Erzähler aus dem Off den Originaltext einlesen zu lassen, um eine auktoriale Erzählstruktur zu schaffen, ist nicht unbedingt im Sinne des Mediums. Auch hier bedarf es also Entscheidungen seitens der Regie.

Auch insgesamt muss sich der Film für eine Linie entscheiden: Ist man der Handlung treu oder der Atmosphäre, dem Erzählduktus oder der emotionalen Wirkung...? Der Regisseur wird sich immer wieder an einer Gabelung finden und zu Entscheidungen gezwungen sein. Dieser Umstand verdeutlicht erneut, warum absolute Werktreue unmöglich ist.

Neben den Entscheidungen und Konkretisierungen die zwangsläufig einen Unterschied zwischen Buch und Film mit sich bringen, gibt es weitere schlicht praktische Faktoren die unvermeidbare Veränderungen hervorrufen. So muss zum Beispiel der Zeitfaktor bedacht werden, denn ein Kinofilm hat in aller Regel eine bestimmte Länge (meist um 100 Minuten), die auf die Konzentrationsspanne des Zuschauers zugeschnitten ist und die in die Länge zu dehnen sich eher ungünstig auf den Film auswirkt.[11] Auch ist die Filmproduktion ist in den meisten Fällen doch um einiges aufwendiger und vor allem teurer als der Entstehungsprozess eines Romans oder einer Novelle.[12] So ist es um einiges unkomplizierter, den Protagonisten mittels Sprache durch verschiedene Städte reisen zu lassen, als jene Orte mit einer Filmcrew aufzusuchen oder Kulissen einzeln nachbauen zu lassen.[13]

Insgesamt also zeigt sich, dass durch den Medienwechsel vom Ausgangsmedium zum Zielmedium unumgängliche Veränderungen stattfinden. Der Anspruch absoluter Werktreue ist somit hinfällig. Dennoch ist es möglich, Literatur angemessen und nah am Werk zu verfilmen. Das folgende Kapitel soll - unter Rückgriff auf die Theorie Bazins – zeigen, wie das funktionieren kann.

2.2 Indirekte Werktreue nach Bazin

Andre Bazin veröffentlichte 1958 eine Sammlung von filmtheoretischen Aufsätzen („Qu’est-ce que le cinéma?“) die bis heute viel gelesen und hoch anerkannt sind.[14] Bei seinen Überlegungen zu Literaturverfilmungen plädierte er für eine Werktreue im indirekten Sinne:

Nach Bazin ist es für eine gelungene Literaturverfilmung nicht relevant, ob der Regisseur detailgetreu Dialogen, Handlung und sonstigen Beschreibungen im Buch folgt oder nicht. Vielmehr muss der tiefere immanente Sinn eines literarischen Werkes erfasst und in den Film übertragen werden: „Aus den gleichen Gründen, aus denen eine Wort-für-Wort-Übersetzung untauglich und auch eine zu freie Übersetzung zu verurteilen ist, muss eine gute Adaption das Original in seiner Substanz nach Wort und Geist wiederherstellen können.“[15] So lobt Bazin beispielsweise die Literaturverfilmungen MADAME BOVARY oder UNE PARTIE DE CAMPAGNE von Jean Renoir und begründet, Renoir sei „mehr dem Geiste des Werks als seinen Buchstaben treu“.[16] Es ist nach Bazins Verständnis von Werktreue also Priorität, sich auf den Sinn anstatt auf die Handlung zu konzentrieren, um die Essenz eines Werks in das Medium Film zu übersetzen.

Hierzu bedarf es eines hohen Maßes an Kreativität und künstlerischer Eigenleistung, denn eine solche Art der Verfilmung „verlangt sowohl mehr Erfindungen als auch mehr Fantasie von dem Regisseur.“[17] Ein Beispiel für eine besonders gute Regieidee in Bazins Sinne ist in Delannoys Verfilmung von LA Synphonie Pastorale zu finden. Der Autor André Gide wählte die Vergangenheit als Erzählform für seinen Roman. Delannoy verlagerte deshalb die Handlung in eine winterliche Landschaft, um die Erzählwirkung und Atmosphäre zu transportieren:

„Der immer gegenwärtige Schnee stellt einen subtilen und mehrwertigen Symbolismus dar, der die Handlung heimlich modifiziert, sie in gewisser Weise mit einem permanenten moralischen Faktor versieht, dessen Wert sich vielleicht nicht so sehr von dem unterscheidet, was der Schriftsteller durch die entsprechende Anwendung grammatikalischer Zeitformen zu erreichen versucht hat. Die Idee, dieses geistige Abenteuer mit Schnee zu umgeben und den sommerliche Charakter der Landschaft systematisch zu ignorieren, ist eine für den Film ganz spezifische Entdeckung, die der Regisseur durch sein besonders klares und glückliches Textverständnis hat machen können.“[18]

Es sind also gerade die Regieabweichungen, die Zudichtungen und Veränderungen, die einen Film näher an die literarische Vorlage bringen können. Diese Art von Übersetzung setzt intensive Beschäftigung mit dem Text, genaue Kenntnis und vor allem Vorstellungskraft voraus. Nur so kann ein neues Gleichgewicht in einer Verfilmung hergestellt werden, die mit der literarischen Vorlage nicht identisch ist, ihm aber entspricht.[19]

Diese Art der Verfilmung für die Bazin plädiert, wurde vom späteren Filmtheoretiker Helmut Kreuzer in die Kategorie „Transformation“ eingeordnet: Nicht nur Inhalt, sondern vor allem Sinn und Wirkung sollen erfasst und übertragen werden. Die Umsetzung in das Medium Film soll nicht mechanisch erfolgen, sondern „semiotisch, ästhetisch und soziologisch adäquat.“[20] Kreuzer fügt der Theorie hinzu, dass es im Übrigen nicht nur eine möglich Art der Verfilmung eines Werkes gibt, sondern je nach Lesart des Regisseurs verschiedene gute Verfilmungen entstehen können.[21] Im nächsten Kapitel soll nun mit Viscontis MORTE A VENEZIA ein gelungenes Beispiel für eine solche Art der Literaturverfilmung gegeben werden.

3 Der Tod in Venedig: Vergleich Novelle und Film

Thomas Manns schrieb die Novelle DER TOD IN VENEDIG im Jahre 1911 während seiner Zeit in München im Alter von 36 Jahren.[22] Ein Jahr später wurde das Werk in einer Literaturzeitschrift, wenig später als eigene Ausgabe veröffentlicht.[23] Im Mittelpunkt der Erzählung steht der alternde Schriftsteller Gustav Aschenbach, der eine Reise nach Venedig unternimmt und dort dem polnischen Jungen Tadzio begegnet. Die vollkommene Schönheit des Jungen fasziniert und verwirrt Aschenbach und der sonst so disziplintreue Schriftsteller gerät in einen verhängnisvollen Gefühlsrausch. Aschenbach infiziert sich mit Cholera und stirbt als würdeloser Greis am Strand von Venedig.[24]

Die Geschichte wurde von Luchino Visconti mit Dirk Bogarde als Aschenbach verfilmt und MORTE A VENEZIA feierte 1970 Premiere.[25] Der Film wurde hoch gelobt und hat „einen Standard für Literaturadaptionen gesetzt, an dem in der Folgezeit viele Verfilmungen gemessen wurden.“[26] Dabei ist Visconti Mann nicht sklavisch gefolgt, sondern wurde vor allem für die Eigenständigkeit der filmischen Transformation gelobt.[27] Im Folgenden soll anhand von verschiedenen Kategorien herausgearbeitet werden an welchen Stellen Visconti von der Mann abwich und wie er dem Kern der Erzählung dennoch – oder gerade dadurch – nahe blieb.

[...]


[1] Stam 2000, S. 55

[2] Vgl. Schneider 1981, S. 1

[3] Hurst 1996, S. 186

[4] URL: http://intermedialitaet.phil.hhu.de/?page_id=121

[5] Vgl. ebd.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Stam 2000, S. 56

[9] Vgl. Stam 2000, S. 55 f.

[10] Vgl. ebd., S. 56

[11] Vgl. ebd., S. 57

[12] Vgl. ebd., S. 56

[13] Vgl. ebd.

[14] URL: http://www.zeit.de/1976/37/der-papst-der-filmkritik

[15] Bazin 1999, S. 38

[16] Ebd., S. 37

[17] Ebd., S. 38

[18] Bazin 1999, S. 38

[19] Vgl. ebd., S. 39

[20] Kreuzer 1999, S. 25

[21] Kreuzer entwickelte anhand von Werktreue-Abstufungen vier Kategorien der Literaturverfilmung: Dokumentation, Illustration, Transformation und Aneignung. Hierbei ist die Dokumentation lediglich das Abfilmen eines Theaterstücks, die Illustration beschreibt die reine Bebilderung eines Textes weitestgehend ohne kreative Eigenleistung, die Transformation bezeichnet die Übersetzung eines literarischen Textes in das Medium Film im Sinne Bazin und die Aneignung ist der Ansatz, den Film als vollkommen Eigenständiges und vom Text unabhängiges Werk zu betrachten. Vgl. Kreuzer 1999, S. 25 f.

[22] Vgl. URL: http://www.inhaltsangabe.de/mann/der-tod-in-venedig/

[23] Vgl. ebd.

[24] Die Erzählung kann in diesem Rahmen nicht im Detail wiedergegeben werden. Wichtige Handlungselemente lassen sich aus der folgenden Vergleichsanalyse erschließen. Dennoch ist die Kenntnis von Buch und Film empfehlenswert für das Verständnis der Analyse.

[25] Vgl. Faulstich 1999, S. 113

[26] Ebd.

[27] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Literaturverfilmung und Werktreue. „Tod in Venedig“ im Vergleich
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Veranstaltung
Einführung in die kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
14
Katalognummer
V314503
ISBN (eBook)
9783668130340
ISBN (Buch)
9783668130357
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturverfilmung, Thomas Mann, Tod in Venedig, Luchino Visconti, Filmtheorie
Arbeit zitieren
Natalja Fischer (Autor:in), 2013, Literaturverfilmung und Werktreue. „Tod in Venedig“ im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314503

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