Soziale Disparitäten in Innenstädten. Der "kriminelle" Raum

Ein Beitrag zur Kritischen Geographie


Hausarbeit, 2014

16 Seiten, Note: 1,3

Henning Jensöntner (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ursprung und Kernaussagen der „Kritischen Geographie“
2.1 Die marxistische Theorie und seine Übertragung auf die Kritische Geographie
2.1.1. Die blockierte Marx-Rezeption im Westen
2.2 Die Raumproduktion nach Henri Lefebvre
2.3 Die „scale-Debatte“
2.4. Kurze Zusammenfassung der Kernaspekte der „Kritischen Geographie“

3. Soziale Disparitäten in (Innen-)Städten anhand eines Praxisbeispiels aus Bremen
3.1 Die „kriminelle“ Innenstadt in der Praxis
3.2 Legitimation der Betretungsverbote

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der modernen Humangeographie hat die „kritische Geographie“ eine Schlüsselrolle übernommen. In den 1970er Jahren ersetzte sie im angloamerikanischen Sprachraum die bis dahin sehr quantitativ geprägte Arbeitsweise. Kritisch nahm sie Einfluss auf geographische Themen: Neu war allerdings die sehr strukturalistische Ausrichtung (vgl. REUBER 2012: 97). Auch auf die Gesellschaftswissenschaften vermag der neue gesellschaftstheoretische Ansatz gewirkt zu haben (vgl. REUBER 2012: 97 nach SMITH 2001).

Der Begriff „kritische Geographie“ ist demnach vermeintlich einfach zu definieren. Doch „das grundsätzliche Problem der Bezeichnung einer bestimmten akademischen Wissensproduktion als „kritisch“ besteht darin, „dass, formal gesehen, wissenschaftliches Denken immer kritisches Denken ist“ (BELINA 2006: 343 nach MARKARD 2005). Zumindest „kritisch gegenüber anderen Ansätzen und Autoren“ (BELINA 2006: 343 nach MARKARD 2005). So widerruft sich eine „unkritische Wissenschaft“ in „sich selbst“ (vgl. BELINA 2006: 343). Eine unkritische Wissenschaft existiert folglich nicht. Daraus schließend bezeichnet die „Kritische Geographie“ - oder auch „radical geography“ - eine weiter gefasste Kritik an etwas Materiellem, an Phänomenen und Prozessen. Über etwas hinauszudenken, etwas zu hinterfragen, das selbstverständlich geworden zu sein scheint, zeichnet einen merkbaren Unterschied zu einer ‚unkritischen‘ Wissenschaft aus (vgl. BELINA 2006: 343).

In der folgenden Ausarbeitung wird auf die Ursprünge der „Kritischen Geographie“ eingegangen. Dazu zählt ein Diskurs zu den Aussagen des Marxismus und dessen gegenwärtige Strömungen, sowie die nähere Beleuchtung führender „kritisch-geographischer“ Forscher. Des Weiteren wird auf die Kernaussagen und Raumperspektiven eingegangen. Insbesondere Henri Lefebvres Raumkonzept und das Konzept der „scale Debatte“ werden gesondert betrachtet. Hierfür ist es auch notwendig, sich näher mit den, der „Kritischen Geographie“ nahe stehenden, Forschungsströmungen - wie etwa der Politischen Geographie und der Geopolitik - zu beschäftigen.

Die „Kritische Geographie“ bietet in ihrer breiten kritischen Auslegung folglich durchaus die Möglichkeit, viele Themenbereiche des Alltags zu untersuchen. Diverse Arbeitskreise haben sich gebildet und erstellen und sammeln Berichte aus kritisch-politisch geführten aktuellen Untersuchungen. Insbesondere der „Ausverkauf der Städte“, damit ist die stetige Privatisierung öffentlichen Raumes gemeint, lassen sich in der Veröffentlichungen häufig wiederfinden. „Wem gehört die Stadt?“ sind häufige Phrasen, mit denen linke Aktivisten ebenso zahlreich auf sich aufmerksam machen. Ein aktuelles Fallbeispiel wäre der Mainzer Zollhafen, der mit großen bebaubaren Flächen Investoren anlockte (Der Bau teurer Wohnungen hat bereits begonnen) (vgl. Abbildung 1). Ein weiteres Phänomen der Gegenwart, welches durch einen „globalisierten Stadtmarkt“ entstand, führt man unter dem Begriff der „unternehmerischen Stadt“. Städte sind

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Das Rheinkai 500 Projekt am Zollhafen Mainz. Ungenutzter städtischer Freiraum wird zum Bau teurer Wohnhäuser genutzt. Protestgraffiti: THE CITY IS NOT FOR SALE. (Eigene Fotografie).

einem weltweiten Konkurrenzkampf unterlegen und nutzen ihre Stellung innerhalb des Stadt- Containerraums zu diesem Zwecke aus. Gemeint ist die Ästhetik einer (Innen-)Stadt, in die diverse Dinge hineinspielen: Beispielsweise allgemeine Sauberkeit und (prägende) Architektur. Zu einem sauberen Image zählt auch das Sicherheitsgefühl, die Abwesenheit von Kriminalität. Sicherheit und Kriminalität sind Begriffe, die immer wieder bei politischen Diskussionen und in Wahlkämpfen zu Tage treten. Empfindliche Reaktionen sind die Folge, da ein Gefühl der Sicherheit unabdingbar zum Image eines Ortes dazugehört. Negative, durch Kriminalität hervorgerufene, Erfahrungen werden in den Medien vermittelt und treten in den verschiedensten Formen täglich auf (vgl. ROLFES 2003: 330). In dieser Hausarbeit wird, der „kritischen Geographie“ entsprechend, untersucht, ob eine Gleichschaltung von Raum und Kriminalität stattfindet und wie diese im (historisch-materialistischen) Kontext einzuordnen ist. Ob dieses Phänomen auch auf eine größere bzw. kleinere Maßstabsebene skalierbar ist, wird ebenfalls hinterfragt. Dies wird unter anderem anhand eines Fallbeispiels aus Bremen näher erläutert.

2. Ursprung und Kernaussagen der „Kritischen Geographie“

Ihren Ursprung hatte die „Kritische Geographie“ bereits in den Strömungen der Politischen Geographie (bewusst mit einem großen ‚P‘). Die Entstehungen der „kritischen Geographie“ und der Politischen Geographie sind gute Beispiele „für die Verkopplung von Wissen, Raum und Macht und für die gesellschaftlichen Folgen“ (REUBER 2012: 69). Im Folgenden wird kurz die Konzeption der Politischen Geographie erläutert, da diese einen historisch gereiften „Nährboden“ umfasst, der die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bildet. Diesen Bedingungen liegen folgende Konzepte zugrunde:

a) Naturdeterminismus
b) Nationalismus und ‚nation building‘
c) Darwinismus (als Basis für naturdeterministisches Konzept)
d) Staatsorganizismus
e) Imperialismus und Kolonialismus.

Der Naturdeterminismus (a), der Nationalismus (b) und der Darwinismus (c) können als das länderkundliche Weltbild der deutschen Geographie im frühen 19. Jahrhundert zusammengefasst werden (vgl. REUBER 2012: 72 nach SCHULTZ 2001). Diese Konzepte trugen dazu bei, dass Staatsgrenzen nach natürlichen Identitäten zu verlaufen hatten. „Entsprechend korrelierte man Kontinente mit Rassen, die Ländern mit Völkern und die Landschaften mit den Stämmen“ (Reuber 2012: 72). Man gab einer Nation einen physisch-materiellen Charakter. Der Staatsorganizismus (d) beschreibt den „Staat als ein mit dem Boden verwurzeltes „Wesen““ (REUBER 2012: 75 nach RATZEL). RATZELS Theorien im Jahre 1847 waren besonders für kolonialistische Raubzüge geeignet, da eine Inanspruchnahme anderer Länder nun besser zu rechtfertigen war (vgl. REUBER 2012: 80). „Generell eignete sich diese Begründungslogik der staatsorganizistischen Geopolitik auch“ (REUBER 2012: 83) für kriegstreibende Politik und Propaganda im Zeitraum der Weimarer Republik und die der nationalsozialistischen Herrschaft.

In der Nachkriegszeit versuchte man gewissenhaft die Politische Geographie und die Geopolitik voneinander zu trennen. Die Geopolitik stand als politisch und ideologisch ausgerichtete Form der Wissenschaft dar, getrennt davon die Politische Geographie: Sie verpflichtete sich als „vermeintlich objektive, neutrale, rein wissenschaftlichen Denk- und Analyseprinzipien verpflichtete Form von Wissenschaft“ (REUBER 2012: 88). Dies sollte sich - eher als „disziplinarische Notbremse“ (REUBER 2012: 88) - als langanhaltende Differenzierung herausstellen. In den 1970er und 1980er Jahren war es dann die „Radical Geography“, die die Politische Geographie komplett neu konzeptualisierte (vgl. GEBHARDT et al. 2011: 791).

Diese neu entstandene Teilströmung der Politischen Geographie fokussierte - wie bereits beschrieben - die Analyse politisch-geographischer Phänomene und erweiterte diese auf die Analyse genereller Raum-Macht-Asymmetrien (vgl. GEBHARDT et al. 2011: 791). Diese Entwicklung war durchaus abzusehen, da marxistisches Gedankengut allmählich den Westen erreichte („Westlicher Marxismus“ (REUBER 2012: 97)). David Harvey erkannte dies und begründete die „Kritische Geographie“ auf der Philosophie Marx‘ (vgl. Kapitel 2.1.), da diese strukturalistische, philosophische Lesart, sich abseits „oberflächlicher Erscheinungen“ (REUBER 2012: 100) bewegte, sondern tiefgründiger nach Zusammenhängen und nach den „zugrunde liegenden Wurzeln suchte“ (REUBER 2012: 100). Konkret bedeutet dies, dass die „Kritische Geographie“ die Gesellschaft als duales System aus Politik und ökonomischen Institutionen konzeptualisierte und gleichzeitig Kritik an der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Welt ausübte (vgl. REUBER 2012: 100).

2.1 Die marxistische Theorie und seine Übertragung auf die Kritische Geographie

Dieses vorangegangene politökonomische Konzept geht - wie bereits beschrieben - aus der marxistischen Lehre hervor. Grundlegend geht man von einer sozialen Differenzierung nach Klassen aus. Zu Marx Lebzeiten waren diese: Bourgeoisie und das Proletariat. Marx erkannte weiter, dass das Verhältnis zur Natur grundlegend für eine Gesellschaft ist. Um diesem Verhältnis zu entreißen bedarf es Arbeit, sowie einer Analyse der nat ü rlichen Gegebenheiten, der Arbeitsmethoden und der Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Diese drei Faktoren bilden die Produktionsverhältnisse. Marx erkannte weiterhin, dass der Tatbestand der Arbeitsteilung besonders auf die Bildung von Privateigentum zurückführt: „Niedere“ Arbeit - ausgeführt vom Proletariat - wird scharf von „höherer (oder wertigerer) Arbeit“ (ausgeführt von der Bourgeoisie) getrennt. Es entstehen Klassen, da sich ein Einzelner nicht nur durch einen besonderen „gesellschaftlichen Wert“, sondern aufgrund seines privaten Besitzes zu den administrativen „höheren“ Funktionen zählen darf. Diese entstandene Gesellschaftsstruktur zeichnet sich als Organisation des Eigentums und der gesellschaftlichen Klasse aus (Marx nennt dies: Produktionsweise) (vgl. LEFEBVRE 1975 59ff.). Genauer beschreibt er eine starke Trennung und gleichzeitige Abhängigkeit von Individuum und Gesellschaft. „Er sah die Handlungen von Menschen vor allem als Ergebnis gesellschaftlicher Zwänge und Rahmenbedingungen, als Resultat der sie umgebenden ‚Strukturen‘ (REUBER 2012: 100). Das Bild einer Marionette erklärt diese Aussage vielleicht noch am treffendsten.

„Auch wenn diese neugeborene marxistische Geographie dazu tendierte nach innen gerichtet, wechselhaft in ihrer kritischen Haltung und wahrscheinlich aus diesem Grund […] unbeachtet zu bleiben, erschütterte sie die Fundamente der Modernen Geographie“ (SOJA 2008: 77).

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Soziale Disparitäten in Innenstädten. Der "kriminelle" Raum
Untertitel
Ein Beitrag zur Kritischen Geographie
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Geographisches Institut)
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V314137
ISBN (eBook)
9783668132993
ISBN (Buch)
9783668133006
Dateigröße
1324 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, disparitäten, innenstädten, raum, beitrag, kritischen, geographie
Arbeit zitieren
Henning Jensöntner (Autor:in), 2014, Soziale Disparitäten in Innenstädten. Der "kriminelle" Raum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314137

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