Sprachförderung bei erwachsenen Migrantinnen im Lehrgang Pflegehelferin SRK


Masterarbeit, 2012

66 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 „Jetzt habe ich keine Angst mehr“
1.1 Fragestellung der Abschlussarbeit

2 Der Lehrgang Pflegehelferin SRK
2.1 In welchen Arbeitsbereichen ist die Pflegehelferin SRK tätig?
2.2 Aufbau des Lehrgangs Pflegehelferin SRK
2.3 Welches sind die Voraussetzungen, um den Lehrgang Pflegehelferin SRK besuchen zu können und wer sind die Teilnehmerinnen?
2.4 Beschreibung der Teilnehmergruppen
2.5 Wie ist der Lehrgang Pflegehelferin SRK aufgebaut?
2.6 Wo findet der Lehrgang Pflegehelferin SRK statt?

3 Migrantinnen im Lehrgang Pflegehelferin SRK
3.1 Definition von „Migrantinnen“ nach dem Eidgenössischen Departement des Innern
3.2 Kurzer geschichtlicher Überblick von Migration
3.3 Welche Migrantinnen nehmen am Lehrgang Pflegehelferin SRK teil?
3.3.1 Frau G. aus Haiti
3.3.2 Frau K. aus dem Kosovo
3.4 Abschliessende Gedanken

4 Mangelnde Sprachkompetenz als zentrales Problem der Migrantinnen
4.1 Sprachkompetenz - grobe Begriffsdefinition
4.2 Mangelnde Sprachkompetenz
4.2.1 Spracherwerb in Bezug auf die Familien- und Migrationsbiographie
4.2.2 Spracherwerb in Bezug auf den Herkunftskontext
4.2.3 Spracherwerb in Bezug auf den Aufnahmekontext
4.2.4 Spracherwerb in Bezug auf den ethnischen Kontext

5 Die Folgen mangelnder Sprachkompetenz
5.1 Folgen in Bezug auf die Ausbildung
5.2 Folgen in Bezug auf die Weiterbildung
5.3 Folgen in Bezug auf soziale Beziehungen

6 Möglichkeiten der Sprachförderung im berufsbildenden Fachunterricht bei erwachsenen Migrantinnen
6.1 Zweitspracherwerb
6.2 Das Konzept der Lernersprachen
6.2.1 Die Entstehung von Lernersprachen
6.2.2 Entstehung des Sprachbewusstseins
6.2.3 Code-switching
6.3 Sprachenlernen aus der konstruktivistischen Sichtweise
6.4 Fremdsprachenunterricht früher und heute
6.5 Sprache - die Herausforderung der beruflichen Integration
6.5.1 Verständlicher Input in der Unterrichtssprache/Fremdsprache - aber wie?
6.5.2 Umgang mit sprachlichen Fehlern von Migrantinnen im Fachunterricht - wie?
6.5.3 Prüfungen und Lernkontrollen - aber wie?
6.5.4 Fördern des Leseverständnisses im Fachunterricht bei Migrantinnen - wie? .
6.5.5 Fördern der kommunikativen Kompetenz bei Migrantinnen - wie?
6.5.6 Fördern des Schreibens im Fachunterricht bei Migrantinnen - wie?
6.5.7 Gestalten von Gruppen im Fachunterricht mit Migrantinnen - wie?
6.5.8 Die Sache mit der Zeit im Fachunterricht mit Migrantinnen

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

9 Anhang
9.1 Einschätzungsskala nach dem gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen(GERR) für Sprachen

Abstract

In der vorliegenden Literaturrecherche wird die folgende Aussage genau erörtert: „Wie kann die kommunikative Kompetenz in der sprachlichen Entwicklung bei erwachsenen Migrantin- nen, welche nicht das Schweizerische Schulsystem durchlaufen haben, im fachlichen, be- rufsbildenden, auf der Grundpflege basierenden Unterricht gestützt und gefördert werden?“ Bei der Unterstützung des fachlichen, berufsbildenden und auf der Grundpflege basierenden Unterrichts bezieht sich die Autorin auf den Lehrgang Pflegehelferin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK), welcher eine nicht-formale Berufsweiterbildung darstellt. In der vorlie- genden Masterarbeit wird der Lehrgang Pflegehelferin SRK dargestellt. Es wird im weiteren darauf eingegangen, wer die fremdsprachigen Migrantinnen sind, welche diese Weiterbil- dung besuchen.

Die mangelnde Sprachkompetenz und deren Folgen für die Migrantinnen in Bezug auf eine Teilnahme an einer non-formalen beruflichen Weiterbildung, werden inhaltlich als zentrales Problem dieser Frauen dargestellt. Anhand geeigneter Literatur wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten, beziehungsweise welche methodischen und didaktischen „Werkzeuge“ einer Berufsfachlehrperson zur Verfügung stehen während des berufsbildenden Fachunterrichtes, um die Migrantinnen in der Weiterbildung gezielt und angepasst in der kommunikativen Kompetenzerweiterung zu unterstützen und zu fördern.

Bevor diese didaktischen Möglichkeiten dargestellt werden, geht die Autorin, anhand geeigneter Literatur und empirischen Erfahrungen, ausserdem auf das Konzept der Lernersprache, die Entstehung des Sprachbewusstseins und das Sprachenlernen aus konstruktivistischer Sichtweise ein.

* Ich verwende in meiner Arbeit die weibliche Form, da es sich in meinen Kursen vor allem um weibliche Teilnehmerinnen handelt.

1 „Jetzt habe ich keine Angst mehr“

Mit einer Anekdote aus meiner Praxis erlaube ich mir meine Abschlussarbeit zu eröffnen.

Seit mehr als acht Jahren arbeite ich beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) als Kurslei- terin für den Lehrgang Pflegehelferin* SRK (PH SRK). In meinen Kursen treffe ich wiederholt Teilnehmerinnen an, die fremdsprachig sind. Das heisst von 16 Teilnehmerinnen befinden sich ungefähr fünf bis sieben Frauen darunter, welche einen Migrationshintergrund aufwei- sen.

Neben der Theorie im Schulzimmer, muss anschliessend ein Praktikum in einem Alters- oder Pflegeheim absolviert werden. Am letzten Praktikumstag führe ich jeweils mit meinen Teilnehmerinnen einzeln ein Praktikumsauswertungsgespräch durch. Von einem dieser Gespräche möchte ich nun berichten, denn dieses hat wesentlich dazu beigetragen, mich mit meinem Abschlussthema genauer auseinander zu setzen.

Die Praktikantin, mit welcher ich dieses Gespräch durchgeführt habe, lebt seit ungefähr drei Jahren in der Schweiz. Sie ist vom Kosovo in die Schweiz emigriert. Auffallend, ihre Deutschkenntnisse sind unterdurchschnittlich bis schwach, wenn man sie nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen des Europarats (GERR) von 2001 (GERR - Beschreibung s. Anhang) einstufen würde (vgl. Trim et al. 2001, S. 34-35), das heisst, sie wäre auf einem knappen Niveau von einer A2-Sprachkompetenz.

Die besagte Praktikantin besteht den theoretischen Teil der Prüfung nur knapp. Meines Er- achtens ist dies nicht darauf zurückzuführen, weil sie die Theorie nicht verstanden hat, son- dern weil ihre Deutschkenntnisse schwach ausgeprägt sind. In der Praktikumsauswertung hat sie von der Praktikumsbegleiterin in Bezug auf ihre sozialen Kompetenzen eine sehr gute Rückmeldung erhalten.

Während unserer Praktikumsauswertung spreche ich sie auf das Problem der Sprachver- ständigung an. Dieses aktuelle Problem zeigt sich vor allem in der Interaktion mit anderen Menschen, in diesem Fall mit pflegebedürftigen älteren Personen. Erstaunlicherweise be- komme ich von ihr folgende Antwort: „Nun habe ich keine Angst mehr! Ich fühle, dass ich sprechen kann und die Deutsche Sprache verstehe. Ebenfalls getraue ich mich Dank des Lehrgangs und des Praktikums mehr in der Fremdsprache zu sprechen. Ich bin überzeugt, eine Arbeitsstelle in der Pflege zu finden und mich damit besser in die Schweizerische Kultur einzuleben.“

Diese Antwort erfreut mich sehr, aber sie stimmt mich ebenfalls nachdenklich. Ihre Aussage über die Angst lässt mich hellhörig werden. Ich will mehr darüber erfahren, vor allem wovor meine Gesprächspartnerin Angst hat. Ich frage sie deshalb, wovor genau sie denn Angst gehabt habe. Ihre Antwort lautet: „Da ich nun den Kurs geschafft und das Praktikum bestan- den habe, habe ich keine Angst mehr. Ich habe Selbstvertrauen gewonnen, weil ich die Ar-beit gut mache und weil ich nun mehr Vertrauen in meine Sprachkenntnisse besitze. Ich hat-te immer Angst zu sprechen, weil mich davor fürchtete, dass die anderen Menschen mich nicht verstehen oder mich auslachen würden. Ich mache so viele Fehler beim Sprechen - und „Mundart“ verstehe ich sowieso nicht. Durch diesen Kontakt mit ansässigen Menschen lernte ich während der Interaktion, mich auszudrücken und ungehemmt drauflos zu sprechen. Ich musste dabei keine Angst haben, ausgelacht oder nicht verstanden zu werden. Immer wieder dachte ich dabei, dass ich als Ausländerin nicht so viel Wert sei und mich die anderen für dumm halten! Jetzt habe ich keine Angst mehr!“

Unglaublich, seit meiner Tätigkeit als Kursleiterin für den Lehrgang Pflegehelferin SRK habe ich noch nie solch eine Antwort von einer Teilnehmerin erhalten, als ich diese auf ihre Sprachkompetenzen angesprochen habe. Aufgrund dieser Antwort verspüre ich den Wunsch, mich intensiver mit dem Thema „Sprachunterricht im Fachunterricht“ auseinander zu setzten. Folgende Fragen drängen sich mir dabei auf:

- Weshalb hat sie nun mehr Zuversicht und mehr Vertrauen in sich selber bekommen?
- Erteile ich in meinen Kursen lediglich Fachunterricht - oder doch noch Sprachunter-richt?
- Was hat der Unterricht des Lehrganges Pflegehelferin SRK mit ihrer verbesserten Sprachkenntnis zu tun?
- Wie habe ich während des Fachunterrichts ihre Sprachkompetenz unterstützen kön-nen?
- Wie kann ich die Sprachkompetenz im Fachunterricht gezielt fördern?

Als Kursleiterin arbeite ich beim Schweizerischen Roten Kreuz. Das Schweizerische Rote Kreuz befasst sich unter anderem sehr stark mit der Integration von mehrsprachigen Migrantinnen in Bezug auf:

- Migration und Gesundheitsförderung
- Migration und Sprachförderung
- Migration und berufliche Integration im Gesundheitswesen

In meiner langjährigen Tätigkeit als Kursleiterin des SRK Zug für den Lehrgang Pflegehelfe- rin SRK, habe ich des Öfteren bemerkt, dass mehrsprachige Personen keinen Zugang zu ihrem „Traumberuf“ finden, als Pflegende zu arbeiten oder eine berufliche Grundausbildung absolvieren zu können. Ich sehe einen wichtigen Grund darin, dass sie der Deutschen Spra- che nicht oder nur ungenügend mächtig sind und dies, obwohl die betroffenen Teilnehmerin- nen alle anderen wichtigen Voraussetzungen, wie Wertschätzung dem alten Menschen ge-genüber, Kontaktfreudigkeit, Empathie, Herzlichkeit, Freundlichkeit, Anteilnahme, etc. für die Berufsausübung in der Pflege mitbringen. Deshalb setze ich mich in meiner Abschlussarbeit vertieft mit der Sprachförderung im grundpflegerischen, berufsbildenden Fachunterricht auseinander. Damit erhoffe ich mir ein besseres Verständnis über die Schwierigkeiten im Erlernen einer fremden Sprache und ich möchte ausserdem erfahren, wo meine Möglichkeiten sind, diese Migrantinnen zu fördern. Ferner möchte ich wissen, welche „Werkzeuge“ mir dabei insgesamt zur Verfügung stehen. Aus diesen Gedanken heraus entwickle ich meine konkrete Fragestellung, die in dieser Abschlussarbeit beantwortet werden soll.

1.1 Fragestellung der Abschlussarbeit

Wie kann die kommunikative Kompetenz in der sprachlichen Entwicklung bei erwachsenen Migrantinnen, welche nicht das Schweizerische Schulsystem durchlaufen haben, im fachlichen, berufsbildenden, auf der Grundpflege basierenden Unterricht gestützt und gefördert werden?

Die daraus resultierenden Nebenfragen lauten:

Wieso ist Fachunterricht auch Sprachunterricht?

Welche methodischen und didaktischen Möglichkeiten habe ich als Kursleiterin im Lehrgang Pflegehelferin SRK, während des Fachunterrichts die Sprache der Migrantinnen in der Entwicklung zu unterstützen und zu fördern?

Während meiner Lehrtätigkeit beim SRK habe ich bei meiner Arbeit mit zweisprachigen, er- wachsenen Migrantinnen ihre Auseinandersetzung mit ihrem sozialen Umfeld und ihrer mangelnden sprachlichen Kompetenzen intensiv verfolgen können. Ferner habe ich in Ge- sprächen mit Kolleginnen erkennen können, dass einige von ihnen mit Problemen konfron- tiert werden, in diesen sie sich nicht kompetent genug fühlen, die zweisprachigen Migrantin- nen zu unterrichten und sie ihre Zuständigkeit für diesen Bereich - Sprachunterricht im Fa- chunterricht - infrage stellen. Aufgrund dieser Beobachtungen, beziehungsweise dieser Wahrnehmungen, beginne ich mich intensiver mit diesem Thema zu befassen. Es stellt sich heraus, dass es eine Fülle von Publikationen in diesem Bereich gibt und dieses Thema: „Förderung der Sprachkompetenz im berufsbildenden Fachunterricht“ schon längere Zeit bei der Frage von der Integration von Migrantinnen im Mittelpunkt steht.

Als Fachlehrperson will ich anhand der folgenden Ausführungen „bewusste Werkzeuge“ erhalten, welche es mir ermöglichen, die Sprachkompetenzen der Migrantinnen in meinem zukünftigen Unterricht noch mehr zu fördern und zu unterstützen.

Unter Kapitel zwei werde ich den Lehrgang Pflegehelferin SRK genauer vorstellen, wie er aufgebaut ist, was für ein Zielpublikum in den Kursen angesprochen werden soll, welche Themen im Kurs behandelt werden, welchen Stellenwert die Pflegehelferin SRK in der Arbeitswelt hat und wo er stattfindet.

Im Kapitel drei erläutere ich kurz, wie „Migrantinnen“ aus Sicht des Bundes definiert werden und zeige einen einfachen geschichtlichen Abriss von Migration auf, um dann anhand zweier Beispiele die Migrantinnen vom Lehrgang PH SRK genauer zu definieren. Unter Kapitel vier komme ich auf die Probleme der Migrantinnen aufgrund der mangelnden sprachlichen Kompetenzen zu sprechen. Ich stelle diese anhand ihrer Familien und Migrati- onsbiographie vor, dem Herkunfts- und dem Aufnahmekontext und des ethnischen Kontex- tes. Es wird dargestellt, mit welchen Problemen die Migrantinnen in unserer Gesellschaft wegen ihrer sprachlichen Defizite zu kämpfen haben. Ferner versuche ich zu ergründen, weshalb diese Migrantinnen solche Mühe haben, sich in unsere Arbeits- und Berufswelt zu assimilieren.

Im fünften Abschnitt werde ich in kurzen Zügen auf die Folgen der mangelnden Sprachkompetenz dieser Migrantinnen in Bezug auf die Ausbildung, Weiterbildung und die sozialen Beziehungen eingehen, um dann im sechsten Abschnitt mich auf die zentrale Fragestellung dieser Arbeit zu konzentrieren. Nämlich der Fragestellung nach den Möglichkeiten der Sprachförderung im berufsbildenden Fachunterricht (anhand des Beispiels des Lehrganges Pflegehelferin SRK) unter Berücksichtigung der konstruktivistischen, lernpsychologischen Aspekte des Zweitsprachenerwerbs.

2 Der Lehrgang Pflegehelferin SRK

In diesem Kapitel werde ich nun den Lehrgang Pflegehelferin SRK genauer beschreiben.

Aus meiner langjährigen Tätigkeit als Pflegefachfrau in Akut- und Langzeitpflegeinstitutionen kann ich festhalten, dass die Pflegehelferinnen innerhalb der Pflege und Betreuung eine der grössten Personalgruppen der Schweiz sind. Diese Aussage wird mit einem Bericht des Eid- genössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) aus dem Jahre 2010 untermauert (vgl. Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement, 2010). Sie wirken im Rahmen der Pflege- und Betreuungsteams direkt bei der Pflege und bei der Alltagsgestaltung mit und gehören gemäss Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) zur Gruppe „Personal ohne Pflegeausbildungsabschluss“.

Die Pflegehelferin SRK kann in Altersinstitutionen, Organisationen der Hilfe und Pflege zu Hause, Spitälern, Kranken- und Behindertenheimen, Rehabilitationseinrichtungen und ande- ren Institutionen des Gesundheitswesens eingesetzt werden. In Spitex- und Entlastungsdienstleistungen der Rotkreuz-Kantonalverbände (RK-KV) entlastet sie zudem pflegende

Angehörige.

Der Lehrgang Pflegehelferin SRK wird vom Schweizerischen Roten Kreuz angeboten. Für die Durchführung, Überwachung und Finanzierung der Lehrgänge sind die RK-KV zuständig.

2.1 In welchen Arbeitsbereichen ist die Pflegehelferin SRK tätig?

Sie übernimmt im Rahmen der ihr übertragenen Kompetenzen einfache Aufgaben in der Pflege und Begleitung von gesunden, kranken und/oder behinderten Menschen und entlas- tet pflegende Angehörige. Sie unterstützt das Fachpersonal und assistiert diesem im Ge- sundheitsbereich. Ferner übt sie ihre Tätigkeit unter Anleitung und Überwachung von diplo- miertem Pflegefachpersonal aus und nimmt Aufgaben in folgenden Kompetenzbereichen wahr:

Rolle Pflegehelferin SRK, Zusammenarbeit, Kommunikation Hygiene und Sicherheit

Pflege und Betreuung Krisen und Notfall

Ressourcen und Gesundheitsförderung Alltagsgestaltung

Teilnehmende Lehrgang Pflegehelferin SRK

2.2 Aufbau des Lehrgangs Pflegehelferin SRK

Der Lehrgang beinhaltet einen theoretischen Teil von 120 Stunden. Dies entspricht 19 Kurs- tagen. Im Anschluss an die Theorie wird ein 15 Tage andauerndes Praktikum absolviert. Diese beiden Teile werden jeweils durch ein eigenes Promotionsverfahren abgeschlossen. In der Theorie findet eine schriftliche Prüfung und im Praktikum ein qualifizierendes Abschluss- gespräch statt.

Die Teilnehmerinnen haben nach der Theorie sechs Monate Zeit, ihr Praktikum in einer von uns vorgeschlagenen Institution zu absolvieren. Nach Ablauf dieser sechs Monate wird ein Abschlussabend durchgeführt, in welchem die Teilnehmerinnen nach bestandener Promoti- on ihr Zertifikat „Pflegehelferin SRK“ und eine Brosche offiziell überreicht bekommen. In der Theorie werden unter anderem folgende Schwerpunkte behandelt: Pflegetheorien

Hygiene und Sicherheit

Kommunikation im allgemeinen Sinn, Kommunikation mit wahrnehmungseingeschränkten Menschen Körperpflege; Unterstützung in der Körperpflege bei körperlich und geistig abhängigen Menschen

Bewegung, Unterstützung bei bewegungseingeschränkten Menschen Schmerz Biographiearbeit

Sterben / Tod / Palliative Care

Ernährung und Unterstützung in der Nahrungsaufnahme bei Menschen mit Schluckproblemen

Herz-Kreislaufsystem und Atmung - Anatomie und Pathologie einiger Krankheitsbilder, die vor allem im Alter vorkommen

Dem Lehrgang Pflegehelferin SRK liegt ein Rahmenlehrplan vor, an welchen sich der Kanto- nalverband Zug hält. Im Rahmenlehrplan werden ebenfalls die Kompetenzen einer Pflege- helferin SRK definiert, die für die Praxis und die Theorie verbindlich sind. Der Lehrgang ist EduQua-Zertifiziert und wird alle drei Jahre auf seine Qualität hin überprüft. Die Mindestanforderung für die Kursleiterin besteht in der abgeschlossenen Berufsausbil- dung zur diplomierten Pflegefachfrau HF und dem SVEB-1-Zertifikat (= Eine methodisch und didaktische Grundausbildung für Personen, die in ihrem Fachbereich Lernveranstaltungen mit Erwachsenen Personen durchführen möchten. SVEB ist die Abkürzung für: Schweizeri- sche Vereinigung für Erwachsenenbildung).

2.3 Welches sind die Voraussetzungen, um den Lehrgang Pflegehelferin SRK besu- chen zu können und wer sind die Teilnehmerinnen?

Um am Lehrgang Pflegehelferin SRK teilnehmen zu können, muss die Teilnehmerin mindes- tens 16 Jahre alt sein. Sie muss ausserdem die Bereitschaft und das Interesse am Umgang mit hilfs- und pflegebedürftigen Menschen zeigen und sich in einem Arbeitsteam zurecht finden können. Ebenfalls muss sie körperlich, geistig und seelisch gesund sein, da in der pflegerischen Tätigkeit der „ganze“ Mensch gefordert ist. Vor allem gesunde Menschen kön- nen kranken und betagten Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bieten, damit die pflegende Person nicht nur des Helfens willen in die Pflege einsteigt und somit die Gefahr des baldigen „bourn out“ doch recht gross ist.

Es wird weiter vorausgesetzt, dass die Lehrgangsteilnehmerin die in der Region gesprochene Landessprache versteht, sowie Texte sinngemäss verarbeiten kann. Sie kann sich schriftlich und mündlich in der deutschen Sprache ausdrücken. Das heisst, sie muss in der Kommunikation mit anderen Menschen klar und deutlich verstanden werden.

Der Besuch eines Informationsabends wird vorausgesetzt, weil an diesem die allgemeinen Bedingungen des Lehrgangs, die Themen der Theorie und die Praktimumsbedingungen vorgestellt werden. Darüber hinaus wird mit jeder potentiellen Teilnehmerin ein persönliches Aufnahmegespräch geführt.

Ansonsten gibt es keine weiteren Bedingungen, die für den Besuch des Lehrganges gestellt sind. Er steht in diesem Sinne allen interessierten Personen offen, die keine oder eine gerin- ge pflegerische Erfahrung mitbringen. Ein grosser Vorteil des Lehrgangs Pflegehelferin SRK besteht darin, dass die Pflegeinstitutionen den abgeschlossenen Kurs voraussetzt, damit potentielle Berufseinsteigerinnen überhaupt in der Pflege eine Anstellung finden. Wie aus den Voraussetzungen für eine Teilnahme am Lehrgang Pflegehelferin SRK ent- nommen werden kann, ist das Zielpublikum sehr heterogen zusammengewürfelt. Das Alter der Teilnehmerinnen ist breit gefächert, das heisst, es befinden sich im Kurs Personen im Alter zwischen 18 bis 64 Jahren.

Die Altersgrenze von 16 Jahren ist erst vor einem Jahr neu angepasst worden. Davor war der Kursbesuch erst ab dem 18. Altersjahr freigegeben. Bis jetzt hat das Schweizerische Rote Kreuz noch keine Anfragen von Personen unter 18 Jahren bekommen. Die Altersgren- ze entspricht den Bestimmungen zur Berufsausbildung Fachangestellte Gesundheit (FaGe). Darauf, ob diese Reduktion der Altersgrenze sinnvoll ist, will ich in dieser Arbeit nicht näher eingehen. Dennoch stellt dieser Umstand ein erheblicher Unterschied in der vorhandenen persönlichen Entwicklung der Teilnehmenden beim Altersunterschied von 16 und 18 Jahren dar.

Bevor die Frauen den Lehrgang Pflegehelferin SRK besuchen können, müssen sie den obli- gatorischen Informationsabend besuchen. An diesem wird der Ablauf des Lehrganges ge- nauer dargestellt, wie zum Beispiel die Inhalte des Kurses, Promotionsverfahren und das Praktikum. Die fremdsprachigen Teilnehmerinnen müssen zudem einen Sprachtest absolvie- ren, der einer Teilfertigkeit im Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben im Sprachverständnis der GERR B1 entspricht. Der Begriff der Teilfertigkeit stammt aus dem Fremdsprachenunter- richt, er wird aber seit der Einführung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens, abgekürzt GERR oder GER, für alle Sprachbeherrschungseinteilungen gebraucht. Sprach- beherrschung und -gewandtheit werden demgemäss heute in der Muttersprache wie auch in Fremdsprachen anhand einzelner Teilfertigkeiten definiert, beobachtet und gemessen. Die Deskriptoren dazu sind operationalisiert und können auch zum Unterrichten und Beüben der Sprachen gebraucht werden (vgl. Trim et al., 2001).

Im persönlichen Gespräch, das am Informationsabend stattfindet, werden die Motivation, die Zukunftsperspektiven, die Finanzierung oder die Sprachkompetenz von Migrantinnen eruiert. Erst im Anschluss an diesen Informationsabend können sich die potentiellen Teilnehmerinnen definitiv zum Lehrgang Pflegehelferin SRK anmelden.

2.4 Beschreibung der Teilnehmergruppen

Die meisten Teilnehmerinnen sind so genannte Wiedereinsteigerinnen. Es sind Frauen, die über eine längere Zeit zu Hause geblieben sind und sich dort um die Kinder und Familie ge- kümmert haben. Später sind die Kinder ausgewachsen und die Hausfrauen/Mütter möchten wieder ihren Beitrag in der Arbeitswelt leisten. Oft haben sie vor ihrer Tätigkeit als Hausfrau einen Beruf erlernt, möchten/können aber nicht mehr dorthin zurückkehren. Dies einerseits weil sie zu lange von ihrem Beruf weg waren, sich also in diesem Bereich vieles verändert hat oder weil ihnen anderseits der vormals erlernte Beruf einfach nicht mehr gefällt. Oft teilen diese Frauen im persönlichen Gespräch vom Informationsabend auch mit, dass sie nicht mehr so viel Verantwortung wie vorher im Berufsleben übernehmen möchten. Sie seien zu- frieden, wenn ihnen gesagt wird, was sie zu tun haben. Durch den Lehrgang wird ihnen auch ermöglicht innert einer kurzen Zeitspanne, nämlich nach diesen 19 Kurstagen, bereits für die Praxis einsetzbar zu sein.

Einige Teilnehmerinnen würden sich gerne umschulen lassen, sind sich aber noch nicht ganz sicher, ob ihnen der Pflegehelferinnenberuf denn auch zusagen würde. Mit dem Lehr- gang Pflegehelferin SRK können sie sehr rasch einen Einblick in die pflegerische Tätigkeit bekommen, wodurch ihnen die anschliessende Entscheidungsfindung für eine Umschulung leichter fällt. Sie würden nicht sehr viel Zeit verlieren und könnten nach dem abgeschlosse- nen Lehrgang, bzw. nach der Theorie bereits voll verdienen, wenn sie eine Arbeitsstelle fin- den.

Oft bietet sich die Gelegenheit, dass die Kursteilnehmerinnen im Anschluss an das Praktikum auch gleich am Praktikumsort fest angestellt bleiben. Diese Teilnehmerinnengruppe ist denn auch sehr daran interessiert, zu einem späteren Zeitpunkt eine weiterführende Berufsausbildung zu absolvieren. Einige von ihnen erreichen nach einiger Zeit sogar den Fachtitel der diplomierten Pflegefachfrau HF.

Ein weiteres Zielpublikum des Lehrganges Pflegehelferin SRK sind Frauen, die zum Beispiel ihre Angehörigen zu Hause pflegen oder später pflegen wollen. Durch den Lehrgang erhal- ten sie die nötigen Grundinformationen und Sicherheit in ihrer Tätigkeit zu Hause. Sie möch- ten nicht in eine Pflegeinstitution arbeiten gehen, beziehungsweise ihr erworbenes Wissen im beruflichen Alltag umsetzen. Ihre Hauptaufgabe besteht dann weiterhin in der Sorge um ihre Familie.

Wieder andere Teilnehmerinnen möchten ihr gewonnenes Wissen in der Freiwilligenarbeit ein- und umsetzen oder besuchen den Kurs als persönlichen Wissensgewinn. Andere Frau- en haben ein sogenanntes „Anschluss-Motiv“, das heisst sie möchten durch den Lehrgang mit anderen Menschen vermehrt in Kontakt kommen und ihre erlebte Einsamkeit dadurch überwinden.

Immer wieder werden auch Frauen von der Regionalen Arbeitsvermittlungsstelle (RAV) an den Lehrgang angemeldet. Meistens stellt sich dann heraus, dass diese Frauen bei der RAV selber den Wunsch geäussert hatten, an unserem Kurs teil zu nehmen. Sie sind demnach nicht unter Zwang zu uns gekommen. Diese Personen nehmen ebenfalls äusserst motiviert und engagiert am Kurs teil.

Oft arbeiten eine bis zwei der Teilnehmerinnen bereits in einer Alters- und Pflegeinstitution und werden von ihren Arbeitgebern in den Lehrgang Pflegehelferin SRK angemeldet. Nichtsdestoweniger sind die Migrantinnen eine weitere grosse Gruppe von Teilnehmerinnen, mit welcher ich mich im weiteren Verlauf der Arbeit näher auseinandersetzen will. Fünf bis sieben Personen, meist Frauen, weisen einen Migrationshintergrund auf. Damit sie den Kurs besuchen können, benötigen sie eine Sprachkompetenz auf der Stufe der GERR B1 (Erklä- rung siehe Anhang Punkt 9.1.). Diese Frauen arbeiten oft in einer Pflegeinstitution als Raumpflegerin, haben dadurch einen Einblick in die pflegerische Tätigkeit bekommen und möchten nun selber gerne in die Pflege einsteigen. Ab und zu haben diese Frauen oft schon den Wunsch gehegt, in der Pflege von älteren Menschen tätig zu sein, konnten dies aber in ihrem Heimatland nicht erlernen oder aus kulturellen Gründen nicht ausüben. Speziell auf diese Teilnehmerinnengruppe werde ich im Verlauf dieser Masterarbeit näher eingehen.

2.5 Wie ist der Lehrgang Pflegehelferin SRK aufgebaut?

Der Lehrgang Pflegehelferin SRK ist ein Kurs, der ein grobes Grundwissen in Bezug auf ein- fache pflegerische Tätigkeiten vermittelt. Im Kurs wird vor allem die Theorie der Grundpflege gesichert. Die Reflektion in die Praxis und die Umsetzung der Theorie findet im anschlies- senden Praktikum statt. Im Kurs werden unter anderem folgende theoretischen Grundlagen vermittelt:

einfache Körperpflege, angepasste Unterstützung in der Körperpflege

gesunde Ernährung, Ernährung im Alter, Veränderungen im Schluckablauf bei älteren Menschen und pflegerische Handlungen davon ableiten

Anatomie des Bewegungsapparates, Bewegungseinschränkungen, Unterstützung bei Bewegungseinschränkungen

Ruhen und Schlafen, Unterstützungsmöglichkeiten

Hygienerichtlinien und Sicherheitsvorgaben bei pflegebedürftigen Menschen Beziehung pflegen und Kommunikative Kompetenzen

Beobachtungen gezielt weiter leiten

Selbstbestimmung und Selbstständigkeit von Patienten - Pflegetheorien

Unterstützung in der Ausscheidung

Unterstützung in der Atmung, des Herz-Kreislaufsystems und der Körpertemperatur Unterstützung im Thema von Mann - Frau sein

Umgang mit Demenz und Depressionen im Alter

Begleitung in Krisensituationen und während des Sterbens Ressourcen in der Gesundheitsförderung

Unterstützung in der Alltagsgestaltung und Bedürfnissen bei pflegebedürftigen Men- schen

2.6 Wo findet der Lehrgang Pflegehelferin SRK statt?

Der Lehrgang Pflegehelferin SRK wird in Zug (aber auch in allen anderen RK-KV’s vom Roten Kreuz) angeboten. Das Kurslokal befindet sich in einem Zentrum für betagte- und pflegebedürftige Menschen. Darin sehe ich zwei grosse Vorteile. Zum einen bekommen die Kursteilnehmerinnen bereits in der Zeit der Theorievermittlung einen kleinen Einblick in eine Altersinstitution und andererseits ist dies auch eine Bereicherung für die betagten Menschen. Diese können mit den Kursteilnehmerinnen in Kontakt, beziehungsweise ins Gespräch kommen und dadurch gestaltet sich ihr Alltag abwechslungsreicher.

3 Migrantinnen im Lehrgang Pflegehelferin SRK

3.1 Definition von „Migrantinnen“ nach dem Eidgenössischen Departement des In- nern

Das Eidgenössische Departement des Innern (2008) beschreibt die Bevölkerung der Migrantinnen folgendermassen: Hier in der Schweiz gilt jede Person als Migrantin, welche ihren vorübergehenden oder dauerhaften Wohnsitz vom Ausland in die Schweiz verlegt. Ebenfalls werden in der Schweiz auch diejenigen Bürger zu den Migrantinnen gezählt, welche nach einem längeren Auslandaufenthalt wieder in die Schweiz zurückkehren (vgl. Eidgenössisches Departement des Innern EDI, 2008).

Kinder, die in der Schweiz geboren werden, aber durch ihre Eltern eine andere Staatszuge- hörigkeit aufweisen, d.h. die zweite oder dritte Ausländergeneration darstellen, werden nicht zu den Migrantinnen gezählt. Das Schweizer Ausländer- und Bürgerrecht kennt aber den eigentlichen Begriff des Migranten nicht, welcher einem sozioökologischen und demografi- schen Konzept entspricht (vgl. Eidgenössisches Departement des Innern (EDI) 2008).

Folglich heisst dies, dass in der Schweiz die Definition der Bevölkerung mit Migrationshintergrund alle diejenigen Personen umfasst, welche im Ausland geborene Eltern haben oder die entweder selber vom Ausland in die Schweiz zugewandert sind oder als Nachkommen von Migranten geboren wurden.

Laut seinem jährlich veröffentlichten Bericht des Eidgenössischen Departements des Innern (vgl. EDI, o.J.) sind viele der Schweizer Einwohner eingebürgerte Personen. Mehr als ein Fünftel der Wohnbevölkerung der gesamten Schweiz sind heute Ausländerinnen, wobei angefügt werden muss, dass die Schweiz immer schon einen recht hohen Ausländeranteil aufwies. Um 1910 lag die Zahl etwa bei 15%, gleich hoch wie 1980.

3.2 Kurzer geschichtlicher Überblick von Migration

„Wir sind alle aus lauter Flicken und Fetzen und so kunterbunt unförmlich zusammengestückt, dass jeder Lappen jeden Augenblick sein eigenes Spiel treibt. Und es findet sich ebensoviel Verschiedenheit zwischen uns und uns selber wie zwischen uns und andern.“ (Michel de Monaigne, 1533-1592).

Wie aus diesem Zitat von de Monaigne aus dem Mittelalter zu entnehmen ist, hat es Migration, Kultur- und Sprachkontakte bereits zu früheren Zeiten gegeben. In der ganzen Geschichte der Menschheit, sind die Menschen immer wieder gewandert.

Krüger-Potratz (2005, S. 13) stellt fest: „Die politischen und ökonomischen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Unterzeichnung internationaler Vereinbarungen hinsichtlich der Verpflichtung zur Beachtung der Menschenrechte, die Grundlegung der europäischen Einigung, die Auslösung umfangreicher Migrationsbewegungen im Zuge der Auflösung des Kolonialsystems, der gezielten Anwerbung von Arbeitskräften in ökonomisch schwächeren Ländern und der „Zerfall“ des Ostblocks haben die „westlichen“ Gesellschaften erneut tief- greifend verändert.“

Das heisst also, dass mit diesen tiefgreifenden Veränderungen auch viele verschiedene Menschen, aus verschiedensten Kulturen und Länder, (aus- und) eingewandert sind, die unterschiedliche Sprachen, Lebensweisen und Glaubensvorstellungen in die verschiedenen Zielländer mitgebracht haben. Diese Vielfalt von Menschen, welche im gleichen Staat woh- nen, fordert einen anderen Umgang mit sprachlichen und kulturellen Normen. Gerade in jüngster Zeit tritt vermehrt die Frage nach der Chancengleichheit im Bildungssys- tem auf (vgl. Granato, 2009). Bildungsungerechtigkeit ist dabei eine zentrale Fragestellung. Anstatt das vorhandene Potential dieser Migrantinnen zu nutzen, bleiben diese Menschen oft zum Vornherein chancenlos und werden mangels sprachlicher Kompetenzen von der Ge- sellschaft zu Hilfsarbeiten degradiert.

Der Lehrgang Pflegehelferin SRK stellt für diese Migrantinnen eine Möglichkeit dar, sich in der beruflichen Aus- und Weiterbildung einen Platz zu sichern, indem sie durch den Lehr- gang den Einstieg in die pflegerische Berufstätigkeit bekommen können. Die Chancen der Integration dieser Migrantinnen bestehen darin, dass wenn sie eine Arbeitsstelle gefunden haben, sie die explizite Gelegenheit erhalten, ihre sprachlichen Kompetenzen durch die di- rekte Interaktion mit anderen Menschen massgebend zu verbessern, die nur durch Förder- massnahmen in Deutschkursen alleine nicht möglich wären (vgl. Gogolin, 2007).

3.3 Welche Migrantinnen nehmen am Lehrgang Pflegehelferin SRK teil?

Hierzu zwei kurze Anekdoten, die eine Antwort auf die Frage geben können, wer die Migrantinnen vom Lehrgang sind:

3.3.1 Frau G. aus Haiti

Frau G. war vor 15 Jahren von Haiti in die Schweiz gekommen, um ihre hier lebende Schwester zu besuchen. Sie hatte eine Aufenthaltsbewilligung, mit welcher sie für drei Mona- te in der Schweiz verweilen durfte. Und wie ihrer Schwester, ereilte Frau G. dasselbe hüb- sche Schicksal: Auch Frau G. begegnete in der Schweiz ihrer grossen Liebe, die sie heirate- te und die bis heute glücklich gehalten hat. Frau G. kümmerte sich in diesen 14 Jahren ihrer Ehe um ihre Tochter und führte sehr besorgt und mit vollster Hingabe den Haushalt für die kleine Familie.

Da nun ihre Tochter 14 Jahre alt war, verspürte Frau G. den Wunsch, weil sie den Raum und die Zeit dazu hatte, noch etwas zu lernen. Schon als junge Frau in Haiti, hatte sie sich sehr gerne um ältere Menschen gekümmert und ihr war klar, dass sie nun, nach dem ihre Tochter selbständig genug war, betagte Menschen pflegen möchte. Frau G. hörte sich in ihrem Bekanntenkreis um und bekam den Tipp, vom Angebot des Lehrganges für Pflegehel- ferinnen SRK Gebrauch zu machen. Bei der Bewerbung für den Lehrgang wurde ihr empfoh- len, vorab einen Deutschkurs für Fremdsprachige, welche in der Pflege einsteigen möchten zu besuchen. Das SRK bietet speziell für diese Personengruppe einen fachspezifischen Deutschkurs an, in welchem der fachsprachliche Wortschatz geübt wird.

Frau G. war enttäuscht über diese Empfehlung - wohnte sie doch bereits 15 Jahre hier in der Schweiz. Sie verstand nicht recht, weshalb sie dies nun machen musste, denn sie hatte das Gefühl, dass sie eigentlich sehr gut Deutsch verstehen würde. „Naja, mit dem Sprechen und dem Schreiben funktioniert es wohl nicht so gut, aber das kann doch nicht so wichtig sein für diesen Pflegegrundkurs…!“ dachte sie, aber absolvierte den Deutschkurs trotzdem. Aufgrund des Deutschkurses bemerkte sie zunehmend ihre sprachlichen Defizite und wurde unsicher, ob sie den Pflegegrundkurs überhaupt erfolgreich würde abschliessen können.

Frau G. meldete sich trotzdem zum Pflegegrundkurs an. Dies nachdem ihr Ehemann und die Deutschlehrerin ihr Mut zugesprochen hatten, sich ihren Wunsch zu erfüllen. Frau G. war im Kurs anfänglich sehr ruhig und zurückhaltend und teilte sich nur wenig mit. Aber mit jedem Kurstag wurde Frau G. selbstbewusster und gewann wieder ihr altes Vertrauen auf ihre sozialen Kompetenzen zurück. Der Kontakt mit anderen deutschsprachigen Kursteilnehmerinnen hatte ihr sehr viel Freude bereitet und sie gefordert, sich in der deutschen Sprache mit ihnen zu unterhalten. Ihre kommunikative Kompetenz hatte sich während den 19 Wochen merklich verbessert. Sie bekam das erträumte Zertifikat.

Frau G. arbeitet nun in einem Pflegeheim und fühlt sich sehr wohl in ihrer beruflichen Tätig- keit.

3.3.2 Frau K. aus dem Kosovo

Frau K. war 29-jährig, kam in einem Alter von 13 Jahren zusammen mit ihren Eltern in die Schweiz und absolvierte nach dem zehnten Schuljahr eine Vorlehre als Verkäuferin. An- schliessend arbeitete sie in einer Reinigungsfirma. Dieses Arbeitsverhältnis dauerte nicht lange, denn Frau K. heiratete und wurde innerhalb kurzer Zeit Mutter von zwei Kindern. Ei- nes ihrer Kinder hatte eine leichte, angeborene Behinderung. Frau K. war durch diesen Um- stand in den nächsten Jahren vollständig mit der Kinderbetreuung beschäftigt und konnte nicht mehr arbeiten gehen. Frau K. hatte in dieser Zeit auch nicht mehr die Kraft, sich um soziale Kontakte zu kümmern. Dies aber wäre für sie in Bezug auf ihre sprachlichen Kompe- tenzen sehr wichtig gewesen. Durch diese soziale Isolation konnte sie ihre sprachlichen Kompetenzen in der Fremdsprache Deutsch nicht mehr weiter entwickelten, im Gegenteil, sie waren sogar rückläufig.

Nach wenigen Jahren wurde die Ehe bereits wieder geschieden und Frau K. war nun ganz auf sich alleine gestellt und musste als alleinerziehende Mutter selber für das Wohl ihrer kleinen Familie aufkommen. Wie konnte sie dieser Verantwortung gerecht werden? In ihren alten Beruf konnte und wollte sie nicht mehr zurückkehren. Eine Anstellung in ihrem Traum- beruf, der Pflege, konnte sie mangels sprachlicher Kompetenzen und mangels beruflicher Erfahrung nicht in Betracht ziehen. Ein längeres Praktikum in einer Pflegeeinrichtung (um den Berufseinstieg sichern zu können) kam in ihrer Situation ebenfalls nicht in Frage, denn sie hatte sich ja noch um die Kinder, sowie die finanzielle Sicherung ihrer Familie zu küm- mern. Ein tragischer und unvorhersehbarer Todesfall in ihrer Familie führte bei der ohnehin schon sehr beanspruchten Frau K. zu einer Überforderung. Deshalb bat sie beim Sozialamt um Hilfe.

Frau K. hatte wenig Selbstvertrauen, grosse Ängste vor Ungewohntem und neuen Situatio- nen und ohne Berufsausbildung wenig Perspektiven in ihrer Zukunft. Sie wurde vom Sozial- dienst zuerst einmal in einen Kurs geschickt, in welchem sie ihre Fähigkeiten und Stärken erkennen konnte. Dort erzählte sie, dass sie schon seit langem von einer Arbeit, bezie-hungsweise Ausbildung im pflegerischen Bereich träumte. Nach Abschluss dieses Portfoliokurses wurde Frau K. vom Kantonalen Sozialamt für die berufliche Integration vorgeschlagen. Mittels einer Unterstützung, eines Coachs (vom Kantonalen) Sozialamt, wurde der Wunsch nach einer beruflichen, pflegerischen Tätigkeit genauer definiert. Gemeinsam wurde nach einer praktikablen und angepassten Lösung für Frau K. gesucht, denn sie hatte sich ja zu Hause noch um ihre Kinder zu kümmern.

Unter anderem wurde die Möglichkeit eines Praktikums in einer Pflegeeinrichtung in Betracht gezogen, natürlich mit der finanziellen Unterstützung des Sozialamtes. Frau K. hatte bislang keine Erfahrung in der Pflege und demzufolge auch keine genauen Vorstellungen, wie diese pflegerische Tätigkeit aussehen konnte. Sie spürte aber, dass sie sich zu dieser Aufgabe hingezogen fühlte und willigte ein, ein Praktikum zu absolvieren. Ein Praktikumsplatz in einem Altersheim wurde gefunden und trotz grossen Ängsten und wenig Selbstvertrauen konnte sie die Praktikumsstelle antreten.

Der Start war für beide Seiten nicht sehr einfach, denn Frau K. war anfänglich sehr zurück- haltend und unsicher in ihrer neuen Rolle und Aufgabe. Sie machte sich zudem Sorgen um die Betreuung ihrer Kinder. Sprachliche Defizite erschwerten ihr den Einstieg und sie konnte nur sehr wenig selbständige Entscheidungen fällen. In der neuen Umgebung fühlte sie sich fremd und bedroht. Ebenfalls fühlte sie sich den vielen Anforderungen und Erwartungen, seitens Arbeitgeber und pflegebedürftiger Menschen nicht gewachsen, vor allem weil es sprachlich bedingt oft zu Missverständnissen gekommen war. Sie hatte sich den pflegeri- schen Berufseinstieg anders vorgestellt und äusserte ihre Bedenken ihrer Begleitperson vom Sozialen Dienst, aber auch an ihrem Arbeitsort. Dank dem grossen Verständnis und Entge- genkommen der Leitung des Altersheims, vor allem weil sie viel soziales Potential in Frau K. erkannten, wollten sie Frau K. unterstützen und meldeten sie trotzdem für den Lehrgang Pflegehelferin SRK an.

Zu Beginn des Lehrganges kamen ihre Ängste und Unsicherheiten wieder zum Vorschein, aber dank der Unterstützung der Kursleiterin und der ganzen Klasse, erlangte Frau K. mehr Selbstvertrauen und Zuversicht, dass sie doch am richtigen Ort sei. Sie absolvierte die theoretische Prüfung erfolgreich und der Arbeitgeber unterstützte sie weiterhin mit positiven Rückmeldungen. Frau K. öffnete sich zunehmend, führte spontane Gespräche mit den betagten und pflegebedürftigen Bewohnern des Altersheimes und integrierte sich schliesslich als vollwertige Mitarbeiterin im Pflegeteam und in der Abteilung.

Nachdem sie die praktische Beurteilung im 15-tägigen Praktikum des Lehrganges ebenfalls gut abgeschlossen hatte (dieses wurde in einer anderen Institution absolviert), bekam FrauK. das Zertifikat vom SRK zur Pflegehelferin SRK.

[...]

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Sprachförderung bei erwachsenen Migrantinnen im Lehrgang Pflegehelferin SRK
Hochschule
Pädagogische Hochschule Zentralschweiz, Hochschule Luzern
Veranstaltung
Master of Advanced Studies PHZ in Adult and Professional Education
Autor
Jahr
2012
Seiten
66
Katalognummer
V313560
ISBN (eBook)
9783668126411
ISBN (Buch)
9783668126428
Dateigröße
1326 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprachförderung, migrantinnen, lehrgang, pflegehelferin
Arbeit zitieren
Claudia Tschann (Autor:in), 2012, Sprachförderung bei erwachsenen Migrantinnen im Lehrgang Pflegehelferin SRK, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313560

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