Emigration und soziale Fragen. Die Rolle der Familie im Migrationsprozess

Eine Betrachtung senegalesischer Familien


Masterarbeit, 2015

93 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zum Begriff der Migration

3 Das Familienbild im Senegal
3.1 Familienbild der Ethnie Wolof im Senegal
3.1.1 Mitglieder der Familie
3.1.2 Struktur und Aufgabenteilung
3.1.3 Traditionelles Kastensystem
3.1.4 Polygynie und Ehe
3.2 Das moderne Familienbild im Senegal

4 Forschungsdesign
4.1 Fragestellung und die Kategorie der Left-Behinds
4.2 Methodische Vorgehensweise
4.3 Die Region Louga im Senegal als Erhebungsort
4.4 Zielgruppe und Auswahl der Interviewpartner
4.5 Erhebungssituation
4.6 Sample
4.7 Leitfadengestütztes vs. Problemzentriertes Interview
4.8 Kodierung und Kategorisierung
4.9 Empirische Problematik

5 Forschungsergebnisse
5.1 Ein „typischer“ senegalesischer Emigrant
5.1.1 Alter
5.1.2 Geschlecht
5.1.3 Familienstand
5.1.4 Gründe für die Migration – das Push-/Pull-Modell
5.1.4.1 Arbeitslosigkeit als Push-Faktor
5.1.4.2 Relative Deprivation als Pull-Faktor
5.1.5 Bildung
5.1.6 Zielland
5.1.6.1 Historische Linkages
5.1.6.2 Wirtschaftliche Linkages
5.1.6.3 Soziale Linkages
5.1.6.4 Kulturelle Linkages
5.2 Senegalesische Migrationsfamilien als transnationale Familien?
5.3 Die Rolle der senegalesischen Familie innerhalb des Migrationsprozesses
5.4 Auswirkungen der Migration auf Familie
5.4.1 Der Einfluss der Migration auf die innerfamiliären Strukturen
5.4.1.1 Traditionelle Arbeitsteilung
5.4.1.2 Sozialgefüge
5.4.1.3 Machtverteilung
5.4.1.4 Emigration über mehrere Generationen?
5.4.1.5 Gesundheit
5.4.1.6 Traditionelle Heirat
5.4.1.7 Eltern-Kind-Beziehung
5.4.2 Einfluss auf dieökonomische Situation der Familie und die Bedeutsamkeit der Remittances
5.4.2.1 Family Funding
5.4.2.2 Höhe der Remittances
5.4.2.3 Verwendung der Remittances
5.4.2.4 Scheidung, Emigration und Remittances

6 Schlussbemerkung

7 Literaturverzeichnis

8 Internetquellen

9 Annex

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1: Alters- und Geschlechtsverteilung der Emigranten, 2013

Abbildung 2: Remittances als Anteil in % am senegalesischen BIP, 2001-2014.

Abbildung 3: Verwendung der Remittances im Senegal, 2008

Abbildung 4: Verwaltungskarte der Republik Senegal

Abbildung 5: Verwaltungskarte der Region Louga

Abbildung 6: Volumen der Remittances in den Senegal, 2001-2014

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Anzahl der Emigranten nach regionaler Herkunft

Tabelle 2: Gründe für die Emigration

Tabelle 3: Aufenthaltsland der senegalesischen Emigranten, 2013.

Tabelle 4: Kanäle, über die Remittances gesendet werden

Tabelle 5: Nutzungsstatistik der Finanztransferdienstleistungsanbieter im Senegal.

Abstract

Remittances represent more than 10% of the GDP in Senegal. About a third of all Senegalese households receive an annual amount of 1200-2100€ from migrants. Depending on the migration country Senegalese emigrants stay between 6 and 12 years on average abroad before returning back to Senegal. 48,8% of the male migrants and 34,9% of the female migrants are single. This indicates in return, that half of the migrants have to leave their own family. Referring to the family portrait of the most spread ethnicity in Senegal – the Wolof, it will be examined what kind of impact migration does have on the family structure and the network of relations between the migrant and the so-called left-behinds and if and, how Remittances influence the relationships. Problem-centered interviews (Witzel 2000) with left-behind families in the Senegalese region Louga determine the empirical basis of this survey whilst taking into account existing content-related migration literature and discussions with local migration experts

Kurzfassung

Im Senegal machen Remittances über 10% des BIP aus. Über ein Drittel aller Haushalte im Senegal erhält jährlich zwischen 1200-2100€ von Emigranten. Emigranten verbleiben durchschnittlich je nach Zielland zwischen 6 und 12 Jahren im Ausland. 48,8% der männlichen Emigranten und 34,9% der weiblichen Emigranten sind ledig (single). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass über die Hälfte aller Emigranten eine eigene Familie im Senegal zurücklässt. Welche Auswirkungen die Emigration auf die Familienstruktur und das Beziehungsgeflecht zwischen dem Emigranten und den sogenannten left-behinds hat, bzw. wie sich die Zahlung von Remittances auf das Sozialgefüge auswirkt, soll den Untersuchungsgegenstand der folgenden Studienarbeit darstellen. Dabei wird sich auf das Familienbild der am im Senegal verbreitetsten Ethnie ‚Wolof’ bezogen. Empirische Grundlage stellen problemzentrierte Interviews nach Witzel (2000) dar, die mit left-behind Familienmitgliedern und zurückgekehrten Emigranten in der senegalesischen Region Louga durchgeführt wurden. Experteninterviews und Migrationsliteratur wurden zur Bereicherung des Diskurses herangezogen

1 Einleitung

In der letzten Dekade wanderten jährlich über 2,5 Millionen Menschen von Entwicklungs- in Industrieländer aus – die doppelte Einwohnerzahl Münchens. Bis 2050 rechnen die United Nations (UN) weltweit mit insgesamt über 250 Millionen Migranten/-innen (UN 2002: 1). Es wird sogar verstärkt vom „age of migration“ gesprochen (Miller 1993: 3). Die zunehmende Bedeutung, die ich der internationalen Migrationsbewegung in den nächsten Jahrzehnten unter den Aspekten der voranschreitenden Globalisierung des Güter- und Kapitalverkehrs, der steigenden Liberalisierung und der wachsenden internationalen Verflechtung in sozio-ökonomischen, sozio-kulturellen,ökologischen und sicherheits-politischen Bereichen beimesse, ist Anlass zu dieser Studienarbeit.

Internationale Migration umfasst stets auch grenzübergreifende interpersonelle Verbindungen. Die persönlichen Bindungen zwischen denjenigen, die das Auswanderungsland verlassen und denjenigen, die zurückbleiben, sind ein wichtiger Bestandteil von Migration. Vor allem die Familie als soziale Einheit steht bei einer räumlichen Trennung großen Herausforderungen gegenüber. Stark (1991: 39) argumentiert, dass Migrationsprozesse nicht ausschließlich auf individuellen Entscheidungen beruhen, sondern vielmehr im Kontext familieninterner Strategien zur Risikoreduzierung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Kernfamilie betrachtet werden müssen.

Doch welche Perspektiven bietet die Migration den Familien wirklich? Briefe, Telefonate, Besuche, Überweisungen an Familienmitglieder, politische Aktivitäten oder wirtschaftliche Investitionen rufen vielfältige Veränderungen in den zurückgebliebenen Familien, den sogenannten „left-behinds“, hervor (Rigg 2007).

Welche Veränderungen finden innerhalb der Familie statt, und wie werden diese bewertet? Helfen Remittances – Geldbeträge, die Migranten/-innen an Angehörige in ihren Heimatländern schicken – das Leben besser zu gestalten oder werden soziale Spannungen durch neue soziale Unterschiede geschaffen? Der Beantwortung dieser Fragestellungen möchte ich mich im Weiteren detailliert widmen. Das Feld der Migrationsforschung ist breit, sodass sich diese Studie vor allem mit den sozio-kulturellen und -ökonomischen Einflüssen auf die senegalesischen left-behind Familien befasst.

Weitere Forschungsinteressen stellen u.a. folgende Fragen dar:

- welche äußeren und inneren Umstände haben zur Emigrations-entscheidung geführt;
- weshalb wurde sich für eine Trennung der Familie im Rahmen der Emigration entschieden;
- inwiefern haben sich bestimmte Verhaltensweisen im Zusammenleben nach vollzogener Emigration geändert.

Dem Senegal kommt im Kontext der Migration von Afrika nach Europa eine besondere Bedeutung zu. Eine wachsende Migrationsbereitschaft u.a. hervorgerufen als Reaktion auf ein unzureichendes Arbeitsmarkt-Angebot, bei gleichzeitig steigender Nachfrage, betrifft in hohem Maße die krisengeschüttelten Länder des afrikanischen Kontinents. Die gleichsam existente Sogwirkung wirtschaftlich stärkerer Regionen verstärkt die Tendenz zu Migrationsunternehmungen. Wie aktuell in den Medien in Bezug auf die EU-Operation Triton im Mittelmeer thematisiert, werden immer wieder riskante Migrationsversuche unter prekären Bedingungen unternommen, die oft tödlich enden.[1]

Häufig beginnen diese risikoreichen Überseefahrten im Senegal. Eine lange wirtschaftliche Krise des Senegal seit Mitte der 1970er Jahre, ein hohes Bevölkerungswachstum[2] und eine hohe Einwanderungsquote durch anhaltende Konflikte der westafrikanischen Nachbarländer sind erklärende Faktoren der hohen Emigrationszahlen aus dem Senegal. In 76% der urbanen Haushalte und in 70% aller senegalesischen Haushalte befindet sich mindestens ein Familienmitglied im Ausland (Chort/ Senne 2013).

Aufgrund des großen Volumens der Remittances hat Emigration im Senegal eine starke wirtschaftliche Bedeutung. Die Höhe der Remittances der Diaspora-Senegalesen/-innen wurde vom International Monetary Fund (IMF) (2012) für das Jahr 2011 auf über 10,34% des BIP geschätzt.[3]

Da der Senegal bei diesen Entwicklungen stellvertretend für andere (west-) afrikanische Länder stehen kann (Bunk/ Gehrold 2011: 38), wurde für die vorliegende Migrationsstudie der Senegal als Erhebungsort ausgewählt. Hierbei wurden Familien im Senegal interviewt, von denen sich mindestens ein Familienmitglied im Ausland als Migrant/-in aufhält bzw. aufgehalten hat. Das Hauptinteresse gilt, neben der aus Sicht der Familie geschilderten Migrationsgeschichte, dem Umgang der Familie mit der herausfordernden Situation und den Auswirkungen der Migration auf die Familie.

Die klassischen Migrationstheorien legen ihren Forschungsschwerpunkt auf die Ursachenanalyse (Haug 2000), wohingegen die neueren Theorien die Existenz eines transnationalen Raumes konstituieren, in welchem Migrationsbewegungen unter verschiedenen Gesichtspunkten stattfinden (Pries 1998, 2013; vgl. Haug 2000). Die Fragestellung der Migrationsauswirkungen auf die in der Herkunftsregion zurückgebliebenen Familienmitglieder wurde lange Zeit vernachlässigt und wird in der Fachliteratur wenig behandelt. Toyota et al. (2007: 158) verweisen hinsichtlich der Quellenlage zur Thematik der left-behinds darauf, dass die „[...] migration literature can be said to have thus far „left-behind“ the left-behind.“ Erstmals wird der Begriff des Migration-Left Behind Nexus von Jonathan Rigg (2007) in seinem Artikel Moving lives: migration and livelihoods in the Lao PDR verwendet, in welchem er sich mit den Auswirkungen von gender-selektiver Migration auf die Haushaltsstrukturen und insbesondere mit den Handlungsstrategien von zurückbleibenden Frauen beschäftigt.

Die Theorie der Transmigration (vgl. Pries 2013) beschäftigt sich mit sogenannten „ Transmigrant/-innen “ und ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Als Transmigrant/-innen werden Personen bezeichnet, die diverse soziale, wirtschaftliche und politische Beziehungen über nationalstaatliche Grenzen hinweg entwickeln und aufrechterhalten. Die persönliche Identitätsbildung findet zwischen zwei oder mehreren Gesellschaften statt. Ihre Bezugspunkte liegen deshalb sowohl in der Herkunfts- als auch in der Aufnahmegesellschaft. Mehrsprachigkeit, Zugehörigkeitsgefühl zu mehreren Kulturen, und die Bewegung zwischen letzteren sind weitere Charakteristika von transnationalen Migranten/innen. Häufiges Hin- und Herreisen eröffnet soziale Räume über Nationen hinweg, die eine kontinuierliche, grenzüberschreitende Kommunikation und finanziellen Austausch zwischen den Akteuren, also den am Migrationsprozess beteiligten Parteien, zur Folge haben.

Die Grounded-Theory nach Strauss und Glaser (1967) wird als gehaltvolles Analyseverfahren zur Theoriebildung herangezogen. Durch leitfadengestützte Interviews soll die Situation der im Herkunftsland zurückgebliebenen Familie nach erfolgter Emigration einzelner Familienmitglieder beleuchtet werden.

Zu Beginn dieser Arbeit wird überblicksartig das Begriffsverständnis der Migration dargestellt. Anschließend wird das Familienbild im Senegal detailliert beschrieben, das sich deutlich von der okzidentalen Familienvorstellung unterscheidet. Bezüglich dieses Familienbildes ist, bedingt durch die afrikanische Tradition der mündlichen Überlieferung, kaum Forschungsliteratur vorhanden. Dementsprechend stützt sich die deskriptive Darstellung des Familienbildes im Senegal überwiegend auf drei Quellen, welche die Struktur und Lebensform der senegalesischen Familie behandeln: Diop (1981), Ndiaye/ Sarr/ Ayad (1988), Ndiaye/ Sarr (1991) und Bass/Sow (2006). Der anschließende Methodenteil beschreibt die Vorüberlegungen zur Durchführung der Datenerhebung und Analyse.

In der sprachlichen Formulierung wurde eine möglichst geschlechtsneutrale Ausdrucksweise angestrebt. Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich jedoch von der ständigen gleichzeitigen Erwähnung der weiblichen sowie männlichen Form oder den Innen-Suffixen Abstand genommen. Um der internationalen Bedeutung dieser Thematik gerecht zu werden, wurde überdies darauf verzichtet die Namen internationaler Organisationen und Institutionen mit ihrer Herkunftsbezeichnung ins Deutsche zu übersetzen. Die Begriffe „Migration“, „Emigration“ und „Wanderung“ werden im weiteren Verlauf als Synonyme verwendet.

2 Zum Begriff der Migration

Das Wort Migration stammt von den lateinischen Begriffen migratio und migrare, welche Wanderung bzw. wandern oder wegziehen bedeuten. Auch wenn Migration in vielen Wissenschaften Gegenstand von Untersuchungen ist und je nach Ausmaßmehr oder weniger erhebliche Auswirkungen haben kann, wird der Begriff der Migration in der wissenschaftlichen Literatur höchst unterschiedlich angewandt, sodass sich verschiedene Definitionen gegenüberstehen (Oswald 2007: 12).

Die International Organization for Migration (IOM) definiert einen internationalen Migranten als „ (…) an individual who has resided in a foreign country for more than one year irrespective of the causes, voluntary or involuntary, and the means, regular or irregular, used to migrate” (IOM 2008: 22).

Im Jahr 1998 legten die UN in ihren Recommendations on Statistics of International Migration als entscheidendes Klassifizierungskriterium die zeitliche Dauer des Aufenthaltes an einem anderen Ort fest. Demnach sind grenzüberschreitende Aufenthalte über drei Monaten als temporäre Migration – auch Kurzzeitmigration genannt – und Aufenthalte über ein Jahr als tatsächliche Migration – Langzeitmigration – zu verstehen (UN 1998).

Everett S. Lee definiert die Wanderung allgemein als „ a permanent or semi-permanent change of residence. No restriction is placed upon the distance of the move or upon the voluntary or involuntary nature of the act, and no distinction is made between external and internal migration “ (Lee 1966: 49). Hierbei schließt er jedoch kontinuierliche Bewegungen von Nomaden und Wanderarbeitern ohne dauerhaften Wohnsitz aus (Lee 1966: 49ff.).

Das Kriterium des dauerhaften Wohnsitzwechsels ist für die soziologische Begriffsbestimmung konstitutiv, unabhängig davon, ob die Wanderung freiwillig oder unfreiwillig geschieht. Räumliche Bewegungen, welche mit keinem dauerhaften Wechsel des Wohnsitzes einhergehen, werden begrifflich nicht der Migration zugeschrieben (Herberle 1955: 2). Der vollzogene Wohnortswechsel ist nicht als abgeschlossener Migrationsprozess zu bezeichnen, da der wesentlich schwierigere und zeitintensivere Abschnitt der „inneren psychosozialen Migration“ erst noch bevorsteht (Han 2010: 8).

Die zu unterscheidende Fluchtmigration umfasst nach Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention Personen, die "owing to a well-founded fear of being persecuted for reasons of race, religion, nationality, membership of a particular social group or political opinion, is outside the country of his nationality, and is unable to or, owing to such fear, is unwilling to avail himself of the protection of that country or return there because there is a fear of persecution (...)" (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge 1951).[4]

Die Migration ethnischer Minderheiten aufgrund von Diskriminierung im Aufenthaltsgebiet und der Wille zur Bildung von eigenen Nationalstaaten, wie bspw. im Balkangebiet, sind von der Flüchtlingsmigration abzugrenzen. Letztere ist von folgenden Kriterien, sogenannten gates of migration bestimmt: (1) Reaktionen auf kurzfristige Bedarfe nationaler und regionaler Arbeitsmärkte; (2) Annahmen zur langfristigen demographischen und volkswirtschaftlichen Entwicklung; (3) Überzeugungen von der Schutzbedürftigkeit bestimmter Personenkategorien (Oswald 2007: 78). Inwiefern freiwillige bzw. unfreiwillige Migration vorliegt bzw. vorliegen kann, ist mit Blick auf die Gesamtlage zu beurteilen, da Arbeitsmigration aufgrund struktureller Zwänge im Herkunftsland durchaus als Zwangsmigration betrachtet werden kann (Pries 2013: 10).

Das in dieser Arbeit verwendete Begriffsverständnis lehnt sich an die soziologische Interpretation nach Oswald (2007), Pries (1998, 2013) und Han (2010) an.

Migration beschreibt nach dieser Interpretation einen „Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunktes“ (Oswald 2007: 13). Der Aspekt der inneren psychosozialen Herausforderung kann nicht stark genug betont werden. Konkret meint dies die Verlagerung einiger bis aller Lebensbereiche an einen anderen Ort, die mit der „Erfahrung sozialer, politischer und/oder kultureller Grenzziehung einhergeht“ (2007: 13). Migrationsbewegungen werden durch zahlreiche zusammenhängende Ursachen und Zwänge politischer, wirtschaftlicher, ethnischer, religiöser, demographischer, sozialer,ökologischer und kultureller Art ausgelöst. In der Regel sind sie das Resultat eines Zusammenspiels von mehreren Faktoren, die sowohl auf der gesellschaftlich-strukturellen als auch auf der persönlich-individuellen Ebene angesiedelt sein können (Han 2010: 7). Einsichten in diese persönlich-individuelle Ebene zu gewinnen, ist das Anliegen der vorliegenden Studie.

3 Das Familienbild im Senegal

3.1 Familienbild der Ethnie Wolof im Senegal

Vom lateinischen Begriff familia (die Hausgemeinschaft) stammend, bildet eine Familie eine durch Partnerschaft, Heirat, Verwandtschaft, Abstammung oder Adoption begründete Lebensgemeinschaft, deren Mitglieder zumeist in einer Wirtschafts- und Wohneinheit, im Sinne eines Haushaltes, über mindestens zwei Generationen zusammenleben (Hill/ Kopp 2006, Klein 2005, vgl. Lévi-Strauss 1967).[5] Im westeuropäischen Kulturkreis repräsentiert die Kernfamilie trotz bestehender minoritärer Lebensformen das dominierende Familienbild.

Das Familienbild, welches hier im Folgenden beschrieben wird, orientiert sich an den Verhältnissen der Wolof. Die Wolof sind mit einem Anteil von ca. 43% an der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie im Senegal (CIA-Factbook 2014).[6] Die Kultur der Wolof steht häufig repräsentativ für alle weiter verbreiteten Ethnien Senegals, jedoch im Besonderen repräsentativ im Kontext der vorliegenden Arbeit für den Senegal. Die überwältigende Mehrheit (94%) aller Senegalesen gehört dem Islam an. Der Religion, insbesondere dem Islam, wird im Senegal gesellschaftlich eine hohe Bedeutung zugemessen und ist eng in das kulturelle Leben eingebunden.

Aufgrund des begrenzten Umfangs der Forschungsliteratur stützt sich die Arbeit auf drei Quellen: (1) Diop (1981) untersucht die Struktur der Wolof-Familie, deren Status, Heirat und die Rolle der Individuen; (2) Ndiaye/ Sarr/ Ayad (1991) untersuchen die senegalesische Familie in Bezug auf Aspekte der Polygynie[7] und der Familienstruktur; (3) und Bass/Sow (2006) legen ihren Forschungsschwerpunkt auf die Kultur, die Polygynie und die Rolle der Frau innerhalb der Familie.

3.1.1 Mitglieder der Familie

Im Senegal wird den familiären Bindungen eine hohe Bedeutung zugemessen. Der Einzelne identifiziert sich über die Familie als die für ihn wichtigste Institution. So entstehen Verbindlichkeiten und ein Verantwortungsgefühl für die Familie sowie die Gemeinschaft im weiteren Sinne. Im Koran steht geschrieben: „ [...] Und seid gut zu den Eltern und den Verwandten [...]“ (Koran 4:36). Diese lebenslange Wechselbeziehung bestimmt neben dem privaten auch dasöffentliche Leben, etwa in den Bereichen Politik und Wirtschaft. So kann, mitunter unbeabsichtigt, aus Solidarität zueinander ein System des Nepotismus (Vetternwirtschaft) entstehen. In einem Land, in welchem es kaum staatliche soziale Vorsorge für die Bürger gibt, bietet die Familie sozialen Rückhalt, Krankenversicherung und Altersvorsorge zugleich (Demuth/ Kirchebner 2003: 87f.). Die in senegalesischen Familien am häufigsten anzutreffende Lebensform ist die patriarchalisch organisierte erweiterte Großfamilie (Herzberger-Fofana 2005).

Das Verständnis von Verwandtschaft und Familie, basierend auf Kriterien wie biologische Abstammung und Heirat, ist im senegalesischen Kontext nicht hierauf beschränkt. Die Familie setzt sich aus „ (1) a marital tie between a man and woman, and (2) a shared family name or line of descent“ (Mafeje 1991: 19) zusammen. Der Familienname gibt die Familienzugehörigkeit an, die zumeist auf Blutsverwandtschaft oder Heirat beruht. Verwandtschaftliche Beziehungen können jedoch auch durch gemeinsame soziale Erfahrungen oder zwischen Individuen der gleichen Community, wie bspw. der gleichen Koranschule, geschlossen werden (Mafeje 1991: 19ff.). Kouassigan (1978: 89) erläutert das verwandtschaftliche System wie folgt:

„Consanguinity is neither sufficient nor even necessary to the existence of kinship ties. Kinship is a community of religious and social life.“

Folglich werden auch Menschen als Familienmitglieder angesehen, die zwar einen anderen Familiennamen tragen, jedoch mit dem jeweiligen Familiennamen assoziiert werden. Verwandtschaftliche Beziehungen entstehen häufig durch einen regelmäßigen Umgang und engen Kontakt im sozialen Umfeld, was sich u.a. durch die oft gebräuchlichen Bezeichnungen wie „Bruder“ oder „Schwester“ besonders deutlich zeigt (Sow 2011). Diese Verwandtschaftsform wird von Ezémbé (2009: 93) als „parenté de fréquentation“ beschrieben. Die Begrifflichkeiten Familie und Haushalt sind indes nicht substituierbar, da es vor allem in Fällen von Polygynie oder Land-Stadt-Migration vorkommt, dass Individuen in mehreren Haushalten residieren, sofern sieökonomisch und sozial zu diesem beitragen. Dabei müssen im Haushalt lebende Personen nicht zwangsweise als familienangehörig assoziiert werden (vgl. Diop 1981).

3.1.2 Struktur und Aufgabenteilung

Jedes Familienmitglied bekleidet eine bestimmte Position in der Familie. Die Stellung des Einzelnen ergibt sich aus einer hierarchischen Rangordnung, welche sich auf die Älteren und die Ahnen im Rahmen der Religiosität bezieht. Jeder kennt den ihm zugewiesenen Platz innerhalb des stratifizierten Verbundes und weißsomit, wie er sich in die Gemeinschaft einbringen kann.

Der Großvater ist das Oberhaupt der Familie (Wolof: borom kër - Herr des Hauses), gibt Ratschläge und versucht, Konflikte zu lösen. Aufgrund seines Alters kommt ihm zumeist die Aufgabe der Kinderbetreuung zu, wenn die Eltern nicht im Haus sind. Kinder spielen eine zentrale Rolle in der Familie, weshalb ihnen die größte Aufmerksamkeit zuteil wird. Sollte das Familienoberhaupt ableben, übernimmt sein jüngerer Bruder oder ein enger männlicher Verwandter die Position des borom kër (Herzberger-Fofana 2005) .

Der Vater ist traditionell für die Versorgung der Familie, die praktische Erziehung der Kinder und, zusammen mit seinen Brüdern bzw. Cousins, für die Organisation der Heirat der Kinder verantwortlich. Die Versorgung der Familie meint produktive Erwerbsarbeit zur materiellen Bereitstellung von Gütern, die als Lebensgrundlage dienen. Im Islam wird dem Mann die Berufswahl im Rahmen seiner Begabungen und finanziellen Möglichkeiten weitgehend freigestellt. Er sollte jedoch auf die Berührung mit unreinen Dingen oder unislamischen Handlungen verzichten, bspw. nicht in einem Restaurant, in dem Alkohol ausgeschenkt wird, einem Hotel, das an unverheiratete Paare vermietet, oder in einer Fleischerei, in der nicht islamisch geschlachtet wird, arbeiten (Breuer 1998: 90). Zudem ist der borom kër traditionell für die Verwaltung und Verteilung der familiär erwirtschafteten materiellen Güter verantwortlich. Avunkulatische Strukturen[8] sind bei den Wolof noch teilweise zu finden.

Die Frau trägt als Hausfrau für die Erziehung der Kinder und den Haushalt Sorge. Die Tätigkeiten im Haushalt beinhalten u.a. die Zubereitung von Speisen, Reinigungsarbeiten, das Wasserholen, sowie das Wäschewaschen. Mitunter erhält die Frau Landstücke vom Mann, welche die Frau zur eigenen Bewirtschaftung nutzen kann. Die Berufstätigkeit einer Frau ist im Koran grundsätzlich erlaubt, wenn sie ihre primären Pflichten als Hausfrau und Mutter nicht vernachlässigt, zudem von ihrem Ehemann die Erlaubnis dazu hat und weiterhin dessen Vormachtstellung in Ehe und Familie akzeptiert. Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Frau in ihrer Berufswahl im Rahmen moralisch vertretbarer Handlungen weitestgehend frei (Breuer 1998: 90ff.). Traditionell steht die muslimische Frau Zeit ihres Lebens unter der Obhut eines männlichen Familienmitglieds.

Der männliche Nachwuchs unterstützt die Eltern auf dem Feld und kümmert sich um die Viehhaltung. Die jungen Mädchen helfen der Mutter im Haushalt oder auf dem Feld. Traditionell bleibt ein junges Mädchen so lange unter der Vormundschaft ihres Vaters, bis sie unter die Obhut eines Ehemannes gestellt werden kann, der nunmehr die Rolle des Familienvorstandes übernimmt. Dieses Prinzip wird Patrilokalität genannt und sieht vor, dass das Ehepaar zum Vater des Bräutigams zieht (Sow 2011: 41). Mädchen werden bis heute oft sehr früh verheiratet. 12% aller Senegalesen sind gemäßdem United Nations International Children's Emergency Fund (UNICEF)-Statistiken im Alter von spätestens 15 Jahren verheiratet (UNICEF 2015). Das legale Heiratsalter im Senegal liegt für Männer bei 20 Jahren und für Frauen bei 16 Jahren.

3.1.3 Traditionelles Kastensystem

Die meisten senegalesischen Ethnien - eine Ausnahme sind etwa die Diolas in der Region Casamance oder die Bassari - sind traditionell sozial streng stratifiziert und in ein kompliziertes Kastensystem eingebunden. Das traditionelle Verständnis des Hineingeborenwerdens in eine bestimmte Kaste machte eine soziale Mobilität unmöglich, heutzutage wird sie mehr und mehr zur Realität.

Bei den Wolof gab es in der Vergangenheit zunächst die grundsätzliche dichotome Unterscheidung zwischen einer höheren (geer) und niederen (ñeeño) Kaste (Stearing 2001: 10ff., Diop 1981: 33ff.). Zu den geer gehörten die meisten Nichthandwerker. Neben Fischern (nappkatt) und Edelleuten (bour yi) besteht diese Kaste vornehmlich aus Bauern (baykatt). Die Kaste der ñeeños wurde nochmals in Subkasten unterteilt: jëf-lekk, sab-lekk und nôole. Die jëf-lekk waren die Handwerker (teugg), die sich wiederum in Schmiede (tëgg), Schuhmacher (uude), Holzarbeiter (seeñ) und Weber (ràab) untergliederten. Die Kaste der sab-lekk bestand aus Sängern, Musikern (weykatt) und den Griots (géwël); letztere waren gleichzeitig Historiker, Diplomaten und Hüter der Kultur und der Tradition. Als „Meister der Wortkunst“ (Maître de la Parole) überlieferten die Griots die Genealogie und Geschichte von Königsgeschlechtern, Familien oder Dörfern. Weiterhin nahmen sie vor, während und nach Kriegshandlungen diplomatische und Mediatoren-Funktionen ein. Deshalb wurde ihnen großer Respekt, aber auch Ehrfurcht entgegengebracht (Gierczynski-Bocandé 1992: 336, Hale 1997: 255).

Zu den sogenannten ñoole zählten bspw. Höflinge, Diener und Possenreißer. Definitorische Unterschiede gibt es in der Frage der Sklaven (diam). Mitunter wurden die Sklaven den ñoole zugerechnet oder die diam als niedriger betrachtet (Diop 1981: 35). Es herrschte eine strikte Hierarchisierung zwischen den Kasten der geer und ñeeño. Exogamie, d.h. eine Ehe zwischen geer und ñeeño, war nicht geduldet (vgl. Stearing 2001, Diop 1981, Diouf 1990). Kinder aus etwaigen Inter-Kasten-Beziehungen nahmen die Kastenzugehörigkeit der niedrigeren Kaste der Eltern an.

Vor der Ankunft des Islam durch Händler und Reisende existierte bei den Wolof und Serer ein duales System von patri- und matrilinearer Vererbung (Manden-Charta 1236).[9] Der Status der Familie, das Land und die Sklaven wurden über die weibliche Linie vererbt. Soziale Werte, wie Ehre, Autorität und Mut wurden hingegen patrilinear an die nächste Generation weitergegeben. Lediglich die unteren Kasten waren patriarchalisch organisiert. Mit der Verbreitung des Islam und der einhergehenden Stärkung des Patrilinearismus kam es zur Festlegung des Mannes als borom kër, was 1972 im erstmals verfassten senegalesischen Familiengesetz (Art. 277) niedergeschrieben ist.

3.1.4 Polygynie und Ehe

Die Polygynie hat in Westafrika eine lange Tradition und ist keine Verhaltensweise, die erst nach der Islamisierung seit dem 9. Jahrhundert übernommen wurde (Gierczynski-Bocandé 2007)[10]. Der Koran erlaubt einem Mann bis zu vier Ehefrauen, die er gerecht und gleich behandeln soll: „Und wenn ihr fürchtet, gegenüber den Waisen nicht gerecht zu sein, dann heiratet, was euch an Frauen beliebt, zwei, drei oder vier. [...]“ (Koran 4:3).

Im Senegal ist die Polygynie nach wie vor gesetzlich erlaubt, jedoch auf jene vier Ehefrauen beschränkt. Prinzipiell muss zwar jedes Paar, d.h. Mann wie auch Frau, bei der Eheschließung gemeinsam für Monogamie oder Polygynie votieren, in der Praxis ist es der Frau aber kaum möglich, ihren Willen gegen den des Mannes durchzusetzen (Bass/ Sow 2006: 86).

In der traditionellen Gesellschaft, vor allem in den ländlichen Gebieten, ist es üblich, dass die eheliche Verbindung zweier Menschen durch die Verwandtschaft ausgehandelt wird. Die Ehe gilt hier nicht als Allianz zwischen zwei Personen, sondern zwischen zwei Gruppen etwa gemeinsamer Vorfahren bzw. zwischen Volksgruppen. Diese Allianzen symbolisieren die Fortsetzung der Gemeinschaft (Herzberger-Fofana 2005).

Der Bräutigam muss der Familie seiner Braut für die entzogene Arbeitskraft einen Brautpreis zahlen, meist in Form von Naturalien, wie z.B. Rindern, oder in Arbeitstagen, die er selbst auf den Feldern der Familie leistet. Diese Arbeit hat einen symbolischen Wert als Friedenszeichen für die zukünftig verschwägerten Familien. Der Brautpreis kann auch als eine Ablösung für die geleistete Erziehung der Töchter verstanden werden und dient in den Fällen einer Trennung, etwa durch Scheidung, zum Unterhalt der Frau, die fast immer zu ihrer Familie zurückkehrt (Herzberger-Fofana 2005). Im Demographic and Health Survey von Antoine und Nanitelamio (1986) wird eine Polygynie-Quote aller senegalesischen Ehen von 49% im ländlichen Gebiet verglichen mit 41% in der Stadt angegeben.

Die höhere Polygynie-Rate auf dem Land erklärt sich durch die hohe Bedeutung von Arbeitskraft als Produktionsfaktor in der dort vorherrschenden Subsistenzwirtschaft.[11] In polygynen Beziehungen leben die Frauen meist alle unter einem Dach, lediglich in abgetrennten Räumen. In Städten leben die Ehefrauen hingegen häufig räumlich vollständig getrennt, in eigenen Wohnungen oder Häusern.

3.2 Das moderne Familienbild im Senegal

Die meisten sichtbaren Veränderungen zum traditionellen Familienbild können in der Familienstruktur selbst festgestellt werden. Die senegalesische Großfamilie ist vielerorts in der Auflösung begriffen. Man findet diese Familienform teilweise noch in ländlichen Regionen des Senegals. Im städtischen Raum hingegen ist die Großfamilie allein der teuren Mieten und des begrenzten Wohnraumes wegen schon kaum noch zu finden.

In einer traditionell überwiegend schriftlosen Gesellschaft[12] kommt den Älteren als Hort des Wissens eine große Bedeutung zu. In der heutigen Zeit der einfachen technologischen Zugangsmöglichkeiten zu Informationen (z.B. Internet) verlieren die Alten nach und nach ihre Funktion als alleinige Wissensträger, womit gleichzeitig ein Machtverlust einhergeht. Die beschriebenen Merkmale der traditionellen Zusammengehörigkeit verlieren in der modernen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung.

Bis zum Ende der französischen Kolonisation 1960 war das generations-übergreifende Zusammengehörigkeitsgefühl noch besonders ausgeprägt. Die fremde Herrschaft festigte die sozialen Beziehungen innerhalb der Familie, da viele erwachsene Kinder immer wieder zu ihrer Familie zurückkehrten, um sich Rat zu holen. Die heutige Generation hingegen erlebt soziale Veränderungen, die bspw. durch eine zunehmende Urbanisierung hervorgerufen werden. Die Kinder aus der Stadt kümmern sich nunmehr aus der Distanz um ihre Eltern. Trotz dessen lässt sich die Fürsorge gegenüber älteren Menschen nicht auf bloßes Pflichtbewusstsein zurückführen. Die Kinder sind regelmäßig bei ihren Eltern zu Besuch, insbesondere religiöse Feste wie bspw. die Korité (Arabisch: Īd al-Fiṭr )[13] oder Weihnachten werden genutzt, um die Familienbande zu pflegen. Der familiale Kontakt ist sehr eng. Nichtsdestotrotz werden ältere Menschen zunehmend seltener in Entscheidungsprozesse und in das Leben der Jüngeren einbezogen (Herzberger-Fofana 2005).

Die Mannigfaltigkeit der bestehenden Bildungsinstitutionen spiegelt zudem die vom Islam, Christentum und senegalesischer Tradition geprägte Heterogenität der senegalesischen Gesellschaft im Ganzen, und so auch der Familie als Mikroeinheit, wieder. Dieöffentlichen Schulen orientieren sich seit der Kolonialzeit am französischen System. Viele muslimisch gläubige Senegalesen wollen ihren Zöglingen hingegen eine religiöse Bildung zukommen lassen und entscheiden sich für private Koranschulen (Daara) oder die Fürsorge eines Marabouts.[14] Um einerseits dem kosmopolitischen Anspruch einer westlichen Schulbildung, sowie andererseits jenem einer traditionellen Wertevermittlung gerecht zu werden, besuchen viele Kinder Franko-Arabische Schulen. Dort wird den Heranwachsenden im Koranunterricht der Islam gelehrt. Das breite Bildungsangebot versinnbildlicht die Komplexität der vielfältigen senegalesischen Gesellschaft, die als ein hybrides Konstrukt des traditionellen afrikanischen, christlichen und islamischen Einflusses beschrieben werden könnte (Bass/ Sow 2006: 89ff.).[15]

Die traditionelle Kasten-Unterteilung existiert heutzutage offiziell kaum noch. Eine soziale Stratifizierung ist jedoch immer noch in der Gesellschaft zu spüren, sodass die alten Kastenkategorien die Gesellschafts- und Arbeitsbeziehungen beeinflussen. Besonders Eheschließungen außerhalb der eigenen Kaste wird in manchen ländlichen Gegenden noch weiterhin viel Widerstand entgegengebracht.

Auch wenn in zunehmendem Maße die jungen Erwachsenen, vor allem die Frauen, selbst entscheiden können, wen sie heiraten, kann heutzutage ein Rückzug in die arrangierte Ehe beobachtet werden. Dieses Phänomen spielt sich indes in allen sozialen Schichten ab. Nachdem die Scheidungsziffern in den vergangenen Jahren sehr hoch lagen, ist auch im städtischen Milieu und in den höheren sozialen Schichten eine freiwillige Rückkehr zur arrangierten Ehe zu verzeichnen, da diese angeblich eine größere Stabilität bietet (Herzberger-Fofana 2005). Zudem lässt sich ein Rückgang der Polygynie beobachten. Bass/ Sow (2006) konstatiert eine Polygynie-Quote von nahezu 50% im urbanen und 40% im ländlichen Gebiet (Ndiaye et. al. 1991 zitiert nach Bass/ Sow 2006: 87).

Generell hat die moderne Familie im urbanen Afrika mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie eine städtische Familie in Deutschland. Berufstätige Eltern (insbesondere die vermehrt berufstätigen Mütter) finden wenig Zeit ihre Kinder zu erziehen, um sich um ihre Verwandten zu kümmern. Die jüngeren Generationen bauen sich zudem ein Netzwerk an Freunden, Nachbarn und Kollegen - sogenannte weak ties - auf, die an die Stelle der ursprünglichen Familie treten (Herzberger-Fofana 2005, vgl. Granovetter 1973).

4 Forschungsdesign

In diesem methodischen Abschnitt werden folgende Fragen beantwortet: Warum eignet sich die Methode leitfadengestützter Interviews für die Untersuchung von Migrationsprozessen? Welche Vor- und Nachteile haben leitfadengesteuerte Interviews? Welche methodischen Probleme, die die Forschungsergebnisse verzerren können, können während der Erhebung auftreten? Zudem werden die Anforderungen an die Zielgruppe, das Sample und die Fragestellung der Studie erläutert.

4.1 Fragestellung und die Kategorie der Left-Behinds

In der vorliegenden Arbeit soll die Situation von Migrationsfamilien im Senegal untersucht werden. Das Hauptinteresse dieser Arbeit gilt neben der Migrationsgeschichte dem Left Behind Nexus. Der Left Behind Nexus beschäftigt sich mit den am Heimatort zurückgebliebenen Familienmitgliedern (left-behinds), ihrem Umgang mit der neuen Lebenssituation, mit der Veränderung des Alltags durch die Migration und mit der Entwicklung der Beziehung zwischen den Migranten und den left-behinds. Die Fragestellungen dieser Studie nach den Ursachen, nach der prozesshaften Dynamik und nach den Auswirkungen der Migration auf den Migranten und insbesondere auf die Familie orientieren sich an den 14 „lines of influence“ von Jonathan Rigg (2007: 174). Rigg beschäftigt sich in seinem Werk Moving lives: migration and livelihoods in the Laos PDR mit den Auswirkungen von gender-selektiver Migration auf die Haushaltsstrukturen und insbesondere mit den Handlungsstrategien von left-behind Frauen in Laos.

Die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit umfassen die folgenden Aspekte:

- welche Umstände haben zur Emigrationsentscheidung geführt bzw. was war die Motivation für diese Entscheidung;
- wie wurde die Entscheidung zur Emigration innerhalb der Familie getroffen bzw. wer hatte daran maßgeblichen Einfluss;
- weshalb wurde nicht gemeinsam emigriert bzw. welchen Einfluss hat die Emigration auf die Haushaltsgröße und –zusammensetzung;
- inwiefern haben sich bestimmte Verhaltensweisen im Zusammenleben durch die Entfernung geändert;
- inwiefern werden bestimmte Werte und Normen vom Emigranten in der Ankunftsregion übernommen und im weiteren Verlauf an Familienmitglieder weitergegeben;
- auf welche Art und Weise und wie häufig wird miteinander kommuniziert;
- welchen Einfluss hat die Migration auf das Haushaltseinkommen der Familie;
- welchen Einfluss haben die Remittances auf die Handlungen der zurückgebliebenen Familie;
- welchen Einfluss hat die Migration auf die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau;
- welche finanziellen oder materiellen Güter werden den Familien auf welchen Wegen zur Verfügung gestellt;
- wie werden diese Güter genutzt;
- wer verfügt maßgeblich über die Entscheidungsgewalt der Verwendung der Remittances – derjenige, der sie erwirtschaftet hat oder die Familie als Ganzes;
- und ist eine Veränderung der Umstände in der nächsten Zeit abzusehen oder geplant.

Zusammengefasst lautet das Forschungsinteresse: Welche Auswirkungen hat die Migration auf die familiären Strukturen hinsichtlich sozialer Aspekte wie Zusammenhalt und welche Auswirkungen hat der Fluss von Remittances auf die left-behinds.

4.2 Methodische Vorgehensweise

Ursprünglich sollten die im vorangegangen Abschnitt aufgeworfenen Fragen durch leitfadengestützte Interviews mit Interviewpartnern in der senegalesischen Hauptstadt Dakar beantwortet werden, um tiefere Einsichten in das untersuchte Phänomen der Migration einzelner Familienangehöriger und der Situation der zurückgebliebenen Familie erzielen zu können. Hierfür sollten mithilfe der Kontakte des Partnerbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung betroffene Familien in der senegalesischen Hauptstadt Dakar identifiziert und interviewt werden. Direkt in Dakar ließen sich jedoch keine zuverlässigen Kontakte zu Emigrantenfamilien herstellen, sodass statt Dakar die nord-westliche Region Louga als Erhebungsort dienen musste.[16] Für diese Region konnten zuverlässige Familien und Experten gefunden werden, die bereitwillig Informationen und Kontakte bereitstellten.

Um die Fragestellungen bearbeiten zu können, wurde das qualitative Forschungsdesign der Interviewbefragung gewählt, da „quantitative Methoden auf einer Interpretation sozialer Sachverhalte [beruhen], die in der Beschreibung der [Merkmale der] Sachverhalte [oder der Häufigkeit des Auftretens von Merkmalen] durch Zahlen resultiert“ (Gläser/ Laudel 2006: 24). Somit liefern quantitative Untersuchungen vornehmlich Erkenntnisse über größere Personengruppen; wohingegen durch das qualitative Forschen tiefere Einsichten in ein untersuchtes Phänomen auf individueller Ebene erzielt werden können (Brosius et. al. 2008: 19).

Quantitative Untersuchungsmethoden hätten für die Interpretation der sozialen Sachverhalte mit einer großen Grundgesamtheit durchaus angewandt werden können. Statistiken zu der behandelten Thematik sind in großem Umfang verfügbar und dienen in dieser Arbeit der unterstützenden Argumentation. Grundsätzlich besteht zudem bei einer gesamten Analphabeten-Rate von knapp 43% eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Datenerhebung mittels Fragebögen zu Schwierigkeiten führen könnte (CIA-Factbook 2015).[17] Außerdem können im Dialog bestimmte Fragen, sofern missverständlich formuliert, näher erläutert werden. Ein weiterer Vorteil bestand in der Durchführung von Interviews darin, dass zusätzlich Mimik und Gestik beobachtet werden konnten. Anders als in quantitativen Untersuchungsdesigns besteht in der Kommunikationssituation zwischen Forscher und Zielperson die Möglichkeit unmittelbar bestimmte Antworten zu hinterfragen oder Reaktionen zu beobachten. Zu bemerken ist, dass die Migration für alle Beteiligten eine sensible Thematik darstellt, welche den Forscher in erhöhtem Maße zu einem sensiblen Vorgehen im Umgang mit dem Interviewteilnehmer verpflichtet.

Schlussendlich wurde der Versuch unternommen, empirische Forschung als exemplarisch-experimentelle Aufdeckung von möglichen und plausiblen Zusammenhängen in der Migrationsforschung durchzuführen. Im Vorfeld wurde die Durchführung von zehn qualitativen Interviews angestrebt.

Drei Experteninterviews, ein leitfadengestütztes und sieben problemorientierte Interviews nach Witzel (2000) wurden letztlich durchgeführt und anschließend ausgewertet und stellen im Weiteren die Grundlage der Forschungsergebnisse dar. Die gewonnenen Informationen wurden mit bereits bestehender Forschungs-literatur in einen Sinnzusammenhang gestellt. Kontextuelles Datenmaterial und Literatur wurde zur argumentativen Untermauerung und Diskursbereicherung verwendet - besonders in Themengebieten, zu welchen sich die Interviewten im Gesprächsverlauf wenig geäußert haben.

4.3 Die Region Louga im Senegal als Erhebungsort

Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, ist die hohe Emigration ein gesellschaftliches Phänomen. In 76% der urbanen Haushalte und in 70% aller senegalesischen Haushalte befindet sich mindestens ein Familienmitglied im Ausland (Chort/ Senne 2013).

In der Region Louga im Nordwesten des Senegal (etwa 300 km von Dakar entfernt gelegen) leben rund 677.500 Menschen (Millennium Cities Initiative 2010). Die Region ist in die drei Departements Louga, Linguere und Kebemer gegliedert.[18] In der Stadt Louga fand die Befragung der Teilnehmer statt. Die Stadt umfasst rund 97.000 Einwohner. Die Mehrzahl der Einwohner sind Wolof (65,5%) oder Peul (29,4%).

Tabelle 1: Anzahl der Emigranten nach regionaler Herkunft

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: ANSD (2013).

Rund 80% der Einwohner gehen der Agrarwirtschaft nach. Eine Agrarkrise prägt die Region, verursacht durch die Nichtverfügbarkeit von kultivierbarem Boden, Bodenverarmung, zunehmender Desertifikation (Sahelwüste), Wasserknappheit und verfehlte Erdnusskultivierung. In der Region herrscht hohe Armut und Arbeitslosigkeit (UNDP 2012).

Die Region ist gleichsam durch eine hohe Migrationsrate gekennzeichnet. Gemäßder Agence Nationale de Statistique et de la Démographie (ANSD) gibt es derzeit rund 8000 Emigranten in der Region Louga (Tabelle 1), welches einem gesamtsenegalesisch-landesweiten Anteil von 4,7% entspräche. Es ist anzunehmen, dass die Anzahl der Migranten deutlich höher als 8000 liegt, da Auslandsreisen mittlerweile einer gewissen Diskretion unterliegen. In manchen Dörfern der Region (bspw. Nani) gibt es in jedem Haushalt einen Emigranten (IE 2).

4.4 Zielgruppe und Auswahl der Interviewpartner

Die Interviewpartner sollen bestimmte für den Forschungskontext relevante Kriterien erfüllen.

Zentrales Kriterium war, dass alle Teilnehmer vor Aufbruch des Migranten in einem engen familiären Verhältnis zueinander standen. Wie im Abschnitt 2 ausführlich dargestellt, divergiert die Vorstellung von familiären Strukturen im Senegal von europäischen Familienmodellen, sodass in Zielgruppenanalyse-Gesprächen schnell der Eindruck entstehen kann, dass jeder Senegalese jemanden aus der Familie kennt, der sich gerade im Ausland aufhält. Um jedoch entscheidende Auswirkungen auf die Sozialisation der Familie feststellen zu können, musste der Begriff der Familie auf den engeren, d.h. emotional eng miteinander verbundenen Angehörigenkreis präzisiert werden. Als Interview-partner kamen so alle Personen in Betracht, die längere Zeit mit dem Migranten zusammengelebt haben und obwohl bevorzugend, doch nicht ausschließlich innerhalb eines Haushalts. Da sich die Migration unterschiedlich auf jedes left-behind Familienmitglied auswirkt (Sow 2011: 20) müssen diese nach Faktoren wie Alter, Geschlecht, sowie dem sozialen undökonomischen Status differenziert werden.

Die Dauer der Abwesenheit des Migranten stellt insofern ein weiteres Auswahlkriteritum dar, als dass Veränderungen als dynamischer Prozess nach einer gewissen zeitlichen Dauer deutlicher und bewusster wahrgenommen werden und folglich interpretiert werden können.

Nachdem einige Kontakte zu Migrantenfamilien hergestellt wurden, wurde die snowball method genutzt, um eine Grundgesamtheit von zehn interviewbereiten Familien zu finden. Mit der snowball method geht die Gefahr einer geklumpten Stichprobe einher. Somit sind die Möglichkeiten das Theoretical Sampling (Strübing 2004: 28ff.) nach der Qualität der Teilnehmer zu gestalten, eingeschränkt. Die Eignung der Interviewpartner und damit der Grad der Repräsentativität der Studie ist von der Güte der Empfehlungen bzw. des sozialen Netzwerkes abhängig.

Die vorliegende Studie kann lediglich einen begrenzten Beitrag zum Forschungsfeld der zurückgebliebenen Familien leisten. Einerseits ist die schlussendliche Grundgesamtheit von acht Interviewgesprächen verglichen bspw. mit der Studie von Chort und Senne (2013) gering; andererseits ließen es die Interviewsituationen aufgrund der räumlichen und zeitlichen Umstände nicht zu, alle Familienmitglieder, d.h. sowohl die left-behinds, als auch den Emigranten selbst, einzeln zu interviewen.[19]

Grundsätzlich können Aussagen über die Höhe der Remittances oder die Entscheidungsbefugnisse innerhalb der Familie, verzerrt oder unwahr sein. Um die Stichhaltigkeit der Aussagen zu überprüfen wurden am Ende der Zielgruppeninterviewphase zusätzlich drei Experteninterviews geführt. Hierdurch konnten eigene Beobachtungen und hergestellte Sinnzusammenhänge diskutiert und fachlich ergänzt werden.

4.5 Erhebungssituation

Um den Probanden in Puncto Zeit und Anfahrtskosten entgegenzukommen wurde auf deren Wünsche bezüglich Zeitpunkt und Ort eingegangen. Zumeist fand das Interview in der Wohnung der Familie bzw. am Arbeitsplatz, z.B. dem lokalen Markt, statt.

Die lingua franca im Senegal ist Wolof. Viele Senegalesen sprechen zudem Französisch. Es war im Vorfeld nicht davon auszugehen, dass die Interviewpartner ausreichend gut Englisch oder Deutsch sprechen. Die Partizipation eines Dolmetschers (Wolof-Englisch/Französisch) zur Unterstützung beider Interviewparteien wurde deshalb in Erwägung gezogen. Die unproblematische Durchführung der Interviews in der französischen Sprache machte einen Dolmetscher jedoch im Verlauf der Erhebung obsolet.

Misstrauen wurde mir als Forscher entgegengebracht als ich versuchte, eigeninitiativ Leute zu befragen und mögliche Interviewpartner auszumachen. Im Allgemeinen war eine erwartungsgemäße Schüchternheit der Kinder zu beobachten. Gleichsam zurückhaltend zeigten sich viele Frauen; möglicherweise hervorgerufen durch fehlende Sprachkenntnisse des Autors in Wolof. Es stellte sich als schwierig heraus, auf diesem Weg verwertbare Informationen zu gewinnen. Lange Erklärungen über den akademischen Forschungszweck, Herkunft, Beruf und eigene Familie führten meist auch nicht zum gewünschten Erfolg. Die Ursache für diese Zurückhaltung könnte die Furcht vor negativen Folgen einer ehrlichen Aussage über die Remittances, wie etwa eine entsprechende Steuereintreibung, sein.[20] Ein weiterer Grund könnte sein, dass einige Migrantenfamilien bereits in vergangener Zeit häufiger zu der sensiblen Thematik der Migration im Zuge der Schiffsunglücke im Mittelmeer[21] befragt wurden und sich eine gewisse Art des Überdruss bei den Personen entwickelt hat, über diese Thematik mit Fremden zu sprechen.

Eine besondere Erhebungssituation ergab sich beim Experteninterview (IE1) mit Khalifa. Khalifa lebt in Louga und forscht als Journalist selbst seit langer Zeit an der Thematik der Emigration. Folglich bestanden bereits gepflegte Kontakte. Während des mehrstündigen Interviews in den Straßen Lougas, gewann ich einen authentischen Einblick in die Migrationsproblematik, aufgrund der Verbindung zwischen Erzählung und zeitgleich beobachteter Realität. Während des Interviews machte Khalifa den Forscher mit verschiedenen zielgruppenrelevanten Personen bekannt. Die etablierte Vertrauensbasis und die dank des Experten verfügbare Information über die individuelle Migrationsgeschichte erlaubten eine gezielte Befragung der ehemaligen Migranten. Ein weiterer Vorteil bestand in der Dolmetscherfähigkeit des Experten, welche den bevorzugt Wolof-sprechenden Senegalesen eine rhetorische Stütze war. Aus diesen kurzen Gesprächen entwickelten sich die im weiteren Forschungsverlauf intensiv erhobenen problemzentrierten Interviews (I6) und (I7). Diese Form des Interviews sollte moralischen Grundfesten entsprechen. Terminologisch schlage ich das investigative Interview vor.

Für zukünftige Feldforschung ist diese Vorgehensweise bei entsprechender Verfügbarkeit der Ressourcen, wie Infrastruktur, vertrauensvoller Experten oder Zeit, in höchstem Maße zu empfehlen.[22]

Alle Interviews dauerten länger als 1,5 Stunden. Das längste durchgängig geführte Interview dauerte 4 Stunden (IE1). Die Interviews (I3) und (I8) wurden über einen Zeitraum von zwei bzw. fünf Tagen gestreckt durchgeführt.

4.6 Sample

Im weiteren Verlauf werden die Interviewteilnehmer skizzenhaft dargestellt. Die Varianz individueller Emigrationsgeschichten spiegelt die Unterschiedlichkeit der Emigranten und vor allem der Migrantenfamilien wieder. Aus Gründen des Datenschutzes wurden die realen Namen der Interviewpartner anonymisiert und nach typischen senegalesischen Vornamen umbenannt. Im Folgenden ist eine Kurzbiographie der Interviewpartner verfasst, die Alter, Geschlecht, Familien-stand sowie die individuelle Migrationsgeschichte umfasst. Dauer des Aufenthalts und Migrationsmotive wurden zudem festgehalten. Die Interviews sind in ihrer Reihenfolge der Durchführung nummeriert. Es wird zwischen Interview (I) und dem Interview mit einem Experten (IE) unterschieden. Die Zahlen in Klammern zeigen das Alter der jeweiligen Personen an.

[I1] Fatoumata (24)

Fatoumata lebt seit 6 Jahren in Dakar. Fatoumata wurde im Senegal geboren. Kurz nach ihrer Geburt zog die Familie auf der Suche nach Arbeit nach Burkina Faso. Nach 18 Jahren in Burkina Faso bewarb sich ihr Vater (48) um ein amerikanisches Arbeitsvisum, welches er daraufhin auch erhielt. Die Familie zog auf Initiative des Vaters abermals in den Senegal. Drei Monate später emigrierte der Vater in die USA, zuerst nach New York. Jetzt arbeitet er in North Dakota. Der Vater arbeitete in New York hauptsächlich in Restaurants und als Straßenverkäufer. In North Dakota arbeitet er in der metallverarbeitenden Industrie. Die zurückgebliebene Familie lebt in Dakar. Fatoumata hat weitere vier Geschwister (18, 25, 28, 29). Der Vater schickt monatlich Geld für die Familie.

[I2] Amacoudo (82)

Amacoudo befindet sich schon seit längerem im Ruhestand. 1981 verließihn seine erste Frau (81) mit deren drei Kindern (53, 58, 60) nach Kanada, während er beim senegalesischen Militär diente. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine zweite Frau (70). Heute lebt er mit seiner zweiten und dritten Frau (59) in einem großen Gehöft. Seine drei ältesten Kinder (18, 22, 24), die er zusammen mit seiner zweiten Frau hat, befinden sich derzeit in Frankreich.

[I3] Eliane (42)

Eliane war lange Zeit mit einem Italiener (45) verheiratet und lebte mit ihm abwechselnd in Italien und im Senegal, bevor sie sich von ihm scheiden ließ. Sie kehrte aus Italien zurück und widmete sich ihrem von der italienischen Küche inspirierten Restaurant in Louga. Durch stetige Re-Investitionen entwickelte sich aus dem kleinen Restaurant ein großes Hotel. Ihre Kinder, eine Tochter (16) und ein Sohn (19), leben bei dem Vater in Italien.

[I4] Babacar (46)

Babacar arbeitete die vergangenen sechs Jahre in Norditalien, nahe Mailand. Nachdem er dort anfänglich als Verkäufer seinen Lebensunterhalt verdiente, verschafften ihm Bekannte schnell einen Job in der Automobilindustrie. Als er zurückgekehrt war, ein Haus gekauft hatte, eröffnete er umgehend ein Im- und Exportgeschäft. Er hat keine Angestellten. Babacar ist der einzige Sohn seiner Eltern. Er hat keine Frau oder Kinder.

[I5] Marie-Simon (34)

Marie-Simon ist die selbsternannte Schwester von Pierre (36). Pierre arbeitet im informellen Sektor in Gambia. Seine Frau lebt mit dem 3 Jahre alten Sohn im Senegal. Seinen Vater lernte Pierre nie kennen und seine Mutter starb sehr früh, sodass er mit 5 Jahren zu seiner Tante zog. Als Pierre 14 Jahre alt war, verstarb auch seine Tante. Da er fortan der einzig Verbliebene aus seiner Familie war, kam er bei einer Freundin der Tante unter. Marie-Simon, die in der Nähe von Pierres neuem Zuhause lebte, lernte ihn daraufhin kennen. Beide bezeichnen sich seither als Bruder und Schwester und betrachten sich gegenseitig als Teil der Familie. Pierre versuchte 2011 mit Hilfe von Schleusern das spanische Festland über das Mittelmeer zu erreichen. An der senegalesischen Küste abgelegt, wurde die Piroge unweit von der spanischen Küste entfernt (auf der Straße von Gibraltar) von der Küstenwache (oder Frontex) entdeckt und mit zwei Booten und Hubschrauber gestoppt. Die Überlebenden der strapaziösen Überfahrt wurden daraufhin nach Marokko gebracht und mussten umgehend die Rückreise in den Senegal antreten – diesmal per Bus. Über seine waghalsige Unternehmung informierte er im Vorfeld niemanden. Marie-Simon erfuhr erst von seinem Schicksal als er wieder von seiner Reise zurückgekehrt war. Seit der Geburt des Kindes arbeitet er in Gambia um die Familie zu ernähren. Auf die Frage hin, ob er jemals wieder solch ein Wagnis eingehen wird, antwortete er: „Je ne sais pas. Mais un jour je vais aller en Europe.“ (Ich weißes nicht. Aber eines Tages werde ich nach Europa gehen)

[I6] Mustafa (62)

Mustafa wanderte 1983 für 2 Jahre nach Frankreich aus. Er arbeitete als Verkäufer. Zuerst in Bordeaux, dann in Marseille. Nach zwei Jahren kehrte er aufgrund des ausbleibenden Erfolges wieder zurück in den Senegal. Nachdem er in Dakar seine spätere Frau (54) kennengelernt hatte, zog er mit ihr 1986 nach Louga. Mit seinem ersparten Vermögen von 3000€ investierte er erfolgreich in sein eigenes Unternehmen. Seither führt er ein kleines Süßigkeiten-Geschäft. Mit seiner einzigen Frau hat er sieben Kinder: vier Töchter (10, 14, 20, 24) und drei Söhne (15, 21, 26). Mustafa bezeichnet sich selbst als streng-gläubigen Muslim.

[I7] Mbotch (45)

Mbotch war selbst lange Zeit Emigrant. Er arbeitete 8 Jahre in Deutschland. Er war am Flughafen in Frankfurt am Main (Hanau) beschäftigt. Vor Beginn seiner Emigration hatte Mbotch eine Frau. Mittlerweile hat er drei senegalesische Frauen geehelicht (28, 33, 40). Zudem besitzt er ein großes Mehrfamilienhaus mit insgesamt 18 Apartments in Louga, welches er zu einem großen Teil von seinem Ersparten während seiner Zeit in Deutschland refinanziert hat und jetzt vermietet.

[I8] Malik (57)

Malik studierte Literaturwissenschaften und erhielt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst ein Stipendium und konnte in München promovieren. Er ist derzeit arbeitslos und befindet sich auf Arbeitssuche. Seine Frau (46) mit seinen zwei Kindern (8, 13) lebt in Dakar. Zudem hat er eine uneheliche Frau mit Kind in Gambia, wo er fünf Jahre lebte. Seine eheliche Frau weißnichts von seinem nichtehelichen Kind (10).

[IE1] Khalifa (50) – Experteninterview

Khalifa ist in Louga aufgewachsen und ist von Beruf Journalist. Er selbst wanderte während seiner Studienzeit nach Marokko und Tunesien aus. Eines seiner großen persönlichen Interessensfelder ist die Emigration, der er sich auch häufig in seiner journalistischen Tätigkeit widmet.

[IE2] Badara (39) - Experteninterview

Badara arbeitet im Bereich der Migrationsforschung. Er betreut die Region Louga. Sein Bruder (44) hielt sich für einige Jahre in Italien und Deutschland auf. Derzeit beantragt sein Bruder mit seinen Kindern (7, 9) und seiner Frau (39) die Greencard.

[IE3] Saliou (34) - Experteninterview

Saliou ist für die Durchführung von integrativen Projekten in Louga verantwortlich und betreut hierbei einige Projekte, welche die Integration von zurückkehrenden Migranten verbessern sollen.

4.7 Leitfadengestütztes vs. Problemzentriertes Interview

Das problemzentrierte Interview nach Witzel (1982) orientiert sich an den Grundprinzipien der qualitativen Forschung - der Problemzentrierung, Gegenstands- und Prozessorientierung, sowie der Offenheit der Befragung. Im Gegensatz zum narrativen Interview weist das problemzentrierte Interview einen höheren Grad an Strukturiertheit auf und gilt als teilstandardisierte Befragungsmethode (Witzel 2000).

Um den Interviews eine zielorientierte Struktur zu geben wurde vorab ein Leitfaden ausgearbeitet, in dem vorhandene Migrationstheorien und Konzepte Berücksichtigung fanden (Lamnek 2005: 364). Auf einem Leitfaden basierende problemzentrierte Interviews zeichnen sich durch ein hohes Maßan Offenheit und Nicht-Direktivität aus und erlauben das Erfassen detaillierter Informationen.

Während des Gesprächs sollte der Interviewleitfaden als Gedächtnisstütze und Absicherung dienen, sodass einerseits keine relevanten Themenkomplexe vergessen werden und andererseits das Gespräch sich nicht in Themen verliert, die nicht zum Untersuchungsgegenstand gehören. Ein weiterer Vorteil der leitfadengestützten Interviews stellt das Sichern der Vergleichbarkeit der Interviewtexte dar - da allen Befragten die gleichen Fragen gestellt werden und sie sich dementsprechend zum selben Themenfeld äußern. Die durch den Fragebogen geformten Fragen bzw. Themenbereiche, die während der Interviewsitzung erfragt werden, sollten beiden Seiten gerecht werden (Witzel 2000: 4).

Es wird abgewartet bis die Befragten geschildert haben was ihnen zu einem ersten Thema einfällt bevor eine Frage zu einem weiteren Bereich gestellt wird. Bei der Gestaltung des Interviews muss keine bestimmte Reihenfolge der Themen bzw. Fragen eingehalten werden, sondern sie können und sollten der Interviewsituation entsprechend angepasst werden, um das Vertrauensverhältnis zwischen mir als Interviewer und den Befragten zu stärken. Um jedoch das spätere Vergleichen der Daten müheloser bearbeiten zu können, könnte eine gewisse Reihenfolge der Themenfelder durchaus hilfreich sein.

In diesem Sinne „besteht das Ziel der leitfadengestützten Interviews nicht nur darin, Meinungen, Einschätzungen, Alltagstheorien und Stellungsnahmen der befragten Personen abzufragen, sondern Erzählungen auch zu deren persönlichen Erfahrungen hervorzulocken. Gerade wegen dieser Eigenschaft werden sie als narrativ fundiert verstanden“ (Nohl 2006: 16).

Die Erarbeitung des Leitfadens erleichterte die Präzisierung der Fragestellungen und diente mir während der ersten Interviews als Orientierungsrahmen. Es zeigte sich jedoch schnell, dass die Benutzung des Leitfadens die Interviewteilnehmer eher verunsichert und der Vertrauensbasis abträglich ist. Fragestellungen, die dem Einzelfall entsprechend oder zu Beginn der Forschung relevant waren, wurden in folgenden Interviews entsprechend an die voranschreitenden Forschungsphasen angepasst. Nach dem ersten Interview wurde während des Gesprächs gänzlich auf den Leitfaden verzichtet. Dieser wurde erst zum Ende der Konversation zur Vergewisserung, dass keine Themenbereiche vernachlässigt wurden, herangezogen. Überdies erwies sich diese Handhabung als geeignete cool down -Methode während des abebbenden Gesprächsverlaufs.

Inwiefern es sich nun in der Praxis um ein leitfadengestütztes oder problemzentriertes Interview handelte kann auch a posteriori nicht zweifelsfrei differenziert werden. Ich rege indes an die Kategorie des problemzentrierten UND leitfadengestützten Interviews zu etablieren. Die Ausführungen zum investigativen Interview sind für kontextbezogene Forschungsarbeiten zu empfehlen (siehe Abschnitt 4.5).

Die praktischen Hinweise zur Gesprächsdurchführung nach Froschauer und Lueger (2003) fanden während des Aufbau des Gesprächs Beachtung und regten zur „intensiven Reflexion des Untersuchungsgegenstandes“ an (2003: 51). Bspw. wurde im Anschluss an die Interviews ein Gedächtnisprotokoll erstellt, um die Dynamik zwischen dem Kontext des Gesprächs und dem Kommunikationsstil des Befragten interpretieren zu können.

4.8 Kodierung und Kategorisierung

Die Auswertung der Interviews lehnt sich im Rahmen des Kodierungs- und Kategorisierungsverfahrens an die von Glaser und Strauss im Jahre 1967 als Analyseverfahren entwickelte Grounded-Theory (GT) an. Die Grounded-Theory ist „eine konzeptuell verdichtete, methodologisch begründete und in sich konsistente Sammlung von Vorschlägen“ zur gehaltvollen Theoriebildung in der qualitativen Sozialforschung (Strübing 2004: 17) .[23]

„Am Anfang steht nicht eine Theorie, die anschließend bewiesen werden soll. Am Anfang steht vielmehr ein Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozess herausstellen“ (Strauss/ Corbin 1996: 7f.). Der Untersuchungsgegenstand ist die “Migrationsfamilie im Herkunftsland”. Die Wechselbeziehung zwischen Datenerhebung, Auswertung und Analyse erfordert im Kodier-Prozess ständiges Vergleichen (constant comparative method), woraus sich dann theoretische Eigenschaften der Kategorien entwickeln (Strübing 2004). Die Interviews wurden in einem Prozess offenen Kodierens separat untersucht und die Aussagen nach einzelnen sinnverwandten Themen und Segmenten geordnet, denen daraufhin Kodes bzw. Namen zugewiesen wurden. Letztlich wurde entsprechend nach sukzessivem systematischen Vergleichen des Materials und der Kodes eine Dialektik der einzelnen Kategorien herausgearbeitet, dessen Forschungsergebnisse im Weiteren dargestellt werden.

4.9 Empirische Problematik

Methodologisch ist es problematisch, inwiefern die Auswirkungen der Migration auf die left-behinds einer Endogenität des Untersuchungsgegenstands der Migration entsprechen. Die im Folgenden präsentierten Forschungsergebnisse können demnach durchaus von nicht-beobachteten Drittvariablen beeinflusst sein.

Die Interviewpartner, auf deren Aussagen sich wesentliche Forschungsergebnisse stützen, waren überwiegend männlich. Folglich müssen die Wahrnehmungen vor allem in gender -bezogenen Themenbereichen mit Vorsicht betrachtet werden, da es am empirischen Gegengewicht mangelt. Zudem ist die Stichprobe von acht plus drei Interviews keinesfalls repräsentativ.

5 Forschungsergebnisse

5.1 Ein „typischer“ senegalesischer Emigrant

Um verstehen zu können welche Familienteile zurückbleiben muss zunächst geklärt werden, welche Familienteile aus welchen Motiven wohin migrieren und den verbleibenden Teil der Familie zurücklassen. An dieser Stelle soll der Gegenpart zu den left-behinds - ein „typischer“ senegalesischer Emigrant - skizziert werden. “Typisch” meint in diesem Zusammenhang Charakteristika, die eine signifikante Häufung in der Personengruppe der Migranten aufweisen. Zugleich wird im weiteren Verlauf mit Hilfe auf Migrationstheorien bezogener Erläuterungen versucht die Charakteristika eines typischen Emigranten zu erklären. Laut Chort und Senne (2013) sind bspw. die Emigranten zumeist entweder Kinder oder Geschwister vom borom kër. Laut der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) und der United Nations Department of Economic and Social Affairs (UNDESA) beläuft sich die Anzahl senegalesischer Emigranten in den OECD-Mitgliedsstaaten auf 248.000 (OECD/ UNDESA 2013). Die ANSD (2013) spricht von 164.000 Personen. Andere Quellen hingegen suggerieren wesentliche höhere Zahlen von bis zu 2-3 Millionen emigrierten Senegalesen (World Bank/ CRES 2011, Cisse 2010). Dies würde ein Fünftel der Gesamtbevölkerung darstellen. Die World Bank zeigte gemeinsam mit dem CRES (Consortium pour la Recherche Économique et Sociale) in ihrer Remittance -Studie, dass es in mehr als der Hälfte aller senegalesischen Haushalte mindestens einen Migranten gibt (World Bank/ CRES 2011).

5.1.1 Alter

Nach Larry Sjaastad (1962) sind die Kosten und Erträge eines Migrationsprozesses durch Faktoren wie Qualifikationen, (Aus-)Bildung, Sprachkenntnisse, Alter, Zeitpräferenz, Familienbeziehungen und Risikobereitschaft beeinflusst. Generell müssten laut Sjaastad somit jüngere Menschen, aufgrund des längeren Zeitraums für ihre Investitionserträge und der größeren Mobilität, infolge geringerer psychischer Kosten, sowie Besserqualifizierte, aufgrund höherer Erwerbstätigkeitswahrscheinlichkeit, die höchste Bereitschaft zur Migration aufzeigen (Sjaastad 1962: 84). Die mit den Interviewpartnern verbundenen Emigranten waren alle zwischen 7 (IE2) und 44 (IE2) Jahren alt.

Sjaastad’s (1962) Humankapitalansatz entsprechend, handelt es sich im Senegal überwiegend um Emigranten der Altersgruppe zwischen 20 und 34 Jahren (Abbildung 2), wie sich ebenfalls in den Interviews zeigte. Zeitgleich darf nicht über den Umstand hinweggesehen werden, dass über 60% der senegalesischen Population zwischen 0 und 24 Jahren alt ist. Das Medianalter liegt bei 18,4 Jahren (CIA-Factbook 2015), welches im Umkehrschluss bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Emigrant jung ist als hoch zu bewerten ist.

Für junge Senegalesen sind besonders die fehlenden Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt, bedingt unter anderem durch das große Bevölkerungswachstum und eine unzureichend wachsende Wirtschaft, ein Migrationsmotiv (IE1). Die Jugendarbeitslosenquote liegt im Senegal bei 14,8%. Das Alter ist im senegalesischen Kontext somit ein wesentlicher Faktor des Migrationsprozesses. In Familien mit mehreren Kindern begeht häufig der älteste Sohn die Wanderung, wie bei Musatafa (I6) und Mbotch (I7) festzustellen war.

Die signifikante Häufung der Emigrationsbewegung der Altersgruppe 85+ ist bemerkenswert. Während sich in der Gruppe der 80-84 Jährigen lediglich 78 Personen befinden, summiert sich die Anzahl der betagten Emigranten in der angesprochenen Kategorie auf 9698.

Abbildung 1: Alters- und Geschlechtsverteilung der Emigranten, 2013

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: ANSD (2013)

5.1.2 Geschlecht

Laut der International Labour Organization (ILO) sind 50,4% der Migranten weltweit männlich, d.h. im Umkehrschluss sind 49,6% weiblich (ILO 2005: 118). In Asien und Afrika lagen die Werte für die Migration von Frauen weit unter diesem Wert. Im Senegal sind 82,9% der Emigranten männlich (Abbildung 2, CIA-Factbook 2015). Obwohl weibliche Migrationsbewegungen in den letzten Jahren einen hohen Zuwachs zu verzeichnen haben, ist die Migrationsrate der senegalesischen Männer immer noch wesentlich höher. In den Interviews spiegelte sich diese ungleiche Verteilung ebenfalls wider (85,4%/14,6%).

Die häufige Migration der Männer hat dazu geführt, dass auf 100 Frauen nur noch 95,7 Männer kommen. In manchen Dörfern der Region Louga soll es keine Männer mehr geben (IE 2). Auf dem afrikanischen Kontinent könnte dies dadurch bedingt sein, dass die Migration traditionell von weiten Distanzen und einer längeren Abwesenheit gekennzeichnet und somit überwiegend Männern vorbehalten war (Adepoju 2004). Dies könnte mit der Reproduktionsfunktion der Frau und ihrer damit verbundenen Bedeutsamkeit für den Erhalt der Gruppe im Zusammenhang stehen.

Bspw. hat der Faktor Heirat so gut wie keinen Einfluss auf die männliche Migration, wohingegen die Migrationshäufigkeit mit dem Status der Ehe bei Frauen korreliert. Verheiratete Frauen migrieren wesentlich seltener als ledige Frauen (Biao 2007: 182).

Im Experteninterview (IE1) wurde auf die „Verwundbarkeit“ der emigrierenden Frau hingewiesen. Bspw. seien Frauen in Ermangelung „herkömmlicher“ Erwerbsarbeit stärker als Männer gefährdet, in das Milieu der Prostitution abzugleiten. Vor allem Frauen, die irregulär eingereist sind, unterliegen einem erhöhten Risiko der Prostitution.

5.1.3 Familienstand

Laut dem UNICEF (2015) sind 32,9% aller Senegalesen spätestens mit der Vollendung des 18. Lebensjahres verheiratet.[24] In der Studie von Kraus (2014) werden die Profile von 914 senegalesischen Emigranten untersucht, die nach Frankreich, Italien oder Spanien ausgewandert sind. Der Familienstand wird wie folgt determiniert:

- 48.4% sind Singles und kinderlos;
- 16.1% sind in einer Beziehung (union);
- 20.8% sind in einer Beziehung und haben 1 Kind;
- 14.7% sind in einer Beziehung und haben ≥ 2 Kinder.

Für weibliche Migranten gilt:

- 34% sind Singles;
- 49.4% sind in einer Beziehung und haben 1 Kind;
- 16.6% sind in einer Beziehung und haben ≥ 2 Kinder.

Aus den Interviewgesprächen ging hervor, dass die Mehrzahl der Emigranten single war (I2, I4, I5, I6, I8) – 62%. Verheiratet waren Emigranten in den Fällen (I1, I3), obwohl Eliane (I3) sich später scheiden ließ– 38%. Zum Zeitpunkt der Migration hatten die Migranten der Interviewpartner (I1, I2, I3, I5, I8) Kinder.

5.1.4 Gründe für die Migration – das Push-/Pull-Modell

Das Push-/Pull- Modell gilt als ein geläufiges Modell, um die Kausalität von Migrationsbewegungen zu analysieren. Im Kern geht es darum, dass in der An- und Herkunftsregion jeweils anziehende bzw. aufhaltende Pull- (Sogfaktoren) und zugleich abstoßende bzw. haltende Push- Faktoren (Druckfaktoren) und vice versa existieren, die sich positiv, negativ oder neutral auf die Migrationsentscheidung auswirken (Lee 1966, Lowry 1966).

5.1.4.1 Arbeitslosigkeit als Push-Faktor

Die abstoßenden Push- Faktoren haben die in der Heimat „unbefriedigend empfundene Situation“ als Grundlage (Han 2010: 10). Im Senegal ist der treibende Faktor der unbefriedigenden Situation schnell gefunden - der Arbeitsmarkt, wie in allen Interviews explizit herausgestellt wurde (Tabelle 2). In der Erhebung des ANSD (2014) geben 73% der Befragten an, dass die Arbeit der Hauptgrund für die Emigration sei (ANSD 2014: 249). Im Bericht von Gerdes (2007) findet sich die allgemeine Kategorie Arbeit (67,9%) detaillierter aufgeschlüsselt. Dort wird der Arbeitsmangel im Senegal mit 31,7% angegeben.

Tabelle 2: Gründe für die Emigration

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Arbeitsangebot im Ausland gilt für 29% als Pull -Faktor.[25] Mbotch (I7) beschreibt die Migration als „la seule solution pour atteindre la richesse. Le faible revenu et le coût élevé de la vie ici au Sénégal font qu'il est nécessaire de quitter le pays si vous ne voulez pas vivre éternellement de la main à la bouche". (Migration ist die einzige Lösung zu Reichtum zu gelangen. Die niedrigen Einkommen und die hohen Lebenshaltungskosten hier im Senegal machen es notwendig das Land zu verlassen, wenn du nicht ewig von der Hand in den Mund leben möchtest)

Ohne die Ursachen des Arbeitsmangels detaillierter untersuchen zu wollen, sind einzelne Gründe doch naheliegend. So hat sich die Bevölkerung zwischen 1976 und 2015 mehr als verdoppelt – von rund fünf Millionen Einwohnern im Jahr 1976 auf rund 13 Millionen im Jahr 2015. Allerdings hält das Wirtschaftswachstum mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt, sodass sich die große Mehrheit der Senegalesenökonomisch schwierigen Lebensbedingungen entgegensieht (Gerdes 2007). Die Wirtschaftskraft pro Kopf sank zwischen 1960 und 2015 deutlich. Zudem liegt die offizielle Arbeitslosenquote im Senegal mit 48 Prozent unverändert hoch.[26]

Immanuel Wallerstein (1980) interpretiert die Migrationsströme als Funktionserfordernis des Wachstums und Wandels des kapitalistischen Weltsystems. Damit einhergehend verweist der sogenannte Weltsystemansatz darauf, dass die kapitalistisch-industrielle Wirtschaftsweise in weniger industriell geprägten Wirtschaftsräumen die Menschen aus subsistenzwirtschaftlichen Produktionszweigen herausgedrängt und so zunächst Migration in die Städte und dann in die wohlhabenderen Länder als billige und flexible Arbeitskräfte massiv unterstützt (Sassen 1991, Parnreiter 1999).

Dem Weltsystem-Ansatz folgend tragen vor allem Armut, Arbeitslosigkeit und die Agrarkrise in hohem Maße zur Emigration im Raum Louga bei.

Aspekte wie politische Sicherheit oder religiöse Freiheit spielen in der Migrationsentscheidung kaum eine Rolle, da der laizistische Staat Senegal eines der politisch stabilen, demokratischen und rechtsstaatlichen Länder Afrikas ist,[27] und zudem als „Musterland des interreligiösen Dialogs“ gilt, in dem die Religionen harmonisch zusammenleben (Zandt 2011: 40).[28] Dementsprechend sind die stärksten Pull- Faktoren vor allem der Wunsch nach Arbeit und sozialem Aufstieg (Gehrold/ Bunk 2011: 40, CIA-Factbook 2015, Khalifa IE1).

5.1.4.2 Relative Deprivation als Pull-Faktor

In der Theorie der „New Economy“ ist das von Khalifa (IE1) beschriebene Phänomen des Wunsches nach sozialem Aufstieg als relative Deprivation bekannt. Relative Deprivation beschreibt das Gefühl einer Benachteiligung im Verhältnis zur sozialen Referenzgruppe, welches die Migrationsbereitschaft erhöht. Die internationale Arbeitsmigration erlaubt es den Migranten aufgrund ihres verbesserten Einkommensniveaus bei Aufrechterhaltung der Referenz ihrer Herkunftsregion, ihren sozialen Status nach Rückkehr in die Heimat aufzuwerten. Sall et. al. (2010: 24) beschreiben das Streben nach sozialem Aufstieg als stärkste Triebkraft für Migrationsbewegungen: „ the quest for “success” and to be seen to succeed in the eyes of relatives and society is the primary motivation.“

Saliou (IE3) formulierte gar eine Überschätzung des potentiellen Erfolgs in Europa: „Beaucoup de Sénégalais pensent que tous les Européens sont millionnaires; et si on y arrive après quelques années de travail en tant qu'Africains, on s’en sort comme un homme riche.“ (Viele Senegalesen denken, dass alle Europäer Millionäre sind; und wenn man dort als Afrikaner ein paar Jahre arbeitet, kehrt man auch als reicher Mann zurück)

Eine bekannte Weisheit der Wolof ist, dass „ tukki, tekki, tedd, terale “ sicheren Erfol g bedeuten würden (Reisen, Bestehen, Schlafen, Gastfreundschaft). Dieses Sprichwort spiegelt sich in einer hohen Rückkehr-Intentions-Quote wider. Laut dem International Training Programm for Conflict Management (ITPCM) wollen 60% der senegalesischen Emigranten wieder in den Senegal zurückkehren (ITCPM 2014).

Lee (1966) merkt jedoch an, dass die persönlichen Faktoren, wie Alter, Familienstand, Netzwerke oder berufliche Qualifikationen, die individuelle Wahrnehmung der Push- und Pull- Faktoren, und somit die Migrationsentscheidung, entscheidend beeinflussen. Dem Hauptargument des Lohndifferenzmodells[29] folgend, müsste das Migrationsaufkommen in Ländern bzw. sozialen Schichten mit extrem niedrigen Einkommensniveaus besonders hoch sein. De facto gehört die Mehrzahl der senegalesischen Migranten jedoch der Mittelschicht an (Pries 2013: 14, IE1). Die hohe Rückkehr-Intension der Emigranten und die Zugehörigkeit zur sozio-ökonomischen Mittelschicht verstärkt die Wahrnehmung, dass die relative Deprivation eine entscheidende Einflussgröße der senegalesischen Emigration darstellt.

5.1.5 Bildung

Ein weiterer Grund für die hohe Emigrationsrate der Männer könnte im Bildungsbereich zu finden sein. Die Alphabetisierungsrate der Frauen im Senegal liegt bei 46,6%. Die Alphabetisierungsrate der senegalesischen Männer liegt hingegen bei 69,7% (CIA-Factbook, 2015). Unstrittig ist, dass bessere Ausbildungsbedingungen weitere Wanderungsmotive im Sinne der Pull- Faktoren darstellen (Han 2010: 13). In ihrer Studie zu senegalesischen Emigranten in Frankreich, Italien und Mauretanien kommen Chort und Senne (2013) zu dem Ergebnis, dass die Emigranten in Frankreich und Italien weitaus höhere Bildungsabschlüsse besitzen als ihre left-behind Familienangehörigen. In Mauretanien stellten sie keine größeren Differenzen zu ihren Counterparts im Senegal fest. In meiner Erhebung besaßen lediglich die Emigranten der Interviews (I7, I8) einen Hochschulabschluss. Die Kinder von Amacoudo (I2), die sich derzeit in Frankreich aufhalten, streben einen Hochschulabschluss an.

Zudem scheinen die Emigranten in Frankreich, Italien und in Mauretanien insgesamt eine höhere islamische Bildung zu besitzen (Chort/ Senne 2013: 4). In den geführten Interviews (I4, I7, I8) zeigte sich ebenfalls eine starke islamische Religiosität.

In seinen Ausführungen zum Humankapitalansatz beschreibt Sjaastad (1962) die Migration als ein „[…] investment increasing the productivity of human resources, an investment which has costs and which also renders returns“ (1962: 83). Als Humankapital eines Individuums wird das immaterielle Kapital, entstanden aus Investitionen in Form von Erziehung und Bildung, betrachtet, das dem Individuum einen finanziellen Zugewinn im fortgeschrittenen Alter verschafft. Empirisch betrachtet geben 12,2% der senegalesischen Emigranten als Gründe für die Migration den Faktor Bildung an, welches zweifelsohne als Wille zur Investition ins Humankapital zu interpretieren ist. Im Senegal gibt es lediglich sieben Universitäten. Das bedeutet, dass für die Hochschulbildung ohnehin in den meisten Fällen erstmals migriert werden muss – vornehmlich nach Dakar. Vor allem die Université Cheikh Anta Diop besitzt nicht nur im Senegal eine hervorragende Reputation, sondern gehört zu den renommiertesten Bildungsinstituten des afrikanischen Kontinents. Nichtsdestotrotz streben durch das hohe Bevölkerungswachstum bedingt viele Heranwachsende gleichzeitig auf den umkämpften Arbeitsmarkt, sodass eine Abgrenzung zu anderen Studenten durch ein Studium im Ausland im Lebenslauf stets als positiv bewertet wird und sich zugleich Möglichkeiten der Synergieeffekte eines Studiums im Ausland auftun.

Die OECD bezifferte die Anzahl senegalesischer Emigranten in OECD-Ländern 2010/2011 auf 248.000 Personen, von denen ein Fünftel einen Hochschulabschluss besitzt (OECD/ UNDESA 2013).

Nach Abwägenökonomischer Vor- und Nachteile entscheidet sich generell die Mehrheit erfolgreicher Studienabsolventen für die Emigration – ein gesamt-gesellschaftliches Phänomen, das als Brain Drain bezeichnet wird. Länder mit einem hohen Brain Drain können in ihrem Entwicklungsprozess massiv zurückgeworfen und vor immense Herausforderungen gestellt werden (Han 2010: 29ff.)[30]. Die Emigrationsrate der highly educated liegt im Senegal gesamt bei 14% (OECD/ UNDESA 2013). Damit liegt das Land zwar noch weit von Ländern wie Simbabwe (43,6%), Jamaika (73,9%) oder Guyana (92,7%) entfernt, dennoch ist diese Zahl als besorgniserregend einzustufen. Vor allem im Gesundheitssektor sind die Abwanderungen von 51,4 % der im Land ausgebildeten Ärzte bzw. 26,9% des Pflegepersonals bedrohlich (Clemens/Pettersson 2006 zit. nach Ratha/Zhimei Xu 2007).

5.1.6 Zielland

Dem Hauptargument der Anhänger der neoklassischen Migrationstheorie zufolge müsste das Migrationsaufkommen in Ländern bzw. sozialen Schichten mit einem extrem niedrigen Einkommensniveau besonders hoch sein. Die Theorie geht dabei von einer symmetrischen Informationsverteilung über die Lohnhöhe in bestimmten Produktionssektoren aus. Dennoch stellt eine bloße Lohndisparität zwischen Herkunfts- und Ankunftsregion noch keinen ausreichenden Erklärungsansatz für die Migrationsentscheidung dar (Pries 2013:16). Ferner gibt es Faktoren, die lediglich partiell oder nur in bestimmten Ländern wirksam sind. Als Beispiel zu nennen ist eine selektive Migrationspolitik, welche die Migration einzelner Personenkategorien, wie bestimmten ethnischen Gruppen oder speziellen Berufsgruppen, in bestimmte Länder vereinfacht; in andere Länder jedoch erschwert (Oswald 2007: 72). Die systemisch-strukturell orientierte Migrationsforschung der 1980er Jahre führt die Migrationsentscheidung nicht nur auf eine individuelle rationale Abwägung der Push- und Pull- Faktoren zurück, sondern auf „[...] das Ergebnis der Interaktion aller miteinander verbundenen Faktoren der Sende- und Empfangsländer im Migrationssystem, das durch die engen historischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen (linkages) zwischen zwei oder mehreren territorial getrennten Gesellschaften gebildet wird“ (Han 2010: 14).

5.1.6.1 Historische Linkages

Laut Pries beruhen die Migrationsrouten maßgeblich auf historisch gewachsenen politischen Beziehungen (Pries 2013: 14). Demgemäßstellt Frankreich als einstige Kolonialmacht im Senegal (1848-1960) auf Grund der historischen Beziehungen das bedeutendste Migrationsland für die Senegalesen dar (siehe Tabelle 3). Die historischen Beziehungen reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück als die Senegalesen in der Umgebung der großen Flussmündungen des Senegal- und Gambia-Flusses wertvolle Handelspartner im transatlantischen Sklavenhandel darstellten.[31] Die ersten dokumentierten internationalen Migrationsbewegungen gehen auf die Soninke und die Tukolor (Halpulaar) im Gebiet des Senegal-Flusses entlang der Grenzen zu Mauretanien und Mali zurück. Die Migration war eine Strategie, derökonomischen Isolation dieser Umgebung zu entkommen (Tall/ Tandian 2011).

Tabelle 3: Aufenthaltsland der senegalesischen Emigranten, 2013.[32]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[33]

Quelle: ANSD (2013).

Während des ersten und zweiten Weltkriegs wurden senegalesische Soldaten (tirailleurs sénégalais) im französischen Militär eingesetzt. Der wirtschaftliche Aufschwung in den 1950er Jahren führte zur verstärkten Arbeitsmigration aus den französischen Kolonien nach Frankreich. Bis 1974 existierten bilaterale Abkommen, wie bspw. die Convention d’établissement, die es Senegalesen erlaubten, ohne Visum einzureisen und ohne Arbeitsgenehmigung einer Beschäftigung nachzugehen (Beauchemin et. al. 2012).

Frankreich führte 1985 die Visumspflicht für Senegalesen ein, wodurch andere Länder, wie bspw. Italien, zunehmend als Migrationsziele an Bedeutung gewannen.[34]

Einerseits existieren die unterschiedlichen Formen von Beziehungen der Migranten zu ihrem Herkunftsland historisch betrachtet schon lange. Andererseits haben die heutigen Beziehungen gänzlich andere Voraussetzungen und eine neue Intensität bedingt durch die rapide Entwicklung der Transport- und Kommunikationstechnologie erlangt.

5.1.6.2 Wirtschaftliche Linkages

Harmut Esser (1980) geht in seinem Aufsatz der Wanderungssoziologie davon aus, dass ein individueller Akteur unter mehreren Handlungsalternativen jene auswählt, durch welche er den größten Nutzen realisieren kann. Entsprechend des erwartetenökonomischen, sozialen und psychischen Nutzens wird sich der Akteur nach rationalen Abwägungen für die Handlungsoption mit der für ihn individuell besten Nutzen-Kosten-Relation entscheiden (Borjas 1987).

In der individualistischen Wert-Erwartungstheorie wird die Migration in reguläre und irreguläre Wanderungen unterschieden. Es wird argumentiert, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ausweisung und die damit verbundenen Kosten in Nutzen-Kosten-Rechnung einkalkuliert werden müssen (Chies 1994: 34).[35] Zudem muss in Betracht gezogen werden, dass die Kosten der Emigration in verschiedene Länder unterschiedlich hoch sind, bspw. sind die Kosten, in europäische Länder zu emigrieren, höher, als in unmittelbare Nachbarländer. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien sowie das breite Angebot an Transportmöglichkeiten gestalten das Emigrieren heutzutage einfacher und preisgünstiger als in der Vergangenheit (Han 2010: 14).

Eine Inkongruenz zwischen dem Humankapital des Migranten und denökonomischen Rahmenbedingungen im Zielland ist ein weiterer Faktor. Potentielle Migranten mit einem höheren Qualifikationsniveau orientieren sich bspw. in geringerem Maße in Richtung von Niedriglohnländern. (Massey 1993: 456). Nauck (1988) hingegen hält den Rational Choice -Ansatz für ein mit Analyse-variablen überfrachtetes und daher weitgehend unbrauchbares Modell von Nutzenarten, Gewichtung, Eintrittswahrscheinlichkeiten und Kalkulationen. Grenzen dieses Modells sieht er zudem in der Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeiten und der individuellen relativen Gewichtung der sozialen,ökonomischen und psychischen „Nutzenarten“.

Mustafa (I6) erläuterte seine Wahl der Tätigkeit als Verkäufer folgendermaßen: „En Europe, tout fonctionne avec des machines inédites ou avec des ordinateurs. Ce sont des appareils que nous les Africains ne maîtrisons pas. Qu’est-ce qui nous reste alors? On achète et on revend. “ (In Europa funktioniert alles mit neuartigen Maschinen oder Computern. Das haben wir Afrikaner nicht gelernt zu bedienen. Was bleibt also übrig? Kaufen und verkaufen) Hierzu passt die Segmentationstheorie von Piore (1979), die besagt, dass in hochindustrialisierten Ländern die Mobilität von Arbeitskräften durch die Abschottung bestimmter Arbeitsmarktsegmente eingeschränkt wird. Unterschiede in primären und sekundären bzw. formellen und informellen Arbeitsmarktstrukturen führen deshalb nicht zwangsläufig zu einem Arbeitsmarktgleichgewicht, wie in der neoklassischen Migrationstheorie behauptet (Pries 1997).

Maßgeblichen Einfluss könnten auch die weiteren zentralen Hypothesen des Push-/Pull- Modells haben. Die (1) Job-Vacancy-, die (2) Income-Differential- und die (3) Migrant-Stock- bzw. Peterson-Greenwood- Hypothese besagen zusammengefasst, „dass die Tendenz zur Migration umso stärker sein wird, desto (1) mehr offene Stellen an einem Zielort im Vergleich zum Herkunftsort existieren, (2) je größer die Einkommensdifferenz ist und (3) je mehr Migranten bereits an diesen Zielort gewandert sind“ (Haug 2000: 23).

Bis auf Malik (I8), der sich zur Anfertigung seiner Doktorarbeit in Deutschland (München) aufhielt, gaben alle Interviewten bzw. ihr emigriertes Familienmitglied an, die Emigration wegen der unzureichenden wirtschaftlichen Möglichkeiten im Senegal durchgeführt zu haben. Die Punkte (1) und (2) wurden argumentativ von den Interviewpartnern immer miteinander verwoben und allgemein vom Europe florissante (ökonomisch florierenden Europa) gesprochen. Die Attraktivität Frankreichs als Zielland nahm in der Wahrnehmung der Interviewpartner eine nachgeordnete Stellung mit der Begründung einer hohen Arbeitslosigkeitsrate ein.[36] Auf die sogenannte Kettenmigration (3) wird im nächsten Kapitel eingegangen.

5.1.6.3 Soziale Linkages

Unter der sogenannten Kettenmigration wird eine Form der Migration verstanden, in welcher Pioniermigranten ihren Bekannten oder Familienangehörigen aus dem Primärgruppenkreis des Herkunftslandes nachfolgende Migrationsbewegungen ermöglichen (Han 2007).

„Chain migration can be defined as that movement in which prospective migrants learn of opportunities, are provided with transportation, and have initial accommodation and employment arranged by means of primary social relationships with previous migrants“ (Mac Donald 1974: 227).

Chaney (1985) und Grasmuck/ Pessar (1991) stellen fest, dass die Migrationsprozesse überwiegend von gefestigten Netzwerken und Kreisläufen beeinflusst werden. Migranten sind sowohl in der Ankunfts- als auch der Herkunftsregion in ein engmaschiges Netz sozialer Interaktionspartner eingebunden. Aus der Verknüpfung dieser Netzwerke ergeben sich langfristig fortwirkende Migrationsstrukturen, die für die Verbreitung von Informationen und den Transport von Personen und Gütern sorgen. Das Gefahrenrisiko, bspw. durch Schlepperbanden, wird vermindert. Hierdurch sinken die Kosten und Risiken im Migrationsprozess und der zu erwartende Nutzen wird besser kalkulierbarer. Die Etablierung von Migrationsrouten wird zusätzlich durch verminderte Kommunikations- und Transportkosten auf den bereits etablierten Routen begünstigt (Fawcett 1989).

Die Eingliederungskosten für Pionieremigranten sind besonders hoch, denn die Erstemigration erfordert bspw. den Aufbau neuer sozialer Bindungen, sowie das Erlernen einer neuen Sprache, ohne deren Beherrschung die Kontaktaufnahme umso schwieriger ist. Dies gilt insbesondere für Pionieremigranten mit geringen formalen Bildungsabschlüssen. Die durchschnittliche Aufenthaltslänge senegalesischer Emigranten beträgt in Frankreich und Italien 12 Jahre, in Mauretanien hingegen 6 Jahre (Chort/ Senne 2013). Esser (1980) analysiert die Gesamtheit der Beziehungen der Immigranten zum System der Aufnahmegesellschaft, neben den Teilaspekten der Assimilation und Integration, unter dem Aspekt der Akkulturation. Assimilation meint hierbei die allmähliche Aufgabe der Herkunftskultur unter dem Eindruck der neuen Kultur (Oswald 2007: 93). Unter Akkulturation versteht er „den Prozess der Angleichung, in dessen Verlauf Personen oder Gruppen von Personen im Aufnahmeland kulturelle Orientierungsmuster, Verhaltensweisen und Eigenschaften übernehmen“ (Esser 1980: 20). Dieser Prozess ist weder unumgänglich, noch in seinem Verlauf oder Ergebnis unumkehrbar, d.h. eine partielle Anpassung ist möglich. Tatsächlich kommt es im Regelfall weder zu einer Assimilation noch zu einer Akkulturation der Migranten. Im Abschnitt 4.4 (Senegalesische Familien als transnationale Familien?) werden die Gründe hierfür erläutert.

Durch die Kettenmigration können diese Eingliederungskosten vor allem in der ersten Zeit massiv gesenkt werden. Wie bereits erwähnt, wurde bei den Interviews I4, I7, I8 eine starke Religiosität festgestellt. In den Experteninterviews (IE1, IE2) wurde auf den Einfluss der Bruderschaften verwiesen: Jene gewinnen durch ihre Interkonnektivität für emigrationswillige junge Menschen zusätzlich an Attraktivität.

Massey und Durand (1992) zeigen auf, dass Migrationsprozesse neben der zeitlich-räumlichen Strukturierung im Rahmen der Kettenmigration wirtschaftssektoralen und berufsspezifizierten Einflüssen unterliegen. Die sogenannten branch communities beeinflussen nicht nur häufig die Zielregion des Migranten, sondern auch dessen berufliches Tätigkeitsfeld im Ankunftsland. So hat sich die senegalesische Emigration in die USA überwiegend durch Geschäftsreisen von senegalesischen Händlern entwickelt, deren Geschäftsmodell in der Einfuhr elektronischer Geräte in den Senegal und dem Export diverser afrikanischer Waren bestand. Insbesondere in New York hat sich so eine große senegalesische Gemeinschaft herausgebildet (Gerdes 2007). Der Vater von Fatoumata (I1) begann seine Emigration in die USA in der Metropole New York und wurde von der dortigen Diaspora gut integriert. Kontakte zu Angehörigen der senegalesisch-amerikanischen Diaspora wurden bereits in Burkina Faso hergestellt.

5.1.6.4 Kulturelle Linkages

Trotz der größeren Entfernung sind die Süd-Nord Migrationsraten von Subsahara-Afrika nach Europa signifikant niedriger als die vom mediterranen Nordafrika nach Südeuropa (Faist et al. 1997: 7). Pries (2013) vertritt die Auffassung, dass der Migrationsprozess zwar überwiegend auf das Handeln individueller und kollektiver Akteure zurückzuführen ist, jedoch strukturelle Zusammenhänge im Sinne von objektiven Tatsachen nicht zu leugnen seien. Dementsprechend ist die lingua franca des Ziellands ein wesentlicher Faktor.

Gibson (2011) weist ebenso darauf hin, dass es unabdingbar ist, die Migrationsentscheidung im Zusammenhang mit den gegebenen politischen Migrationsbestimmungen des Ziellandes zu betrachten: „ Since almost all migrant-destination countries impose age and relationship rules blocking certain family members from accompanying migrants, there may be millions of migrant-sending households in the developing world whose remaining members become worse off“ (Gibson et. al. 2011).

Im Zuge des Martelli-Gesetzes in den 1990er Jahren entwickelt sich Italien zum wichtigsten europäischen Emigrationsland für die Senegalesen. Die Emigranten in Italien wurden vorwiegend im Norden des Landes in den Bereichen des Tourismus oder der Industrie beschäftigt (Gerdes 2007: 3).

Mittlerweile hat die EU die Frage der politischen Migrationsbestimmungen im Rahmen einer gemeinsamen Einwanderungs-, Asyl- und Flüchtlingspolitik im Schengenraum in den Artikeln 77-80 AEUV geklärt. Interessant waren Badaras (IE2) Ausführungen zu den politischen Migrationsbestimmungen. Er sagte, dass Frankreich aufgrund der vorherrschenden Xenophobie mittlerweile bei den senegalesischen Migranten weniger beliebt sei, während sowohl Italien als auch Deutschland aufgrund ihres toleranten Umgangs attraktiver auf senegalesische Emigranten wirken würden. Babacar (I3), Mbotch (I7) und Malik (I8), die nach Italien bzw. Deutschland emigrierten, sprachen einstimmig von positiven interkulturellen Erfahrungen. Mustafa (I6) wurde häufig Opfer rassistischer Attacken, weshalb er während seiner Emigrationsphase von Bordeaux ins Tor zum Mittelmeer nach Marseille umzog. In Marseille konnte er sich auf ein größeres Netzwerk an senegalesischen Migranten stützen. Er sprach von einem convivialité paisable. (friedliches Miteinander)

Wie beschrieben basiert die Migrationsbewegung zumeist auf bestehenden Kontakten im Ausland im Sinne einer Kettenmigration. Durch die Entstehung einer senegalesischen Diaspora findet ein kultureller Austausch mit dem Ankunftsland eher selten statt.[37]. Mbotch (I7) formulierte es wie folgt: „Nous vivons avec d’autres sénégalais. Nous dormons, mangeons et faisons la cuisine ensemble. Franchement c’est un peu triste, mais la journée existe justement pour travailler, manger et dormir. C’est ca. “ (Wir leben mit anderen Senegalesen zusammen. Wir schlafen, essen und kochen zusammen. Eigentlich ist es ein bisschen armselig, aber der Tag besteht nur aus arbeiten, essen und schlafen. Das war’s)

5.2 Senegalesische Migrationsfamilien als transnationale Familien?

Glick-Schiller, Basch und Blanc-Szanton (1992) formulieren in ihrem Werk „ Towards a Transnational Perspective on Migration: Race, Class, Ethnicity and Nationalism reconsidered“ die Idee, dass Migranten in einem exterritorialisierten Raum leben – einem transnationalen sozialen Raum, der das Produkt aus identitätsbildender und sozial-struktureller Elemente des Herkunfts- und Heimatlandes ist und somit Neuschöpfung und Tradition verbindet. Pries (2001: 16) versteht diesen Raum als „set of relations between the positions of socially important elements that structure human activities and, at the same time, are structured by human activities.“ [38] Folglich sind soziale Beziehungen nicht an eine determinierte Räumlichkeit gebunden, die den Raum mit Praktiken und Symbolen füllen. Nach Basch (1997) entstehen exterritorialisierte Nationalstaaten dort, wo Menschen außerhalb des Heimatlandes leben und dennoch starke soziale, politische,ökonomische und kulturelle Beziehungen zu selbigem aufrechterhalten. Dementsprechend kontrastiert die Theorie des Transnationalismus mit der Vorstellung einer Einbettung sozialer Praktiken an einen geographisch begrenzten Raum, die sogenannte Container -Vorstellung.

Das Konzept des pluri-lokalen Raumes wird auf die transstaatlichen Beziehungen von Haushalten und Familien angewendet. Die gemeinsamen Wert- und Normvorstellungen bilden die Grundlage des Zusammengehörigkeitsgefühls, sodass auch transnationale Kleingruppen das Bewusstsein einer gemeinsamen Häuslichkeit innehalten (Faist 2000: 20). Faist beschreibt die transnationalen Kleingruppen als relativ kurzlebig und nicht generationenübergreifend, da sich die Familien langfristig wieder an einem geographischen Ort vereinen werden – in der Ankunfts- oder Herkunftsregion, oder an einem gänzlich anderen Ort (Faist 2000: 20f.). Senegalesen leben in einem Kontext starker sozialer und kultureller Kohäsion und haben ein inniges Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrem Heimatland (Ceschi 2001; Riccio 2002 zit. nach ITPCM 2014). In den Erhebungen von Chort/ Senne (2013) gaben 60% der Migranten an, dass sie wieder in den Senegal und zwar zumeist in ihren Herkunftshaushalt zurückkehren wollen. Die hohe Rückkehr-Intention wurde sowohl von allen Interviewpartnern als auch von allen Experten bekräftigt. Zweifel und Unsicherheit über eine Rückkehr des Familienmitglieds machten sich jedoch bei Fatoumata (I1) bemerkbar, deren Vater seit 6 Jahren in den USA arbeitet. Der Vater erklärte kurz vor der Durchführung des Interviews, dass er an Weihnachten für einen Familienbesuch kurzzeitig zurückkehren wolle.

Für transnationale Familien wie bei Fatoumata (I1) ist soziale Nähe nicht notwendigerweise an geographische Nähe gebunden (Simmel 1983: Teil IX). Neben dem Transferökonomischen Kapitals sind vor allem soziale und symbolische Bindungen als gebundene Transaktionen zwischen Personen und Kollektiven wichtig. Bourdieu verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der sozialen Remittances und meint den Transfer sozialen Kapitals, symbolischer und kultureller Praktiken (Bourdieu 1985).

Trotz der verbesserten Kommunikations- und Transportmöglichkeiten kann auf Grund der geographischen Ferne neben dem Verlust von lokal gebundenen Ressourcen, deren Wert auf bestimmte soziale Räume wie Gemeinden und Regionen beschränkt ist, allmählich ein Prozess des Aufweichens sozialer Bindungen einhergehen.

Soziale Bindungen beinhalten gemeinsame Verpflichtungen, Erwartungen und Normen. Gemeinsame Bedeutungszuschreibungen, Erinnerungen und Zukunfts-erwartungen sind Bestandteil der symbolischen Bindungen zwischen den Bekannten, aber auch darüberhinausgehend, sofern sie an Mitglieder derselben Sprache, Nationalität, Glauben oder Ethnizität gerichtet sind (Faist 2006: 8). Durch enge transnationale Beziehungen oder transstaatliche Gemeinschaften wie Exilgemeinschaften, könnte dementsprechend eine partielle Transnationalisierung von primär lokalen Bindungen, Ressourcen und Deutungen erfolgen und so zu einer Festigung der sozialen Bindungen beitragen.

Soziales Kapital als Ressource, welche die Kooperation in Netzwerken, Gruppen, Organisationen oder Exilgemeinschaften fördert, umfasst Mechanismen der Vernetzung, die der Kommunikation innerhalb des transnationalen Familien-bundes zuträglich sind (Bourdieu 1983 zitiert nach Faist 2006: 13). So findet ein Austausch von immateriellen Gütern, wie Wissen oder sozialen Kontakten, und materiellen Ressourcen, wie Lebensmittel oder Geld statt. Die sozialen und symbolischen Bindungen implizieren gleichsam eine Atmosphäre spezifischer Reziprozität[39] und Solidarität (Sow 2011: 18). Remittances stellen somit eine wichtige Säule in den Reziprozitätsbeziehungen als Teil einer Strategie zur diversifizierten Einkommensgenerierung und Teil einer inter-generationellen Vereinbarung dar (Faist 2000: 20f.).

Transaktionen, die auf den Mechanismen von Reziprozität und Solidarität beruhen, können allerdings sowohl erwünschte und als auch unerwünschte Folgen haben. In dem Maße wie sie die Kooperation zu erhöhen vermögen, so können sie auch die individuelle Freiheit von Personen auf unterschiedliche Weise einschränken. Demgemäßkann Reziprozität zu erzwungener Migration führen.

Pries (2013) zufolge emigrieren die transnationalen sozialen Räume mit den Transmigranten zusammen. Nach dem Ablösen der nomadischen durch die sesshafte Lebensweise zeigt sich eine re-neolithische Entwicklung ab, in welcher nomadische Strukturen wieder aufgebaut werden und Sesshaftigkeit zwar an Bedeutung einbüßt, jedoch die Nationalstaaten im transnationalen Kontext an großer Bedeutung zulegen. Hahn und Klute (2004, 2007) bezeichnen afrikanische Gesellschaften sogar per se als sogenannte Cultures of Migration: Looking at the high degree of mobility in many parts of Africa, it has been argued, we should consider mobility, and not sedentary ways of life, as African “normality” (Hahn/ Klute 2004, Bilger/ Kraler 2005: 10 zit. nach Hahn/ Klute 2007: 11).

5.3 Die Rolle der senegalesischen Familie innerhalb des Migrationsprozesses

Eine der wichtigsten Fragestellungen dieser Arbeit ist, wer die Entscheidung zur Migration letztlich zu verantworten hat - d.h. ob es der Migrant selbst ist oder ob der Entscheidungsprozess eher der Perspektive der „New Economics of Labour Migration“ entspricht, dass die Emigrationsentscheidung im Familienrahmen getroffen wird. Sow (2011) argumentiert, dass die endgültige Entscheidung darüber, welches Familienmitglied migriert, häufig Ausdruck von asymmetrischen Machtverhältnissen ist (Sow 2011).

„Given the tendency for households to be characterised by differences and divisions between members in the respect of tasks, obligations, power, identity and so on, households are also critical to understanding who migrates, why, where, with whom, and for how long“ (Chant/Craske 2003: 229 zit. nach Sow 2011) .

So kritisiert Stark (1991) am Konzept der individuellen Nutzenmaximierung des Lohndifferenzmodells, dass die Migrationsentscheidung generell nicht vom Individuum allein, sondern im Rahmen komplexer Gruppen- und Netzwerkstrukturen – Großfamilien bzw. Haushaltsverbände – als Form der Risikodiversifizierung initiiert und getroffen wird (Stark 1991: 207, Haug 2008). Polarisierende Handlungsmotive wie Altruismus oder purer Eigennutz konnten in den Interviews nicht gefunden werden.

Dem traditionellen Verständnis der senegalesischen Familie folgend, dass der Mann die Entscheidungsgewalt innehält, sollte anzunehmen sein, dass sich diese Hierarchie im Entscheidungsprozess zur Migration widerspiegelt.

Im Experteninterview (IE1) bestätigte sich jedoch mein aus den Gesprächen gewonnener Eindruck, dass die Frau zwar nicht de jure jedoch de facto einen maßgeblichen, wenn nicht sogar den bedeutungsvolleren Einfluss auf die Familienbelange hat: „C’est la maman, qui fait la décision pour l’émigration. C’est sans doute.” (Es ist die Mutter, welche die Entscheidung zur Emigration trifft. Darin besteht kein Zweifel) [40] Die Begründung liegt laut Khalifa (IE1) darin, dass Frauen danach streben ihren sozialen Status und den ihrer Kinder durch Migration zu erhöhen. Zwar wird der soziale Status heutzutage mehr und mehr der Einzelperson auf Grund individueller Leistungen und nicht mehr auf Grund einer bestimmten Zugehörigkeit zu einer Familie oder Prinzipien wie Geburt oder Alter zugeschrieben, doch im traditionellen gesellschaftlichen Verständnis wirkt die Familie als Vermittler des sozialen Status fort. Viele Emigranten kehren mit viel Geld zurück und bauen anschließend ein großes Haus. Da viele Frauen zumeist nur geringfügiger Erwerbs- und überwiegend Hausarbeit nachgehen, definieren sie sich über den sozialen Status ihrer Männer. Steigt der Status ihres Mannes oder Sohnes durch die Emigration, steigt zugleich ihr eigenes gesellschaftliches Ansehen, weshalb die Frauen ein direktes Interesse an der Migrationsentscheidung haben und diese beeinflussen wollen. Männer würden Khalifa zufolge kein solch ehrgeiziges Verlangen nach sozialem Aufstieg verspüren, solange sie ihrer familiären Versorgungsverpflichtung nachkommen können (IE1).

Die Ansicht, dass Frauen anscheinend ein stärkeres Bedürfnis nach Prestige hegen, wurde von Männern geäußert und könnte folglich einer verzerrten und wertenden Wahrnehmung entspringen. Aber auch Sall et. al. (2010: 25) äußern sich ähnlich:

„Pressure from one’s own family, and particularly from one’s mother, is a decisive factor in migration. Dimé, a worker, describes the situation before his departure, saying: “A day did not pass without my mother showing me the building that my friend had constructed for his mother.” The role of women is crucial in influencing a son’s or husband’s decision to migrate. The pressure they can bring to bear can lead many a son or husband to use clandestine channels, thus endangering their lives.“

Die hierzu befragten Frauen (I1, I3, I9) wiesen diese These resolut zurück und sprachen vielmehr von einer gemeinsamen Entscheidung im Familienrahmen, um langfristig den geteilten Lebensstandard (standard of living) der Gruppe zu erhöhen.

Im Falle, dass eine Frau eine Migrationsbewegung anstrebt, scheint die Entscheidung in gleichem Maße von asymmetrischen Machtverhältnissen innerhalb des Familienverbundes beeinflusst zu sein. Chant (1998: 12) beschreibt das Phänomen der verstärkten Frauenmigrationsbewegungen wie folgt: „even in instances where women ostensibly make their own decisions to migrate, it is hard to abstract household conditions from the process […]. Households not only [create] the material conditions for gender-selective migration but also [act] as filters for familial gender ideologies which impact upon motives for migration and the relative autonomy of migrant decision-making“.

Wie bereits erläutert, lassen sich Tendenzen der relativen Deprivation (Abschnitt 4.1.3) im Senegal erkennen, sodass die Chancen des sozialen Aufstiegs, die sich durch die Migration ergeben, im Rahmen der strukturellen Macht-Prestige-Spannungen zur Migrationsentscheidung der Familien führen.

In seiner am Parsonschen Strukturfunktionalismus orientierten Theorie schlussfolgert Hoffmann-Nowotny (1973), dass strukturelle Spannungen bei individuellen Akteuren stets dann entstehen, wenn keine Kongruenz zwischen Prestige und Macht erreichbar ist. Macht wird hierbei als der Grad verstanden, zu welchem ein Anspruch auf Teilhabe an zentral geteilten Werten auch faktisch durchsetzbar ist. Der Begriff Prestige meint den Legitimationsgrad dieses Anspruchs auf Teilhabe (Hoffmann-Nowotny 1973: 33). Aus den strukturellen Spannungen können sich anomische Spannungen entwickeln, sofern die ersteren aufgrund von unausgeglichenen Macht-Prestige-Verhältnissen dauerhaft nicht abgebaut werden können. Internationale Migration wird in diesem Zusammenhang als Form des Spannungsabbaus interpretiert, der es dem Migranten über Transfers erlaubt, die Macht-Prestige-Verhältnisse ins Gleichgewicht zu bringen (Faist 1997: 192). Höheres Einkommen und neu erworbene soziale Kenntnisse lassen den Akteur eine veränderte Position in seiner Herkunftsregion einnehmen, die weiterhin als Referenzrahmen dient. Ich teile die Ansicht, dass sich auf den Erhebungsort der Region Louga bezogen mit großer Wahrscheinlichkeit die Annahme Parnreiters (2000) und Cabilaos (1992) bestätigen ließe, dass Migration häufiger in Gegenden mit sehr ungleichen Einkommensverhältnissen zu finden ist als in den ärmsten Dörfern.

So charakterisiert folgender Satz von Mustafa (I6) die Mentalität hinter der Emigration aus dem Senegal besonders gut: „Ku musul tukki, du musa ham Fi gën ci dëkuway.“ (Der, der nicht reist, wird nie wissen, wo es sich am besten leben lässt)

Der Spruch „Barça ou barzakh“ wird vor allem für jene Migranten, die ihr Zielland auf irregulärem Weg zu erreichen versuchen, Wirklichkeit – Barcelona oder Tod. Der Migrationsversuch von Pierre (I5) in einer Piroge vom Senegal gen Europa spiegelt die Einstellung vieler irregulärer Migranten des „Barça ou barzakh“ wider, die in ihrem Lebensumfeld keine Zukunftsperspektiven mehr erkennen.

Inwiefern die Entscheidung zu Migrieren nun innerhalb der Gruppe gleichberechtigt, maßgeblich durch die Mutter oder schlussendlich individuell getroffen wird, unterscheidet sich von Fall zu Fall. In jedem Fall impliziert die Entscheidung der Migration eines Familienmitglieds das Zurückbleiben der anderen Familienmitglieder. In den Interviews wurde nur in einem einzigen Fall davon berichtet, dass Familienmitglieder gemeinsam emigrierten (I3). Aus theoretischer Perspektive betrachtet, hängt die Entscheidung, ob ein Emigrant von einem anderen Familienmitglied begleitet wird, vornehmlich vonökonomischen Faktoren ab (Gibson et. al. 2011). Mincer (1978) kommt zu dem Resultat, dass in einem Haushalt mit Doppelverdienern häufiger größere Teile der Familie (tied movers) migrieren als in Haushalten mit lediglich einem Erwerbstätigen. Die Interviewten gaben auf die Frage nach den Ursachen der Einzelpersonen-Emigration unterschiedliche Antworten. Keine eigene Familie im Sinne einer Frau mit Kindern (Kleinfamilie) zu haben (1) wurde von den meisten Interviewten als Kernpunkt angeführt. Weitere Antworten waren, dass es zu gefährlich (I5) und die Umstände zu schwierig seien bspw. bzgl. der Beantragung der Visa, des Nachweises von Schulabschlüssen und bevorstehenden Unwägbarkeiten (I1).

Chort und Senne (2013) kommen in ihrer multidimensionalen Studie zu dem Ergebnis, dass die Haushalte nicht nur den-/diejenigen als Migrant/-en auswählen, der im Vergleich zu den anderen Familienmitgliedern im Ausland Vorteile in der Erzielung höherer Einkommen hat, sondern zugleich ein größeres Potential bzgl. der Zahlung von Remittances darstellt (Chort/ Senne 2013: 4).

5.4 Auswirkungen der Migration auf Familie

„Ebenso haben transnationale Beziehungen sichtbareökonomische, politische und sozio-kulturelle Auswirkungen auf die Migrant/innen, deren Familien oder Kollektivitäten: Dazu gehört beispielsweise die Auswirkung von Geldüberweisungen oder nicht monetären Gütern auf die lokalenökonomien und Arbeitsmärkte, ebenso wie die sozio-kulturellen Einflüsse auf die Verhandlung von Identitäten durch transkulturelle Ehen, religiöse Aktivitäten oder Medien.“ (Lüthi, 2005: 3)

5.4.1 Der Einfluss der Migration auf die innerfamiliären Strukturen

Wie im Kapitel 2.1 beschrieben, existiert im traditionellen Familienverständnis eine klare Dichotomie der Aufgabenbereiche zwischen Mann und Frau. Die traditionelle Dichotomie der Aufgabenverteilung ist jedoch heutzutage in der Auflösung begriffen. Die Frau nimmt insbesondere auf dem Land eine wichtige Position als Erwerbstätige ein. Die Frauen beherrschen den Klein- und Gemüsehandel, organisieren Zeremonien und organisieren sich in der Regel in Verbänden und Sparvereinen – den sogenannten Tontines.[41] Sie arbeiten in Landprojekten auf der Grundlage der Selbstversorgung - mit der Möglichkeit des Zugangs zu Landbesitz, zu Krediten und zu technischen Geräten (Herzberger-Fofana 2005). Inwiefern die Migration zu diesem Auflösungsprozess der traditionellen Dichotomie beiträgt, wird im weiteren Verlauf thematisiert.

5.4.1.1 Traditionelle Arbeitsteilung

Wetzel, Inglehart und Klingemann (2003) weisen daraufhin, dass verglichen mit europäischen Herkunftsländern, sowohl afrikanische und als auch asiatische Herkunftsländer geschlechtsspezifische Aufgabenverteilungen und familiale Werte stärker betonen (Wetzel/ Inglehart/ Klingemann 2003). Im Falle der chinesischen Land-Stadt-Migration konnten keine signifikanten Auswirkungen von Migrationsbewegungen auf die traditionelle Rollenverteilung festgestellt werden. Nach Zheng sei die Distribution der Aufgaben eindeutig geklärt - Männer seien für externe und Frauen für interne Belange zuständig (Zheng 2001 zit. nach Biao 2007:182). Die Unterteilung der Arbeitsbereiche in Feld und Haushalt wurde im Laufe der andauernden Land-Stadt-Migration durch eine andere Unterteilung abgelöst: „The notion, which used to confine women to the household while men work outside, now confines women to the rural community and agricultural production while men seek urban-based or industrial work“ (Biao 2007:182).

Im Senegal emigrieren mit einem Anteil von 82,9% überwiegend Männer (ANSD 2013). Durch die Volatilität der übermittelten Remittances sind Frauen und Kinder sehr häufig dazu gezwungen, die Versorgung der Familie durch eigene Tätigkeiten im Erwerbsbereich sicherzustellen. Han (2000:117) spricht von einer „hybriden Geschlechterrolle“. So wird die Dichotomie der traditionellen Arbeitsteilung durch eine längerfristige Abwesenheit der Männer aufgebrochen. Senegalesische left-behind Frauen tendieren dazu, ihreökonomischen Aktivitäten im Zuge der Emigration ihres Mannes auszuweiten (vgl. Biao 2007, IE1, IE2, IE3). Bspw. bestimmen die Frauen aus Migrantenfamilien zu 41% den Kunstmarkt in Louga. Zugleich wird im Bezug auf rurale Gegenden von einer Feminisierung der Landwirtschaft berichtet (IE3). Frauen und Kinder sehen sich oftmals einer gestiegenen Mehrfachbelastung während der Migrationsphase gegenüber.

Männer hingegen bleiben im Fall der weiblichen Emigration in ihren alten Rollen. Laut dem United Nations Population Fund (UNFPA) übernimmt der Mann bspw. nicht immer umgehend die Kinderfürsorge, die vorher von der Frau übernommen wurde (UNFPA 2005: 119).[42]

Verstärkt wird die Tendenz zum Aufbrechen der traditionellen Rollenverteilung zusätzlich durch eine veränderte geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung in der Ankunftsregion. Bspw. muss der Migrant häufig die anfallende Haushaltsarbeit selbst erledigen. Meng schlussfolgert daraus im Zusammenhang chinesischer Land-Stadt-Migration, dass „men’s out-migration makes women’s labour contribution to the household more visible and therefore more appreciated, thus increasing their status.“ (Meng 1993, 1995 zit. nach Biao 2007: 182).

Teilweise gilt sogar der ausgeübte Beruf, wie bspw. Reinigungsarbeit oder kochen, als ,typische Frauenarbeit’. Die Verrichtung derartiger Aufgaben würde in der afrikanischen Heimat hingegen als vollkommen abwegig aufgefasst.

5.4.1.2 Sozialgefüge

Die Anhänger der Theorie der kumulativen Verursachung vertreten die Idee eines sich ergebenen komplexen Wandlungsprozesses in den Herkunfts- und Heimatsgemeinden nach einmalig erfolgter Migration, der fortan für eine Stabilisierung und Ausweitung der Migrationsbewegungen sorgt. Vor allem trügen die aus den Remittances der Migranten stammenden Investitionen erheblich zu einer dauerhaften, strukturellen Veränderung der lokalenökonomien in den Herkunftsgemeinden bei (IE1). Zudem beeinflussen ausländische Arbeitsverhältnisse in einem hohen Maße die bestehende Sozialordnung in den Herkunftsgemeinden. So können Familien mit einem besonders gesteigerten Gemeinschaftseinkommen – etwa durch viele familieninterne Migranten oder überdurchschnittlich hohe Einkommen - ihre soziale Stellung im Heimatland verbessern und existente Sozialgefüge aufbrechen (Hoffmann- Nowotny 1973).

Durch die männliche Dominanz in der Emigration wirkt sich dies auf die Geschlechterrollenverteilung in den Herkunftsregionen aus. Erfolgsgeschichten von Bekannten lösen bei vielen Menschen des Umfelds ein Gefühl des eigenen Verlangens nach Migration aus und wirken somit als Pull -Faktoren, wodurch sich sukzessive die Migrationsstrukturen verstärken.

Über Misserfolge, etwa Beispielfälle von zügig abgeschobenen Migranten, wird hingegen kaum gesprochen und widrige Lebensbedingungen werden nicht thematisiert. Eine missglückte Emigration stößt vor allem in ländlichen Gebieten auf eine soziale Missachtung, welche die gesamte Familie mit einschließt. Beschwerden eines mehr oder minder erfolgreich Zurückgekehrten werden lapidar als Selbstmitleid abgetan und finden gesellschaftlich keine Akzeptanz, da immer wieder auf die Vergleichsgruppe der Nicht-Emigranten verwiesen wird. Großzügige Migranten genießen hingegen bei der Familie und in der Nachbarschaft ein hohes Ansehen (Gerdes 2007: 2). So äußerte sich ein Bewohner Lougas folgendermaßen über Mbotch (I7): „Pour moi, il est un héros moderne qui s’est transformé en homme riche.“ (Für mich ist er ein moderner Held, der als reicher Mann zurückgekehrt ist)

Die nicht zu befriedigende Nachfrage nach bestimmten Gütern und Waren des Heimatlandes in den neuen Lebenswelten schafft wiederum neue Arbeitsplätze. Massey (2003) zeigt in Bezug auf mexikanisch-amerikanische Migrationsstudien, dass die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Migrationsbewegung mit jedem Migrationsaufenthalt einzelner Migranten steigt. Verglichen mit den strukturfunktionalistischen Ansätzen liegt der Fokus der Anhänger der kumulativen Verursachung weniger auf den Wirkungsketten untereinander, sondern vielmehr auf den kumulativen, d.h. den sich aus dem iterativen Migrationsprozess selbst entwickelnden Auswirkungen, auf diesen. Durch den in Gang gesetzten Mechanismus der kumulativen Verursachung entwickelt sich die Migration zu einem sich selbsterhaltenden Prozessgefüge – wie im Senegal (Han 2010: 15).

5.4.1.3 Machtverteilung

Inwiefern es zu einem Machtzuwachs der Frauen während der Abwesenheit des Mannes kommen kann, bleibt von den Familienstrukturen der left-behinds bestimmt.[43] Häufig übernehmen während der Migrationsphase andere männliche Familienmitglieder die „Herrschaft“ über die Familie (Han 2003). Bei einer Ausweitung derökonomischen Tätigkeiten der Frauen und dem damit einhergehenden steigendem Selbstvertrauen können die Frauen innerhalb der familiären Strukturen an Macht gewinnen, sofern die Verwendung der erwirtschafteten Güter selbst bestimmt werden darf (Hadi 2001). Inwiefern es zu einer dauerhaften Veränderung im Machtgefüge der left-behind Familie kommt, ist jedoch fraglich (Hadi 2001: 60).

Laut Khalifa werden die alten Strukturen vielmehr nach der erfolgreichen Wiederkehr des Migranten wieder hergestellt (IE1). Im Zusammenhang der Migration in Bangladesch berichtet Hadi (2001), dass die ‚wichtigen‘ (als wichtig empfundenen) Entscheidungen trotz der Abwesenheit der Männer weiterhin von diesen bestimmt werden (Hadi 2001: 60).

Wie im Interview mit Badara (IE2) erfahren, kann jedoch auch ein allmähliches Auflösen der familiären Bindung zwischen der Frau und der Familie des Mannes eintreten. Im patrilokalen Gefüge ist der Mann das Bindeglied zwischen seiner gebürtigen Familie und seiner eingeheirateten Frau. Letztere hat meist nur losen Kontakt mit der Schwiegerfamilie.

Die modernen, kostengünstigen Kommunikationsmöglichkeiten ermöglichen es dem Migranten, die im Herkunftsland etablierte Machtposition aufrechtzuerhalten und über die Distanz hinweg eine Einflussnahme geltend zu machen. Somit befähigen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten dazu, Machtstrukturen zu konservieren. Dies feit jedoch nicht vor einer Scheidung mit der left-behind Frau (IE2, IE3).

Der traditionelle Einfluss der Älteren wird durch die zunehmende Urbanisierung (Stadt-Land-Migration)[44] sowie nationale und vor allem erfolgreiche internationale Migration weiter zurückgedrängt. Das erfolgreiche Meistern der Herausforderungen einer langjährigen Migrationswanderung prägt den Emigranten und trägt zu dessen Eigenständigkeit bei. Tendenzen des Individualismus, der die traditionell häufig stattgefundene Beratung mit den Älteren explizit einschließt, werden verstärkt. Hierzu trägt der dem Migranten gezollte Respekt der Herkunftsgemeinde wesentlich bei. Babacar (I4), Mustafa (I6) und Mbotch (I7) merkten an, dass sie die ‚Älteren’ ihrer Familie seltener um Rat bitten würden als vor der Emigration. Vielmehr sei es nun umgekehrt. Mittlerweile werden die Emigranten vereinzelt von den ‚Älteren’ um Rat gebeten.

5.4.1.4 Emigration über mehrere Generationen?

Geprägt durch die Erfahrung der mitunter harten Bedingungen im Ankunftsland lehnen die zurückkehrenden Emigranten es häufig prinzipiell ab ihre Kinder emigrieren zu lassen – und dies selbst dann, wenn die eigene Migrationsgeschichte erfolgreich war. Viele Kinder von Emigranten nehmen sich jedoch ein Beispiel an ihren Eltern und streben, mit ihrem eigenen Verantwortungsbewusstsein argumentierend, nach Migration, woraus Konflikte entstehen. Letztlich argumentiert der Emigrant aus einer schwierigen Position, da er selbst einst die Migrationsentscheidung, womöglich gegen Widerstände, getroffen hat, wie im Falle Mustafas (I6), der seinem Vater 2 Jahre lang nichts von seinem Aufenthalt in Frankreich erzählte, sondern ihm weismachte, dass er sich in Burkina Faso zur Arbeitstätigkeit zusammen mit seinem Cousin befinde.

5.4.1.5 Gesundheit

Die häufig anzutreffende Arbeitsmigration von Familienvätern stellt besonders große Herausforderungen an die Stabilität der Familie. Trotz der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten kann der Kontakt zwischen Migrant und Familie abbrechen und der Mann gründet mitunter im Ankunftsland eine neue Familie. In einigen Fällen gewöhnen sich die Männer nach ihrer erfolgreichen Rückkehr nicht mehr vollends in den für den Migranten veränderten Lebensalltag ein. In diesem Zusammenhang möchte ich auf mögliche Identitätskonflikte, ausgelöst durch im Migrationsprozess gebildete Mehrfachidentitäten, hinweisen (Kearney 1995). Die Identitätssuche als halfie, der sich einer Gespaltenheit zwischen zwei Bezugswelten gegenüber sieht, oder als hybrid, dessen Identität oft nur situativ zu bestimmen ist, kann unter dem Assimilationsdruck der Aufnahmegesellschaft zu einer Desintegration in Form von „[...] problematischen Denk- und Verhaltensweisen [bzw.] zu vorurteilsvoller Abgrenzung und Gewalt“ führen (Oswald 2007: 139).[45]

Die schwierige Situation begünstigt die Tendenz zum Drogenkonsum. Obwohl der Großteil der senegalesischen Emigranten dem Islam angehört, stellen Drogen, hauptsächlich Alkohol, ein großes Problem dar. Laut Khalifa (IE1) werden bereits während der Emigrationszeit häufig Drogen konsumiert, um mit der psychisch herausfordernden Situation im Ankunftsland zurechtzukommen. Gruppen-dynamiken fördern diesen Konsum. Bei Malik (I8) schienen sich sogar während des Interviews ein Alkoholproblem und eine Tabaksucht zu manifestieren: Ich verbrachte zwei Tage mit dem Interviewpartner und während dieser Zeit konsumierte dieser zwei Flaschen Whisky (0,4l) und zwei Packungen Zigaretten. Unsere Begegnung endete sinnbildlich am Spirituosengeschäft.[46]

Die lange Trennungsphase von ihren Partnern bedingt auch im Bereich der Sexualität Enthaltsamkeit. Während seiner Migrationszeit besuchte Mbotch (I7) desöfteren Prostituierte. Emigranten sind so einem höheren Übertragungsrisiko von sexuellen Krankheiten ausgesetzt.

Inwiefern Auswirkungen auf den allgemeinen Gesundheitszustand der Familie bzw. des Emigranten selbst beobachtet werden können, bleibt von vielen unbestimmten Variablen abhängig. Wenn davon ausgegangen wird, dass Migration sowohl psychisch als auch physisch fordernd ist, dann könnten die Emigranten schon vor Beginn der Emigration einen mit der Vergleichsgruppe besseren Gesundheitszustand vorweisen. Kuhn et. al. (2011) finden einen besseren Gesundheitszustand der left-behind Eltern im Vergleich zu Altersgenossen vor, die keine engeren Familienangehörigen im Ausland haben. Mögliche gesundheitliche Konsequenzen für die zurückbleibenden Familienmitglieder sollten Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten darstellen. Erste kontextuelle Ansätze verfolgt Antman (2012), der die Intensität der Pflege der Eltern durch deren Kinder in Abhängigkeit der Variablen Zeit und Geld in mexikanischen Familien mit und ohne Migranten untersucht.

5.4.1.6 Traditionelle Heirat

Migration fordert das etablierte Ordnungsgefüge einer traditionellen Hierarchie heraus. Mit dem Alter als entscheidendes Kriterium besetzen die Erstgeborenen unter den Geschwistern die Spitze der Hierarchie. Der durch Migration gestiegene soziale Respekt kann diese Rangordnung verändern. Die traditionelle Praxis sieht Endogamie, d.h. die Heirat innerhalb der eigenen Kaste vor. Migrations-bewegungen haben laut Sall et. al. (2010: 25) vermehrt zu Ehen mit Partnern außerhalb der eigenen Kaste geführt. Durch diese neue Heiratspraxis wird die soziale Hierarchie restrukturiert und mitunter über die Existenz oder Nichtexistenz von Migranten in der Familie definiert.

Traditionell entscheidet die finanzielle Situation eines heiratswilligen Mannes, respektive seiner Familie, über die Chancen, eine Braut zu finden. Finanzielle Unabhängigkeit entscheidet hierbei häufig über die Zukunftsperspektiven der jungen Familie. Frauen nehmen die Abwesenheit des Mannes im Falle der Emigration in Kauf, da sie der Ernährungssicherheit der Familie großen Wert beimessen.

Die Heirat mit einem potentiellen Emigranten spiegelt überdies die Hoffnung der Frauen wider, selbst emigrieren, oder zumindest ihren Kindern in der Stadt oder im Ausland eine bessere Ausbildung ermöglichen zu können. Der erhöhte soziale Status oder die Wahrnehmung von Emigranten als geeignetere Männer reduziert die Chancen für junge nicht emigrierende Männer auf den Heiratsmarkt eine passende Frau zu finden massiv, wie Babacar äußerte (I4). Für ihn persönlich war es schwierig eine passende Frau vor Beginn seiner Migration zu finden. Als er wieder in den Senegal zurückkehrte, fand er stärkere Beachtung bei den Frauen und ehelichte kurz darauf seine Frau. Um eine passende Frau finden zu können, streben folglich verstärkt junge Männer eine Migration an.

5.4.1.7 Eltern-Kind-Beziehung

Die Migration wirkt sich auch auf die intergenerationale Beziehung zwischen dem emigrierten Elternteil und den left-behind Kindern aus. (I3). Vor allem während der ersten Phase nach der Rückkehr dominiert häufig ein Gefühl der Fremdheit. Die Häufigkeit der wertschätzenden, interessierten Kommunikation spielt hierbei eine besondere Rolle (Lam 2013). Die Eltern des Emigranten übernehmen in vielen Fällen zusätzliche Aufgaben der Fürsorge. Aussagen über die schulische Leistung der Kinder, oder deren physische und psychische Verfassung können in Ermangelung einer geeigneten Vergleichsgruppe nicht getroffen werden. Da jedoch in Migrantenfamilien durchschnittlich mehr Geld für die Lebenshaltung ausgegeben wird, kann angenommen werden, dass die Ernährung reichhaltiger, der Gesundheitszustand der Kinder besser und damit deren Leistungspotential größer ist (Lam 2013, IE1). Das Leistungsvermögen von Migranten-Kindern in der Schule sollte hierbei intensiver untersucht werden.

Kandel/ Kao (2000) gehen davon aus, dass Migranten-Kinder weniger lernwillig sind. Batista et. al. (2007) finden hingegen, dass die Wahrscheinlichkeit des erfolgreichen Abschlusses der weiterführenden Schule gegenüber Nicht-Migranten-Kindern in Kap Verde höher liegt. Ausnahmslos aus allen Interviewgesprächen kann konstituiert werden, dass von den Migranten-Kindern der erfolgreiche Abschluss der weiterführenden Schule erwartet wird. Auch ein anschließendes Studium des Nachwuchses wird im Regelfall von den Eltern gewünscht, da besonders ehemalige irreguläre Migranten ihre Kinder vor der risikoreichen Migration bewahren wollen. Die Migration von einem oder beiden Elternteilen führt häufig dazu, dass die Verantwortung für die Erziehung der Kinder auf Familienmitglieder übertragen wird. Dies birgt das potenzielle Risiko einer vergleichsweise schlechteren medizinischen und ernährungstechnischen Versorgung. Der zeitweise Verlust beider Eltern oder eines Elternteils als (wichtigste) Bezugsperson/-en kann Gefühle der Verwundbarkeit und einen Selbstvertrauensverlust verursachen (UNICEF 2015).

Die emotionale Belastung für die Verwandten und im Besonderen für die Kinder während der Trennungsphase ist nicht zu unterschätzen und bedarf eines sensiblen und fürsorglichen Umgangs des Emigranten mit seiner Familie. Vor allem qualitativ wertvoll verbrachte Zeit während der Kommunikation ist wichtig für die heimische Familie, da diese die andersartige Lebenswelt des Emigranten nicht kennt und keine bzw. wenige Vorstellungen von den kulturellen Unterschieden zur eigenen Heimat besitzt. Dies erfordert vom in einem Spannungsfeld befindlichen Emigranten ausgewogene Erläuterungen über den Lebensalltag, welche die Familie einerseits nicht verunsichern, um eine Scheidung nicht zu provozieren und andererseits, um keine Neidgefühle aufzubauen, wenn eine Familienzusammenführung in absehbarer Zeit im Ziel- oder Heimatland nicht realisierbar erscheint. Die große Emotionalität der left-behinds wurde im Interview mit Ndiabel deutlich, die, als Tochter eines Emigranten, der seit 6 Jahren in den USA arbeitet, im Gesprächsverlauf zu weinen begann (I1). Hier wird abermals die Sensibilität der Thematik und die konsekutive Verantwortung eines vertrauensvollen Umgangs des Forschers ersichtlich. Der Aspekt der negativen emotionalen Auswirkungen der Emigration auf die left-behinds wird von Suárez-Orozco et. al. (2002) ausdrücklich betont. Besonders großsind die emotionalen Effekte auf die Kinder, wenn die Mutter bzw. die stärkere elterliche Bezugsperson emigriert (Parreñas 2005, I1).

5.4.2 Einfluss auf dieökonomische Situation der Familie und die Bedeutsamkeit der Remittances

Im Folgenden wird näher auf die Bedeutung der Remittances auf der mikroökonomischen Ebene, d.h. für die left-behind Familien, eingegangen.

5.4.2.1 Family Funding

Der Vater ist traditionell der Ernährer der Familie. Ohne Arbeit und ohne eine Möglichkeit, ausreichend Geld am Wohnort im Senegal zu verdienen, kann er innerhalb der Familie jedoch nicht als solcher respektiert werden. Kann er der Versorgung der Familie nicht in zufriedenstellendem Maße gerecht werden, drängt ihn der innerfamiliäre soziale Druck quasi dazu, im Ausland das Geld zu verdienen.

Die erste Migration wird häufig durch die Familie finanziert. Nach erfolgreichem family funding steht der Migrant selbst in der Pflicht, dies anderen Familienmitgliedern zu ermöglichen – je nach Verwandtschaftsgrad entweder als Darlehen, oder ohne finanziellen Ausgleich. Die finanzielle Bürde der Remittances verliert für den einzelnen Migranten an Gewicht, sobald mehrere Familienmitglieder emigriert sind. Ab diesem Zeitpunkt hat der Migrant die Möglichkeit, für sich selbst Geld zurückzulegen. Chort und Senne (2013) zufolge werden die Migrationskosten bei einer Emigration nach Europa (Frankreich, Italien) zu 60,5%, und bei Wanderungen nach Mauretanien zu 52,1% von der Familie als Ganzes getragen. Jeder trägt so einen Teil zum Emigrationserfolg bei. Gleichzeitig sehen sich die Migranten den hohen Erwartungen der Familie gegenüber, wobei sich diese Erwartungen erhöhen, wenn andere Familienmitglieder die Wanderung finanziell unterstützt haben. Die Emigration muss überdies stets im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Hintergrund des Einzelnen bzw. der Familie betrachtet werden. So kommt es selten vor, dass Kinder aus wohlhabenden Haushalten bspw. die Migration in einer Piroge beginnen (Khalifa IE1).

5.4.2.2 Höhe der Remittances

Im Senegal beliefen sich die Remittances im Jahr 2014 auf rund $1,845 Mrd (CIA-Factbook 2015), d.h. mehr als 10% des BIP. Die exakten Zahlen lassen sich aufgrund der Existenz informeller Kanäle lediglich annährend schätzen. Die Remittances sind in den vergangenen Jahren angestiegen. Gründe sind die Abwertung der senegalesischen Währung CFA Franc gegenüber dem Euro, die verbesserten Möglichkeiten des Geldtransfers (Western Union, MoneyGram,...), gesunkene Emigrationskosten und die gestiegene Anzahl von Emigranten (vgl. Antman 2012).

Die Haushalte erhalten durchschnittlich jährlich rund 2194€.[47] Die Zahlung erfolgt am Häufigsten in 8 Tranchen zu je 274€ (Cisse 2010).[48] Der IMF geht von über 1220€ jährlich aus (IMF 2013).[49] Insgesamt erhält etwa ein Drittel aller senegalesischen Haushalte eine finanzielle Unterstützung durch Remittances (Cisse 2010). Senegalesische Migranten in den westlichen, wirtschaftskräftigeren Ländern schicken häufiger Remittances nach Hause als jene in anderen Teilen der Welt. 81% der Migranten in Europa und 79% der Senegalesen in den USA und Kanada schicken Remittances in den Senegal, verglichen mit 60% in Ländern der Economic Community of West African States (ECOWAS), 65% in anderen Afrikanischen Ländern und 63% in anderen Teilen der Welt (Orozco/ Burgess/ Massardier 2010: 3). Die Höhe der Remittances gemessen am Einkommen des Migranten beträgt laut Chort und Senne (2013) in Mauretanien rund 30%; in Italien und Frankreich etwa 15%. Remittances sind sehr bedeutend für die left-behind Haushalte, wie in nahezu allen Interviews aufgrund eigener Erfahrungen bekräftigt wurde (I1-I7). Nichtsdestotrotz behält der Migrant den größten Teil des erwirtschafteten Geldes für sich und schickt lediglich in Ausnahmesituationen wie Krankheit zusätzliches Geld, wie von Fatoumata (I1) berichtet wurde. Die Remittances übernehmen somit eine Sozialversicherungsfunktion innerhalb der Familie.

Abbildung 2: Remittances als Anteil in % am senegalesischen BIP, 2001-2014.[50]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: World Bank 2001-2014

Die Remittances sind antizyklisch und steigen während Phasen der wirtschaftlichen Rezession in den Herkunftsländern an (Gupta/ Patillo 2009: 105, Pendleton 2006: 8 zit. nach ITPCM 2014, IE3). Bei steigendem Einkommen, steigen gleichsam die Remittances – relativ und absolut (IE1). Die finanziellen Verflechtungen und Abhängigkeiten untereinander nehmen im Laufe der Zeit zu (IE3).

5.4.2.3 Verwendung der Remittances

Fraglich ist, wer für die Verwaltung und Verteilung der Ressourcen bzw. Remittances zuständig ist. Nach Sow (2011) werden Ressourcen in afrikanischen Familien weder gemeinsam benutzt noch verwaltet, da asymmetrische Machtverhältnisse zur ungleichgearteten Verteilung der verfügbaren Ressourcen führen. In den Interviews (I1-I7) wurde bekräftigt, dass die Remittances an verschiedene Familienmitglieder gezahlt werden. Als Entsender von innerfamiliären Remittances haben Emigranten keinen bzw. nur einen begrenzten Einfluss auf das Ausgabeverhalten (Sow 2011: 75).

Interessant ist, wie die Remittances verwendet werden bzw. verwendet werden sollen (Abbildung 3). Das Geld, welches der Migrant im Ausland erwirtschaftet, wird hauptsächlich für die Befriedigung von Grundbedürfnissen des Migranten selbst und der Familie ausgegeben.

Abbildung 3: Verwendung der Remittances im Senegal, 2008

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: World Bank/ CRES (2011)

Laut World Bank und CRES (2011) wurden die Remittances zu 58% für den Konsum ausgegeben; andere Quellen gehen von über 80% aus (Chort/ Senne 2013; ITPCM 2014). 78% des Geldes wird für gemeinschaftliche Ausgaben des Haushalts verwendet (Orozco et. al. 2010). Sofern den Frauen die Verwaltung der finanziellen Ressourcen übertragen ist, führt dies zu einer Förderung der sozialen Entwicklung, da sie mehr Geld für Nahrungsmittel, Bildung und Gesundheit ausgeben als Männer (vgl. Sow 2011). Miete und Ausgaben für die Gesundheit stellen ebenso einen großen Posten in der Verwendung der Gelder dar. In den Interviews wurde häufig von dem Wunsch eines Eigenheims gesprochen, sodass davon auszugehen ist, dass viele der Familien die Phase der Emigration als temporäre Einkommensquelle nutzen, um langfristig Lebenshaltungskosten zu reduzieren und durch den Erwerb eines Eigenheims ihren sozialen Status aufzuwerten.

Ein Hausbau wird gesellschaftlich als großer Erfolg angesehen und bringt eine höhere soziale Anerkennung mit sich (Sall et. al. 2010: 23). Die Investitionen der Emigranten begünstigen die Entwicklung des Wohnungsbauwesens.

Traditionell werden die Häuser aus Baumaterialien gebaut, die an die klimatischen Bedingungen angepasst sind. In den Lehmhütten mit Strohdach herrscht ein besonderes Mikroklima (vgl. Lauber 2002). Heutzutage werden die meisten Häuser im Senegal aus Beton und Zement gefertigt – Baumaterialien, die zwar im Vergleich weniger Instandhaltungsmaßnahmen erfordern, jedoch importiert werden müssen und keine Hitzeisolation gewährleisten. Trotz dieser Nachteile haben sich die Beton- und Zementbauten, aufgrund des damit assoziierten sozialen Prestiges, durchgesetzt.

Dementsprechend ändert sich nicht nur das Landschaftsbild, sondern gleichsam die lokale Infrastruktur. Obwohl die treibendenökonomischen Sektoren wie Tourismus und Bauwesen in Louga bereits in den Händen der ehemaligen Emigranten liegen, fehlt es generell an produktiven Investitionen, die Arbeitsplatz generierend sind (IE1).[51] Inwiefern verstärkt Investitionen in die Bildung der Kinder vorgenommen werden, konnte in den qualitativen Interviews nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Mit längerem Aufenthalt im Ausland steigt grundsätzlich das Integrationsniveau des Migranten, bspw. aufgrund verbesserter Sprachkenntnisse. In der Folge können lukrativere Erwerbstätigkeiten ausgeübt werden. Die Remittances passen sich an die steigenden Löhne an. Mit längerem Aufenthalt – die durchschnittliche Aufenthaltslänge von Senegalesen wird in Frankreich, Italien auf 12 Jahre und auf 6 Jahre in Mauretanien geschätzt (Chort/ Senne 2013) – steigt jedoch zugleich die Gefahr, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur left-behind Familie sinkt, wodurch die Remittances zurückgehen.

In der Studie von Orozco (2010) zeigt sich, dass mehr als die Hälfte der befragten Haushalte, die Remittances erhalten, jährlich durchschnittlich 373€ sparen;[52] wohingegen Haushalte, die keine Remittances erhalten, im gleichen Zeitraum durchschnittlich lediglich 189€ zurücklegen konnten (Orozco 2010).[53] Sow (2011: 84) spricht im Zusammenhang mit Remittances von einem moral hazard Effekt. Sie stellt fest, dass Remittance -empfangende Haushalte gegenüber ihrer Vergleichsgruppe bei gleicher Fläche und Bodenqualität niedrigere landwirtschaftliche Erträge erzielen. Diese Beobachtung wurde in den durchgeführten Interviews weder bestätigt, noch falsifiziert, da die Gesprächspartner aus dem städtischen Milieu Lougas stammen.

5.4.2.4 Scheidung, Emigration und Remittances

Im Koran steht geschrieben, dass „die Männer [...] Vollmacht und Verantwortung gegenüber den Frauen [haben] [...]“ (Koran 4:34). Zu den Verpflichtungen des Mannes gehört es, seine Frau und Kinder im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten mit Nahrung, Kleidung, Wohnung und medizinischer Versorgung zu versehen (Breuer 1998: 34). Sobald der muslimische Mann seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Familie nicht mehr nachkommt, kann die Frau die Scheidung beantragen. Aufgrund der prekären wirtschaftlichen Lage ist die Scheidungsrate in der Region Louga besonders hoch, wie von allen Interviewexperten bekräftigt wurde (IE1, IE2, IE3).

Die Migrantenfamilie sind demnach häufig in besonderem Maße auf die Überweisung von Remittances angewiesen. Die Höhe der Remittances, ist abhängig von den Lebenshaltungskosten in der Herkunftsregion und den finanziellen Möglichkeiten des Emigranten. Der gesamte Bedarf an Wohnung, Kleidung, Nahrung, medizinischer Versorgung und Ausbildung sollte jedoch davon gedeckt werden können: „Von niemandem wird mehr gefordert, als er vermag. Einer Mutter darf nicht wegen ihres Kindes Schaden zugefügt werden, und auch nicht einem Vater wegen seines Kindes.“ (Koran 2:233). Dies erklärt zumindest partiell, weshalb der Vater von Fatoumata (I1) bei Nachfrage der Kinder nach bestimmten Gütern zeitweise höhere Transfers an seine Familie leistet. Aus dem Gespräch mit Fatoumata (I1) ließsich nicht ableiten, inwiefern die Transferleistungen vom Vater als Kompensation für seine physische Abwesenheit wahrgenommen werden.

Der regelmäßige Geldtransfer ist nur möglich, wenn eine Arbeitsstelle in der Ankunftsregion vorhanden ist. Im Zuge der Finanzkrise verloren viele Emigranten ihre Arbeit. Dies wirkte sich negativ auf die Höhe der in Louga ankommenden Remittances aus, woraufhin viele Frauen ihre Männer verließen.

Auf den Schultern der Migranten ruht folglich ein enormer Erfolgsdruck. Das Risiko einer Scheidung ist eine weitere Erklärung dafür, dass viele Migranten schwierige Lebensbedingungen und die Umstände ihrer Erwerbstätigkeit verschweigen (Gerdes 2007: 2).[54] Die psychische Belastung einer langen Trennungsphase ist besonders schwerwiegend, wie Mbotch (I7) eingestand: „C’était une période difficile pour moi, le temps ou j’ai vécu sans ma femme. Je suis content d’être de retour à la maison. “ (Das war eine schwierige Zeit von meiner Frau getrennt gelebt zu haben. Ich bin froh wieder zu Hause zu sein)

6 Schlussbemerkung

Zurückkehrenden Emigranten wird in ihren Heimatgemeinden ein besonderer Respekt gezollt. Als Vorbild und Symbol derökonomischen Freiheit für viele ihrer Landsleute tragen Emigranten eine hohe finanzielle und emotionale Verantwortung. Der Emigrant wird Teil der idealisierten Vorstellung eines reichen Europas, zumal er seine Familie zumeist nicht über die realen Herausforderungen seines alltäglichen Lebens in Kenntnis setzt. Die Emigranten befinden sich in einem Spannungsverhältnis zwischen den erwarteten Remittances der Familie und den Schwierigkeiten diese zu erwirtschaften. Aus Angst, das Vertrauen der Familie in die eigenen Fähigkeiten zu verlieren, wird diese innere Anspannung zumeist gänzlich verschwiegen.

Die folgenden Forschungsergebnisse beziehen sich auf die Region Louga im Senegal.

Wesentliche Forschungsergebnisse

- Das Hauptmotiv für die Emigration ist das Streben nach Aufwertung des sozialen Status. Hiermit verbunden sind Gefühle der relativen Deprivation und Spannungen im Macht-Prestige-Verhältnis im Herkunftsland.
- Die Entscheidung zur Emigration wird grundsätzlich nicht vom Individuum allein, sondern im Rahmen komplexer Gruppen- und Netzwerkstrukturen – bspw. Großfamilien oder Haushaltsverbände – als Form der Risikodiversifizierung initiiert und getroffen. Die Entscheidung zur Emigration des Einzelnen impliziert gleichzeitig das Zurückbleiben der restlichen Familienmitglieder – der sogenannten left-behinds.
- Da in vielen Fällen der soziale Status der Frau von dem sozialen Status des Mannes abhängig ist, versucht die Frau, entgegen der traditionell asymmetrisch verteilten Machtbefugnisse zugunsten des Mannes, ihren Einfluss während des Migrationsentscheidungsprozesses besonders stark geltend zu machen.
- Die Remittances der left-behinds und Investitionen der zurückkehrenden Migranten beeinflussen vor allem die sozialen Familienverhältnisse und die Infrastruktur im Herkunftsland. Die Migration trägt zusätzlich zur Auflösung der traditionell dichotomen Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen bei. Die Emigration des Mannes führt zur Ausweitung derökonomischen Aktivitäten der Frauen.
- Die überwiegende Anzahl von männlichen Emigranten (82,9%) im Senegal führt zu einem demographischen Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen.
- Die Scheidungsrate in der Region Louga liegt sehr hoch. Die Ehefrauen sind trotz der Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten abhängig von den Remittances. Kann der Mann die left-behind Familie aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten im Ausland finanziell nicht länger unterstützen führt dies oft unweigerlich zur Scheidung.

Politische Empfehlungen

Die Initiativen der senegalesischen Regierung, um die Attraktivität irregulärer Emigration einzudämmen, sind begrüßenswert und sollten weiter vorangebracht werden. Die mit internationalen Partnern etablierten Programme stellen eine breite Interventionsgrundlage dar: (i) Fonds national d'actions pour l'emploi (FNAE), (ii) Fonds national de promotion de la jeunesse (FNPJ), (iii) Agence d’exécution des travaux d’intérêt public (AGETIP), (iv) Projet de promotion des micro- entreprises rurales (PROMER), (v) Service de la main d’œuvre au sein de la Direction de l’emploi, (vi) Migration for Development in Africa (MiDA), (vii) Transfer of Knowledge Through Expatriate Nationals (TOKTEN) oder (viii) die Co-Development Initiative.

Maßnahmen des IMF im Poverty Reduction Strategy Reduction Paper (2006-2010), wie die Schaffung von Arbeitsplätzen für Emigranten in der Entwicklungszusammenarbeit verschiedener Kommunen und Monitoring der senegalesischen Diaspora sind geeignet, das sozio-ökonomische Potential der senegalesischen Emigranten für die Entwicklung ihres Heimatlandes nutzbar zu machen.

Das erhöhte Prestige nach erfolgreicher Migration könnte von den zurückgekehrten Senegalesen vor allem auf lokaler Ebene genutzt werden, sich in den politischen Diskurs einzubringen. Hierbei sollte es Aufgabe der bestehenden politischen Führung sein, die zurückkehrten Migranten aktiv in politische Entscheidungsprozesse einzubinden, um eine verstärkte Politisierung und politische Partizipation der Bevölkerung zu erreichen.

Die Einrichtung von Institutionen, wie des Ministeriums für Auslandssenegalesen (Ministère des Sénégalais de l’extérieur), die Agentur für die Förderung von Investitionen und Großprojekten (Agence pour la Promotion des Investissements et des Grands Travaux – APIX) oder das Büro zur Aufnahme, Orientierung und Betreuung der Rückkehrer (Bureau d’Accueil, d’Orientation et de Suivi des Actions de Réinsertion des Émigrés - BAOS), welche produktive Investitionsplanungen mit den Rückkehrern realisieren sollen, könnte beispielhaft für Länder in vergleichbaren Situationen sein. Verwaltungstechnische Effizienzsteigerungen sollten Beachtung und Umsetzung finden.

Es zeichnet sich die Tendenz ab, dass die Migration von Frauen weiterhin zunimmt. Forschungsarbeiten zu Emigrationsbewegungen sollten in der Folge verstärkt geschlechtsspezifische Betrachtungen beinhalten.

Obwohl sich die Eltern der Emigranten im Regelfall noch nicht im pflegebedürftigen Alter befinden, sollten die Konsequenzen der Emigration für die traditionelle Fürsorge gegenüber den Älteren kritisch beobachtet werden: Die Intensivierung von Migrationsbewegungen führt zu einer Abnahme der innerfamiliären Möglichkeiten der Altenpflege und birgt somit das Risiko der Vernachlässigung.

7 Literaturverzeichnis

Adepoju, Aderanti (2004): Trends in international migration in and from Africa. In: Massey/ Taylor (Hrsg.): International Migration Prospects and Policies in a Global Market, Oxford: Oxford University Press.

ANSD (2010): Situation Economique et Sociale de la Région de Louga 2010.

ANSD (2014): Recensement Général de la Population et de l’Habitat, de l’Agriculture et de l’Elevage.

Antman, Francisca (2012): The Impact of Migration on Left Behind Migration, Bonn: The Institute for the Study of Labor.

Baldwin, Georg (1970): Brain Drain or Overflow? In: Foreign Affairs (48: 2/1970).

Balkenhol, Bernd/ Gueye, E.H. (1993): Tontines and the Banking System – is there a case for building linkages, Genf: ILO.

Basch, Linda/ Glick-Schiller, Nina (1997): Nations Unbound. Transnational Projects, Postcolonial. In: Predicaments, and Deterritorialized Nation-States, Amsterdam: Gordon and Breach.

Bass, Loretta/ Sow, Fatou (2006): Senegalese Families: The Confluence of Ethnicity, History, and Social Change. In: Oheneba-Sakyi, Yaw/ Takyi (Hrsg.) (2006): African Families on the Turn of he 21st Century, Baffour: Westport.

Beauchemin, Cris/ Sakho, Papa/ Schoumaker, Bruno/ Flahaux, Marie-Laurence (2012): New patterns of migration between Senegal and Europe, Migrations between Africa and Europe.

Biao, Xiang (2007): How far are the left-behind left-behind? A preliminary study in rural China. In: Population, space and place, 13, S.179-191.

Blomfield, Michael/ Morehouse, Christal (2011): Irregular Migration in Europe, Washington: Migration Policy Institute.

Bommes, Michael (1994): Migration und Inklusion. Spannungen zwischen Nationalstaat und Wohlfahrtsstaat. In: KZfSS (46, 3/1994), S.252-318.

Borjas, George (1987): Self-Selection and the Earnings of Immigrants. The American Economy Review, 77, 4, S.531-553.

Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und Klassen. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt: Suhrkamp.

Breuer, Rita (1998): Familienleben im Islam. Traditionen - Konflikte – Vorurteile, Breisgau/Freiburg: Herder.

Brosius, Hans-Bernd/ Koschel, Friederike/ Haas, Alexander (2008): Methoden der empirischen Kommunikationsforschung: Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Bunk, Matthias/ Gehrold, Stefan (2011): Zwischen Paradies und Festung – Senegalesische Migration und die Antwort der Europäischen Union.

Cabilao, Minda et. al. (1992): Remittances and returnees : the cultural economy of migration in Ilocos, Quezon City : New Day Publishers.

Cisse, Fatou (2010): Senegal. In: Orozco et. al. (Hrsg.) (2010): Remittance Markets in Africa, S.221-241.

Chaney, Elsa (1985): Migration from the Caribbean Region: Determinants and Effects of Movement, Washington: Occasional Paper Series, Georgetown University, Intergovernmental Committee for Migration.

Chant, Sylvia (1998): Households, gender and rural-urban migration: reflections on linkages and considerations for policy, London: University Press.

Chies, Laura (1994): Das Migrationsproblem der europäischen Gemeinschaften: Theoretische und empirische Analyse der Bestimmungsfaktoren und Folgen internationaler Arbeitskräftewanderungen, Frankfurt: Lang.

Chort, Isabelle/ Senne, Jean-Noël (2013): Intra-household Selection into Migration: Evidence from a Matched Sample of Migrants and Origin Households in Senegal, Paris: Document de Travail.

Demuth, Karin/ Kirchebner Doris (2003): Leben in der Großfamilie: Aspekte von Kindsein und Erwachsenwerden in Afrika. In: Internationales Afrikaforum, 39:1, S.87-92.

Diop, Abdoulaye-Bara (1981): La Société Wolof. Tradition et changement, Paris: Éditions Karthala.

Diouf, Mamdou (1990): Le Kajoor au XIXe siècle: Pouvoir ceddo et Conquête coloniale, Paris: Éditions Karthala.

Easterly, Wlliam (2001) : The Elusive Quest for Growth.

Elias, Norbert (1996): Was ist Soziologie? Weinheim: Juventa Verlag.

Esser, Hartmut (1980): Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, ethnischen Gruppen und Minderheiten, Darmstadt: Luchterhand.

Ezémbé, Ferdinand (2009): L’enfant africain et ses univers. Paris: Karthala.

Faist, Thomas et. al. (1997): International Migration, Immobility and Development. Multidisciplinary Perspectives, Oxford: Berg.

Faist, Thomas (2000): Grenzen überschreiten. Das Konzept transstaatlicher Räume und seine Anwendung. In: Faist, Thomas (Hrsg.): Transstaatliche Räume, Bielefeld: Transcript, 9-57.

Faist, Thomas (2006): Transnationale Migration als relative Immobilität in einer globalisierten Welt, Bielefeld: COMCAD.

Fawcett, James (1989): Networks, Linkages, and Migration Systems, International Migration Reviews, XXIII.

Gerdes, Felix (2007): Länderprofil Senegal, Hamburg: Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut.

Gibson, John/ McKenzie, David/ Stillman, Steven (2011): The Impacts of International Migration on Remaining Household Members: Omnibus Results from a Migration Lottery Program, The Review of Economics and Statistics, 93:4, S. 1297–1318.

Gierczynski-Bocandé, Ute (1992): Cheik Aliou Ndao, Frankfurt: Peter Lang.

Gierczynski-Bocandé, Ute (2007): Islam und Demokratie in Senegal.

Glaser, Barney/ Strauss, Anselm (1967): The Discovery of Grounded Theory. Strategies for Qualitative Research, deutsch als: Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung (1998).

Gläser, Jochen/ Laudel, Grit (2006): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Glick Schiller, Nina/ Basch, Linda/ Blanc Szanton, Cristina (1992): Towards a transnational perspective on migration: race, class, ethnicity and nationalism reconsidered, New York: New York Academy of Sciences.

Glick Schiller, Nina/ Fouron, Georges E.(1999): Terrains of blood and nation: Haitian transnational social fields, Ethnic and Racial Studies, 22: 2, S.340 – 366.

Goffma, Erving (1975): Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt: Suhrkamp.

Goldring, Luin (1996): Blurring the border: Transnational Community and Social Transformation in Mexico-U.S. Migration.

Gonzales-Ferrer, Amparo/ Baizan, Pau/ Beauchemin, Cris (2012): Child-Parent Separations among Senegalese Migrants to Europe: Migration Strategies or Cultural Arrangements? MAFE Working Paper 17.

Granovetter, Mark (1973): The Strength of Weak Ties. In: American Journal of Sociology 78, S.1360-1380.

Grasmuck, Sherri/ Pessar, Patricia (1991): Between Two Islands: Dominican International Migration, Berkeley: University of California Press.

Grau, Inge/ Hanak, Irmi / Stacher, Irene (1997): "The marriage rite is never completed". Die Entwicklung in Afrika südlich der Sahara. In: Mitterauer, Michael und Ortmayr, Norbert (Hrsg.): Familie im 20. Jahrhundert, Beiträge zur historischen Sozialkunde, Wien: Brandes und Apsel / Südwind, S.136-164.

Gubert, Flore (2005): Migrant remittances and their impact on development in the home economies. The case of Africa. In: OECD: Migration, remittances and development. Paris: OECD, S. 41-59.

Gupta, Sanjeev/ Patillo, Catherine (2009): Effect of remittances on poverty and financial development in Sub-Saharan Africa. In: World Development, 37:1, S.104-115.

Hadi, Abdullahel (2001): International migration and the change of women's position among the left-behind in rural Bangladesh, International Journal of Population Geography, Volume 7:1, S. 53–61.

Hahn, Hans Peter/ Werthmann, Katja/ Grätz, Tilo (2004): Mobilität in Afrika. Multilokale Feldforschungen. Afrika Spectrum 39(3), S.325-333.

Han, Petrus (2003): Frauen und Migration, Stuttgart.

Han, Petrus (2010): Soziologie der Migration, Stuttgart: Lucius & Lucius.

Haug, Sonja (2000): Klassische und neuere Theorien der Migration. Arbeitspapiere, Mannheim: Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung.

Haug, Sonja (2008): Migration Networks and Migration Decision-Making, Journal of Ethnic and Migration Studies, 34:4, S.585 – 605.

Held, David (1999): Global Transformations. Politics, Economic and Culture, Standford: University of California Press.

Herberle, Rudolf (1955): Theorie der Wanderungen. Soziologische Betrachtungen. In: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jg. 75, S. 1-23.

Herzberger-Fofana, Pierette: Die afrikanische Familie, 2005, Zentrale für Politische Bildung.

Hill, Paul/ Kopp, Johannes (2006): Familiensoziologie: Grundlagen und theoretische Perspektiven. VS Verlag.

Hoffmann-Nowotny (1973): Migration. Ein Beitrag zu einer soziologischen Erklärung, Stuttgart: Enke.

Human Rights Watch (2010): “Off the Backs of the Children”. Forced Begging and Other Abuses against Talibés in Senegal.

ILO (2005): Women and men migrant workers: Moving towards equal rights and opportunities.

IMF (2013): IMF Country Report No. 13/194, Senegal: Poverty Reduction Strategy Paper.

IOM (2008): World Migration Report 2008.

IOM (2014): Fatal Journeys. Tracking Lives Lost during Migration.

ITPCM (2014): International Commentary. Between Migrations to Europe and Returns.

Kouassigan, Guy (1978): Propriété foncière et développement. Tendances générales et options négro-africaines. Le village piégé, Paris: PUF, S.300.

Kröhnert, Steffen (2007): Migrationstheorien, Berlin: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Kalter, Frank (Hrsg.) (2007): Migration und Integration. Sonderheft 48 der KZfSS, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kearney, Michael (1995): The Local and the Global: The Anthropology of Globalization and Transnationalism, Annual Review of Anthropology 24, 547-565.

Klein, Thomas (2005): Sozialstrukturanalyse. Eine Einführung, Rororo.

Kuhn, Randall/ Bethany Everet/ Rachel Silvey (2011): The effects of children’s migration on elderly kin’s health: A counterfactual approach, Demography, 48(1), S.183- 209.

Kraus, Elisabeth (2014): The Link between Family Formation Dynamics and Migration. The Case of Senegalese Migrants in Europe, Boston: Population Association of America.

Lam, Theodora/ Yeoh, Brenda/ Hoang, Lan (2013): Transnational Migration and Changing Care Arrangements for Left-Behind Children in Southeast Asia: A Selective Literature Review, Singapur: Asia Research Institute.

Lauber, Wolfgang (2002): Klimagerechte Architektur in den afrikanischen Tropen. Eine Untersuchung am Vorbild der traditionellen Architektur des Regenwalds in Kamerung und der Savanne in Mali.

Lee, Everett (1966): A Theory of Migration. Demography 3.

Lerch, Anke (2001): Islam und Politik in Westafrika, Sankt Augustin: KAS.

Lévi-Strauss, Claude (1967): Die Strukturanalyse in der Sprachwissenschaft und in der Anthropologie. In: Derselbe, Frankfurt am Main: Strukturale Anthropologie I., S.43–67.

Levitt, Peggy (1998): Social Remittances: Migration Driven Local-Level Forms of Cultural Diffusion, International Migration Review, 32:4, S.926-948.

Lowry, Ira (1966): Migration and metropolitan growth: two analytical models. San Francisco: Chandler.

Lüthi, Barabara (2005): Transnationale Migration - Eine vielversprechende Perspektive? In: H-Soz-Kult.

Maathai, Wangari (2008): Die Grüngürtel-Bewegung, Steyr: Ennsthaler Verlag.

Mabogunje, Akin (1970): Systems approach to a theory of rural-urban migration: Geographical Analysis 2.

Mac Donald, John (1974): Chain Migration, Ethnic Neighborhood Formation, and Social Networks, In: Tilly, Charles (Hrsg.)(1974): An Urban World, Boston: Little, Brown and Company, S.77-98.

Mafeje, Archie (1991): The theory and ethnography of African social formations: the case of the interlacustrine Kingdoms, Dakar: Codesria Books Series.

Manning, Patrick (2007): Wanderung, Flucht, Vertreibung. Geschichte der Migration, Essen: Magnus-Verlag.

Massey, Douglas/ Durand, Jorge (1992): Mexican Migration to the USA; Latin American Research Review 27/2.

Massey, Douglas (1993): Theories of International Migration: A Review and Appraisal. Population and Development Review 19.

Massey, Douglas (1994): Migration, Segration, and the Geographic Concentration of Poverty. In: ASR 59 (1994), S.32-54.

Massey, Douglas (1997): What’s driving Mexico-U.S. Migration? A Theoretical, Empirical, and Policy Analysis, American Journal of Sociology 102.

Massey, Douglas et. al. (1998): Worlds in Motion: Understanding International Migration at the End of the Millennium, Oxford: Clarendon Press.

Meadows, Dennis (2000): Es ist zu spät für eine nachhaltige Entwicklung. Nun müssen wir für eine das Überleben sichernde Entwicklung kämpfen. In: Wilhelm Krull (Hrsg.)(2000): Zukunftsstreit, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, S.83-91.

Millennium Cities Initiative (2010): Gender needs Assessment for Louga City, Senegal, New York: MCI.

Miller, Mike/ Castles Steven (1993): The Age of Migration: International Population Movements in the Modern World, London: Macmillan.

Mincer, Jacob (1978): Family Migration Decisions, Journal of Political Economy, 86:5, S.749-773.

Moyo, Dambisa (2009): Dead Aid: Why Aid Is Not Working and How There Is a Better Way for Africa.

Nauck, Bernhard (1985): Arbeitsmigration und Familienstruktur. Eine Analyse der mikrosozialen Folgen von Migrationsprozessen, NY: Campus.

Nauck, Bernhard (1988): Sozialstrukturelle und individualistische Migrationstheorien. In: KZfSS, XL, 1988, S.67-84.

Nohl, Arnd-Michael (2006): Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen für die-Forschungspraxis, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

OECD-UNDESA (2013): World Migration in Figures.

Ong, Aihwa/ Nonini, Donald (Hrsg.) (1997): Ungrounded Empires. The Cultural Politics of Modern Chinese Transnationalism, NY: Routledge.

Oroszco, Manuel (2009): Sending Money Home to Africa, International Fund for Agricultural Development.

Oswald, Ingrid (2007): Migrationssoziologie. Konstanz: UVK-Verl.-Ges.

Park, Robert Ezra (1950): Race and Culture. Glencoe, Ill.: Free Press.

Parnreiter, Christof (1999): Migration, Symbol, Folge und Triebkraft von globaler Integration. Erfahrungen aus Zentralamerika. In: Parnreiter, Christof/ Novy, Andreas /Fischer, Karin (Hrsg.) (1999): Globalisierung und Peripherie. Umstrukturierung in Lateinamerika, Afrika und Asien. Frankfurt: Brandes und Apsel, S.122-144.

Parnreiter, Christof (2000): Theorien und Forschungsansätze zu Migration. In: Husa, Karl (Hrsg.): Internationale Migration: die globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts? Frankfurt am Main: Historische Sozialkunde, Bd. 17, S.25-52.

Parreñas, Rhacel (2005): Children of global migration: Transnational families and gendered woes. Stanford, CA: Stanford University Press.

Piore, Michael (1979): Birds of Passage: Migrant Labour in Industrial Societies. NY: Cambridge University Press.

Price, Charles (1969): The Study of Assimilation. In: J.A. Jackson (Hrsg.) (1969): Migration. Cambridge: The University Press, S.201-215.

Pries, Ludger (1997):Transnationale Migration. Sonderband 12 der Zeitschrift Soziale Welt, Baden-Baden: Nomos.

Pries, Ludger (1998): „Transmigranten“ als ein Typ von Arbeitswanderern in pluri-lokalen sozialen Räumen: Das Beispiel der Arbeitswanderungen zwischen Puebla/Mexiko und New York, Soziale Welt, 49:2, S. 135-149.

Pries Ludger (1999): Migration and Transnational Social Spaces. Aldershot: Ashgate.

Pries, Ludger (2001): New Transnational Social Spaces. International Migration and Transnational Companies, London: Routledge.

Pries, Ludger (2013): Internationale Migration. Bielefeld: Transcript.

Przyborski, Aglaja/ Monika Wohlrab-Sahr (2008): Qualitative Sozialforschung: ein Arbeitsbuch, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.

Ratha, Dilli/ Zhimei Xu (2007): „Migration and Remittances in Senegal.“ Migration and Remittances Factbook. Development Prospects Group, World Bank.

Ravenstein, Ernest (1889): Die Gesetze der Wanderung I und II; In: György Szell (Hrsg.) (1972): Regionale Mobilität. Elf Aufsätze. München: Nymphenburger Verlagshandlung, S.357-388.

Riesmeyer, Claudia (2011): Das Leitfadeninterview. Königsweg der qualitativen Journalismusforschung? In: Jandura, Olaf/ Quandt, Thorsten/ Vogelgesang, Jens (Hrsg.)(2011): Methoden der Journalismusforschung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S.223-237.

Rigg, Jonathan (2007): Moving lives: migration and livelihoods in the Lao PDR; Population, Space and Place 13(3), S.163-178.

Sall, Mohamadou et. al. (2010): International migration, social change and local governance in Ourossogui and Louga, two small urban centres in Senegal, London: International Institute for Environment and Development (IIED)

Sassen, Saskia (1991): The Global City, NY: The New York Press.

Simmel , Georg (1903): Soziologie des Raumes. In: Heinz-JürgenDahme/Otthein Rammstedt (Hrsg.)(1983): Simmel. Schriften zur Soziologie, Frankfurt: Suhrkamp, S.225-243.

Sjaastad, L. (1962): The costs and returns of human migration. The Journal of Political Economy 70 (5), S.80-93.

Smith, Robert (1997): Reflections on Migration, the State and the Construction, Durability and Newness of Transnational Life. In: Pries, Ludger (Hrsg.) (1997): Transnationale Migration. Sonderband 12 der Zeitschrift „ Soziale Welt“. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S.97-217.

Smith, Michael Peter/Guarnizo, Luis Eduardo (Hrsg.) (1999): Transnationalism from below. New Brunswick/London: Transaction Publishers.

Sorokin, Pitrim (1964): Social and Cultural Mobility. Containing Complete Reprints of Social Mobility and Chapter V from Volume IV of Social and Cultural Dynamics. London: The Free Press of Glencoe.

Sow, Mariama (2011) Auswirkungen von Migration auf familiäre Strukturen im Senegaltal. Wien: Universität Wien.

Stark, Oded (1991): The Migration of Labor, Oxford: Blackwell.

Stearing, James (2001): God Alone Is King: Islam and Emancipation in Senegal : The Wolof Kingdoms of Kajoor and Bawol, 1859-1914, Social History of Africa.

Strübing, Jörg (2004): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung (Reihe: Qualitative Sozialforschung Bd. 15), VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Suarez-Orozco, Carola/ Todorova, Irina/Louie, Josephine (2002): Making up for lost time: The experience of separation and reunification among immigrant families. Family Process 41 (4): S.625-643.

Tall, Serigne/ Tandian, Aly (2011): Cadre general de la migration international sénégalaise: historicité, actualité et perspective, Institut Universitaire Européen.

The World Bank (1996): World Development Indicators.

Todaro, Michael (1969): A Model of Labor Migration and Urban Unemployment in Less Developed Countries. The American Economic Review LIX/1.

Toyota, Mika et. al. (2007): Bringing the ‘left behind’ back into view in Asia: a framework for understanding the ‘migration–left behind nexus’, Population, Space and Place, 13:3, S.157-161.

UNDP (2012): Rapport des Suivi des OMD 2000-2012.

UNESCO (2009): Representative List of the Intangible Cultural Heritage of Humanity.

UNFPA (2005): International Migration and the Millenium Development Goals.

UNICEF (2015): State oft he World’s Children. Country Statistical Information.

UNHCR (1951): Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen.

UNHCR (2014): Senegal Factsheet.

United Nations (1998): Recommendations on Statistics of International Migration. Statistical Papers. Series M, No.58, Rev.1.

Wagner, Michael (1989): Räumliche Mobilität im Lebensverlauf: eine empirische Untersuchung sozialer Bedingungen der Migration, Stuttgart: Enke.

Wallerstein, Immanuel (1980): The Modern World-System, Bd. II: Mercantilism and the Consolidation of the European World-Economy, 1600–1750, New York: Academic Press.

Weber, Max (1922): Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, In: Winkelmann, Johannes (Hrsg.) (1988): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: Mohr, S. 475 – 488.

Wetzel, Christian/ Inglehart, Ronald/ Klingemann, Hans-Dieter (2003): The theory of human development: A cross-cultural analysis, European Journal of Political Research 42, S. 341–379.

World Bank (2010): World Development Indicators 2010. Washington, DC: World Bank.

World Bank / CRES (2011): Migration and Remittances Survey in Senegal–2009. Survey Report; Washington, DC: World Bank/ CRES.

Zandt, Maria: Zur Situation der Christen in Afrika südlich der Sahara, In: KAS Auslandsinformationen, 6/2011, S. 35-55.

8 Internetquellen

BBC (30.04.2014): Senegal's Casamance MFDC rebels declare a ceasefire. (http://www.bbc.com/news/world-africa-27221999; Zugriff am 11.06.2015).

Bundesministerium für Bildung und Forschung (2015): Allgemeine Landesinformationen: Senegal. (http://www.kooperation-international.de/buf/senegal/allgemeine-landesinformationen.html; Zugriff am 01.06.2015).

Peace Corps Senegal (2015): Louga. (http://peacecorpssenegal.org/louga/; Zugriff: 01.06.2015).

STATISTA (2015): Anzahl der Ausländer in Deutschland nach Herkunftsland (Stand: 31. Dezember 2014).(http://de.statista.com/statistik/daten/studie/1221/umfrage/anzahl-der-auslaender-in-deutschland-nach-herkunftsland/; Zugriff am 06.06.2015).

ZEIT Online (09.05.2015): Mehr als 700 Menschen ertrinken im Mittelmeer.(http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/fluechtlinge-lampedusa-unglueck; Zugriff am 05.06.2015)

9 Annex

Annex (1)

Abbildung 4: Verwaltungskarte der Republik Senegal

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, 01.06.2015

Annex (2)

Abbildung 5: Verwaltungskarte der Region Louga

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Peace Corps/ Senegal, 01.06.2015

Annex (3)

Tabelle 4: Kanäle, über die Remittances gesendet werden

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Orozco (2009).

Annex (4)

Tabelle 5: Nutzungsstatistik der Finanztransferdienstleistungsanbieter im Senegal.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Orozco/Burgess/Massardier (2010).

Annex (5)

Abbildung 6: Volumen der Remittances in den Senegal, 2001-2014

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: World Bank (2010-2014).

[...]


[1] Laut Statistik des IOM (2014) kamen seit dem Jahr 2000 bei Versuchen von Emigranten Europa zu erreichen über 22.000 Menschen ums Leben.

[2] Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat sich die Bevölkerung von 3,1 Mio. auf über 13,6 Mio. Einwohner vervierfacht. Zudem beträgt das Median-Alter im Senegal lediglich 18,4 Jahre (CIA-Factbook 2014).

[3] Die genannte Summe betrifft die Kategorie “Workers’ Remittances” des Balance of Payments Statistics (IMF 2012).

[4] Laut UNHCR gibt es derzeit 21.801 senegalesische Flüchtlinge (2014).

[5] Ursprünglich bezeichnet die Familie den Besitz eines Mannes (des pater familias), den gesamten Hausstand samt seiner Ehefrau, Kinder, Sklaven und Vieh (Hill/ Kopp 2006).

[6] Gefolgt wird die Wolof-Ethnie von den Fulbe (23,2%), den Serern (14,8%), Diolas (5,5%) und Mandinkas (4,6%) und weiteren ca. 10 ethnischen Volksgruppen des Landes (CIA-Factbook 2014).

[7] Polygynie ist eine Form der Polygamie, die es dem Mann gestattet mehrere Frauen zu heiraten. Im umgekehrten Falle wird es Polyandrie genannt.

[8] Avunkulat (avunculus lat. Muttersbruder) meint eine Familienform und gemeinschaftliche Organisationsweise, bei der der Onkel mütterlicherseits die soziale Vaterschaft für die Kinder seiner Schwester übernimmt (Lévi-Strauss 1967).

[9] Die Manden-Charta ist die älteste bekannte Menschenrechtsverfassung der Welt. Die Charta besteht aus sieben Artikeln und handelt von der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, der Gleichheit aller Lebewesen und den Schrecken von Krieg und Sklaverei, die von nun an ein Ende haben sollen. Die Manden-Charta wurde 2009 von der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) zum immateriellen Weltkulturerbe deklariert (UNESCO 2009).

[10] Insbesondere zu Zeiten des Malireiches zwischen dem 12. bis 15. Jahrhundert breitete sich der Islam durch die Tätigkeit missionierender sufistischer Mönche und arabischer Händler als Religion für die regierende Oberschicht, vor allem in den Königshäusern - wie unter dem Maliherrscher Konkou Moussa - aus. Der Islam wurde deshalb als „Prinzenreligion“ bezeichnet. Die Bevölkerung praktizierte weiterhin die afrikanischen Religionen (Gierczynski-Bocandé 2007).

[11] Die größere Personenanzahl in ländlichen Haushalten liegt neben der Polygynie-Quote auch an der Präsenz von Verwandten aus früheren Eheschließungen und an einer höheren Geburtenrate.

[12] Ausnahmen stellten vor allem die religiösen Würdenträger dar, welche die Arabische Schrift und teilweise Ajami (Wolofsprache mit arabischen Schriftzeichen) beherrschten.

[13] Die Korité markiert das Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadan.

[14] Marabouts sind einerseits die religiösen Führer der Bruderschaften und erteilen Lebensregeln, unterhalten Koranschulen, interpretieren den Koran, und andererseits weihen sie zudem Amulette und Glücksbringer. Sie werden von vielen ihrer Anhänger (talibé) als heilige Männer verehrt. Der Grand-Marabout der Mouriden (murid), derzeit Serigne Sidi Al Moukhtar Mbacke, hat seinen Hauptsitz als Khalif (xalif) in der heiligen Stadt Touba. Der Khalif ist ein direkter Nachkomme des Gründers der Mouriden, Amadou Bamba. Das Netzwerk der Beziehungen, das moralische Ansehen der Bruderschaften machen diese und infolgedessen die Marabouts zu einem gewichtigen Faktor in wirtschaftlichen und politischen Belangen (vgl. Lerch 2001).

[15] Nichtsdestotrotz gibt es nicht nuröffentliche Schule nach französischem Vorbild. Ferner gibt es sehr viele private und katholische Schulen, die dem staatlichen Curriculum folgen. Besonders katholische Schulen werden verstärkt nachgefragt, da sie eine ausgezeichnete Bildung vermitteln. Wie in der Bevölkerung sind auch bei den katholischen Schulen zwischen 70 und 90% Muslime. Viele Eltern wissen den Wert einer guten Bildung zu schätzen und schicken die Kinder in katholische Schulen. Am Sonntag und Mittwoch Nachmittag gehen sie dann in die Daara, wo sie den Koran lernen – ohne betteln gehen zu müssen. Im Rahmen der moralischen und religiösen Erziehung werden die jungen Talibé in bestimmen Daara zum Betteln geschickt und müssen am Ende des Tages bestimmte Geldbeträge (~500 CFA-Franc ≙ 75ct (28.05.2015)) an ihren Marabout entrichten (vgl. Human Rights Watch 2010).

[16] Eine verwaltungstechnische Karte des Senegal befindet sich im Annex (1).

[17] Alphabetisierung meint gemäßCIA-Factbook (2015) eine Person über 15 Jahre, die lesen und schreiben kann.

[18] Eine Verwaltungskarte der Region Louga ist im Annex (2) angehangen.

[19] Ein Paradigmenwechsel zur umfassenden Analyse aller Akteure sollte in weiterführenden größer angelegten Studien Berücksichtigung finden.

[20] Diese gewisse Sensibilität spiegelt sich in der Wahl der Transferwege der Remittances wider: 7% vertrauen das Geld zum Transport Freunden oder Verwandten an. In 85% der Fälle werden Finanztransferdienstleister wie Western Union oder MoneyGram (siehe Annex (3), (4)) genutzt (Orozco 2009). Da die Zentralbank pauschal 2% Steuern erhebt, spielen die Banken lediglich eine untergeordnete Rolle.

[21] Innerhalb von wenigen Tagen kamen im April 2015 mehr als 1000 Migranten und Flüchtlinge bei dem Versuch der Überquerung des Mittelmeers um. (ZEIT Online, 05.06.2015)

[22] Dies beinhaltet nicht zwangsläufig eine intellektuelle Sachbezogenheit und kann bspw. auch eine ortskundige Person darstellen.

[23] Aufgrund der fundamentalen Unterschiedlichkeit der wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Positionen bei Glaser und Strauss im Verständnis der GT werde ich mich in meiner Masterarbeit auf Strauss und nicht auf den induktivistischen-emergenten Ansatz von Glaser beziehen. Die simplifizierte Aussage „just do it, use it and publish it“ (Glaser 1998: 254), lässt sich nicht mit den methodologischen Vorstellungen des Autors vereinbaren, der im Sinne eines dialektischen Verfahrens von Theorie und Empirie die existierenden migrationstheoretischen Erkenntnisse in den Verfahrensprozess integrieren möchte.

[24] 12% aller Senegalesen sind gemäßUNICEF-Statistiken im Alter von spätestens 15 Jahren verheiratet (UNICEF 2015).

[25] Berufliche Gründe/Versetzung machen 7,2% aus (Gerdes 2007).

[26] Die inoffizielle Arbeitslosenquote dürfte aufgrund des informellen Sektors niedriger sein.

[27] In der südlichen Region Casamance schwelt seit 1982 der Konflikt zwischen der Regierung des Senegal und dem Mouvement des Forces Démocratiques de Casamance (MFDC) [Bewegung der demokratischen Kräfte der Casamance]. Wie bereits 2004, wurde 2014 abermals ein Waffenstillstandsabkommen zwischen dem Anführer der MFDC, Salif Sadio, und der senegalesischen Regierung geschlossen (BBC, 30.04.2014).

[28] Von 1960-1980 wurde der Senegal vom christlichen Präsidenten Leopold Senghor regiert. Trotz der verfassungsrechtlichen Legitimität des Christentums, dürfen nicht in allen Städten Kirchen gebaut werden. So gibt es in der Mouridenhauptstadt Touba weder eine Kirche noch christliche Bewohner. In der heiligen Stadt mit Sonderstatus hält der Khalif wohl alle Grundtitel und bestimmt folglich das lokale Kataster. Ebenso verhält es sich in Tivavoune, dem Sitz des Kalifen der Tidianenbruderschaft, der 1985 die Errichtung einer Kapelle verboten hatte. Tivavoune besitzt als Departements-Hauptstadt keinen religiösen Sonderstatus (Zandt 2011: 40).

[29] Die neoklassischen Ansätze der Migrationsforschung gehen davon aus, dass Migration durch unterschiedliche Lohnniveaus in verschiedenen Regionen bzw. Ländern hervorgerufen wird (Hicks 1963).

[30] Vgl. Baldwin, Georg (1970): als sogenannten overflow-Effekt beschreibt Baldwin hingegen den Brain Drain. “The less developed countries are not being stripped of manpower they badly need” (1970: 359).

[31] Als weiterer, kleinerer Handelsplatz für Sklaven diente zudem Île de Gorée, eine vor Dakar liegende Insel.

[32] Die Begrifflichkeit Aufenthaltsland ist im Pries’schen Sinne (2001: 11) wertneutral zu bewerten. Ziel ist die Abgrenzung von Begrifflichkeiten wie Zielland, Zielregion oder host country, die eine Übereinstimmung der Ankunftsregion mit dem Wunschziel, bzw. eine freundliche Aufnahme suggerieren.

[33] 2014 hielten sich in Deutschland laut Ausländerzentralregister 3.926 Senegalesen auf (Statista, 06.06.2015).

[34] Für den Schengenraum gilt das 60€ kostende Schengenvisum.

[35] Irreguläre Migration kostet je nach Reiseziel und Sicherheitsaspekt zwischen zwei bis vier Millionen CFA (3000-6000€) bzw. zwischen 400.000-500.000 CFA (600-750€) für eine Bootsüberquerung nach Europa (vgl. Sall et. al. 2010: 24).

[36] Die Arbeitslosenquote in Frankreich liegt derzeit bei 10.3% (CIA-Factbook 2015).

[37] Der Diaspora-Migrant hingegen richtet sich physisch-räumlich, eventuell auch wirtschaftlich, aber nur graduell sozial und mental in der Ankunftsgesellschaft ein und behält zugleich intensive sozial-kulturelle Bindungen zu seinem Heimatland (Pries 2013).

[38] Glick Schiller et. al. (1999: 343f.) beschreibt den Transnationalismus als „political, economic, social, and cultural processes [that] extend beyond the borders of a particular state [...] but are shaped by the policies and institutional practices [...] of states; include actors that are not states.“

[39] Reziprozität meint eine gegenseitige Verpflichtungen und Erwartungen der Akteure, die mit bestimmten sozialen Bindungen assoziiert werden und die auf einem in der Vergangenheit geleisteten Austausch oder entsprechenden Dienstleistungen basieren und einen gewissen Ausgleich „erfordern“ (Coleman 1990: 306-309 zit. nach Faist 2000: 12).

[40] Diese Frage wurde während einer kurzen Taxifahrt gestellt und als Khalifa daraufhin antwortete, nickte der Taxifahrer zustimmend und bestätigte dies ausdrücklich auf Nachfrage (IE1).

[41] In den meisten frankophonen Entwicklungsländern wurde das Prinzip der Tontines geschaffen, welches wie folgt funktioniert: Eine Gruppe von Frauen schließt sich zusammen, die jeden Monat eine vereinbarte Summe in einen gemeinsamen Fonds einzahlen (vgl. Balkenhol/Gueye1993). Im Rotationssystem erhält eine der Frauen am Ende des jeweiligen Monats den gesammelten Betrag. In Notfällen, wie dem anstehenden Kauf von Düngemitteln oder bei wichtigen Ereignissen wie einer Taufe oder Trauerfeier, wird das Geld derjenigen gewährt, die es am dringendsten braucht. Das System hat sich bewährt und ersetzt zum Teil den fehlenden Zugang zu Krediten, wie auch die Green-Belt-Movements in Kenia zeigen (vgl. Maathai 2008).

[42] Bis 1987 hießUNFPA - United Nations Fund for Population Activities; daher die geläufige Abkürzung.

[43] Der Begriff Macht lehnt sich an Webers Verständnis an, dass “Macht […] jede Chance [bedeutet], innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.” (Weber 1972: 28).

[44] Die Urbanisierungsrate beträgt im Jahr 2014 etwa 43%. (CIA-Factbook 2014).

[45] Zur Thematik der kolonialen bzw. postkolonialen afrikanischen Identität siehe Fanon, Frantz (1952): Peau noire, masques blancs. Paris: Seuil. In seinem Werk untersucht er u.a., welchen Einfluss Unterdrückung und Rassismus auf die Selbstwahrnehmung der Kolonialisierten haben. Der Autor diagnostiziert eine Selbstentfremdung.

[46] Westafrika fungiert bereits seit einiger Zeit als großer Umschlagsplatz für Drogen aus Südamerika. Irreguläre Emigranten werden teilweise als Transporteure genutzt (vgl. West Africa Commission on Drugs 2014).

[47] In der Quelle wurde der Betrag mit $2400 beziffert. Am 28.05.2015 entsprach dieser Betrag dem obigen Wert.

[48] In der Quelle wurde der Betrag mit $300 beziffert. Am 28.05.2015 entsprach dieser Betrag dem obigen Wert.

[49] In der Quelle wurde der Betrag mit 800.000 CFA-Franc beziffert. Am 28.05.2015 entsprach dieser Betrag obigen dem Wert.

[50] Eine Übersicht der Entwicklung der absoluten Remittances zwischen 2001-2014 sind im Annex (3) zu finden.

[51] Durch entsprechende Kanalisierungen der Remittances in Investitions- und Strukturprogramme könnten Remittances die originäre Entwicklungszusammenarbeit als bottom-up Investition ersetzen (vgl. Easterly 2001, vgl. Moyo 2009).

[52] In der Quelle wurde der Betrag mit $406 beziffert. Am 28.05.2015 entspricht dieser Betrag obigen Wert.

[53] In der Quelle wurde der Betrag mit $206 beziffert. Am 28.05.2015 entspricht dieser Betrag obigen Wert.

[54] Inwiefern die gescheiterten Ehen Eliane (I3) unter diesen Scheidungsgrund zu subsumieren sind, konnte nicht festgestellt werden.

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Emigration und soziale Fragen. Die Rolle der Familie im Migrationsprozess
Untertitel
Eine Betrachtung senegalesischer Familien
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Staats- und Sozialwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
93
Katalognummer
V313473
ISBN (eBook)
9783668122826
ISBN (Buch)
9783668122833
Dateigröße
1132 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Herr Schwerdt befasst sich also mit einem komplexen Fragenbündel. Es gelingt ihm jedoch souverän, mit Hilfe einer differenzierten Anwendung von Theorien, der mustergültigen Aufarbeitung einer breiten Literaturlandschaft und eigener Feldforschungen im Senegal die komplexen Fragen plausibel, engagiert und sehr gut strukturiert zu beantworten. Im Ergebnis handelt es sich um eine ausgezeichnete Studie von außergewöhnlicher Qualität.
Schlagworte
Migration, Senegal, Flüchtlinge, Emigration, Familie, left behinds, remittances, wolof, afrika
Arbeit zitieren
Alexander Schwerdt (Autor:in), 2015, Emigration und soziale Fragen. Die Rolle der Familie im Migrationsprozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313473

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Emigration und soziale Fragen. Die Rolle der Familie im Migrationsprozess



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden