Männliche Vorbilder im frühkindlichen Erziehungs- und Bildungsbereich


Bachelorarbeit, 2013

47 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Männer in der frühkindlichen Erziehung und Bildung
Retrospektive
Gegenwärtige Situation
Ausblick

Der Dritte: Männer im Rollengefüge der Familie
Entwicklungsaufgabe Triangulierung
Der Dritte
Vaterabwesenheit
Vaterbilder

Der Erzieher: Männer in der Elementarpädagogik
Chancen und Kompensation durch männliche Erzieher
Männliche Vorbilder
Geschlechtsspezifische Sozialisation

Männer in KiTas
Aktuelle Situation
Gründe, Ängste und Vorurteile
Initiativen & Modellprojekte

Fazit

Literatur

Einleitung

Als männlicher Student der Erziehungswissenschaften, kommt es an deutschen Universitäten nicht selten vor, dass man als Mann im Seminar, in einer Übung oder einer Vorlesung der „Hahn im Korb“ oder zumindest einer von wenigen ist. Tatsächlich fällt auf, dass die Anzahl weiblicher Studierender in diesem Fachbereich weit höher ist, als die der männlichen Kommilitonen. Absolviert man im Laufe des Studiums zudem noch ein studienbegleitendes Praktikum, beispielsweise in einem Kindergarten oder einer Krippe, spitzt sich diese Situation sogar noch zu und es kann passieren, dass man als Einziger seines Geschlechts in der gesamten Einrichtung schon beinahe einen Exoten darstellt. Schnell hört man von Eltern oder anderen Erzieherinnen Bemerkungen, wie sehr es sie freue, dass sich endlich auch mal ein Mann um ihre Kleinen kümmere und dass es überhaupt viel mehr von dieser Sorte geben müsse, das fänden besonders die Jungs immer so toll, wenn sie einen Großen zum toben und Fußballspielen haben und überhaupt kümmerten sich Männer ja viel zu wenig um Kinder und die Erziehung. Offensichtlich sind Männer in der Pädagogik also rar und in der Elementarpädagogik überdies sogar verschwindend wenige ihrer Gattung und das obwohl doch alle scheinbar so begeistert davon sind,wenn mal ein Mann im Kindergarten arbeitet. Im Rahmen meines Studiums bin ich eben diesen Situationen unzählige Male begegnet und darüber hinaus als Babysitter, Jugendleiter und Au-pair noch etlichen mehr. So kommt es zuweilen auch vor, dass man insbesondere von anderen Männern skeptisch beäugt oder gar belächelt wird, wenn diese erfahren, dass man in solchen Bereichen tätig ist und Frauen einen auch schon mal fragen,ob man denn schwul sei, weil heterosexuelle Männer so etwas doch normalerweise nicht machen würden. Für mich, der mit einem selbstständigen, von Zuhause aus arbeitenden Kinderbuch-Illustrator als Vater aufwuchs, der mindestens genauso häufig kochte wie meine halbtags arbeitende Mutter und mir und meinen Geschwistern meiner Erinnerung nach ebenso viel Zeit wie sie widmete, eine völlig normale Sache. Schließlich habe ich schon früh am Vorbild meiner Eltern gelernt, dass beide Elternteile sich um Haushalt und Erziehung kümmern können und keine dieser Aufgaben einer traditionellen,geschlechtsbezogenen Rollenverteilung unterstehen muss. Dementsprechend normal erschien es mir auch als Mann pflegerische und erzieherische Tätigkeiten nicht nur privat, sondern auch beruflich machen zu können, zumal ich überzeugt war, dass auch Männer für die Erziehung und Betreuung von Kindern sowie für ihre Entwicklung wichtig sein müssen. Aus diesem Grund traf meine Wahl zu einem Thema für diese Bachelorarbeit auf männliche Vorbilder in der frühkindlichen Erziehung und Bildung. Wie wichtig sind Männer bzw. männliche Vorbilder für die frühkindliche Entwicklung und welche Relevanz haben sie diesbezüglich innerhalb des Erziehungs- und Bildungsbereichs? Und welche Auswirkungen hat es in diesem Zusammenhang auf Kinder, wenn der Vater eher in einem distanzierten Verhältnis zu ihnen steht oder gar völlig abwesend ist? Kann in solchen Fällen eine männliche Bezugsperson in Kindertagesstätten (im Folgenden abgekürzt mit „Kitas“) Abhilfe schaffen und gibt es überhaupt einen Bedarf an solchen? Die Forderung nach mehr Männern in der Elementarpädagogik wurde in den letzten Jahren zunehmend lauter und dennoch ist man sich über die Begründung bislang nicht vollends einig. Nicht selten werden Argumente angeführt, die unreflektiert und von Geschlechtsstereotypen geprägt, aber nicht wissenschaftlich fundiert sind. Sie beruhen teilweise auf sehr individuellen Erfahrungen und Prägungen und bieten daher kaum eine geeignete Grundlage für eine konstruktive Diskussion. Überdies entsteht dadurch hinsichtlich der bisherigen zahlenmäßigen Dominanz weiblicher Fachkräfte in diesem Bereich bei manchen der Eindruck, es handle sich hierbei nicht nur um männliche Fachkräfte als Ergänzung, sondern als Verbesserung der defizitären Fremdbetreuung durch Frauen. So wird schon länger über Jungen als sogenannte „Bildungsverlierer“ gegenüber weit erfolgreicherer Mädchen im Schul- und Bildungswesen diskutiert und „Streitschriften“ wie „Jungen als Bildungsverlierer – Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen?“ von Hurrelmann und Schultz (2012; zit. nach Cremers u.a. 2012, 9) implizieren dabei hinsichtlich der weiblich geprägten Bildungs- und Erziehungslandschaft eine Schuldfrage, die hier tätige Frauen und ihre Professionalität an den Pranger stellt. Offensichtlich hat das aufkommende Interesse an Männern in der Elementarpädagogik mit einem Forschungsdefizit zu kämpfen, welches eine mitunter geschlechtergerechtigkeitsorientierte Forderung schnell zur Kontroverse werden lässt, Männer idealisiert und Frauen diskriminiert und infolgedessen das bewirkt, was eben dadurch verhindert werden könnte – eine Geschlechterdiskrepanz.

Im Folgenden fiel die Entscheidung zur inhaltlichen Gestaltung dieser Arbeit in Anbetracht der verschwindend geringen Anzahl an Forschungsarbeiten und ihrer teilweise wesentlichen Differenzen hinsichtlich ihrer Ergebnisse zur Auswirkung männlicher Fachkräfte in der Elementarpädagogik auf die Entwicklung, Erziehung und Bildung von Kindern darauf, das „Pferd“ sprichwörtlich „von hinten aufzuzäumen“. Folglich soll sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit zunächst mit Vätern, ihren Einflüssen auf die kindliche Entwicklung durch Erziehung und Bildung, sowie ihrer Platzierung im Rollenspektrum von Familie und Erziehung beschäftigt werden. Besonders Letzteres soll Aufschluss geben, daesdurch die Pluralisierung familiärer Lebensformen junge Männer zunehmend schwer haben, ihre Rolle im Familienleben zu finden. Traditionelle Rollenmuster scheinen nach gesellschaftlichem Konsens bereits ausgedient zu haben, während Medien und Öffentlichkeit verstärkt Anforderungen an einen „Neuen Vater“ vermitteln, der sich partnerschaftlich verhält und sich in Erziehung und Haushalt betätigt. Das bietet zwar einerseits neue Chancen einer anderen Lebensgestaltung, nimmt aber auch gleichzeitig das von Großeltern- und Elterngenerationen durch Rollenmuster vorgelebte Selbstverständnis von innerfamiliärer Arbeitsteilung. Angehende Väter, aber auch Mütter verfügen also aktuell oftmals über kein klares Orientierungsmuster mehr (Bambey, Gumbinger 2006, 26f.). Diese Situation verschärft sich noch, wenn man bedenkt, dass aufgrund zunehmender Vaterlosigkeit vieler Kinder eine vorgelebte innerfamiliäre Arbeitsteilung und dadurch vermittelte Rollenmuster generell ausbleiben und auch in Einrichtungen eine zwecks Männermangel fehlende Identifikation besteht.

Diese Herangehensweise soll nicht nur eine schlichte Herleitung männlichen Einflusses auf die frühkindliche Entwicklung, Erziehung und Bildung darstellen. Sie soll die komplexen Zusammenhänge und ihr pädagogisches Potenzial aufzeigen, die zwischen männlichen Vorbildern in Familie und Institution herrschen. Sie soll Hinweise liefern, um im Weiteren Schlüsse ziehen zu können, welche Bedeutung und Notwenigkeit männliche Vorbilder im professionellen Bereich frühkindlicher Erziehung und Bildung einnehmen können, insbesondere wenn der Einfluss des Vaters defizitär ist oder gar fehlt. Dabei sollen Männer nicht idealisiert und als „Retter der Elementarpädagogik“ oder Revoluzzer einer eingefahrenen Situation, die sie mitunter selbst zu verschulden haben dargestellt werden, sondern als sinnvoller, ergänzungswürdiger Teil einer geschlechterheterogenen, egalitären Erziehungs- und Bildungsumgebung im privaten,wie auch professionellen Bereich, die sich dem Zeitgeist einer sich wandelnden Gesellschaftsowieihrer Werte und Normen anzupassen versucht.

Männer in der frühkindlichen Erziehung und Bildung

Retrospektive

Um die Diskussion und die Entwicklung innerhalb der letzten Jahre bezüglich männlicher Teilhabe an frühkindlicher Erziehung und Bildung auf familiärer und institutioneller Ebene, um die es in dieser Arbeit gehen soll, besser nachvollziehen zu können, empfiehlt es sich, diese zu Beginn noch einmal retrospektiv zu betrachten. Besonders auf institutioneller Ebene gestaltet sich dies jedoch aufgrund des erheblichen Forschungsdefizits als besonders schwierig. Grund dafür ist die Tatsache, dass noch bis Ende des letzten Jahrhunderts in den meisten Ländern die professionelle frühkindliche Betreuung und Erziehung fast ausschließlich Frauen vorbehalten war (Andrä, u.a. 2012, 152) undessomit weder Ansätze gab, männliche Einflüsse in der frühkindlichen Erziehung und Bildung zu untersuchen, noch die Möglichkeit bestand, eine annährend angemessene Anzahl geeigneter Probanden zu finden um diesbezügliche Erhebungen zu unternehmen. Umso paradoxer erscheint es, dass ausgerechnet die Anfänge außerfamiliärer Betreuungsangebote durch männliche Betreuer erfolgten. So wuchs im Zuge der zunehmenden Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, durch die wachsende Landflucht, sowie die Arbeitsaufnahme proletarischer Frauen, die Notwendigkeit eines außerfamiliären Betreuungsangebots, da es aus bürgerlicher Sicht moralisch nicht vertretbar war die eigenen Kinder sich selbst zu überlassen, während die Eltern in den Manufakturen ihren Lebensunterhalt erarbeiteten (Kasiske, u.a. 2005, 16). Dieses Angebot übernahmen die noch aus feudalen Zeiten bekannten Verwahranstalten, die zunächst aber nur eine reine „Einschluss- und Versorgungsfunktion“ (ebd.) hatten und aus diesem Grund bezeichnender Weise von Männern geführt wurden. Erst als sich eine neu aufkommende Arbeitsdisziplin abzeichnete und infolgedessen das Konzept jener Anstalten sich von der bloßen Verwahrung und Versorgung hin zu einem Erziehungsauftrag zu wandeln begann, nahmen die ersten Frauen um 1840 als sozialpädagogisch geschulte Kindergärtnerinnen Einzug in die außerfamiliäre Kinderbetreuung (Kasiske, u.a. 2005, 16). Da die Anzahl der pädagogisch ausgebildeten Frauen dem steigenden Bedarf aber nicht gerecht wurde und es weiterer Kräfte für die Verwahrung der Kinder bedurfte, entstand 1925 mit der Ausbildung der ursprünglichen Betreuer der Verwahrungsanstalten zu sogenannten Heimerziehern,der erste erzieherische Ausbildungsberuf für Männer (ebd.). Zwar sollte diese frühe Renaissance des Mannes innerhalb der außerfamiliären Betreuung nicht von Dauer sein, doch stellt jene Entwicklung ihn, trotz der Übernahme des Bereichs durch weibliche Kräfte, erstmals als relevant für die aufkommende institutionelle Kinderbetreuung dar. Neben den weiblichen Kindergärtnerinnen, deren Leitbild das einer „verständnisvollen, treusorgenden, musisch begabten und mehr gefühlsmäßig handelnden Mutter“ war (Bundesanstalt für Arbeit 1994; zit. nach Kasiske 2005, 17), hatte die Daseinsberechtigung seitens der Männer jedoch nur wenig Bestand. Einer Vergeschlechtlichung des Berufs durch die Erzieherin im „Geist der Mütterlichkeit“ (ebd.) , hatte der Mann vorerst nichts mehr entgegenzusetzen. Trotz der darauf folgenden Professionalisierung des erzieherischen Berufs durch wissenschaftlich fundierte, standardisierte Maßstäbe in der Ausbildung und dem damit zur Disposition stehenden „Geist der Mütterlichkeit“, besteht die stille Annahme der Existenz eines solchen noch bis heute und trägt mitunter dazu bei, dass der Männeranteil in Erziehungsberufen noch immer verschwindend gering ist (Kasiske 2005, 17).

Das in der heutigen Diskussion vorherrschende Bild zur Relevanz männlicher Arbeitskräfte in Erziehungsberufen ist zwar viel komplexer und macht im historischen Vergleich weit mehr Zugeständnisse an die erzieherischen Kompetenzen der Männer, als sie lediglich als kompetente Verwahrer zu betrachten, trotzdem lässt sich jenes damalige Verständnis eines männlichen Erziehers in seinen Grundzügen gerade in der Praxis auch heute noch vereinzelt beobachten. Besonders männliche Neueinsteiger werden zu Beginn ihrer Anstellung mit praktischen Aufgaben betraut und sollen vornehmlich die wilden, tobenden Jungs im Zaum halten, um den Erzieherinnen mehr Raum für pädagogische und bildende Maßnahmen zu verschaffen (Neubauer 2005, 237 u. 243). Ob dieses Phänomen im Zusammenhang mit der noch jungen, intensiven Auseinandersetzung mit Männern in der frühkindlichen Erziehung und Bildung steht oder aber andere Gründe hat, soll im weiteren Verlauf noch geklärt werden. Tatsache jedoch ist, dass jene Auseinandersetzung und die damit einhergehende Forderung nach mehr Männerbeteiligung verstärkt Zuspruch in der Gesellschaft und Politik erfährt, obwohl von einem „eklatanten Mangel an Untersuchungen über den Einfluss professioneller Erziehung und Bildung durch Männer auf die Entwicklung von Kindern gesprochen werden [kann; Anm.d.V.]“ (Aigner, u.a. 2010; zit. nach Andrä, u.a. 2012, 152). Woher diese Forderungen also kommen, bleibt somit auch nach Betrachtung der historischen Entwicklung der professionellen Elementarpädagogik weiter undurchsichtig und legt nahe, den Blick auf die Eltern- und insbesondere die Vaterforschung zu richten. Auch in der familiären Erziehung und Bildung werden seit einigen Jahren Forderungen nach einer stärkeren Männerbeteiligung laut, was die Frage nach einer Verbindung aufwirft. Wie relevant sind Männer bzw. Väter in diesem Bereich? Auch hier hat sich das Bild im Laufe der Zeit verändert, dennoch finden sich, wie im Folgenden deutlich gemacht werden soll, auch in diesem Fall Einflüsse, die noch heute von Bedeutung sind und Hinweise liefern, woher die Forderungen nach mehr Männern in der Erziehung und Bildung kommen.

Vaterrollen, so Matzner (2004; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 17) sind „soziale, kulturelle und ideologische Konstrukte, deren Inhalte sich immer wieder verändern“. Dass diese Veränderungen keineswegs geradlinig verlaufen und überdies immer in Abhängigkeit zur Dynamik familiärer Strukturen gesehen werden müssen (Mühlhausen u.a. 2007, 17 u. 23) , darf bei ihrer Betrachtung nicht vollends außer Acht gelassen werden. Dennoch gibt es gewisse Muster, „wie innerhalb einer bestimmten Epoche und Kultur über Väter und Vaterschaft gedacht, gesprochen und geschrieben wurde“ (2004; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 17), die eine vereinfachte Darstellung einer Entwicklung der Vaterrolle im Laufe der Zeit ermöglichen. So galt vor der Industrialisierung der Vater im Rahmen einer großen, familiären Hausgemeinschaft als Hausherr, welcher für Recht und Ordnung Sorge trug (Walter 2002; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 23) und die absolute Autorität gegenüber allen Familienmitgliedern besaß. Infolgedessen war er überdies allerdings auch dazu verpflichtet, vielfältige Aufgaben und Verantwortungen zu übernehmen (Matzner 2004; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 24) und war somit nicht allein Autoritätsperson, sondern auch durchaus liebevoller, engagierter Vater, der „mit seinen Kindern betete, spielte, sie unterrichtete und sie betreute, wenn sie krank waren“ (ebd.). Seine Aufgabe bestand somit nicht allein in seiner Funktion als Familienoberhaupt, sondern auch im väterlichen Beitrag zur Erziehung und Sozialisation seiner Kinder, welche zu jener Zeit hoch bewertet wurde (ebd.). Insbesondere seine Beziehung zu den eigenen Söhnen, war aus ökonomischen Gründen, anders als heute, von entscheidender Wichtigkeit (Fthenakis 1999; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 24). Im Zuge der Industrialisierung schließlich, erfuhr die Rolle des Vaters durch den familiären Wandel zur traditionellen bürgerlichen Familie einen Rückzug aus dem emotionalen Familienleben. Die väterliche Relevanz bestand, bedingt durch die traditionelle Arbeitsteilung, fortan in seiner Funktion als Ernährer und Beschützer der Familie (ebd.). Die Tätigkeit des Vaters bestimmte somit maßgeblich die Lebensumstände der gesamten Familie und seine Autorität begründete sich zunehmend nur noch auf außerfamiliäre, materielle Ressourcen wie Besitz und Karriere. Die Familie galt schließlich nur noch als Rückzugs- und Erholungsort des Vaters vom Beruf, weshalb er sich nicht länger um familiäre Belange kümmerte (Mühlhausen u.a. 2007, 24). Leistungswillen, Statusstreben und Erfolg, galten fortan als Maßstab des Vaterbilds (Drinck 2005; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 24). Gefühle den eigenen Kindern gegenüber zu zeigen, geriet zum Risiko für die Autorität (Matzner 2004; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 24). Die Rolle des Vaters hinsichtlich der Erziehung seiner Kinder, insbesondere seiner Söhne, bestand demnach nur noch in seiner Funktion als „oberster Normenvollstrecker“ (ebd.). Dieses Bild begann sich jedoch nach Ende des zweiten Weltkriegs zu wandeln. Durch den Verlust vieler Männer und Familienväter und der kriegsbedingten Armut, lockerte sich die traditionelle Arbeitsteilung allmählich und so begannen auch Frauen vermehrt am Berufsleben teilzunehmen. Anfangs noch zögerlich doch im Zuge der Sechziger- und Siebzigerjahre und mit erheblicher Unterstützung durch die Emanzipation der Frauen, wurde die Rolle des Ernährers in einigen Familien zunehmend geteilt. Durch die damit einhergehende Übernahme männlicher Aufgaben seitens der Frau, relativierte sich das bisherige Argument vieler Männer, sich aufgrund ihrer Berufstätigkeit nur wenig in der Familie und im Haushalt engagieren zu können (Mühlhausen u.a. 2007, 24). Folglich wurde die Forderung nach ihrem diesbezüglichen Beitrag laut. Die Rolle des Mannes bzw. Vaters als Ernährer der Familie hatte somit vorwiegend ausgedient (Fthenakis 1999; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 24). Walter (2002; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 25) geht sogar soweit zu sagen, dass das veränderte Familienklima zum Autoritätsverlust des Vaters innerhalb der Familie beitrug und der Gehorsam seiner Kinder von einer neuen Selbstständigkeit abgelöst wurde. Somit stellten sich verstärkt Männer für die Übernahme häuslicher Pflichten in der Familie zur Verfügung und bemühten sich vermehrt um positive, emotionale Beziehungen zu ihren Kindern (Fthenakis 1997; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 25). Diese Entwicklung dauert bis heute an und erlebt mit der gegenwärtigen Diskussion um die verstärkte Beteiligung von Männern in der frühkindlichen Erziehung und Bildung möglicherweise eine weitere Entwicklungsstufe.

Gegenwärtige Situation

Bedenkt man, dass diese früheren Rollenbilder zum Teil auch gegenwärtig noch präsent sind und eine eindeutige Definition der Vaterrolle somit auch heute noch nicht besteht, sich aber mit teils stark gegensätzlichen Ansätzen konfrontiert sieht, kommt man der Beantwortung der Frage nach den aktuellen Forderungen einer verstärkten Männerbeteiligung an familiärer und institutioneller frühkindlicher Erziehung mitunter ein ganzes Stück näher. Diese historischen Entwicklungen haben in vielerlei Hinsicht dazu beigetragen, dass heutige Väter mit erheblichen Unsicherheiten ihre Rolle betreffend zu kämpfen haben. Entwickelten heutige Eltern, als Kinder berufstätiger Mütter und in der Familie engagierter Väter beispielsweise ähnliche Erwartungen an ihre eigene Elternschaft, so unterscheiden sich diese zum Teil immens von solchen, die als Kinder traditioneller Väter und infolgedessen ohne geeignetes Vorbild aufwuchsen (Mühlhausen u.a. 2007, 26).

„Beispielsweise hat sich gezeigt, dass Männer, die unter der Obhut eines engagierten Vaters aufgewachsen sind, selbst mehr in das Familienleben involviert sind, mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, mehr Wärme zeigen und den kindlichen Verhaltensweisen und Aktivitäten mehr Aufmerksamkeit schenken, als Männer ohne diese Erfahrung“ (Hofferth, 1999; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 26).

Das Bild eines engagierten Vaters fand innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte zunehmend Beachtung in den Medien und der Öffentlichkeit und wurde somit auch zum Thema von Wissenschaft und Politik (Mühlhausen u.a. 2007, 25). Somit erfuhr die Vorstellung einer verstärkt egalitären Partner- und Elternschaft und eines engagierten, liebevollen Vaters bis heute eine steigende gesellschaftliche Akzeptanz mit Vorbildfunktion.

„Insgesamt besteht kein Zweifel darüber, dass verstärkte Partnerschaftlichkeit bei der Aufteilung der Familienarbeit auch der Vater-Kind-Beziehung zugute kommt“ (Werneck 1998; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 25).

Diese „sanfte Revolution im Vaterschaftskonzept“ untermauerten Fthenakis und Minsel (2001; zit. nach Mühlhausen u.a. 2007, 26f.) mit dem Ergebnis einer Erhebung, welches belegte, dass rund zwei Drittel der Männer, Frauen und Jugendlichen die Erzieherrolle inzwischen für wichtiger als die klassische Ernährerrolle hielten. Eine an sich sehr wünschenswerte und zu befürwortende Entwicklung, welche jedoch mit Hindernissen zu kämpfen hat. So hat sich bei der Gegenüberstellung von Idealvorstellungen, Intentionen und Erwartungen an die Vaterschaft und egalitäre Partner- und Elternschaft zu dem faktischen Engagement seitens der Väter eine starke Diskrepanz gezeigt (Mühlhausen u.a. 2007, 26). Verantwortlich dafür ist das Auftreten des Traditionalisierungseffekts, der häufig bei Familien nach der Geburt ihres ersten Kindes zu beobachten ist und sich darin äußert, dass sich trotz der neuen Idealvorstellungen einer egalitären Elternschaft eine traditionelle Form der Aufgabenteilung etabliert und der Mutter zum Großteil die familiären Aufgaben überlässt (Mühlhausen u.a. 2007, 27). Die Realisierung des neuen Vaterschaftskonzepts und der diesbezüglichen individuellen Absichten junger Erwachsener auf Verhaltensebene, erweist sich also offensichtlich als schwierig und noch immer von traditionellen Verhaltensmustern bezüglich der Rollenaufteilung beeinflusst (ebd.). Ein möglicher Grund hierfür könnte darin bestehen, dass mit der Theorie des neuen Vaterschaftskonzepts zwar eine breitere, gesellschaftliche Akzeptanz erreicht wurde, es aber nach wie vor an ausreichend geeigneten Rollenvorbildern mangelt, welche die Sozialisation zukünftiger Mütter und Väter insbesondere auf der diesbezüglichen Verhaltensebene vorantreibt. Ein Grund, der mitunter auch für die Forderung nach mehr männlicher Beteiligung in der frühkindlichen Erziehung und Bildung verantwortlich und gleichzeitig unter anderem mögliche Ursache für den geringen Anteil männlicher Erzieher und dem ihnen entgegengebrachten Misstrauen bezüglich ihrer Kompetenzen ist (vgl. 7).

Ausblick

Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage, lässt sich vermuten, dass eine verstärkte Umsetzung egalitärer Erziehungskonzepte auf der Verhaltensebene ein Leitbild erzeugt, dem nicht nur auf ideologischer Ebene nachgeeifert werden kann, sondern das durch frühkindliche Prägung praktische Handlungsmuster vermittelt und das Misstrauen hinsichtlich männlicher Kompetenzen in der Erziehung sukzessiv abbaut. Dabei stellt sich auch die Frage, warum eine egalitäre Erziehung überhaupt von Bedeutung ist. Lässt sich der naheliegende Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit zum einen zwar als ein klares Hauptargument identifizieren, so ist es doch nicht das Einzige. Darüber hinaus geht es auch um die männlichen Einflüsse in der Erziehung und Bildung, sowie den daraus resultierenden, potentiellen Gewinn für die kognitive Entwicklung des Kindes und seiner Sozialisation. Doch wie viel Einfluss haben männliche Rollenvorbilder auf die Entwicklung und Sozialisation unserer Kinder überhaupt und wie sollen insbesondere Väter diese Entwicklung vorantreiben, wenn die Zahl alleinerziehender Mütter derartig hoch bleibt und die Abwesenheit der Väter eine scheinbar schwer zu schließende Lücke hinterlässt? So ließ das statistische Bundesamt vergangenes Jahr verlauten, dass bereits jede fünfte Mutter ihre Kinder alleine großzieht und ihr Anteil innerhalb der letzten zehn Jahre somit von 14% auf 18% anstieg (o.A. 2012, 1). Eine Option, diese dadurch entstehende Lücke zwar nicht vollständig zu schließen, aber die daraus resultierenden Konsequenzen, wie die bereits beschriebene Unsicherheit der Rollenidentifikation junger Väter, bestmöglich zu kompensieren, läge möglicherweise in der Förderung des Anteils männlicher Erzieher in der institutionellen, frühkindlichen Erziehung und Bildung. So könnte diese allerdings nur als Ergänzung dienen, wobei jedoch folgendes nicht außer Acht gelassen werdendarf:

„Professionelles Erziehungshandeln lässt sich ebenso wenig auf ,Väterlichkeit als Beruf‘ verengen wie auf ,Mütterlichkeit als Beruf‘. Pädagogisches Handeln erfordert im professionellen Bereich vielmehr andere Bezugspunkte als in der Familie. Während im familiären Kontext die besondere Nähe zum eigenen Kind, spontane Kommunikationsweisen und intuitives Einfühlungsvermögen Grundlage des Handelns sind, sind es im professionellen Bereich Fachwissen und geschultes Kommunikations- und Einfühlungsvermögen. Insofern ist eine schlichte Übertragung von Ergebnissen psychologischer Eltern- und Vaterforschung auf professionelles Erziehungsverhalten nicht möglich - dennoch lassen sich hieraus ... zumindest allgemeine Hinweise darauf gewinnen, ob bzw. inwiefern sich Männer und Frauen in ihrem Umgang mit Kindern unterscheiden“ (Andrä u.a. 2012, 153).

Auf diese Weise ist es möglich zu Anhaltspunkten zu gelangen, die weitere Schlüsse zur Funktion männlicher Rollenvorbilder auf familiärer sowie institutioneller Ebene zulassen. Aus diesem Grund soll diese Herangehensweise den weitern Verlauf der Arbeit bestimmen und die genannten Teilaspekte eingehender untersucht werden.

Der Dritte: Männer im Rollengefüge der Familie

Entwicklungsaufgabe Triangulierung

Ein Kernthema der psychoanalytischen Eltern- und Vaterforschung ist die sogenannte Triangulierung, die mitunter als maßgeblich für eine gesunde Entwicklung des Kindes sowie darüber hinaus wesentlich für die psychische Gesundheit der Eltern ist. Ihr Entwicklungsverlauf, der bereits vor Geburt des Kindes beginnt, definiert die Dreiecksbeziehung von Vater, Mutter und Kind, sowie das weitere Beziehungsverständnis des Kindes, welches Einfluss auf seine gesamte Lebensbiografie hat. Die Thematik der Triangulierung näher zu betrachten eignet sich somit besonders zur Klärung der Frage nach der Wichtigkeit von Männern in der frühkindlichen Erziehung und Bildung und birgt darüber hinaus noch weitere wichtige Aspekte, welche die Perspektive diesbezüglich noch erweitern.

So beginnt das Leben eines Menschen mit der symbiotischen Verbindung zwischen Mutter und Kind während der neunmonatigen Schwangerschaft und zeichnet sich auch nach der Geburt, während der Stillzeit in der engen Mutter-Kind Dyade ab. Der Vater des Kindes fungiert als dritte Variable und ebnet seinem Kind in der frühkindlichen Triangulierung den Weg aus der vertrauten Dyade nach außen (Voos 2012, 1).

„Im Rahmen des entwicklungspsychologischen Triangulierungskonzeptes wird der leibliche anwesende Vater als der Dritte angenommen, der dem Kind dazu verhilft, die Enge der Mutter-Kind-Dyade zu überschreiten und sich der gesellschaftlichen Realität anzunähern“ (Dammasch u.a. [2013], 8).

Durch diesen Prozess, lernt das Kind, dass eine sichere Trennung von der Mutter möglich ist und es im Vater eine geeignete Zuflucht finden kann, was bewirkt, dass sich die Zweiersituation zwischen Mutter und Kind entspannt und der Schutz des Vaters als „rettender Dritter“ eine andauernde enge Beziehung zur Mutter ermöglicht (Voos 2013, 1). „Diese Bedeutung des ,Dritten‘, der für Entspannung und Schutz sorgt, ist ein Leben lang eine wichtige Vorstellung“ (ebd.). Mit der innerlichen Triangulierung des Kindes, seiner Vorstellung nach einen Dritten Pol zu haben, verschafft es sich Abstand und Trost, sowie Raum zum Spielen, Bewegen und Ausprobieren. Dadurch entstehen vielfältige Fähigkeiten wie Neugier, sich Neuem zuwenden zu können und Neues zu lernen, aber auch sich aus alten Beziehungen zu lösen und neue Kontakte herzustellen (ebd.).

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Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Männliche Vorbilder im frühkindlichen Erziehungs- und Bildungsbereich
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
47
Katalognummer
V313243
ISBN (eBook)
9783668125629
ISBN (Buch)
9783668125636
Dateigröße
912 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
männliche, vorbilder, erziehungs-, bildungsbereich
Arbeit zitieren
Jonas Nyncke (Autor:in), 2013, Männliche Vorbilder im frühkindlichen Erziehungs- und Bildungsbereich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313243

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