"Friedrich und die große Koalition" von Thomas Mann als Apologetik für den deutschen Einmarsch in Belgien 1914


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

21 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

ENTSTEHUNG UND ÜBERLIEFERUNG

STRUKTUR UND ARGUMENTATIONSLINIEN

METHODE

KINDHEIT UND THRONBESTEIGUNG

SCHLESIEN, FRAUEN, FREUND UND FEIND

NOTWEHR

SCHLUSSBETRACHTUNG

LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie am 28. Juni 1914 setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, an deren Ende nach Ablauf verschiedener Ultimaten, nach Kriegserklärungen und dem Einsetzen von Bündnisverpflichtungen schließlich der Ausbruch des 1. Weltkriegs stand.

In die allgemeine Kriegsbegeisterung beim Ausbruch des Krieges stimmt auch Thomas Mann ein, wie viele andere Künstler auch.[1] Bei einem Blick auf die Biographie des Schriftstellers verwundert dies erst einmal, denn bis zu diesem Augenblick hat sich Thomas Mann mit politischen Äußerungen zurückgehalten. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass ihm Politik bzw. politische Betätigung durchaus zuwider und mit der Eigenidentifikation als Künstler nicht konform waren.[2] Er selbst hat sich einige Jahre früher als Person bezeichnet, die „[…] mit ganz zweifellosen Überzeugungen nicht sehr reich gesegnet[…]“ sei.[3]

Hermann Kurzke legt in seiner im Jahre 2000 erschienenen Biographie Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk die Gründe für den Gesinnungswechsel anschaulich dar.[4] Als einen wesentlichen Grund sieht Kurzke die Überwindung einer Schaffenskrise, die den Autor befallen hatte. So wurde auch die 1913 begonnene Arbeit an dem Werk, das erst 1924 als Der Zauberberg erscheinen sollte, für mehrere Essays unterbrochen, die sich thematisch mit dem Ausbruch des Kriegs, der Rolle Deutschlands in der Welt und den Aufgaben des Künstlers im Krieg beschäftigten. Von Schaffenskrise scheint nach August 1914 dann auch nicht mehr die Rede zu sein, denn in kurzer Abfolge erscheinen nach den Gedanken im Krieg, die Gute Feldpost und einem Brief An die Redaktion des »Svenska Dagbladet«, Stockholm auch der Essay Friedrich und die große Koalition. Ein Abriß für den Tag und die Stunde. [5] Die Arbeit daran beginnt gleich nach Kriegsbeginn im August 1914 und wird bis in das Frühjahr 1915 weitergeführt.[6] Sie erscheinen in der Neuen Rundschau des S. Fischer Verlags (Gedanken im Krieg) und in Der Neue Merkur (Friedrich und die große Koalition), werden 1915 dann aber in gesammelter Form noch einmal in einem kleinen Essayband veröffentlicht, der den Namen des letztgenannten Essays trägt.[7]

Warum sich Thomas Mann sich nun gerade dem Preußenkönig Friedrich II. zuwendet, scheint nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Tatsächlich aber hat Mann schon länger den Plan, spätestens ab 1905, einen Roman über den Herrscher zu schreiben.[8] Der Stoff wird ihn noch einige Zeit begleiten, jedoch gerät die Arbeit daran bald ins Stocken. In einer Art „literarischer Resteverwertung“ taucht das Roman-Projekt dann aber doch noch wieder auf: Gustav von Aschenbach wird in Der Tod in Venedig (1912) als „[d]er Autor der klaren und mächtigen Prosa-Epopöe vom Leben Friedrichs von Preußen […]“ vorgestellt.[9]

Die politischen Positionen und Überlegungen zur Funktion von Kunst in dem gerade begonnenen Krieg werden von Mann dann anschließend in den Betrachtungen eines Unpolitischen in einem größeren Umfang wieder aufgenommen, erweitert und erläutert.[10] All diese Überlegungen finden ihren Eingang in die Literatur: Thomas Mann arbeitet diese in den Roman Der Zauberberg ein.[11] Zu dieser Zeit hat sich Mann bereits von den sehr konservativen Ansichten der o.g. Essays distanziert und die sog. „Wende zur Republik“ vollzogen.[12]

Mit dem Friedrich-Essay zieht Mann eine Parallele zwischen dem Beginn des 1. Weltkriegs und dem Einmarsch der deutschen Truppen in das neutrale Belgien mit dem Einmarsch Friedrichs in Sachsen zu Beginn des Siebenjährigen Krieges.

Die Hausarbeit soll vor allem die Frage klären, welche Argumentation Mann benutzt bzw. welche Argumente er als Erklärung für das Vorgehen des kaiserlichen Deutschlands in der Vita Friedrichs findet und ob diese einer kritischen Überprüfung standhalten.

Friedrich und die große Koalition war nach seinem Erscheinen ein großer Erfolg und ist Bestandteil aller wesentlichen Gesamtausgaben.[13] Dennoch hat der Text neben seiner durchaus problematischen Stellungnahme pro Krieg ein wesentliches Problem in der Rezeptionsgeschichte: einerseits handelt es sich für einen Historiker um einen Text eines „Fachfremden“, der sich in historischer Betrachtung versucht, andererseits ist für einen Germanisten zu viel Geschichte vorhanden. Die literarische Qualität wird unabhängig von der historischen Genauigkeit betrachtet. Insofern versucht die Hausarbeit, ein wenig Licht ins Dunkel dieses Problems zu bringen und den Text vor allem durch die Brille eines Historikers zu betrachten.

Die Arbeit wird die Argumentationsstränge des Essays anhand einer genauen Textanalyse offenlegen und versuchen, seine Quellen dabei einzuordnen. Hierzu werden Betrachtungen über den Siebenjährigen Krieg herangezogen, insbesondere die im zugrundeliegenden Seminar behandelte Friedrich-Biographie Johannes Kunischs.[14]

ENTSTEHUNG UND ÜBERLIEFERUNG

Wie bereits gesagt, lag der Auseinandersetzung mit Friedrich II. ein Roman-Projekt zugrunde und somit entstehen erste Notizen dazu bereits 1905.[15] Thomas Mann war zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt und hatte seinen Durchbruch als Schriftsteller gerade erlebt. Der 1901 erschienene Roman Die Buddenbrooks wurde besonders durch Erscheinen einer einbändigen Ausgabe 1903 zu einem veritablen Erfolg und machte seinen Autoren auch über die deutschen Grenzen hinaus bekannt. 1929 erhält er für diesen Roman den Nobelpreis für Literatur.[16]

Thomas Mann konnte sich also einer bestimmten Aufmerksamkeit gewiss sein als er gleich nach Beginn des Krieges die Gedanken im Krieg veröffentlichte. Gleich nach der Reinschrift dieses Essays ging er an die Arbeit an den Essay über Friedrich II., die von Ende September bis Ende Dezember 1914 dauerte.[17] Der äußere Anlass ergab sich aus einer der ersten Handlungen des deutschen Militärs: Um die Befestigungen im Nordosten Frankreichs sowie dessen Hauptstreitmacht zu umgehen, marschierte die deutsche Armee ab dem 4. August 1914 in Belgien ein, um danach aus nördlicher Richtung in Frankreich einzudringen. Belgien allerdings hatte seit seiner Staatsgründung 1839 den Status eines neutralen Staats und gehörte keinem der sich nun feindlich gegenüberstehenden Machtblöcke – die sog. „Mittelmächte“ (Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, Bulgarien sowie das Osmanische Reich) auf der einen, die Staaten der sog. „Entente cordiale“ (Frankreich, Großbritannien sowie Russland)[18] auf der anderen – an.[19] Der Einmarsch in ein neutrales Land stellt einen Bruch des Völkerrechts dar und war der Anlass für Großbritannien, dem Deutschen Reich den Krieg zu erklären.[20]

Die Begeisterung für den Beginn des Krieges und der in den Gedanken im Krieg geäußerten Ansichten, dass der Krieg „Reinigung, Befreiung“[21] sei und der Soldat dem Künstler nahe stünde[22] führen nun keineswegs dazu, dass dieser Künstler zur Waffe greift und Soldat wird; die militärische „Karriere“ Thomas Manns besteht aus drei Wochen Militärdienst im Jahre 1900, aus dem er dann krankheitsbedingt ausscheidet, nicht ohne förderliches Zutun eines befreundeten Arztes.[23] Sein Beitrag zum Krieg ist der Dienst an der Feder.[24] Bereits in den Gedanken im Krieg taucht Friedrich II. auf:

„Und Deutschland ist heute Friedrich der Große. Es ist sein Kampf, den wir zu Ende führen, den wir noch einmal zu führen haben. Die Koalition hat sich ein wenig verändert, aber es ist sein Europa, das im Haß verbündete Europa, das uns nicht dulden, das ihn, den König, noch immer nicht dulden will, und dem noch einmal in zäher Ausführlichkeit, in einer Ausführlichkeit von sieben Jahren vielleicht, bewiesen werden muß, daß es nicht angängig ist, ihn zu beseitigen.“[25]

Und hier nun kann die Verbindung zwischen den Ereignissen vom August 1914 zu Friedrich II. gezogen werden: Auch Friedrich hat zu Beginn des Siebenjährigen Kriegs ein neutrales Land, in dem Fall Sachsen, besetzt und es als Operationsbasis gegen Österreich genutzt so wie sein Nachfolger Wilhelm II. nun Belgien gegen Frankreich.

Wie bereits erwähnt, war die Beschäftigung mit Friedrich für Thomas Mann nicht neu. Jedoch stellte ein Essay über eine historische Begebenheit andere Anforderungen als ein rein fiktionales Werk – wenn auch mit historischem Kontext. Zur Vorbereitung griff er auf verschiedene Lektüre zurück, die er bereits für das Roman-Projekt gelesen hatte. Er stützte sich vor allem auf die Friedrich-Biographie von Thomas Carlyle in der einbändigen gekürzten Ausgabe, die er in einer Übersetzung las.[26] Auch der Aufsatz Friedrich der Große von Thomas Babington Macaulay[27] sowie Josef Poppers Voltaire. Eine Charakteranalyse, in Verbindung mit Studien zur Ästhetik, Moral und Politik finden Berücksichtigung.[28] Der romanhaften Ausgestaltung des Essays[29] diente F.R. Pauligs Friedrich der Große, König von Preußen. Neue Beiträge zur Geschichte seines Privatlebens, seines Hofes und seiner Zeit. [30]

[...]


[1] Einige Beispiele für sog. „Kriegslyrik“, also den Krieg und den Kriegseintritt Deutschlands verherrlichende Gedichte, finden sich bei Dollinger, Hans(Hg.): Der Erste Weltkrieg in Bildern und Dokumenten. München 1965, S. 57.

[2] Vgl. Kurzke, Hermann: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. München 2000, S. 234ff sowie Kurzke, Hermann: Die politische Essayistik. In: Thomas Mann Handbuch. Herausgegeben von Helmut Koopmann. 3., aktualisierte Auflage. Stuttgart 2001, S. 698.

[3] Mann, Thomas: Die Lösung der Judenfrage. In: Essays I 1893 – 1914. Herausgegeben und textkritisch durchgesehen von Heinrich Detering unter Mitarbeit von Stephan Stachorski. (= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Band 14.1). Frankfurt am Main 2002, S. 174.

[4] Vgl. Kurzke, Thomas Mann, S. 236f.

[5] Den genannten Essays wurde folgende Ausgabe zugrunde gelegt: Mann Thomas: Essays II 1914 – 1926. Herausgegeben und textkritisch durchgesehen von Hermann Kurzke unter Mitarbeit von Joëlle Stoupy u.a. (= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Band 15.1). Frankfurt am Main 2002. (Anmerkung: Der Autor dieser Arbeit verzichtet darauf, Fehler, die sich aus der Nicht-Verwendung der neuen Rechtschreibung ergeben, kenntlich zu machen, wie z.B. in „Abriß“.)

[6] Kurzke, Thomas Mann, S. 235.

[7] Mann, Thomas: Friedrich und die große Koalition. Berlin 1915. Vgl. hierzu: Mann Thomas: Essays II 1914 – 1926. Kommentar von Hermann Kurzke unter Mitarbeit von Joëlle Stoupy u.a. (= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Band 15.2). Frankfurt am Main 2002, S. 32.

[8] Eine ausführliche Darstellung des Roman-Projekts in: Ruchat, Anna: Thomas Manns Roman-Projekt über Friedrich den Großen im Spiegel der Notizen. Bonn 1989. (= Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik, herausgegeben von Armin Arnold und Alois M. Haas, Band 121).

[9] Mann, Thomas: Der Tod in Venedig. In: Die Erzählungen. Band 1. Frankfurt am Main 91983, S. 342.

[10] Vgl.: Mann, Thomas: Betrachtungen eines Unpolitischen. Herausgegeben von Hermann Kurzke. (= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe Band 13.1) Frankfurt am Main 2009. (Anmerkung: Aufgrund seines Umfanges erscheint dieser Essay meist als Einzelausgabe und nicht im Rahmen der chronologisch oder thematisch edierten Essay-Bände der verschiedenen Gesamtausgaben.)

[11] Vgl.: Kurzke, Thomas Mann, S. 324 und Mann, Thomas: Der Zauberberg. Frankfurt am Main 1967.

[12] Vgl.: Ebd. S. 346f.

[13] Vgl.: Mann, GKFA 15.2, S. 32f.

[14] Kunisch, Johannes: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit. München 2004.

[15] Vgl.: Ruchat, Roman-Projekt, S. 29.

[16] Vgl.: Kurzke, Mann, S. 112 sowie S. 346-347.

[17] Vgl.: Mann, GKFA 15.2, S. 29.

[18] Vgl.: Dollinger, Weltkrieg, S. 31.

[19] Vgl.: Ebd. S 50.

[20] Vgl.: Grevelhörster, Ludger: Der Erste Weltkrieg und das Ende des Kaiserreichs. Geschichte und Wirkung. Münster 2004, S. 34.

[21] Mann: GKFA 15.1, S. 32.

[22] Vgl.: Ebd. S. 30.

[23] Vgl.: Kurzke, Mann, S. 94f.

[24] Vgl.: Ebd. S. 243.

[25] Mann, GKFA 15.1, S. 33f.

[26] Carlyle, Thomas: Friedrich der Große. Ausgabe in einem Band. Besorgt und eingeleitet von Karl Linnebach. 3., durchgesehene Ausgabe. Berlin 1912.

[27] Macaulay, Thomas Babington: Frederic the Great and his Times. Edited with an Introduction by Thomas Campbell, Esq. In: Ders.: Critical and historical Essays Vol. II. London 1842, S. 79-124.

[28] Popper, Josef: Voltaire. Eine Charakteranalyse, in Verbindung mit Studien zur Ästhetik, Moral und Politik. Dresden 1905.

[29] Vgl.: Mann, GKFA 15.2, S. 32f.

[30] Paulig, F.R.: Familiengeschichte des Hohenzollernschen Kaiserhauses. Dritter Band: Friedrich der Große, König von Preußen. Neue Beiträge zur Geschichte seines Privatlebens, seines Hofes und seiner Zeit. Frankfurt an der Oder 41902.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
"Friedrich und die große Koalition" von Thomas Mann als Apologetik für den deutschen Einmarsch in Belgien 1914
Hochschule
Universität Paderborn  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Hauptseminar Friedrich II.
Note
1.0
Autor
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V312563
ISBN (eBook)
9783668115439
ISBN (Buch)
9783668115446
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thomas Mann, Friedrich II., 1. Weltkrieg, Belgien, Siebenjähriger Krieg, Maria Theresia, Kaunitz, Friedrich und die Große Koalition
Arbeit zitieren
Joachim Köhring (Autor:in), 2012, "Friedrich und die große Koalition" von Thomas Mann als Apologetik für den deutschen Einmarsch in Belgien 1914, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312563

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