Antisemitismus in der deutschen Linken

Warum linker Antisemitismus nach der Shoa immer noch möglich ist


Hausarbeit, 2014

16 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1. Definition der Grundbegriffe
1.1. Die radikale Linke
1.2. Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik

2. Empirische Evidenz

3. Entwicklungsmuster
3.1. in der DDR
3.2. in der BRD
3.3. seit

4. Zusammenfassung und Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Geht es um Antisemitismus, so wird dieser von einem Großteil der Bevölkerung mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht (vgl. Schmidt 2010, S. 7). Zwar hat die Wahrnehmung, dass es sich bei Antisemitismus um ein rechtes Phänomen handle, aufgrund der historischen Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus, durchaus seine Berechtigung, jedoch führt dies häufig zu einer quantitativen und qualitativen Unterschätzung von linkem Antisemitismus. Ob durch das Attentat am 9. November 1969 auf das jüdische Gemeindehaus in Westberlin (vgl. Imhoff 2011, S. 13) oder die Befürwortung des Olympia-Attentats auf israelische Sportler 1972 (vgl. ebd.), so wird deutlich, dass auch im linken politischen Spektrum antisemitisch argumentiert und agiert wird.

Um linken Antisemitismus beobachten zu können, muss man jedoch nicht auf die Gründerzeit der RAF zurückblicken. Auch in der Gegenwart ist linker Antisemitismus allgegenwärtig. Obgleich dieser in immer subtilerer Form in Erscheinung tritt, um in gesellschaftlichen Debatten anschlussfähig zu bleiben. So zeigt sich, „dass die Tabuisierung offensiv gegen Juden gerichteter Vorurteile weniger effektiv ist, sobald die Umweg-kommunikation über den Legitimationsvorwand ‚Israel‘ läuft“ (vgl. Pallade 2008, S. 105). Dementsprechend konnten dem GMF-Survey von 2004 zu Folge 44,4 Prozent der Befragten „angesichts israelischer Politik gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ (vgl. ebd.) und 51,2 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu „was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“ (vgl. ebd.). Die Motive Palästinasolidarität, Antiamerikanismus und Kapitalismuskritik verdichten sich häufig in Antizionismus, der Israel oft als Projektionsfläche antisemitischer Ressentiments instrumentalisiert. So wie beispielsweise das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC, das auf antikapitalistischen Demonstrationen immer wieder auf eine antijüdische Bebilderung zurückgreift, die an das klassische antisemitische Judenbild anknüpft (vgl. Pallade 2008, S. 99). Aber auch offizielle Volksvertreter der Partei DIE LINKE wie die Stadträtin Erika Zemaitis aus Herford, die als einzige gegen die finanzielle Unterstützung eines Synagogenneubaus einer in der Reichspogromnacht zerstörten Synagoge stimmte, um ihre Solidarität zu Palästina zu verdeutlichen (vgl. Imhoff 2011, S. 14) oder die Bundestagsabgeordnete Inge Höger, die bei einer Pressekonferenz im Mai 2011 einen Schal trug, auf dem der Nahe Osten ohne Israel abgebildet war (vgl. ebd. S. 15) überschreiten die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus (vgl. Abschnitt 2) und verdeutlichen eine Existenz von linkem Antisemitismus. Gerade antisemitische Äußerungen in israelbezogener Form, wie sie bei linken Antisemiten häufig der Fall ist, stellen aufgrund der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit eine besondere Gefahr dar und bedürfen deshalb der Untersuchung.

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie es zu linkem Antisemitismus nach dem Holocaust kommen konnte bzw. kommen kann. Wie ist es zu erklären, dass der Antisemitismus als Bestandteil der Nationalsozialistischen Ideologie nicht radikal abgelehnt wird? Wie ist linker Antisemitismus mit dem Selbstverständnis eines Gegenmodells zum rechten Weltbild vereinbar?

Bevor die Entwicklungsmuster von linkem Antisemitismus in der DDR, der BRD und nach der Wiedervereinigung 1990 nachgezeichnet und anschließend der Versuch einer Beantwortung dieser Frage unternommen wird, soll zunächst die empirische Evidenz von linkem Antisemitismus skizziert werden. Zuvor sollen jedoch die Kernbegriffe dieser Arbeit genauer definiert und eingegrenzt werden. Welche Gruppierung meint man, wenn von linkem Antisemitismus die Rede ist? Und wie kann man Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik voneinander abgrenzen?

2. Definition und Eingrenzung der Grundbegriffe

2.1. Die radikale Linke

Gegenstand der Untersuchung wird Antisemitismus in der radikalen Linken sein. Zwar kann man Linksradikale nicht als einheitliche Gruppe betrachten, da unterschiedliche Strömungen, die untereinander zum Teil sogar verfeindet sind, als linksextrem bezeichnet werden können, jedoch gibt es Gemeinsamkeiten und somit einen „kleinste[n] gemeinsame[n] Nenner“ (vgl. Imhoff 2011, S. 17). Imhoff (2011) nimmt Bezug auf die Linkextremismus-Definition des Verfassungsschutzes (vgl. ebd.) und formuliert die Gemeinsamkeiten in zwei Punkten: „1. Der Wunsch nach der Überwindung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft“ und „2. Die Etablierung einer egalitären und klassenlosen Gesellschaft“ (vgl. Imhoff 2011, S. 17). Diese grundsätzlichen Ziele des politischen Handelns als Gemeinsamkeit aller Linksextremisten werden in dieser Analyse als Definition übernommen. Da viele gemäßigte Linke eine klassenlose und egalitäre Gesellschaft innerhalb eines kapitalistischen Systems befürworten, werden diese nach der obigen Definition eher der sozialdemokratischen Richtung zugeordnet (vgl. Imhoff 2011, S. 18/19). Der Weg, den Linksradikale zur Durchsetzung ihrer Ziele wählen, stellt hingegen keine Abgrenzung zu anderen linken Strömungen dar, da beispielsweise der Einsatz von Gewalt kein Merkmal von Linksextremismus ist (vgl. ebd. S. 19).

2.2. Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik

Die Definition und Abgrenzung der Begriffe Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik fällt auf der theoretischen Ebene nicht schwer. So versteht man unter Antisemitismus eine Judenfeindlichkeit, die unabhängig von konkretem Handeln ist (vgl. Schmidt 2010, S. 11). Schmidt (2010) führt dabei folgende Definition an:

„Antisemitismus ist eine anhaltende latente Struktur feindseliger Überzeugungen gegenüber Juden als Kollektiv, die sich bei Individuen als Haltung, in der Kultur als Mythos, Ideologie, Folklore sowie Einbildung und in Handlungen manifestieren – soziale oder rechtliche Diskriminierung, politische Mobilisierung gegen Juden und kollektive oder staatliche Gewalt -, die dazu führen und/oder darauf abzielen, Juden als Juden zu entfernen, zu verdrängen oder zu zerstören“ (vgl. Schmidt 2010, S. 12).

Beim Antisemitismus handelt es sich somit um eine Weltanschauung, die sich aus Verschwörungstheorien speist und gegen eine rationale Aufklärung resistent ist (vgl. ebd.). Eine Täter-Opfer Umkehr ist dabei charakteristisch (vgl. ebd.). Unter Antizionismus versteht man eine grundsätzliche oder gegenwartsbezogene Ablehnung des israelischen bzw. eines jüdischen Staates (vgl. Schmidt 2010, S. 11). Dementsprechend bezeichnet man die Hinterfragung einzelner Elemente der israelischen Gesellschaft, Kultur, Ökonomie oder Politik als Israelkritik (vgl. ebd.).

Auf der praktischen Ebene hingegen stellt die fehlende Trennschärfe zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik eine Grundproblematik in der Auseinandersetzung mit getarntem oder auch sekundärem Antisemitismus dar. Nach der Shoa als – zumindest von einer großen Mehrheit – unbestrittener menschlicher Katastrophe, war die Form des offensiven und rassistisch begründeten Antisemitismus diskreditiert (vgl. Schmidt 2010, S. 14). Die Rolle der Jüdinnen und Juden als tatsächliche Opfer war evident, sodass klar war, dass Juden und der Holocaust im Diskurs nichtmehr voneinander zu trennen sein würden (vgl. ebd.). Der Antisemitismus musste sich somit neu ausrichten.

Eine Neuausrichtung fand dahingehend statt, dass sich ein getarnter Antisemitismus gegen den Staat Israel als „zionistisches Gebilde“ (vgl. Schmidt 2010, S. 15) wandte. So kommt ein israelbezogener Antisemitismus meist sogar ohne die Verwendung des Begriffs „Jude“ aus. Schmidt (2010) kommt daher zu dem Ergebnis, dass es auf diese Weise möglich ist „in eine linke oder demokratisch-universalistische Theorie die Gegnerschaft zum Judentum einzubauen, ohne unmittelbar mit ihrem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt zu geraten“ (vgl. ebd. S. 15). So ist es nicht selten, dass sich Antizionisten antisemitischer Ressentiments bedienen und so Antizionismus antisemitisch wird. Zwar gibt es israelische Nationalisten, wie den ehemaligen israelischen Außenminister Abba Eban, die Antisemitismus und Antizionismus gleich setzen (vgl. Chomsky 1991, S. 44 ff.), jedoch führt die Existenz von jüdischen Antizionisten (vgl. Gehrcke et. Al. 2009, S. 144) diese Annahme ad absurdum. Dennoch ist die Frage berechtigt, wieso man als Antizionist die Existenz Israels ablehnt und wieso die Legitimationsgrundlage anderer Nationalstaaten in den seltensten Fällen Gegenstand einer Debatte ist. Eine klare Abgrenzung von Antisemitismus und Antizionismus ist in der Praxis somit nicht möglich. Zur Abgrenzung von Israelkritik und Antisemitismus wird im Folgenden von den Kriterien von Heyder et. Al. (2005) ausgegangen. Demnach handelt es sich um Antisemitismus, wenn man in der Kritik: 1. Das Existenzrecht Israels und das Recht der Jüdinnen und Juden auf Selbstverteidigung aberkennt, 2. Die israelische Palästinenserpolitik mit der Judenverfolgung im dritten Reich vergleicht, 3. Die israelische Politik mit einem doppelten Standard beurteilt und 4. Klassische antisemitische Stereotype auf den israelischen Staat überträgt (vgl. Heyder et. Al. 2005, S. 146/147).

3. Empirische Evidenz

Wie eingangs erwähnt, wird auch im linken politischen Spektrum antisemitisch argumentiert und agiert. Doch sind einige Abgeordnete der Partei DIE LINKE oder ein Teil der Mitglieder des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC auffällige Ausnahmen oder repräsentieren sie einen signifikanten Anteil der deutschen Linken?

Maximilian Elias Imhoff hat 2011 – entsprechend der obigen Definition - eine quantitative Befragung unter deutschen Linksradikalen durchgeführt. Er wählte dabei eine Reihe von Items aus, die Rückschlüsse auf antisemitische Einstellungen zulassen (vgl. Imhoff 2011, S. 119 ff.). Auf einer Skala von 1 bis 7 (7= absolute Zustimmung) konnte die Zustimmung oder Ablehnung einer These geäußert werden (vgl. ebd. S. 99). Berücksichtigt wurden ausschließlich die vollständig ausgefüllten Fragebögen (ausgenommen von Alter und Geschlecht), sodass n = 218 (vgl. Imhoff 2011, S. 113). Von den 218 Personen stimmten 35% der Aussage zu, Israel führe einen hemmungslosen Vernichtungskrieg und 22% halten einen Vergleich der israelischen Palästinenserpolitik mit dem Warschauer Ghetto für zutreffend (vgl. ebd. S. 119). 16% halten Israel für ein künstliches Gebilde und 13% sprechen Juden generell das Recht auf einen Staat ab (vgl. ebd.). 26% gewinnen dem klassischen antijüdischen Bild des Juden als „Brunnenvergifter“ einen wahren Kern ab (vgl. ebd.). Gemäß den Kriterien von Heyder et. Al. (2005) handelt es sich somit um antisemitische Aussagen. Auffällig ist, dass Items in denen der Begriff „Jude“ vorkam eher weniger zugestimmt wurde als Aussagen die die Bezeichnung „Israeli“ beinhalten, obwohl sich der inhaltliche Gehalt durch eine synonyme Verwendung nicht verändert hätte (vgl. ebd.). Dies ist ein Anzeichen für eine gewisse Scheu davor offensive antisemitische Aussagen zu tätigen. Insgesamt haben 21% der Befragten Abgrenzungsprobleme zum Antisemitismus und 17% fallen unter die Definition der (latenten) Antisemiten (vgl. ebd. S. 121). Zwar kann die überwiegende Mehrheit der Linken nicht als Antisemiten bezeichnet werden, jedoch sind die erhobenen Werte für Anhänger einer politisch internationalistischen und egalitären Ausrichtung dennoch bemerkenswert.

Dies führt zu der Kernfrage dieser Analyse: Wie ist ein linker Antisemitismus nach der Shoa überhaupt möglich? Beim Versuch der Beantwortung dieser Frage soll zunächst ein Blick auf die Entwicklungen in der DDR geworfen werden.

4. Entwicklungsmuster

4.1. …in der DDR

Der ideologieimmanente Widerspruch zwischen humanitärem Anspruch und antijüdischen Stereotypen (vgl. Rensmann 2004, S. 296) im linken politischen Spektrum erscheint in der ehemaligen DDR, die sich als sozialistisch und antifaschistisch verstand, in besonderem Maße kontraintuitiv. Dennoch war Antizionismus mit offen antisemitischen Zügen fester Bestandteil politischer Argumentationen und Agitationen (vgl. Haury 2002, S. 14). So kam es innerhalb der Kommunistischen Parteien in Stalins Machtbereich zwischen 1948 und 1953 zu mehreren Wellen von „Parteisäuberungen“, die bedingungslosen Gehorsam gegenüber Moskau sichern sollten (vgl. Haury 2002, S. 11) und Ende 1952 eine offen antisemitische Wendung nahmen, indem der ehemalige tschechische KP-Generalsekretär und zehn weitere Angeklagte jüdischer Herkunft in einem Schauprozess wegen „zionistisch-imperialistischer Agententätigkeit“ zum Tode verurteilt wurden (vgl. bpb.de: Antisemitismus in der DDR, verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/37957/antisemitismus-in-der-ddr?p=0). Auch in der DDR nahm der staatlich betriebene Antisemitismus seinen Lauf. So kam es, dass Paul Merker, bis 1950 Mitglied im Politbüro und Zentralkomitee der SED (vgl. ebd.), und andere hochrangige Parteifunktionäre zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, da sie die Forderung erhoben arisierte jüdische Vermögen zurück zu erstatten (vgl. Haury 2002, S. 12). Merker wurde in der Begründung als „zionistischer Agent“ und „Subjekt der USA-Finanzoligarchie“ bezeichnet (vgl. ebd.). Ende der 1960er Jahre charakterisierte die SED den „internatiole[n] Zionismus“ als „verzweigte[s] Organisationssystem […] der jüdischen Bourgeoisie“ und der „israelischen Finanzoligarchie“ (vgl. bpb.de: Antisemitismus in der DDR, s.o.). 1982 titelte das „Neue Deutschland“ während des Libanonkriegs: „Israel betreibt die Endlösung der Palästinafrage“ (vgl. ebd.).

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Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Antisemitismus in der deutschen Linken
Untertitel
Warum linker Antisemitismus nach der Shoa immer noch möglich ist
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft)
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V312157
ISBN (eBook)
9783668109766
ISBN (Buch)
9783668109773
Dateigröße
652 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
antisemitismus, linken, warum, shoa
Arbeit zitieren
Fabian Babst (Autor:in), 2014, Antisemitismus in der deutschen Linken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312157

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