Elterneinfluss auf die Studienfachwahl

Eine quantitative Pilotstudie an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität zu Jena


Masterarbeit, 2014

158 Seiten, Note: 1,5 sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Skizzierung des Problemfeldes
1.2 Zielsetzung, Überblick und Fragestellungen

2. Theoretische Grundlagen - Rahmentheorie
2.1 Begriffserklärung: Die Begriffe „Berufs- bzw. Studien(fach)wahl“
2.2 Berufsvererbung
2.3 Berufs- und Studienfachwahl als Prozess
2.4 Berufswahltheorien - eine Systematisierung
2.4.1 Der differentialpsychologische Ansatz
2.4.2 Der entscheidungstheoretische Ansatz
2.4.3 Die entwicklungspsychologischen Theorien
2.4.4 Die Psychodynamische Theorie
2.4.5 Die soziologischen und sozioökonomischen Theorien
2.4.6 Die typologische Theorie
2.4.7 Interdisziplinär ansetzende Modelle und Theorien
2.5 Einflussfaktoren
2.5.1 Wirkfaktoren - eine Klassifizierung
2.5.2 Elterneinfluss als einer der wichtigsten exogenen Wirkfaktoren auf die Berufs- bzw. Studienfachwahl
2.5.3 Peer Group/Freunde
2.5.4 Medien/Vorbilder

3. Überleitung zur Fragestellung
3.1 Fragestellungen und Hypothesen
3.1.1 Hypothese 1 - subjektiv empfundener Elterneinfluss auf die Studienfachwahl
3.1.2 Hypothese 2 - Berufsvererbung
3.1.3 Hypothese 3 - Studienmotive
3.1.4 Hypothese 4 - Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM-44) zu Studienbeginn
3.1.5 Hypothese 5 - Bildungsherkunft

4. Methode
4.1 Untersuchungsansatz
4.2 Stichprobengewinnung
4.3 Statistische Verfahren
4.4 Instrumente
4.4.1 Items zur Studienmotivation
4.4.2 AVEM-44 - Studienbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster
4.4.3 Items zum subjektiv erlebten Einfluss auf die Studienfachwahl
4.4.4 Items zur Erhebung basisdemographischer Variablen
4.5 Stichprobenbeschreibung

5. Ergebnisse
5.1 Subjektiv empfundener Elterneinfluss auf die Studienfachwahl
5.1.1 Andere exogene Einflussfaktoren
5.1.2 Zweistichproben t-Test mit der Variable Altersgruppierung (n=221)
5.1.3 Zweistichproben t-Test mit der Variable Geschlecht (n=228)
5.1.4 t-Test und Berufsvererbung
5.2 Studienmotivation
5.2.1 Motiv: Karriere- und Aufstiegschancen
5.2.2 Interesse am Fach Medizin bzw. Naturwissenschaften
5.2.3 Motiv: breitgefächertes Tätigkeitsspektrum
5.2.4 Etwas Sinnvolles, Verantwortungsvolles, Gutes tun
5.2.5 Menschen helfen
5.2.6 Motiv: Traumjob Mediziner
5.2.7 Motiv: Betroffenheit von Krankheit
5.2.8 Motiv Aussicht auf Spitzenverdienst
5.2.9 Motiv: Sozialprestige
5.2.10 Motiv: sicheres Einkommen
5.2.11 Motiv: krisensicherer, zukunftsfähiger Arbeitsplatz
5.2.12 Motiv: Ideenlosigkeit
5.2.13 Motiv: persönlicher Glaube
5.2.14 Motiv: gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf
5.2.15 Motiv: Flexibilität in Wahl des Berufsstandortes
5.2.16 Motiv: unerwartete Studienplatzvergabe
5.2.17 Weitere Motive
5.3 Studienmotivation und t-Test
5.3.1 Variable Altersgruppierung (n=221)
5.3.2 Variable Geschlecht (n=228)
5.3.3 Variable Berufsvererbung (n=229)
5.4 Studienbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM-44)
5.4.1 Deskriptive Statistik der Musterverteilung
5.4.2 Deskriptive Statistik der Musterverteilung nach Geschlecht
5.4.3 t-Test mit der Variable Geschlecht
5.4.4 Deskriptive Statistik der Musterverteilung nach Alter
5.4.5 ANOVA Musterausprägungen und Studienmotive
5.4.6 ANOVA und Subjektiv empfundener Elterneinfluss
5.5 Subjektiv empfundener Einfluss auf die Studienfachwahl
5.6 Bildungsherkunft
5.6.1 Bildungsherkunft und empfundener Elterneinfluss auf die Studienfachwahl
5.6.2 Bildungsherkunft und Studienmotivation

6. Diskussion
6.1 Einschränkungen der Untersuchung
6.2 Diskussion der Hypothesen
6.2.1 Subjektiv empfundener Elterneinfluss auf die Studienfachwahl (Hypothese 1)
6.2.2 Berufsvererbung (Hypothese 2)
6.2.3 Studienfachmotive - (Hypothese 3)
6.2.4 Verhaltens- und Erlebensmuster AVEM-44 (Hypothese 4)
6.2.5 Bildungsherkunft (Hypothese 5)

7. Zusammenfassung

8. Literaturverzeichnis

9. Anhang
9.1 Danksagung
9.2 Tabellenverzeichnis
9.3 Abbildungsverzeichnis
9.4 Stichprobengewinnung/Fragebogen
9.5 AVEM Auswertung
9.5.1 AVEM typ tend
9.5.2 AVEM Dimensionen - Deskriptive Satistiken
9.5.3 Unterschiede Muster in den Motiven
9.5.4 Unterschiede Muster in den Einflüssen
9.6 PSPP/Mystat/Grafstat-Ergebnistabellen
9.6.1 Studienmotivation: Zweistichproben t-Test Altersgruppierung
9.6.2 Studienmotivation: Zweistichproben t-Test Geschlecht
9.6.3 Zweistichproben t-Test Berufsvererbung Eltern
9.6.4 Zweistichproben t-Test Berufsvererbung Kernfamilie
9.6.5 ANOVA Bildungsherkunft
9.6.6 Elterneinfluss: Zweistichproben t-Test Altersgruppierung
9.6.7 Elterneinfluss: Zweistichproben t-Test Geschlecht
9.6.8 Zweistichproben t-Test Berufsvererbung Eltern
9.6.9 Zweistichproben t-Test Berufsvererbung Kernfamilie
9.6.10 ANOVA Bildungsherkunft

Abstrakt

Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, den subjektiv empfundenen Elternein- fluss auf die Studienfachwahl und die Studienmotive von Humanmedizinstudie- renden des ersten Semesters zu erforschen. Des Weiteren soll durch die quantita- tive Querschnittstudie festgestellt werden, inwiefern Faktoren, wie Alter, Ge- schlecht, Bildungsherkunft, berufliche Prägung der Eltern und Familie sowie Ver- haltens- und Erlebensmuster (AVEM-44) in Abhängigkeit dazu stehen. Dazu wur- de eine schriftliche Befragung an der Universität zu Jena mit dem Standardinstru- ment AVEM-44 und einem weiteren Fragebogenpaket durchgeführt. Die Rücklauf- quote lag bei 99,1% (n=231). 36,7% der Studierenden geben an, dass ihre Eltern wichtige Ratgeber bei der Studienfachwahl waren. Der Einfluss der beruflichen Prägung der Eltern und Familie (Berufsvererbung) ist eher als gering einzuschät- zen. Darüber hinaus zeigt die Untersuchung eindrücklich, dass Berufswahl immer noch schichtenspezifisch vorgenommen wird. Die stärksten geschlechts- und al- tersunabhängigen Studienmotive sind Fachinte resse , Menschen helfen, gute Kar- riere- und Aufstiegschancen und Traumjob Mediziner. Bei den Verhaltens- und Erlebensmustern überwiegen leicht die als gesundheitlich unbedenklich geltenden Muster G (Gesundheit) und S (Schonung). Die Integration gesundheitsfördernden Lehrstoffs auf der Inhaltsebene und studienbegleitender Mentoringbeziehungen auf der Prozessebene könnte langfristig die physische und psychosoziale Ge- sundheit der Studierenden fördern. Eine konkrete Möglichkeit ergäbe sich z.B. durch das Einsetzen des Standardinstrumentes AVEM-44 als Gesprächsgrundla- ge für Interviews in den hochschuleigenen Auswahlverfahren oder im Mentoringprozess. Eine frühzeitige Kooperation von Eltern, Schule/Hochschule, Wirtschaft und Staat ist angezeigt, um schichten- und geschlechtsunabhängig Po- tentiale zu entdecken und zu fördern.

The aim of this study is to explore the subjectively perceived influence of parents on the choice of the field of study and the reasons for studying of students of hu- man medicine in their first semester. Furthermore, the quantitative cross-sectional study serves to ascertain the extent to which an interdependency exists between these aspects and factors such as age, gender, educational background, the pro- fessional orientation of parents and family, and “Work-Related Behaviour and Ex- perience Patterns” (AVEM-44). To this end, a written survey was conducted at the University of Jena with the standard instrument AVEM-44 and an additional ques- tionnaire package. The response rate was 99.1% (n=231). 36.7% of the students state that their parents were significant advisers in their choice of field of study. The influence of the professional orientation of the parents and family (profes- sional heredity) can be assessed as being rather low.

Moreover, the study shows very clearly that the choice of profession is still specific to particular social strata. The strongest motives for studying that are independent of gender and age are interest in the subject, helping people, good career and ad- vancement opportunities and medical practitioner as dream job. In the “Work- Related Behaviour and Experience Patterns”, Type G (“Healthy-Ambitious”) and S (the “Unambitious” Type) predominate slightly, both of which are classed as not posing a health threat. The integration of health-promoting subject matter at the curriculum level and mentoring relationships to accompany studies at the process level could benefit the physical and psychosocial health of students for the long term. A concrete opportunity could lie, for example, in the application of the stan- dard instrument AVEM-44 as a basis for discussion for interviews within the uni- versity’s own selection procedure or in the mentoring process. An early coopera- tion between parents, school/university, companies and the state is advised in or- der to discover and promote potential, irrespective of social stratum and gender.

1. Einleitung

1.1 Skizzierung des Problemfeldes

„ Of course I care about the future.

I intend to spend the rest of my remaining life in it. ”

Mark Twain (1835 - 1910)

US-amerikanischer Schriftsteller

Die Wahl eines Berufes gehört zu den wichtigsten biographischen Entscheidun- gen, die von Jugendlichen getroffen werden muss, da sie die Bewältigung der Existenz bedeutet (Fend 2003, S. 368; Stuhlmann 2009, S. 73; Schmude 2009, S. 7). Der Berufs- bzw. Studienfachwähler1 sieht sich heute nicht nur mit scheinbar unendlich vielen Möglichkeiten konfrontiert. Der sich noch in der Reifung befin- dende, junge Mensch ist gefordert, sich seine Berufswelt letztendlich selbst zu organisieren (vgl. Lassahn 1983, S. 183) und kann sich über die Tragweite seiner Entscheidung kaum bewusst sein. Das Unternehmen „Berufs- bzw. Studienfach- wahl“ plant er von seinem gegenwärtigen Lebensstandpunkt aus mit dem aktuel- len Wissensstand über seinen Wunschberuf, seine Begabungen und seine Mög- lichkeiten, die sich alle im Prozess befinden und sich ggf. noch mehrfach ändern können. Der Entscheidungsprozess ist weniger von praktischen Handlungen in dem spezifischen Berufsfeld oder Detailwissen über das Studium oder die Ausbil- dung, sondern eher von theoretischen Vorstellungen und Erfahrungen anderer geprägt. Die Unschärfe dieser zukünftigen Entwürfe und andere äußere Faktoren, wie z.B. die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse (vgl. Dörre 2005) oder Medien- berichte zu ethisch fragwürdigen Arbeitsbedingungen, z.B. im Gesundheitswesen (vgl. Faller 2012, S. 4), schüren Unsicherheit und ein diffuses Gesamtbild bei jun- gen Menschen (vgl. Lassahn 1983, S. 182). Beinke (200, S. 11) fasst es so zu- sammen: „[…] kein Berufswählender ist in der Lage, die Totalität der Arbeitswirk- lichkeit in einem zusammenhängenden Ganzen und auf einmal logisch zu erfas- sen.“. Darüber hinaus stellt ein Mensch mit der Entscheidung für einen Beruf bzw. ein Studienfach, so Schmude (2009, S. 7f.), nicht nur die Weichen für seine Berufsbiographie, sondern auch für seine gesellschaftliche Position und sein zukünftiges soziales Umfeld, das zum erheblichen Teil über die Art und Weise der Erwerbstätigkeit definiert wird.

Es existieren viele endogene und exogene Determinanten, die auf die Berufswahl einwirken. Elterneinfluss ist der wichtigste exogene Wirkfaktor auf die Berufs- bzw. Studienfachwahl junger Menschen und ist in den letzten Jahren vermehrt ein Thema der Berufswahlforschung geworden. Dennoch ist dieser Gegenstand bisher nur punktuell erfasst worden (vgl. Beinke 2000, S. 6). Die Eltern beeinflussen zum Teil aktiv durch gezielte Beratung aufgrund von Auseinandersetzungen mit dem Thema Berufswahl in familiären Diskussionen. Andererseits geschieht die Berufsberatung durch die Familie auf indirekte Weise durch das Vorbild der Eltern und ihre eigene Berufsbiographie (vgl. Beinke 2000, S. 6).

Da jede Familie ein eigenständiges System unserer Gesellschaft darstellt (Satir 2013, S. 13, 16) und es über den Grad der Öffnung zur Außenwelt selbst ent- scheidet, ist es Außenstehenden (z.B. Lehrern, Berufsberatern) nur bedingt mög- lich, dieses System „zu stören“ und in private Prozesse einzugreifen. Daraus folgt, laut Beinke (2000, S. 6), dass viele der entscheidenden und festigenden Prozesse in Richtung Berufs- oder Studienwahl schon abgeschlossen sind, wenn sich Schü- ler öffnen, eine Beratung durch andere in Anspruch zu nehmen. Diese Anstöße und Informationen sind aber „unerlässliche Ungleichgewichte“ (Piaget), um den Erkenntnis- und Entwicklungsprozess der Berufs- bzw. Studienfachwahl weiter auszureifen (Beinke 2000, S. 12).

Der Arztberuf gilt unter Heranwachsenden, die sich beruflich orientieren, als einer der prestigereichsten unserer Gesellschaft (vgl. Schmude 2009, S. 221). Nach- weislich trifft besonders für das Studienfach Humanmedizin ein Phänomen zu, das Beinke als Berufsvererbung bezeichnet (vgl. Beinke 2006, S. 86). In einer englischen Vergleichsstudie mit Datenmaterial aus den Jahren 1996 bzw. 1998/99 (vgl. Cavenagh et al. 2000, S. 897-902) konnte nachgewiesen werden, dass Medizinstudenten zweimal so häufig ein Familienmitglied mit dem gleichen Beruf hatten als Jurastudenten. Außerdem bewies eine quantitative, nepalesische Studie, die zwischen 2005 und 2006 mit 407 Medizinstudenten durchgeführt wurde, dass die berufliche Prägung der Eltern einen Einfluss auf die Kinder ausübt (vgl. Chandrashekhar et al. 2007). Die Quote derer, die einen Hang zur psychischen Erkrankung aufwiesen, so fanden Chandrashekhar et al. heraus, lag insgesamt bei 20,9%, war aber signifikant höher bei denjenigen, deren Eltern Ärzte waren (vgl. Chandrashekhar et al. 2007).

1.2 Zielsetzung, Überblick und Fragestellungen

Das Ziel dieser Masterarbeit besteht darin, durch eine eigene empirische Erhe- bung - eine quantitative Querschnittstudie - herauszufinden, ob und in welchem Maß ein subjektiv empfundener Einfluss der Eltern auf die Studienfachwahl von Studierenden des Faches Humanmedizin ermittelt werden kann. Auf diese weiteren konkreten Forschungsfragen soll eine Antwort gegeben wer- den:

1. Welche relevanten Motive für die Studienfachwahl Humanmedizin kristallisie- ren sich durch die Befragung heraus?
2. In welchem Zusammenhang stehen Alter, Geschlecht und die studienbezo- genen Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM-44) zum subjektiv empfunde- nen Einfluss der Eltern auf die Studienfachwahl und zur Studienmotivation der Befragten?
3. Inwiefern werden die Studienmotive und/oder der subjektiv erlebte elterliche Einfluss auf die Studienfachwahl durch die Bildungsherkunft der Studierenden und durch die Berufsvererbung beeinflusst?

Die Annäherung an das Thema erfolgt im Hauptteil durch den Versuch einer Begriffsbestimmung. Anschließend werden dem Leser verschiedene Berufswahltheorien überblickartig vorgestellt. Besonders berücksichtigt werden dabei im Hinblick auf die empirische Studie die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse des entwicklungspsychologischen Ansatzes. Dem folgt eine Darstellung der für die Erhebung ausschlaggebenden Wirkfaktoren auf die Studienfachwahl.

Der empirische Teil der Arbeit besteht aus der quantitativen Befragung zur Studi- enmotivation, den Verhaltens- und Erlebensmustern der Studierenden mittels Standardinstrument AVEM-44, dem subjektiv empfundenen Elterneinfluss auf die Studienfachwahl und den soziodemographischen Basisvariablen, aus welchen die Variablen zur Bildungsherkunft und Berufsvererbung abgeleitet wurden. Mit Kapitel 3 werden, beginnend mit der Überleitung zur Fragestellung, die Hypothesenformulierung, die Darstellung des Studiendesigns, die Instrumente und die Methodik vorgestellt. Die Autorin nimmt eine Beschreibung, Auswertung und Einordnung der Ergebnisse der quantitativen Pilotstudie vor und schließt die These mit einer wertenden Zusammenfassung ab.

2. Theoretische Grundlagen - Rahmentheorie

2.1 Begriffserklärung: Die Begriffe „Berufs- bzw. Studien(fach)wahl“

Der Begriff Berufswahl ist ein feminines, zweigliedriges Substantiv, welches aus den Nomen Beruf (maskulin) und Wahl (feminin) besteht. Der Duden2 legt die Be- deutung des Wortes auf die Erklärung Entscheidung für einen Beruf fest. Das Pädagogische Lexikon (2012, S. 82) definiert Berufswahl als „Entscheidungs- prozess über die Aneignung eines beruflichen Kompetenzprofils für eine auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit.“.

Beruf lässt sich wiederum in das Präfix Be - und das Hauptwort Ruf (maskulin) teilen und leitet sich vom Verb berufen ab. Das Präfix -be- weist auf ein passives Geschehen hin im Sinne von „jemandem ein Amt anbieten“, „jemanden in ein Amt einsetzen oder berufen“ (Müller 1985, S. 132).

Luther prägte die neuhochdeutsche, religiöse Bedeutung des Begriffes Berufung. Er gebrauchte es in der Bibel in der Bedeutung der identitätsstiftenden Kraft (griechisch klesis; lateinisch vocatio), die von Gott gegeben (vgl. Böhm 1994, S. 86) zur beruflichen Pflichterfüllung befähigt (vgl. Arnold/Gonon 2006, S. 74). Arnold und Gonon (2006 S. 72) führen aus:

„Die Vorstellung vom gottgefälligen Leben, welches in arbeitsamem Streben und pflichtbewußter Berufsarbeit seinen Ausdruck findet, bildet letztlich die kulturelle Basis, die dem Berufskonzept seine Plausibilität und eine gesellschaftliche Gültigkeit verleiht, die sich in dieser Form in anderen Kulturen nicht herausgebildet hat.“

Später, im Zuge der zunehmenden Säkularisierung der Berufstätigkeit, wurde es auch für Stand und Amt eines Menschen in der Welt verwendet (Arnold/Gonon 2006, S. 74).

Im Allgemeinen meint das Wort Beruf heute die bloße Erwerbstätigkeit eines Men- schen, wenngleich der ethische Zusammenhang zwischen Berufung und Beruf geblieben ist (vgl. Duden 2001, S. 82f.). Deissinger (zit. n. Arnold/Gonon 2006, S. 72) beschreibt Beruf als organisierendes Prinzip, das sich im Standardisieren und Formalisieren von beruflichen Qualifikationsprofilen begründet (vgl. Arnold/Gonon 2006, S. 72). Nach Pätzold und Wahle (zit. n. Arnold/Münk 2006, S. 20) sehen viele Berufspädagogen und Soziologen den Beruf nach wie vor als „konstituieren- des Element menschlicher Existenz“. Tenorth und Tippelt (2012, S. 65) definieren den Begriff Beruf als „eine auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit des Einzelnen, für deren Ausführung bestimmte Kenntnisse, Fertigkeiten und Berufserfahrungen er- forderlich sind […]. Sie thematisieren die doppelte Konnotation des Begriffes Beruf als wichtigen Integrations- und Bildungsfaktor (vgl. Tenorth/Tippelt 2012, S. 65). Die industriegesellschaftstypische, objektive, funktionsbezogene Seite des Begrif- fes sehen sie in den gesellschaftlichen Anforderungen und Strukturen betont, wäh- rend die subjektive Seite durch die individuellen Motive und Interessen der Be- rufsausübenden gekennzeichnet ist (vgl. Tenorth/Tippelt 2012, S. 66; vgl. Ar- nold/Münk 2006, S. 20). Arnold et al. (zit. n. Arnold7Gonon 2006, S. 75) sehen durch den Beruf folgende Funktionen erfüllt: 1. Erwerbsfunktion, 2. Sozialisie- rungsfunktion, 3. Ganzheitlichkeitsaspekt, 4. Kontinuitätsaspekt, 5. Erbauungs- funktion, 6. Qualifikationsaspekt, 7. Allokationsfunktion, 8. Selektionsfunktion.

Das Substantiv Wahl (feminin) wurde aus dem Verb wählen gebildet (vgl. Duden, 2001, S. 907). Dieses gemeingermanische Verb leitet sich aus der indogermani- schen Wurzel des Verbes wollen ab. Wahl bedeutet die Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu haben3. Schmude (2009, S. 16) macht darauf aufmerksam, dass sich der Begriff Berufswahl aufgrund seiner forschungstheoreti- schen und -methodischen Uneindeutigkeit nur eingeschränkt bestimmen lässt. Sie resümiert: „Im weitesten Sinne markiert der Begriff der „Berufswahl“ die Art und Weise, wie ein Mitglied einer solchen Gesellschaft seinen Platz in dieser arbeits- teiligen Organisation findet.“ (Schmude 2009, S. 16). Auch Kohl (1980, S. 12) ver- weist auf die uneinheitliche Verwendung des Begriffes Berufswahl in der Literatur. Einzelne Autoren verstehen darunter z.B. den Beruf, in den das Individuum einge- treten ist, d. h. die Berufseinmündung. Andere konzentrieren sich auf die Wahl (choice), d. h., was ein Individuum am liebsten tun möchte oder auf den Wunsch (aspiration), d.h., den „Idealberuf des Individuums“, was oft einer Phantasiewahl im Hinblick auf die Prestigeskala entspricht (vgl. Kohl 1980, S. 12).

Das zwei bzw. dreigliedrige feminine Substantiv Studien(fach)wahl ist ähnlich schwierig für Forschungszwecke zu operationalisieren. Nur wenige Autoren setzen sich mit ihm gesondert bzw. in Abgrenzung zur Berufswahl auseinander. Das hier im Plural gebrauchte feminine Substantiv Studien, welches als Vorderglied für zahlreiche Zusammensetzungen verwendet wird, leitet sich vom Verb studieren („lernen, [er]forschen; nach etwas streben; die Hochschule besuchen“) ab, wel- ches wiederum auf das lateinische Verb studere („etwas eifrig betreiben, sich wis- senschaftlich betätigen“) zurückgeht und seit dem 13. Jahrhundert im deutschen Sprachgebrauch belegt werden kann (vgl. Duden 2001, S. 825; Tenorth/Tippelt 2012, S. 702 ). Der Duden definiert die Bedeutung des Wortes Studienfach so: „Fachgebiet, auf dem ein Studium durchgeführt wird oder wurde.“4 Während dem Individuum bei der Berufswahl meist eine konkrete Tätigkeit vorschwebt, er- schließt sich dem Studienfachwähler sein zukünftiges Tätigkeitsspektrum erst während des Studiums durch Lehrinhalte, Selbststudium, persönliche Kontakte, Beispielkarrieren und Praktika in verschiedenen Berufsfeldern, deren Grundlage und Voraussetzung das Studium selbst darstellt (vgl. Ruthven-Murray 2012, S. 16). Mit der Entscheidung für ein Studium legt sich der Wähler für eine grobe be- rufliche Richtung fest. Durch das wissenschaftliche Arbeiten und Forschen inner- halb seines fachlichen Spektrums wird der Studierende in die Lage versetzt, kom- plexe Zusammenhänge und Sachverhalte zu verstehen, zu bearbeiten, sich selbst zu erschließen und weiter zu entwickeln (vgl. Ruthven-Murray 2012, S. 17; Tenorth/Tippelt 2012, S. 702). Die Studiengänge Medizin und Lehramt stellen eine gewisse Ausnahme dar, da sie auf einen relativ eindeutig festgelegten Beruf - Arzt und Lehrer - hindeuten (vgl. Ruthven-Murray 2012, S. 17). Nicht zuletzt durch die neuen Bachelor- und Masterabschlüsse im deutschen Hochschulbildungsbereich (z.B. nicht konsekutiver Master) sind Absolventen erst in der inhaltlichen Gestal- tung, dann mit Studienabschluss relativ flexibel in der Wahl ihres Berufsbereiches (vgl. Ruthven-Murray 2012, S. 17).

Die Autorin verwendet hauptsächlich in der Darlegung der Rahmentheorie, im Wissen um die Unschärfe und Uneinheitlichkeit der Verwendung der Termini, die Begriffe Studien(fach)wahl und Berufswahl synonym. Im empirischen Teil wird bewusst im Hinblick auf die durchgeführte Studie vermehrt der Terminus Studien- fachwahl gebraucht.

2.2 Berufsvererbung

Beinke (2006a, S. 86) macht darauf aufmerksam, dass auch heute noch Berufe transgenerational „vererbt“ werden, d.h. dass die berufliche Sozialisation über Ge- nerationen weitergegeben wird, indem Kinder die gleichen oder ähnliche Berufe wie die Eltern ergreifen. Zur Zeit der Zünfte war die Vererbung von Berufen ein bewährtes Mittel, um den sozialen und materiellen Lebensstandard zu halten. Fend beschreibt dieses Feststehen der Lebenssituation durch das soziale Umfeld als ascibed status (vgl. Fend 2003, S. 368). Gleichzeitig wurde dadurch ein mögli- cher sozialer Aufstieg verhindert. Individuelle Vorlieben und Begabungen von Fa- milienmitgliedern wurden durch dieses Vorgehen ebenfalls nicht berücksichtigt (vgl. Beinke 2006a, S. 86). Fend (2003, S. 368) sieht, wie auch andere Theoreti- ker, in der Möglichkeit, durch seine eigenen Fähigkeiten den angestrebten sozia- len und beruflichen Status zu erwerben (achieved status), eine der größten Errun- genschaften der Moderne.

Elternberufe wirken auf die Berufswahl der Kinder ein. Das sieht Beinke zum einen darin begründet, dass Eltern über ihren ausgeübten Beruf am besten und sicher- sten informieren können. Gleichzeitig wird den Kindern auf subtile Art durch das Alltagsleben der elterliche Beruf nahegebracht (vgl. Beinke 2000, S. 10; Görtz- Brose/Hüser 2006, S. 280). Der Berufswahlforscher fand durch seine Studien her- aus, dass die Berufswahl von Jugendlichen im Wesentlichen schichtenspezifisch fällt, trotz zum Teil erfolgreicher Bemühungen, die Berufswahlentscheidung auf rationalem Weg durch Informationen und durch den Abgleich der Eignung zu be- einflussen (vgl. Beinke 2006b, S. 253). Fend sieht das Wahrnehmen der Nutzung dieser Möglichkeitsräume im engen Zusammenhang mit den kulturellen und sozia- len Ressourcen einer Familie, die wiederum durch die soziale und berufliche Stel- lung der Eltern beeinflusst werden (vgl. Fend 2003, S. 369; vgl. Beinke 2000, S. 43). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch die Autoren einer Studie aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Jungen und Jugendliche aus höheren sozia- len Kreisen orientieren sich v.a. am väterlichen Beruf, während sich Kinder aus Arbeiterfamilien eher für eine Einstiegsmöglichkeit in einem konkreten Betrieb inte- ressieren (vgl. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 280). Im Konstanzer Längsschnitt konnte Fend ebenfalls nachweisen, dass der Berufswunsch von der Berufsposition des Vaters (zunehmend von 12.-16. Lebensjahr) abhängt (vgl. Fend 2003, S. 369). Mütter spielen für Gymnasiasten eine eher unerhebliche Rolle, was die be- rufliche Vorbildwirkung betrifft (vgl. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 291).

Bereits in älteren Forschungsbeiträgen wird auf einen Zusammenhang zwischen beruflicher Prägung der Eltern und Berufswahl von Jugendlichen hingewiesen (vgl. Jaide 1961). Jaide stellt in seinen Forschungsergebnissen dar, dass ca. ein Viertel der Jungen einen ähnlichen Beruf wie die Väter ergreift und ca. ein Fünftel der Mädchen den mütterlichen Beruf wählt (vgl. Jaide 1961, S. 83). Beinke beobachtet eine abnehmende Tendenz der Berufsvererbung (vgl. Beinke 2006a, S. 86ff.). In seiner Studie, die den Berufswunsch von Schülern aller Schulformen mit den ausgeübten Berufen der Eltern vergleicht, belegt er, dass sich 6,1% der Mädchen und 10,8% der Jungen für den gleichen bzw. ähnlichen Beruf wie die Eltern ent- scheiden würden (Beinke 2006a, S. 99). Er begründet die Abnahme der Berufs- vererbung mit der Veränderung der Berufswahl und dem Vorhandensein einer Bandbreite neuer, attraktiver Berufe. Eine Konstanz in der Weitergabe von Beru- fen fällt in einer Umgebung mit traditionell geprägten beruflichen Strukturen auf. Daraus ergibt sich, dass Jugendliche häufiger einen handwerklichen Beruf wählen, wenn der Vater auch in diesem Berufsfeld tätig ist (Beinke 2006, S. 99). Eine hö- here Quote an Berufsvererbung weist Schober (1996) nach. Aus ihrer Erhebung unter abgehenden Schülern geht hervor, dass sich 20% der Absolventen für den gleichen Beruf oder das gleiche Studienfach wie die Eltern entscheiden (zit. n. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 280).

2.3 Berufs- und Studienfachwahl als Prozess

Laut Artikel 12 des Deutschen Grundgesetzes ist es ein Recht jedes deutschen Bürgers, seinen Beruf frei zu wählen5 Kritiker stellen in Frage, ob der Terminus technicus Berufswahl im Sinne einer einmaligen „Wahl des Berufes“ tatsächlich gerechtfertigt ist (vgl. Tessaring 1999). Vielmehr deuten die Vielfalt an individuel- len, institutionellen und sozioökonomischen Bestimmungsfaktoren und Restriktio- nen eher auf einen mehrjährigen Arbeits- und Berufsfindungsprozess als auf eine einmalige und eindeutige Berufswahl hin (vgl. Beinke 1999). So gibt es laut der Agentur für Arbeit 500 Ausbildungsberufe6, aber 20.000 verschiedene Berufsbe- zeichnungen und damit Berufstätigkeiten (Tenorth/Tippelt 2012, S. 65). Kohli (1973, S. 6) und Fuchs (1978, S. 101) sprechen daher von einem Berufswahlpro- zess für ein Berufsfeld, in welchem der Einzelne zu einer beruflichen Position kommt. Auch die gesellschaftlichen und technischen Veränderungen sieht Stuhl- mann (2009, S. 73) als Herausforderung bei der Bildung und Ausprägung einer Berufsidentität und -biographie. Daher schlussfolgert sie, sei es wichtig, dass in einem Berufsfindungsprozess ein Begabtenselbstbild, berufliche Wert- und Ziel- vorstellungen und eine Berufsrollenidentität gebildet werden (vgl. Stuhlmann 2009, S. 73). Schmude (2009, S. 16) fasst zusammen:

„Der Prozess der Berufswahl umfasst die Entscheidung für die berufli- che Erstqualifizierung und die entsprechende Qualifizierungsinstitution (duales System, berufliche Vollzeitschule, Hochschulbereich), die Vorbereitung dieser Entscheidung und auch alle weiteren im Zusam- menhang mit der beruflichen Entwicklung stehenden Entscheidungen innerhalb des Erwerbslebens im arbeitsfähigen Alter: Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses, freiwilliger oder unfreiwilliger Berufswechsel bzw. Austritt sowie der dauerhafte Austritt aus dem Erwerbsleben am Ende der Berufslaufbahn.“

In der Literatur wird die Berufswahl in fünf Schritte untergliedert: 1.Selbsterkennen, 2. Informationen über die Berufswelt sammeln, 3. Gegenüberstellen von Selbsterkenntnis und gewonnener Information, 4. Eingrenzen der Wahlalternativen und 5. Berufsorientierung (vgl. Fend 2003, S. 372).

Die einmal getroffene Wahl des Berufes oder des Studienfaches impliziert nicht, dass diese Entscheidung Sicherheit gewährt oder für das ganze Berufsleben Be- stand hat. Die Festlegung für einen Beruf oder ein Berufsfeld ist nicht mehr an ei- nen Lebensabschnitt gebunden (Stauffer 1981, S. 379). Vielmehr erfordert die heutige industrielle Arbeitsgesellschaft, geprägt von rasanter Entwicklung in den Produktions- und Leistungsbereichen, Flexibilität und eine lebenslange Lern- und Entscheidungsbereitschaft des Individuums (vgl. Tenorth/Tippelt 2012, S. 82; Böhm 1994, S. 86).

2.4 Berufswahltheorien - eine Systematisierung

Die Berufswahl ist sowohl ein komplexer individueller Prozess als auch ein Ziel. Die eigenständige Wahl der Entscheidungsträger wird von einer Vielzahl von endogenen und exogenen Faktoren determiniert, die ihre zukünftige berufliche und gesellschaftliche Stellung beeinflussen wird.

Berufswahltheorien haben es sich zur Aufgabe gemacht, Antworten auf die zentra- len Fragen zu geben, die mit dem Thema Berufswahl und Berufsorientierung als vielschichtigem Prozess einhergehen (vgl. Hoppe 1980, S.86). Dazu gehören u.a. Aspekte, wie das Wissen darüber, wie man eine Entscheidung in diesem Bereich treffen kann, das Erarbeiten eines beruflichen Selbstkonzeptes mit entsprechen- der Umsetzung, das Reflektieren von Zukunftsperspektiven und Wechselwirkun- gen im Zusammenhang mit persönlichen und äußeren Voraussetzungen. Ernst (1996, S. 37) schreibt: „Die Berufswahl ist […] ein Zusammenwirken aus Persönlichkeits-, Interaktions- sowie regionalen Umgebungseinflüssen.“.Je nach wissenschaftlichem Standpunkt gibt es verschiedene theoretische Erklärungsmo- delle (vgl. Hoppe 1980, S. 86), von denen es keinem aufgrund der Komplexität des Phänomens „Berufswahl“ gelingt, dieses angemessen zu erfassen.

Seifert (1977, S. 189) hält fest: „Bis heute ist es noch nicht gelungen, eine umfas- sende und allgemein anerkannte Theorie der Berufswahl und des beruflichen Werdegangs zu entwickeln.“. Er klassifiziert die Berufswahltheorien nach histori- scher Entwicklung und disziplinärer Herkunft (vgl. Seifert 1977, S. 173 ff.). Die Seifertsche Einteilung, welche sich bei verschiedenen Autoren durchgesetzt hat (vgl. u. a. Hoppe 1980, S. 93 ff., Beinke 1999, S. 67 ff.; Bender-Szymanski 1980, S. 3), wird im Folgenden vorgestellt. Daneben werden in der Literatur weitere Möglichkeiten der Klassifizierung der Berufswahltheorien genannt, von deren Darstellung aber abgesehen wird, da sie den eingeschränkten Rahmen dieser Masterarbeit sprengen würde.

2.4.1 Der differentialpsychologische Ansatz

Das Grundmodell dieses klassischen Ansatzes geht auf Parsons zurück und nimmt an, dass die Berufswahl nicht als Prozess stattfindet, sondern ein einmali- ger Akt ist, wobei jedem Individuum exakt ein Beruf zugeordnet werden kann (vgl. Seifert 1977, S. 176). Die individuellen Neigungen und die Eignung eines Men- schen werden mit den Anforderungen, die der Beruf an die Persönlichkeit stellt, abgestimmt (vgl. Hoppe 1980, S. 94). Beruflicher Erfolg ist dann am ehesten ge- währleistet, je passender die Persönlichkeitseigenschaften mit dem Anforderungs- profil des Berufes übereinstimmen.

2.4.2 Der entscheidungstheoretische Ansatz

Diese Theorie geht davon aus, dass die Berufswahl eine einmalige Entscheidung ist, die von sich rational verhaltenden und von ihrer Umwelt unabhängigen Individuen getroffen wird (vgl. Hoppe 1980, S. 94). Die Wirk- und Einflussfaktoren auf die Berufswähler sind nach Seifert fest vorgegeben (vgl. Seifert 1977, S. 215 f.). Eine Gliederung der entscheidungstheoretischen Ansätze erfolgt in präskriptive und deskriptive Modelle. Während erstere untersuchen, wie Entscheidungen getroffen werden sollten, geben letztere Aufschluss darüber, wie die realisierten Entscheidungen aussehen (vgl. Brown 1994, S. 427).

2.4.3 Die entwicklungspsychologischen Theorien

Diese von Ginzberg entwickelte und von Seifert erweiterte Theorie nimmt an, dass die Berufs- bzw. Studienfachwahl ein Teil und ein Ergebnis der bis zu diesem Zeitpunkt abgelaufenen Persönlichkeitsentwicklung eines Individuums ist (Seifert 1977, S. 176). Die Berufswahlentscheidung wird als Kompromiss aus endogenen und exogenen Wirkfaktoren betrachtet und ist nicht umkehrbar (vgl. Hoppe 1980, S. 94, Seifert 1977, S. 180 f.). Da die Ausformung der Persönlichkeit besonders in der Entwicklungsphase der Adoleszenz stattfindet und ein Teil der wissenschaftlichen Erkenntnisse im empirischen Teil verarbeitet werden, wird diese im Folgenden näher betrachtet.

Die Adoleszenz ist nach Remschmidt (2013, S. 423) eine Lebensphase, die den Übergang von der späten Kindheit zum Erwachsenenalter markiert. Die Entwick- lungsperiode wird häufig in drei Abschnitte eingeteilt: die frühe, die mittlere und die späte Adoleszenz (vgl. Herpertz-Dahlmann et al. 2013, S. 432). Gekennzeichnet durch biologische und physiologische Veränderungen, geht die Entwicklungsphase einher mit der sexuellen und körperlichen Reifung, an der sich am deutlichsten die Gesamtheit der somatischen Veränderungen zeigt (vgl. Remschmidt 2013, S. 423). Nahezu alle körperlichen Funktionen und Organe un- terliegen im Verlauf dieser Lebensphase erheblichen Wandlungen. Zeitlich gese- hen umschließt die Adoleszenz eine Altersspanne vom 12. bzw. 13. Lebensjahr bis zum 20. respektive 24. Lebensjahr (vgl. Remschmidt 2013, S. 423).

Remschmidt (2013, S. 423) weist auf die Unschärfe der zeitlichen Grenzen bezüglich aller noch folgenden Kriterien hin (vgl. Fend 1998, S. 51f.). Während sich die untere Grenze mit dem Beginn der Pubertät an körperlichen Veränderungen festmachen lässt (Einzug der Menarche/erste Ejakulation), ist die obere Grenze variabler und stärker von gesellschaftlichen Einflüssen geprägt (vgl. Remschmidt 2013, S. 423). Daher wird die zeitliche Obergrenze der Adoleszenzphase in der neueren Forschung weniger über das Alter als über soziale Kriterien beschrieben und festgelegt (vgl. Remschmidt 2013, S. 423).

Psychologisch gesehen schließt diese Entwicklungsphase die Gesamtheit der in- dividuellen Vorgänge, die mit der Auseinandersetzung und der Bewältigung der somatischen Veränderungen sowie sozialen Reaktionen auf diese verbunden sind, ein (vgl. Remschmidt 2013, S. 423). Es entstehen neue kognitive Strukturen, wie z.B. die Fähigkeit zum abstrakten Denken und moralische Werthaltungen (vgl. Herpertz-Dahlmann et al. 2013, S. 433). Außerdem entwickelt sich die Introspekti- onsfähigkeit und es gilt die Herausforderung der alterstypischen Entwicklungsauf- gaben zu meistern, wie z.B. Annahme der Geschlechtsrolle, Akzeptanz der Ver- änderungen des Körpers, Ablösung von den Eltern, Entwicklung einer Weltan- schauung, einer Identität, von Selbstsicherheit und -kontrolle und sozialer Kompe- tenzen, sowie Aufbau eines Freundeskreises, Aufnahme intimer Beziehungen und einer Zukunftsperspektive - Berufsausbildung/Studium - und zu einem selbstän- digen und verantwortungsvollen Erwachsen zu reifen (vgl. Konrad et al. 2013, S. 425).

Soziologisch betrachtet, lässt sich die Adoleszenz als Zwischenraum festmachen, in dem die Jugendlichen ihre biologische Geschlechtsreife erreicht haben, aber noch nicht im Besitz der allgemeinen Rechte und Pflichten gekommen sind, die eine verantwortliche Teilnahme an wesentlichen Grundprozessen der Gesellschaft ermöglichen und erzwingen (vgl. Remschmidt 2013, S. 423).

Hinsichtlich der rechtlichen Perspektive lässt sich festhalten, dass die Teilmündigkeiten in der Adoleszenz zunehmen, d.h. Strafmündigkeit mit 14 Jah- ren, Ehemündigkeit auf Antrag mit 16 Jahren, Volljährigkeit mit 18 Jahren, Ende der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht mit 21 Jahren (vgl. Remschmidt 2013, S. 423).

Frühere Erkenntnisse aus groß angelegten Längsschnittstudien der Neurowissen- schaften und der Entwicklungspsychologie zeigen (Giedd et al. 1999), dass sich das Gehirn grundlegend während der Adoleszenz bis zum Beginn der dritten Le- bensdekade reorganisiert (vgl. Konrad et al. 2013, S. 425). In diesen Prozessen kommt es zu tiefgreifenden emotionalen (z.B. erhöhte Vulnerabilität für schädliche Umwelteinflüsse) und sozio-affektiven Veränderungen (Therory of Mind; Empa- thie), sowie zu kognitiven Weiterentwicklungen, die z.B. das Denken und Handeln dahingehend beeinflussen, dass eine flexible Anpassung an neue, komplexe Auf- gabensituationen ermöglicht wird (Konrad et al. 2013, S. 427). Die neurobiologi- sche Forschung hat in Übereinstimmung mit der Präventionsforschung herausge- funden, dass man Jugendliche in der Entwicklungsperiode der Adoleszenz auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit am effektivsten durch Programme unterstützen kann, die weniger primär auf Wissensvermittlung angelegt sind, als dass sie viel- mehr den Aspekt des individuellen Nutzens thematisieren in Kombination mit sozi- alen Kompetenz- und Widerstandstrainings (vgl. Konrad et al. 2013, S. 429).

Die Autoren schlussfolgern:

„Die große Plastizität des adoleszenten Gehirns ermöglicht es, dass sich Umwelteinflüsse in besonderer Weise prägend auf kortikale Schaltkreise auswirken können. Die eröffnet Chancen zum einen für Bildung und Erziehung […]. So können Jugendliche in dieser Lernphase aufgrund ihrer hohen Beeinflussbarkeit durch Emotionen insbesondere von Lernerfahrungen profitieren, die in einem positiven emotionalen Kontext stattfinden und gezielt eine Emotionsregulation trainieren.“ (Konrad et al. 2013, S. 425; 430)

Die Adoleszenz stellt sich als eine entscheidende Reifungsphase des Gehirns so- wie mentaler und sozialer Entwicklungsschritte dar. Der starke bisher nur unzurei- chend durch die kognitiven Neurowissenschaften analysierte Einfluss des sozialen und kulturellen Kontextes auf diese Entwicklung, hat wichtige pädagogische und gesellschaftspolitische Konsequenzen (vgl. Konrad et al. 2013, S. 430). Der größte Teil der Befragten dieser Pilotstudie (n= 225) befindet sich bezogen auf ihr Lebensalter in der Phase der Adoleszenz. 78,7% der Kohorte sind zwischen 17 und 24 Jahren alt. Da die Berufsfindung eine Kernaufgabe dieser Entwicklungs- phase ist, haben manche diese Herausforderung bereits für sich bewältigt, wäh- rend andere auch mit der Aufnahme des Medizinstudiums und daher einer scheinbaren Festlegung für ein Studienfach bzw. ein konkretes Berufsbild mögli- cherweise noch in der Findungs- oder Festigungsphase sind.

„Die neueren Erkenntnisse zur Hirnentwicklung zeigen, dass man nicht davon ausgehen kann, dass ein junger Mensch mit dem 21. Le- bensjahr den Entwicklungsstand eines erwachsenen Menschen be- reits erreicht hat. Viel- mehr ist aufgrund der unterschiedlichen Rei- fungsgeschwindigkeiten verschiedener Hirnregionen anzunehmen, dass die früher ausgereiften subkortikalen Areale bei Heranwachsen- den noch nicht hinreichend der Kontrolle der stammesgeschichtlich jüngeren kortikalen Areale unterliegen. Diese beherbergen unter an- derem die exekutiven Funktionen, die für Planung, Vorausschau und Abwägung von Entscheidungsprozessen verantwortlich sind.“ (Remschmidt 2013, S. 424)

Sich für einen Beruf zu entscheiden, den man später ausüben möchte, ist wie auch die damit zusammenhängende Krise von Identität vs. Rollendiffusion (Erikson 1993) eine zu bewältigende Entwicklungsaufgabe der Adoleszenz (vgl. Oerter/Dreher 2002, S. 271, Stuhlmann 2009, S. 73).

Von Stewart et al. wurde die Aufnahme des Studiums als „normatives kritisches Lebensereignis“ bezeichnet (vgl. Krampen/Reichle 2002, S. 329). Die Studienfachwahl beeinflussen zentrale Faktoren, wie z.B. sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie, elterliche Einflüsse, persönliche Interessen, Geschlecht, Landesregion und die damit verbundenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Krampen/Reichle 2002, S. 329).

Basierend auf Eriksons Stufentheorie entwickelte Marcia ein Modell, welches Identitätsstadien unterscheidet (vgl. Fend 2003, S. 376f.). Zusätzlich zu der Erikson´schen Differenzierung zwischen der Identitätsfindung vs. dem Verharren in der Rollenkonfusion, beschreibt Marcia vier verschiedene Stadien der Identität, indem er die Dimensionen „Krise -Exploration von Alternativen“ und „Commitment“ hinzufügt (vgl. Stuhlmann 2009, S. 77).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Identitätsstatus nach Marcia (1993)

Daraus ergeben sich nach Archer (1993) bezogen auf die Berufswahl vier Stadien, von denen, so Stuhlmann, „ […] einzig die erworbene Identität Basis für eine ge- lingende Passung zwischen Persönlichkeit und Berufstätigkeit bei der Berufswahl- entscheidung ist.“ (Stuhlmann 2009, S. 77f.). Diese theoretischen Erkenntnisse bestätigen empirische Untersuchungen (Solberg et al. 1995; Holland et al. 1993). Eine erreichte erworbene Identität zeichnet sich im Berufswahlprozess dadurch aus, dass ein Bezug zu den eigenen Interessen und Kompetenzen hergestellt und die Wahl des Berufes begründet werden kann. Dies führt zu Sicherheit aber auch zu Flexibilität im Berufswahlprozess hinsichtlich des Nachdenkens über Alternati- ven, falls die Erstentscheidung sich nicht realisieren lassen sollte (vgl. Stuhlmann 2009, S. 77). Im Unterschied dazu fehlt im diffusen Identitätsstatus die Erkenntnis über die Notwendigkeit, überhaupt eine Berufsentscheidung treffen zu müssen. Es kann dabei zum zeitlich begrenzten Verharren in Hoffnungslosigkeit, zu Antriebs- losigkeit und zum Rückzug aus der Berufssuche kommen (vgl. Stuhlmann 2009, S. 77). Die festgelegte Identität zeichnet sich durch eine alternativlose Festlegung der Berufswahl im Kindesalter aus. Weitgehende Unkenntnisse über den Wunschberuf und über das eigene Begabungsprofil sind ebenfalls ein Merkmal dieses Status´ (vgl. Stuhlmann 2009, S. 77). Die suchende Identität zeigt sich in einer langen Phase des Abwägens mehrerer Berufe. Mit Anstieg des Lebensalters erhöht sich auch der Entscheidungsdruck, was Angst und Sorgen bei den Heran- wachsenden und ein Verbleiben im Suchstatus zur Folge haben kann (vgl. Stuhl- mann 2009, S. 77).

Stuhlmann fasst zusammen: “[…] empirische Belege bestätigen die theoretischen Annahmen, dass Identität die Passung zwischen Persönlichkeit (Interesse) und beruflicher Umwelt moderiert.“ (Stuhlmann 2009, S. 78).

2.4.4 Die Psychodynamische Theorie

Wichtige Vertreter, die diesen Ansatz geprägt und formuliert haben, sind Roe, Moser, Bordin und Super (vgl. Seifert 1977, S. 194 ff.). Frühkindliche Erfahrungen und die soziale bzw. gesellschaftliche Schichtzugehörigkeit des Berufswählers sind für die psychodynamische Theorie von zentraler Bedeutung. In diesem tiefenpsychologischen Ansatz besteht die Erklärungsgrundlage für die Wahl des Berufes aus Bedürfnissen und Neigungen sowie Präferenzen des Individuums (vgl. Seifert 1977, S. 194; Hoppe 1980, S. 94).

2.4.5 Die soziologischen und sozioökonomischen Theorien

Als Ergebnis von Selektions- und Allokationsprozessen verstehen die soziologi- schen und sozioökonomischen Ansätze die Berufswahl, weswegen sie auch als Allokationstheorien bezeichnet werden. Eine individuelle Einflussnahme auf die Wahl des Berufes wird ausgeschlossen, da dieser Ansatz von der gravierenden Wirkung exogener gesellschaftlicher Faktoren auf die Berufswahl ausgeht (vgl. Seifert 1977, S. 231). Die Sozialisation des Berufswählers vor dem Berufseintritt ist von zentraler Bedeutung (vgl. Hoppe 1980, S. 94). Entgegen dem entschei- dungstheoretischen Ansatz wird die Wahl ausschließlich in Abhängigkeit von sozi- alen, ökonomischen und kulturellen Faktoren gesehen (vgl. Hoppe 1980, S. 94 f.).

Das allokationstheoretische Modell vertreten Musgrave, Kohli, Scharmann und Blau (vgl. Seifert 1977, S. 231 ff.).

2.4.6 Die typologische Theorie

Dieses Erklärungsmodell nimmt grundsätzlich ein Beziehungsgeschehen zwi- schen der Persönlichkeitsstruktur des Individuums und seiner Umwelt an, aus welcher sich die entsprechende Berufswahl ergibt, wobei persönliche Eignungen und Neigungen als elementare Bestandteile der Persönlichkeit vorgegeben sind. Holland geht davon aus, dass die Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft einen erheblichen Einfluss auf die Berufswahl haben (vgl. Seifert 1977, S. 231). Am Ende eines langandauernden Prozesses, indem eine Abstim- mung zwischen Persönlichkeitsstruktur und Umwelt stattfindet, steht idealerweise der passende Beruf für jedes Individuum (vgl. Hoppe 1980, S. 94). Dieser Prozess wird nach Holland durch Überlegungen zur Persönlichkeit und zur Identitätsent- wicklung durch das Finden von Ansätzen zu den beruflichen Umwelten und Tätig- keiten sowie Theorien zur Verbindung beider Wirklichkeitsbereiche - Passung von Berufstätigkeit und Persönlichkeit - gestaltet (Stuhlmann 2009, S. 73).

2.4.7 Interdisziplinär ansetzende Modelle und Theorien

Ziel der Begründer der interdisziplinären Modelle ist es, einen umfassenderen Be- zugsrahmen zu entwickeln, indem erkannte Defizite (z. B. ausschließliche Fokus- sierung auf endogene oder exogene Wirkfaktoren) aus bereits vorhandenen Mo- dellen zur Berufswahl beseitigt und bewährte Aspekte aus diesen aufgenommen werden (Bender-Szymanski 1980, Bußhoff 1989, Hillmert 1996). Ergänzt wird die- ser Bezugsrahmen durch die Verknüpfung verschiedener theoretischer Überle- gungen (Kohli 1975, Hoppe 1980). In Kohlis erarbeitetem Modell finden sich allo- kations-, entscheidungs- und entwicklungstheoretische Ansätze zur Erklärung der Berufsfindung wieder, die Hoppe mit dem interaktionstheoretischen Ansatz er- gänzt. Ziel dieser mehrperspektivischen Theorie ist die Thematisierung der wech- selseitigen Beziehungen, Einflussgrößen und Abhängigkeiten zwischen Gesell- schaft und Individuum in Bezug auf die Berufswahl (Hoppe 1980, S. 98f.). Ein wei- teres Ziel ist die Ergänzung des Ansatzes durch eine didaktische Dimension. So werden in Hoppes Theorie pädagogische Maßnahmen inkludiert, die die Optimie- rung von Entscheidungs- und Handlungsspektrums zugunsten des Berufswählers forcieren (Hoppe 1980, S. 101).

2.5 Einflussfaktoren

2.5.1 Wirkfaktoren - eine Klassifizierung

Der individuelle Entscheidungsprozess der Berufswahl ist abhängig von verschiedenen Bedingungsfaktoren. Diese Vielfalt von miteinander verflochtenen und voneinander abhängigen Einflüssen lassen sich in sogenannte endogene und exogene Wirkfaktoren gliedern (vgl. Schreier 2001).

Bei der folgenden Darstellung werden wesentliche exogene, für die Studie relevante, Determinanten betrachtet. Sonderbegabungen oder Behinderungen werden außen vor gelassen, da sie eine Minderheit der Berufswähler betreffen (vgl. Blasche et al. 1982).

Individuelle psychische (z.B. schulische Leistungen; Persönlichkeitsstruktur) und physische (z.B. Alter; Geschlecht) Eigenschaften, sowie persönliche Interessen oder Verantwortungs- und Entscheidungsfähigkeit werden als innere (endogene) Wirkfaktoren bezeichnet (vgl. Golisch 2002, S. 40). Diese über die Lebenszeit ausgeprägten oder auch unterentwickelt gebliebenen Determinanten beeinflussen die Berufswahl. Daneben wirken exogene Faktoren, wie z.B. gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen und Kriterien auf die Berufs- bzw. Studien- fachwahl (vgl. Ries 1970, S. 50). Diese von außen auf das Individuum wirkenden Determinanten (Peer-Groups; Eltern; Schule; soziales Umfeld; aktuelle Arbeits- markt- und Ausbildungslage; Region) entziehen sich zum Teil dem Einflussbereich des Berufswählers und wirken sich selektierend auf die Berufswahlalternativen aus (vgl. Küng 1971, S. 26 ff.).

2.5.2 Elterneinfluss als einer der wichtigsten exogenen Wirkfaktoren auf die Berufs- bzw. Studienfachwahl

Zu dem Ergebnis, dass Eltern einer der größten Einflussfaktoren für die Berufs- und Studienwahl von Jugendlichen sind, kommt die Studie „Familie und Berufs- wahl“ (Beinke 2002), in der 62% der Jugendlichen die Tätigkeit der Eltern gleich- rangig hoch bewerten wie praktische Erfahrungen im angestrebten Berufsfeld (vgl. Puhlmann 2005, S. 4). Die Auswertung einer repräsentative Umfrage (EINSTIEG, 2004) in Hamburg zeigt, dass sich Jugendliche am häufigsten mit ihren Eltern (91%) im Gespräch über ihre berufliche Zukunft auseinandersetzen und 73% der befragten Jugendlichen stimmten der Aussage zu, dass ihnen ihre Eltern geholfen haben, eine konkrete Entscheidung für ein Studienfach zu treffen (vgl. Görtz- Brose/Hüser 2006, S. 287f.). Eltern sind sich der Verantwortung ihrer Beratungs- pflicht den eigenen Kindern gegenüber durchaus bewusst (vgl. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 280). Ihr hohes Engagement zeigt sich in einem Modellversuch Beinkes (vgl. Beinke/Richter 1993), in dem er nachweisen kann, dass bereits zum Ab- schluss der 8. Jahrgangsstufe einer Realschule insgesamt 93% der Eltern das Thema Berufswahl mit ihren Kindern besprochen und 34,5% angaben, sich inten- siv mit den Kindern über die spätere Berufswahl auseinandergesetzt zu haben (vgl. Beinke 2000, S. 10). Auch Fend hat in seinem Konstanzer Längsschnitt (n=1790-2054 zwischen 1979-1983) nachgewiesen, dass die Themen Berufswahl und Zukunftsentwürfe bevorzugte Gegenstände familiärer Gespräche von der 7. bis 10. Klassenstufe, abhängig vom besuchten Schultyp des Kindes, sind (vgl. Fend 1998, S. 105). Sowohl die Autoren der Shell Jugendstudie von 2010 als auch Beinke (Beinke 2000, S. 12) und Fend (Fend 2003, S. 368f.) weisen darauf hin, dass Eltern bereits mit der Schulwahl die Weichen für die Berufsbiographie der Kinder stellen, da sie in strukturellem Zusammenhang mit der späteren Berufs- und Studienwahl steht (vgl. Albert et al. 2010)

In den wenigsten Fällen zwingen Eltern ihren Kindern konkrete Berufe auf, den- noch lenken sie die Wahl des Kindes indirekt durch das eigene Vorbild (Ziele, Fä- higkeiten, aber auch Erlebens-, Verhaltens-, und Verarbeitungsmuster) und die eigene Berufsbiographie mit ihren Höhen und vielleicht auch Unsicherheiten und Tiefen (vgl. Lohse 2011, S. 23; Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 277, 280). Eltern mö- gen sich an eigene (verwehrte) Berufswünsche erinnern, an den Einfluss ihrer ei- genen Eltern und an Familientraditionen (transgenerational weitergegebene Beru- fe), wenn sie sich mit ihren Kindern auseinandersetzen. Daraus speisen sich zum Teil die Hoffnungen und konkrete (Berufs-)Wünsche für ihre eigenen Kinder (vgl. Puhlmann 2005, S. 1f.; vgl. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 283), die wohl oft mit dem Gedanken verbunden sind, dass der Nachwuchs, bezogen auf das subjektiv elter- liche Erleben, bessere Chancen haben sollen. Aber auch die zunehmenden prekä- ren Arbeitsverhältnisse, die anhaltende (Jugend-)Arbeitslosigkeit und der harte Konkurrenzkampf im alltäglichen Arbeitsleben beeinflussen den Rat und damit den direkten Einfluss der Eltern auf ihre Kinder. Natürlich haben Eltern auch ein eige- nes Interesse daran, dass ihre Kinder durch die für sie richtige Berufswahl, finan- ziell und sozial unabhängig werden (vgl. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 293). Die wenigsten Eltern sind sich jedoch der dialektischen Herausforderung bewusst, die darin besteht, hilfreich und unterstützend den eigenen Kindern bei der Berufswahl beizustehen, da sie als wichtiger emotionaler Haltepunkt empfunden werden und andererseits ihnen die Entscheidungsfreiheit überlassen zu wollen (vgl. Görtz- Brose/Hüser 2006, S. 280f., 283, 291). Eine festgeschriebene Funktion haben sie seitens der Schule beim Berufswahlprozess ihrer Kinder nicht, auch wenn gesell- schaftlich erwartet wird, dass Eltern Vorbilder für eine gelingende Integration auf dem Arbeitsmarkt sind. Jugendliche erleben, nachgewiesen in der Hamburger Studie EINSTIEG von 2004, ihre Eltern vor allem als kompetente Gesprächspart- ner und Experten, wenn es um die Einschätzung ihrer Ressourcen und Wachs- tumsbereiche geht (vgl. Görtz-Brose/Hüser 2006, S. 287f., 290). Darin sehen die Autoren aber auch eine Gefahr der idealistischen Überhöhung der eigenen Eltern in mehreren Bereichen, die oft mit diesen, unbewusst an sie herangetragenen, berufsberaterischen Ansprüchen des Nachwuchses überfordert sind (vgl. Görtz- Brose/Hüser 2006, S. 289) .

2.5.3 Peer Group/Freunde

Nach Prager und Wieland (2005, S. 3) spielt die gedankliche Beschäftigung um die Berufsentscheidung bei Jugendlichen eine zentrale Rolle. Daher verwundert es nicht, dass diese in freundschaftlichen Gesprächen thematisiert wird. Freunde sind somit ebenfalls wichtige exogene Determinanten für die Berufswahl. Eine Aufgabe, die mit der Lebensphase der Adoleszenz einhergeht, ist das Loslösen aus der engen asymmetrischen und gegebenen Eltern-Kind-Beziehung hin zur Verselbständigung, die auch das aktive Finden, Halten und Gestalten von sozia- len, symmetrischen Kontakten mit Gleichaltrigen umfasst (vgl. Fend 2003, S. 304). „Jugendliche müssen aus der Welt der Eltern emigrieren und in die Welt der Peers immigrieren.“ (vgl. Fend 2003, S. 300).

Einen Grund für die Motivation, sich eine Peer-Group zu suchen, findet Fend in dem lebensgeschichtlichen Wandel der Beziehungsbedürfnisse (vgl. Fend 2003, S. 307). So sind Eltern nicht in der Lage lebenslang alle sozialen Kontakte ihrer Kinder zu befriedigen.

Fend beschreibt Gruppen von Jugendlichen als Interaktionsgeflecht, das Entwicklungsräume und Erfahrungsfelder bietet, die parallel zur Elternbeziehung bestehen und nicht ersetzt werden können (vgl. Fend 2003, S. 305), denn sie bieten eigene Normen und Werte, Identifikations-, Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten und Gesellungsformen, die (vgl. Fend 2003, S. 305) Orientierung und Geborgenheit schaffen (vgl. Fend 2003, S. 305).

Ab dem 6. Schuljahr werden Freunde nach Fend (2003, S. 307) nicht mehr nur nach Kriterien der räumlichen und sozialen Nähe oder nach dem Alter, sondern auch nach der vermuteten Ähnlichkeit der Person ausgewählt (Interessen, Mei- nungen, Einstellungen). So können sich folglich in einer Peer-Group auch ältere Berufstätige oder studierende Freunde befinden, die durch ihr Vorbild auf die Be- rufswahl der jüngeren Jugendlichen Einfluss nehmen. Auch Gleichaltrige sind un- entbehrlich für die Entwicklung eines Selbstverständnisses und „um die Ereignis- geschichte des Alltagslebens auf ihren Sinn hin durcharbeiten zu können“ (vgl. Fend 2003, S.307). Freundschaften zu Altersgleichen sind qualitativ unterschied- lich und bergen auch Risiken, wie z.B. soziale Ablehnung und Ausschluss, die sich traumatisch auf die Entwicklung und die Persönlichkeit des Adoleszenten auswir- ken können (vgl. Fend 2003, S. 308).

Wie auch Eltern bzw. Familien unterstützen Gleichaltrige und Peer-Groups durch Werte und Normen innerhalb der Gemeinschaft die gegenseitige Entwicklung einer Berufsidentität (vgl. Beinke 2006b, S. 249). Das erklärt auch den hohen Stellenwert, den Freunde bei der „Berufsberatung“ aus der Sicht der Jugendlichen einnehmen. So rangieren laut Beinkes Studie die Freunde hinter den Eltern (61,6%) und dem Praktikum (58,4%) auf Platz drei der wichtigsten exogenen Determinanten für Berufswahl (vgl. Beinke 2004, S. 13 ff., 76).

2.5.4 Medien/Vorbilder

Die Attraktivität eines Berufes hängt zum Teil von der subjektiven, endogenen Bewertung (Phantasie, Wissen, Erfahrung um den Wunschberuf) des Individuums ab. Medien und konkrete reale oder fiktive Vorbilder wirken sich ebenfalls extern auf das Ansehen eines Berufes aus. Durch gezielte, massenwirksame Aktionen via TV oder Printmedien können (wirtschaftliche) Interessenverbände das Image eines Berufes gestalten und somit im besten Fall dafür Sorge tragen, dass ein Be- ruf bzw. ein Studienfach häufiger gewählt wird, d.h. dass sich konkret mehr Stu- dierende z.B. für das Studienfach Humanmedizin immatrikulieren. Eine dieser Imagekampagnen, die von 2013 bis 2017 laufen wird und sich gezielt an den me- dizinischen Nachwuchs richtet7, wurde kürzlich deutschlandweit unter dem Na- men: „Wir arbeiten für ihr Leben gern!“ gestartet. Hintergrund für die Bewerbung des Arztberufes durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist der (Fach-)Ärztemangel, v.a. im ländlichen Versorgungsbereich, der sich durch den demographischen Wandel und die Zunahme chronischer Krankheiten in Zukunft noch verschärfen dürfte. Im Wissen um die schlechter werdenden Rahmenbedin- gungen bezweckt die Kampagne durch großflächige Plakatierung in 250 Groß- städten, einen TV-Spot8, einen Kino-Spot9 und einen eigenen Internetauftritt, das Ansehen der Ärzte in der Öffentlichkeit zu verbessern10, den Wert der ärztlichen Arbeit zu verdeutlichen, aber auch ein realistisches Berufsbild zu zeichnen11. Es ist fraglich, wie erfolgsversprechend diese Strategie ist, zeigen doch Studiener- gebnisse, dass Kampagnen dieser Art zwar die Aufmerksamkeit erregen, aber dennoch keine wichtige Einflussgröße für die Berufs- bzw. Studienentscheidung darstellen (Prager/Wieland 2005, S. 9)

Auch durch viele nationale und internationale TV-Serien, die sich seit Jahrzehnten großer Beliebtheit erfreuen, wird der Arztberuf wiederholt thematisiert, neuinterpretiert und versucht, positiv darzustellen (vgl. Blasche et al. 1982, S. 10).

3. Überleitung zur Fragestellung

Da es bisher sehr wenige Studien zu den konkreten Studienmotiven und Einflussfaktoren auf die Studienentscheidung von Humanmedizin-Studierenden gibt, sind die wesentlichen Anliegen dieser Arbeit, zu überprüfen, ob der aus den theoretischen Überlegungen abgeleitete exogene Faktor Elterneinfluss relevant ist für die Studienfachwahl der Studierenden und ob sich die Ergebnisse dieser Pilotstudie mit anderen bereits vorliegenden empirischen Daten zur Studienmotivation decken oder voneinander unterscheiden.

Beantwortet werden die Items aus der Retrospektive, denn die Entscheidung für das Studienfach Humanmedizin ist bereits zum Befragungszeitpunkt gefallen. Des Weiteren sollen studienbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM44) abgebildet und Unterschiede der Muster in Bezug auf die Einflussfaktoren und Studienmotive dargestellt werden.

Außerdem ist von Interesse, ob sich neue Determinanten für die Studienfachwahl bzw. Wirkfaktoren auf die Studienfachwahl herauskristallisieren. Darüber hinaus soll festgestellt werden, inwiefern sich Alter, Geschlecht, Bildungsherkunft der Studierenden und die berufliche Prägung der Eltern bzw. der Familie (Berufsvererbung) auf die Fragestellung auswirken.

Aufgrund dieser Zielsetzung erfolgt die Formulierung der Fragestellungen und dem folgend die Ableitung der Hypothesen deduktiv und induktiv.

3.1 Fragestellungen und Hypothesen

3.1.1 Hypothese 1 - subjektiv empfundener Elterneinfluss auf die Studien- fachwahl

Wie bereits in der Rahmentheorie dargelegt, gilt der Elterneinfluss auf die Berufs- bzw. Studien(fach)wahl als größter Wirkfaktor. Daher soll in Hypothese 1a über- prüft werden, wie hoch der subjektiv empfundene Elterneinfluss der Studierenden ist und welche weiteren entscheidenden Determinanten es für die Studienwahl gibt.

Da die Ausführungen zur Lebensphase der Adoleszenz gezeigt haben, dass sich Individuen noch in der Entwicklung befinden wird in Hypothese 1b angenommen, dass der Elterneinfluss mit zunehmendem Lebensalter abnimmt. Durch Hypothese 1c soll dargestellt werden, in welchem Zusammenhang das Geschlecht mit den Ergebnissen steht.

3.1.2 Hypothese 2 - Berufsvererbung

Studien haben gezeigt, dass der Anteil der Eltern mit gleicher beruflicher Prägung bei Medizinstudenten höher ist als in anderen Studiengängen. Das führt zu der Annahme, dass sich dieses Phänomen auch in dieser Untersuchung zeigt (2a). Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse zur Berufsvererbung aus der Literatur ist davon auszugehen, dass das berufliche Vorbild des Vaters einen größeren Ein- fluss auf die Studierenden hat als das der Mutter. Dies soll in Hypothese 2b getes- tet werden.

Durch die Hypothese 2c soll überprüft werden, ob der Faktor Beruf der Eltern und Familienmitglieder einen Einfluss auf den subjektiv erlebten Elterneinfluss und die Studienmotivation nimmt. Da das elterliche Berufsvorbild besonders prägt (Prager/Wieland 2005, S. 9), ist davon auszugehen, dass Studierende, die Ärzte im familialen Kontext aufweisen, sich stärker von diesen beeinflussen lassen als Kommilitonen mit Eltern anderer beruflicher Prägung.

3.1.3 Hypothese 3 - Studienmotive

Ein weiteres Anliegen der Querschnittstudie ist die Darstellung von Studienmotiven für das Fach Humanmedizin und der Vergleich zu bereits vorhandenen Daten zur Studienmotivation (3a).

Da in der Literatur der Arztberuf als geschlechtsneutral gilt, gibt dies Grund zur Annahme, dass das Geschlecht keinen Einfluss auf die Studienmotive hat (3b). Es wird ebenfalls davon ausgegangen, dass das Alter keinen Einfluss auf die Studienmotivation hat (3c).

Durch Hypothese 3d soll herausgefunden werden, ob die Berufsprägung der Familie oder der Eltern einen Einfluss auf die Studienmotive hat.

3.1.4 Hypothese 4 - Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM-44) zu Studien- beginn

Aufgrund früherer empirischer Daten ist davon auszugehen (4a), dass das Muster G (Gesundheit) am häufigsten vertreten ist und das insgesamt die unbedenklichen Muster (Schonung und Gesundheit) gegenüber den gesundheitsgefährdenden Mustern A (Selbstüberforderung) und B (Erschöpfung) überwiegen. In Hypothese 4b wird untersucht, wie sich die Verhaltens- und Erlebensmuster auf die Geschlechter der Studierenden verteilen.

Durch zwei weitere Hypothesen soll herausgefunden werden, ob es signifikante Zusammenhänge zwischen den Musterausprägungen und der Studienmotivation (4c) oder den Musterausprägungen und den Items zum subjektiv empfundenen Elterneinfluss auf die Studienfachwahl gibt (4d).

3.1.5 Hypothese 5 - Bildungsherkunft

Da die Berufswahlentscheidung immer noch bevorzugt schichtenspezifisch erfolgt, ist davon auszugehen, dass Studierende mit dem Bildungsherkunftsfaktor 3 und 4 im Vergleich zu Studierenden mit dem Faktor 1 und 2 deutlich überrepräsentiert sind (5a).

In Hypothese 5b soll untersucht werden, ob ein Zusammenhang zwischen beruflicher Vorbildwirkung des Vaters und dem Bildungsherkunftsfaktor besteht, wie es in der Literatur aufgezeigt wurde.

4. Methode

Bevor die statistischen Verfahren und die Messinstrumente, die zur Datenerhebung eingesetzt wurden, erläutert werden, erfolgt zunächst die Darstellung des Untersuchungsansatzes sowie der Stichprobengewinnung.

4.1 Untersuchungsansatz

Da davon ausgegangen werden kann, dass Berufswahl als Prozess aufgefasst wird und mögliche Determinanten auf diese Wahl schon existieren, bevor eine konkrete Entscheidung für ein Studienfach bzw. einen Beruf gefallen ist, wurde die quantitative Pilotstudie im Ex-post-facto-Design entworfen, um exogene Einflüsse auf die Studienfachwahl und die Studienmotivation der Studierenden zu erfassen. Der Zeitpunkt der Befragung (erste Studienwoche des ersten Fachsemesters) er- scheint deswegen besonders günstig, da die Berufswahlentscheidung m.E. noch in zeitlicher Nähe zum Studienbeginn liegt und außerdem es u.a. um Vorausset- zungen (gesundheitsförderndes oder gesundheitsgefährdendes Verhalten und Erleben und Elterneinfluss auf Studienfachwahl) geht, die die Anwärter mit in das Studium hineinbringen. Einerseits ist eine konkrete Entscheidung und Festlegung seitens der Studierenden für das Fach Medizin gefallen und die Aufnahme an der Universität durch die Immatrikulation gesichert. Anderseits werden ihre Antworten auf die Fragen zum Erlebnis- und Bewältigungsmuster noch nicht durch den rea- len Druck und die Intensität des Studiums beeinflusst. Die Empfänglichkeit und Offenheit für die Befragung könnte erhöht sein, da sich die Studierenden in einer Umbruchphase befinden, die geprägt sein kann von einem möglichen Wohnort- wechsel und der damit verbundenen Anpassung an eine neue Region, der Über- nahme von (mehr) Verantwortung in der Selbstorganisation des Alltags und der Neustrukturierung des sozialen Netzwerkes (Familie, Freunde). Bekanntes weicht Neuem und dieses System verstörende Erleben widerspiegelt sich in der ganzen Bandbreite der Emotionen und berührt innere Themen wie auch möglicherweise Grenzen, was eine mindestens unbewusste Auseinandersetzung mit eigenem Er- leben und Verhalten fördert. In diesem sozioemotionalen Anpassungsprozess kann die Befragung einen Beitrag zur Selbstreflexion und Verortung leisten. Nach Bachmann et al. (1999) gilt besonders die Transitionsphase, die den Übergang vom Schulabschluss zum Studium markiert, als die stress- und konfliktbelastetste des Studiums (Bachmann, zit. n. Klier 2009, S.12).

4.2 Stichprobengewinnung

Eine repräsentative Befragung der Grundgesamtheit (N = alle Medizinstudenten des ersten Semesters mit Einstieg zum WS 2013/2014 in der BRD) ist aufgrund des Aufwandes und der Kosten im Rahmen dieser Masterarbeit nicht möglich, daher wird die Studie mit einer Teilmenge (n) dieser Grundgesamtheit durchgeführt. Am 16.10.2013 wurden die Querschnittdaten mittels quantitativer Befragung an der medizinischen Hochschulbildungseinrichtung der Friedrich Schiller Universität in Jena, der einzigen im Bundesland Thüringen, erhoben12.

Die Medizinische Fakultät gilt als eine der traditionsreichsten in Deutschland und gehörte zu den vier Gründungsfakultäten der Alma Mater Jenensis. Im Jahr 1558 wurde ihr das kaiserliche Universitätsprivileg zuerkannt. Derzeit leben etwa 100.000 Einwohner in Jena, ca. ein Viertel davon repräsentiert den Anteil an Stu- denten, von denen wiederum 1% an der Medizinischen Fakultät eingeschrieben sind13.

Für die Stichprobengewinnung wurden Medizinstudierende des ersten Semesters rekrutiert. Zu diesem Zeitpunkt waren offiziell 250 Studierende immatrikuliert, von denen 231 an der Veranstaltung teilnahmen. Die dreißigminütige Befragung vor Ort zu Beginn der Lehreinheit nahm die Autorin durch Vorstellen des Vorhabens, Verteilen und Einsammeln des Fragebogenpaketes selbst vor. Die Rücklaufquote betrug 99,1%, da 229 von 231 (=n) ausgegebenen Bögen für die Auswertung ver- wendet werden konnten. Auf die gesamte Kohorte (250) bezogen, beträgt die Rücklaufquote 91,6%. Insgesamt ist die Ausschöpfungsquote und damit die Pilot- studie in ihrem kleinen Rahmen als repräsentativ zu bewerten.

4.3 Statistische Verfahren

Das anonymisierte Datenmaterial wurde von der Autorin auf einem Computer er- fasst, mittels statistischer Verfahren (Grafstat, Mystat, pspp, SPSS) ausgewertet und gespeichert. Einfache Häufigkeitsverteilungen wurden zur allgemeinen Be- schreibung der Stichprobe durchgeführt. Die Hypothesentestung erfolgt durch Zweistichproben t-Tests und einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA). Beide Ver- fahren, die eine Intervallskala voraussetzen, vergleichen arithmetische Mittel und testen Signifikanzen. Es ist möglich, diese Berechnungen durchzuführen, obwohl die Items des eingesetzten Fragebogens formal ordinal skaliert sind, da es keine natürlichen Nullpunkte gibt und sich die Skalen in gleichgroße Abschnitte untertei- len lassen. Da bei der Variable Bildungsherkunft mehr als zwei Gruppen vorlie- gen, ist die Überprüfung der globalen Nullhypothese der Varianzanalyse über paarweise t-Tests aufgrund der Alphafehler-Kumulierung nicht zulässig. Eine mul- tiple Vergleichstechnik ermöglicht mit Berücksichtigung der Alphainflation die Überprüfung der Mittelwertpaare auf Unterschiede im Fall eines signifikanten ANOVA-Ergebnisses. Der eingesetzte Scheffé-Test eignet sich besonders für un- gleichgroße Gruppen, wie sie in dieser Studie vorliegen.

[...]


1 Der besseren Lesbarkeit wegen verzichtet die Autorin in der Regel auf die weibliche Sprachform und bitten alle Leserinnen um Verständnis.

2 Quelle. Duden.de. Suchbegriff Berufswahl. Online im Internet unter: http://www.duden.de/suchen/dudenonline/berufswahl, (Stand 11.03.2014)

3 Quelle. Duden.de. Suchbegriff: Wahl. Online im Internet unter http://www.duden.de/suchen/dudenonline/Wahl, (Stand 02.02.2014)

4 Quelle. Duden.de. Suchbegriff: Studienfach. Online im Internet unter: http://www.duden.de/rechtschreibung/Studienfach, (Stand 02.02.2014)

5 Quelle. Dejure.org. Grundgesetz Artikel 12. Online im Internet unter: http://dejure.org/gesetze/GG/12.html, (Stand 04.01.2014)

6 Quelle. Arbeitsagentur.de. Lexikon der Ausbildungsberufe. Ausgabe 2013/2014. Online im Internet unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mdk4/~edisp/l6019022ds tbai390559.pdf, (Stand 10.02.2014)

7 Quelle. Ihre-aertze.de. Online im Internet unter: http://www.ihre-aerzte.de/home.html, (Stand 11.11.2013)

8 Quelle. Ihre-aerzte.de. TV-Spot. Online in Internet unter: http://www.ihre-aerzte.de/kampagne/tv-spot.html, (Stand 11.11.2013)

9 Quelle. Ihre-aerzte.de. Kino-Spot. Online im Internet unter: http://www.ihre-aerzte.de/kampagne/kino- spot.html, (Stand 11.11.2013)

10 Quelle. Durchblick-gesundheit.de. „Wir arbeiten für ihr Leben gern.“ - Warum die Ärzte ihr Image aufpolie- ren. Online im Internet unter: http://www.durchblick-gesundheit.de/content/red.otx/1177,135386,0.html, (Stand 11.11.2013)

11 Quelle. Bvdd.info. „Ich arbeite für ihr Leben gern.“ KBV startet Imagekampagne zur Nachwuchswerbung. Online im Internet unter: http://www.bvdd.info/jsp_public/cms2/index.jsp?did=6946, (Stand 11.11.2013)

12 Quelle. Uni-Jena.de. Medizinische Fakultät. Online im Internet unter: http://www.uni- jena.de/Medizinische_Fakultaet.html, (Stand 6.11.2013)

13 Quelle. Uni-Jena.de. Geschichte der Universität Jena. Online im Internet unter: http://www.uni- jena.de/Geschichte.html, (Stand 6.11.2013)

Ende der Leseprobe aus 158 Seiten

Details

Titel
Elterneinfluss auf die Studienfachwahl
Untertitel
Eine quantitative Pilotstudie an der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität zu Jena
Hochschule
Theologische Hochschule Friedensau  (Sozialwesen)
Veranstaltung
Masterthese
Note
1,5 sehr gut
Autor
Jahr
2014
Seiten
158
Katalognummer
V311802
ISBN (eBook)
9783668108226
ISBN (Buch)
9783668108233
Dateigröße
2274 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
elterneinfluss, studienfachwahl, eine, pilotstudie, medizinischen, fakultät, friedrich-schiller-universität, jena
Arbeit zitieren
Daniela Bachmann (Autor:in), 2014, Elterneinfluss auf die Studienfachwahl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311802

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