"Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert II

Fragmente des Glaubens


Fachbuch, 2015

280 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

1. Einleitung: Theologie als stetiges Weiterfragen und Weiterdenken

2. Komplextheologisches Denken Und Dorothee Sölles mystische Schriften

3. Komplextheologisches Denken und David H. Nikkels Theologie des „radical embodiment“

4. Komplextheologisches Denken und die „postmodernen“ theologischen Phänomenologien des Exzesses

5. Komplextheologisches Denken und verschiedene „Entwicklungsmodelle“ des „Gottesbewusstseins“

6. Komplextheologisches Denken und Thomas J. J. Altizers Theologie des „Todes Gottes“

7. Abschluss

8. Postskript: Zwei Nachträge

Literaturverzeichnis

„So viel ist gewiss, wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt auf immer alles dogmatische Gewäsch, womit er sich vorher zur Not begnügte, weil seine Vernunft etwas brauchte, und nichts Besseres zu ihrer Unterhaltung finden konnte.“ (Immanuel Kant, Prolegomena, nach Maslankowski, Kant,177)

„Mathematik, Naturwissenschaft, Gesetze, Künste, selbst Moral usw. füllen die Seele nicht gänzlich aus; es bleibt immer noch ein Raum in ihr übrig, der für die reine und spekulative Vernunft abgestochen ist, ..., die ihrer Bestimmung gemäß etwas verlangt, was sie befriedigt …“ (Immanuel Kant, Prolegomena, nach Maslankowski, Kant, 179)

„Religion zu haben, ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst.“ (Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, nach Maslankowski, Kant, 249)

Vorwort

Seit ich im Juni 2010 den ersten Teil meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ im „Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik“, Tà katoptrizómena, veröffentlicht habe, ist viel geschehen. Politisch, gesellschatlich, religiös und auch persönlich.

Theologisch habe ich intensiv weiter nachgedacht und meinen religiösen Denkweg immer weiter zu klären, zu vertiefen, und zu erweitern versucht. Daraus sind die Teile 2-5 meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ entstanden und vieles mehr. Nach der Veröffentlichung der Teile 1-3 in Buchform ("Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert: Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute trag- und sagfähigen Glauben, Grin-Verlag München 2012, bzw. der Neuausgabe als: Heute glaubwürdig von Gott reden. "Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert, disserta-Verlag, Hamburg 2014), sowie der beiden kleineren „Ableger“ „Was von uns bleibt: Christliche Hoffnung angesichts des Todes“ (Grin-Verlag München 2012) und „Gefeiertes Geheimnis. Spiritualität, Ritual und Gottesdienst in einer nachtheistischen Religiosität“ (Grin-Verlag München 2013) habe ich mit meinem hier reflektierten Glaubens- und Denkweg eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit gefunden insbesondere durch das Interview, das Hartmut Meesmann vom „Publik Forum“ mit mir geführt hat („Das dynamische Geheimnis“ in „Publik Forum“ 5/2014, 26-31 ) und durch das Folgeinterview „Offenbarung lässt mich Tiefe neu erahnen“ in der Schweizer Kirchenzeitschrift „reformiert.“ (Nr. 5/2014, 8).

In der Folge wurden einige Gesprächswünsche an mich herangetragen, sowohl von anderen Theolog/inn/en als auch von interessierten „Laien“. Meine Suche nach einem für mich auch „nachtheistisch“ (dieses Wort benutze ich bis auf Weiteres in Ermangelung eines besseren) theologisch, ethisch und persönlich plausiblen religiösen Orientierungsschema für mein Leben und meine Sicht der Welt war offenbar auch für einige andere Menschen von Belang geworden, und ihre Rückmeldungen haben mich sehr ermutigt. Auf dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind dann einige weitere Veröffentlichungen entstanden, u.a. meine beiden Artikel „Zum Erzählen biblischer Geschichten“ (In: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 14/2015, Heft 1, 69-82) sowie „Grenzen und offene Räume. Gott und Kirche aus dem Blickwinkel eines Pfarrers mit Behinderung“ (in „Wege zum Menschen“ 67/2015, Heft 6), die weiteren zunächst in „Tà katoptrizómena“ veröffentlichten Teile IV und V meiner „Paradigmen theologischen Denkens“, der Beitrag zu „Kants ethischer Religion und religiöser Ethik“ (ebenfalls in „Tà katoptrizómena“ veröffentlicht) sowie die neueren Beiträge zu „Universalismus und Partikularismus in menschlichen Weltkonstruktionen“ und zur „Krankheit und Gesundheit des Religiösen“ (bisher noch unveröffentlicht(). Diese letztgenannten fünf Beiträge will ich hier nun wieder (auch) als Buchveröffentlichung im „Grin-Verlag“ vorlegen, in der Hoffnung, dass sie meinen Denk- und Glaubensweg sinnvoll weiterführen, und in der Buchform wieder von interessierten Leserinnen und Lesern vielleicht nochmals besser rezipiert werden können.

Insbesondere der letzte Beitrag („Ist unsere Kirche krank?“) versucht, meinen religiösen und theologischen Denkweg (und gleichsam so etwas wie den „Gesamtertrag“ aller fünf Teile meiner „Paradigmen theologischen Denkens“) insgesamt zusammenzufassen, zu bündeln, dabei v.a. spirituell nochmals zu vertiefen, und nimmt damit ein Anliegen auf, das mehrfach an mich herangetragen worden ist. Er hat seine Grundlage in einem Vortrag, den ich Anfang 2014 vor einem Konvent evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Karlsruhe gehalten habe. Allerdings habe ich ihn durch die Hinzunahme der Fragestellung nach der möglichen „Krankheit“ von Kirche und Religion, die aus dem Gespräch mit meinem Freund Markus Beile1 entstanden ist, wesentlich erweitert und inhaltlich ergänzt. Enstanden sind sieben Grundthesen, die vielleicht so etwas wie eine „Zwischenbilanz“ meiner bisherigen „Suche nach einem für mich heute sag- und tragfähigen Glauben“ darstellen, die auch wichtige Erweiterungen meines bereits in "‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“ aufnimmt und integriert.

Das Thema der „Gesundheit“ oder „Krankheit“ des Religiösen hat mir vor allem nochmals geholfen, so etwas wie die „spirituelle Basis“ meines bisherigen in meinen verschiedenen Veröffentlichungen sich entwickelnden Denk- und Glaubensweges genauer zu bestimmen. Das mystische Thema der „ „Gelâzenheit“ (Meister Eckhart) und des „Lassenlernens“ ist vielleicht das Grundthema nicht nur meines theologischen Fragens und Denkens, sondern meines religiösen Weges und meines Lebens überhaupt. Es hat Wurzeln schon in den Erfahrungen und Begegnungen meiner Kindheit und Jugend, und war, wie ich heute sagen kann, tatsächlich in meiner evangelikal-pietistischen relgiösen Anfangsphase schon überraschend präsent2. Es ist vielleicht tatsächlich so etwas wie die „geheime Mitte“ meines gesamten heuigen religiösen Such- und Frageweges, und das spirituelle „Herz“ meiner Überlegungen. Auch meine Krankheit und der Umgang mit immer neuen gesundheitlichen Einschränkungen und „Verlusten“ haben dieses Thema für mich sicher nochmals verdringlicht und verstärkt – aber nicht erst hervorgebracht oder verursacht.

Noch einige Worte zum Verständnis und zur Eigenart der hier vorgelegten Arbeiten:

- Ich möchte auch hier nochmals darauf hinweisen, dass es sich bei meinen Veröffentlichungen nicht um „systematische“ theologische Arbeiten im traditionellen Sinne handelt. Auch, wenn ich mich bemüht, habe, durchaus „akademischen Standards“ zu genügen, ging es mir nicht um ein herkömmliches akademisch-theologisches Fachbuch. Am Anfang stand keine theologische These, die ich dann systematisch entwickelt hätte. Auch dieses Buch hat vielmehr „Werkstattcharakter“, ich habe der Anregung von Freunden folgend einfach „laut“ gedacht, so verschlungen, rhapsodisch, manchmal „verschraubt“, unfertig und teilweise widersprüchlich meine Denkwege eben sind. Meine Hoffnung war, dass meine Einichten und Ideen vielleicht auch für andere interessant sein könnten, die ähnlich religiös „unruhig“ sind (Augustin), teilweise „radikal“ fragen und suchen wie ich. Ich möchte nach wie vor keine „Doktorarbeit“ schreiben, oder sonstwie den Anspruch erheben, alle in der zeitgenössischen akademischen Situation relevanten Beiträge, Themen und Vorgaben zu berücksichtigen oder ihnen gerecht geworden zu sein.

- Mein Freund Markus Mürle hat in seiner Buchrezension zu „‘Gott‘, ‚Mensch‘ und ‚Welt‘“ I in den Badischen Pfarrvereinsblättern 9/2012, 339-341, bemerkt, dass mein Buch „in einem nicht gerade restringierten Code“ geschrieben sei (ebd, 339). Es ist zudem engzeilig gedruckt, wimmelt vor Anmerkungen, und macht es möglichen Leserinnen und Lesern darum alles andere als einfach, einen Zugang zu seinen Inhalten zu gewinnen. Auch das erklärt sich aus der oben geschilderten Genese und Eigenart. Ich habe einfach das aufgeschrieben, was ich denke, so wie ich es denke. Anscheinend „funktioniert“ mein Kopf selbst in einer solchen für viele vielleicht recht verschraubten, elaborierten und teilweise komplizierten Weise. Die, denen das Probleme bereitet, bitte ich um Nachsicht. Ich hoffe, es ist nicht nur eine Ausrede, zu sagen, dass es mir eben um eine sehr „komplexe“ Materie ging und um die Überwindung von vielen aus meiner Sicht „reduktionistischen“ und „monistischen“ oder „dualistischen“ Vereinfachungen. Dennoch weiß ich, wie wichtig es wäre, meine Gedanken noch zu elementarisieren, allgemeinverständlicher zu fassen, und sozusagen pädagogisch „herunterzubrechen“. Einen kleinen Schritt in diese Richtung stellen vielleicht immerhin meine beiden bereits erwähnten Interviews3, und auch mein neuerer Beitrag „Grenzen und offene Räume“4 dar. Hier danke ich nochmals meinen diversen dafür verantwortlichen Gesprächspartnern, dass sie es geschafft haben, mein Denken durch die Art ihres Fragens sozusagen einmal „stärker auf den Boden“ zu holen. Vielleicht brauche ich noch mehr solche Dialoge und Gespräche, um auch hier noch weitere Fortschritte zu machen. Zum Glück spreche ich in meinem Alltag mit vielen Menschen, die wenig oder gar nicht akademisch „vorbelastet“ sind. Gerade ihnen verständlich zu machen, um was es mir geht, ist vielleicht die eigentliche Bewährungsprobe, der ich mich mit meinem religiösen Denkweg stellen muss. Es geht ja im Grunde um die „großen Fragen“ des Lebens und des Sterbens, um das, was uns Hoffnung gibt, tröstet und trägt trotz alledem, die tatsächlich allen Menschen gemeinsam sind, und bei denen sich gerade bei den sog. „einfacheren“ Menschen oft eine elementare Weisheit findet, von der wir alle lernen können.

- In Gesprächen über meine Thesen und Veröffentlichungen wurde gelentlich angemerkt, dass ich mich so sehr auf die Werke, Gedanken und Einsichten anderer, v.a. „meiner amerikanischen Gegenwartstheologen“ bezöge, dass man meine eigene Position nicht immer klar davon unterscheiden und erkennen könne. Daran ist sicher richtig, dass ich mich für mein Denken sehr von den von mir rezipierten Autor/inn/en habe befruchten lassen, und meine Einsichten also tatsächlich eben nicht „auf meinem eigenen Mist gewachsen“ sind, was ich auch deutlich herausarbeite und zeige. Ich will mich nicht „mit fremden Federn“ schmücken und nicht so tun, als wäre mein Denkweg nicht über weite Strecken rezeptiv. Aber ich denke, das bedeutet deshalb noch lange nicht, dass in meinen Beiträgen „alles nur geklaut“ wäre. In „‘Gott‘, ‚Mensch‘ und ‚Welt‘“ I habe ich dazu geschrieben, dass meine hier vorgetragene theologische Denkbewegung sicher „über weite Strecken rezeptiv “ ist, d.h., „sie gewinnt ihre Gestalt und ihre Richtung durch die Rezeption für mich ungemein erhellender und inspirierender internationaler theologischer Grundlagenwerke der letzten Jahrzehnte bis heute, die, meine ich, die Landschaft globalen theologischen Nachdenkens nachhaltig verändert haben. … In der für mich ungemein fruchtbaren und bereichernden Rezeption solcher nach meiner Wahrnehmung für heutige denkerische Verantwortung des Glaubens bahnbrechenden theologischen Grundlagenwerke ist meine hier entfaltete theologische Denkbewegung zugleich aber konstruktiv. Diese Konstruktivität meiner Denkbemühung beginnt schon mit der Auswahl der zugrunde gelegten Werke, und mit den selektiven Schwerpunkten, mit denen ich sie in meine Zusammenstellung für mich paradigmatisch weiterführender theologischer Denkanstöße integriere. Ich habe aber überhaupt im Lesen und Bedenken dieser unterschiedlichen theologischen Entwürfe versucht, mir meinen eigenen ‚Reim darauf zu machen‘ und für mich zu überlegen: Wie würde ich ein theologisches Fragen und Sprechen heute konturieren, das mich selbst spirituell und existentiell befriedigen kann, und mir so auf jeden Fall für mich persönlich heute hilfreich und zukunftsfähig erscheint.“5 Vielleicht könnte man diesen Sachverhalt auch in Anlehnung an Luthers berühmte Abendmahlsdeutung so formulieren, dass ich gelernt habe, das Meine „in, mit und unter“ dem von anderen Übernommenen zu sagen und auszudrücken. Meine Veröffentlichungen gleichen in dieser Hinsicht vielleicht eher den mittelalterlichen „Sentenzenkommentaren“ als originären Grundlagenentwürfen. Aber auch darin entsprechen sie meinem Denk- und Glaubensweg, und sind bei aller Bezogenheit auf „Andere“ dennoch Ausdruck auch meiner eigenen für mich vielfach beglückenden theologischen Entdeckungs- und Abenteuerreise.

- Ich habe auch dieses Buch wieder im „Grin-Verlag“ veröffentlicht. Ein solches Publikationsforum gilt vielen als „unseriös“, und es gibt sogar Leitlinien für wissenschaftliche Arbeiten, nach denen Veröffentlichungen in „Selbstverlagen“ wie dem „Grin-Verlag“ nicht wissenschaftlich „zitierfähig“ sind. Nun, daran kann ich nichts ändern. Ich habe meine Publikationen seinerzeit verschiedenen „renommierten“ theologischen „Fachverlagen“ angeboten, und von den meisten nicht einmal eine Reaktion erhalten. Ein Verlag wollte mein Buch gegen einen hohen Eigenbeitrag von mehreren tausend Euro veröffentlichen. Das sehe ich nicht ein. Ich denke, der „Wert“ meiner Bücher liegt in dem hohen Maß von Arbeit und Nachdenken, der in ihnen steckt – und wenn mein Angebot nicht ins Format der „etablierten“ Fachverlage passt, dann bin ich froh, dass es solche alternativen (und wie ich finde im Internetzeitalter auch zeitgemäßen) Publikationsmöglichkeiten gibt. Im Übrigen würde ich den Erstellern von Richtlinien für akademisches Arbeiten raten, die Studierenden anzuleiten, die Seriosität von Fachliteratur nicht anhand des Renommées ihrer Autor/inn/en oder ihres Verlages zu beurteilen, sondern ausschließlich nach ihrer inhaltlichen Qualität. Hier gibt es, meine ich, immer noch viel „akademischen Dünkel“, der uns nicht weiterführt und Innovationen im Denken eher verhindert.

- Auch die Beiträge dieses Buches sind wieder wesentlich im Gespräch mit der internationalen theologischen und philosophischen Fachliteratur der Gegenwart entstanden. Darum enthalten auch sie wieder viel englischsprachiges Material, und sogar wesentliche Einsichten und Formulierungen Immanuel Kants tauchen in ihrer englischen Übersetzung auf. Theologisch, philosophisch, und wie ich meine, auch biologisch, physikalisch und naturwissenschaftlich wird die wirklich wichtige „Musik“ inzwischen nach meiner Wahrnehmung schon lange nicht mehr vorwiegend in Deutschland oder auf Deutsch „gespielt“. Um das Lesen und Rezipieren der relevanten englischsprachigen Literatur für deutsche Leserinnen und Leser zu erleichtern, habe ich in „‘Gott‘, ‚Mensch‘ und ‚Welt‘“ I alle englischsprachien Zitate noch auf Deutsch übersetzt. Darauf habe ich in diesem Folgeband verzichtet. Der Aufwand wäre zu groß gewesen, und auch vom Umfang her hätte es das Buch allzusehr überdehnt. Ich bedaure, wenn das die Lektüre für manche interessierten Leserinnen und Leser noch etwas schwieriger machen sollte.

- Schließlich will ich nochmals betonen, dass es sich nach meiner Überzeugung bei allen theologischen Denkvorschlägen, auch bei meinen, immer um „proposals to be tested“ handelt (nach Philip Hefner6 ), also um Denkideen, heuristische Konstruktionen und Diskussionsangebote. Diese Denkwege helfen mir zur Plausibilisierung einer „für mich heute sag- und tragfähigen“ Glaubensperspektive, aber sie erheben nicht den Anspruch auf „absolute“ Gültigkeit. Keiner muss so denken. Zwar glaube ich, dass bestimmte Grundeinsichten etwa Immanuel Kants unsere möglichen plausibilisierbaren Sichtweisen auf „Gott, Mensch und Welt“ unumkehrbar verändert und irreduzibel neu ausgerichtet haben. Aber damit will ich niemandem seine eigene Sicht der Dinge nehmen oder sie schlechtreden. Was für mich wirklich nicht geht, das sind Fanatismen, Dogmatismen, Diskriminierungen, Verketzerungen und Absolutismen jeder Art. Aber ansonsten herrscht Freiheit. In meinem Interview „Offenbarung lässt mich Tiefe neu erahnen“ mit der Zeitschrift „reformiert.“ habe ich auf die Frage, ob Menschen, denen meine Art zu glauben, „zu komplex“ ist, auch „auf die liebe alte Art weiterglauben“ dürfen, geantwortet: „Gerne. Ich habe nicht die Absicht, jemandem seinen Glauben zu nehmen, Oder ihm seine Art zu glauben zu verbieten. Das wäre ja auch überheblich und wiederum absolutistisch. Nur erwarte ich, dass diese Gläubigen auch andere akzeptieren. Auf dass keine Religion jemals fanatisch, unhinterfragbar und gewalttätig wird.“7

1. Einleitung: Theologie als stetiges Weiterfragen und Weiterdenken

Christliche Theologie ist nach meinem Verständnis, wie ich es verschiedentlich bereits in meinen bisherigen Veröffentlichungen formuliert habe, im Sinne einer „ theologia viatorum “ (Karl Barth) oder „ theology of becoming “ (Catherine Keller) ein stetiges existentielles und konzeptionelles Weiterfragen und Weiterdenken, das „in dieser Welt“ niemals „abgeschlossen“ sein kann. Wenn Glaube den Charakter eines steten „Aufbruchs“ aus dem bisher Vertrauten in ein „neues Land“ hat, das Gott uns verheißt (Abraham und Sara, Exodustradition, Ruf in die „Jesusnachfolge“), dann darf auch unser „theologisches Denken“ als „Denken in Bewegung" nicht bei einem einmal erreichten Kenntnisstand stehen bleiben, weil es sonst nicht mehr lebendig, sondern erstarrt und sterbend wäre. Insofern gehört zum Glauben nach meiner Überzeugung konstitutiv die ständige Dekonstruktion und Rekonstruktion seiner bisherigen Einsichten.

Diesem Grundansatz entspricht es wohl, dass auch das mit meinen „Paradigmen theologischen Denkens“ verbundene Opus immer weiter wächst und wächst. „ Fama crescit eundi “, heißt es in der Aeneis bei Vergil, „ das Gerücht wächst, indem es wandert “. Entsprechend wächst auch der Horizont theologischen Denkens, während es sich zu neuen Orten bewegt, neues Terrain erkundet, und bereits begangenes Terrain durch weiteres Begehen nochmals anders in den Blick nimmt, vertrauter macht und seine „Landkarte“ von ihm dabei erweitert und präzisiert.

Inzwischen ist fast schon eine kleine Bibliothek meiner „Paradigmen“ - Überlegungen und -Veröffentlichungen entstanden. Folgende Publikationen zeigen den bisherigen Weg meiner „Suche nach einem für mich heute sag- und tragfähigen Glauben“:

- Artikel „Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 65, Jahrgang 12/2010, http://www.theomag.de/65/sts1a.htm
- Artikel „Paradigmen theologischen Denkens - zwei Nachträge“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 66, Jahrgang 12/2010, http://www.theomag.de/66/st2.htm
- Artikel „Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil II“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 69, Jahrgang 13/2011, http://www.theomag.de/69/sts3a.htm
- Artikel „Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben. Teil III“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 76, Jahrgang 14/2012, http://www.theomag.de/76/sts6a.htm
- Zusammenfassung und Erweiterung dieser vier Artikel in meinem Buch "‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert: Paradigmen theologischen Denkens. Auf der Suche nach einem für mich heute trag- und sagfähigen Glauben“, Grin-Verlag München 2012
- Artikel: „Christliche Hoffnung angesichts des Todes. Teile I und II“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 73, Jahrgang 13/2011, http://www.theomag.de/73/index.htm
- Zusammenfassung und Erweiterung in meinem Buch "Was von uns bleibt: Christliche Hoffnung angesichts des Todes“, Grin-Verlag München 2012
- Artikel „Gott 9.0. Eine Rezension“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 81, Jahrgang 15/2013, http://www.theomag.de/81/sts7.htm
- Buch „Gefeiertes Geheimnis. Spiritualität, Ritual und Gottesdienst in einer nachtheistischen Religiosität“, Grin-Verlag München 2013

Nun haben neue eigene Lektüren und mit ihnen verbundene Erweiterungen meines Denkweges dazu geführt, dass ich mich entschieden habe, doch noch einen „Teil IV“ meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ zu schreiben, diesmal mit dem Untertitel „Weitere Verhältnisbestimmungen und Grenzziehungen“, und ihn wieder wie die Teile I-III zunächst als Zeitschriftenartikel für „Tà katoptrizómena“ zu formatieren.

Im „Anhang“ von „Gefeiertes Geheimnis“, S. 164-204, hatte ich bereits damit begonnen, „einige Ergänzungen, Präzisierungen und Korrekturen zu meinen früheren Gedankengängen aus «‚Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert»“8 bzw. den Teilen I-III meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ festzuhalten. In diesem IV. Teil meiner „Paradigmen“ geht es nun nicht nur um weitere „Ergänzungen, Präzisierungen und Korrekturen“, sondern um eine vertiefte Verhältnisbestimmung mit den „mystischen“ Hauptschriften von Dorothee Sölle, mit dem theologischen Ansatz bei einem „radical embodiment“ von David H. Nikkel, mit den postmodernen „Phänomenologien des religiösen Exzesses“, wie sie Christina M. Gschwandtner dargestellt und interpretiert hat, mit verschiedenen evolutionären „Entwicklungsmodellen“ des menschlichen „Gottesbewusstseins“, mit der Theologie des „Todes Gottes“, wie sie in zwei neueren Schriften von und um Thomas J.J. Altizer fortgeschrieben wird, und zuletzt nochmals um eine Verhältnisbestimmung meines dekonstruktiv-rekonstruktiven Ansatzes liberalen theologischen Denkens zu Gerd Theißens doch in der Bilanz assertorischerem liberalen Religionsverständnis, wie er es jetzt in seinem „Kritischen Katechismus“ zur Darstellung gebracht hat – am Ende ergänzt um zwei weitere „Nachträge“ zur Frage eines „verleiblichten“ Religionsverständnisses in Besprechung von Manuel A. Vásquez „materialistischer“ Religionstheorie, und zu den weiteren Möglichkeiten eines durch den „Tod Gottes“ dekonstruierten und rekonstruierten theologischen Denkens nach Jeffrey W. Robbins‘ „search for a non-dogmatic theology“.

Aus diesen weiteren „Verhältnisbestimmungen und Grenzziehungen“ ergeben sich, wie ich meine, nochmals einige neue Denkhorizonte und Perspektiven, die meine bisherige „Suche nach einem für mich heute tragfähigen und sagfähigen Glauben“ in wichtiger Hinsicht fortschreiben und ihre Bewegung und „Beweglichkeit“ ergänzen und vertiefen.

2. Komplextheologisches Denken und Dorothee Sölles mystische Schriften

Lektürebasis:

Sölle, Dorothee: Die Hinreise. Zur religiösen Erfahrung. Texte und Überlegungen, Stuttgart 31976

Sölle, Dorothee: Mystik und Widerstand. „Du stilles Geschrei“, München 1999

(1) Im Rahmen meiner Ausarbeitung zu den Möglichkeiten von „Spiritualität, Ritual und Gottesdienst in einer nachtheistischen Religiosität“ in „Gefeiertes Geheimnis“ bin ich verschiedentlich erneut auf den theologischen Nachlass Dorothee Sölles gestoßen, zunächst auf ihre Impulse zum Gebet als „politisch-theologischer Selbstformulierung“ im Rahmen des sog. „Politischen Nachtgebets“9, und dann im Rahmen meiner Beschäftigung mit den spirituellen Impulsen einer spezifisch „weiblichen“ Mystik, die Ingrid Riedel in ihrer „Mystik des Herzens“ zusammengestellt und ausgewertet hat.10 Riedels Interpretation von Sölles mystischem Denken hat mich bewogen, die beiden vor ihrem postum veröffentlichten Fragment „Mystik des Todes“11 veröffentlichten explizit mystischen Hauptwerke Sölles, „Die Hinreise“ in der 3. Auflage von 1976 und „Mystik und Widerstand“ von 1999 nochmals gründlich zu lesen.

„Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, … oder er wird nicht mehr sein“ hat Karl Rahner gesagt.12 Entsprechend war Dorothee Sölle der Überzeugung, dass christliche Religion in unserer nachaufgeklärten Moderne ihr mystisches „Herz“ wiederfinden muss, wenn sie ihrer Infragestellung durch die Religionskritik zum Trotz Menschen einen Weg in die befreiende Erfahrung der Ganzheit und des Heilseins öffnen soll, auf die das Wort „Gott“ in den unterschiedlichen Religionen zielt. In Anknüpfung an das Erbe Rahners formuliert Johann Baptist Metz: „Zu lernen wäre hier, dass diese Mystik nicht eigentlich eine elitäre Angelegenheit spirituell bevorzugter Einzelner ist, sondern gewissermaßen eine populäre Angelegenheit aller Frommen.“13

Entsprechend hat Dorothee Sölle in „Mystik und Widerstand“ von einer „Demokratisierung der Mystik“ gesprochen, um die sie sich bemüht, weg von einer Deutung mystischer Frömmigkeitswege als „spiritueller Artistik“, hin zu ihrer Deutung als tägliches geistliches „Brot des Lebens“ in unserer ganz normalen, auch in der einfachsten Frömmigkeit.14 Solche „demokratisierte Mystik“ ist für Sölle ein „Prozess“, in dem uns unser „eigene(s) Leben … immer verwunderlicher“ wird, so, als ob uns „andere Ohren, ein drittes Auge, Flügel der Morgenröte“ wüchsen15, Ausdruck eines heimatlichen Lichts, das uns „‚allen in die Kindheit scheint‘“ (Ernst Bloch). Sölle selbst formuliert: „Ich will an die vergrabene Mystik der Kindheit erinnern. In ihr gibt es für sehr viele von uns, fast möchte ich sagen: für alle und jeden, Augenblicke des intensiven Erlebens, die uns mit einer merkwürdigen, unumstößlich scheinenden Gewissheit ergreifen.“16

Mystik ist für Sölle „Sehnsucht nach Gott“17, aber der Gott der Mystik ist nicht nur die Gottheit einer einzigen Religion. „Mystik taucht in den verschiedensten Religionen – aber auch außerhalb – als Erfahrung und gemeinsame Bewegung auf. In einem Bild gesprochen, stelle ich mir die Weltreligionen in einem Kreis vor, der sein Zentrum im Geheimnis der Welt, in der Gottheit hat.“18 Die Sprache der Mystik ist eine „Sprache ohne Herrschaft“19, deren drei grundlegende „Sprachelemente“ die „Formen … der Negation“ (via negativa, „Wolke des Nichtwissens“), des „Paradox(es)“ (coincidentia oppositorum) und des kontemplativen „Schweigen(s)“ („ stilles Geschrei “) sind.20 Die Mystik ist eine „Reise“ ins Herz der Wirklichkeit und von ihm aus wieder zurück an ihre Ränder, zu ihren leidenden und marginalisierten Geschöpfen.

(2) Dieses Bild der „mystischen Reise“ hat Sölle bereits in ihrem früheren Buch „Die Hinreise“ näher entfaltet und ausgeführt. In ihm deutet sie die Mystik als die „Hinreise“, die im „Sterben des alten „Menschen“ in der mystischen „Versenkung“ besteht, und den politischen Gottesdienst (das, was sie später „Widerstand“ nennt) als „Rückreise“, in Gestalt der „Auferstehung“ eines neuen, von den Fesseln seiner egoistischen Selbstverkrümmung befreiten Menschen.

Diesen Gedanken der mystischen Hin- und Rückreise entwickelt Sölle hier paradigmatisch an der Geschichte der Gottesbegegnung des Propheten Elia am Berg Horeb. Elias Gotteserfahrung im Säuseln der „Stimme verschwebenden Schweigens“ (Buber), die den vorausgegangenen langen Hinweg Elias zum Berg Horeb voraussetzt, ist eine „Gegenerfahrung gegen Macht und Herrschaft“, die auch das traditionelle theistische Gottesbild verändert: „Gott ist in dieser Geschichte nicht ein Objekt unserer Erkenntnis, ja die Frage nach der Realität dieses Objektes ist selbst ein Ablenkungsmanöver, das von unserer Wirklichkeit, der inneren wie der äußeren fortführt. Wenn es Gott ‚gäbe‘ wie andere Gegenstände unserer Erkenntnis, so wäre die Hinreise überflüssig, das Sich-Entäußern, Sich-selber-verlassen, diese Art von Tod könnte man sich dann sparen.“21 Der Gott der Eliageschichte ist kein „Ordnungselement“ oder „Garantiesymbol“ einer kapitalistischen „civil religion“; dieser verfügbare „Gott, den es gibt“ ist vielmehr „eine(r) falsche(n) Projektion“, von der sich mystische Gotteserfahrung befreien muss.22

„Nicht, dass wir projizieren, ist zu kritisieren, wenn erst verstanden ist, dass Religion eine wesentliche Form menschlicher Kreativität darstellt; aber was wir inhaltlich als Ziel, Wert, letzte Größe entwerfen und ansehen, ist entscheidend.“23 Mit Erich Fromm unterscheidet Sölle die „autoritäre Religion“ theologischer Allmachtsphantasien von der mystischen Religion der „Empfindung des Einsseins mit dem All“, die das Göttliche „als Liebe und Gerechtigkeit“ imaginiert.24 Die Geschichte von Elia am Horeb gehört für Sölle zu dieser zweiten Form von Religion: „Elia ‚hört‘ das leise Säuseln, verhüllt sich und tritt aus der Höhle, in der er über Nacht war. Es ist vielleicht eine Überinterpretation, wenn man das Heraustreten aus der Höhle als eine Art Geboren-Werden versteht, in dem der Weg vom Ego zum Selbst sich vollendet“25 ; auf jeden Fall hat aber die Gotteserfahrung des Elia sein Gottesbild und ihn selbst verändert. Er hat die Hinreise vollendet und „die tiefste Vergewisserung“ der Religion erfahren, von Gott getragen und „ein Teil des Ganzen“ zu sein26. Nun kann er die Rückreise antreten.

Was Elia auf dem Weg zum Horeb gelernt hat, ist das, was Meister Eckhart „Gelâzenheit“ nennt, das Lassen seines Selbst, das zugleich ein Lassen seines bisherigen Gottes ist. Mystische Gelassenheit ist, so Sölle, nicht stoische Gleichgültigkeit27, sondern das radikale Lassen jeder egoistischen Sicherung meines Lebens, auch durch dogmatische Gottesbilder, und das „Absterben“ des eigenen Ich. Das Ziel dieses mystischen Lassenlernens ist „die Geburt Gottes in der Seele“28 ; damit aber die wahre Gottheit in mir geboren werden kann, muss ich zuvor auch „den überkommenen, offenbarten, Heil versprechenden Gott“ lassen29.

Ein immer wiederkehrendes mystisches Bild für solches existentielles und religiöses Lassenlernen ist die Erfrischung der „Dürre der Seele“ durch das Lebenswasser, die „Versenkung“ der Seele und ihr „Schwimmenlernen“ im Wasser im Wasser der Liebe30, das zugleich ein Sterben und Wiederauferstehen ist, ein mystischer Regress, der aber letztlich immer auf den Progress, auf die „Rückreise“ zielt. In solcher mystischer Versenkung „nehmen wir ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit auf, eine ganzheitliche Beziehung“, in der wir unsere herkömmliche Weltinterpretation „entmächtigen“. Das ist keine religiöse Wellness, sondern spirituelle Arbeit: „Der Weg nach innen ist kein Spaziergang, bei dem man sich an den eigenen Gefühlen berauscht. Es ist eine Form der Selbsterfahrung, die unsere physischen und geistigen Normalzustände aufbricht, so dass Erfahrung, ‚die man früher Seele nannte‘ (Luing) wieder möglich wird.“31

Am Ende von „Die Hinreise“ nimmt Sölle besonders die Bedeutung der Verbindung von „Hinreise“ und „Rückreise“ für eine ganzheitliche und befreiende religiöse Praxis in den Blick: Mystik bedeutet “die Hinreise zur Entäußerung und Hingabe des Ich und die Rückreise mitten in diese Welt“, sie „bedeutet sterben lernen und wieder auferstehen.“ Aber was „bedeutet“ dann besonders „die Rückreise?“ Auch das lässt sich in der Interpretation der Geschichte von Elia am Horeb zeigen: „Elia hat die Stadien der Hinreise erfahren bis zum Ego-Verlust und dem Finden des neuen Selbst, bis zum Eintauchen in den Grund aller Dinge und der Erfahrung Gottes im ‚leisen Säuseln‘. Aber was geschieht nun? Elia versinkt nicht in Anbetung, … er erneuert nicht die für die Religionen so wichtige Einteilung in Heiliges und Profanes. Was stattdessen geschieht, ist für die gesamte jüdisch-christliche Tradition bezeichnend: die Erneuerung seines politischen Auftrags“, der Ruf zur „Rückreise“.32

Immer wieder setzt die Bibel den „stärkeren Akzent“ auf die „Rückreise“, z.B. auch in der „Himmelfahrtslegende“. Die Jünger sollen nach der Schau von Jesu Entrückung „(n)icht zum Himmel …. starren, sondern nach Jerusalem gehen und die Rückreise antreten“. Darin drückt sich tatsächlich eine „religionskritische Tendenz der Bibel“ aus, aber nicht eine Kritik der Religion an sich zugunsten einer „positivistisch verstandenen Welt“, sondern die Kritik einer Religion, die über die „Hinreise“ die „Rückreise“ vergisst. Die Religionskritik unserer nachaufgeklärten Gegenwart führt dagegen zum Verlust der Dimension der „Hinreise“ an sich und verschleiert damit unsere eigene moderne „Unfähigkeit“, die „Hinreise“ überhaupt noch anzutreten.33 Die bourgeoise Religion der Neuzeit meint, sich den „Umweg“ über die „Hinreise“ ganz ersparen, „und sich mit der karitativ vernünftigen Rückreise … begnügen“ zu können, „ohne zu bemerken, welche Verstümmelung des Menschen damit erreicht wird“.34

Dagegen ist, so Sölle, „(d)er Wunsch, ganz zu sein und nicht zerstückelt zu leben … als ein ursprüngliches Bedürfnis der Menschen anzusehen“. „Der individuelle Wunsch, selber ein Ganzes zu sein, verbindet sich mit dem Wunsch, das Ganze zu erfahren, … das Tao zu erkennen“, Gott „‘alles in allem‘“ (1 Kor 15, 28) sein zu lassen.35 Nur, wenn wir die religiöse Kraft zur „Hinreise“ wieder lernen, sie „als einen Teil unserer Befreiung erfahren“, werden wir auch die Kraft zu einer echten „Rückreise“ wieder finden. Bis dahin werden wir „den drei Affen gleichen“, die verlernt haben, zu sehen, zu hören und zu reden36. Was wir deshalb brauchen, sind für Sölle Gottesdienste und religiöse Erfahrungsorte, die uns das religiöse Sehen, Hören und Sprechen wieder erschließen, das mit der mystischen „Hinreise“ beginnt und auf die politische „Rückreise“ zielt.

(3) Das Lesen von Sölles mystischen Texten hat mich sehr bewegt. Und das obwohl, oder gerade weil für meine Denkbewegung in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“ und „Gefeiertes Geheimnis“ die Kritische Religionsphilosophie von Immanuel Kant vielfach leitend geworden ist. Auch Kants Denken hat ja entgegen vieler gängiger Kantinterpretationen, die in Kant lediglich einen „verstaubten“ und recht gefühlsarmen reinen Rationalisten sehen, ein mystisches Herz und eine spirituelle Tiefe, die (wie ich schon in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘“ zu zeigen versucht habe) eine ihrer schönsten Ausdrucksformen in Kants außergewöhnlich poetischer Aussage im „Beschluss“ seiner „Kritik der Praktischen Vernunft gefunden hat: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir."37

Die Bedeutung von Mystik und religiöser Erfahrung für die philosophische Religion Immanuel Kants hat Stephen R. Palmquist in seinem Essay „Philosophers in the Public Square“ so weiter herausgearbeitet: Kants Philosophie hat in allen seinen kritischen Schriften eine zutiefst religiöse und theologische Basis. In der Kritik der reinen Vernunft führt Kant die auf das Ganze möglicher Erkenntnis zielenden transzendentalen Vernunftideen ein, deren „three archetypical examples“ die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit sind38. In der Kritik der praktischen Vernunft zeigt er, wie jedes ethische Handeln eine Weltinterpretation nach diesen Vernunftideen zur Voraussetzung hat. In der Kritik der Urteilskraft versucht Kant dann zu zeigen, dass und wie die herkömmlichen Gegensätze von theoretischer und praktischer Vernunft, von Natur und Freiheit „are synthesized by various forms of existential judgement“, in unseren „judgments of beauty, sublimity, and natural purposiveness“39, die zum Ausdruck bringen, „that nature and freedom are in fact united in a greater whole in the context of real experiences“.40 Und diese religiös „affirmative“ Kant’sche Denklinie setzt sich auch in seiner Religionsschrift, im „Streit der Fakultäten“, und in den Fragmenten seines „Opus postumum“ fort. Kant entwickelt in immer neuen Anläufen seine „new and profoundly reforming theological hermeneutic“, nach der „all doctrines and rituals must be interpreted as moral symbols, either directly or indirectly, in order to be meaningful“. Wer einmal diese „richness of Kant’s accomplishment“ für religiöses Denken erkannt hat, dem muss die traditionelle antireligiöse Kantinterpretation „almost unbelievably ludicrous“ erscheinen. Kant reduziert die Religion keineswegs „to nothing but morality“, sondern besteht im Gegenteil darauf, dass unsere Moralität „must be raised to the level of religion in order to become a feasible human endeavor at all.“41

Auf diesem Hintergrund muss dann, so Palmquist, auch die selbst bei religiös affirmativen Kantinterpreten verbreitete Behauptung revidiert werden, dass Kants Philosophie „no room whatsoever for religious experience “ lasse.42 Schon in seiner Behandlung der mystischen Erfahrung von Swedenborg in seinen „Träumen eines Geistersehers“ weise Kant nicht Swedenborgs Behauptungen mystischer Erfahrung als solche zurück, sondern betone gemäß der Grundlagen seiner späteren kritischen Philosophie lediglich, dass man aus solchen Erfahrungen kein theoretisches Wissen gewinnen kann: „Kant argues that something real and even significant may have been happening to Swedenborg, but that his attempt to draw knowledge from those experiences was illegitimate.“ Mystische Erfahrung kann für Kant also zwar keine theoretische, aber eine umso größere praktische Bedeutung haben. Kant selbst kannte Erfahrungen, die man durchaus als mystisch bezeichnen kann, insbesondere die Erfahrung des Erhabenen in der Natur und in der menschlichen Sittlichkeit. Damit sind aber keine ekstatischen religiösen Auditionen oder Visionen gemeint, sondern gesagt: Kants gesamte kritische Philosophie „leads to a existential heart that can best be called ‚Critical mysticism‘“.43

Natürlich bleibt Kants Mystik des „Erhabenen“ trotz ihrer gelegentlichen poetischen Ausdrucksformen in vielerlei Hinsicht die Mystik einer intellektuellen Religion, die nicht in der Frömmigkeitspraxis einer bestimmen Kirche oder Glaubenstradition beheimatet ist. Hier geht Sölle mit ihrer intensiven Anknüpfung an den großen Traditionen der mittelalterlichen christlichen Mystikerinnen und Mystiker einen anderen Weg. Dennoch betont auch Sölle ihre kritische Distanz zur „institutionellen“ Frömmigkeit der etablierten christlichen Kirchen, die für sie selbst genauso wie eine rein akademische, nachaufgeklärte Theologie problematisch bleibt. „Mich persönlich hat weder die Kirche, die ich eher als Stiefmutter erlebte, noch das geistige Abenteuer einer nachaufklärerischen Theologie zu dem lebenslangen Wunsch, Gott zu denken, verlockt.“ Sie fühlt sich weder in der „Institution(en) Kirche“ noch in der Institution „wissenschaftliche Theologie“ tatsächlich beruflich und religiös „beheimatet“44 und steht religiös in gewissem Sinne „dazwischen“.

Ein solches „Dazwischenstehen“ kennzeichnet nach Palmquist auch einen „Kantian theologian“; er stellt in „Philosophers in the Public Square“ diesbezüglich die Frage, ob ein menschliche Religion im Kant’schen Sinne interpretierender philosophisch Glaubender tatsächlich auch (anders als Kant selbst) eine „active, positive role“ in einer „historischen“ Kirche wahrnehmen kann, obwohl in ihr der Gottesdienst noch mit der Verpflichtung zur Anerkennung von Dogmen und Ritualen verbunden ist, die mit seiner ethischen Vernunftreligion nicht vereinbar sind. Palmquist sieht für einen solchen philosophisch Glaubenden nach Kant hier prinzipiell zwei Möglichkeiten: Entweder er sucht sich eine Glaubensgemeinschaft, die sich Kants Ideal von Kirche schon „as closely as possible“ angenähert hat, wie etwa die der Quäker, die darin schon „suprisingly close to Kant’s ideal“ sind, dass sie keinen „belief … in any historical or doctrinal claims“ fordern, sondern durch ihre Religion ausschließlich „the moral lifes of their members“ vertiefen wollen: „Quakers merely sit in silent worship, allowing the spiritual influence of their corporate gathering to empower them to live better.“45

Oder er versucht durch die Ausübung einer „professional role“ in einer der traditionelleren Kirchen „to exercise a positive, enlightening influence on ordinary churchgoers“. Er ist bereit, den Konflikt auszuhalten, der sich aus den unterschiedlichen Standpunkten „of both the philosophical (Kantian) theologian and the biblical (denominational) theologian“ ergibt. „Since Kant believed such conflict is healthy, it should not prevent a Kantian from being a good pastor.“46 Er wird seinen pastoralen Dienst einer Weise ausüben, die die moralische Verantwortung des Einzelnen betont, in ihr oder ihm „a basic trust in divine assistance“ bestärkt, aber nicht in einer uns von der Verpflichtung zu eigenem ethischen Handeln entbindenden Weise, sondern in einer Weise, die an der „supreme importance of love“ orientiert ist, und darum die „beliefs and rituals“ der seiner Tradition „ only as tools“ für die Orientierung menschlichen Handelns auf diese Liebe gebraucht, “never allowing them to be treated as ends in themselves“47

Gerade die „‘real‘ religion“ in unseren heute schon bestehenden „historischen“ Kirchen und Gemeinschaften braucht, so Palmquist, dringend „philosophy’s creative influence on religion“, wenn sie im Sinne von Kants „pure moral religion“ transformiert werden und sich dem wahren Wesen von Religion annähern soll48, und darum braucht es nach Palmquist solche zwischen religiöser Aufklärung und traditioneller Religion stehenden „philosophischen Theologen“ gerade in den vielen noch traditionelleren Kirchen unserer Gegenwart.

Die Frage ist natürlich interessant, ob ich mich selbst in Palmquists Sinne als einen solchen Hybrid zwischen einem "philosophical (Kantian) theologian" und einem "biblical (denominational) theologian“ verstehen will oder muss, der in Ausübung seiner „professional role“ in einer der traditionelleren Kirchen versucht, „to exercise a positive, enlightening influence on ordinary churchgoers“.49 Dass und warum ich mich nicht im Sinne der ersten Palmquist’schen Alternative einer „nichtkonfessionellen“ Kirche „without creeds“ wie den Quäkern oder den Unitarischen Universalisten anschließen könnte, habe ich in „Gefeiertes Geheimnis“ bereits begründet:

„Die unitarisch-universalistische Bewegung ist für mich in vieler Hinsicht beeindruckend, wenn auch vielleicht manchmal etwas zu ‚schillernd‘ … . Für mich wäre es kein Lösungsweg, selbst den Raum des konfessioneller bestimmten Christentums völlig zu verlassen, und einfach „konfessionslos“ zu werden. Aber ich möchte das, was ‚Konfession‘ und ‚Bekenntnis‘ auch nach dem Ende der dogmatistischen und absolutistischen Definitionen von Religion und Glauben, die für mich heute einfach nicht mehr ‚sag- und tragfähig‘ sind, immer noch positiv bedeuten könnte, neu, in pluralistisch offener und religiös nicht auf bestimmte Sprach- und Denkformen der Vergangenheit festgelegter Weise, als … zum Fragen, Verändern und Erproben anregende Glaubensimpulse definieren“50, die über den Gegensatz von entweder aufgeklärter oder traditioneller Religiosität im Sinne eines „anatheistischen“tertium datur hinausführt.

Doch auch mit der zweiten Palmquist’schen Alternative eines „philosophischen Theologen“ in einer konfessionellen Kirche kann ich mich nicht wirklich, oder nur mit größeren Qualifikationen, identifizieren. Warum das so ist, zeigt vielleicht besonders die Form religiöser Beheimatung und Verwurzelung, die die Lektüre von Dorothee Sölles mystischen Schriften in mir zum Klingen bringt. Ich habe das Gefühl, dass Sölle doch noch eine andere Ebene bei mir anspricht, die auch Kant nicht (oder nicht in gleichem Maße) ansprechen kann. Insofern bin ich wohl doch mehr als ein Kant'scher "Philosophischer Theologe" oder Hybrid. Auch Kaufman, Taylor oder Theißen sind ja einerseits stark kritisch auf Kant bezogen, aber doch nicht einfach nur theologische Kantianer. Ich selbst will religiös und theologisch vielfach an Kant und den Idealen der Aufklärung (jedenfalls in ihrer „minimalistischen“ Interpretation nach Samuel Fleischacker51 ) anknüpfen, aber doch auch deutlich über Kant selbst hinausgehen, indem ich sehr viel stärker als Kant auf die positiven Quellen der historischen Religionen, besonders auf die Schätze und Reichtümer der jüdischen und christlichen Bibel beziehe.

Wie Wilhelm Gräb es formuliert hat: „Wer mit der Bibel lebt, dem fallen ihre dichten Worte, ihre starken Bilder, ihre großen Erzählungen ein, wenn sonst schwer nur oder gar nicht gesagt werden könnte, was beglückt, was bedrückt und belastet. Wer mit der Bibel lebt, der lebt auch mit dem Gott, von dem sie redet. Und die Bibel redet so von Gott, dass dabei das Ganze des Lebens zur Anschauung kommt, in seinem ersten Anfang und in seinem letzten Ende, in all seinen Widersprüchen, im Wunder der Liebe und in der Grausamkeit des Hasses, auf den Höhen des Glücks und in den Tiefen der Not. Die Bibel ruft … jene Resonanzen im Gefühl hervor, die – gerade an den Grenzen, im Zerbrechenden, Fragmentarischen, Desaströsen und Ungeheuren – dennoch von bergendem Halt und neuem Mut zum Leben sprechen lassen.“52

Oder mit den Worten Gerd Theißens gesprochen: Die Bibel enthält für uns so etwas wie „kleine Meta-Erzählungen“, die unser Leben auch heute trotz unserer Erkenntnis seiner evolutionären Ungesichertheit tragen und gründen können. Diese „kleinen Meta-Erzählungen“ haben nicht den Anspruch, das Ganze jetzt schon überschauen und zuverlässig deuten zu können, wie ihn die alten „großen Meta-Erzählungen“ hatten. Aber sie sind doch vielleicht tastende „Prolepsen“ der Zukunft und wichtige adaptive „Durchbrüche“ in der kulturellen Evolution der Menschheit. „Was sich nämlich in ihr als adaptiv herausgestellt hat, ist ein Netzwerk von vielen Axiomen und Grundmotiven, die in kleinen Geschichten konkretisiert werden … Für den antiselektiven Imperativ reichen Erzählungen wie die vom Überleben der Sintflut, von der Fürbitte Abrahams für Sodom, vom Verzeihen Josephs, vom Exodus der vom Kindermord bedrohten Israeliten – bis hin zur Geschichte vom barmherzigen Samariter. Wir brauchen diese kleinen Geschichten, denn die ‚großen Erzählungen‘ drohen immer wieder, intolerant zu werden.“53

Mir geht es, anders gesagt, tatsächlich um ein an Kants kritischer Philosophie geschultes und durch sie "aufgeklärtes" theologisches Denken, aber zugleich gibt es ein "Mehr" in den Traditionen existentieller biblischer, mystischer und kirchlicher Religion gegenüber einer rein philosophischen Religion, das Kant zwar ebenfalls gespürt und artikuliert hat, das aber dennoch seine rein moralische "Vernunftreligion" transzendiert, und das ich nicht verlieren möchte. Vielleicht liegt die Verbindung von Kant und Sölle, von philosophischer und biblischer Religion ja eben in dem, was Sölle eine "demokratische Mystik" und Palmquist im Anschluss an Kant einen "Critical Mysticism" genannt hat, eine mystische religiöse Tiefe, die bei Kant eher im Hintergrund, und bei Sölle im Vordergrund bzw. im Zentrum steht, und die Sölle selbst "Theo-Poesie" genannt hat54. Auch Kants philosophische Sprache hat in diesem Sinne immer wieder Momente poetischer Tiefe, die sie über eine reine "Kopfgeburt" erhebt. Aber Sölles religiöse Sprache ist von Hause aus poetischer und mystischer, ohne je unkritisch zu sein. Vielleicht spricht sie mich darum besonders an, ebenso wie die Kearneys oder Caputos, die ebenfalls sehr poetisch ist.

(4) Am Ende dieses Abschnittes soll noch ein letzter Auszug aus Sölles „Die Hinreise“ stehen, in dem Sölle Gedanken ihrer „Mystik des Todes“ vorwegnimmt, und zugleich in sehr dichter und poetischer Weise Ähnliches zum Ausdruck bringt, wie das, was ich dann selbst ausführlicher in „Was von uns bleibt“ formuliert habe, wo ich unter Bezugnahme auf Sölle und im Anschluss v.a. an Mark Johnson bzw. Karl E. Peters, aber auch an Eberhard Jüngel, Hans-Peter Dürr und Raimon Panikkar eine Rekonstruktion christlicher „Hoffnung angesichts des Todes“ durch den Gedanken unserer "größeren Identität" bzw. unseres "größeren Selbst" zu entwickeln versucht habe, mit Hilfe der Metapher vom "Wassertropfen" im „Ozean der Liebe“, die ich zuerst ebenfalls bei Sölle gefunden habe55.

Der wahre Tod, so Sölle in „Die Hinreise“, ist der Tod, bei dem wir äußerlich zwar noch eine Weile weiterleben, aber innerlich bereits „den furchtbaren Tod der Beziehungslosigkeit“56 gestorben sind, weil wir unser Leben egoistisch auf das eigene individuelle Existieren reduzieren. Das ist der „Tod am Brot allein“, in dem uns „die anderen nicht Reichtum bedeuten, Herausforderung, Glück, sondern Angst, Bedrohung, Konkurrenz“57, der Tod, den die Bibel „der Sünde Sold oder der letzte Feind“ nennt58.

Weil der wahre Tod des Menschen nicht sein natürliches Sterben, sondern sein unnatürliches Sichverkrümmen in sich selbst ist, ist Glaube an das ewige Leben auch nicht Glaube an die Überwindung des natürlichen Todes in einem individuellen Weiterleben im Jenseits, sondern an eine den Egoismus aufhebende neue, „ewige“ Lebensqualität. „Ist mit dem Tode alles aus? So können nur die fragen, deren Ich in den Grenzen des Individuums gefangen ist, die sich abkoppeln von der großen, berührenden und verwandelnden Wirklichkeit. Ist mit dem Tode alles aus? ist eine gottlose Frage. Was ist denn dieses ‚alles‘ für dich? Du kannst deinen eigenen Tod nicht mit der Formel ‚dann ist alles aus‘ beschreiben, eben weil es zur Definition eines Christen gehört, dass er für sich selber nicht alles ist. Nein, es ist nicht alles aus, sondern es geht alles weiter. Was ich wollte, was ich mit anderen versucht habe, was ich angefangen habe und woran ich gescheitert bin – es geht weiter. Ich esse nicht mehr, aber es wird Brot gebacken und gegessen; ich trinke nicht mehr, aber der Wein der Brüderlichkeit wird weiter getrunken. Ich atme nicht mehr als dieser einzelne, diese Frau des 20. Jahrhunderts, aber die Luft wird dasein für alle.“59

Diese andere Haltung angesichts des natürlichen Todes verkörpert für Sölle besonders die biblische Geschichte vom Tod des Moses: „Mose starb im Angesicht des gelobten Landes“; er wusste, dass er dieses Land selbst nicht mehr erreichen würde. „Eine individuelle Auferstehungshoffnung hatte er nicht nötig. Weil er den großen Tod, der die Menschen nicht zum Leben kommen lässt, in der ägyptischen Sklaverei erkannt und bekämpft hatte, … darum brauchte er den kleinen Tod nicht zu fürchten. … Um diesen Tod möchte ich beten, ihn möchte ich allen wünschen. Es ist leichter zu sterben, wenn wir die Umrisse des Gelobten Landes deutlicher vor uns sehen.“60

Was immer wir auch theologisch unter dem „Himmelreich“ verstehen wollen, in das wir Menschen „eingehen“ sollen – der „Himmel“, in dem wir nach Paulus unsere wahres „Bürgerrecht“ haben (Phil 3, 20), ist nicht „über uns“ oder irgendwo „jenseits“ – „no hell below us, above us only sky“, wie John Lennon es gesungen hat - ist kein metaphysischer „Ort“, zu dem wir nach unserem Tod gehen, an dem wir unsere phänomenalen Identitäten fortsetzen, oder einander in irgendeinem buchstäblichen Sinne „wiedersehen“ würden. Das „Himmelreich“ oder „Gottesreich“ ist, wie es der Evangelist Lukas als Jesuswort überliefert (Luk 17, 21), „mitten unter euch“ (oder „inwendig in euch“, wie Luther das griechische „ en hymin “ zunächst übersetzt hatte), eine ich-transzendente Dimension der Gemeinschaft und Partizipation am Ganzen der Wirklichkeit, die uns hervorgebracht hat und die uns „jetzt schon“ jeden Augenblick gründet und trägt. Auch die sehr poetischen Worte, die Dorothee Sölle in „Die Hinreise“ für diese Deutung von Tod und „Auferstehung“ gefunden hat, zeigen m.E. nochmals in einer sehr eindrücklichen Weise, dass und warum gerade Dorothee Sölle in vielerlei Hinsicht eine frühe deutsche Vordenkerin jener „anatheistischen“, „komplextheologischen“ nachtheistischen Glaubensbewegung war, die ich dann bei den neueren internationalen theologischen Denkversuchen von Richard Kearney, Gordon Kaufman, Catherine Keller, Mark Taylor und anderen weiter ausgeführt und fortgeschrieben gefunden habe, und in der es auch mir in meinen „Paradigmen theologischen Denkens“ insgesamt gegangen ist und geht.

3. Komplextheologisches Denken und David H. Nikkels Theologie des „radical embodiment“

Lektürebasis:

Nikkel, David H.: Radical Embodiment, Eugene, OR, 2010

Rutledge, David: The Crucial Concept of Embodiment: David Nikkel’s Account. Buchbesprechung, online veröffentlicht unter:

http://www.missouriwestern.edu/orgs/polanyi/TAD%20WEB%20ARCHIVE/TAD37-2/TAD37-2-fnl-pg9-15-pdf.pdf (Stand: März 2009)

Auch mit dem Thema des „embodiment“ aller geistigen Prozesse und Funktionen des menschlichen Lebens, seiner Bedeutung für eine heute plausible „Philosophie des Geistes“, und der Frage, ob Kants Philosophie die fundamentale „Leiblichkeit“ allen menschlichen Erkennens und aller menschlichen Rationalität ausreichend ernstnimmt, habe ich mich in „Gefeiertes Geheimnis“ bereits an verschiedenen Stellen beschäftigt.61 An diese Überlegungen knüpft die folgende Verhältnisbestimmung meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ zu David H. Nikkels 2010 veröffentlichter, sich selbst als zwischen einem „radical or deconstructionist/poststructuralist“ und einem „conservative or ‚postliberal‘“ Postmodernismus im Sinne eines „moderate postmodernism“ „vermittelnd“ verstehender62 Theologie eines sog. „Radical embodiment“ in gewisser Weise an.

Nikkel setzt bei einer Kritik des „modernen“ Leib-Seele-Dualismus an, der das westliche Denken seit Descartes positiv und negativ bestimmt und dabei den Menschen von seiner biologischen Körperlichkeit entfremdet habe. „David Nikkel’s ambitious goal in Radical Embodiment is to overcome this alienation by ‚advancing a picture of our meaningful, radical embodiment in our biosphere and in our social traditions, within a universe regarded as the body of God‘ (ix).“63

Menschliches Wissen und menschliche Werte, so Nikkel, sind nicht körperlos, sondern all unser Wissen ist in unseren physischen Körpern, in unseren kulturellen Traditionen, und in der „divine source of all meaning“64 inkarniert. Diese für unser Menschsein fundamentale Dimension eines „radical embodiment“ aller seiner Funktionen stellt die „Postmoderne“ im Unterschied zur „Moderne“ jetzt bei all ihren sonstigen Unterschieden ins Zentrum ihrer Weltintepretation.

Die Moderne, so Nikkel, hat mit der fundamentalen Körperlichkeit des Menschen auch seine soziale Verankerung in Tradition und Kultur verkannt; dem gegenüber betont die Postmoderne nicht nur „the bodily embeddedness of all human thought“, sondern auch seine Einbettung in den weiteren „Körper“ menschlicher Kultur, indem sie „‘tradition as body‘” begreift. Die Postmoderne, so Nikkel, denkt „embodiment“ als umfassende Struktur unserer ganzen menschlichen Natur und Geschichte, und menschliches „Bewusstsein“ als Teil dieser Struktur, der zugleich rätselhaft bleibt und „whose nature and purpose cannot be explained fully by science“.65

Nach dieser konzeptionellen Grundlegung dessen, was er als die „radikale Leiblichkeit“ allen menschlichen Denkens und Lebens definiert, wendet sich Nikkel besonders der Gottesfrage zu und fragt, welches Gottesbild am ehesten dieser Struktur des „radical embodiment“ von Mensch und Kultur entspricht. Für Nikkel ist dies weder die „minimalistische“ Gottesvorstellung der „dekonstruktionistischen“ postmodernen Theologen, „that so embraces the via negativa and the limits of human speech about God that it renders real commitment virtually impossible“, noch die „maximalistische“ Gottesvorstellung ihrer „postliberalen“ Gegenspieler, die „employ postmodernism defensively, rejecting the possibility of real dialogue with other traditions“.66 Zwischen diesen beiden „Extremen“ will Nikkel die vermittelnde Position eines „moderate postmodernism“ einnehmen „by developing and promoting an explicit and full-fledged panentheistic understanding of God”67. Ein solcher kritischer postmoderner „Panentheismus“ behauptet trotz des partiellen Rechts einer negativen Theologie die “inevitability of metaphysics”, weil für ihn die „unknowability of God” die Möglichkeiten affirmativer Gottesrede nur begrenzt, aber nicht eliminiert.68 Nikkels „panentheistischer” Gott ist eine gegen die radikalen Dekonstruktivisten weiterhin „personal“ gedachte Gottheit. Gegen die Postliberalen ist diese Gottheit aber nicht mehr die Quelle einer supranaturalen „Offenbarung“ und „Intervention“ in die Welt, sondern das Geheimnis der Welt „in, mit und unter“ allen ihren natürlichen Prozessen. Diese Form panentheistischen Gottesdenkens überwindet nach Nikkel damit auch den modernen Dualismus von Transzendenz und Immanenz zugunsten einer Synthese beider Positionen, die sich aber von Mark Taylors Konzept einer „immanenten Transzendenz“ dadurch unterscheidet, dass sie neben der Immanenz eine echte metaphysische Transzendenz des Göttlichen weiterhin zu denken versucht.

In diesem letzten Punkt können die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede zwischen Nikkels postmodernem „Panentheismus“ und meiner eher „anatheistischen“, an Kaufman, Taylor, Keller und Kearney angelehnen theologischen Denkbewegung besonders verdeutlicht werden, was ich mit folgenden weiteren „Verhältnisbestimmungen“ und „Grenzziehungen“ zwischen Nikkels Ansatz und einigen für meine eigene Suche nach einem „für mich heute sag- und tragfähigen“ Glauben wesentlichen theologischen Denkern und Denkhorizonten vertiefen möchte:

(1) Nikkel bestimmt das Verhältnis seines „moderat postmodernen“ theologischen Ansatzes zur Tradition westlichen „liberalen“ theologischen Denkens u.a. durch eine Diskussion von Schleiermachers Rekonstruktion des Gottesglaubens im Rahmen seiner Verankerung im religiösen Grundgefühl einer „schlechthinnigen Abhängigkeit“: „Friedrich Schleiermacher, anticipating the further reach of critical reason, made a remarkable and rather postmodern acknowledgment: all our characterizations of ‚the absolute‘ are linguistically, culturally and historically conditioned. With some justification this ‚father of modern theology‘ might also be called the ‚father of postmodern theology‘. However, Schleiermacher could not let go one area of absolute privilege, one absolute human connection with the divine: the allegedly universal human ‚feeling of absolute dependence‘.“ Dieses menschliche Grundgefühl, so Nikkel, war für Schleiermacher in dem Sinne „absolut“, dass es, wie unterschiedlich von Mensch zu Mensch und Kultur zu Kultur es auch sonst konzeptionell gefasst wird, „a necessary component of every human experience“ ist „rather than just a potentiality which some people realize some of the time“.69

Die Frage ist für mich aber, ob man Schleiermachers „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ wirklich als ein „absolutes“ Gefühl verstehen sollte, das jeder Mensch immer und in der gleichen Weise aktualisiert („schlechthinnig“ ist nach Schleiermacher die „Abhängigkeit“ und nicht das Gefühl!), oder nicht vielmehr die in der conditio humana tatsächlich konstitutiv gegebene Kontingenzerfahrung der Endlichkeit und Sterblichkeit aller Menschen, die ihr Leben sich nicht selbst geben, sondern nur „schlechthin“ empfangen können. Diese Verwiesenheit menschlichen Lebens auf einen vorgängigen Horizont reinen Empfangens wäre unabhängig vom tatsächlichen phänomenalen „Gefühl“ für sie, das ein Mensch in unterschiedlicher Intensität entwickeln oder nicht entwickeln kann, zu beschreiben.

(2) Weiter setzt sich Nikkel auch kritisch mit Gordon Kaufmans Vorschlag „on thinking of God as serendipitous creativity“70 auseinander, die er eine „minimalist notion of God“ nennt, die für ihn den Gehalt traditioneller menschlicher Gottesrede nur noch teilweise bewahren kann: „Given the wariness of the postmodern spirit about grand claims to knowledge, it comes as no surprise that some theologians offer a minimalist notion of ‚God‘. One such thinker, …, Gordon Kaufman has moved from more traditional understandings of God“ und identifiziert Gott nun mit „‘serendipitous creativity‘; eine Gottesvorstellung, die keine personalen, bewussten, intentionalen oder agentialen Eigenschaften mehr enthält.71

Nikkel paraphrasiert Kaufmans Ausdruck „serendipitous creativity“ etwas despektierlich mit „happy chance“72, und hält seine Gottesvorstellung aus Sicht einer Theologie des „radical embodiment“ trotz einer gewissen Berechtigung für defizitär: Solche „minimalist conceptions of God have appeal to avoiding both modern absolutism and relativism … They also resonate with the postmodern enjoinment to respect otherness by granting for other … traditions‘ accord with the most basic Christian or metaphysical claims. These conceptions do retain something of the basic Western notion of God“; Nikkel bezweifelt aber, dass sie „enough of that meaning“ bewahren „to qualify as a development of rather than an alternative to the God-concept.“73

Für die große Mehrheit gegenwärtiger Gottesgläubiger (und auch für Nikkel selbst) erschienen solche „minimalistischen“ Konzeptionen „to fall short of what they mean by ‚God‘“. Ihrem Gottesglauben kann nur ein Gotteskonzept gerecht werden, das das Göttliche „in some meaningful if symbolic sense ‚conscious‘, intentional, agential, and integrated“ denkt.74 Das versucht Nikkel mit seinem panentheistischen Konzept eines in der Welt verkörperten göttlichen Bewusstseins zu erreichen. Er weist darauf hin, dass Kaufman selbst manchmal in „(s)ome countervailing tendencies“ Gott vom kosmischen Prozess einer glücklichen Kreativität als ihren transzendenten Grund unterscheide, wenn er vom Göttlichen als „‘ground(ing)‘, ‚underlying‘, ‚behind‘, ‚unifying‘, ‚expressing itself‘ or ‚working‘ in and through all processes of reality“ rede.75

Zu Nikkels Kaufmaninterpretation ist m.E. zu sagen, dass sie verkennt, dass Kaufman keineswegs pantheistisch „Gott“ mit der Gesamtheit aller „processes of reality“ identifiziert, sondern die glückliche Kreativität als unergründliches Geheimnis am Grunde allen Werdens konzeptualisiert, von der man durchaus „panentheistisch“ sagen kann, dass sie „in, mit und unter“ den evolutionären Prozessen des Kosmos wirkt, aber ihnen zugleich, jedenfalls in demjenigen „trajectory“, das die Erde, ihre Biologie und uns Menschen hervorgebracht hat, eine „directionality“, einen „Zweck ohne Zweck“ im Sinne Kants gibt, der das rein wissenschaftlich über ihn Formulierbare durch verschiedene „small steps of faith“76 transzendiert. Die Frage, ob die Mehrheit der heute Gottgläubigen ein solches Gotteskonzept befriedigend findet, oder nach einem traditionelleren, agentialeren Konzept verlangt (einer Tatsache, der sich Kaufman wohl bewust ist und die er schon im Vorwort von in „In Face of Mystery“ kritisch thematisiert77 ), sagt nichts darüber aus, ob ein solches traditionelleres Konzept wirklich noch im Rahmen einer modernen und postmodernen Gesamtsicht der Wirklichkeit plausibilisierbar ist. Gerade das bestreitet Kaufman, und hier bleibt Nikkel m.E. einen echten Gegenbeweis schuldig.

(3) Auch die Diskussion Nikkels von Mark Taylors Rede von „Immanenter Transzendenz“ in „After God“ ist hier m.E. instruktiv. Während, so Nikkel, der frühe Mark Taylor ein radikaler Dekonstruktionist war, dem jede konkrete Realität in die Fragmentation und Diffusion der völligen Nicht-Repräsentierbarkeit der Wirklichkeit entglitt, in der „(t)he object always remains at a frustrating remove from the subject“, weil „the self can never truly connect with the other“78, hat der späte Mark Taylor auch diesen radikalen Dekonstruktivismus dekonstruiert und ist so in eine post-postmoderne Phase seines Denkens eingetreten, in der die radikale Alterität und Nichtfassbarkeit der Wirklichkeit zwar nicht aufgehoben, aber doch mit den Ergebnissen von Komplexitäts- und Chaostheorie komplementiert und dadurch relativiert wird. Dabei habe Taylor sich einer panentheistischen Sicht des Göttlichen ein Stück weit angenähert:

„Mark C. Taylor, in the latest manifestation of his post post-structuralist, constructive phase, proffers a metaphysics bearing significant similarities to my own with its emphasis on reality as self-organizing and emergent.“ Aber Taylor erreiche dabei anders als Nikkel keine wirklich realistische Vorstellung von der Gegenwart des Göttlichen in der Welt, sondern ziehe das Fazit, „that no transcendence in the sense of a purposive or directional ultimate cause lies behind these self-organizing processes“. Die Aktivität der Selbstorganisation selbst ersetze für ihn die theistische Vorstellung eines transzendenten Weltgrundes: Die zunehmende Komplexifizierung der Wirklichkeit habe eine intrinsisch teleologische Dimension, ohne dass diese von außen gewirkt wäre, und in der Vorstellung einer „immanenten Transzendenz“, die Taylor auf dieser Grundlage entwickelt, werde das Göttliche als das „open, de-structuring disfiguring (‚transcendent‘) element“ innerhalb dieser selbstorganisierenden Prozesse rekonstruiert, das die Wirklichkeit immer neu destabilisiert, fern vom Equilibrium hält, und so „allows for the emergence of the new.“79

Für Nikkel inkorporiert auch diese religiöse Weltsicht des späten Taylor immer noch „too much of Derridaen deconstruction“. Während Nikkel das Bedürfnis von lebenden Organismen nach Homöostase und der Aufrechterhaltung eines relativ stabilen Gleichgewichts zur Grundlage seines Denkens machen möchte, und darum theologisch die strukturierende und orientierende Funktion von Religion priorisiert, betone Taylor die notwendige Instabilität eines Systems „far from equilibrium“, ohne die es biologisch nicht zur Emergenz und Evolution von Leben kommen könnte, und stelle entsprechend auch die „de-structuring and disfiguring“ Funktion von Religion, mit der sie menschliche Gewissheiten erschüttert und destabilisiert, in den Mittelpunkt seines Denkens. „Taylor sometimes appears to equate the destabilizing side of things with the truth that any complex reality defies complete representation“, wogegen Nikkel die Möglichkeit zwar unvollständiger, aber doch viabler Wirklichkeitsrepräsentation betont.80

Zu dieser Kritik Nikkels an Taylors Interpretation religiöser Weltorientierung ist aus „anatheistischer“ Perspektive m.E. zu sagen, dass eine theologische Weltkonstruktion tatsächlich immer beides beinhalten muss, ein „konservatives“ Element der Hilfe zur inneren Beheimatung (Psalm 84, 4f.) wie auch ein „progressives“ Element der Kraft zum Aufbruch in ein „unbekanntes Land“ (Gen 12ff.; Sara und Abraham). Insofern betonen Nikkel und Taylor tatsächlich beide unverzichtbare Aspekte, die in einem „sag- und tragfähigen“, komplexen religiösen Orientierungsschema komplementär aufeinander verwiesen sind. Beide erkennen ja tatsächlich auch beide Momente, das stabilisierende und das destailisierende für eine umfassende Wirklichkeitsdeutung an, priosieren sie aber gegensätzlich. Aus meiner Perspektive hat dabei tatsächlich die Priorisierung der dynamischen Instabilitäten durch Taylor das größere Recht. Wir brauchen religiös und ethisch genauso wie biologisch keine statische, sondern eine in ihrem Kern dynamische Stabilität, wenn unsere biologischen, religiösen und ethischen Systeme adaptiv bleiben und zukunftsfähig sein sollen. Das entspricht auch gerade der jüdisch-christlichen Glaubenstradition: Ihre Grundsymbole sind der Exodus bzw. der österliche Ruf in die Nachfolge, die immer mehr Unruhe als Ruhe ins Leben bringen („Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber folge mir nach“ [Mt 8,22 / Lk 9,60]).

Die „Stabilität“ religiöser Weltorientierung ist die Stabilität einer theologia viatorum, eines Gottesvolkes auf dem Weg in die verheißene, immanent nie erreichbare Zukunft; sie besteht, wie Mark Taylor es formuliert hat, in der je neuen Bereitstellung von "complex dynamic networks”, komplexen Orientierungsschemata, “that are subtly shifting pockets of stability in the midst of fluxes and flows”81, ist Wohnen in beweglichen Zelten und immer Heimat auf Zeit. Oder, wie Hans-Peter Dürr es aus physikalischer Perspektive formuliert hat: “Nur in einem labilen, instabilen Zustand, der kurzfristig zusammenbricht, können sich prinzipiell hoch geordnete, differenzierte Strukturen bilden. Hier schließt sich die Frage an: Gibt es Möglichkeiten, Instabilität zu stabilisieren? Eine solche Situation gibt es in der Tat. Wir praktizieren sie täglich: Wir stehen auf einem Bein und sind, statisch betrachtet, instabil. Wir stehen auf dem anderen Bein und sind in der gleichen wackligen Lage. Sobald wir aber gehen, wechseln wir von einer Instabilität in die andere und erreichen dadurch einen dynamisch stabilen Gang, ohne dabei hinzufallen … Das ist das Wesen des Lebendigseins: statische Instabilität in eine Dynamik einzugliedern, bei der der Vorzug der Instabilität, nämlich offen zu sein …, verbunden wird mit einer bestimmten Beständigkeit. Also nicht zu Boden fallen und in den statisch stabilen Zustand zu wechseln, der Sterben bedeuten würde.“82

(4) Für die „Verhältnisbestimmung“ und „Grenzziehung“ zwischen Nikkels Ansatz und meiner eigenen theologischen Denkbewegung instruktiv ist schließlich auch die Auseinandersetzung mit Nikkels Behandlung des Themas „Ewiges Leben“ bzw. „afterlife“. Die Einsicht in das „radical embodiment“ aller menschlichen Lebensfunktionen schließt, so Nikkel zunächst, den Gedanken einer immateriellen Seele und ihres Weiterlebens nach dem Tode eigentlich aus. Möglich bleibt aber, so Nikkel dann weiter, vielleicht die Annahme, dass es „other dimensions of the universe or another realm unconnected to it“ geben könnte, die „human and animal embodiment“ auch nach dem Tode ermöglichen könnten.83 Insgesamt neigt Nikkel aber dazu, mit der Prozessphilosophie eine „subjective immortality“ auszuschließen und statt ihrer eine „objective immortality“ anzunehmen, nach der der gestorbene Mensch im Gedenken Gottes ruht. „My embodied panentheistic model of divinity provides that all we do registers with the divine. And given the ultimacy of the divine as the source of all possibility and actuality, it makes sense that the divine will never lose this memory … So the value of our lives to ourselves and to others furnishes everlasting value to the divine life, which will always find new embodiments – and just perhaps through the creativity of the divine, we will find new embodiments beyond this life. In any case, the divine source and goal of all our lives beneficiently has made provisions for what is best for us, as it has made for us a home.“84

Hier erscheint mir Nikkels Lösung der Unsterblichkeitsfrage doch sehr diffus und nebulös. Die unlösbaren Aporien der Vorstellung einer Wiederverkörperung von menschlicher Identität nach dem Ende ihrer jetzigen Verkörperung durch den Tod hat Mark Johnston in „Beyond Death“ detalliert herausgearbeitet.85 Und die Rede von „provisions for what is best for us“, die „divine source and goal of all our lives“ irgendwie gemacht habe oder machen werde, setzt ein agentiales theistisches Gotteskonzept voraus, dass Nikkel, meine ich, nirgends wirklich plausibilisieren konnte. Hier hat er die Einwände Kaufmans und Taylors tatsächlich nicht widerlegt, und entsprechend bleibt auch seine Behauptung göttlicher „beneficiently … made provisions“ hier für mich ein im Kant’schen Sinne „leerer“, auf jeden Fall schwammiger Begriff.

Es sind wohl solche unklaren Formulierungen, die Charley D. Hardwick in seinem Buch „Events of grace“ zu der Bemerkung veranlasst haben: „At no other point in theological discussions today (als bei der Behandlung des Themas „Leben nach dem Tod“) is it more common to find reference to tired, old formulas whithout theological elucidation. When theologians do discuss theese issues, it is often difficult to figure out what is being affirmed – and denied.“86 Für mich sind hier die oben zitierten theopoetischen Worte Sölles vom „Wein der Brüderlichkeit“, der auch nach dem individuellen Ende meiner Existenz „weiter getrunken“ wird87 oder auch die Deutung, die Henry Nelson Wieman dem christlichen Osterglauben gegeben hat, wenn er sagt: „what rose from the dead was not the man Jesus; it was creative power“88, nicht nur klarer und plausibler, sondern auch berührender und tröstender als Nikkels diffuses Ausweichen vor einer klaren Festlegung auf konkrete Vorstellungen es hier für mich sein kann.

4. Komplextheologisches Denken und die „postmodernen“ theologischen Phänomenologien des Exzesses

Lektürebasis:

Gschwandtner, Christina M.: Postmodern Apologetics? Arguments for God in Contemporary Philosophy, New York 2013

Mit den spezifisch „postmodernen“ Beiträgen zu einem „für mich heute sag- und tragfähigen“ religiösen Denken „nach dem Ende der Metaphysik“ von Mark Taylor, John Caputo und Richard Kearney, sowie ihrer implizit oder explizit leitenden Bezugnahme auf die dekonstruktive Philosophie von Jacques Derrida habe ich mich zuerst im zweiten bzw. dritten Teil meiner „Paradigmen theologischen Denkens“89 ausführlicher beschäftigt. An diese Beschäftigung knüpft die folgende Verhältnisbestimmung zu den Gedanken des Buches „Postmodern Apologetics“ von Christina M. Gschwandtner an, die nicht nur Caputo und Kearney, sondern auch eine Reihe anderer „postmoderner“ religiöser Denker (nicht aber Mark Taylor!) im Rahmen dessen behandelt, was sie eine postmoderne Apologetik des Gottesglaubens im Rahmen einer phänomenologischen Betrachtung religiöser Erfahrung nennt.

Christina M. Gschwandtner stellt die Frage, ob und in welcher Weise es sich beim sog. „religious turn“ innerhalb der jüngeren „kontinentalen“, phänomenologischen und hermeneutischen Philosophie um eine „postmodern apologetics“, d.h. um den Versuch einer neuen Plausibilisierung und eines Ausweises der intrinsischen Rationalität von Religion und Gottesglauben handelt. Anders als die stark religionskritisch geprägte analytische Philosophie der Mitte des 20. Jh., die im Anschluss an Feuerbach, Nietzsche, Marx und Freud von einem eher pathologischen und regressiven Verständnis menschlicher Religion ausging, deren baldiges Ende sie vorhersagen zu können meinte, hat die „phänomenologische“ bzw. „hermeneutische Wende“ in der Philosophie gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu einer sehr viel offeneren und positiveren Bewertung der Religion geführt. Dabei haben diese „hermeneutischen“ und „phänomenologischen“ Denker, allen voran Paul Ricoeur, aber die kritischen Einsichten einer sog. „Hermeneutik des Verdachts“ nicht verworfen, sondern als ein Moment ihrer neuen affirmativeren Hermeneutik bewahrt und integriert.

Als noch nicht explizit religiös affirmativ, aber für eine positive Neubestimmung der Religion in vieler Hinsicht wegweisend und vorbereitend stellt Gschwandner zunächst die Phänomenologien einer „ontologischen Differenz“ von Martin Heidegger, einer „ethischen Alterität“ von Emmanuel Levinas und einer „Religion Without Religion“ von Jacques Derrida dar. Wirkliche Vertreter einer affirmativen religiösen Hermeneutik sind dann für sie v.a. die maßgebenden französischen Phänomenologen am Ende des 20. Jahrhunderts, Paul Ricoeur, Jean-Luc Marion, Michel Henry, Jean-Louis Chrétiens, Jean Yves Lacoste, und Emmanuel Falque. Schließlich beschreibt Gschwandner die neuesten nordamerikanischen „appropriations“ dieser religiös affirmativen Einsichten durch Michael Westphal, John Caputo und Richard Kearney, bevor sie in einer „Conclusion“ eine eigene zusammenfassende Bewertung und Ertragssicherung versucht.

In ihrer „Conclusion“ fasst Gschwandtner den Ertrag ihrer Untersuchung folgendermaßen zusammen: „What stands out in almost all of these projects … is their emphasis on excess and hyperbole. The one thing almost all of these ways of speaking about the divine and religious experience have in common is that such experience is always depicted in superlative terms. … Religious experience is tantamount to excessive and exceptional experience. … Whether religion is affirmed or rejected, it is consistently associated with the excessive, extreme and hyperbolic.“90

Diese Exzessivität religiöser Erfahrung zeigt sich bei Levinas in der radikalen Alterität des Anderen, „to whom we are completely responsible in utter passivity“; dabei ist „der Andere“ für ihn immer „the human other“, und das Göttliche erscheint allenfalls indirekt als eben die Dimension des Anderen im Anderen, als Horizont, der menschliche Alterität begründet und offenhält. Bei Derrida zeigt sich der Exzess in seiner Rede von den „unmöglichen Ereignissen“ von Geschenk, Gastfreundschaft, Gerechtigkeit und Vergebung, die darin für ihn „nicht dekonstruierbar“ sind, dass sie zwar nicht wie bei Marion „excessivly ‚full‘“, aber „excessively empty“ sind, und so jede mögliche Repräsentation negieren.91

Die religiöse Sprache von Jean-Luc Marion „is especially characterized by excess. His entire project is about affirming absolute givenness and making it phenomenologically viable.“ Diese Exzessivität kennzeichnet für ihn die Offenbarung radikaler Transzendenz, die sich uns besonders in „the saturated phenomenon“ imponiert, „that is so excessive that it overwhelms all our faculties, renders us utterly unable to grasp it, blinds and bedazzles us.“92 Auch wenn die Sprache von Chrétien und Falque „more tempered“ bleibt „than Marion‘s“, sind auch ihre Analysen von „art and beauty“ fokussiert auf „the breaking-points and paradoxes in these experiences“, orientiert an „limit-experiences“ und „in some way excessive“. Das gilt auch für Lacoste, für den „(r)eligious or liturgical experience … is defined by liminality, by radical abnegation and kenosis“.93

Für Ricoeur ist „religious language … characterized by a logic of superabundance that undoes the logic of equivalence charateristic of everyday experience. Biblical ‚poetry‘ is excessive, calls us beyond ourselves, undoes our common perceptions of reality, and challenges our coherent sense of self, unsettling and displacing us.“94 Die Sprache von Michel Henry ist vielleicht „the most excessive“ aller hier behandelter Philosophen. „Al­though his excess is wholly immanent and he refuses any notions of transcendence, his language about Christianity is almost entirely in absolute terms.“95

Für Merold Westphal ist es der Charakter religiöser Erfahrung, dass sie „defies the elf-indulgence of contemporary culture. Religious experiences decenter us and challenge us to move beyond ourselves toward the holy other“, das für ihn Gott ist. Die Sprache John Caputos „exalt(s) in superlatives“. Die „passion for God“ ist für ihn die „passion for the impossible“, das sich in den unmöglichen Ereignissen „of the gift, hospitality, forgiveness, love, or God“ verbirgt. Auch wenn er die Sprache einer „starken Transzendenz“ bei Marion oder Henry ablehnt, und „for Marion the excess is filled“, während er „for Caputo“ wie für Derrida „is empty“, ist für Caputo doch auch die Sprache der „schwachen Transzendenz“ einer „theology of the event“ „fueled to the most excessive extremes“, gerade weil sie aus der „insecurity“ der „unknowability“ des Gegenstands ihrer Sehnsucht lebt: sie ist die Sprache einer „‘hope without hope, against hope, hoping like mad“.96

Im Gegensatz zu diesen Entwürfen ist der Kearneys „much more tempered and, indeed, his project is precisely to formulate a spirituality of the ordinary and everyday.“ Kearney ist oft sehr kritisch gegen die grenzenlose Exzessivität der anderen Entwürfe und „argues for a more mediating position“.97 Dennoch interpretiert auch Kearney Religion immer weder „by a focus on limit-experiences or extreme encounters“, d.h. durch einen Fokus auf „‘experiences of extremities which bring us to the edge“. Religion transzendiert die Gegenwart auf die eschatologische Zukunft eines Gottes „who may be“, und entwickelt darin eine unsere normalen Alltagserfahrungen zugleich aufnehmende und an ihre Grenze führende „Poetik des Möglichen“.98

Indem sie Gott und Exzess, religiöse Erfahrungen und Grenzerfahrungen in unterschiedlicher Weise jeweils eng zusammenbinden, stehen diese zeitgenössichen phänomenologischen (und teilweise hermeneutischen) Denker für einen „postmodern shift“, der sich von der modernen Gleichsetzung von Gott und Rationalität, so Gschwandtner, deutlich abhebt. Damit betreten sie auch religiöses Neuland. „While the claim that God is infinite or excessive, beyond anything we can control or even comprehend, is certainly not new“, wie ein Blick auf die apophatischen Traditionen der Weltreligionen zeigt, „this consistent association of excessive experience with religious experience, and the quasi-equation of religion with poetry and other artistic expression … does present a shift in thought.“ Antike und Mittelalter waren, so Gschwandtner, auch in ihren apophatischen Momenten zutiefst „critical of passion“, die eher mit Dämonen als mit Gott in Verbindung gebracht wurde.99 Die Moderne betonte „God’s rational character“, der ihn einer vernünftigen Interpretation zugänglich machte, und stellte den Gedanken an Gottes Unbegreiflichkeit dahinter zurück.

„The contemporary discourse is definitly not ‚religion within the limits of reason alone‘, nor is God equated with morality or absolute self-conscious spirit, as in Kant and Hegel respectively. Rather the contemporary proposals seem to equate the divine with excessive experience.“ Das tun sie nicht alle in der gleichen Weise, sondern direkter oder indirekter, mit „stärkerer“ oder „schwächerer“ positiver Bestimmtheit. Aber sie stimmen, so Gschwandtner, doch darin überein, dass sie religiöse Erfahrung phänomenologisch „in terms of hyperbole and excess“ zur Sprache bringen, und „radical excess“ als „originating in some fashion in or at least … closely associated with the divine“ interpretieren, und darin auch eine religiöse „defense of passion at the very limit of human experience“ versuchen.100

Was ist aus Sicht der Denkrichtung meiner „Paradigmen theologischen Denkens“ von Gschwandners abschließender Betonung zu halten, dass die von ihr beschriebenen Phänomenologien des religiösen Exzesses nur noch wenig mit Kants Theorie der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ zu tun hätten? Sie entspricht sicher einer geläufigen und dominanten postmodernen Attitüde, die Kants Rede von der „reinen Vernunftreligion“ mit der Forderung nach einer reinen Verstandesreligion verwechselt. (Die Vernunft ist bei Kant selbst keineswegs auf den Verstand reduziert, sondern umfasst im weiteren Sinne vielmehr die Gesamtheit der menschlichen Orientierungsvollzüge, also die beiden „Erkenntnisstämme“ „Sinnlichkeit“ bzw. „Einbildungskraft“ und „Verstand“, die zwischen „Verstand“ und „Vernunft“ im engeren Sinne angesiedelte „Urteilskraft“, zu der nach Kant neben den kognitiven auch die emotionalen, ästhetischen und teleologischen Urteilskapazitäten gehören, und die „Vernunft“ im engeren Sinne mit ihren das unerkennbar bleibende, aber notwendig zu denkende Ganze repräsentierenden transzendentalen, heuristischen „Vernunftideen“, ohne deren Voraussetzung uns überhaupt keine rational erkennbare Welt gegeben wäre.)

Auch der gängige Vorwurf, Kant reduziere „God“ bzw. „religion“ auf „morality“, wird in dieser simplen Formulierung m.E. der tatsächlichen Komplexität von Kants Denken nicht gerecht. Wie Stephen R. Palmquist es formuliert, reduziert Kants „overarching Copernican Perspective“101 die Religion keineswegs „to nothing but morality“, sondern besteht im Gegenteil darauf, dass unsere Moralität „must be raised to the level of religion in order to become a feasible human endeavor at all.“102 Mir scheint in dieser Perspektive auch der Bezug einer „postmodernen“, an der „Grenze“ und dem „Unrepräsentierbaren“ orientierten Phänomenologie der religiösen Erfahrung tatsächlich sehr viel näher an Kant zu sein, als es der modernitätskritische Gestus mancher „postmoderner“ Philosophen oft wahrhaben will, insbesondere wenn man sie auf die „Ästhetik des Erhabenen“ in Kants „Kritik der Urteilskraft“ bezieht. Nicht von ungefähr übt gerade die Ästhetik des Erhabenen eine starke Faszination auf viele Vertreter der Postmoderne aus, von Jean-François Lyotard über Mark C. Taylor bis zu Richard Kearney.

Das Erhabene übersteigt nach Kant das Schöne, indem es durch seine schiere Größe und Gewalt die Kapazitäten unserer ästhetischen Einbildungskraft und Urteilsfähigkeit sprengt. Während das Urteil des Schönen auf unser „Wohlgefallen“ zielt, bewirkt das Urteil des Erhabenen ein ehrfürchtiges Staunen oder einen numinosen Schrecken in uns. „That we call (some) objects ‚sublime‘ is due to their size and force, and to the fact, that they appear ‚to be contrapurposive for our power of judgment, unsuitable to our faculity of presentation, and as it were doing violence to our imagination‘ (KdU 253). We have problems apprehending and comprehending such objects in our intuition and we feel ‚pushed almost to the point of the inadequacy of our faculity of imagination‘(KdU 253), which ‚demonstrates its limits and inadequacy‘ (KdU 257).“103 In der Erfahrung des Erhabenen wird unsere Urteilskraft in ihre Grenzen verwiesen; zugleich aber wird sie in die Lage versetzt, ihre eigene Naturtranszendenz zu erkennen.

Entsprechend schreibt Richard Kearney in seiner Analye des Erhabenen bei Kant: „Kant identifies the depth of the sublime … in terms of our resistance to something dreadful. It is, he says, our response to terror, that is in fact sublime rather than terror itself. … In other words, it is because our mind discovers unsuspected depths within itself in the face of some immesurable menace outside of us that we feel ‚sublime‘.“104 Das „Erhabene“ zeigt sich also in der Fähigkeit des Menschen „to somehow transcend the immediate danger – at least in our minds. What we call sublime, therefore, is precisely that which ‚raises imagination to a presentation of those cases in which the mind can make itself sensible to the appropriate sublimity of the sphere of its own being, even above nature‘.“105 Mark Patrick Hederman fasst in einer Besprechung von Richard Kearneys Buch „Strangers, Gods and Monsters“ Kearneys Deutung des „Kantian sublime“ so zusammen: „The event of alterity awakens the subliminal capacity in us, the otherwise dormant sensitivity to what is beyond us.“106

Für Mark C. Taylor schließlich eröffnet Kants Behandlung des „Erhabenen“ einen Weg über die ontotheologische „economy of representation“ der traditionellen Metaphysik hinaus. „The sublime erupts at the limits of human consciousness. Indeed, the sublime might be understood as the experience of limit as such.“107 Das „Erhabene“ erschüttert die menschliche Subjektivität von innen her, bringt sie aus ihrer Ruhe und hält sie in Bewegung. „(T)he judgment of sublimity discloses differences among intuition, imagination and reason. … The site of the sublime is the site of difference – irreducible difference that can be reduced to neither identity nor unity. … In relation to the sublime, the imagination constantly alternates, oscillates, or hovers between differences it simultaneously brings together and holds apart. This ceaseless alternation keeps the imagination in motion and allows it no rest. … This is the abyss from which Kant had turned in the First Critique. The tremor … of the imagination leaves one shaking, shuttering, trembling. Far from synthesizing opposites in a comprehensive whole or absolute totality, the imagination disturbs, upsets, unsettles … . Neither exactly pleasurable nor displeasurable, the sublime is … ‚a negative pleasure‘. Rapidly alternating between opposites it cannot unite, the imagination creates a sense of vertigo – as if the foundation were shaking, cracking, tearing … The sublime is unpresentable und thus eludes or overflows the economy of representation. Forever unpresentable, the sublime is never present; never present, the sublime is unpresentable. If the sublime approaches, which is not to say arrives, it is at the limit, edge, margin, border of form – ‚in‘ the gaps, fissures, faults, tears of structure.“108

In alldem ist Kants Ästhetik des Erhabenen m.E. einer postmodernen Phänomenologie des religiösen Exzesses sehr eng verwandt. Auch für Kant ist religiöse Erfahrung Erfahrung an der Grenze, Erfahrung einer Dimension von Überschreitung und Alterität, die uns bestimmte Phänomene als „erhaben“ beurteilen lässt. Diese „liminal capacity“ menschlicher Erkenntnis ist für Kant aber nicht „außen“, in der Welt der Dinge, die den Menschen affizieren, begründet, sondern „innen“, in einem ihre biologische Natur transzendierenden Mehr in der menschlichen Subjektivität selbst, das den Menschen seine Welt immer auch religiös erfahren lässt. Als transzendentale Vernunftidee eines nou­menalen Unbedingten, vor dem alles Bedingte erscheint, ist „Gott“ für Kant „kein möglicher Gegenstand der Erfahrung“. Es kann also auch keine Begründung des Gottesgedankens im Sinne der Deutung religiöser (exzessiver) Erfahrung als direkter Intuition eines Göttlichen geben.

Dennoch bestreitet Kant nicht die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit religiöser Erfahrungen überhaupt. Im Gegenteil entwickelt er in seiner „Kritik der Urteilskraft“ eine Möglichkeit zur Deutung religiöser Erfahrungen im Rahmen der Ästhetik des „Erhabenen“. So schreibt Peter Byrne: „It is possible to see (Kant’s) remarks on the sublime as leaving open the door to religious experience as a form of experiencing-as. We can experience some things as possessing the majesty and mystery we associate with divinity.“ Das „Erhabene“ ist nach Kants dritter Kritik „marked in the sense of greatness or overwhelming power“, mit dem wir bestimmte Erfahrungen der Wirklichkeit so interpretieren, dass sie „the feeling of a supersensible faculity in us“ erwecken.109 Dieses menschliche Gefühl für das „Erhabene“ wird nach Kant durch die Wunder der Natur („der bestirnte Himmel über mir“), aber auch durch das Wunder des Ethischen („das moralische Gesetz in mir“) erweckt. „In the light of Kant’s recognition of the sublime in our experience of nature and of the demands of morality, it is not outrageous to say that there is a mystical strand in Kant‘s thought … Thus there is religious experience in Kant but it is not perception of God. The sense of the sublime is anchored in … our minds‘ reaction to those things that give rise to the sense of the supersensible.“ Die religiöse Erfahrung des Natürlichen oder Ethischen als „erhaben“ gibt bei Kant zwar „rise to a sense of God“, ist aber keine „source of information about God or evidence for his existence“.110

Insofern teilt Kants transzendentale Philosophie auf der einen Seite die Orientierung an einer religiösen Hermeneutik exzessiver und liminaler Phänomene, die Gschwandner in der „postmodern apologetics“ der zeitgenössischen phänomenologisch-hermeneutischen Philosophie festmacht. Auf der anderen Seite zieht sie ihnen gegenüber aber auch eine wichtige kritische Grenze ein: In den exzessiven „limit-experiences“ der mystischen Erfahrung grenzt die menschliche Intuition zwar an den letzten, unbedingten Horizont aller möglichen Erfahrung, kann diese Grenze aber nicht überschreiten.

Wie Stephen R. Palmquist betont, ist für Kant entgegen immer wieder vorgebrachten anderweitigen Behauptungen, dass Kants Philosophie „no room whatsoever for religious experience “ lasse111, die mystische Erfahrung sogar grundlegend für seine ethische Orientierung. Schon in seinen „Träumen eines Geistersehers“ weist Kant nicht Swedenborgs Behauptungen mystischer Erfahrung an sich zurück, sondern betont lediglich, dass man aus solchen Erfahrungen kein theoretisches Wissen gewinnen kann: „Kant argues that something real and even significant may have been happening to Swedenborg, but that his attempt to draw knowledge from those experiences was illegitimate.“ Kants gesamte kritische Philosophie, so Palmquist, „leads to a existential heart that can best be called ‚Critical mysticism‘“.112

Dieser kritische Mystizismus in der Erfahrung des Erhabenen bei Kant begründet für ihn zwar die Möglichkeit religiöser Erfahrungen, aber keine Möglichkeit einer direkten Gotteserfahrung oder einen direkten Erfahrungszugang zum Bereich des Übersinnlichen. Solche mystischen Erfahrungen sind für Kant nicht Orte einer für ihn unmöglichen übernatürlichen „Offenbarung“, sondern in ihnen ist, wie Zilleßen es im Anschluss an Derrida formuliert, „allenfalls ein Hauch von Gott, ein flüchtig vorübergehender (Ex 33, 18-23), ein widersprüchlicher“113, lediglich die „Spur einer Spur“, oder wie Peter Rollins es sagt: „Our religion is like the clearing in a forest after a great fire. It testifies to the happening of a great event and without the clearing we would not know of that event, but the clearing does not hold that event.“114

Insofern kann auch in menschlichen Grenzfahrungen und exzessiven Erlebnissen das Göttliche nach Kant nicht direkt „erscheinen“, sich nicht als solches „offenbaren“, auch nicht im Sinne eines „saturated phenomenon of pure givenness“ nach Jean-Luc Marion. Aber die „spätmodernen“ oder „postmodernen“ religiösen Denkversuche besonders von Derrida, Kearney, Heidegger, Ricoeur und Caputo (gegen dessen eigene Kant oft eher karikierende als interpretierende Attitüde), wie auch von Mark C. Taylor, der m.E. hier unbedingt zu ergänzen wäre, sind aus meiner Sicht eher Weiterführungen des Kant’schen Ansatzes denn seine Bestreitung, im Sinne dessen, was Derrida (der selbst gar nicht gern als „postmodern“ etikettiert wurde) sein Anliegen einer „neuen Aufklärung“ genannt hat115.

„Exzessive Erfahrungen“, Grenzerfahrungen, und Erfahrungen des „Erhabenen“ haben auch dann eine fundamentale religiöse Bedeutung, wenn man sie mit Kearney und Kant nicht als „direkte“ Gotteserfahrungen deuten kann. Damit menschliche Gottesrede nicht illusionär bleibt, braucht sie „empirische Korrelate“, braucht sie eine phänomenale Entsprechung, auf die sie das Gottsymbol verweist. Theißen spricht hier von der „Erfahrungsbasis religiöser Vorstellungen“116, die er in menschlichen Resonanzerfahrungen und Erfahrung bewältigter Absurdität festmacht.117 John F. Haught spricht von bestimmten Grunddimensionen allgemeiner menschlicher Erfahrung, auf die das Wort „Gott“ verweisen können muss: „We must ask whether there is anything identifiable in the experience of all of us, and not just ‚religious’ people, to which the name ‚God’ might refer.“118 Entsprechend sagt er: “I shall argue that the referent of this name is what all of us have already experienced to one degree or another, and that we all long to experience even more intimately at the most fundamental levels of our being.“119 Wilhelm Gräb nennt „Gott” ein „Deutewort für Erfahrungen …, die anders nicht in einen Sinnzusammenhang integriert werden können“120, das Symbol einer Sinnperspektive, die alle Einzelerfahrungen, die menschlichen „Sinngründe“ und „Sinnabgründe“ transzendiert, und in ein Ganzes menschlicher Daseinsvergewisserung integriert121. Für John Caputo geht es in der Gottesrede darum, das „Ereignis“ freizusetzen, das im „Namen“ Gottes verborgen ist, das Ereignis, das Jesus das „Kommen des Reiches Gottes“ genannt hat. Dieser „event“ im Herzen des christlichen Gottesglaubens ist für Caputo eine „Provokation“, ein „Ruf“, der uns aus der Tiefe der Wirklichkeit erreicht, ein Ruf, der uns erschüttert und unruhig macht, der uns in die Dimension seines Geheimnisses hineinzieht, obwohl wir dieses Geheimnis niemals begreifen können.122

Für die Bennenung solcher „empirischen Korrelate“ der Gottesrede sind auch die „Phänomenologien des religiösen Exzesses“, die Christina M. Gschwandtner im Rahmen ihrer „Postmodern Apologetics“ ausgewertet hat, m.E. wichtige und unverzichtbare Denkhilfen. Die exzessiven Erfahrungen, die Gschwandtner thematisiert, sind sicherlich in der Regel keine „gewöhnlichen“ Alltagserfahrungen, die jeder Mensch immer und in gleicher Weise macht, sondern „außergewöhnliche“ Grenzerfahrungen, die Menschen unterschiedlich stark und unterschiedlich oft gerade dort machen können, wo ihr gewöhnlicher Alltag sich unterbrochen und in Frage gestellt findet, die also in ihrer Intensität das Alltägliche gerade aufbrechen und überschreiten. Doch es gibt auch „exzessive“ oder „liminale“ Dimensionen unserer ganz gewöhnlichen Alltagserfahrung, weil auch „Alltagserfahrungen“ transparent werden können für das, was unseren Alltag transzendiert, eine gründig-abgründige und in diesem Sinne hyperbolische Qualität gewinnen können, etwa in unseren ganz „gewöhnlichen“ (und doch zugleich immer außergewöhnlichen!) Erfahrungen des Liebens- und Geliebtwerdens, des schönen Naturerlebnisses oder der sexuellen Erfüllung, die in bestimmten Zeiten und Situationen unseres Lebens auch unseren „Alltag“ sehr stark durchdringen und „erheben“ können.

Als „empirische Korrelate“ der Gottesrede sind m.E. beide Formen von menschlicher Grunderfahrung wichtig, die „gewöhnlichen“ Alltagserfahrungen von Resonanz und Lebensmut trotz alledem, „kleine“ und „stille“ Erfahrungen von Glück und Ganzsein, die man mit Sölle als als tägliche geistliche „Brot des Lebens“ in unserer ganz normalen, auch in der einfachsten Frömmigkeit123 bezeichnen könnte, und die intensiven Grenzerfahrungen, die wir im Leben nur manchmal oder nur mit besonderer Übung häufiger machen, exzessive Erfahrungen überwältigenden Glücks, überwältigender Trauer oder „mystischer Verschmelzung“, die jener „besonderen Mystik“ zugerechnet werden können, die nach Steffensky „in dramatischer Verdichtung, sozusagen in künstlerischer Expressivität, das darstellt, was das Wesen von Frömmigkeit und Glaube ist“, und die darum anders als Sölles „demokratisierte Mystik“ „tatsächlich vielleicht … nicht der Weg von allen oder vielen ist“, in der „sich aber“ dennoch „in poetischer Dichte zeigt, was das Wesen eines Glaubens ist, der für alle gedacht ist.“124

Wobei mir wichtig wäre, mit Sölle zu betonen, dass die „Mystik“ am Herzen jeder „echten“ menschlichen Religion ihre Basis immer schon in unseren religiösen Alltagserfahrungen und nicht erst in den Erfahrungen exzessiver „Hyperbole“ hat. Religiöse Erfahrung muss als in der conditio humana selbst begründete Grund­erfahrung gedeutet werden, die nicht nur besonders „religiös musikalischen“ Einzelnen, sondern prinzipiell allen Menschen möglich ist, und die neben explizit religiösen auch viele implizit religiöse Grunderfahrungen des Lebens mit einschließt. Es ist nach Fritz P. Schaller der Transzendenzhorizont des Menschlichen selbst, der die Menschen über die Vergänglichkeit und Begrenztheit ihres Lebens hinaus fragen lässt nach einer Dimension des Unvergänglichen und Unbedingten. Weil der Mensch die Kontingenz seines Lebens bewältigen und im Bedingten nach dem Unbedingten fragen muss, so Schaller, ist er religiös: „Religion, so die Grund-Hypothese, gehört zur Eigenart menschlicher Existenz, so wie Kunst, Wissenschaft oder auch Sexualität. Nicht jeder Mensch muss künstlerisch, wissenschaftlich oder auch sexuell aktiv sein. Es genügt, dass er die Fähigkeit dazu erworben hat. So verhält es sich auch mit der Religion. Nicht jeder Mensch muss religiös sensibel und aktiv sein, aber der Horizont des Unbedingten, des Unendlichen ist ein Element seiner Natur.“125

Die Grenzen und Übergänge zwischen „alltäglichen“ und „alltagsüberschreitenden“ Berührungen mit dem Transzendenzhorizont unseres Menschseins sind hier, meine ich, eher fließend. Denn auch die ganz „alltäglichen“ religiösen Grunderfahrungen, unser tägliches geistliches „Brot des Lebens“ nach Sölle126, gehören insofern zu den menschlichen Grenzerfahrungen, als sie unsere Existenz als sterbliche und endliche Grenz- und Mängelwesen zur Voraussetzung haben, und darum als Akte des „Mutes zum Sein“ (Tillich) bzw. als Ausdruck von Lebensmut „trotz alledem“ gedeutet werden können, gerade angesichts der Grenzen unseres Daseins. Auch religiöse Alltagserfahrungen haben immer einen Bezugspunkt zu den „deep points of human experience, love or birth or death“, wie John Hick es formuliert hat127, bzw. haben nach der Formulierung von Gavin Flood die Funktion, „(to) adress(es) issues of fundamental human concern about being born, living, and dying“128.

[...]


1 Markus Beile ist evang. Pfarrer in Allensbach; er bemüht sich selbst sehr um eine „mytho-poetische“ und dezidiert „liberale“ Revision protestantisch-christlichen Denkens und evangelischer Gemeindepraxis; vgl. dazu v.a. sein neuestes Buch: „Religion für Nichtschwimmer. Fünf Trockenübungen für kritisch Denkende, Gütersloh 2014“ Mit Markus Beile bin ich seit längerem in einem sehr intensiven freundschaftlich-theologischen Gespräch, und in die Beiträge dieses Buches sind auch einige Ergebnisse unserer Diskussionen eingeganfgen.

2 Zu meiner theologischen Entwicklung insgesamt vgl. das hierzu in der Einleitung zu „‘Gott‘, ‚Mensch‘ und ‚Welt‘“ I Gesagte: ("‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 12, bzw. „Heute glaubwürdig von Gott reden“, 13

3 „Das dynamische Geheimnis“ in „Publik Forum“ 5/2014, 26-31 und „Offenbarung lässt mich Tiefe neu erahnen“ in „reformiert.“ 5, Mai 2014, S. 8

4 in „Wege zum Menschen“ 67/2015, Heft 6

5 "‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 3f., bzw. „Heute glaubwürdig von Gott reden“, 5f.

6 Hefner, Philip J.: The Human Factor: Evolution, Culture and Religion, Minneapolis 1993, 91

7 „Offenbarung lässt mich Tiefe neu erahnen“ in: „reformiert.“, Nr. 5/2014, 8

8 ebd., 164

9 vgl. insgesamt „Gefeiertes Geheimnis“, 39-46, auch veröffentlicht als „Leseprobe“ unter dem Titel „Die Tradition des ‚Politischen Nachtgebets‘ um Dorothee Sölle, in: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 82, Jahrgang 15/2013, http://www.theomag.de/82/sts8.htm

10 „Gefeiertes Geheimnis“, 101-103 und 106f.

11 auf Sölles „Mystik des Todes“ bin ich bereits in „Was von uns bleibt“, 16f., eingegangen, vgl. „Christliche Hoffnung angesichts des Todes. Teile I und II“. In: Tà katoptrizómena. Das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie, Ästhetik. Heft 73, Jahrgang 13/2011, http://www.theomag.de/73/index.htm

12 zitiert nach Metz, Mystik, 180

13 Metz, Mystik, 180

14 Sölle, Mystik und Widerstand, 12

15 Sölle, Mystik und Widerstand, 19

16 Sölle, Mystik und Widerstand, 28

17 Sölle, Mystik und Widerstand, 16

18 Sölle, Mystik und Widerstand, 76

19 Sölle, Mystik und Widerstand, 91ff.

20 Sölle, Mystik und Widerstand, 93

21 Sölle, Hinreise, 86

22 Sölle, Hinreise, 86f.

23 Sölle, Hinreise, 87

24 Sölle, Hinreise, 88

25 Sölle, Hinreise, 89

26 Sölle, Hinreise, 90

27 Sölle, Hinreise, 104

28 Sölle, Hinreise, 106

29 Sölle, Hinreise, 107

30 Sölle, Hinreise, 109

31 Sölle, Hinreise, 102

32 Sölle, Hinreise, 126

33 Sölle, Hinreise, 177

34 Sölle, Hinreise, 178

35 Sölle, Hinreise, 178

36 Sölle, Hinreise, 185

37 KpV 288, zitiert nach Ludwig, Imperativ, 15f.; vgl. „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 301f.

38 Palmquist, Public Square, 235

39 Palmquist, Public Square, 235

40 Palmquist, Public Square, 239

41 Palmquist, Public Square, 239

42 Palmquist, Public Square, 239

43 Palmquist, Public Square, 240

44 Sölle, Mystik und Widerstand, 15

45 Palmquist, Public Square, 243f.

46 Palmquist, Public Square, 244

47 Palmquist, Public Square, 245

48 Palmquist, Public Square, 245f.

49 Palmquist, Public Square, 244

50 „Gefeiertes Geheimnis“, 74

51 In seiner Auslegung und wirkungsgeschichtlichen Deutung von Kants Essay „Was ist Aufklärung?“ von 1784 hebt Fleischacker als den „minimalistischen“ Kern von Kants Beitrag zur Aufklärungsfrage, der für ihn gegen die Kantkritiker von Hamann und Hegel bis Horkheimer und Adorno auch heute noch richtungsweisend bleibt, zwei bzw. drei „core themes“ des Kant’schen Aufklärungsideals heraus: „(1) that every human being has a duty to think for him- or herself and not merely accept doctrines on authority, and (2) that this individual duty is interwoven in a complex way with realm of open public discussion“, und vielleicht auch „(3) that the doctrines of churches, and other voluntary institutions, need to be mutable“. (Fleischacker, What is Enlightenment, 16). Im Gegensatz so einer solchen „minimalistischen“ Deutung von Kants Aufklärungsideal als einer autonomen und kritischen Grundhaltung, die mit ganz unterschiedlichen inhaltlichen Überzeugungen verbunden sein kann, würde eine „maximalistische Deutung“ bedeuten, dass man um im Kant’schen Sinne „aufgeklärt“ zu sein auch die gesamten Einsichten von Kants kritischer Philosophie übernehmen muss, d.h. insbesondere die Existenz Gottes nicht für eine rational verifizierbare Tatsache hält und in den historischen Religionen nur zu überwindende Vorstufen der reinen Vernunftreligion sieht. Kant selbst, so Fleischacker, „is … torn between“ der minimalistischen Interpretation, die insbesondere seine früheren Schriften, und ausdrücklich seine Schrift „Was ist Aufklärung“ bestimmt, und der maximalistischen Definition, zu der er insbesondere in einigen seiner späteren Schriften tendiert. (Fleischacker, What is Enlightenment, 39) Aber die Spannung zwischen beiden Interpretationen bleibe durch sein ganzes Werk hindurch bestehen und entspreche vielleicht der Grundspannung des liberalen Denkens überhaupt: „it is definitive of liberalism to uphold the value of a public realm in which doctrines of all sorts, including anti-liberal ones, can be openly debated, but at the same time liberals, like anyone else, hold some particular views they think correct, and would like everyone else to adopt.“ (Fleischacker, What is Enlightenment, 34)

52 Sinn fürs Unendliche, 301

53 Theißen, Zeichenwelt, 78f.

54 nach Riedel, vgl. „Gefeiertes Geheimnis“, 102

55 vgl. „Was von uns bleibt“, 47

56 Sölle, Hinreise, 7

57 Sölle, Hinreise, 9

58 Sölle, Hinreise, 14

59 Sölle, Hinreise, 23

60 Sölle, Hinreise, 23

61 vgl. „Gefeiertes Geheimnis“, 128-132; 165-168

62 Nikkel, Embodiment, 2

63 Rutledge, Embodiment

64 Rutledge, Embodiment

65 Rutledge, Embodiment

66 Rutledge, Embodiment

67 Nikkel, Embodiment, 127

68 Nikkel, Embodiment, 128-133

69 Nikkel, Embodiment, 10

70 Kaufman, Creativity, 53ff.

71 Nikkel, Embodiment, 123

72 Nikkel, Embodiment, 160

73 Nikkel, Embodiment, 124

74 Nikkel, Embodiment, 125

75 Nikkel, Embodiment, 123

76 Kaufman, Mystery, 237ff., vgl. Grafik 287

77 Auf S. XIII seines Vorworts zu „In Face of Mystery“ schreibt Kaufman: „I must grant that the carefully qualified, and in certain respects agnostic, stance elaborated in this book does not provide the intense emotional satisfaction, or the sort of personal empowerment, characteristic of positions which believe themselves justified in proclaiming more concrete and specific certitudes about God, humanity, and the world. Its weakness in this respect (if that is what it is) is the obverse of its fear of every fanaticism or idolatry, so often the consequence of personal commitment given too quickly and fully to reified symbols.“ Insofern könnte diese „Schwäche“ seines Gotteskonzeptes gerade auch seine Stärke sein: „And thus the profound awe which we feel before the mystery from which all this magnificent diversity streams forth may begin to expand in a deep love and loyality to that mystery – to expand. that is to say, into faith in the God who truly humanizes yet thoroughly relativizes us all.“

78 Nikkel, Embodiment, 81

79 Nikkel, Embodiment, 151

80 Nikkel, Embodiment, 151f.

81 Taylor, After God, 347

82 Dürr, Warum es ums Ganze geht, 106; vgl. 141

83 Nikkel, Embodiment, 170f.

84 Nikkel, Embodiment, 172

85 vgl. meine Darstellung von Johnsons Argumentationsgang in „Was von uns bleibt“, 11f.

86 Hardwick, „Events of grace“, 11; vgl. den Zusammenhang in meiner Argumentation in „Gefeiertes Geheimnis“, 8f.

87 Sölle, Hinreise, 23

88 Wieman, Source, 44; vgl. im Zusammenhang meine Besprechung von Wiemans theologischem Beitrag insgesamt in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 273-278

89 vgl. „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 116-124;210-217; 223-229

90 Gschwandtner, Apologetics, 287f.

91 Gschwandtner, Apologetics, 288

92 Gschwandtner, Apologetics, 288

93 Gschwandtner, Apologetics, 289

94 Gschwandtner, Apologetics, 289

95 Gschwandtner, Apologetics, 289f.

96 Gschwandtner, Apologetics, 290

97 Gschwandtner, Apologetics, 291

98 Gschwandtner, Apologetics, 291

99 Gschwandtner, Apologetics, 292

100 Gschwandtner, Apologetics, 293

101 Palmquist, Public Square, 237, im Zusammenhang entwickelt Pamquist den Gedanken der „kopernikanischen Perspektivität“, die Kants gesamte kritische Philosophie bestimmt, im Rahmen dessen, was er den „‚architectonic‘ approach“ von Kants Denken nennt. Weil die Welt möglicher Erkenntnis nach Kant durch die apriorischen Strukturen von Sinnlichkeit und Verstand geformt ist, müssen auch die Grundlagen ihrer Erkenntis gemäß der systematischen Struktur der menschlichen Vernunft architektonisch und systematisch geformt sein. Weil unsere allgemeinsten Erkenntnisprinzipien apriorisch in der Vernunft vorgegeben sind, sollten Philosophen grundsätzlich versuchen „to construct their arguments in an orderly way determined by reason itself, rather than following the merely random approach of collecting information from … experience“. (Public Square, 236) Gerade die traditionelle Kantinterpretation hat die systematische Architekonik von Kants Denken „almost universally … as ludicrous“ diskreditiert (Public Square, 237); was die Interpreten nicht verstanden haben, haben sie als „‘only necessary because of the artificial requirements of Kant’s architectonic‘“ vernachlässigt. Dagegen ermöglicht, so Palmquist, das Ernstnehmen von Kants archtitektonischem Denkansatz auch die „various conundrums“ und „apparent contradictions or incoherencies“ in seinem Denken aufzulösen und uns in die Lage zu versetzen „to see concord in the otherwise apparently confusing labyrinth of Kant’s System“. (Public Square, 237) Aus dieser Einsicht in die notwendig logisch-systematische Architektonik von Kants gesamtem Denken ergibt sich, so Palmquist, „what I call the overarching ‚Copernican Perspective‘ in Kant’s System, a Perspective that informs each Critique at the deepest level.“ Die philosophische Weltperspektive, die er entwickelt, ist nach Kant keine exklusive, jede andere Perspektive ausschließende „‘final solution‘“, sondern vielmehr eine heuristisch „extraordinarily useful“ Perspektive philosophischer Weltinterpretation, der nichtphilosophische Naturwissenschaftler ihre andere, am Sammeln empirischer Daten orientierte Perspektive nach Kant notwendig entgegenstellen können, ja müssen. (Public Square, 237) Kants System schließt die Wahrheit empirisch orientierter naturwissenschaftlicher Weltinterpretation nicht aus, sondern versucht von der „Kopernikanischen Perspektive“ seiner „Transzendentalen Philosophie“ her lediglich, ihr Recht, aber auch ihre Grenzen epistemologisch zu bestimmen.

102 Palmquist, Public Square, 239

103 Wenzel, Introduction, 107

104 Kearney, Strangers, 129

105 Kearney, Strangers, 129

106 Hederman in Mannousakis, After God, 275

107 Taylor, Tears, 220

108 Taylor, Tears, 219-222

109 Byrne, Kant on God, 54

110 Byrne, Kant on God, 55

111 Palmquist, Public Square, 239

112 Palmquist, Public Square, 240; vgl. oben Abschnitt 2. zur Mystik bei Sölle und Kant

113 Zilleßen, Gegenreligion, 37

114 Rollins, How (not) to speak, 46

115 Vgl. Caputo/Scanlon, Transcendence and Beyond, 1f.

116 Theißen, Plädoyer, 46

117 vgl. meine Darstellung in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 15

118 Haught, What is God, 3

119 Haught, What is God, 4; vgl. meine Darstellung in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 90ff.

120 Sinnfragen, 35

121 vgl. meine Darstellung in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 298

122 vgl. meine Darstellung in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 210ff.

123 Sölle, Mystik und Widerstand, 12

124 aus dem einleitenden Gespräch zwischen Sölle und Steffensky, in: Sölle, Mystik und Widerstand, 13

125 Evolution des Göttlichen, 18; vgl. meine Darstellung von Schallers Gedanken im Zusammenhang in „‘Gott‘, ‚Welt‘ und ‚Mensch‘ im 21. Jahrhundert“, 217f.

126 Sölle, Mystik und Widerstand, 12

127 S. Hick, Interpretation, 222

128 Flood, Religion, 4f.

Ende der Leseprobe aus 280 Seiten

Details

Titel
"Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert II
Untertitel
Fragmente des Glaubens
Veranstaltung
--
Autor
Jahr
2015
Seiten
280
Katalognummer
V311446
ISBN (eBook)
9783668106130
ISBN (Buch)
9783668106147
Dateigröße
1975 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Evangelische Theologie, Theologie, Gott
Arbeit zitieren
Stefan Schütze (Autor:in), 2015, "Gott", "Welt" und "Mensch" im 21. Jahrhundert II, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311446

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