Messung von Verflechtungen sytemrelevanter Banken. Eine kritische Analyse


Seminararbeit, 2014

34 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1 Grundlagen der Verflechtungsmessung
1.1 Begriffsabgrenzung systemrelevanter Banken und Risiken innerhalb eines Finanzsystems
1.2 Systemische Risiken als Folge von Bankenverflechtungen
1.3 Anforderungen an die Messverfahren

2 Methodische Bewertung von Verflechtungsrisiken
2.1 Übersicht der Messverfahren in der Literatur
2.2 Das Indikatorverfahren vom BCBS
2.3 Erkenntnisse durch die Netzwerkanalyse

3 Kritische Analyse der Verflechtungsmessung und Ausblick
3.1 Grenzen des Indikatorenmodells
3.2 Messpotential der Netzwerkanalyse
3.3 Handlungsempfehlungen

Fazit

Quellenverzeichnis

Anhang

Versicherung an Eides Statt

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Gruppierung der Messverfahren (Quelle: Bandt (2013): 6)

Abb. 2: Darstellung Netzwerktopologie (Quelle: Haldane (2009): 22f.)

Abb. 3: Beurteilung des Indikatorenmodells (Quelle: eigene Darstellung)

Einleitung

Die Lehmannpleite sowie die staatliche Rettung der Hypo Real Estate im Zuge der jüngsten Finanzmarktkrise haben gezeigt, welches Ausmaß die schier grenzenlosen Verflechtungen zwischen Banken für die übrige Wirtschaft nach sich ziehen können. Für Politik und Bankenaufsicht stellte sich dadurch die Frage: Können Banken too big to fail sein? Seit 2008 beschäftigt diese Problematik Wissenschaft, Politik und Bankenaufsicht, indem Lösungen für eine allgemeine Finanzmarktstabilität kreiert und Rettungspakete eingesetzt wurden. Zunächst war die Bankenregulierung davon überzeugt, bedeutsame Banken vor der Insolvenz zu bewahren, da ein Marktaustritt aufgrund der Interdependenzen zwischen den Institution zu gravierenden Marktturbulenzen führen würde. Nach einer Phase staatlicher Eingriffe durch implizite Rettungsversprechen, hat sich diese Marschrichtung entschieden geändert. Nicht die Bank an sich, sondern die gesamte Systemstabilität muss im Fokus der Regulierungsaktivitäten stehen.

Vor diesem Hintergrund werden mit der vorliegenden Arbeit Verfahren zur Bestimmung derjenigen Banken untersucht, welche aufgrund komplexer Verflechtungsstrukturen mit anderen Banken maßgeblich die Stabilität des Finanzsystems beeinflussen. Dabei gilt es methodische Anwendungsmängel zu identifizieren, um diese im Sinne der regulatorischen Zielsetzung zu optimieren. Dazu wird wie folgt vorgegangen.

Im ersten Kapitel wird zunächst ein grundlegendes Verständnis der Bank mit seinen wichtigen Funktionen für ein stabiles Finanzsystem erarbeitet. Daran anknüpfend wird der Begriff Verflechtungen näher definiert und die sich daraus ergebenen systemgefährdenden Risiken hervorgehoben. Anschließend wird eine Aufzählung von Anforderungen erstellt, welche Messverfahren für eine adäquate Berücksichtigung der Verflechtungsrisiken erfüllen sollten. Im Anschluss daran wird im zweiten Kapitel eine Übersicht der in der Wissenschaft und Praxis diskutierten Messverfahren gegeben. Dabei werden mit dem Indikatorenmodell und der Netzwerkanalyse zwei bedeutsame Methoden näher erörtert. Im dritten Kapitel werden diese beiden Verfahren hinsichtlich der in Kapitel eins erarbeiteten Anforderungen kritisch untersucht, um durch Handlungsempfehlung die praktische Anwendbarkeit zu verbessern.

1 Grundlagen der Verflechtungsmessung

1.1 Begriffsabgrenzung systemrelevanter Banken und Risiken innerhalb eines Finanzsystems

Die Stabilität moderner Wirtschafssysteme basiert im Kern auf der Stabilität ihrer Teilsysteme. Diese bestehen einerseits aus dem Funktionsapparat des Finanzsystems, andererseits aus der Realwirtschaft. Die dabei auftretenden Wirtschaftssubjekte lassen sich in die Gruppen der privaten Haushalte, der Unternehmen, dem Staat und den Finanzintermediären unterteilen.1 Der Begriff Finanzintermediär umfasst dabei sämtliche Akteure, welche als vermittelndes Organ zwischen Kapitalangebot und -nachfrage agieren.2 Banken stellen dabei einen der wichtigsten Finanzintermediäre innerhalb eines Wirtschaftsystems dar, weil sie entscheidende Schlüsselfunktionen für die Leistungsfähigkeit des Finanzsystems übernehmen.3 Diese Schlüsselfunktionen bestehen einerseits durch die Ausübung von Intermediationsfunktionen,4 durch welche die Kapitallenkung auf dem Finanzmarkt gesteuert wird. Andererseits gibt es Grundfunktionen,5 welche vorwiegend den gegenseiteigen Austausch von Buch-, Bar- und Briefgeld ermöglichen.6 Geraten Banken in Folge von Kapital- oder Liquiditätsschocks am Markt in eine wirtschaftliche Schieflage, überträgt sich diese Instabilität durch Nichtausübung der Bankenfunktionen automatisch auf das übrige Finanzsystem. Daher werden diejenigen Institutionen, dessen Ausscheiden wesentlich zu einer Destabilisierung des Finanzsystems beitragen, als systemrelevante Banken bezeichnet.7 Dieser Zusammenhang wird quantitativ durch das systemische Risiko erfasst, welches die Sensitivität des Finanzsystems in Bezug auf exogene Schocks wie einer Bankeninsolvenz darstellt.8 Im Gegensatz zum spezifischen Risiko, welches die Funktionalität nur eines einzelnen Instituts berücksichtigt, tragen systemische Risiken zur wesentlichen Destabilisierung des gesamten Finanzsystems bei, welche sich über die Interaktivität der Banken im Extremfall auf die übrigen Realwirtschaft übertragen können.

Die Existenz systemrelevanter Banken lässt sich einerseits durch das inhärente Risikopotential der einzelnen Funktionen determinieren (notwendige Bedingung), andererseits bestimmen Integration und Interaktivität dieser Banken innerhalb des Finanzsystems das Zustandekommen von systemgefährdenden Zuständen (hinreichende Bedingung). Das Risikopotential für die notwendige Bedingung ergibt sich dabei aus den drei Intermediärsfunktionen Losgrößen-, Fristen- sowie Risikotransformation. Mit Ausübung der Losgrößentransformation steuert die Bank ihre quantitative Anpassung der Kapitalbeträge, indem anzahlmäßig viele kleine Passiveinlagen zu wenig großen Investitionen oder Kreditengagements auf der Aktivseite gebündelt werden (und auch vice versa möglich).9 Durch die Kopplung an den Erfolg volumenmäßig großer, aber anzahlmäßig geringer Kontrakte birgt diese Schlüsselfunktion somit das Potential zur Bildung von Klumpenrisiken in sich, welche durch sinkende Marktpreise oder Zahlungsschwierigkeiten seiner Schuldner entstehen können.10 Das Risikopotential bei der Fristentransformation, durch welche Banken einen Ausgleich zwischen variierenden Kapitalüberlassungs- und Zinsbindungsfristen steuern, besteht in den variierenden Laufzeitbindungen zwischen der Kapitalaufnahme und der Kapitalanlageseite.11 Im Rahmen der eher kurzfristigen Refinanzierung langfristig gebundener Finanzanlagen bzw. Kredite, führen dabei illiquide Märkte zu einer existenzbedrohenden Situation. Durch die Risikotransformation entlasten Banken ihre Kapitalanleger mit Übernahme der Bonitätsrisiken, indem Banken den Interessensausgleich zwischen risikoscheuen Geldanlegern einerseits und risikobehafteten Investitionen anderseits herstellen.12 Übersteigt der dabei entstehende Risikohebel ein bankspezielles Tragfähigkeitsmaß, werden sowohl die Eigenkapitalgeber der Bank, als auch ihre Geschäftspartner für die eingegangenen Risiken belastet.

Zur endgültigen Existenz der Systemrelevanz ist neben den zuvor genannten Risikoquellen als hinreichende Bedingung zusätzlich deren Integration in einen Finanzmarkt zu betrachten. Diese werden durch die drei Determinanten Institutsgröße, Substituierbarkeit sowie der Vernetztheit innerhalb des Finanzsystems definiert.13 Die Größe einer Bank lässt sich dabei über Indikatoren wie relatives Geschäftsvolumen zum gesamten Finanzmarkt oder in Form der Marktmacht bei der Bereitstellung und Durchführung von Finanzdienstleistungen (Zahlungsverkehrs-, oder Clearinggeschäft) feststellen.14 Über systembedingte Fehlanreize werden systemische Risiken durch beobachtbare Katastrophenblindheit der Finanzakteure und dem daran anknüpfenden Herdenverhalten verstärkt.15 Dabei folgen Marktteilnehmer den Entscheidungen anderer Marktteilnehmer beinahe blind, wodurch irrationales Verhalten ausgelöst und eine Fehlallokation von Ressourcen begründet wird.

Die dritte Determinante systemischer Wichtigkeit besteht in der Vernetztheit einer Bank zu anderen Finanzmarktteilnehmern. Dabei ergibt sich die Systemrelevanz aufgrund von Verflechtungen zwischen Banken, welche ein Übergreifen von Funktionsstörungen auf das Gesamtsystem ermöglichen.16

Diese drei Faktoren treten nicht immer separat voneinander auf. Vielmehr ergibt sich ein starker Verbundeffekt durch Wechselwirkungen der drei Determinanten, sodass eine systemweite Betrachtung für die genaue Erfassung der Systemrelevanz notwendig erscheint.17

1.2 Systemische Risiken als Folge von Bankenverflechtungen

Die Lehren aus der vergangenen Finanzmarktkrise haben gezeigt, dass Verflechtungsstrukturen zwischen den einzelnen Finanzmarktteilnehmern die wichtigste Ursache für das Auftreten systemdestabilisierender Effekte darstellen.18 Durch das Ausscheiden einer systemrelevanten Bank führten Übertragungseffekte zu existenzbedrohenden Zuständen bei anderen Banken, welche über den Geld-, Kapital- oder Kreditmarkt stark verflochten sind.

In der Literatur wird der Begriff Verflechtung nicht konkret definiert, sodass in der vorliegenden Arbeit eine eigenständige Definition erarbeitet wurde. Dabei wird von systemischen Verflechtungen im engeren sowie im weiteren Sinne unterschieden. In der weiten Auslegung erfasst der Begriff Verflechtungen sämtliche Umstände bzw. Marktgegebenheiten, bei welchen die wirtschaftliche Notlage einer Bank eine Ansteckung anderer Banken innerhalb des Finanzsystems ermöglicht. Darunter lassen sich sowohl finanzielle Beziehungen als auch infrastrukturelle Abhängigkeiten subsumieren. Infrastrukturelle Abhängigkeiten ergeben sich besonders bei Banken, die aufgrund ihrer Marktdominanz einen wesentlichen Teil der Zahlungs- oder Handelstransaktionen abwickeln. Bei einem Marktaustritt dieser Banken besteht die Gefahr der Nichtersetzbarkeit. Davon abzugrenzen ist die Definition im engeren Sinne, welche lediglich die rein bilanziellen Verflechtungen berücksichtigt. Diese umfassen insbesondere die Bilanzpositionen Verbindlichkeiten und Forderungen gegenüber Kreditinstitute.

Auf diesen Verflechtungen basierende Effekte entstehen systemische Risiken, welche als Ansteckungseffekte19 bezeichnet werden.20 Ansteckungseffekte in einem finanzwirtschaftlichen Kontext wurden erstmalig in der Asienkrise Ende der 90er Jahre beobachtet, wo sich negative Effekte von einer lokalen Krise auf ein Marktsegment übertragen haben, welches zuvor als nicht gefährdet eingestuft wurde.21 Um die Auswirkungen der Ansteckungseffekte auf das systemische Risiko identifizieren zu können, bedarf es einer ausführlichen Betrachtung der Übertragungskanäle, durch welche andere Marktteilnehmer involviert werden. Hinsichtlich der Gefahr, dass über die hohe Konnektivität Effekte von einem Institut auf ein anderes übertragen werden, lassen sich direkte von indirekten Ansteckungskanälen unterscheiden.22

Über direkte Ansteckungskanäle entstehen systemische Risiken vor allem auf dem Interbankenmarkt. Der Interbankenmarkt kann dabei als ein Netzwerk von Banken betrachtet werden, welches die Institutionen zur Erfüllung der Fristentransformation nutzen. Über gegenseitige Interbankenkredite gleichen Banken ihre kurz- bis mittelfristigen Liquiditätsschwankungen auf der Passivseite der Bilanzen aus, um gleichzeitig die Risiken ihrer Aktivgeschäfte zu diversifizieren.23 Diese Wechselbeziehungen verbessern einerseits die Liquiditätsallokation, andererseits stellen die direkten Verflechtungen zwischen Banken eine Gefahrenquelle für sich übertragene Ansteckungseffekte dar.24 Neben Interbankenkrediten entstehen direkte Ansteckungsgefahren ebenso über die auf Derivatehandel konzentrierten over-the-counter-Geschäfte (OTC).25 Durch OTC-Kontrakte sichern sich Banken einerseits im Eigenhandel gegen eingegangen Risiken ab (Hedging), anderseits wird durch Ausnutzen von Ineffizienzen am Markt von Arbitragemöglichkeiten Gebrauch gemacht.26

Neben den direkten Ansteckungskanälen, welche überwiegend auf vertraglich vereinbarten Beziehungen basieren, existieren indirekte Ansteckungskanäle. Diese lassen sich im Kern auf eine marktweite Informationssymmetrie zurückführen und treten insbesondere durch zwei Phänomene in wirtschaftlichen Krisenzeiten auf.27 Erstens entsteht ein hohes systemisches Ansteckungspotential bei Banken, die aus der Not heraus Aktivvermögen am Markt verkaufen.28 Diese als fire sales bezeichneten Liquidierungsmaßnahmen führen am Markt zu einem Absturz der Preise für die jeweiligen Vermögenswerte. Halten andere Banken die gleichen oder ähnliche Vermögenspositionen in ihren Bilanzen, sind diese zu Bewertungskorrekturen in Form von Abschreibungen gezwungen.29 Zweitens führen Informationsasymmetrien zu sogenannten Feedback-Effekten, welche durch Nachahmer- oder Herdenverhalten der Marktteilnehmer in Vertrauensverlusten in die Finanzbranche führen. Dies wurde beispielweise unmittelbar nach der Insolvenz der Insvestmentbank Lehman deutlich. Als systemgefährdende Folge kam es zu keinen Marktverzerrungen aufgrund signifikanter finanzieller Verflechtungen zu anderen Instituten, sondern zu einem Vertrauensverlust der Investoren. Daran anschließend entzogen diese ihr Kapital aus dem Geld- und Kapitalmarkt da sie befürchten mussten, dass neben Lehmann noch weitere Institute existenzbedrohend sein könnten.30

1.3 Anforderungen an die Messverfahren

Das bisher betrachtete Finanzsystem wird an dieser Stelle um die Finanzmarktregulierung als weiteren Akteur erweitert.31 Das Primärziel der Regulierung von systemrelevanten Banken besteht in der zukünftigen Vermeidung von Finanzkrisen und den damit einhergehenden Ansteckungseffekten.32 Dieses Ziel kann nur unter der Bedingung erreicht werden, wenn systemische Risiken aus Ansteckungseffekten zuverlässig identifiziert und dessen konkreten Folgen für das Finanzsystem erfasst werden.33 Denn die Effektivität und Effizienz einer der Finanzmarktregulierung ist maßgeblich von der Messgenauigkeit abhängig, mit der die Systemrelevanz eines Bankinstitutes festgestellt wird.34 Von daher ergeben sich für die systemische Beurteilung von Verflechtungsrisiken folgende konkrete Anforderungen:35

Die erste Anforderung an die Messmethodik stellt der Informationsgehalt der Messergebnisse dar. Dieses Kriterium geht der Frage nach, welche konkrete Information durch das jeweilige Messverfahren erstellt wird. Des Weiteren gilt zu prüfen, ob der Messindikator die Systemrelevanz anhand einer festen Trennschärfe beurteilt wird, sodass die eindeutige Zuordnung einer Bank in die Kategorie systemrelevant oder nicht systemrelevant möglich ist.36 Zweitens sind für die Messverfahren konsistente und für alle betrachteten Bankinstitute verfügbare Finanzdaten zugrunde zu legen. Durch eine verzerrte oder unvollständige Datenbasis erhöht sich das Fehlerpotential, das wesentliche Verflechtungszusammenhänge nicht berücksichtigt und das Analyseergebnis in seiner Beurteilungskraft entkräftet wird.37 Drittens hat die Messung der Systemrelevanz von Banken einer systemweite Risikoerfassung zu folgen. Dabei sollte sich an einer makroprudenziellen Ausrichtung der Aufsichtsorgane orientiert werden, welche die Messung sämtlicher Ansteckungseffekte innerhalb des Finanzsystems erfordert.38 Mit der vierten Anforderung wird an das Verfahren der Anspruch gestellt, dass auch dynamische Marktentwicklungen bei der Analyse erfasst werden, und dass das Messmodell für eine breite Produkt-, Markt- und Geschäftsmodellstruktur adaptierbar ist.

2 Methodische Bewertung von Verflechtungsrisiken

2.1 Übersicht der Messverfahren in der Literatur

Seit Ausbruch der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 stellte die methodische Messung von systemischen Risiken eine zentrale Aufgabe für Bankenaufsichtsbehörden, Zentralbanken sowie für die akademische Wissenschaft dar.39 Mit einer Vielzahl derzeit diskutierter verschiedener Messverfahren konnte kein Konsens über die Existenz des einen optimalen Verfahrens erreicht werden.40 Um die Analyseebenen und unterschiedlichen Vorgehensweisen besser erörtern zu können, lassen sich die Verfahren in vier verschiedene Gruppen einteilen, die in Abbildung 1 dargestellt werden.41 Dabei wird zwischen Messverfahren unterschieden, deren Analysefokus sich auf Institutionsebene, Finanzmarktinfrastruktur, Netzwerkbetrachtung oder das gesamte Wirtschaftssystem beziehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Gruppierung der Messverfahren (Quelle: Bandt (2013): 6)

Auf Institutsebene basieren die Messverfahren im Wesentlichen auf der Quantifizierung des Risikobeitrags eines Instituts für das Gesamtrisiko des Finanzsystems. Auf Marktdaten basierte Verfahren stützen ihre Analyse auf Vermögenspreisallokationen sowie sonstiger marktbasierten Risikomessgrößen.42 Mit dem Conditional Value at Risk-Konszept (CoVaR) ergibt sich das Risiko für das Scheitern einer Bank als Differenz zwischen dem VaR des gesamten Finanzsystems und dem VaR eines Einzelinstitutes unter der Bedingung, dass dieses Institut nicht vom Markt austritt.43

Anders ermittelt der Marginal Expected Shortcut (MES) die systemische Fragibilität einer Bank als Erwartungswert möglicher Verluste der Bank für den Fall, dass die Verluste für das gesamte System gerade sehr hoch sind.44 Hingegen liegt der Fokus der auf Bilanzdaten basierten Verfahren in der indikatororientierten Messung der Systemrelevanz. Da für die Bankenregulierung primär entscheidend ist, den Einfluss einer Bank auf die Finanzmarktstabilität auf robuster Datenbasis zu messen, werden Indikatoren zum Geschäftsmodell oder Transaktionsvolumen anstatt auf risiko- oder marktsensiblen Zusammenhängen betrachtet. Bedeutsame Verfahren sind der vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) entwickelte indikatorbasierte Ansatz zur Bestimmung global systemrelevante Banken,45 das auf amerikanische Nichtbanken fokussierte Verfahren des Financial Stability Oversight Council (FSOB) sowie der von der Europäischen Zentralbank (EZB)46 entwickelte Ansatz zur Identifizierung großer und komplexer Bankenkonsortien für die Messung der allgemeinen Finanzmarktstabilität. Diese Modelle erfassen die Systemrelevanz für eine Bank über mehrere Dimensionen hinweg, da sowohl quantitative als auch qualitative Indikatoren in der Messung berücksichtigt werden. Messverfahren der Gruppe Finanzinfrastruktur untersuchen die Widerstandfähigkeit der Finanzmarktinfrastruktur auf exogene Marktschocks. Darunter fallen Verfahren zur Messung des Kontrahentenrisikos am Geldmarkt durch Überwachung von Liquiditätsangebot und -nachfrage, Zeitpunkt der Zahlungen sowie Beobachtung von Anzeichen für einen bank run 47. Besonders in Fokus der Analyse ist an dieser Stelle das Risikopotential durch Einsatz zentraler Gegenparteien (Central Counterparty) gerückt, da dieses im gegenseitigen Handel das Kontrahentenrisiko übernehmen, indem sie sowohl als Verkäufer für jeden Käufer als auch als Käufer für jeden Verkäufer agieren.48 Durch die Netzwerkbetrachtung wird die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems von einer Querschnittsperspektive beurteilt, welche auf Netzwerkstrukturen basiert. Dabei lassen sich zwei verschiedene Richtungen unterscheiden: einerseits eine deskriptive Annäherung der Netzwerkstruktur; andererseits eine Analyse der Ansteckungsmechanismen innerhalb des Netzwerkes. Um die Auswirkungen und den Umfang systemischer Risiken für das gesamte Wirtschaftssystem zu messen, werden in der vierten Gruppe Indikatoren verschiedener Wirtschaftssektoren sowie Frühwarnsysteme aufgelistet. Dazu stehen verschiedene Arten von synthetischen Indikatoren zur Verfügung, welche zunächst die finanzielle Belastung für Teilmärkte (Finanzintermediäre, Geldmärkte, Aktienmärkte, Rentenmärkte und Devisenmärkte) berechnen und anschließend mittels Kenntnisse der Portfoliotheorie zusammenfassen. Durch Korrelationsanalysen wird dabei das Verhältnis der Märkte untereinander gemessen.49 Ein anderer Ansatz bezieht sich auf die Implementierung von makroprudenziell orientierten Früherkennungssystemen.50 Diese Instrumente analysieren Zusammenhänge zwischen verschiedenen Finanzkrisen um die Effektivität der Regulierungsmaßnahmen weiterzuentwickeln.

2.2 Das Indikatorverfahren vom BCBS

Die Systemrelevanz einer Bank wird aktuell durch die Finanzmarktregulierung mit dem von BCBS entwickelten Indikatorverfahren51 bestimmt. In der letzten Veröffentlichung vom 11. November 2013 wurden 29 Banken als global systemrelevant identifiziert, von denen sechs in Asien, acht in den USA und 15 in Europa ihren Hauptsitz haben.52 Das Verfahren, welches letztmalig im Juli 2013 aktualisiert wurde, lässt sich in drei Abschnitte zur Ermittlung systemrelevanter Banken unterteilen.53

[...]


1 Vgl. Becker/Peppmeier (2013): 22.

2 Vgl. Mankiw (2008): 578f.

3 Der Bankenbegriff ist nicht allgemeingültig definiert. Vielmehr unterliegt der Bankbegriff einer dynamischen Entwicklung. In Anlehnung an das Gesetz über das Kreditwesen (KWG) werden die in § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG beschrieben Kreditinstitute in dieser Arbeit mit dem Bankenbegriff gleichzusetzen. Für die dynamische Entwicklung des Bankenbegriffes vgl. vor allem Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (2007): 84.

4 Hierzu zählen die Losgrößen-, Fristen- sowie die Risikotransformation.

5 Werden im Folgenden nicht näher betrachtet, da diese sich primär auf Umwandlungsmöglichkeiten finanzieller Mittel beziehen und damit eine untergeordnete systemische Relevanz aufweisen.

6 Vgl. Becker/Peppmeier (2013): 22-27 und Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (2007): 13-15.

7 Vgl. Drehmann/Tarashev (2011): 25.

8 Vgl. Oordt/Zhou (2014): 2.

9 Vgl. Becker/Peppmeier (2013): 22.

10 Vgl. Becker/Peppmeier (2013): 23.

11 Vgl. dazu vor allem Rolfes (2008): 419-429.

12 Vgl. Becker/Peppmeier (2013): 24.

13 Vgl. FSB/IMF/BIS (2009): 5, Gischer/Herz/Menkhoff (2012): 164.

14 Vgl. Sachverständigenrat (2009): 141.

15 Vgl. hier und im Folgenden Gischer/Herz/Menkhoff (2012): 165. Insbesondere für die Definition der Begriffe Katastrophenblindheit und Herdenverhalten.

16 Siehe dazu Kapitel 1.2

17 Vgl. Gischer/Herz/Menkhoff (2012): 166.

18 Vgl. Allen/Carletti (2013): 125.

19 Der Begriff Ansteckungseffekt entspricht den Begriffen Dominoeffekt sowie Spillovereffekt.

20 Vgl. ECB (2010): 155f.

21 Vgl. Edwards (2000): 1f.

22 Vgl. Deutsche Bundesbank (2011): 41f.

23 Vgl. Gischer/Herz/Menkhoff (2012): 166.

24 Vgl. Allen/Gale (2000): 3.

25 Ein Derivat stellt ein Finanzinstrument dar, dessen Wert von dem Wert anderer bestimmten Finanztitels abhängt. Vgl. hierzu genauer Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (2007): 251f.

26 Vgl. Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (2007): 254.

27 Vgl. Nier et al. (2008): 21f.

28 Vgl. Deutsche Bundesbank (2011): 41.

29 Vgl. Acharya/Yorulmazer (2008): 3.

30 Vgl. Allen/Carletti (2013): 125.

31 Vgl. Deutsche Bundesbank (2013):42.

32 Vgl. Wellink (2011): 2.

33 Vgl. Deutsche Bundesbank (2011): 41.

34 Vgl. Sachverständigenrat (2009): 140.

35 Vgl. Bandt (2013):17f.

36 Vgl. Rolfes (2009): 46.

37 Vgl. Auer (2005): 11f.

38 Vgl. Deutsche Bundesbank (2011): 40, Weistroffer (2012): 4.

39 Vgl. Weistroffer (2011): 7, Komárková/Hausenblas/Frait,(2011): 103.

40 Siehe Anlage 1für eine Literaturübersicht aktuell diskutierter Messverfahren.

41 Vgl. Bandt (2013): 6.

42 Vgl. Weistroffer (2012): 8.

43 Vgl. Adrian/Brunnermeier (2010): 2.

44 Vgl. grundlegend Acharya et al. (2009).

45 Vgl. BCBS (2011):1f.

46 Vgl. ECB (2006): 126.

47 Gischer/Herz/Menkhoff (2012): 199. Bankenrun bezeichnet das massenhafte Abziehen von Kundeneinlagen.

48 Vgl. Bandt (2013): 11.

49 Vgl. Kritzman et al (2010): 125.

50 Vgl. Gramlich et al (2010): 200.

51 Das Modell beruht auf einer Anfrage der G-20-Länder, wonach das FSB/BCBS gebeten wurden, eine Methodik zur Identifizierung systemrelevanten Banken unter Anwendung qualitativer als auch quantitativer Indikatoren vorzustellen.

52 Vgl. FSB (2013): 3 und Anhang 2 für eine Liste systemrelevanter Banken 2013.

53 Vgl. dazu und im Folgenden BCBS (2011): 3 und BCBS (2013):1. Die Aktualisierung basiert auf einem best-practice-Ansatz, wobei neue Erkenntnisse aus der Anwendungspraxis des Indikatorenverfahrens berücksichtigt werden.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Messung von Verflechtungen sytemrelevanter Banken. Eine kritische Analyse
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Banken und Betriebliche Finanzwirtschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
34
Katalognummer
V311437
ISBN (eBook)
9783668100886
ISBN (Buch)
9783668100893
Dateigröße
1032 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
messung, verflechtungen, banken, eine, analyse
Arbeit zitieren
Master of Science Holger Rief (Autor:in), 2014, Messung von Verflechtungen sytemrelevanter Banken. Eine kritische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311437

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