Unternehmenskultur und Management. Ausgewählte kritische Ansätze


Bachelorarbeit, 2015

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffliche Grundlagen zum Phänomen Unternehmenskultur
2.1 Der Organisationsbegriff
2.1.1 Informale Regeln
2.2 Der Kulturbegriff
2.2.1 Der Normative Kulturbegriff
2.2.2 Der totalitätsorientiere Kulturbegriff
2.2.3 Der differenztheoretische Kulturbegriff
2.2.4 Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff
2.3 Eine Einordnung: Kultur im Kontext der ökonomischen Organisation

3 Unternehmenskultur und Management
3.1 Peters & Waterman: Auf der Suche nach Spitzenleistungen
3.2 Deal & Kennedy: The Rites and Rituals of Corporate Life

4 Ausgewählte kritische Ansätze
4.1 Edgar Schein – Das Drei-Ebenen-Modell der Unternehmenskultur
4.2 Systemtheorie Luhmann – Unentscheidbare Entscheidungsprämissen
4.3 Ulrike Berger – Der Mythos der kulturellen Integration
4.4 Ann Swidler – Culture as a tool kit

5 Diskussion

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8 Abbildungsverzeichnis

9 Eidesstattliche Erklärung

In dieser folgenden Abschlussarbeit wird zur Erleichterung der Lesbarkeit in den Fällen, in denen sowohl männliche als auch weibliche Personengruppen gemeint sind, in der Regel nur die männliche Bezeichnung verwendet.

1 Einleitung

„We take an evidence-based and consultative approach to provide a gap analysis between your current culture and your ideal culture. [...] We believe that values without behaviours can be misunderstood by employees. [...] Our expert consultants will help you define the behaviours required to support your organisation’s values. We will assist you to develop strategies to encourage expected behaviours as they become the way of life within your organisation. (Peter Berry Consultancy 2015)

Mit pathetischem Selbstverständnis verspricht die amerikanische Unternehmensberatung Peter Berry Consultancy (2015) auf ihrer Webseite, eine neue idealisierte Kultur im Unternehmen zu definieren und zu verankern, die strategisch durch ein Set an benötigten Verhaltensweisen seitens der Arbeitnehmer zur Implementierung neuer Werte beitragen, um langfristig als neuer organisationsadäquater Stil gelebt zu werden (Peterburry Consultancy 2015).

Erstem Anschein nach, stellt Kultur als strategisches Kalkül im ökonomischen Kontext eine widersprüchliche Kombination aus Wertorientierung und Zweckrationalität dar:

Warum sollen sich Profitgebilde, die nutzengetrieben agieren, Arbeit rationalisieren, Mitglieder entsprechend instrumentalisieren, um wirtschaftlichen Gewinn zu maximieren, strategisch auf eine Kultur ausrichten?

Die Ablösung hochteilig, fremdgesteuerter Arbeitsprozesse und die Grenzen rationaler und technokratischer Unternehmensführung, im Zeichen zunehmender gesellschaftlicher und betriebsweltlicher Subjektivierungsprozesse seit den 1980ern, scheinen ein vermeintliches Motiv zu sein (Kleemann 2003: 2).

Die Entdeckung und das zunehmende Interesse kultureller Faktoren in der Unternehmenspraxis hängen auch mit der Entwicklung eines eigenständigen Forschungsstranges der Unternehmenskultur zusammen, welcher sich interdisziplinär aus anthropologischen, soziologischen, psychologischen und betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsbereichen konstituiert. In der Öffentlichkeit wird die Unternehmenskulturforschung stark vom instrumentellen Ansatz der Managementlehre dominiert und mit ihm resultieren viele populärwissenschaftliche Arbeiten zum betrieblichen „Kulturmanagement , die auf die Gestaltung von organisationsspezifischen Normen, Werten und Symbolen abzielen, um das Handeln der Mitarbeiter planvoll aber implizit in die vom Management gewünschte Richtung zu lenken.

Der verwendete Kulturbegriff, der seiner ursprünglichen wissenschaftlichen Auffassung nach aus der ethnologischen Erforschung fremder Völker und ihren kulturellen Lebensweisen herrührt, wirft die Frage auf, ob sich die entliehenen Termini sowie der Sinngehalt, widerspruchsfrei auf wirtschaftliche Gebilde übertragen lassen.

Vor diesem Hintergrund gilt daher zunächst zu klären, wie Unternehmenskultur als wissenschaftliches Konzept definiert wird, welche kulturtheoretischen Einflüsse sie zum Ursprung hat und wie sie empirisch messbar gemacht wird. Zentraler Gegenstand der vorliegenden Arbeit wird ferner eine kritische Analyse des instrumentellen Ansatzes sein, der einen Kausaleffekt zwischen Unternehmenskultur und konsistentem Verhalten der Mitarbeiter prognostiziert und damit letztlich eine Performancesteigerung des Unternehmens verargumentiert, um ihren Einsatz als funktionales „Managementtool“ zu rechtfertigen.

Die Leitfrage, die sich daraus ergibt und im folgenden beantwortet und diskutiert werden soll, lautet: Lässt sich eine Unternehmenskultur aktiv steuern?

Um der Analyse einschließlich der Fragestellung nachzugehen, werden eingangs die Begrifflichkeiten sowie die verschiedenen theoretischen Perspektiven von „Organisation“ und „Kultur“ jeweils erläutert und differenziert, sodass „Unternehmenskultur“ anschließend entsprechend verortet werden kann. In diesem Kontext wird darauffolgend kurz hergeleitet, warum die Kulturfrage mit den Jahren an Aufmerksamkeit gewinnt.

Als repräsentativer Auftakt in die managementtheoretische Unternehmenskulturthematik werden schließlich im dritten Kapitel die einschlägigen Werke von Peters & Waterman (1982) und Deal & Kennedy (1982) vorgestellt, die jeweils ihr Modell als vermeintlich erfolgsversprechendes ‚Kulturrezept’ propagieren. Dies dient als spätere Diskussionsgrundlage.

Im darauffolgenden Hauptteil der Arbeit wird, unter Bezug ausgewählter alternativer Ansätze, die sich von den eben benannten Beispielen abgrenzen, die Unternehmenskulturdiskussion soziologisch und anthropologisch eingefangen.

So sind die systemtheoretische Perspektive durch Niklas Luhmann (2000), die These der kulturellen Inkonsistenz von Ulrike Berger sowie Ann Swidlers (1968) handlungstheoretischer Denkrahmen eines kulturellen „Werkzeugkastens“ vertreten. Auch das Drei-Ebenen-Modell von Schein (1985) findet an der Stelle seine Berücksichtigung, allerdings nur als Schnittstelle, da es auf strategische Kulturveränderungen im Unternehmen ausgelegt ist, jedoch auch adäquate Grundtendenzen aufweist und somit Zugang schafft.

Ziel dieser Abschlussarbeit ist es, mit Hilfe der vielfältigen Alternativansätze und einer daran anschließenden Diskussion, eine adäquate Antwort auf die Leitfrage sowie die anderen kritischen Punkte zu finden.

2 Begriffliche Grundlagen zum Phänomen Unternehmenskultur

Im vorliegenden Kapitel werden die definitorischen und theoretischen Grundlagen zur Unternehmenskultur erläutert, um dieses komplexe Forschungsfeld wissenschaftlich zu greifen, einzuordnen und von verwandten Phänomenen abzugrenzen. Dabei wird im Einzelnen auf den Organisations - sowie den Kulturbegriff eingegangen, um dann eine Einordnung des Begriffes Unternehmenskultur vorzunehmen.

2.1 Der Organisationsbegriff

Für die Einordnung des Kulturphänomens in einen organisationalen Kontext ist es vorab notwendig sich die Bedeutung von Organisation zu vergegenwärtigen und ihre Merkmale herauszuarbeiten. Vor allem, weil der Begriff heutzutage zum selbstverständlichen Bestandteil der Umgangssprache geworden ist und sich daher selten einer Reflexion unterzieht. Darüber hinaus wird die Relevanz einer detaillierten Ausführung deutlich, sobald die vorherrschende Bedeutungsvielfalt in der wissenschaftlichen Literatur in den Fokus gerät. So finden in der Organisationstheorie mindestens zwei grundlegende Bedeutungen von Organisation gemäß der jeweiligen Teildisziplinen ihre Anwendung (Schreyögg 2008: 4): Der instrumentelle Organisationsbegriff sowie der institutionelle Organisationsbegriff.

Ausgehend von der klassischen Managementlehre im deutschsprachigen Raum definiert Organisation ein rationales und bewusst geschaffenes „Instrument“ zur Erreichung bestimmter Ziele innerhalb eines sozialen Systems (Bea/Göbel 2006: 6). Gemeint sind alle Regelungen, die den Aufbau sowie den Ablauf zweckmittelorientiert strukturieren (Winkler 1979: 81).

Gemäß Kosiol (1979) handelt es sich bei diesem Regelkomplex um eine „endgültig gedachte Strukturierung“, die dem System seine Stabilität verleiht (Kosiol 1979: 28). Ginge man bei dem System von einem Unternehmen aus, das durch seine Regeln die Aufgabenverteilung, Aufgabenkoordination, Entscheidungsbefugnisse sowie die Autoritätsverhältnisse im Rahmen einer Hierarchie verbindlich festlegt, dann würde diesem instrumentellem Verständnis nach, die Unternehmung eine Organisation haben ( Bea/Göbel 2006: 5).

Im Gegensatz dazu ist der aus der Organisationssoziologie stammende institutionelle Organisationsbegriff aufzuführen, der Organisation als das System beziehungsweise die Unternehmung selbst beschreibt (Reichwald/Möslein 1997: 4): Die Unternehmung ist eine Organisation.

Mayntz (1968) geht dabei von einem bewusst geschaffenen „sozialen Gebilde“ aus, das aus einem internen Regelsystem besteht und die Handlungsaktivitäten seiner angehörigen Mitglieder strukturiert (Mayntz 1968: 36). Dabei werden stets zweckorientiert verschiedene spezifische Organisationsziele verfolgt, die jedoch gemäß Schreyögg (2008) nicht konsistent zueinander sind und ebenso nicht zwingend identisch mit den persönlichen Zielen der Organisationsmitglieder übereinstimmen (Schreyögg 2008: 9). Die Mitglieder sind demnach nicht als ganze Personen, sondern in einer „Mitgliedschaftsrolle“ Teil der Organisation, die an den formalen Regelkomplex sowie die damit einhergehenden „dienstlichen Erwartungen“ gebunden sind ( Bea/Göbel 2006: 6).

Angesichts dieser inneren Ordnungs- und Mitgliedsstruktur generiert eine Organisation absichtsvoll Grenzen zur organisatorischen Außenwelt, um stabil zu bleiben, Mitgliedern von Nicht-Mitgliedern und sich als Organisation von der Umwelt zu unterscheiden (Schreyögg 2008: 9f.).

So weitet die institutionelle Begriffsdefinition demnach das Spektrum für eine Organisatin als komplexes Gebilde, das neben einer formalen Struktur auch unvorhergesehene Prozesse, Dysfunktionen organisierter Arbeitsabläufe, Widersprüchlichkeiten in den angestrebten Organisationszielen sowie Regelkonträres Verhalten seiner Organisationsmitglieder mit einschließt (Schreyögg 2008: 10).

Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass Organisation entgegen seiner vermeintlich starren Bedeutung begrifflich weiter gefasst werden kann uns neben Regeln, Strukturen sowie Technologien auch dynamische Parameter durch arbeitende Individuen sowie die externe Umwelt Berücksichtigung finden. Diese komplexe Lebendigkeit könnte ein erstes Argument für eine Kultur in der Unternehmenspraxis sein.

2.1.1 Informale Regeln

Ohne einen konstituierten Regelkomplex wäre eine Organisation laut der vorangegangen Beschreibungen gar nicht existent. Die formalen Regeln sind es, die das Verhalten der Organisationsmitglieder zu einem gewissen Grad bestimmen und prognostizieren, indem sie spezifizierte Handlungen als Erwartungen an die Individuen, obligatorisch geltend machen (Schreyögg 2008: 11). Wie wir aus dem vorherigen Kapitel jedoch feststellen konnten, verselbstständigen sich auch Prozesse, die durch eine andere wirksame Form von Ordnung induziert werden. Die Rede ist vom informalen Regelsystem.

Anders als ihr formaler Gegentypus, der vorsätzlich von der Unternehmensleitung gestrickt wird, geht das informale Regelsystem aus der emergenten Bildung informaler Beziehungen der Organisationsmitglieder hervor (ebd. 2008: 13). Es generiert sich meist spontan und implizit als paralleles, alternatives oder ergänzendes Orientierungsmuster zum bestehenden formalen Normensystem (Bea/Göbel 2006: 4; Deeg 2006: 55).

Im Vordergrund stehen in erster Linie die individuellen Einstellungen und Verhaltensweisen, die persönlichen Ziele sowie die sozialen Beziehungen untereinander, entgegen der rationale Unternehmensziele. Informale Strukturen kennzeichnen sich laut Schreyögg (2008) zum Beispiel durch „[...] eine rasche unkomplizierte Verständigung ebenso wie die Erfüllung von Zugehörigkeitsbedürfnissen und der Wunsch nach kollegialer Vertrautheit [...]“ (Schreyögg 2008: 13). Ihre Entdeckung galt zunächst als Störfaktor und subversive Kraft einer jeden Unternehmung durch die destabilisierende und Risikostiftende Wirkung auf den konstitutiven Ordnungsrahmen, zugunsten einer funktionalen Sichtweise (Gutenberg 1983: 292).

Mit der modernen Organisationstheorie und in Anlehnung an den institutionellen Organisationsbegriff hält schließlich ein Perspektivenwechsel Einzug, der das Zusammenwirken beider Regelsysteme für die Leistung des Gesamtsystems betrachtet und insbesondere informelle Strukturen als die flexible Lösung der Dysfunktionen formaler Ordnung anerkennt (Schreyögg 2008: 13).

Abschließend lässt sich festhalten, dass die ‚Architektur’ einer Unternehmung aus formalen und informalen Elementen gestrickt ist. Insbesondere mittels Informalität nähern wir uns der Kulturfrage an. Allerdings bleibt fraglich, wie informell und emergent die Prozesse sind, wenn sie wiederum als nützlicher Leistungsbeitrag zugunsten des Systems allgemein funktionalisiert werden?

2.2 Der Kulturbegriff

Bevor das Phänomen Unternehmenskultur in Gänze dargestellt und analysiert werden kann, erfordert es zunächst eines grundlegenden Verständnisses von Kultur. Denn heutzutage findet der Begriff in den verschiedensten Bedeutungen und Zusammenhängen seine Anwendung. Mit Blick auf die zahllosen „Komposita“ unseres praktischen und wissenschaftlichen Sprachgebrauchs, wie beispielsweise Diskussions-Kultur, Ess-Kultur, Fan-Kultur, Pop-Kultur, Streit-Kultur und im organisationalen Kontext hinsichtlich der Unternehmenskultur wird dies besonders deutlich (Nünning 2009: 1). Die Anwendung solch vielfältiger Wortzusammensetzungen lässt eine Pluralität von Kulturdefinitionen und –theorien vermuten, die sich aus den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen speisen.

Für einen Überblick kann die Typologie von Reckwitz (2004) helfen, die in vier wesentliche Arten von Kulturbegriffen unterschieden wird, aus denen letztlich die Kulturtheorien samt ihrer Forschungspraktiken hervorgehen[1] (Reckwitz 2004: 15). Diese werden in den folgenden vier Kapiteln dargestellt.

2.2.1 Der Normative Kulturbegriff

Das normative Begriffsverständnis beschreibt Kultur als eine für alle Individuen erstrebenswerte Lebensweise in Form von „ästhetischen“ Phänomenen, Objekten und Praktiken, die in einer Gesellschaft im hohen Maß geschätzt und durch Traditionsbildung bewahrt werden (Nünning 2009: 2). Entsprungen ist der moderne Kulturbegriff dem Zeitgeist der Aufklärung im 19. und 20. Jahrhundert durch die soziale Klasse des Bürgertums, die ihren eigenen bürgerlichen[2] Lebensstil vom Adel und der agrarischen Unterklasse moralisch abgrenzte und ihn zu einer universellen Kultur legitimierte (Reckwitz 2004: 4).

Diese normative Vorstellung ist aus der Transformation der klassischen Wortbedeutung der Antike erwachsen. Hier definiert „Cultura“ die Pflege, die sorgfältige Gestaltung eines Gegenstandes sowie den Anbau eines Ackerlandes (ebd. 2004: 4). Dem schließt sich die Begriffserweiterung der Renaissance an, die Kultur als die „Pflege des Verstandes“ beziehungsweise der „geistigen Naturanlagen“ eines Individuums in der Gesellschaft beschreibt (Reckwitz 2000: 66).

Der moderne Kulturbegriff beschränkt sich demnach nicht allein auf den Intellekt eines einzelnen Individuums, sondern auf den moralischen und geistigen Zustand eines ganzen sozialen Kollektivs (Reckwitz 2004: 4). Dieser Zustand ist in der normativen Begriffstradition untrennbar mit einer Wertung verbunden, der als „universaler Maßstab“ in der Gesellschaft geltend gemacht wird und subtil der bürgerlichen Lebensweise entspricht.

Allgemein festzuhalten ist also, dass Kultur diesem Verständnis nach von einer ausgewählten Gesellschaftsschicht mit „Exklusionscharakter“ konstruiert wird.

2.2.2 Der totalitätsorientiere Kulturbegriff

Entgegen des wertenden und vorschreibenden Kulturbegriffs, der einen universalen Standard von Kultivierung anhand bürgerlicher Werte als erstrebenswert bemisst, charakterisiert sich der totalitätsorientierte Kulturbegriff als holistisches Konzept, das frei von ästhetischer Wertung und Ausgrenzung alle Lebensäußerungen einer Gesellschaft impliziert (Nünning 2009: 2). Gemäß dieser ganzheitlichen Auffassung steht nicht bloß ein determinierender Lebensstil eines besonderen Kollektivs im Fokus, vielmehr wird die Gesamtheit der Denk-, Handlungs-, und Wahrnehmungsmuster aller Individuen, Gruppen und Klassen berücksichtigt.

Das holistische Konzept ist somit zum Vergleich unterschiedlicher Kulturen ausgelegt, indem die Lebensformen ganzer Völker, Ethnien und Nationen deutlich werden (Reckwitz 2004: 5).

Dieser Ansatz ist für die Kulturanthropologie, Ethnologie und Volkskunde von konstitutiver Bedeutung, da die durch ethnologische Forschung untersuchten Gesellschaften oder Nationen, „ganze Lebensformen“ von Gemeinschaften und somit Kulturen beschreiben (Reckwitz 2004: 5). Kulturen sind folglich die durch Sozialisation entstandenen, Glaubens-, Lebens- und Wissensformen einer ganzen Gesellschaft (Nünning 2009: 2).

2.2.3 Der differenztheoretische Kulturbegriff

Im Folgenden sei nun kurz der differenztheoretische Kulturbegriff daneben gestellt, der Kultur fernab von „ganzen Lebensweisen“ in gesellschaftliche Sektoren intellektueller und ästhetischer Formen der Kunst, Bildung und Wissenschaft unterteilt (Reckwitz 2004: 4). Aus funktionaler Sicht bilden sich aus diesen Kultursystemen „Experten“ heraus, die sich von der Bevölkerung in erhöhter Weise hervorheben und ihre kulturellen Weltdeutungen als sogenannte „Hochkultur“ in die „Massenkultur“ der Gesellschaft implizieren (Holtz/Dahlern 2010: 28). Dies lässt ein Nahverhältnis zum bürgerlich-normativen Kulturbegriff vermuten.

2.2.4 Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff

Neben diesen verschiedenen Auffassungen von Kultur, reiht sich der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff, der unterschiedlicher als die vorangegangenen Auffassungen nicht sein könnte und jüngst einen Perspektivenwechsel in der kulturwissenschaftlichen Forschung anstieß (Reckwitz 2004: 7).

Im Fokus stehen hier die symbolischen Ordnungen und Bedeutungssysteme, die das Handeln von Individuen oder ganzen sozialen Kollektiven orientieren und durch die selbigen reproduziert werden (ebd. 2004: 7). Das theoretische Kernargument baut stets darauf, dass Menschen ihre Wirklichkeit gestalten, indem sie ihrer Welt implizit Sinn und Bedeutungen zuschreiben, die an spezifische Formen und Zeichen geknüpft sind und dadurch zum Ausdruck kommen (Cassirer 1994: 25). Eine Kultur beschreibt diesem Kontext zufolge die Art und Weise, wie die handlungskonstitutiven Sinn- und Bedeutungsstrukturen in einem sozialen System produziert und reproduziert werden. Auch Cassirer (1994) bestätigt, dass sich Kultur durch seine Funktion auszeichnet die „passive Welt der bloßen Eindrücke“ zu einer für den Menschen verstehbaren Wirklichkeit umzuformen. Als vom Menschen geschaffene kulturelle Ausprägungen benennt Cassirer (1994) exemplarisch die „Sprache“, die „wissenschaftliche Erkenntnis“, den „Mythos“, die „Kunst“ und die „Religion“ (Cassirer 1994: 25).

Mit der Abkehr von der antikischen „Hochkultur“ eines ausgewählten elitären Kollektivs und dem Fokus auf die „Alltagskultur“ jeden Individuums, trägt das bedeutungsorientierte Kulturverständnis zu einer neuen Richtung der kulturwissenschaftlichen Forschung des 20. Jahrhunderts bei, aus der sich vier elementare Kulturtheorien speisen, die differenzierte Optionen hinsichtlich symbolischer Strukturiertheit menschlicher Verhaltensformen aufzeigen (Reckwitz 2004: 7).

Anzuführen ist die strukturalistisch-semiotische und die phänomenologisch-hermeneutische Theorieschule: Sie repräsentieren einen einflussreichen Dualismus zwischen einer Makroperspektive von Kultur als „symbolische Struktur“ und einer Mikroperspektive von Kultur als „subjektive Interpretationsleistungen“ (ebd. 2004: 15).

In der strukturalistisch-semiotischen Theorie wird die Rolle des Subjekts minimiert, zugunsten der ihm übergeordneten symbolischen Struktur, die als unmissachtliche Basisbedingung für alles Handeln angesehen wird (Reckwitz 2004: 15).

Reckwitz (2004) pointiert in seinen Ausführungen, dass „[...] die symbolischen Codes [einschränken] was überhaupt denkbar, sagbar und wünschbar ist.“ (Reckwitz 2004: 15).

Somit wird deutlich, dass das Subjekt selbst zum „Produkt“ der kulturellen Struktur wird.

Entgegen dieser strukturalistischen Kulturvorstellung widmet sich die phänomenologisch-hermeneutische Theorie dem Subjekt samt seiner „Verstehensleistungen“ (ebd. 2004: 15). Gemeint sind die intersubjektiven Zuschreibungen von Sinn und Bedeutungen situativer Begebenheiten durch die Subjekte. Kultur definiert dabei die Art und Weise wie Menschen aktiv ihre Welt interpretieren beziehungsweise ihr einen Sinn zuschreiben, um sie sich verstehbar zu gestalten (ebd 2004: 15). Daher betonen die Theoretiker dieser Schule, dass es mehr als nur allein subjektive Vorstellungen sind, sondern die Individuen handeln als Akteure in einem nicht zu unterschätzenden Prozess Bedeutungen und Sinn aus, angesichts ambivalenter oder vielschichtiger Situationen (ebd. 2004: 15f.).

Beide Theoriestränge sind wesentlich für die kulturwissenschaftliche Forschung: Aus strukturalistischer Sicht kann kulturelle Reproduktion nachvollzogen werden, aber weniger die situationsspezifischen Mechanismen der Destabilisierung oder Transformation von Kultur, die wiederum aus interpretativer Perspektive zu verstehen sind (ebd. 2004: 16).

Daneben stellt Reckwitz (2004) drei weitere Theorien, die der Frage nachgehen, wo sich die kulturelle Bedeutungswelt ausprägt beziehungsweise offenbart:

Der Ansicht des frühen klassischen Strukturalismus sowie der klassischen Sozialphänomenologie zufolge positioniert sich Kultur auf geistiger Ebene (ebd. 2004: 16). Ob im Sinne des Strukturalismus, als fest verankerte Struktur im geistigen Unbewusstsein des Menschen oder angesichts der interpretativen Sozialphänomenologie, als gerichtete „Sinnzuschreibungen“ des Bewusstseins (ebd. 2004: 16).

Allerdings steht dieser „kulturalistische Mentalismus“ in der Kritik, Kultur als „geistige Welt“ zu sehr von den Handlungsakten der Außenwelt sowie der materialen Kultur abzutrennen. (ebd. 2004: 17). Aus diesem Grund haben zwei „nicht-mentalistische“ Varianten der bedeutungsorientierten Kulturtheorie Einzug in die kulturwissenschaftlichen Forschung erhalten, die den Blick weg von einer geistigen hin zu der öffentlich greifbaren Kultur als symbolische Ordnung gelenkt haben (ebd. 2004: 18).

Einer dieser kulturtheoretischen Optionen ist das sogenannte textualistische Kulturverständnis, das gesellschaftliche Ausdrucksformen, wie öffentliche soziale Diskurse, Texte, Symbole und Zeichen als die zentrale Ebene deklariert, auf der sich die symbolischen Ordnungen offenbaren (ebd. 2004: 17).

Clifford Geertz (1983), amerikanischer Ethnologe und bedeutendster Verfechter dieses hermeneutischen Ansatzes definiert Kultur in seinem viel zitierten Werk die „Dichte Beschreibung“, als Äußerung eines Systems gemeinsamer Symbole, vermittels dieser die Subjekte ihren Erfahrungen und ihrem Wissen eine Bedeutung geben. Damit bieten sie nicht nur Aufschluss über sich selbst, sondern über das gesamtgesellschaftliche Diskursuniversum (Geertz 1983).

An dieser Stelle sei Geertz’ Konzept kurz detaillierter ausgeführt, welches explizit die Ethnologie mit der ethnografischen Forschungsweise in Form einer dichten Beschreibung, als die Wissenschaft erklärt, die sich als gesamtes Fach um den Kulturbegriff herum gebildet hat (Geertz 1983: 8). Ferner geht es darum sich vom „pseudowissenschaftlichen Wust“ frei zu machen, der mit seinem Bekanntwerden inflationär aufkam und ihn mittels ethnologischer Analysen in den Griff zu bekommen (ebd. 1983: 8). Diese Betrachtungsweise sollte in jedem Fall Berücksichtigung finden, da sie angesichts der folgenden Abschnitte über die populärwissenschaftlichen Entwendungen des Begriffes zu einer fruchtbaren Diskussion am Ende beitragen kann.

Die klassische Ethnologie richtet sich an der Erforschung fremder Völker und Stammesgesellschaften aus, die durch die spezifische Feldforschung der teilnehmenden Beobachtung[3] erfolgt, in der der Ethnologe in das Leben des zu untersuchenden Kollektivs tritt, um dessen Alltag unbefangen zu beobachten, zu interpretieren und zu verstehen (Geertz 1983). Um nachzuvollziehen, was ethnologische Interpretationen sind und welches Ausmaß diese annehmen, kommt es darauf an, „[...]zu verstehen, was die Forderung, die Symbolsysteme anderer Völker aus der Sicht der Handelnden darzustellen, bedeutet und was sie nicht bedeutet.“ (Geertz 1983: 22).

Um dem gerecht zu werden, verweist Geertz (1983) gemäß der Hermeneutik explizit auf die Form des Niederschreibens: Die Interpretationen bestehen aus dem Versuch den sozialen Diskurs samt subjektiver intentionaler Veräußerungen nachzuzeichnen, ihn in zugänglicher Form zu erfassen. Mittels des Berichts hält der Ethnologe gründlich und nah das Geschehene fest, um es nachträglich außerhalb der Situation für die Untersuchung heranzuziehen (Geertz 1983: 28).

[...]


[1] Der Dualismus der Theorien, den Reckwitz betont ist vor allem bedeutend für die Kulturtheorien des 20. Jahrhundert (Reckwitz 2004: 15).

[2] Charakteristisch für die bürgerliche Klasse waren primär die akkuraten Werte und der damit zusammenhängende Lebensstil an Orten, wie das „eigene Haus, das Amt und das Geschäft, öffentliche Institutionen, Bildungseinrichtungen, Vereine, Theater“ (Holtz/Dahlern 2010: 27).

[3] Die teilnehmende Beobachtung ist die zentrale Methode der ethnographischen Feldforschung in der der Wissenschaftler unmittelbar an der Situation beteiligt ist. Dies reicht von der bloßen Präsenz bis zur Interaktion und Gesprächen mit den Situationsteilnehmenden, sodass es ein stetiges Lavieren zwischen Unvoreingenommenheit und persönlicher Beteiligung bleibt, um die alltäglichen Verhaltensweisen, die in den unterschiedlichsten Lebenslagen praktiziert werden, realitätsnah zu verstehen (Lüders 2000: 386).

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Unternehmenskultur und Management. Ausgewählte kritische Ansätze
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
43
Katalognummer
V311389
ISBN (eBook)
9783668101364
ISBN (Buch)
9783668101371
Dateigröße
745 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unternehmenskultur, Unternehmenskulturkonzept, instrumentelles Unternehmenskulturkonzept
Arbeit zitieren
Insa Genausch (Autor:in), 2015, Unternehmenskultur und Management. Ausgewählte kritische Ansätze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311389

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