Gattungswechsel oder Genretransformation in Cornelia Funkes Werk „Reckless. Steinernes Fleisch“


Seminararbeit, 2015

14 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung
1.1 Gattungswechsel oder Genretransformation: fließende Grenze zwischen dem Fantasy-Roman und dem Märchen
1.2 Kontrastive Darstellung des Werkes und kleine integrierte Analyse. Genre-Schemata: Märchen oder Fantasy?
1.2.1 Immerwiederkehrende Formulierungen
1.2.2 Selbstverständlichkeit des Wundersamen
1.2.3 Namen, Helferfiguren und Schauplätze

Schlussfolgerungen

Anhang

Einleitung

Untersucht werden in der vorliegenden Proseminararbeit bekannte Motive Grimmscher Märchen als Bestandteil in Cornelia Funkes Roman „Reckless. Steinernes Fleisch“, die als Vertreterin der deutschsprachigen Kinder- und Jugend- Fantasyliteratur gilt. Der konkrete Untersuchungsgegenstand ist folgender: Inwieweit ist es notwendig die Kombination der beiden unterschiedlichen Genres – Märchen und Fantasy – zu interpretieren bzw. sich ihrer Funktion bewusst zu werden. Die Frage ist außerdem, ob sich dadurch für den Leser eine bessere Verständlichkeit ergibt. Unter der oben genannten Kombination ist folgendes zu verstehen: Die von der Autorin erstellte Handlung, die sowohl in der Hinterspiegelwelt stattfindet, die der Grimmschen Märchen entlehnt wurde und den Protagonisten neu ist, und dabei doch in der Realität – also unserer heutigen Alltäglichkeit – beginnt.

Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zur Analyse der dargestellten Themen und Motive des interpretierten Werkes. Ausgangspunkt der Beobachtung war die heutzutage sehr verbreitete Praxis der Bearbeitung von uralten Mythen, Sagen, Volksmärchen u.ä. zu einem ganz neuen „phantastischen“ Sujet und die davon ausgehende Frage, ob diese Ansätze der künstlerischen Überarbeitung der jeweiligen Vorlage bereits zum Gattungswechsel oder zur partiellen Genretransformation führen könnten – also von Märchen in Fantasy –, was in diesem Zusammenhang in gewisser Weise kontrastiv wirkt. Die Untersuchung soll ein klares Bild der tatsächlichen Präsenz des Einflusses der Märchen auf den Roman „Reckless. Steinernes Fleisch“ liefern und zur Entschlüsselung so einer Tendenz in der gesamten „Fantasy-Literatur“ beitragen. Als Märchen wird in dieser Arbeit ein „echtes, gemütliches“ Kindermärchen oder Kunstmärchen verstanden – besonders die der Märchen der Gebrüder Grimm, auf die sich die Autorin nach eigenen Aussagen bezieht.

Ziel dieser Proseminararbeit ist es, eine kurze objektive Darlegung des Märchenmotivs, wie z. B. die Raum- und Zeitlosigkeit, die wie selbstverständlich wirkende Aufhebung der Natur oder das Auftreten von Fabelwesen, in Funkes Werk „Reckless“ zu geben. Folgende Frage soll beantwortet werden: Welche Elemente – die der Fantasyromane oder der Märchen – überwiegen in diesem Buch? „Steinernes Fleisch“ soll mit der Grimmschen Vorlage verglichen werden und eine tiefere Analyse mittels Aufgliederung der Handlung in kleine, aber relevante Themenblöcke durchgeführt werden, um am Ende der Arbeit die wichtigsten Funktionen des Vorkommens des Volksmärchens nennen zu können. Dieser Zielsetzung entsprechend wurde diese Proseminararbeit konzipiert und gegliedert. Bei der Anordnung des Stoffes wurde versucht die Komplexität des Themas und die vielseitigen Wechselbeziehungen zwischen seinen Komponenten zu veranschaulichen.

Die vorliegende Proseminararbeit gliedert sich insgesamt in drei Teile: Einleitung, Hauptteil und Fazit. Zum besseren Verständnis der Arbeit wurde der Hauptteil in zwei Unterkapitel aufgeteilt. Diese Teile sind als eine theoretische Einführung in die Problematik zu verstehen. Das erste Kapitel beschreibt kurz einen Theorierahmen für den Problembereich"Intertextualität", das zweite Kapitel gliedert sich weiter in einzelne Aspekte des Symbolsystems, wie: Transtextualität, Raumkonstruktion und Raumsymbolik, Namen und Helferfiguren usw. In der hier vorliegenden Arbeit werden die theoretischen Erkenntnisse im Bereich der literarischen Analyse des zu untersuchenden Werkes zusammengefasst. Das Schlusskapitel, bzw. die „Schlussfolgerung“, stellt in skizzierter Form die Ergebnisse der Untersuchungen dar.

Im Rahmen dieser Proseminararbeit wurde das Werk von Cornelia Funke „Reckless. Steinernes Fleisch“ untersucht. Nach der Typologie von Phantastik im weiteren und engeren Sinne und gattungsspezifischen Merkmalen nach Heinrich Kaulen[1] kann man dieses Werk zweifellos als phantastische Literatur deuten, weil es nach seiner Charakteristik vielen Forderungen des Genres entspricht. Deshalb wurde das untersuchende Werk als Fantasy-Roman bezeichnet, was die zahlreichen Rezensenten und Kritiker auch bestätigen.

Beim Lesen der vorliegenden Proseminararbeit wird empfohlen, die Tabelle im Anhang, die in Kurzform die inherenten Märchen- und Fantasy-Elemente skizziert und einander gegenüberstellt, im Kopf zu behalten. Der Leser ist auch gerne aufgefordert, selbst Schritt für Schritt die Zugehörigkeit des analysierenden Werkes zum einen oder anderen der oben genannten Genres zu kontrollieren. Alle dort aufgeführten Schematisierungen wurden ausschließlich auf Basis des Hauptkapitels und des in der Arbeit besprochenen Stoffes gebaut.

1.1 Gattungswechsel oder Genretransformation: fließende Grenze zwischen dem Fantasy-Roman und dem Märchen

Es ist bekannt, dass es in der Kultur, inklusive Literatur, ein Phänomen wie der zyklischen Interaktion und Wechselwirkung der Genres gibt, die sich nicht getrennt voneinander entwickelt haben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Mythen, alte Legenden, Sagen, Volksmärchen und auch Kunstmärchen, wie im zu untersuchenden Fall, als Vorlage vieler Fantasy-Werke gelten können. Die Analyse des Werkes basiert auf der Märchenforschung. Es steht in dieser Arbeit nicht zur Frage, warum genau dieses Genre und nicht ein anderes, z.B. Mythen, gewählt wurde. Die Autorin beantwortet diese Frage teilweise selbst in einem Interview zum Buch auf diese Weise , dass d ie ursprüngliche Idee für das Buch war, eine Märchenwelt zu schildern, in der im Grunde alle in Deutschland bekannten Märchen Realität sind[2]. Eine andere Frage, die im Vordergrund der vorliegenden Arbeit steht, ist, ob man es nur mit einer Märchenbearbeitung zu tun hat oder ob sich dieses Werk trotz allem „Märchenhaftesten“ als Fantasy-Roman bezeichnen lässt.

Kurz und deutlich wurden die Lage des Märchens und sein Verhältnis zur Fantasy von Thomas Le Blanc und Wilhelm Solms dargelegt. Ihrer Meinung nach, ist eine Begegnung mit der Fantasy und der modernen Phantastik für die Märchenforschung eine ertragreiche Angelegenheit, weil Märchenforschung ja nicht nur heißt, nach den Wurzeln zu suchen, sondern auch die Weiterentwicklung der im Volk geschaffenen Geschichten zu beobachten, das Neuschöpfen im Kunstmärchen und das Eingehen in andere Literaturgenres. Es wird festgestellt, dass Märchen keine Geschichten aus ferner Vergangenheit sind, mit denen man sich nur aus volkskundlichem oder literaturhistorischem Interesse befasst – Märchen sind auch im Hier und Heute lebendige Literatur, die täglich neu erzählt, täglich neu erfahren und auf neue Weise vermittelt wird[3]. Diese Worte werden von Funke bestätigt, dass sie ihre modernisierte Märchenwelt, die nicht mehr mittelalterlich ist, ganz bewusst an das 19. Jahrhundert angelehnt hat, das beides kannte: Fortschrittsbegeisterung und romantische Vergangenheitsverklärung[4].

Der heutige Leser und Zuschauer wurde mit dieser Modernisierung von solchen Werken wie z.B. „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“ bereits vertraut gemacht, deshalb war die Aufgabe von Funke ein bisschen komplizierter als bei ihren Vorgängern. Sie sollte den Leser irgendwie mit der Handlung überraschen. Einerseits hat sie - meiner Meinung nach - eine literarische Kosmogonie[5] von Tolkien entlehnt, andererseits hat sie in monatelanger Zusammenarbeit mit dem Filmschaffenden Lionel Wigram, Produzent der Harry-Potter-Reihe, das Konzept und die Figuren entwickelt, die starke Anleihen beim Film nehmen[6]. Aber was war neu? Neu war das Übereinanderlegen von zwei Konstanten: eine Landkarte von Europa zur Basis einer Märchenwelt. Und die Märchenwesen, wie z. B. Zwerge, Feen, Hexen, Drachen usw., die vorkommen, stammen immer aus dem jeweiligen Märchenschatz des bestimmten Landes. Das heißt, im ersten Teil bietet uns Funke Figuren und Motive wie in Märchen aus Österreich und Ungarn sowie den Grimmschen Märchen[7].

Ausgehend von der Handlung wurde eine kleine kontrastive Analyse durchgeführt, um zu verstehen, welches Genre Funke ausschöpft.

1.2 Kontrastive Darstellung des Werkes und kleine integrierte Analyse. Genre-Schemata: Märchen oder Fantasy?

Laut Solms sind die Märchen keine phantastische Literatur, auch wenn die Welt der Märchen und die Welt der Fantasy für den heutigen Leser beide als phantastische Welten erscheinen. Fantasy-Storys sind somit auch keine Märchen, auch wenn Verleger die Leser glauben machen wollen, dass es sich um „die Märchen unserer Zeit“[8] handele.

1.2.1 Immerwiederkehrende Formulierungen

Man muss wahrscheinlich mit den immer wiederkehrenden Formulierungen, besonders am Anfang und Ende des Märchens, beginnen. Ernst Bloch betonte, dass die typische Eingangsformel des Märchens – „Es war einmal“ – auf die spielerische, entrückte Märchenwelt verweise: „Das bedeutet märchenhaft nicht nur ein Vergangenes, sondern ein bunteres und leichteres Anderswo“[9]. Cornelia Funke beginnt ihr Werk ebenso spielerisch mit der Phrase, mit dem Titel des Kapitels „Es war einmal“[10] und schließt mit den Worten „Und wenn sie nicht gestorben sind“[11], was nach der Typologie nach Gérard Genette auf Transtextualität hinweist. Darunter versteht man die Relationen zwischen Texten, die ihrerseits in weitere fünf Typen wie Intertextualität, Paratextualität, Metatextualität, Architextualität und Hypertextualität gegliedert sind. Das erste, was der Leser beim Öffnen des Buches sieht, außer dem Titel des Werkes, sind genau diese Worte, was zur Aktivierung seiner emotionalen und kognitiven Assoziationen beiträgt. Narrative Muster können vermutlich auch bei einsamer Lektüre das Gefühl von Vertrautheit, mündlicher Erzählsituation (und weihnachtlicher Gemeinschaft) vermitteln[12]. Aber Funke nutzt nicht nur die Einführungsformel als Einstieg, sondern auch Motive, typische Figuren und eine konventionalisierte Semantik bzw. eine neue Verbindung von semantischen Feldern, wie z.B. „die Sterne wie Blüten“[13] oder „Die Fenster der Fee…wie grüne Augen“[14], „Drachen aus Metal“[15], „Haut aus Stein“[16]. Sie kodiert vielfältige Inferenzmöglichkeiten, anders gesagt Wege zu den bestimmten Schlussfolgerungen, für ihre märchenerfahrenen Leser.

[...]


[1] Kaulen, Heinrich: Wunder und Wirklichkeit. Zur Definition, Funktionsvielfalt und Gattungsgeschichte der phantastischen Kinder – und Jugendliteratur. In: Julit. Informationen, 30. Jg. (2004), H.1, S. 14.

[2] Vgl. Deutschlandradio Kultur: Funke: Märchen enthalten viele schreckliche Wahrheiten. http://www.deutschlandradiokultur.de/funke-maerchen-enthalten-viele-schreckliche-wahrheiten.954.de.html?dram:article_id=145645 (27.09.2010).

[3] Le Blanc, Thomas / Solms, Wilhelm (Hg.): Phantastische Welten. Märchen, Mythen, Fantasy. Regensburg: Erich Röth Verlag 1994, S. 7.

[4] WELT ONLINE: Cornelia Funke knöpft sich reaktionäre Märchen vor. http://www.welt.de/kultur/article9613379/Cornelia-Funke-knoepft-sich-reaktionaere-Maerchen-vor.html (13.09.10).

[5] Hammer, Andreas: J.R.R. Tolkien und der Mythos. Überlegungen zum sagengeschichtlichen Hintergrund und zum epischen Erzählen in Tolkiens literarischem Weltentwurf. In: MAIRBÄURL, Gunda (Hg.): Kinderliterarische Mythen-Translation: Zur Konstruktion phantastischer Welten bei Tove Jansson, C. S. Lewis und J.R.R. Tolkien. Wien: Praesens-Verlag 2013, S. 85.

[6] Zehetmayer, Elisabeth: Rezension (bn.bibliotheksnachrichten). http://www.biblio.at/literatur/rezensionen/opac.html?action=search&nachname=&isbn=&vorname=&schlagwort1=&titel=Reckless (15. 01. 2015).

[7] Vgl. Deutschlandradio Kultur: Funke: Märchen enthalten viele schreckliche Wahrheiten. http://www.deutschlandradiokultur.de/funke-maerchen-enthalten-viele-schreckliche-wahrheiten.954.de.html?dram:article_id=145645 (27.09.2010).

[8] Le Blanc/Solms (1994), S. 19.

[9] Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985, S. 410.

[10] Funke (2010), S. 7.

[11] Funke (2010), S. 339.

[12] Bergenthal, Ursula: Des Zauberlehrlings Künste. Göttingen: Wallstein 2008, S. 282.

[13] Funke (2010), S. 133.

[14] Funke (2010), S. 224.

[15] Funke (2010), S. 254.

[16] Funke (2010), S. 254.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Gattungswechsel oder Genretransformation in Cornelia Funkes Werk „Reckless. Steinernes Fleisch“
Hochschule
Universität Wien  (Institut Germanistik)
Note
2
Autor
Jahr
2015
Seiten
14
Katalognummer
V311307
ISBN (eBook)
9783668099296
ISBN (Buch)
9783668099302
Dateigröße
898 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gattungswechsel, genretransformation, cornelia, funkes, werk, reckless, steinernes, fleisch
Arbeit zitieren
Daniil Danilets (Autor:in), 2015, Gattungswechsel oder Genretransformation in Cornelia Funkes Werk „Reckless. Steinernes Fleisch“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311307

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