Namibia. Erinnerungsarbeit in einer postkolonialen Gesellschaft


Bachelorarbeit, 2014

42 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1. 1 Motivation & Problematisierung
1. 2 Aufbau der Arbeit & Forschungsbericht

2. Hauptteil
2. 1 Ein Blick zurück
2. 1. 1 Von Deutsch-Südwestafrika zu Namibia
2. 1. 2 Die Geschichte des „Reiters von Südwest“
2. 2 Namibia’s Status Quo
2. 2. 1 Die Kultur der Deutschnamibier
2. 2. 2 Das Verhältnis von Schwarz und Weiss
2. 3 Erinnerung und Gedenken
2. 3. 1 „Sieger vs. Besiegter“ - Unterschiede in Deutung und Verständnis der Kolonialzeit
2. 3. 2 Denkmäler, Symbole, Erinnerungsorte und -rituale
2. 4 Gesellschaftliche Rezeption der SWAPO-Politik
2. 4. 1 Die SWAPO-Politik nach 1990: Nationale Versöhnung durch „Nation Buildung“ und „Affirmative Action“
2. 4. 2 Berichterstattung über die Reiter-Demontage in der Allgemeinen Zeitung, der Namibian Sun und in The Namibian
2. 4. 3 Gesellschaftliche Diskussionen über SWAPO-Politik

3. Schluss
3. 1 Zusammenfassung der Ergebnisse
3. 2 Konklusion und Ausblick

4. Quellenverzeichnis

1. Einleitung:

1. 1 Motivation & Problematisierung

Im Modul „Kultur und Kommunikation“ meines Zweitfaches Englisch ist in der Studienordnung ein 12-wöchiges Praktikum im englischsprachigen Ausland vorgesehen. Da ich seit jeher großes Interesse am afrikanischen Kontinent hege, nutzte ich diese Gelegenheit und bekam (mit Hilfe des Deutschen Fussball Bundes) eine Stelle beim Sportklub Windhoek (SKW) , einem von Deutschsprachigen gegründeten Sportverein in Windhoek, Namibia. Bevor ich mich im Sommer vergangenen Jahres auf die Reise ins Unbekannte machen, wusste ich nicht allzu viel von Land und Leuten wie ich gestehen muss. Dass dort mal eine deutsche Kolonie bestand und dort heute noch viele Deutsche wohnen war mir bewusst, aber im Prinzip war es das dann auch schon mit meinen Kenntnissen.

Die zwölf Wochen in Windhoek waren rückblickend betrachtet die vielleicht spannendste Zeit meines Lebens. Für knapp drei Monate war ich für den Jugendfussball des Sportvereins zuständig - sportlich und administrativ. In dieser Zeit war ich auf ständiger Identitätssuche. Und zwar nicht nur nach meiner eigenen, sondern genau so nach der von Schwarz, Weiss und Farbig. Ich war für eine begrenzte Zeit Teil der namibischen Gesellschaft, wusste aber lange Zeit nicht wie ich mich in „Klein-Deutschland“ (wie ich zu Beginn dachte) einzuordnen hatte. Zunächst einmal war ich ja Gast. Gast von einem anderen Kontinent. Da aber meine Gasteltern Horst und Heidi hießen und ich im Sportverein mit Rolf, Udo und Klaus fast ausschließlich mit Deutschnamibiern1 zu tun hatte, fühlte ich mich prinzipiell heimisch - natürlich auch sprachlich. Deutsches Fernsehen, Bildzeitung, Karneval, Oktoberfest - ich hatte das Gefühl meine Gastfamilie verkörperte mehr deutsche Tugenden als ich es selber tue.

Die Demut mit der ihr mir vorgenommen hatte, meiner (schwarz-)afrikanischen Mannschaft gegenüberzutreten wurde mir schnell ausgeredet. „Die Oukies2 brauchen Disziplin. Zeige denen dass du der Boss bist, dann wissen die gleich Bescheid“, empfahl mir ein Trainerkollege. Ähnliches galt beispielsweise beim Thema Taxifahren. Vorsichtig fragte ich nach dem Tarif für die anstehende Fahrt. Für 100 N$3 wurde ich ca. eine halbe Stunde befördert. Als Trainerkollege Klaus das erfuhr, meinte er ich solle mich nicht veräppeln lassen, schließlich bestimme der (weisse) Fahrgast den Preis - und der liege bei weniger als 50 N$. So bekam ich schnell ein Gefühl mit welchem Selbstverständnis der Deutsche (ähnlich dem Deutschnamibier) in Namibia auftritt. Später wurde ich dann Opfer eines Einbruchs und eines Betrugs, die jeweils glimpflich verliefen. Gelernt habe ich daraus einiges. Nämlich dass Unterschiede in der Hautfarbe noch viel mehr aussagen als es in meiner europäischen Heimat der Fall ist. Nach der Hälfte meines Aufenthaltes hatte ich bereits so viele Fragen, dass ich wusste dieses Thema würde mich so schnell nicht wieder loslassen. Dieses Gefühl „same but different“, das Sozialleben, die Kriminalität, das positive Lebensgefühl trotz der (bei Schwarzen) zumeist großen Armut. All dies waren Themen, die mich motivierten die sozialen Gegebenheiten dieses Landes näher zu untersuchen. Nachdem ich mich nach einiger Zeit in meinen Job beim SKW eingearbeitet hatte, motivierte mich herauszufinden warum der SKW, der 1951 als weisser Verein gegründet wurde und in dem bis zur Unabhängigkeit 1990 ausschließlich weisse Sportler aktiv waren, als ein Paradebeispiel der gelebten Versöhnungspolitik gilt. Nach der Unabhängigkeit sah man dann auch schwarze Spieler im Team. Bis heute hat sich dies weiter entwickelt, so alle Teams mittlerweile aus gleich vielen Weissen wie Schwarzen bestehen.

Im Laufe der Zeit begegnete ich Aussagen wie „Wenn die Weissen heute das Land verlassen, sitzen die Schwarzen morgen wieder auf den Bäumen“. Dies scheint eine Art geflügeltes Wort zu sein, denn sobald ich mit Deutschnamibiern über die Zukunft des Landes und die der Weissen unterhielt, bekam ich dies zu hören. Angesichts der zahlreichen Klagen über die Missstände im Land und der landläufigen Behauptung die „deutsche Ethnie“ in Namibia sterbe aus, begann ich nach einer Zeit zu fragen warum man nicht über Auswanderung nachdachte. Die Antwort war häufig einfach: „Wir sind Südwester - wir sind hier geboren und werden hier sterben, ganz einfach“. Was all das im Kern bedeutet und welches Selbstbild und -verständnis dort mitschwingt will ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausführen. In wieweit die Hautfarbe die Sozialstruktur in Namibia determiniert und ob die Aussage Frantz Fanons „Die Ursache ist Folge: man ist reich weil weiss, man ist weiss weil reich“4 auch für dieses Land gilt wird im Verlaufe thematisiert.

In die Mitte meines Aufenthaltes in Namibia platzte die Meldung, dass die Regierung plane das Reiterdenkmal in Windhoek abzubauen, welches an die gefallenen Soldaten des Kolonialkrieges erinnern soll. Diese Ankündigung sorgte in der deutschnamibischen Gesellschaft für Empörung und große Unruhe. Da ich mich bis dato im Prinzip ausschließlich im deutschsprachigen Dunstkreis bewegte, habe ich mich im Laufe der Zeit (wohl unbewusst) auch von der politischen Ideologie und der damit verbundenen kolonialapologetischen Grundhaltung anstecken lassen. Den Meinungen „Das können die doch nicht machen“ und „Damit zeigen sie uns dass sie uns nicht wollen“ schloss ich mich also unkritisch an. Erst mit meiner Rückkehr nach Deutschland, dem intensiven Verfolgen der Pressemeldungen rund um die „Reiter-Diskussion“ wuchs ein distanziertes und differenziertes Bild über die grundsätzliche Sinnhaftigkeit des kolonialen Denkmals in dieser post-kolonialen Gesellschaft. Spätestens durch das Studium der Literatur rund um das Gedenken an koloniale Bemühungen des deutschen Reiches in afrikanischen Überseeterritorien im frühen 20. Jahrhundert konnte ich die Debatte in Namibia auch emotional verfolgen. Bestärkt durch den finalen Abriss des Denkmals am 25. Dezember 2013 erwuchs in mir der Gedanke meine Bachelor-Arbeit dieser Thematik zu widmen.

1. 2 Aufbau der Arbeit & Forschungsbericht

Der Abriss des Reiterdenkmals ist kein isolierter Vorgang, der losgelöst von gesellschaftlicher Reaktion stattfand - ganz im Gegenteil. Er ist eingebettet in ein komplexes Konstrukt sozialer Struktur und offenbart sprachliche, kulturelle und politische Unterschiede innerhalb der schwarz- weissen Gemeinschaft. Mithilfe eines breit gefächerten Aufbaus versucht die Arbeit dieser Problematik Rechnung zu tragen.

In einem einführenden Teil soll zunächst ein kurzer Überblick über die Historie Namibias gegeben werden. Daraus geht hervor welche Faktoren dazu führten, dass aus der einst deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika die heutige unabhängige Republik Namibia hervorgegangen ist. Dazu wird das mehr als 100 Jahre stehende Reiterdenkmal in Windhoek vorgestellt, denn dieses ist für die vorliegende Arbeit von zentralem Interesse. Nach einem Exkurs über das Leben der Deutschsprachigen in Vergangenheit und Gegenwart wird auch evaluiert wie sich das Zusammenleben mit der schwarzen Mehrheit darstellt. Daran schließt sich ein Kernteil dieser Arbeit an, in dem der differenzierte, erinnerungskulturelle Umgang mit namibischem Kolonialerbe gesamtgesellschaftlich thematisiert wird.

Nachdem im letzten Part des Hauptteiles versucht wird, die gesellschaftliche Reaktion auf die Demontage des Reiterdenkmals abzubilden, bietet der Schluss dann eine kurze Zusammenfassung und einen Ausblick auf die nahe Zukunft eines möglichst friedlichen Miteinanders in der Republik Namibia.

Das untersuchte Quellenmaterial lieferte ein breites Spektrum von Literatur über postkoloniale Gesellschaften. Es existiert eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die ein dezidiertes Bild des Umgangs mit Kolonialerbe in der ehemals deutschen Kolonie zeichnet. Vor allem die Forschungsstelle von Freiburg postkolonial bietet hierbei einen breiten Fundus interessanten Materials. Auch die Beiträge der bekannten Namibia-Experten Larissa Förster, Brigitta Schmidt- Lauber, Joachim Zeller und Henning Melber erwiesen sich als sehr hilfreich. Da sich Namibia im Laufe der letzten dreißig Jahre politisch vor allem durch die Unabhängigkeit einem Wandel unterzogen hat, finden sich auch einige Quellen wider, die zu der Zeit um 1990 und vorher entstanden. So bietet sich die Chance in postkolonialen Debatten (Dis-)Kontinuitäten im Laufe der Jahre zu finden. Dies ist allerdings nicht Kern dieser Arbeit, sondern lediglich ein potentieller Nebeneffekt.

Wichtig zu erwähnen wäre noch dass der größte Teil der Sekundärliteratur von Bundesdeutschen stammt und nicht von Deutschnamibiern.

2. Hauptteil

2. 1 Ein Blick zurück

2. 1. 1 Von Deutsch - Südwestafrika zu Namibia

1884 wurde das heutige Namibia zur deutschen Kolonie erklärt und mit dem Namen Deutsch- Südwestafrika versehen. Deutsche Kaufleute wie der Bremer Adolf Lüderitz, nach dem die Stadt L ü deritz an der Atlantikküste benannt ist, verfolgten ökonomische Interessen und kauften Land von den Ureinwohnern. In den ersten zwanzig Jahren wanderten 14 000 deutsche Siedler ein, annektierten das fruchtbarste Land in Gutsherrenmanier und verdrängten die Afrikaner. Bestärkt durch den Diamantenfund Anfang des 20. Jahrhunderts in Kolmannskoop (Lüderitzbucht) siedelten ununterbrochen Deutsche in die neue Kolonie ein, um dort ihr Glück zu suchen. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs arbeiteten die deutschen Siedler intensiv an der (Verkehrs-)Infrastruktur und bauten Straßen, Häuser und Städte unter Hilfe der afrikanischen Bevölkerung, die zur Mitarbeit gezwungen wurde. So entwickelte sich bis zum Ende des Diamantenrausches Mitte der 1920er- Jahre Lüderitz zur reichsten Stadt Afrikas mit bemerkenswertem Luxus inmitten der Wüste - es gab unter anderem ein Schwimmbad, ein Elektrizitätswerk und eine Eisfabrik.

Die kolonialen Bestrebungen der Deutschen gingen ungehindert voran bis sich im Jahre 1904 das Volk der Herero gegen sie erhob. Im 3-jährigen Hererokrieg (oder wie die Deutschen es nannten: Hottentottenaufstand) kämpften die materiell hoffnungslos unterlegenen Völker der Herero und Nama gegen deutsche Kolonialisten. Vor der finalen Schlacht am Waterberg, 300 km nördlich von Windhoek, gab der damalige Hauptkommandant Lothar von Trotha den berüchtigten Vernichtungsbefehl. Dieser befahl den Schutztrupplern5 auch vor Frauen und Kindern nicht halt zu machen. Die Herero kapitulierten schließlich und flohen in die wasserlose Omaheke-Wüste, wo zwei Drittel von ihnen verdursteten. Ein Teil der Flüchtigen fand den Weg ins Betschuanaland (dem heutigen Botsuana).

Der erste Weltkrieg brachte dem deutschen Reich dann eine Niederlage bei, die dazu führte dass Deutsch-Südwestafrika unter südafrikanisches Mandat fiel. Für die Mehrheit der deutschen Siedler im Lande änderte sich nichts. Sie waren offiziell „geduldete Wirtschaftsfaktoren“ der südafrikanischen Apartheidsregierung. Nach langem Kampf der South West African Peoples Organisation (SWAPO) gegen die südafrikanische Obrigkeit, der mit der Unabhängigkeit 1990 endete, löste sich Namibia von Südafrika und hat in dieser Konstitution bis zum heutigen Tage Bestand. Seitdem ist die SWAPO die regierende Partei.

Heute ist Namibia mit seiner Bevölkerungsanzahl von derzeit 2,1 Millionen6 eine Vielvölker- und so genannte Regenbogennation. Hier leben mehr als ein Dutzend verschiedener Ethnien weitestgehend friedlich miteinander. Der Anteil der deutschsprachigen Weissen im extrem dünn besiedelten Namibia liegt bei weniger als einem Prozent. Da beim Zensus der Anteil der Deutschnamibier nicht ermittelt wurde, kann die Gesamtzahl von ca. 20 000 nur geschätzt werden - Tendenz sinkend.7 Die Sozialstruktur Namibias lässt sich heute nur teilweise anhand der Hautfarbe ablesen und unterscheiden. Offizielle Statistiken der Regierung gibt es bezüglich der Einkommensverteilung nicht. Nichtsdestotrotz wird im namibischen Alltag sehr deutlich, dass deutschsprachige Namibier in der Regel einen hohen Wohlstand (vergleichbar mit europäischem Maßstab) genießen und das Wirtschafts- und Geschäftsleben dominieren. Dem gegenüber stehen die schwarzen und farbigen Namibier, die trotz einer wachsenden Ober- und Mittelschicht immer noch in (teils bedrückender) Armut leben. Mehr als 50% der Bevölkerung liegt an oder unterhalb der Armutsgrenze. Ein strukturelles Problem ist die enorm hohe Arbeitslosigkeit, die bei 51% liegt (Stand: 2010). Soziale Ungleichheit lässt sich vor allem mit Hilfe des durchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen messen. Mit dem Gini-Koeffizienten8 von 0,597 (2010) belegt Namibia mit Platz 6 einen Spitzenplatz weltweit.9

Aufgrund von missionarischen Tätigkeiten von Deutschen und Briten ab dem 19. Jahrhundert hat sich das Christentum als bedeutendste Religionsgemeinschaft herausgebildet. Während die Amts- und Verkehrssprache Namibias Englisch ist, lässt sich aufgrund der Präsenz von Afrikaans, Deutsch und einer Vielzahl von afrikanischen Sprachen von Multilingualität sprechen.

Die ehemalige Kolonie präsentiert sich heute als ein demokratischer Staat, bestehend aus einer Legislative, Exekutive und Judikative. Da die Regierungspartei SWAPO mehrheitlich bei jeder Wahl nach der Unabhängigkeit gewann, hat es den Anschein, dass Namibia Tendenzen zum Einparteiensystem hegt. Jedoch existieren einige Oppositionsparteien, die allerdings kaum politischen Einfluss haben und zuletzt (bis auf die RDF mit 11, 2% in 2009) unter der 5% - Hürde bleiben. Die Verfassung stellt Mann und Frau gleich und verbietet menschenunwürdige Behandlungen aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder anderer ideeller Merkmale.

2. 1. 2 Die Geschichte des „Reiters von Südwest“

Im Jahre 1912 wurde der so genannte Südwest-Reiter errichtet. Das größte und bekannteste deutsche Kolonialdenkmal im heutigen Namibia wurde vom deutschen Bildhauer Adolf Kürle angefertigt und 1911 per Schiff ins damalige Deutsch-Südwestafrika transportiert. Sein offizieller Name ist Reiterdenkmal Windhoek. Es zeigt einen uniformierten Reiter der deutschen Schutztruppe hoch zu Ross, der eine Waffe in der Hand hält und nach dem Feind späht. Die Reiterfigur steht auf einem Sockel aus Granitblöcken und hat eine Gesamthöhe von 9,5 Metern.

Das Denkmal soll an die gefallenen deutschen Soldaten während des Kolonialkriegs des deutschen Kaiserreichs gegen die Herero und Nama von 1904-1907 in Deutsch-Südwestafrika erinnern. Spätestens bei der Einweihungsfeier, die am 27. Januar 1912 (am Geburtstag des Kaisers) unter großer Beteiligung der deutschen Bevölkerung in Windhoek stattfand, wurde deutlich, was durch den Anblick des Denkmals schon zu vermuten ist. Gouverneur Dr. Theodor Seitz stellte heraus, dass es sich bei dem Denkmal keinesfalls nur um ein Gefallenenmal handelt, sondern auch um ein Herrschaftsmal, das den politischen Machtanspruch des Deutschen Reiches über das „Schutzgebiet“ symbolisiert. Dieser Intention entsprechend finden sich auf der Widmungstafel ausschließlich die Namen deutscher Schutztruppler, die „fuer Kaiser und Reich zur Errettung und Erhaltung dieses Landes waehrend des Herero- und Hottentottenaufstandes 1904 bis 1907 und waehrend der Kalahari-Expedition 1908 ihr Leben liessen“.10 Insgesamt waren es ca. 1600 Deutsche, die während des Kolonialkrieges für ihr Vaterland starben. Die mehr als 10 000 Opfer auf afrikanischer Seite (vorwiegend Herero und Nama) bleiben hierbei unerwähnt.

Interessant sind für diese Arbeit folgende Details. Als erstes sind die Begriffe „Kalahari- Expedition“ und „Hottentottenaufstand“ irreführend bzw. abwertend. Ersterer verheimlicht die brutale Absicht, die hinter der „Expedition“ steckte - nämlich die letzte aufständische Nama-Gruppe in der Kalaharie-Halbwüste durch einen Kriegszug auszurotten.11 Der Begriff „Hottentotten“ wurde von deutschen Kolonialkriegen als despektierliches, herabsetzendes Synonym für die Volksgruppe der Nama verwendet. Man kann also interpretieren, dass die offizielle „Intention, den Gefallenen [auf deutscher Seite] ein Erinnerungsmal zu weihen“ als Vorwand diente, „ein unzweideutiges Herrschafts- und Siegessymbol aufzurichten“.12 Im Denken derjenigen, die das Denkmal geplant und errichtet hatten, war die kriegerische und kampfeslustige Attitude unübersehbar, die „den heroisch posierenden „Schutztruppler“ als helden- und vermeintlich ehrenhaften Verteidigungskämpfer glorifiziert“.13 In diesem weissen Kriegs- bzw. Geschichtsbild werden Kriegsfolgen für die afrikanische Bevölkerung total ausgeblendet.

Die Hauptfunktion des Reiterdenkmals im eigentlichen Sinne war also den Besitzanspruch auf die Kolonie Deutsch-Südwestafrika weiter formal zu determinieren und ein klares Herrschaftszeichen zu setzen. Oder wie Winfried Speitkamp es ausdrückt: ein „Symbol der kolonialen Kampfgemeinschaft der Deutschen in Afrika“, das sich der „Widrigkeiten und Widerstände vor Ort (…) mit Tugend, Kameradschaft und Opferbereitschaft“ erwehren wollte. 14 1969 wurde das Reiterdenkmal vom Südwestafrikanischen Denkmalsrat zum Nationaldenkmal proklamiert. Zunehmend kritische Betrachtung erfuhr das Monument ab Ende der 1980-er Jahre. Forscher mit antikolonialistischer Denkweise15 konstatierten ein Unverständnis, dass „den Mördern von Tausenden von Eingeborenen ein Denkmal gesetzt wurde“.16 Auch wurde der Umfang des Gedenkens an die Kolonialdeutschen kritisiert. So würde die Erinnerungskultur der Deutschnamibier als zu wichtig postuliert, „als es ihr geringer Anteil an der gesamten namibischen Bevölkerung rechtfertigen würde“.17

Mit der Unabhängigkeit Namibias 1990 bestand die Sorge eines Denkmalumsturzes. Dieser fand nicht statt, stattdessen wurde die Debatte um die Sinnhaftigkeit weitreichender und kontroverser. Im Jahre 2001 veröffentlichte die Regierung dann Pläne zur Errichtung des „Independence Memorial Museum“ am Standort des Reiterdenkmals. Damit verbunden wäre eine Umsetzung des (mittlerweile) sehr umstrittenen Monuments. Erstmals trat der deutsche Kulturrat auf den Plan und protestiert beim namibischen Denkmalsrat gegen die geplante Umsetzung. Im August 2009 wurde das Reiterdenkmal schließlich demontiert und 7 Monate später ein paar Meter weiter vor der „Alten Feste“18 wieder aufgestellt.

Während der Feierlichkeiten zum Heroes’ Day19 im August 2013 sprach sich Namibias Präsident Hifikepunye Pohamba für einen (endgültigen) Abbau des „Siegessymbols der Kolonialisten, dessen Anblick jeden Tag schmerze“ aus.20 Die offizielle Bestätigung lieferte Kulturminister Ekandjo im Oktober 2013. Nachdem die namibische Denkmalkommission am 20. Dezember per Anzeige in zwei Tageszeitungen verlautbaren ließ, dem Reiterdenkmal seinen Status als nationalem Denkmal aberkennen zu wollen, erfolgte am 25. Dezember desselben Jahres die Demontage. Bei der weiträumig abgesperrten Aktion wurde das Denkmal von seinem bisherigen Platz in den Innenhof der Alten Feste gehievt. In Folge der Aberkennung des Denkmalsstatus und der überraschenden Versetzung kam es in verschiedenen Medien (nicht nur deutschsprachigen) unmittelbar zu heftigen Diskussionen und Kontroversen. Enttäuschte Bürger warfen der Regierung autoritäres Staatsverständnis vor und beklagten die mangelnde Repräsentation des Geistes der Versöhnungspolitik.

An die Stelle des Reiterdenkmals vor der Alten Feste traten nun die Statuen eines Mannes und einer Frau, die die Unabhängigkeit begrüßen und an die Opfer des Kolonialkrieges erinnern.

2. 2 Namibia’s Status Quo

2. 2. 1 Die Kultur der Deutschnamibier

Die frühen Stunden der deutschen Gemeinschaft in „Südwest“ zeichneten sich vor allem durch eines aus: einem bemerkenswerten Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein Denkmal wie das des Südwestreiters in Windhoek kam da genau recht, denn es strahlte ein selbstbewusstes und starkes Wertgefühl aus, mit dem sich jeder Deutsche in diesem (noch) unbekannten und daher schwierigen Umfeld identifizieren konnte. Mit dieser Gruppenidentität unterschieden sie sich deutlich von den diversifizierten Strukturen (Vielzahl von unterschiedlichen, teilweise feindlichen Stämmen) der Afrikaner.

In der noch jungen Kolonie Deutsch-Südwestafrika wurde das „Deutschtum“ stolz gelebt indem man „treue Pflichterfüllung im Dienste deutschen Volkstums“21 betrieb. Mithilfe des idealisierten und glorifizierten Bildes der deutschen Stärke in der Kolonialzeit wuchs die (wenn auch kleine) Gemeinschaft der „Südwester“ und hatte bis zur Unterwerfung unter südafrikanisches Mandat zunächst keinen echten Veto-Spieler.

Erstaunlicherweise tat die geänderte politische Situation nach dem Ende des ersten Weltkriegs dem deutschen Selbstverständnis in Afrika keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Durch Rituale wie Versammlungen am Reiterdenkmal wurde der Zusammenhalt und der deutsche Nationalstolz bestärkt. Wie selbstverständlich zeigte man sich auch den südafrikanischen Obrigkeiten souverän und ließ Zweifel an der Macht in Südwestafrika nicht zu. Zu potentiellen Gegenspieler wie den Buren grenzt man sich mit Beginn der 1930er-Jahre mit dem Vorzeigen der Hakenkreuzfahne ab. Der Nationalsozialismus nutzte den „heldenhaften Schutztruppler“ als Propaganda, der „das rassistische und zivilisatorische Superioritätsdenken der Deutschen“22 treffend verkörperte.

Erst nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, als die Großmacht Deutschland die zweite bedeutende Niederlage einstecken musste, begannen Zweifel an der Existenz der „Deutschen“ in Namibia aufzukommen. Die fatale Begeisterung für den (besiegten) Nationalsozialismus wurde ihnen insofern zum Verhängnis, als dass zum ersten Mal politische Debatten im südafrikanischen Parlament über die Repatriierung der „Südwester“ geführt wurden. In Dankbarkeit für das Unterlassen dieser Maßnahme zogen sie sich gesellschaftlich radikal „ins geistige Reduit einer biedermeierlichen Farmidylle“23 zurück, mieden politische Kontroversen und akzeptierten die burische Apartheidspolitik. So wurden zwangsläufig tradierte Bilder deutscher Kultur ins zweite südwestafrikanische Glied gerückt, denn das zur Kolonialzeit glorifizierte Deutschtum hatte erheblichen Schaden erlitten.

Bis zur Unabhängigkeit 1990 hat sich die Rolle der Deutschnamibier in Südwestafrika lediglich theoretisch verändert - und zwar mit einem 1:1-Rollentausch. Aus der Position des Siegers (im Kolonialkrieg) wurde nun die des Besiegten (im Weltkrieg).

[...]


1 (weisse) Namibier mit deutschen Vorfahren im Land

2 Oukie ist ein gebräuchlicher Ausdruck für einen namibischen Jungen

3 umgerechnet ca. 8 Euro

4 Fanon, 33

5 Bezeichnung der deutschen Kolonialkrieger

6 nach: NAMIBIA Census Indicators, 2011

7 vgl. Melber 2013, 74

8 Indikator der Länder mit den größten Einkommensunterschieden

9 vgl: http://liportal.giz.de/namibia/wirtschaft-entwicklung/ (abgerufen am 25. 9. 2014) 8

10 Wortlaut der Inschrift

11 vgl. Zeller 2000, 112

12 Zeller 2000, 119

13 Ebenda.

14 Speitkamp, 173

15 vorwiegend deutsche Wissenschaftler

16 Mayr, 16

17 Patemann, 165

18 ehemalige Festung der deutschen Kolonialbesatzung

19 „Helden-Tag“. Feiertag an dem dem Beginn des bewaffneten Kampf gegen die Mandatsmacht Südafrika gedacht wird

20 Wortlaut Pohambas während seiner Rede

21 Zeller 2000, 193

22 Zeller 2000, 196

23 Rüdiger, 150

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Namibia. Erinnerungsarbeit in einer postkolonialen Gesellschaft
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Soziologie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
42
Katalognummer
V311111
ISBN (eBook)
9783668097391
ISBN (Buch)
9783668097407
Dateigröße
669 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
namibia, erinnerungsarbeit, gesellschaft
Arbeit zitieren
Claus Heinze (Autor:in), 2014, Namibia. Erinnerungsarbeit in einer postkolonialen Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311111

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