Magersucht im Kontext Schule. Früherkennung, Prävention und Umgang mit betroffenen Schülern und Schülerinnen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

22 Seiten, Note: 1,0

Markus Emerson (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Anorexia nervosa (Magersucht)
2.1 Begriffsklärung
2.2 Diagnostik und Symptomatik
2.3 Epidemiologie
2.4 Ätiologie
2.5 Therapie

3. Magersucht im schulischen Kontext
3.1 Prävention in der Schule
3.1.1 Fortbildung der LehrerInnen
3.1.2 Präventionsmodelle
3.2 Früherkennung und Umgang mit betroffenen Schülerinnen
3.3 Gefahren des Internets

4. Zusammenfassung

Literatur

Anhang

A Leitfäden und Broschüren für Lehrer

B Kurze Zusammenstellung von hilfreichen Internetadressen:

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit hat zum Ziel, eine Darstellung des Krankheitsbilds Magersucht im Kontext Schule vorzunehmen. Als angehender Psychologie- und Englischlehrer ist die Frage des Umgangs mit Essstörungen in der Schule eine sehr wichtige für mich. Aus Platzgründen wird sich diese Arbeit auf Magersucht (Anorexia nervosa) konzentrieren und andere Arten von Essstörungen, wie die Bulimia nervosa und Adipositas, nicht thematisieren.

Zudem lege ich den Fokus auf Magersucht bei Schülerinnen in weiterführenden Schulen, da die psychische Krankheit hauptsächlich bei jungen bzw. jugendlichen Mädchen im Zusammenhang mit der körperlichen Entwicklung der Pubertät auftritt. Der Erkrankungsgipfel bei Anorexia nervosa liegt zwischen 14 und 16 Jahren, was bedeutet, dass er genau in die Schulzeit in den weiterführenden Schulen fällt (vgl. Holtkamp & Herpertz-Dahlmann 2005; Hölling & Schlack 2007).

In der heutigen Zeit – geprägt durch unzählige Möglichkeiten der globalen Kommunikation durch das Internet und immer schlanker werdenden Supermodels – muss sich der Umgang mit der Krankheit ändern. Als Lehrer hat man Verpflichtungen gegenüber dem Wohlergehen der Schülerinnen, was auch bedeutet, dass Prävention für Essstörungen nicht nur das Informieren über Essgewohnheiten und Gesundheitsrisiken beinhalten sollte, sondern auch den kritischen Umgang mit Internetseiten zu diesem Thema schulen sollte.

Da Magersucht die „schwerste psychosomatische Erkrankung, die ein Mädchen oder eine Frau entwickeln kann“ (Vogelsang 30) ist und Essstörungen zu den „häufigsten chronischen Gesundheitsproblemen“ (Hölling & Schlack 2007) zählen, ist die Magersucht ein Problem, dem wohl jeder Lehrer und jede Lehrerin einmal begegnen wird.

Zu Beginn wird die Arbeit zuerst einen Überblick über die Erkrankung mit den wichtigsten Informationen zur Anorexia nervosa geben. Danach werden Möglichkeiten der schulischen Prävention und die Früherkennung und der Umgang mit betroffenen Schülerinnen im Fokus stehen.

2. Anorexia nervosa (Magersucht)

2.1 Begriffsklärung

Anorexia nervosa (Magersucht) ist eine Form der Essstörungen - neben Bulimia nervosa (Ess-Brechsucht) und Adipositas (Esssucht) - und bezeichnet einen „absichtlich herbeigeführten Gewichtsverlust, ein(en) Prozess der ‚Selbstaus-hungerung‘“ (vgl. Vandereycken & Meermann 200). Steinhausen schreibt hierzu, dass Magersucht von der Weigerung der Betroffenen gekennzeichnet ist, „das Körpergewicht über einem auf Alter und Körpergröße bezogenen minimalen Normgewicht zu halten“ (222).

In dem von der WHO herausgegebenen Klassifikationssystem ICD10, ist Anorexia nervosa (F50.0) unter den Psychischen und Verhaltensstörungen im genaueren unter Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren aufgelistet. Anorexia nervosa ist hier durch einen:

„absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen […] Die Krankheit ist mit einer spezifischen Psychopathologie verbunden, wobei die Angst vor einem dicken Körper und einer schlaffen Körperform als eine tiefverwurzelte überwertige Idee besteht und die Betroffenen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst festlegen. Es liegt meist Unterernährung unter-schiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt.“

2.2 Diagnostik und Symptomatik

Zur Diagnostik bietet die ICD10 zusätzlich folgende Kriterien an:

- Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten (entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) oder Quetelets-Index[1] von 17,5 oder weniger.
- Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:

a. Vermeidung von hochkalorischen Speisen und eine oder mehrere der folgenden Möglichkeiten:
b. Selbst induziertes Erbrechen
c. Selbst induziertes Abführen
d. Übertriebene körperliche Aktivitäten
e. Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika

- Körperschemastörung in Form einer spezifischen psychischen Störung: Die Angst, dick zu werden, besteht als eine tief verwurzelte überwertige Idee; die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle fest.
- Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt. (in Steinhausen 2006)
Das Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen DSM-IV-TR, das von der American Psychiatric Organization entwickelt wurde, weist auf vier Kriterien hin, die erfüllt sein müssen, um Magersucht zu diagnostizieren:

A Die Person hält ein Körpergewicht aufrecht, welches unter dem Minimum des für Alter und Größe normalen Körpergewichts liegt.
B Personen mit dieser Störung haben große Angst vor einer Gewichtszunahme oder vor dem Dickwerden.
C Das Erleben und die Bedeutung des Körpergewichts und der Figur sind bei diesen Personen gestört (Körperschemastörung).
D Bei postmenarchalen Frauen ist Amenorrhö ein Indikator der physiologischen Dysfunktion bei Anorexia nervosa.

Zudem wird im DSM-IV-TR Magersucht auch noch in zwei Subtypen unterteilt. Beim Restriktiven Typen findet der Gewichtsverlust in erster Linie durch Diäten, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung statt. Der „Binge Eating/Purging“-Typus wird verwendet, wenn die Betroffenen während der Episoden regelmäßig „Fressanfälle“ bekommen oder „Purging“-Verhalten (selbst-induziertes Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien, Diuretika oder Klistieren) aufweisen. Ich werde mich im Verlauf dieser Arbeit weitestgehend auf den restriktiven Typen beschränken und beziehe mich auch auf diesen, wenn ich von Magersucht spreche.

Zur Symptomatik ist zu sagen, dass es in der Anfangsphase der Magersucht meist langsam und einschleichend zu einem restriktiven Essverhalten kommt. In der Phase der Verfestigung (Medialphase) weisen die Betroffenen oft eine gestörte Körper- und Selbstwahrnehmung auf und haben bereits massiv Gewicht verloren. Im Laufe der Erkrankung können neben Amenorrhö auch somatische Symptome in der Form von „Hypothermie, Ödemen, Bradykardie, hypotonem Blutdruck und Lanugo-Behaarung“ auftreten (Steinhausen 223). In der Finalphase kommt es meist zu panischer Angst vor Gewichtszunahme, sozialer Isolation und Depression.

Betroffene Mädchen entwickeln zudem oft depressive Symptome und weisen oft psychiatrische Erkrankungen auf. Zur Komorbidität geben Holtkamp & Herpertz-Dahlmann folgende Prävalenzraten für psychiatrische Störungen bei Magersucht an:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.3 Epidemiologie

Holtkamp und Herpertz-Dahlmann schrieben 2005 im Deutsches Ärtzeblatt, dass die Inzidenz der Anorexia nervosa bei 15- bis 24-jährigen jungen Frauen über die letzten Jahrzehnte hin zugenommen hat. Die Therapeutische Rundschau gab 2006 eine Prävalenzrate von 0,7% bei Schülerinnen an. Wichtig für diese Arbeit ist, dass bestimmte Risikogruppen eine deutlich höhere Prävalenz aufweisen. Dazu zählen vor allem „Mädchen, die besonders mit dem Schlankheitsideal konfrontiert sind“ (51). Allgemein wird meist gesagt, dass Magersucht mit zehnfacher Häufigkeit bei Frauen auftritt (z.B. Rausch 22). Zuletzt ist zu sagen, dass Anorexia nervosa die „höchste Letalitätsrate unter allen psychischen Erkrankungen hat (Hölling & Schlack 794).

2.4 Ätiologie

Zur Entstehung von Magersucht wird meist ein multifaktorielles Bedingungsgefüge angenommen (vgl. Vogelsang 2007; Steinhausen 2006; Hölling & Schlack 2007). Faktoren, die die Magersucht begünstigen, liegen in biologischen, familiären, per-sönlichkeitsbedingten und soziokulturellen Bereichen. Zur besseren Anschaulichkeit des Zusammenwirkens soll das Ätiologiemodell von Steinhausen (2006) dienen:

Grafik 2

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zur Erläuterung von Grafik 2 möchte ich hier noch ein paar Erläuterungen geben:

Zu den biologischen bzw. genetischen Prädispositionen nehmen Holtkamp & Herpertz-Dahlmann die Vulnerabilität des serotoninergen Neurotransmitter-systems als genetisch bedingt an. Im Zusammenhang mit dem seretoninergen System stehen auch die typischen Persönlichkeitseigenschaften von anorektischen Patientinnen wie z.B. Beharrlichkeit und Perfektionismus (53). Buchholz geht von einer „spezifischen psychischen Disposition aus, die die Konflikte der Pubertät und Adoleszenz nur schwer bewältigen lässt“ (46). Frühe traumatische Erfahrungen (z.B. eine Misshandlung) können auch „im Sinne einer biologischen Narbe eine genetische Vulnerabilität verstärken“ (Holtkamp & Herpertz-Dahlmann 55).

Familiäre Faktoren (auch erziehungsbedingte) spielen auch eine wichtige Rolle. Wichtig ist hierbei die „wechselseitige Interaktion zwischen den kindlichen Eigenschaften und dem Erziehungsverhalten der Eltern“ (ebd. 53).

Von großer Bedeutung ist der Bezug zur Störung der Entwicklung von Autonomie und Identität (individuellen Faktoren). Vor allem Schülerinnen in weiterführenden Schulen sind durch den Beginn ihrer Pubertät und den damit verbundenen Entwicklungen wie Selbstständigkeit gefährdet. Laut Buchholz bildet die „Polarität Autonomie – Abhängigkeit“ einen schier unlösbaren Konflikt für manche Mädchen in der Frühadoleszenz (138). Aufgrund der Pubertät müssen die Mädchen ihr Körper-bild angesichts von Fettzunahme, Menstruation und Körpererleben reorganisieren. Hierzu kommen dann auch oft zusätzlich noch neue komplexe Rollenanforderungen.

In diesem Zustand sind Schülerinnen sehr anfällig für die gesellschaftlichen Schlankheitsideale, die durch die Medien verbreitet werden und haben oft Schwierigkeiten mit diesen umzugehen. Schülerinnen mit einem „niedrigen Selbstwertgefühl und rigiden Verhaltensweisen“ reagieren oft mit Anpassungsbereitschaft und „versuchen gesellschaftliche Normen im Sinne des Schlankheitsideals optimal zu erfüllen“ (ebd. 55).

Zur Magersucht als Identitäts- und Emanzipationskonflikt der Frau ist zum Beispiel in Lausus Buch Codierte Weiblichkeit (2007) nachzulesen.

Treten erst einmal solche psychische Konflikte auf, kommt es zu einem Teufelskreis, (vgl. Grafik 2). Die Magersucht kann dann als Lösungsversuch verstanden werden, um die Spannungszustände oder das „selbsteingeschätzte Gefühl von Ineffektivität regulieren zu wollen“ (Vogelsang 60). Laut Buchholz kann sich die Magersucht vordergründig als ideale Lösung anbieten (138). Unglücklicherweise, kann die Diät und Starvation der Magersucht zu einer „‘Entgleisung‘ des ohnehin vulnerablen serotoninergen Systems führen, und somit weitere Komplikationen (Körperschemastörungen, depressive und zwanghafte Symptomatik, körperlicher Hyperaktivität) nach sich ziehen“ (Holtkamp & Herpertz-Dahlmann 55). So wird dann das eigentliche „Problemlöseverfahren“ an sich zum Problem.

Wenn es erst einmal zur Manifestation der Magersucht gekommen ist, werden krankheitsunterhaltende Faktoren wirksam, die es den betroffenen immer schwerer machen der entstehenden Sucht zu entkommen. Die sekundären körperlichen und psychischen Veränderungen führen wiederum zu neuen psychischen Konflikten und Problemen.

2.5 Therapie

Aufgrund der multifaktoriellen Genese von Magersucht erfordert auch die Behandlung einen multidimensionalen Ansatz (Franke 48). Die Therapie von Magersucht als Essstörung stützt sich laut Holtkamp und Herpertz-Dahlmann (2005) auf folgende drei Säulen:

[...]


[1] Quetelets-Index: W/H² (W= Körpergewicht in kg; H = Körpergröße in m) Oft wird auch vom sogenannten Body Mass Index (BMI) gesprochen; siehe z.B. www.mybmi.de.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Magersucht im Kontext Schule. Früherkennung, Prävention und Umgang mit betroffenen Schülern und Schülerinnen
Hochschule
Technische Universität Dortmund  (Psychologie)
Veranstaltung
Vertiefung Psychologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V310551
ISBN (eBook)
9783668092488
ISBN (Buch)
9783668092495
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
anorexie, Magersucht, schule, schulisch, kontext, Früherkennung, Prävention, Umgang, psychologie, klinische psychologie, Umgang mit Magersucht
Arbeit zitieren
Markus Emerson (Autor:in), 2011, Magersucht im Kontext Schule. Früherkennung, Prävention und Umgang mit betroffenen Schülern und Schülerinnen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310551

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