Medien und Demokratie: Das Beispiel 'Hartz-Kommission'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

23 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Medien und Demokratie)
2.1 Mediendemokratie – was ist das?
2.2 Zum Verhältnis zwischen Medien und Demokratie
2.3 Gefahr für die Demokratie?)

3. Die Hartz-Kommission und ihre Vorschläge

4. Die mediale Berichterstattung über Hartz
4.1 Fallbeispiel Handelsblatt
4.2 Der Faktor Medien und die Umsetzung der Hartz-Vorschläge)
4.3 Andere Faktoren
4.4 Hartz gleich Rürup gleich...?

5. Fazit

6. Literatur

1.Einleitung

Nach dem Skandal um falsche Zahlen bei den Vermittlungsstatistiken der Bundesanstalt für Arbeit im Februar des Jahres 2002 und einer weiterhin schlechten Perspektive für den deutschen Arbeitsmarkt initiierte die Bundesregierung das, was der Allgemeinheit bis heute unter dem Namen „Hartz-Kommission“ in den Ohren nachklingt. Die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter Vorsitz des Volkswagen-Managers Dr. Peter Hartz sollte zwar ihrem ursprünglichen Auftrag nach lediglich die Bundesanstalt für Arbeit reformieren, legte jedoch mit ihrem Abschlussbericht weitreichende Vorschläge zur Reform der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in Deutschland vor[1].

Sowohl noch während des Wahlkampfes als auch nach der gewonnenen Wahl am 22. September 2002 wurden die Vorschläge der Kommission rasch umgesetzt.

In der hier vorgelegten Arbeit möchte ich das heutige Verhältnis von Medien und Demokratie beleuchten und untersuchen ob dieses für den zu konstatierenden Implementierungserfolg der Kommissionsvorschläge eine Rolle gespielt hat, sowie ob der Umgang der Medien mit der Hartz-Kommission als Modellprojekt für Politikimplementierung wiederholbar und auch auf andere Politikbereiche übertragbar ist. Die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Performanz der Hartz-Module ist explizit nicht Gegenstand dieser Arbeit. Im ersten Teil der Arbeit wird versucht anhand von Literatur ein allgemeines Bild des Verhältnisses von Medien und Demokratie zu zeichnen. Im zweiten Teil werden die hieraus gewonnenen und erarbeiteten Erkenntnisse mit Hilfe einer Presserecherche auf das konkrete Fallbeispiel „Hartz-Kommission“ übertragen und Rückschlüsse gezogen.

2. Medien und Demokratie

2.1 Mediendemokratie – was ist das?

Medien plus Politik gleich Mediendemokratie? Diese Gleichung greift zu kurz und ist unpräzise. Unter Mediendemokratie lässt sich vielmehr das „Regieren unter den Bedingungen medialer Allgegenwart“ verstehen, wie Barbara Pfetsch (1998) ihren Aufsatz in Ulrich Sarcinellis (1998) Band „Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft“ betitelt hat.

Die Massenmedien, an erster Stelle das Fernsehen, sind in der Mediendemokratie zu einem wesentlichen strategischen Faktor in der Kommunikation der Regierung geworden. Daraus ergibt sich, dass die (demokratische) Regierung ein Interesse daran hat, dass die eigenen Themen und Prioritäten mit denen der Medien und der Bevölkerung übereinstimmen. Des weiteren sollen natürlich solche Themen in den Medien betont werden, mit denen sich positive Eindrücke ihres Regierungshandelns verbinden[2].

Eine weiter gefasste Definition bietet Thomas Meyer (2002) in seinem Band „Media Democracy – How the Media Colonize Politics“ an. Zuerst ist anzumerken, dass der Begriff der Mediendemokratie in erster Linie ein deskriptiver ist, der ein neuartiges Politikphänomen beschreibt. Erst in zweiter Hinsicht kommt dann die normative Komponente hinzu, insofern, dass die Tendenz der Medien, einen der ureigensten Ansprüche der Demokratie, nämlich legitime Macht auszuüben zu unterminieren, durch den Begriff Mediendemokratie kritisiert wird. In der deskriptiven Variante beschränkt sich der Begriff Mediendemokratie darauf, deutlich zu machen, dass die Medien eine entscheidende Rolle im politischen Prozess spielen, vor allem in der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung sowie auch im Entscheidungsprozess über politische Sachfragen[3].

2.2 Zum Verhältnis zwischen Medien und Demokratie

Die Vorstellung, dass Medien und Demokratie als voneinander unabhängig operierende Teilsysteme, in denen die Demokratie für die Erzeugung gesamtgesellschaftlich verbindlicher Entscheidungen zuständig ist, wohingegen das Mediensystem das politische Handeln und seine Folgen aus kritischer Distanz beobachtet und einem breiteren Publikum im besten Falle ausgewogen, objektiv und sachlich vermittelt ist offenkundig weitgehend überholt[4]. Vielmehr ist es so: „Politik, selbst wo es ihr nicht wirklich um Partizipation zu tun ist, bleibt in der Demokratie auf kontinuierliche Öffentlichkeit angewiesen, denn ihre Legitimation erlangt sie allein durch die Zustimmung der Bürger zu dem, was sie von der Politik wahrnehmen können“[5].

Diese Wahrnehmung findet heutzutage beinahe ausschließlich über die Massenmedien statt. Infolgedessen versuchen die politischen Akteure in der Demokratie, eine gewisse Kontrolle über die mediale Berichterstattung zu erlangen. Die Medien aber beherrscht nur, wer sich ihnen unterwirft, und somit bleibt für die Politiker die Unterwerfung die Sicherung ihrer primären Lebensressource, durch Zustimmung erreichte Machtlegitimation[6]. Dieser Effekt der Unterwerfung oder auch der „Selbstmediatisierung“[7] geht so weit, dass dadurch teilweise sogar bestimmt wird, wann und wie lange sich die Politik Problemlagen zuwendet, oder sogar ob diese überhaupt thematisiert werden[8].

Dieser Prozess zeugt aber auch von veränderten gesellschaftlichen Bedingungen: Wir leben heute in einer Kommunikationsgesellschaft, die mit ihren strukturellen Merkmalen die Bedingungen des Verhältnisses zwischen Medien und Demokratie prägt. Diese Merkmale - Expansion des Medienangebotes, Kommerzialisierung öffentlicher Kommunikation, beschleunigtes Kommunikationstempo, Verschmelzung von Individual- und Massenkommunikation verschieben die Gewichte im Verhältnis Demokratie und Medien[9] und haben zur Folge, dass die Medien auch zunehmend Potential entwickeln, als eigenständiger Akteur im politischen Prozess zu agieren[10].

Folgt man Thomas Meyer[11], so gibt es zentrale und im Prinzip auch unvermeidliche Spannungsfelder zwischen politischer und medialer Logik, die auf Grund der heute dominierenden Art ihrer Handhabung in Politik und Medienwelt den Prozess der Veränderung, weg von einer Parteiendemokratie, hin zu einer Mediendemokratie, befördern. Zum einen handelt es sich um eine erhebliche Inkongruenz zwischen der politischen Prozesslogik und der medialen Selektions- und Darstellungslogik. Konkret: Während politische Ereignisse oft komplex sind und aus einem offenen und vielschichtigen Wechselverhältnis vieler Faktoren, wie Interessen, Akteure, Legitimation etc., bestehen, liegt der medialen Repräsentation dieser Ereignisse ein Prozess der Auswahl nach medialen Aufmerksamkeitskriterien, wie Personalisierung, Überraschungswert etc., sowie die Inszenierung dieses Materials unter dem Aspekt der Aufmerksamkeitsmaximierung zugrunde. Zwar ist es den Medien prinzipiell möglich eine Synthese aus beiden unterschiedlichen Logiken herzustellen, das bedeutet, auch in der mediengerechten Präsentation die Sache selbst angemessen zur Sprache zu bringen, jedoch bleibt es schwierig und ist aus dem genannten Gesichtspunkt der Aufmerksamkeitsmaximierung nicht unbedingt erstrebenswert[12].

Das zweite Spannungsfeld zwischen politischer Logik und Medienlogik, das sich als Motor der für die genannte Transformation von Parteien- zur Mediendemokratie erweist, ist der zentrale Widerspruch zwischen politischer Prozesszeit und medialer Produktionszeit. Die technischen Möglichkeiten und die speziellen Eigenarten der Produkte des Mediensystems sind mit den eigenwilligen Zeitmaßen des politischen Prozesses unverträglich.

Denn eine lange Zeitdauer ist dem Politischen in der Demokratie durchaus angemessen – es geht ja nicht nur um technische Entscheidungsfindung sondern ebenso um Vorgänge der Artikulation, Vermittlung, Verständigung und der Integration – eben das, was vielleicht die eigentliche Stärke der Demokratie bedeutet[13].

Die Massenmedien hingegen haben und kennen keine Zeit. Mediale Aufmerksamkeit können Ereignisse nur dann erringen, wenn sie als abgeschlossene, mit erkennbarem Anfang und Ende und dennoch zugleich mit aktuellem Bezug ausgestatte events in Erscheinung treten. Diese kompromisslose und kurzatmige Präsentierwut, Folge der medialen Produktionszeit und die lange politische Prozesszeit können sich per se nicht gut vertragen[14].

Oft ist auch von der sogenannten „Amerikanisierung“[15] der politischen Kommunikation die Rede, die mit dem Begriff der Mediendemokratie verbunden wird. Auch dieser Begriff bezieht sich darauf, dass sich die gesamte politische Kommunikation eines Landes dem „Diktat der öffentlichkeitswirksamen Selektions- und Aufmerksamkeitsregeln der Massenmedien unterwirft.“[16] Im System der USA lässt sich dies damit begründen, dass die Massenmedien dort inzwischen viele Funktionen der politischen Parteien wahrnehmen und dadurch nicht mehr die Rolle des externen Berichterstatters haben, sondern ins Zentrum des politischen Systems gerückt sind. Das Verhalten der Regierung und der politischen Akteure sei somit zu einer permanenten strategischen Anpassungsleistung an die Medien geworden, denn inzwischen gilt es als ausgemacht, dass in Amerika auch die Politik zwischen den Wahlen als permanente Kampagne zu begreifen sei.[17] Die aktuelle Reise von George W. Bush auf den afrikanischen Kontinent scheint diese These durchaus zu stützen. Ob es in Deutschland zu einer solchen „Amerikanisierung“ kommt, hängt sicherlich entscheidend davon ab, ob die mediale Logik gegenüber der politischen Logik weiterhin an Gewicht zunimmt. Wichtig wird hierbei auch sein, ob sich die institutionellen Strukturen der politischen Kommunikation auf der Seite des politischen Systems verändern. In den USA hat die Delegation von politischen Funktionen an die Medien diesem Prozess einen starken Schub verliehen und die bereits strukturell angelegte Medienorientierung der politischen Kommunikation verstärkt. Im Hinblick darauf ist auch für Deutschland davon auszugehen, dass die Amerikanisierungstendenzen in der politischen Kommunikation in solchem Maße zunehmen, in dem die politischen Parteien ihre Funktionen an die Medienöffentlichkeit abgeben.[18]

2.3 Gefahr für die Demokratie?

Bedeuten diese Entwicklungen nun eine Gefahr für die Demokratie, unsere beste unter den schlechten Staatsformen? Zuerst muss festgestellt werden, dass es Politik ohne Kommunikation nicht geben kann. „Diese Erkenntnis ist so alt wie die Politik selbst. Denn entgegen anders lautenden Meinungen steht fest, dass die emotionalisierte und vereinfachte Darstellung von Politik kein originäres Produkt der heutigen Mediengesellschaft ist. Parteien sind grundsätzlich auf Zustimmung und Legitimation durch die Wähler/Bürger angewiesen und müssen sich und ihre Positionen in der Öffentlichkeit präsentieren und rechtfertigen. Folglich spielte und spielt Politik immer auf zwei Bühnen: auf der Bühne der Herstellung von Politik (Sachebene) und auf der Bühne der Darstellung von Politik (Kommunikation)“[19]. Somit ist die Vorstellung, es gäbe eine Politik pur, ohne Vermittlung, Darstellung und auch ohne Wahlkampf eine Art politische Lebenslüge und eher ein Relikt obrigkeitsstaatlichen Denkens. Medienorientierung und medienöffentliche Politikpräsentation sind aus diesem Grund konstitutiv für den demokratischen Prozess[20]. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass tatsächliches inhaltliches Handeln und Entscheiden der politischen Akteure immer seltener der Auslöser für Berichterstattung in den Medien ist. Hier haben die erwähnten Orientierungen der Medien auf Konflikte und Personen sowie die Möglichkeiten der Visualisierung ebenfalls einen wesentlichen Einfluss, ob überhaupt berichtet wird[21]. Der unumgehbare mediale Inszenierungsdruck verändert den sichtbaren Teil der Politik nachhaltig. Entscheidungen werden nur noch gefasst, wenn sie in der Öffentlichkeit durchsetzbar erscheinen. Aus demokratietheoretischer Sicht ist eine gewisse populistische Grundtendenz prinzipiell kein Problem, da sich Politik auch zu einem gewissen Teil dem Massengeschmack entsprechend präsentieren muss. „Eine Demokratie mit kulturellen Zulassungsbedingungen des Publikums bei Politikdarstellung und Wahlen wäre eine elitäre Klub-Demokratie, also keine.“[22]. Ein Problem entsteht daraus erst dann, wenn Politik von vorneherein nur noch darauf achtet, was bei der Bevölkerung momentan am populärsten ist und ihren eigenen Gestaltungsanspruch zur Ausarbeitung politischer Programme gänzlich aufgibt. Zwar kann es sein, dass einzelne polische Akteure, die über ein hohes Maß an medialen Machtressourcen verfügen zu einem gewissen Maß auch über das Programm und die Politiken der eigenen Partei bestimmen können. „An die Stelle der demokratischen Legitimation durch Verfahren und der öffentlichen Diskursive kollektiver Willensbildung in den Parteien, in der Zivilgesellschaft und in der Öffentlichkeit tritt in beträchtlichem Ausmaß die persönliche Verfügung über Mediencharisma, das durch professionalisierte Inszenierungskunst akkumuliert und strategisch eingesetzt werden kann.“[23] Dies wird allerdings dadurch wieder eingeschränkt, dass Parteien unglaubwürdig werden würden, wenn sie ihren „Markenkern“, das heißt die Inhalte, für die sie im Bewusstsein der Bürger aufgrund ihrer Darstellung, ihres Images und ihrer Politik der Vergangenheit stehen, zu schnell und zu radikal änderten.

[...]


[1] Vgl. Gerntke et al., 2002.

[2] Pfetsch, 1998: 240/241.

[3] Meyer, 2002a: XV.

[4] Meyer, 2001a: 75.

[5] Meyer, 2001a: 85.

[6] Meyer, 2001a: 85.

[7] Vgl. Meyer, 2001a.

[8] Meyer, 2001a: 93.

[9] Pfetsch 1998: 243/244.

[10] Pfetsch, 1998: 248.

[11] Meyer, 2002b.

[12] Meyer, 2002b: 3.

[13] Meyer, 2002b: 4.

[14] Meyer, 2002b: 7.

[15] Vgl. Pfetsch, 2001.

[16] Pfetsch, 2001: 2.

[17] Ebd.

[18] Pfetsch, 2001: 12.

[19] Karpinsiki/Uthmann, 2002: 232.

[20] Geisler/Sarcinelli, 2002: 62.

[21] Kaase, 1998: 87.

[22] Meyer, 2001a: 86.

[23] Meyer, 2001a: 98.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Medien und Demokratie: Das Beispiel 'Hartz-Kommission'
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
HS: Medien und Infotainment: ad-hocisierung der Politik
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
23
Katalognummer
V31045
ISBN (eBook)
9783638321600
Dateigröße
543 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medien, Demokratie, Beispiel, Hartz-Kommission, Medien, Infotainment, Politik
Arbeit zitieren
Philip Kusch (Autor:in), 2003, Medien und Demokratie: Das Beispiel 'Hartz-Kommission', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31045

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