Die Muslimbruderschaft und Al-Qaida. Wesen, Ideologie und Wirken im Vergleich


Hausarbeit, 2015

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gründung der Muslimbruderschaft
2.1. Ideologie und zeitgenössischer politischer Kontext
2.2. Organisierung der Muslimbruderschaft

3. Anfänge der Al-Qaida
3.1. Finanzierung der Al-Qaida
3.2. Organisierung der Al-Qaida

4. Problematik des Vergleichs Muslimbruderschaft und Al-Qaida

5. Resümee

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Seit den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und in dem Irak, in deren Zentrum vor allem die islamistische Gruppierung Al-Qaida mit ihren Ablegern bzw. Verbündeten Islamischer Staat und Al-Nusra-Front steht, ist der militante Islamismus wieder deutlich spürbar in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit gerückt. Doch auch die Todesurteile in Ägypten, welche in der Folge des Militärputsches 2013 gegen zahlreiche führende Mitglieder der Muslimbruderschaft ausgesprochen wurden, verschaffen den inzwischen weit verbreiteten Eindruck, dass der politische Islam zum Scheitern verurteilt sei und scheinbar dieselben Ziele verfolge wie der militante Islamismus.

Der einzige Unterschied zwischen der Muslimbruderschaft und der Al-Qaida bestünde demnach lediglich darin, dass erstere ihr Vorhaben durch politische Institutionen und Wahlen durchsetzen zu versucht, wohingegen die Al-Qaida ihre Ziele mittels Waffengewalt und Terror verfolge. Beiden Gruppierungen liege jedoch ursprünglich die identische Ideologie zu Grunde. Dieser Vorwurf ist so weitreichend, dass sogar der 1966 in Ägypten durch das Nasser-Regime exekutierte Theoretiker der Muslimbruderschaft Sayyid Qutb für die Anschläge am 11. September 2001 verantwortlich gemacht wird, da er mit seinen Ideen den Grundstein für sämtliche islamistische Bewegungen gelegt habe und demnach einen „intellectual godfather“ für die Al-Qaida darstelle.[1]

Doch kann man wirklich ohne weiteres eine solche Pauschalisierung und homogene Darstellung der islamistischen Bewegungen vornehmen? Oder gilt es, noch andere bedeutsame Aspekte und periphere Faktoren ins Auge zu fassen, welche die jeweiligen Bewegungen auszeichnen und uns eventuell verpflichten, sie als divergente bzw. alternative Phänomene zu betrachten?

Um den aufgeworfenen Fragen nachzugehen, werden zu Beginn der Proseminararbeit die beiden Bewegungen Muslimbruderschaft und Al-Qaida in ihrem jeweiligen Wesen kurz und summarisch vorgestellt.

Anschließend sollen sie hinsichtlich ihrer Ideologie sowie ihrem Wirken untersucht und miteinander verglichen werden. Die daraus gewonnenen Resultate werden im Schlussteil bewertet, für die aktuelle Politiklandschaft im Nahen Osten kontextualisiert und vorsichtig zu einem Resümee zusammengefasst.

2. Gründung der Muslimbruderschaft

Die Muslimbruderschaft wurde im Jahre 1928 von Hasan al-Banna in Ismailia gegründet. Al-Banna wurde bereits in seiner Kindheit durch seinen Vater, der als Prediger in Mahmudiya aktiv war, religiös geprägt und mit den islamischen Glaubenssätzen vertraut gemacht.[2] Er entschied sich jedoch bald, den Bestrebungen seines Vaters zum Trotz, gegen eine religiöse Ausbildung als Hafiz und wurde stattdessen Lehrer. Darüber hinaus zeigte sich schon früh seine Affinität zu sufistischen Bewegungen, weshalb er bereits im Alter von 13 Jahren dem Orden der Hasafiya beitrat, welche „strove to reform public morality and combat the influence that Christian missionaries attained by assisting orphans.“[3]

Doch neben dieser religiösen Dimension wurde al-Banna auch durch sein nationalistisches Umfeld entscheidend geprägt. So war er aktives Mitglied der nationalistischen Bewegung Young Men’s Muslim Association, die gegen den Kolonialismus gerichtet war und ihm eine Plattform für seine ersten politischen Vorträge während verschiedener Veranstaltungen bot, wodurch er wichtige Erfahrungen als Redner gewinnen konnte. Als ihm jedoch die zunehmend enger werdende Verbindung der YMMA zur Nationalpartei zuwiderlief und die ideelle Ausbildung ihrer Mitglieder zu ungenügend erschien, gründete er seine eigene Organisation, die auf einer breiteren gesellschaftlichen Basis stehen und die moralische Erneuerung sowie politische Unabhängigkeit zum Ziel haben sollte.[4]

2.1. Ideologie und zeitgenössischer politischer Kontext

Die Gründung der Muslimbruderschaft im Jahre 1928 wird oft als Reaktion auf die ägyptische Krise in den 1920er Jahren sowie die Abschaffung des Kalifats im März 1924 durch die türkische Regierung unter der Führung des säkularen Staatspräsidenten Mustafa Kemal Atatürk, wodurch eine religiöse Führungskrise in der islamischen Welt ausgelöst wurde, interpretiert.[5] Al-Banna vertrat offenkundig einen Reformislam im Sinne von Dschamal ad-Din al-Afghani und Muhammad Abduh, die beide der Auffassung waren, dass sich die gegenwärtigen Muslime erheblich von ihrer wahren Religion entfernt hätten und als Folge dieses Defizits ständig Niederlagen gegenüber dem Westen hinnehmen müssten. Sie waren der Ansicht, dass man durchaus alle technischen und wissenschaftlichen Fortschritte des Westens akzeptieren und auch selbst vollziehen sollte, um der islamischen Welt erneut zur Konkurrenzfähigkeit verhelfen zu können. Allerdings seien westliche Werte und der dazugehörige Lebensstil dennoch strikt abzulehnen, da sie der eigenen Religion widersprechen und der Islam bereits das Ideal einer Gesellschaftsordnung darstelle, welche gemäß al-Bannas Doktrin auf „dogma and worship, fatherland and nationality, religion and state, spirituality and action, Kur’an and sword“[6] basieren müsse.

Für die politische Ausrichtung der Muslimbruderschaft war darüber hinaus die religiöse Einheit aller ägyptischen Muslime von besonders hoher Bedeutung, da man mit der neuen, vereinenden Bewegung noch besser und effektiver gegen den enormen Einfluss der Briten auf den König sowie deren Herrschaft über den Suezkanal vorgehen konnte.

2.2. Organisierung der Muslimbruderschaft

Hasan al-Banna nahm die Organisierung der Muslimbruderschaft weitestgehend in die eigene Hand und entsandte zusätzlich sogenannte du’ah, die wie Missionare fungierten und die Ägypter auf die eigene islamische Ideologie einschwören sollten. Al-Banna selbst verbreitete seine politische Ideologie auf eine völlig neue Art und missionierte hierzu in bekannten Cafés und Moscheen, wo meist große Menschenmengen anwesend waren und folglich viele Personen von seinen Propagandareden beeinflusst werden konnten. Er war kein Angehöriger der Ulema, welche die geistige Oberschicht der ägyptischen Gesellschaft bildete, weshalb er diese neue Taktik anwenden musste, was unter anderem bei der jungen Bevölkerungsgruppe außerordentlich gut ankam.[7] Doch auch seine charismatische Führungsperson und sein Talent als Redner und Prediger sowie der verpflichtende Gehorsamseid auf ihn (Baya) waren wichtige Faktoren, die ihm den Weg zum Erfolg ebneten. Interne Konkurrenz, welche zu Beginn der 1930er Jahre sukzessive auftauchte, ließ er bereits im Keim ersticken und stärkte die ideologische Dimension seiner Bewegung durch zahlreiche selbstverfasste Schriften.[8]

Gemäß al-Bannas Verständnis des Islam als ganze und allumfassende Ordnung erstellte die Muslimbruderschaft von Beginn an Programme für soziale, ökonomische und religiöse Reformen Ägyptens, wodurch die Bewegung sehr vielseitig agieren konnte. Ein solcher angewandter bzw. praktizierter Islam brachte die zusehends für die Bevölkerung an Bedeutung verlierende traditionelle religiöse Ausbildung mit den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen in Einklang, welche der sukzessiv urbanisierten Bevölkerung der ägyptischen Unter- und Mittelschicht gegenüberstanden.[9] Es wurden zahlreiche neue Mitglieder auf professioneller Basis ausgebildet und die strukturelle Organisation an allen Standorten vereinheitlicht, wobei man sich stark an dem Modell bereits existierender islamischer Gesellschaften wie der alteingesessenen Sufi-Orden oder geistlichen Stiftungen orientierte, was unter anderem einen rigiden Führungsstil und strenge Disziplin innerhalb der Organisation mit sich brachte. So waren die Mitglieder der Muslimbruderschaft dringend dazu verpflichtet, sämtliche Prinzipien der Organisation zu anerkennen sowie auswendig zu lernen und an den regelmäßigen Aktivitäten unter rigider Anwesenheitskontrolle teilzunehmen.[10]

Im Gegenzug dafür wurde ihnen gesellschaftlicher Aufstieg bei entsprechender Leistung ermöglicht, was unabhängig von der jeweiligen sozialen Herkunft oder dem ursprünglichen Bildungsstand des Mitgliedes praktiziert wurde.[11]

Die Muslimbruderschaft erlebte dank dieser modernen aber gleichzeitig auch rigiden Methoden al-Bannas einen explosionsartigen großen Zulauf:

The transformation of the Society of the Muslim Brothers into a mass movement was not an accidental development which took place within an ordinary Islamic welfare society. It was linked to al-Banna’s visions and priorities which were visible at the very onset of the movement in the late 1920s, and which shaped a new movement inspired by modern principles of education, organization and ideology, while at the same time keeping well inside the existing traditions and religious culture, thereby bridging the gap between tradition and modernity in the rapidly changing Egyptian society.[12]

Die Zahl der aktiven Mitglieder der Organisation stieg von anfangs 1000 im Jahre 1932 auf über 200‘000 Mitte der 1940er Jahre an.[13]

Dieser Aufschwung hängt mitunter damit zusammen, dass al-Banna aufgrund seiner Lehrtätigkeit nach Kairo versetzt wurde, weshalb der Hauptsitz der Muslimbruderschaft ebenfalls in die ägyptische Hauptstadt verlegt werden musste und die Bewegung dadurch ungemein populärer wurde.

Die ersten Streitigkeiten der Mitglieder um das finanzielle Budget der Muslimbruderschaft konnte al-Banna als charismatischer Führer sowie Gründer der Bewegung erfolgreich beseitigen und seine Position nachhaltig stärken, wodurch er die Organisation bis zu seiner Hinrichtung im Jahre 1949 weitgehend uneingeschränkt und autoritär führte.[14]

3. Anfänge der Al-Qaida

Die Gründung der dschihadistischen Kämpfergruppe Al-Qaida ist - im Gegensatz zur Muslimbruderschaft - in einem völlig unterschiedlichen Kontext zu betrachten.

Die Al-Qaida war seit ihren Anfängen im afghanischen Widerstand gegen die Sowjetunion in den 1980er Jahren nie an einen bestimmten Standort gekoppelt und ist daher als eine Art loses Netzwerk zu verstehen, das internationale Ableger besitzt und somit weltweit agieren kann, was gerade die überwältigende Schlagkraft und enorme Resistenz der Organisation gegen Repressalien ausmacht.

Dieser Umstand wurde in dem afghanisch-sowjetischen Krieg, welcher von 1979 bis 1989 andauerte und über 1,5 Millionen Tote forderte, besonders deutlich, als Osama bin Laden und seine späteren Weggefährten sich in einem klassischen Guerillakrieg gemeinsam am bewaffneten Dschihad gegen die russischen Invasoren beteiligten.[15]

Ziel der selbsternannten Mudschaheddin war der vollständige Rückzug der sowjetischen Besatzungsmacht durch den bewaffneten Dschihad und die Errichtung einer islamischen Gesellschafts- und Staatsordnung in Afghanistan.[16]

3.1. Finanzierung der Al-Qaida

Der Guerillakrieg wurde vor allem durch externe Quellen umfangreich finanziert und unterstützt, weshalb in diesem Falle auch teilweise von einem Stellvertreterkrieg die Rede sein kann, da im Zuge dessen diverse staatliche Akteure - vornehmlich aus dem Nahen Osten - ihre damaligen außenpolitischen Interessen in dem Konflikt zu verfolgen versuchten.

Auslöser dafür war hauptsächlich der Kalte Krieg zwischen den Verbündeten der USA und der Sowjetunion, die beide gleichermaßen großes geostrategisches Interesse an Afghanistan zeigten und hierbei unweigerlich in einen kriegerischen Konflikt traten, da das Gebiet seit der Antike essentiell für den Zugang zum indischen Subkontinenten ist.

So half der pakistanische Militärgeheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISID), welcher zu den mächtigsten und am besten ausgestatteten Nachrichtendiensten der islamischen Welt gehört, in Zusammenarbeit mit dem saudi-arabischen Staat den Mudschaheddin in Afghanistan.[17]

Ihr Beitrag bestand unter anderem darin, mit Hilfe der US-amerikanischen Geheimdienste Waffen an die Kriegsfront zu liefern und über 83000 afghanische Mudschaheddin in pakistanischen Städten innerhalb einer Zeitspanne von 1983 bis 1997 auszubilden und nach Afghanistan zu entsenden.[18]

Gleichzeitig förderten jedoch auch die Vereinigten Staaten von Amerika den afghanischen Guerillakrieg gegen die Sowjetunion mittels finanzieller und militärischer Unterstützung - zumeist weitergeleitet durch den pakistanischen Geheimdienst - in Höhe von mehreren Milliarden Dollar, was offiziell aus dem 9/11 Commission Report des parteiübergreifenden Ausschusses des US-Kongresses National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States zur Klärung der terroristischen Attentate vom 11. September 2001 hervorgeht:

„... the United States supplied billions of dollars worth of secret assistance to rebel groups in Afghanistan fighting the Soviet occupation.“[19]

[...]


[1] Zimmerman 2010, S. 222.

[2] Vgl. Murtaza 2005, S. 45.

[3] Vgl. Aboul-Enein 2010, S. 232.

[4] Vgl. Wolff 2008, S. 36.

[5] Vgl. Flores 2003, S. 174-176.

[6] Vgl. Delanoue, G. (1986): „AL-IKHWAN AL-MUSLIMUN“. In EI, S. 1069.

[7] Vgl. Lia 2006, S. 27.

[8] Hasche 2015, S. 239.

[9] Vgl. ebd.

[10] Vgl. Lia 2006, S. 37.

[11] Vgl. Mitchell 1993, S.19.

[12] Lia 2006, S. 60.

[13] Vgl. Bieler 1992, S. 206-209.

[14] Vgl. Wolff 2008, S. 37.

[15] Vgl. Thamm 2008, S. 26-28.

[16] Vgl. ebd.

[17] Vgl. Wichmann 2014, S. 182.

[18] Vgl. Ludra 1999, S. 9.

[19] 9/11 Commission Report, S. 56.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Muslimbruderschaft und Al-Qaida. Wesen, Ideologie und Wirken im Vergleich
Hochschule
Universität Basel  (Nahoststudien)
Veranstaltung
Ideengeschichte des politischen Islams
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
13
Katalognummer
V310155
ISBN (eBook)
9783668085558
ISBN (Buch)
9783668085565
Dateigröße
632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Muslimbruderschaft, Muslimbrüder, Ägypten, Al-Qaida, Osama bin Laden, Afghanistan, Krieg, Terrorismus, Islamismus, Islam, Politik, Naher Osten, Politischer Islam, Militärputsch, Sayyid Qutb, Hasan al-Banna, Mudschaheddin, Pakistan, USA, CIA, 9/11, 11. September, Terroranschlag
Arbeit zitieren
Ugur Koc (Autor:in), 2015, Die Muslimbruderschaft und Al-Qaida. Wesen, Ideologie und Wirken im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310155

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