Das Adverb im Französischen. Die sprachlichen Chamäleons 'oui', 'non' und 'si'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

28 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Oui, non und si – Partikel, Adverb oder eine andere Wortart?

2 Definition nach dem Petit Robert
2.1 oui (vgl. Robert 2011: 1770)
2.2 non (vgl. Robert 2011: 1700)
2.3 Si (vgl. Robert 2011: 2367)

3 Funktion nach französischen Grammatiken
3.1 Grammaire Larousse du français contemporain
3.2 La grammaire du français
3.3 Grammaire méthodique du français
3.4 Le bon usage

4 Standardkonzeption des Systems oui-non-si
4.1 Ausnahmen
4.1.1 Oui statt si
4.1.2 Si statt oui
4.1.3 Oui statt non
4.1.4 Non statt oui
4.1.5 Si statt non
4.1.6 Non statt si
4.1.7 Oui, non und si als Frage
4.1.8 Oui und non am Ende eines Satzes

5 Analyse einer Unterhaltung (vgl. Eschmann 1984: 43-57)

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Aufgrund des Urheberrechts wurde der im Anhang enthaltene Originaltext aus „Texte aus dem „français parlé““ von Eschmann entfernt

1 Oui, non und si – Partikel, Adverb oder eine andere Wortart?

Es sind kurze, einsilbige Wörter, denen wir zwar im Alltag keine Aufmerksamkeit schenken und die trotzdem so viel Bedeutung für unsere Kommunikation haben. Ja, nein und doch – zu Französisch oui, non und si – sind für die jeweilige Sprache wichtige Marker der Zustimmung, der Ablehnung oder des Widerspruchs. Sie werden fast schon inflationär im Gespräch oder auch in der Literatur gebraucht und tragen je nach Zusammenhang ihre spezifische Bedeutung. Wie ein Chamäleon passen sie sich ihrer Umgebung an. Diese Kontextabhängigkeit ist für die Sprachwissenschaft von enormer Relevanz, denn sie hat zur Folge, dass oui, non und si keine eigene Semantik haben, sondern es sich um Wörter handelt, „[…]die – um ihre Textbedeutung zu gewinnen – von einem kontextuell und situationell gegebenen Referenzelement abhängig sind“ (Wunderli 1976: 194). Doch zunächst muss die Frage gestellt werden, um was für eine Wortkategorie es sich handelt. Oui, non und si sind sogenannte Antwortpartikel, die ihren Ursprung in der Antike haben. So entstand das heutige si aus dem lateinischen sic, was so viel bedeutet wie „So ist es!“. Das zeitgenössische oui entwickelte sich aus der Äußerung hoc ille, welche übersetzt etwa „Das tut er.“ heißt. Non hat sich keiner Veränderung unterzogen und existierte bereits in dieser Form im Lateinischen. Wenn eine Sprache Antwortpartikel aufweist, ist es immer möglich, sie als Reaktion auf Entscheidungsfragen zu verwenden. Ob sie darüber hinaus auch nach Imperativen oder Assertionssätzen benutzt werden können, ist einzelsprachabhängig (vgl. Weydt 2001: 791). Diese Problematik wird in Bezug auf oui, non und si im Laufe dieser Schrift noch untersucht werden.

Schlägt man hingegen diese drei Wörter in gängigen französischen Wörterbüchern nach, so findet man in ihrer Begriffsbestimmung die Wortart Adverb wieder. Laut Grevisse und Goosse definiert sich diese Wortklasse wie folgt: „L’adverbe est un mot invariable, qui est apte à servir de complément à un verbe, à un adjectif, à un autre adverbe“ (152011 :1231). Was die Unveränderlichkeit der Form angeht, so erfüllen oui, non und si dieses Kriterium. Doch dienen sie auch als Ergänzung zu einem Verb, einem Adjektiv beziehungsweise einem anderen Adverb? Oder erfüllen sie eine andere Funktion im Sprachgebrauch? Im Verlauf dieser Arbeit soll auch dieses linguistische Problem und die Frage nach der Definition und Aufgabe von oui, non und si näher betrachtet werden.

Zu guter Letzt sollen einige Begriffe im Voraus geklärt sein. Werden Wendungen wie positiv beziehungsweise negativ formulierte Frage verwendet, so ist damit eine Antwort fordernde Äußerung gemeint, die entweder ohne oder mit einer Verneinungsform, wie beispielsweise dem französischen Negationsadverb ne…pas, gestellt ist. Ist von einer positiven oder negativen Orientierung bei einer sogenannten „question orientée“ (Kerbat-Orecchioni 2001: 109) die Rede, so handelt es sich hierbei um die Tatsache, dass die Struktur der Äußerung die folgende Antwort beeinflusst. Eine positive Orientierung fordert ebenfalls eine zustimmende, eine negative Orientierung eine verneinende oder ablehnende Erwiderung, was aber nicht bedeutet, dass diese auch gegeben werden muss.

2 Definition nach dem Petit Robert

2.1 oui (vgl. Robert 2011: 1770)

Oui wird laut dem Petit Robert, dem gängigsten einsprachigen, französischen Wörterbuch, als „adverbe d’affirmation“ (Robert 2011:1770) definiert. Es wird angemerkt, dass bei dieser Partikel weder eine Elision, also das Weglassen eines oder mehrerer meist unbetonter Laute, noch eine Liaison, d.h. das Aussprechen eines sonst stummen Konsonanten am Wortende vor einem Vokal, mit dem vorausgehenden Wort stattfindet.

Je crois que oui.kƏwi]

un oui franc [œ̃wi]

Des Weiteren ist das Adverb oui mit einem affirmativen Inhalt eines Satzes gleichzusetzen, der auf eine positiv formulierte Frage reagiert. Somit kann es als bestätigende Antwort aufgefasst werden.

Vous venez avec moi? – Oui. Oui, Monsieur.

Eine Wiederholung des Adverbs kann zur Verdeutlichung dienen, aber je nach Kontext auch Besorgnis oder Zweifel ausdrücken. Zudem kann oui durch zusätzliche adverbiale Wendungen oder Ausrufe verstärkt werden. Mais oui, certes oui, ça oui, eh bien oui etc. sind hierfür nur einige Beispiele. Eine weitere syntaktische Facette dieses Modalworts befähigt es dazu, nicht nur als Antwort, sondern auch als Frage selbst aufzutreten.

Oui ou merde?

Außerdem kann es eine direkte Ergänzung zu einem Verb bilden.

II dit toujours oui.

In Hypotaxen stellt es den untergeordneten, in Parataxen jedoch einen koordinierten SatzteII dar.

II semblerait que oui.

Sont-IIs venus? – Lui, non, mais elle, oui

Auch die elliptische Verwendungsweise tritt des Öfteren bei diesem linguistischen Phänomen auf. Vor allem findet man sie in Slogans oder Werbekampagnen wieder.

Oui à la campagne, non aux autoroutes!

Zu guter Letzt ist auch eine Substantivierung dieses Adverbs möglich. So kommt der Wortartenwechsel beispielsweise im politischen Kontext sehr häufig vor.

les mIIIions de oui du référendum

2.2 non (vgl. Robert 2011: 1700)

Non ist laut Robert ein „adverbe de négation“ (2011:1700). Im Vergleich zu oui stellt es eine verneinende oder ablehnende Antwort dar.

Je dois bien t’ennuyer, Spark? – Non: Pourquoi cela ? (Musset)

Präziser kann non als Antwort auf eine negativ formulierte Frage in Opposition zu si stehen.

II n’a rien dit? – Non.

Auf die Verwendungsweisen von oui, non und si und ihre unterschiedlichen Bedeutungen wird im Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen werden. Ähnlich wie die zuvor behandelte Partikel kann auch non eine direkte Ergänzung zu einem Verb bIIden.

II dit toujours non.

Es ist ebenfalls möglich, dass es in einem Satzgefüge, aber auch in Parataxen steht.

J’espère bien que non.

Bei Letzterem tritt es meist in Verbindung mit verschiedenen Konjunktionen, Präpositionen und weiteren Adverbien auf. Im Folgenden werden einige dieser Wendungen aufgezählt:

1) Et/mais non pas/point

Presque tous les hommes meurent de leurs remèdes et non pas de leurs maladies. (Molière)

2) Ou non kennzeichnet eine Alternative.

Que voulez-vous ou non?

3) Non plus steht für das französische Adverb aussi.

Elle ne parlait pas, Charles non plus. (Flaubert)

4) Non seulement, mai

Non seulement II a tort, mais encore II s’obstine.

5) Non sans drückt eine eingeschränkte Zustimmung aus.

Non sans peine; non sans hésitation

6) Non que mit folgendem Subjonctif schließt den Sachverhalt des eingeleiteten Satzes aus.

Elle accepta avec joie, non qu’II y a eût entre vous beaucoup d’intimité, mais elle aimait nos enfants. (Mauriac)

Non kann außerdem als Ankündigung oder Verdeutlichung einer Verneinung, als Ausruf der Empörung oder des Protests oder als Frage des Erstaunens fungieren.

Non, je ne le regrette pas.

Non, par exemple!

Non, mais!

II nous quitte. Non, pas possible?

Eine weitere Funktion dieses Adverbs ist die Fähigkeit, vor einem Adjektiv, Nomen oder Partizip zu stehen. In Ausdrücken wie un avantage non négligeable, non-exécution, non coupable, non accompagné etc. kennzeichnet es das GegenteII seines Bezugswortes.

Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass auch non zu einem Substantiv werden kann.

un non catégorique

Was im Eintrag des Petit Robert nicht erwähnt wird, aber aus den Bemerkungen über oui (vgl. Robert 2011:1770) deutlich hervorgeht, ist der Fakt, dass auch non in elliptischer Verwendung beispielsweise in Slogans auftritt.

2.3 Si (vgl. Robert 2011: 2367)

Neben seiner Funktion als adverbe d’intensité oder adverbe de comparation (vgl. Robert 2011:2367) soll sich in dieser Arbeit darauf beschränkt werden, dass si eine Bestätigung oder einen Widerspruch ausdrücken kann. Es steht als positive Antwort auf eine negativ formulierte Frage.

On ne vous a pas prévenu? – Si.

Zudem kann es, analog zu oui und non, in einer Hypotaxe den untergeordneten SatzteII bIIden.

II dit que si.

Der veraltete Ausdruck si fait, der für das heutzutage öfter verwendete mais oui steht, bestätigt ebenfalls eine affirmative Aussage.

Si fait, mon cher hôte, si fait.1 (Proust)

Des Weiteren verstärkt die Expression que si die Antwort und den damit verbundenen Widerspruch.

IIs n’ont pas besoin l’un de l’autre. – Que si. (Romains)

Abschließend soll noch festgehalten werden, dass laut Robert (vgl. 2011: 2367) auch si als Ellipse auftreten kann.

Je vous agaçais, je vous froissais […] Si! si! Je vous ai souvent froissée! (France)

Hierbei ist aber zu überprüfen, welchen Bezug das Adverb in diesem Kontext hat. Steht es in Referenz zu einer vorausgehenden verneinten Aussage oder ablehnenden Gestik bzw. Mimik, so kann man hier weniger von einer Ellipse sprechen als eher von einer Antwort, die einen Widerspruch zur vorigen Verneinung oder Ablehnung bIIdet.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Petit Robert wichtige Eigenschaften und syntaktische Funktionen von oui, non und si bereits summiert. Dennoch sollen im weiteren Verlauf der Arbeit noch verschiedene französische Grammatiken und Aufsätze zur Rate gezogen werden, um die bisherigen Ergebnisse zu sichern und um die grammatikalische und auch semantische Aufgabe dieser Adverbien genauer zu betrachten und gegebenenfalls Ausnahmen von der Regel zu finden, die noch nicht erwähnt worden sind. Bei neuen Erkenntnissen werden die dazugehörigen Beispiele mit angeführt, bei bereits erwähnten Fakten sollen die Belege des Petit Robert genügen.

3 Funktion nach französischen Grammatiken

3.1 Grammaire Larousse du français contemporain

Die aus den 80er Jahren stammende Grammatik von Chevalier behandelt dieses Thema noch sehr überschaubar. Er teIIt vergleichbar mit Robert die erwähnten Adverbien in zwei Kategorien ein: „les adverbes d’affirmation“ (1983: 426), die in Opposition zu den „adverbes de négation“ (1983: 427) stehen. Oui steht als Antwort auf eine positiv, si auf eine negativ formulierte Frage. Zudem können beide Partikel von anderen Adverbien verstärkt (mais oui, mais si etc.) werden. Oui wird sogar teIIweise durch einige andere Modalwörter wie bien sûr, naturellement, certainement, évidemment etc. ersetzt.

Non hingegen verkörpert einen negativen Inhalt. Es kann auf Behauptungen, Fragen und verneinte Aussagen folgen.

Ma parure ne te plaît pas? – Non, Bourguignon, laissons là l’amour […]. Elle n’a pas prédit que je ne t’aimerai point. – Non, mais elle a dit que tu n’y gagnerais rien. […] Tu reviens à ton chemin par un détour ; adieu. – Eh ! non, te dis-je, Lisette. (Marivaux) (Chevalier 1983: 427)

Des Weitern steht es als direkte Ergänzung zu einem Verb oder als untergeordneter SatzteII einer Hypotaxe. Zu guter Letzt wird ebenfalls erwähnt, dass non vor einem Satz verwendet werden kann, um die nachfolgende negative oder affirmative Aussage zu verstärken.

3.2 La grammaire du français

In Frontiers Werk aus dem Jahr 1997 werden oui, non und si als l’adverbe-phrase bezeichnet: „ Un adverbe […] peut aller jusqu’à résumer à lui seul une phrase entière“ (1997: 281). Durch diese Feststellung wird eine neue Dimension dieser Wörter deutlich. Wurde zuvor nur von Adverbien mit verneinendem oder bejahendem Charakter gesprochen, so wird nun klar, dass es sich um Morpheme handelt, die einen ganzen Satz repräsentieren können. Erhält man diese Erkenntnis, so wird auch verständlich, warum sie eine ausreichende Antwort auf eine Frage bIIden und möglicherweise von einem anschließenden Satz, des Öfteren verbunden durch eine Konjunktion, begleitet werden können. Frontier betont auch die Fähigkeit dieser Adverbien, sich in einen anderen Satz zu integrieren, sei es in Form eines untergeordneten oder koordinierenden SatzteIIs. Stehen sie einer Aussage voran, so unterstreichen sie deren affirmativen oder negativen Charakter (vgl. 1997: 282-283).

3.3 Grammaire méthodique du français

In der fünften Auflage dieser französischen Grammatik beschreibt Riegel u.a. die syntaktische Konstruktion des Adverbs in einem Punkt folgend:

„Certains adverbes fonctionnent comme les équivalents d’une phrase ou d’une proposition (ou comme son noyau prédicatif). Ce sont d’abord les marqueurs des actes IIIocutoires de l’acquiescement et de la dénégation : As-tu reçu ma lettre ? – Oui / Non / Je crois que oui […]“ (52014 : 648)

Des Weiteren findet man in dem Kapitel les types de phrase: „Les mots-phrases forment à eux seuls un énoncé: oui, si, non, soit,...“ (Riegel 52014 : 777). Hier liest man den Begriff, der bei Frontier unter der Bezeichnung l’adverbe-phrase steht, neu betitelt unter dem Terminus mot-phrase. Es wird festgehalten, dass sie sich auf einen zuvor genannten Inhalt in Form einer allgemeinen positiven oder negativen Antwort auf eine Frage beziehen. Hierbei darf die Wichtigkeit des vorausgehenden Inhalts nicht unterschätzt werden, da oui, non oder si immer als Reaktion auf den Kontext gesehen werden muss, ohne den man ihre Bedeutung nicht interpretieren könnte.

Auch Riegel u.a. stellt fest, dass es möglich ist, diese Adverbien am Satzanfang zur Verstärkung der folgenden Satzaussage zu positionieren (vgl. 52014: 777).

[...]


1 Leider fehlt bei diesem Beispiel der Kontext, durch den die Wendung si fait besser interpretiert werden könnte.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Das Adverb im Französischen. Die sprachlichen Chamäleons 'oui', 'non' und 'si'
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Romanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar Das Adverb im Französischen: Wortklasse, Grammatik und Korpusanalyse
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
28
Katalognummer
V310031
ISBN (eBook)
9783668083592
ISBN (Buch)
9783668083608
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
adverb, französischen, chamäleons
Arbeit zitieren
Hanna Schellhorn (Autor:in), 2015, Das Adverb im Französischen. Die sprachlichen Chamäleons 'oui', 'non' und 'si', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310031

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