Communio hierarchica. Überlegungen zu einem schwierigen Begriff der nachkonziliaren Theologie im Schnittpunkt von Ekklesiologie und Kirchenrecht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. „Communio – Theologie“ des Zweiten Vatikanums
2.1 „Volk Gottes“ als Grundbild von Kirche.
2.2 Sprachgebrauch des Konzils
2.3 Proflilierung des Communio-Begriffs
2.4 Kritische Würdigung des Ansatzes der Communio-Theologie

3. Communio hierarchica
3.1 Sprachgebrauch des Konzils
3.2 „Das Problem mit der Hierarchie“

4. Communio hierarchica im CIC von 1983

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Protokoll der Fragen, die nach dem Hauptseminar „Entwicklungen im Schnittpunkt von Ekklesiologie und Kirchenrecht in Deutschland und Frankreich“ im Sommersemester 2003 offen geblieben sind, weist zum Thema Communio hierarchica vor allem zwei Aspekte zur weiteren Diskussion aus. Zum einen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer festgehalten, dass die Frage danach, was Communio „wirklich“ heißt, keinesfalls abgeschlossen behandelt ist; zum anderen bleibt auch der zweite Begriff des Themas dieser Arbeit, hierarchica, noch weithin offen und erklärungsbedürftig.

Der Rahmen einer Seminararbeit ist nun sicher nicht geeignet, um beide Fragen abschließend zu klären. Vielmehr will ich im Folgenden versuchen, einen Ermöglichungsrahmen festzuschreiben, innerhalb dessen die Rede von der Communio hierarchica“ sinnvoll sein kann. Dabei ist auch eine gewisse „Anfanghaftigkeit“ in der Behandlung der Problematik nicht zu vermeiden.

Ich habe versucht, in dieser Arbeit eine Trennung der beiden Begriffe Communio und Communio hierarchica durchzuhalten, um im ersten Teil eine Konzentration auf die Communio und ihre „Idee“ zu erreichen. Dass diese Trennung auf Kosten einer umfassenden Behandlung geschieht, weil gerade die Umstrittenheit des Begriffs der Communio auf der Verbindung mit dem Adjektiv hierarchica basiert, ist mit bewusst; dennoch glaube ich, dass es sich lohnt, für eine erste Annäherung – verkürzend – zu unterscheiden, um im Anschluss daran die Konsequenzen aus der Verknüpfung beider Begriffe zu betrachten.

Es folgt ein kurzer Blick auf das Kirchenrecht und die Frage danach, wie sich die Idee der Communio hierarchica im Codex Iuris Canonici von 1983 äußert. Den Abschluss bildet ein Fazit zur Begrifflichkeit.

2. „Communio – Theologie“ des Zweiten Vatikanums

Der Begriff Communio als Beschreibung von kirchlicher Wirklichkeit in Theorie und Praxis war und ist seit seinem Aufkommen mit dem Zweiten Vatikanum oder besser durch das Aufgreifen durch das Konzil vielerlei Irritationen ausgesetzt. Die außerordentliche Bischofssynode anlässlich des zwanzigsten Jahrestages des Konzils von 1985 bezeichnet die Communio-Ekklesiologie als „die zentrale und grundlegende Idee der Konzilsdokumente“[1]. Und doch ist die Frage danach, wie diese „grundlegende Idee“ auszuformulieren und zu interpretieren ist, und welche Konsequenzen sie für die Theorie und Praxis von Kirche haben kann bzw. hat, noch lange nicht abschließend beantwortet. Walter Kasper fasst die Problemlage knapp zusammen, wenn er konstatiert, dass „das Konzil eine Sachproblematik angestoßen hat, die es selber nicht zu Ende führen konnte, die es vielmehr uns zur Durchführung aufgegeben hat.“[2] Die Feststellung, dass die Idee der Communio für die nachkonziliare Zeit nicht Gabe, sondern Auf-gabe ist, erklärt zumindest anfanghaft die große Bandbreite der Rezeption, die von Verfechtern der Communio bis hin zu denen reicht, die den Begriff als adäquate Redeweise von Kirche ablehnen.

Hintergrund dieses un-ein-deutigen Verständnisses ist unter anderem die Frage nach den Implikationen der im Konzil formulierten Begriffe. Explizites „Leit-Wort“ ist in den entsprechenden Texten nämlich nicht der Begriff Communio, sondern das Bild vom „Volk Gottes“. Warum die Communio trotzdem „greift“ begründet Bernd Jochen Hilberath folgendermaßen:

„Vor allem, deshalb, weil sich in dem Wort ‚communio’ in der Tat die Grundintention von „Lumen Gentium“ widerspiegelt, das Anliegen der überwältigenden Mehrheit der Bischöfe, beim Reden von der Kirche zuerst und grundlegend das auszusagen, was alle betrifft, wozu alle berufen und gesendet sind, und dann erst von den spezifischen Aufgaben, Berufungen, Charismen und Ämtern zu handeln.“[3]

Weil die ekklesiologische Leitperspektive sich in der Rede von der Kirche als dem „Volk Gottes“ bündelt, stehen im Folgenden vor der Betrachtung der Communio -Theologie bzw. –Ekklesiologie als solcher einige Überlegungen zum

2.1 „Volk Gottes“ als Grundbild von Kirche.

In der Tat schreibt die Kirchenkonstitution Lumen Gentium in Kapitel zwei „von der Einheit der ganzen Kirche vor allen hierarchischen Unterschieden“[4] und überschreibt dieses Kapitel mit „Das Volk Gottes“[5]. Auch dieses Motiv hat in der Folge eine reiche Rezeption in der Ekklesiologie wie auch in der Praktischen Theologie erfahren. Für die Reflexion des theologischen Selbstverständnisses von Kirche sind vor allem vier Aspekte interessant.[6] Zum einen ermöglicht der Begriff des Volkes Gottes die Konstitution eines relationalen Kirchenverständnisses. Die Zugehörigkeit zu dieser Kirche wird durch Gott selber und vor allem durch seine Beziehung zum Menschen, die ein neues Beziehungsgefüge zwischen den Menschen ermöglicht, und nicht mehr länger über die Zugehörigkeit zur Institution der Kirche, die als societas perfecta gedeutet wird, definiert. Zweitens betont das Motiv die „Kontinuität zwischen Kirche und Israel[7].Die Kirche wird damit nicht nur terminologisch, sondern auch inhaltlich an ihre Wurzeln im Volk Israel erinnert, an das sie anknüpft, das sie aber in der Heilsgeschichte nicht ablöst und/oder ersetzt. Das Sein des Volkes Gottes in der Zeit und in der Geschichte erfährt – dies ist der dritte Aspekt - eine theologische Relevanz. Im Topos vom „Volk unterwegs“ wird auf der einen Seite in thematischer Anknüpfung wiederum an das Volk Israel und seine Geschichte der Charakter der pilgernde Kirche erinnert.[8] Gleichzeitig mit diesem Konstituens der Geschichtlichkeit ist auf der anderen Seite aber auch die Verwiesenheit der Kirche auf das Über-sie-Hinaus formuliert. „Kirche als vorwegnehmendes Zeichen und dienendes Werkzeug der in der Vollendung noch ausstehenden Herrschaft Gottes“[9] ist immer verwiesen auf das „noch nicht“, wodurch das „doch schon“ immer auch als „reformierbar (und zu reformieren! T.K.) qualifiziert“[10] wird; zusammengefasst wird dies in der Rede von der Kirche als der ecclesia semper reformanda. Der vierte Aspekt betont die fundamentale Gemeinsamkeit aller Glaubenden als Teile des Volkes Gottes. An dieser Stelle ist die Vergleichsmöglichkeit zum demokratischen Volksbegriff gegeben, den das „Volk Gottes“ aber immer auch übersteigt. Das Volk Gottes konstituiert sich nämlich gerade nicht über Rassen- und/oder Nationengrenzen und auch nicht von der „Basis“ des Volkes her, sondern geradezu im Gegenteil völkerübergreifend von oben durch die vom Geist Gottes bewirkte Teilhabe am Leib Christi als dem Auferstandenen. Deshalb, so M. Kehl, ist der Begriff des Volkes Gottes adäquat nur in Verbindung mit dem Bild vom „Leib Christi“ zu verstehen. Diese Verbindung wird deutlich in LG 7: „Wie aber alle Glieder des menschlichen Leibes, obschon sie viele sind, dennoch den einen Leib ausmachen, so auch die Gläubigen in Christus (1 Kor 12,12), sowie LG 11: „Durch den Leib Christi in der heiligen Eucharistiefeier gestärkt, stellen sie sodann die Einheit des Volkes Gottes, die durch dieses hocherhabene Sakrament sinnvoll bezeichnet und wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche Weise dar.“[11]

Die außerordentliche Bischofssynode von 1985 gibt der Idee der Communio ausdrücklich Vorrang vor der des Volkes Gottes, weil sie der Gefahr einer einseitig demokratisierenden Verwendung des Begriffs „Volk Gottes“ begegnen will. Doch auch der Begriff der Communio scheint eine solche Interpretation zumindest nicht auszuschließen.[12] Es bleibt demnach festzuhalten:

„Die nachkonziliare Diskussion ist also gekennzeichnet durch eine gewisse Polarität zwischen den Bildern „Volk Gottes“ und „Communio“ und durch eine z.T. sich widersprechende Inanspruchnahme und Konkretisierung dieser Leitbilder.“[13]

Um genauer zu verstehen, was das Konzil mit der Communio meint und worin die angesprochenen Widersprüche und Konkretisierungen bestehen, will ich im nächsten Schritt auf den

2.2 Sprachgebrauch des Konzils

eingehen.[14]

Der Begriff Communio ist in den Dokumenten des Zweiten Vatikanums zwar durchaus in seinem Gebrauch als zentral einzuschätzen, aber zeigt in diesem Gebrauch keine Einheitlichkeit. Das Fehlen einer eindeutigen Begrifflichkeit wirkt sich als erschwerender Faktor für die Interpretation aus. Neben Communio (111mal) erscheinen in den Texten auch die Begriffe communicare (62mal), communitas (192mal) und societas (142mal).[15] Oskar Saier stellt fest, dass der Ausdruck Communio in zweierlei Hinsicht gebraucht werde; zum einen als allgemeine Bezeichnung für Gemeinschaft und gemeinschaftliche Beziehung, zum anderen im explizit theologischen Sinn als „besondere Art der Verbundenheit“[16], wobei erstere Verwendung eher selten sei. Der theologische Gebrauch seinerseits schließe wiederum zwei Inhaltsbereiche in sich: die Beziehung zwischen Gott und Mensch und die Beziehung von Menschen untereinander.[17] Dabei meint Communio zum einen die Gemeinschaft der Gläubigen als ganze, die durch die Zugehörigkeit zur Kirche, begründet in der Taufe, ausgezeichnet ist.[18] Hierbei ist bemerkenswert, dass diese Communio über die sichtbare, zeitgenössisch konstituierte Kirche im Hier und Jetzt hinausgeht und auch die Toten in diese eschatologisch erweiterte Gemeinschaft mit einschließt.[19] Zum anderen bezeichnet Communio oft das Verhältnis der verschiedenen Teilkirchen zueinander oder zur Gesamtkirche.[20] Dieser Gebrauch ist nicht nur auf das Verhältnis von Ortskirchen und Universalkirche beschränkt, sondern schließt – bspw. im Ökumenismus-Dekret[21] – die Gemeinschaft der katholischen Kirche mit den getrennten Ostkirchen ein.

„Die meisten Anwendungsfälle von „communio“ sind in jenen Konzilstexten zu finden“, so stellt Saier abschließend fest, „in denen ein bestimmtes Verhältnis der Zuordnung bzw. der Unterordnung zwischen Personen oder Personengruppen im Volke Gottes ausgesagt werden soll.“[22] Damit kristallisiert sich ein zumindest quantitativer Schwerpunkt des Gebrauchs von Communio heraus. Ob sich die formale Breite des Begriffs auch inhaltlich, also qualitativ auf dieses bestimmte Feld zu konzentrieren ist, wird damit aber noch nicht ausgesagt. Jedoch scheint Saiers Urteil eine Zuspitzung auf formale Gesichtspunkte und die Konzentration auf die strukturelle Verfasstheit von Kirche bzw. dem Volk Gottes nahe zu legen, was wiederum der Einschätzung von Walter Kasper widerspricht, der betont, „daß das Konzil, wenn es von communio spricht, primär gar nicht das meint, was in der manchmal turbulenten nachkonziliaren Diskussion Anlaß zu viel Aufregung gab. Es geht nämlich in dem Begriff communio zunächst nicht um Strukturfragen der Kirche. Das Wort communio weist vielmehr auf die eigentliche „Sache“ (res) hin, aus der die Kirche kommt und für die sie lebt. Communio bezeichnet nicht die Struktur der Kirche, sondern ihr Wesen, oder das Konzil sagt: ihr Mysterium.“[23]

[...]


[1] Zukunft aus der Kraft des Konzils. Die außerordentliche Bischofssynode 1985, Freiburg 1986, 33, zitiert nach: Hilberath, Communio hierarchica, 205.

[2] Kasper, Kirche als Communio, 275.

[3] Hilberath, Kirche als Communio, 45f.

[4] Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, Einleitung zu Lumen Gentium, 107.

[5] Vgl. LG.

[6] Vgl. Kehl, Art. „Volk Gottes“, in: LThK 10, 32001, 848f.

[7] Ebd., 848 (Hervorhebung im Original).

[8] Diese Deutung impliziert auch das Dasein des Volkes Gottes unter allen geschichtlichen Umständen, die ihm begegnen, zum Beispiel das „Exil“ oder der „Exodus“. Hier ergeben sich Anschlussstellen an die Praktische Theologie, die Kirche als Kirche in der Welt versteht (vgl. GS).

[9] Kehl, Art. Volk Gottes, 849.

[10] Ebd.

[11] Vgl. auch J. Ratzinger, Das neue Volk Gottes, Düsseldorf: Patmos-Verlag 21970, 80ff.

[12] Diese Gefahr besteht vor allem bei der einseitigen Gewichtung möglicher Übersetzungen, denn „Gemeinschaft“ kann natürlich auch dahingehend interpretiert werden, dass innerhalb dieser Gemeinschaft alle gleich sind, alle gleiche Rechte (und Pflichten) haben etc, was in der Konsequenz wenn nicht eine Gleichsetzung mit so doch eine Annäherung an demokratische Konzepte impliziert.

[13] Hilberath, Forschungsbericht, 240.

[14] Vgl. dazu ausführlich Saier, „Communio“ in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine rechtsbegriffliche Untersuchung ( = Münchner theologische Studien III. Kanonistische Abteilung Bd. 32), München: Max Hüber-Verlag 1973.

[15] Zahlen nach Saier, „Communio“, 1.

[16] Ebd.

[17] Vgl. ebd., 3.

[18] Vgl. LG 11: „Durch die Taufe der Kirche eingegliedert […]“ sowie SC 69: „Ferner soll ein neuer Ritus geschaffen werden für gültig getaufte Konvertiten, in dem zum Ausdruck kommen soll, daß sie in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen werden.“ (Hervorhebung T.K.)

[19] Vgl. LG 50: „Aus tiefer Anerkennung dieser Gemeinschaft des ganzen mystischen Leibes Jesu Christi hat die pilgernde Kirche seit den Anfängen der christlichen Religion das Gedächtnis der Verstorbenen mit großer Ehrfurcht gepflegt […].“

[20] Vgl. LG 13: „Daher bestehen schließlich zwischen den verschiedenen Teilen der Kirche die Bande einer innigen Gemeinschaft der geistigen Güter, der apostolischen Arbeiter und der zeitlichen Hilfsmittel.“ (Hervorhebung T.K.) sowie EO 2: „Durch ihre Hierarchie zu verschiedenen Gemeinschaften zusammengeschlossen, bilden sie „Teilkirchen“ oder „Riten“. Unter diesen herrscht eine wunderbare Verbundenheit, so daß ihre Vielfalt in der Kirche keinesfalls der Einheit Abbruch tut […].“ (Hervorhebung T.K.)

[21] Vgl. RU 14: „Die Kirchen des Orients und des Abendlandes sind Jahrhunderte hindurch je ihren besonderen Weg gegangen, jedoch miteinander verbunden in brüderlicher Gemeinschaft des Glaubens und des sakramentalen Lebens […]“ (Hervorhebung T.K.)

[22] Saier, „Communio“, 11.

[23] Kasper, Kirche als Communio, 275.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Communio hierarchica. Überlegungen zu einem schwierigen Begriff der nachkonziliaren Theologie im Schnittpunkt von Ekklesiologie und Kirchenrecht
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (kath.-theol. Fakultät Tübingen, LS Dogmatik und Dogmengeschichte)
Veranstaltung
Hauptseminar; Kooperation Dogmatik und Kirchenrecht
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
28
Katalognummer
V30961
ISBN (eBook)
9783638321075
Dateigröße
614 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Communio, Begriff, Theologie, Schnittpunkt, Ekklesiologie, Kirchenrecht, Hauptseminar, Kooperation, Dogmatik, Kirchenrecht
Arbeit zitieren
Theresia Klein (Autor:in), 2004, Communio hierarchica. Überlegungen zu einem schwierigen Begriff der nachkonziliaren Theologie im Schnittpunkt von Ekklesiologie und Kirchenrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30961

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