Der Homo Oeconomicus in der Kritik. Wie nachhaltig ist "rational choice"?


Hausarbeit, 2015

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Themenfindung
1.2 Fragestellung

2. Theoretische Grundlagen
2.1 Verhalten und Handeln
2.2 Um-zu-Motive und Weil-Motive
2.3 Soziales Handeln
2.4 Die klassischen Akteurmodelle
2.5 Der Homo Oeconomicus
2.6 Kritik am Homo Oeconomicuc

3. Der Homo Oeconomicus und Nachhaltigkeit
3.1 Politik
3.2 Wirtschaft
3.3 Gesellschaft

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

6. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Menschliches Handeln ist komplex. Mit ihren Taten formen Menschen die Welt, die sie umgibt. Thomas Luckmann hat diesen Umstand in passende Worte gefasst:

ÄIn der praktischen, Änatürlichen“ Einstellung erfassen wir die Welt als eine Mischung von Unabänderlichem, das uns auferlegt ist, und von Veränderbarem, das unserem Bewirken offensteht. Unabänderlich Auferlegtes erleiden und erfahren wir, Veränderbares erfahren wir nicht nur, sondern wir wirken auf es ein - sofern wir eine bestimmte Veränderung herbeiführen wollen.“1

Handeln bringt also Veränderungen - im Rahmen des Möglichen. Weiterhin provoziert es vielfältige Reaktionen bei anderen Individuen, die mit dem Handeln eines anderen Individuums in Kontakt kommen. Wie genau diese Reaktionen zustande kommen und nach welchen Mustern Menschen überhaupt handeln, also warum und mit welchem Ziel, ist schon lange Gegenstand der Diskussion. Im Laufe der Zeit haben sich dabei komplexe Theorien und Modelle herausgebildet, die versuchen, menschliches Handeln erfassbar darzustellen. Da menschliches Handeln in allen Bereichen des Lebens eine Rolle spielt, haben sich diese Modelle und Theorien auch in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen etabliert. Oft dienen sie als Grundlage für komplexe Theoriegebäude, zum Beispiel in den Wirtschaftswissenschaften.2 Die Gültigkeit der Modelle des Handelns ist aber nicht absolut - das liegt Theorien inne. Sie werden erweitert, verbessert oder revidiert. Nichtsdestotrotz sind einige, aus den unterschiedlichsten Gründen mit Mangeln behaftete Modelle und Theorien auch heute noch Grundlage von Theoriegebäuben, die auf Grund ihrer Relevanz einen starken Einfluss auf das Leben vieler Individuen haben - besonders bei ökonomischen Modellen liegen teilweise überholte Annahmen des Handelns zugrunde. Der Grund dafür ist häufig eine Komplexitätsreduktion von ansonsten für den menschlichen Intellekt nur schwer erfassbarer Abläufe.

1.1 Themenfindung

Eine Komplexitätsreduktion ist notwendig, um die Realität ausreichend in Modellen abbilden zu können. Dabei liegt es Komplexitätsreduktionen inne, teile der Realität auszublenden. Das damit auf möglicherweise Entscheidendes verzichtet wird, wird wissentlich in Kauf genommen. Ob es seit der Aufstellung der jeweiligen komplexitätsreduzierenden Annahme weitere Erkenntnisse gab, die eine andere bzw. genauere Sichtweise auf den zu untersuchenden Gegenstand erlauben, spielt oft keine Rolle - zu stark ist das jeweilig vorherrschende Paradigma. Oft wird zum Beispiel der sogenannte Homo Oeconomicus als Erklärmodell für menschliches Verhalten angenommen, also der rationale, auf den eigenen Nutzen fixierte Entscheider. Die absolute Gültigkeit des Konstruktes Homo Oeconomicus kann aber aus verschiedenen Gründen angezweifelt werden. Das Prinzip des „rational choice“ - siehe dazu mehr im Laufe der Arbeit - ist dabei auch nicht unproblematisch, wie unten herausgestellt wird.

1.2 Fragestellung

In dieser Hausarbeit soll geklärt werden, aus welchen Gründen die gerade angesprochene Unzulänglichkeit des Homo Oeconomicus angenommen werden kann. Dazu wird unter anderem das Akteurmodell des Homo Oeconomicus genauer erläutert. Außerdem wird Kritik von verschiedenen Autoren am Akteurmodell des Homo Oeconomicus in die in dieser Hausarbeit stattfindende Diskussion mit einbezogen. Dabei soll geklärt werden, ob die Annahmen, die dem Homo Oeconomicus inne liegen, zukunftsfähig sind und falls ja, unter welchen Voraussetzungen. Es soll auch geklärt werden, welche Auswirkungen die Anwendung des Homo Oeconomicus in den Wirtschaftswissenschaften hat.

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Verhalten und Handeln

Die Wissenschaft, die sich mit dem Erforschen des Handelns beschäftigt, ist die Soziologie. Sie richtet sich dabei auf die Struktur und Funktionsweise von Gesellschaften und das Handeln von Individuen in sozialen Kontexten. Max Weber, einer der wichtigen Vertreter der Soziologie, definiert Soziologie als

Ä[…] eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“3

Was menschliches Handeln ausmacht, ist schon länger Gegenstand der Diskussion. Max Webers Definition von 1922 aus seinem Standardwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ hat sich dabei als wegweisend herausgestellt. Er definiert Handeln hier allgemein als „[…] menschliches Verhalten (einerlei ob äußerliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) […], wenn und insofern der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“4 Bemerkenswert an dieser Definition ist, dass Weber Unterlassen mit Tun gleichsetzt - auch nicht zu handeln im Sinne aktiven Tuns ist hiermit als ein aktiver Vorgang definiert. Ebenso gilt dies für das von Weber genannte Dulden. Wichtig ist an dieser Stelle auch der von Weber genannte „subjektive Sinn“: Handeln ist demnach erst Handeln, wenn der oder die Handelnde eine bestimmte Absicht verfolgt. Zuvor ist eine Tat bzw. das Unterlassen einer Tat lediglich Verhalten, was laut Schimank das Allgemeinere darstellt, während er Handeln als eine Sonderform von Verhalten definiert.5 Schimank geht in seinen Ausführungen über Verhalten noch weiter und bedient sich einer Definition Luckmanns. Hier ist Verhalten „[…] ein körperliches Geschehen in Raum und Zeit, das anderen Menschen, die dieses Geschehen beobachten, Aufschluß über Tun und Lassen geben kann.“6 Ein körperliches Geschehen umfasst dabei der Meinung Schimanks zum Beispiel Vorgänge im Inneren des Körpers, also Blutzirkulation oder eine Nervenerregung. Verhalten, so schreibt er, ist etwas, „was Mensch und Tier gemeinsam haben.“7 Es hat seinen Ursprung dabei in bestimmten physikalischen, chemischen oder biologischen Vorgängen im Inneren des Körpers des jeweiligen Individuums bzw. in der Umwelt und ist soziologisch meist nicht von Bedeutung. Schimank unterscheidet aber drei Fälle von soziologisch bedeutsamen Handeln. Seiner Auffassung nach ist Verhalten (erstens) prägende Bedingung der Handlungsmöglichkeit eines Akteurs, (zweitens) kann Verhalten Handeln bei anderen Personen hervorrufen und (drittens) kann massenhaft gleichartiges Verhalten von Menschen soziale Strukturen aufbauen, erhalten oder verändern.8 Soziale Strukturen sind dabei das Produkt sozialen Handels, genauer des handelnden Zusammenwirkens Mehrerer. Dazu lässt sich eine Definition von Giddens heranziehen: Ä […] the structural properties of social systems are both medium and outcome of the practices they recursively organize. “9 Soziales Handeln wird also wesentlich durch soziale Strukturen geprägt, wobei erst durch soziales Handeln soziale Strukturen hervorgebracht werden - sie manifestieren sich nur durch ihren Gebrauch. Dies wird auch als „Duality of Structure“ bezeichnet.10 Soziale Strukturen sind also das Medium, in dem Handeln sich vollzieht. Damit wäre eine Definition für Handeln im Allgemeinen und für Verhalten gegeben; auch die Unterschiede sind deutlich geworden. Bisher wurden aber Motive des Handelns ausgeblendet.

2.2 Um-zu-Motive und Weil-Motive

Für eine Definition der Motive ist eine Unterscheidung von Alfred Schütz hilfreich. Er nennt zwei Arten von Motiven, die Um-zu- Motive und die Weil-Motive. Um-zu-Motive konkretisieren dabei den Handlungsentwurf, Weil-Motive bezeichnen die Gründe für die Entstehung dieses Handlungsentwurfes.11 Bei Um-zu- Motiven beabsichtigt die handelnde Person, „eine Wirkung in der Welt herbeizuführen“, wie Schimank treffend formuliert.12 Er nennt als Beispiel einen Mord an einer Person, um an ihr Geld zu gelangen. Weil-Motive hingegen sind mit der Vorgeschichte aus zurückliegenden Erfahrungen verknüpft. Sie erklären seiner Interpretation nach die Um-zu-Motive. Schimank folgt bei dieser Annahme eng den Gedanken von Schütz. Als Beispiel nennt Schimank hier wieder den schon angesprochenen Mord - allerdings erweitert um die Begründung für den Mord: Eine schlechte Gesellschaft und moralische Verwahrlosung, die den Gedanken an Geld durch Mord und nicht durch ehrliche Arbeit überhaupt erst möglich macht.13

[...]


1 Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin; New York: de Gruyter, 1992, Seite 26

2 Qudrat-I Elahi, Khandakar: Homo Economicus in Neoclassical Economics: Some Conceptual Curiosities about Behavioural Criticims, 2015, Accedo Verlagsgesellschaft, München, Seite 3

3 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, 1980, Mohr, Tübingen, Werke auf CD-Rom, Seite 15

4 Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, 1980, Mohr, Tübingen, Werke auf CD-Rom, Seite 15

5 Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie, 3. Auflage 2007, Juventa Verlag Weinheim und München, Seite 23

6 Luckmann, Thomas: Theorie des sozialen Handelns, Berlin; New York: de Gruyter, 1992, Seite 38

7 Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie, 3. Auflage 2007, Juventa Verlag Weinheim und München, Seite 23

8 Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie, 3. Auflage, 2007, Juventa Verlag Weinheim und München, Seite 24

9 Giddens, A.: The Constitution of Society: Outline of a Theory of Structuration, Cambridge, Polity Press, 1984, Seite 25

10 Giddens, A.: The Constitution of Society: Outline of a Theory of Structuration, Cambridge, Polity Press, 1984, Seite 25

11 Schneider, Wolfgang Ludwig: Grundlagen der soziologischen Theorie 1, 3. Auflage, 2008, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, Seite 49

12 Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie, 3. Auflage, 2007, Juventa Verlag Weinheim und München, Seite 25

13 Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie, 3. Auflage, 2007, Juventa Verlag Weinheim und München, Seite 25ff

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Der Homo Oeconomicus in der Kritik. Wie nachhaltig ist "rational choice"?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut Futur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
26
Katalognummer
V309259
ISBN (eBook)
9783668074569
ISBN (Buch)
9783668074576
Dateigröße
947 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zukunftsforschung, Homo Oeconomicus, Homo Sociologicus, Akteurmodell, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, rational choice, Luckmann, Weber, Schimank, Giddens, Nachaltigkeit, Kapitalismus
Arbeit zitieren
Ben Bügers (Autor:in), 2015, Der Homo Oeconomicus in der Kritik. Wie nachhaltig ist "rational choice"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/309259

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