Grodek - Zur Person Georg Trakls unter besonderer Berücksichtigung seines letzten Gedichtes "Grodek"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

30 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

I. Vorwort

II. Zur Biographie Georg Trakls
II.1 Jugend und Schulzeit in Salzburg (1887-1908)
II.2 Studium, Militärzeit und erste Veröffentlichungen in Wien (1908-1911/12)
II.3 Innsbruck (1912- 1914)
II.4 Krieg und Sterben: 1914 Galizien

III. Zum Werk
III.1 Literarische und philosophische Einflüsse
III.2 Klänge und Farben

IV. Das letzte Gedicht „Grodek“

V. Resümee

VI. Literaturverzeichnis

I. Vorwort

Die schriftstellerischen Arbeiten des bereits mit 27 Jahren im Jahre 1914 verstorbenen österreichischen Autors Georg Trakl sind nicht leicht literaturhistorisch einzuordnen. Dabei ist seine Produktion klein und zeitlich begrenzt. Neben verschiedenen Veröffentlichungen in Zeitschriften wurden zu Trakls Lebzeiten nur zwei dünne Bände verlegt. Man zählt Trakl zu den Expressionisten, mit denen er wesentliche Stilmerkmale, vor allem die offenen Sätze und die unregelmäßige Syntax gemein hat. Dies ist jedoch auch bei den Impressionisten zu finden, insbesondere in Trakls frühen Gedichten mit ihren aneinandergereihten, kurzen Naturbeobachtungen. Aber auch andere expressionistische Lyriker weisen in ihrem Frühwerk sehr impressionistische Züge auf. Bei Trakl auffallend ist das fehlende politische Interesse. Er kämpft nicht wie die Radikalen für eine bessere Welt. Der Anblick der modernen Großstadt graust ihn, aber seine Problematik bleibt individuell.

Stärker jedoch als Georg Heym oder August Stramm gibt Trakl den Zerfall der Wirklichkeit in einer eigenwilligen, neuen Sprache wieder. Während die Impressionisten versuchten durch minutiöse, genau abtastende Erfassung die äußere Wirklichkeit zu erfahren, stellten die Expressionisten die innerseelische Wirklichkeit des Menschen da; mit einer Sprache außerhalb der Alltagssprache, da nur so die Darlegung der Gefühlserlebnisse mit ihren unzähligen Assoziationen möglich wird.

„Naturgemäß stellen diese Dichtungen- wie die Bilder des Expressionismus- an das Eindringen und Einfühlen ungewöhnliche Anforderungen, und manchmal muss man zufrieden sein, nur einen Zipfel des Dichterkleides zu erwischen.“[1]

Georg Trakl wird von den Intellektuellen seiner Zeit geschätzt und nach 1945 entsteht eine rege Rezeption seines Werkes. Diese Sekundärliteratur ist zumeist tendenziös, in christlich-religiöser, mythologischer oder psychoanalytischer Auslegung.

Dementsprechend werden Persönlichkeitsmerkmale Trakls betont oder weggelassen. Zum Beispiel versuchen Focke und Lachmann Trakl im Sinne der christlichen Heilsbotschaft zu deuten. Dem möchte ich mich nicht anschließen, eher auf die starke Einflussnahme der katholischen Gouvernante (und seiner Mutter, einer Katholiken, nur für die Ehe mit dem Protestanten Tobias Trakl konvertiert) und damit bestimmend für Trakls gute Bibelkenntnisse und seine Idee der eigenen Sündhaftigkeit, sowie Baudelaires Einfluss verweisen.

Neben der Erhebung zum Heiligen kursieren über Trakl aufgrund des dürftigen biographischen Quellenmaterials (in seinen Briefen werden Tagesereignisse dargestellt, überwiegend fehlt eine Selbstdarstellung) Gerüchte bezüglich seines Alkohol- und Rauschmittelabusus und seiner inzestuösen Bindung an seine Schwester Grete.

Bereits 1926 erscheint im Brenner – Verlag, Innsbruck der Band „Erinnerung an Georg Trakl. Zeugnisse und Briefe “ mit Texten u.a. von Karl Kraus, Ludwig von Ficker und Elske Lasker-Schüler, welche ich in der dritten erweiterten Auflage von 1966 verwende.[2]

Ich richte mich im Primärtext nach der sogenannten Salzburger historisch- kritische Ausgabe zu Trakls Gesamtwerk von 1969 (ergänzt 1987), von Walter Killy und Hans Szklenar herausgegeben.[3]

Aber ich nutze zum Teil auch die neuere Innsbrucker historisch-kritische Ausgabe der Werke und des Briefwechsels herausgegeben von Eberhardt Sauermann und Hermann Zwerschina, erschienen Basel/ Frankfurt am Main 1995.[4] Ebenfalls von Hermann Zwerschina stammt die grundlegende Arbeit zur Lösung der Datierungsproblematik von Trakls Werken.[5] Auf die sehr interessante Rezeptionsgeschichte Georg Trakls Arbeiten durch seine

Zeitgenossen geht Sieglinde Klettenkammer ein.[6] Für einen historischen gesellschaftlichen Kontext des Lebens in Salzburg zur Zeit Trakls ist sehr „Im Schatten berühmter Zeiten“ von Ernst Hanisch und Ulrike Fleischer zu empfehlen.[7]

II. Zur Biographie Georg Trakls

II.1 Jugend und Schulzeit in Salzburg (1887-1908)

Georg Trakl (ursprünglich: Trackel, z.T. auch Trackl) wird am 3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Er ist das fünfte Kind des Eisenhändlers Tobias Trakl und dessen zweiter Frau Maria, eine gebürtige Halik. Es sind insgesamt sieben Kinder. Der Halbbruder Wilhelm aus erster Ehe ist 19 Jahre älter als Georg Trakl, Margarethe (Grete), die kleinste vier Jahre jünger.

Die ursprünglich aus der Wiener Neustadt stammende Familie zog 1879 nach Salzburg und gelang dort auf Grund der regen Baupolitik mit ihrem Geschäft schnell zu Wohlstand und Ansehen[8]. Ihre materiell gutgestellte Situation zeigt sich in ihren wechselnden großbürgerlichen Wohnhäusern, wenngleich ihr großstädtischer "steinerner Charme" auf Georg Trakl anscheinend eher kalt und abstoßend wirkt. Sein Vater gilt als lebenstüchtiger, liberaler und toleranter, gemäßigt nationaler Mann, der seinen Kindern einen starken Halt gibt. Seine Mutter hingegen

„[...] war eine kühle, reservierte Frau [...]. Sie fühlte sich unverstanden, von ihrem Mann, von ihren Kindern, von der ganzen Welt. Ganz glücklich war sie nur, wenn sie allein mit ihren Sammlungen blieb- sie schloß sich dann tagelang in ihre Zimmer ein.“[9]

Sie ist mit ihren Kindern entweder überfordert ist oder lehnt eine intensive Beziehung zu ihnen ab. Laut Georgs Bruder Fritz Trakl, soll sie sich "mehr um ihre Antiquitätensammlung als um uns [die Kinder]"[10] gekümmert haben. Die Mutter schafft sich eine eigene, realitätsferne Welt, an der sie ihre Familie nicht teilhaben lässt. Sie erschafft somit einen Ort der unerreichbaren Sehnsucht für ihre Kinder,

„Wir Kinder waren etwas unglücklich darüber, denn je länger ihre Leidenschaft dauerte, desto mehr Zimmer wurden für uns tabu.“,[11]

zugleich aber eine künstliche Welt, die nur überleben kann, indem sie sich in ihrer Falschheit vor der Realität verschließen muss.

Spoerri macht auf psychopathische Züge im Wesen der Mutter aufmerksam und spricht von Rauschgiftsucht. Seinem Freund und Förderer Ludwig von Ficker äußert Trakl einmal, er habe seine Mutter zuweilen so gehasst, dass er sie mit eigenen Händen hätte ermorden können.[12]

Prägenden Einfluss auf Trakl besitzt die elsässische Gouvernante, Marie Boring. Sie kommt in den Traklschen Haushalt als Georg Trakl dreijährig ist, und bleibt mit zwei Jahren Unterbrechung 14 Jahre bei der Familie. Ihre katholische Überzeugung, aber auch ihre Schuldgefühle als Katholiken bei Protestanten zu arbeiten, beeindrucken tief den protestantischen Trakl[13], französisch wird die einzige moderne Fremdsprache sein, die er in seinem Leben lernt. Trotzdem liest er später Rimbaud in der Übersetzung Karl Klammers (Pseudonym K.L. Ammer), mit dem er seit 1908 auch persönlich bekannt sein wird, und nicht im Original.

Die Kindheit Georg Trakls, und damit der grundlegend prägende Einfluss auf sein Leben, ist zwiespältig gespannt zwischen der Fassade bürgerlichem Lebens mit großer Wohnung, Gouvernante, Klavierunterricht und der misslungenen Ehe seiner Eltern, insbesondere der Zurückweisung der Mutter und damit dem Fehlen eines emotionalen Halts und einer ethisch-moralischen Orientierung.

Seine Umwelt beschreibt ihn als gesundes, lebhaftes und kräftiges Kind. Trakl selbst will bereits mit fünf Jahren einen Selbstmordversuch verübt haben, diesen gibt er auch in seiner Krankenakte 1914 an. Sein Umfeld bezeichnet das Unglück, bei dem er in einen Teich hineingerät[14], als "Geistesabwesenheit". Trakl sagt später dazu im Sinne der Figur des Fürsten aus Dostojewskis „Der Idiot“: „Bis ich 20 war, bemerkte ich nur Wasser“[15]

Kirschner spricht von einer frühkindlichen Fehlentwicklung, begleitet von starken inneren Ängsten.[16] Das Kind Georg zeigt eine starke Abneigung gegenüber jeder Art schneller Bewegung, die später auch der Mann Georg beibehalten wird.[17]

Buschbek schreibt später in seinem „Trakl- Ein Requiem“:

„Im Knaben erwacht ein Hass [...] gegen das stete Sichändern des ruhend Geliebten. Als den Feind erkennt er am Grunde überall die Bewegung. So lernt er alle Bewegung hassen.“[18]

Trakl liest schon zur Schulzeit fasziniert Nietzsche und Dostojewskij, den er, so Buschbek „bald ganz kannte.“[19]

In der katholischen Schule ist Trakl als einziger Protestant ein Außenseiter. Im Religionsunterricht an der protestantischen Nachbarsschule begegnet ihm jedoch Erhard Buschbeck, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. Im humanistisches Staatsgymnasium in Salzburg freundet er sich mit Karl Minnich, Franz Schwab und Osker Vonwiller an. Trakl erbringt schlechte Leistungen in Latein, Griechisch, Mathematik und auch in Deutsch. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Lektüre von Schiller und Goethe. Der Anteil österreichischer Autoren liegt bei nur 25 Prozent, die Moderne ist nicht vertreten. Nietzsche gilt als „Verderber des deutschen Geistesleben“ während Ibsen die Gesellschaft „verjauche“. Trakl wählt aus Protest Ibsens Schauspiel als Thema für einen freien Vortrag.

Trakl wird im Laufe seiner Schulzeit immer mehr als „mürrisch, zurückgezogen und arrogant“[20] beschrieben. Auf narzistische Kränkungen reagiert er mit Wutausbrüchen, er ist einerseits verletzbar und ‚mimosenhaft’ empfindlich, andererseits hebt der Freund Karl Röck hervor, konnte Trakl sich anderen gegenüber äußerst kalt und rücksichtslos verhalten.[21] Erste Drogenversuche, u.a. mit Chloroform, Alkohol und Zigaretten in Opium getaucht, fallen in diese Zeit:

„Um über die nachträgliche Abspannung der Nerven hinwegzukommen habe ich leider wieder zum Chloroform meine Zuflucht genommen. Die Wirkung war furchtbar. [...] ich wiederstehe der Versuchung mich durch solche Mittel wieder zu beruhigen, denn ich sehe die Katastrophe zu nahe.“[22]

[...]


[1] Heine, Gerhard: Vom „jüngsten Tag“ deutscher Dichtung. 1916. In: Expressionismus. Der Kampf um eine literarische Gesellschaft, hrsg. Von Paul Raabe, Zürich 1987, S. 86

[2] o. Hrsg.: Erinnerung an Georg Trakl. Zeugnisse und Briefe, Salzburg 1926. 3.ergänzte Aufl. 1966

[3] Trakl, Georg: Dichtungen und Briefe. Salzburger Ausgabe. Historisch-kritische Ausgabe. Herausgegeben von Walter Killy und Hans Szklenar, Salzburg 1969 (HKA Salzburg)

[4] Trakl, Georg: Sämtliche Werke. Innsbrucker Ausgabe. Historisch-kritische Ausgabe der Werke und des Briefwechsels. Photomechanischer Nachdruck der Erstausgaben. Herausgegeben von Eberhardt Sauermann und Hermann Zwerschina, Basel/ Frankfurt am Main 1995 (HKA Innsbruck)

[5] Zwerschina, Hermann: Die Chronologie der Dichtungen Georg Trakls, Innsbruck 1990 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe. Bd. 41)

[6] Klettenhammer, Sieglinde: Georg Trakl in Zeitungen und Zeitschriften seiner Zeit. Kontext und Rezeption, Innsbruck 1990 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe. Bd. 42)

[7] Hanisch, Ernst/ Fleischer, Ulrike: Im Schatten berühmter Zeiten. Salzburg in den Jahren Georg Trakls 1887-1914, Salzburg 1986 (=Trakl-Studien, Bd. XIII)

[8] Möglicherweise ist ein Grund für den Ortswechsel, dass kurz zuvor ihr erster Sohn, Gustav, stirbt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass das erste in Salzburg geborene Kind ebenfalls wieder "Gustav" getauft wird.

[9] Barbara Bondy: „Ein Kind wie wir anderen auch...“ Unterhaltung mit dem Bruder Georg Trakls. In: Die neue Zeitung. 2./3. Februar 1952. Zitiert nach: Heckmann, Ursula: Das verfluchte Geschlecht. Motive der Philosophie Otto Weiningers im Werk Georg Trakls, Frankfurt 1992 (= Literarhistorische Untersuchungen. Bd. 21), S. 141

[10] Basil, Otto: Georg Trakl, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1983, S. 27

[11] ebenda, S.28

[12] Spoerri, Theodor: Georg Trakl. Strukturen in Persönlichkeit und Werk, Bern 1954, S.42

(In Zukunft zitiert als Spoerri)

[13] Entgegen dem Salzburger Trend (98 % Katholiken) ist die Familie Trakl protestantischen Glaubens.

[14] Es wird beschrieben, „er lief bis nur noch sein Hut zu sehen war.“ Saas, Christa: Georg Trakl, Stuttgart 1974, S. 28 (In Zukunft zitiert als Saas)

[15] ebenda, S.30

[16] Kirschner, Mechthild: Die Metaphorisierung des vegetativen Lebensbereiches in der frühen Lyrik Else Lasker- Schülers und Georg Trakl, Frankfurt am Main 1990 (= Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1208), S. 162 (In Zukunft zitiert als Kirschner)

[17] Vorfälle werden berichtet, bei denen Trakl nach eigener Aussage sich einem Pferd und auch einer Straßenbahn in den Weg geworfen hat.. Saas, S. 29

[18] Trakl – Ein Requiem, in: Erhard Buschbek. Minus Austriacus. Aus dem nachgelassenen Werk. Hg. Von Lotte von Tobisch, Salzburg/ Stuttgart 1962, S. 59. Zitiert nach Kirschner, S. 162f

[19] Saas, S.30

[20] Saas, S. 29

[21] Spoerri, S.32

[22] HKA Salzburg, Bd. I, S. 469

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Grodek - Zur Person Georg Trakls unter besonderer Berücksichtigung seines letzten Gedichtes "Grodek"
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)  (Institut für Neuere und Neueste Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
30
Katalognummer
V30903
ISBN (eBook)
9783638320641
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr ausführliche Arbeit über Georg Trakl, speziell über Grodek. Mit ausführlicher Biographie und sehr viel benutzter, sprich in der Arbeit auch wirkich zitierter Sekundärliteratur
Schlagworte
Grodek, Person, Georg, Trakls, Berücksichtigung, Gedichtes, Grodek, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Martina Busas (Autor:in), 2002, Grodek - Zur Person Georg Trakls unter besonderer Berücksichtigung seines letzten Gedichtes "Grodek", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30903

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