Abrechnungsmodelle zur patientenorientierten Arzneimittelversorgung. Ein europäischer Vergleich


Bachelorarbeit, 2010

35 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. PAV – Eine Frage der Vergütung

2. Definitionen
2.1 Patientenorientierte Arzneimittelversorgung (PAV)
2.2 Verblisterung
2.3 Compliance

3. Hauptteil: Abrechnungsmodelle im Vergleich
3.1 Deutschland
3.2 Schweden
3.3 Schweiz
3.4 Niederlande

4. Kosten der Patientenorientierten Arzneimittelversorgung
4.1 Unterschiede bei den Kostenträgern

5. Schlussfolgerungen/Zusammenfassung

Literatur/Quellen

Anhang
Anhang 1: Questions to Jan Dirk Kroon
Anhang 2: Fragen an Die Schweizer Krankenversicherer

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. PAV – Eine Frage der Vergütung

In Anbetracht der demographischen Entwicklung in Deutschland und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Sozialsystem sollen in dieser Arbeit die Abrechnungsmodelle der Patientenindividuellen Arzneimittelversorgung (PAV) verglichen werden. 44.000 bis 98.000 Patienten sterben jährlich in US-Krankenhäusern durch Medikamenten-Irrtümer. Vielfach wird den Patienten das falsche Medikament zugeteilt, noch häufiger ist die Dosis nicht auf den Patienten zugeschnitten. Er nimmt schlichtweg zu viel Arzneimittel ein und stirbt an einer Vergiftung. Mehr als zwei Drittel der Behandlungsfehler sind auf Defizite im Organisationsablauf zurückzuführen. Auch in Deutschland ist vieles verbesserungswürdig: 59 % der deutschen Krankenhausmitarbeiter beurteilen das Risikomanagement für verbesserungsbedürftig.1 Um den Zustand zu verbessern, also die fehlerhafte Arzneimittelzuteilung verringern zu können, gibt es die „Patientenorientierte Arzneimittelversorgung“ (PAV), die vor allem das Ver-blistern von Medikamenten enthält. Es handelt sich um eine Zusatzleistung des Apothekers, die er auch zusätzlich bezahlt bekommen muss. Die Arbeit geht den Fragen nach, wer die anfallenden Kosten der Verblisterung trägt, wie und durch wen die Verblisterung vergütet wird. Die Vergütung soll auch in reellen Zahlen (sprich Euro) verglichen werden. Zentrum der Arbeit ist der Vergleich der Abrechnung mit Kostenträgern in der Patientenorientierten Arzneimittelversorgung, d. h. bei der individuellen Medikamentenabgabe und im industriellen Verblistern von Medikamenten. Der Blick gilt neben Deutschland drei europäischen Nachbarländern, nämlich Schweiz, Niederlande und Schweden. Beim Vergleichen der Abrechnungsmodelle stellen sich die Fragen, ob einzelne Tabletten oder ganze Packungen abgerechnet werden, ob es einen Packungsaufschlag gibt und wie mit angebrochenen Verpackungen – also Verwurf – umgegangen wird. Weiterhin soll in dieser Arbeit untersucht werden, wer die Kosten der Patientenorientierten Arzneimittelversorgung trägt: Tragen die Apotheken oder die Krankenkassen die Kosten? Oder gibt es andere Kostenträger? Müssen eventuell die Patienten selbst zahlen?

Beim Vorgehen wurde überwiegend auf Literaturrecherche zurückgegriffen, wobei es sich in den wenigsten Fällen um klassische Lehrliteratur handelte. Neben Gutachten und Artikeln aus Ärzte- und Pharmaziejournalen mussten auch Tarifverträge und Gesetzestexte herangezogen werden. Vielfach waren diese Quellen nur im Internet zu finden. Über diese Recherche hinaus wurden auch entsprechende Experten direkt angesprochen und mittels eines Fragebogens befragt, in einem Falle auch telefonisch. Es stellte sich letztendlich als äußerst schwierig heraus, sämtliche für einen Vergleich in Euro notwendigen Daten aus allen vier Ländern zu generieren. Nichtsdestotrotz wurde versucht, einen möglichst ergiebigen Vergleich herzustellen.

Zunächst werden die Begriffe Patientenorientierte Arzneimittelversorgung (PAV), Verblisterung und Compliance definiert, da diese im Zentrum der Ausarbeitungen stehen. Im Hauptteil geht es um die Abrechnungssysteme der PAV in den vier ausgesuchten Ländern. Hier soll die Grundlage für den Vergleich der Abrechnungsmodelle gelegt werden. Vertiefend werden die Details der Patientenorientierten Arzneimittelversorgung pro Land skizziert, so dass diese bei Bedarf abschließend auch miteinander verglichen werden können. Die bereits in diesem Kapitel dargelegten Kosten der PAV werden im folgenden Abschnitt zusammengefasst und länderweise gegenübergestellt. Dann werden die Unterschiede bei den einzelnen Kostenträgern zusammengefasst, worauf eine grundsätzliche und abschließende Einschätzung der PAV und ihrer Finanzierung in Europa folgt.

2. Definitionen

Die zentralen Begriffe, die in dieser Arbeit eine Rolle spielen, sollen kurz definiert werden.

2.1 Patientenorientierte Arzneimittelversorgung (PAV)

Bei der PAV handelt es sich sozusagen um eine Kombination der Logistikleistung der patientenbezogenen Arzneimittellieferung „in Unit-Dose System mit der pharmazeutischen Dienstleistung der patientenindividuellen Arzneimitteltherapieoptimierung“ auf der Station der Einrichtung.2 Es ist eine innovative Logistiklösung für die Belieferung von Arzneimitteln in stationären Einrichtungen. Für jeden Einnahmezeitpunkt des Patienten wird mit Hilfe eines Blisterautomaten die entsprechende Dosis eine Woche im Voraus vorbereitet und den Einrichtungen zeitnah zur Verfügung gestellt. Stichwort ist die „Unit-Dose-Versorgung“. Damit ist die auf den individuellen Patienten abgestimmte Versorgung mit einzeln abgepackten Medikamenten gemeint. Es handelt sich um eine Gesamtlösung „aus elektronischer Verschreibung mit Dosier- und Interaktionsprüfung, automatisierter patientenbezogener Kommissionierung von Einzeldosen und IT- / Barcode-gestützter Verabreichungsdokumentation sowie einer entsprechenden Ablauforganisation.“3 Die Vorteile liegen auf der Hand: Unit-Dose-Versorgung erhöht die Arzneimittel- und Patientensicherheit und senkt das Arzneimittelbudget um bis zu 15 Prozent.4

2.2 Verblisterung

Verblisterung oder Verblistern ist ein Teil der PAV. Mit Verblistern ist gemeint, Produkte in eine Blisterpackung abzufüllen. „Im Gesundheitswesen ist damit die Verpackung von Medikamenten und insbesondere die patientenindividuelle Neuverblisterung von Medikamenten gemeint.“5 Normalerweise werden Medikamente in Tablettenform bereits vom Hersteller in Blisterverpackungen geliefert. Allerdings stellen Verblisterungen – wie in Folge der Arbeit noch aufgezeigt werden soll – nicht immer die optimale Darreichungsform für den Patienten dar. „Insbesondere ältere Patienten, denen mehrere Medikamente verschrieben werden, sind mit der Einnahme industriell verblisterter Arzneimittel in der jeweils vorgeschriebenen Menge und zur passenden Zeit oft überfordert. In Pflegeheimen, wo keine Großpackungen verwendet werden dürfen, verbringt das Pflegepersonal viel Zeit damit, die Medikamente aus den handelsüblichen Blisterverpackungen zu entfernen und die Arzneimittel für jeden Patienten individuell zur Verfügung zu stellen.6 Bei den auch als Unit-Dose-Medikationen bezeichneten Verpackungen handelt es sich um Arzneimittelpackungen, bei denen die Tagesmedikation für jeden Patienten individuell zusammengestellt wird und auf denen die Chargennummer, Dosis, Haltbarkeit und der Patientenname vermerkt sind.

Per Definition bedeutet Unit – Dose die Bezeichnung für die industriell oder durch die Apotheke konfektionierte Einzeldosis einer Arzneizubereitung. Grundsätzlich unterscheidet man bei der Unit – Dose Arzneimittelversorgung zwischen single – dose und multi – dose Arzneimittelverpackungen. Single – dose Verpackungen enthalten nur ein Arzneimittel, während multi – dose Verpackungen mehrere Arzneimittel enthalten können, wenn der Patient zu einem Einnahmezeitpunkt mehrere Arzneimittel verordnet bekommen hat.

„Verblisterung ist ein Trend, mit dem viele Heime in den Grundzügen schon vertraut sind. Wichtig ist ihnen dabei die Kosteneinsparung durch den geringeren Aufwand beim Stellen.“7 Der Apotheker hat die Vorteile, mit folgenden Angeboten an Heime als potenzielle Kunden heranzutreten: So werden examinierte Pflegekräfte, die bisher für das manuelle Stellen verantwortlich waren, entlastet. Diese können ihre Zeit wieder stärker den Heimbewohnern widmen. Die Zeitersparnis soll einer Viertel-Vollzeitstelle bei 50 Bewohnern entsprechen. „Das Heim wird beim Rezeptmanagement entlastet, indem die Apotheke regelmäßig ein fertig ausgefülltes Formular für die Rezeptbestellung zur Verfügung stellt. Bestandskontrolle und Nachschub erfolgen quasi automatisch. Für die verblisterten Arzneimittel muss sich das Heim nicht mehr um die Rezept-Nachbestellung kümmern. Das Heim kann seine Stationsbestände klein halten und auf aufwändige Verfallsdatenkontrolle verzichten.“8

Für die Patienten hat das Verblistern den großen Vorteil, dass Falsch-medikationen vermieden werden. Untersuchungen zeigen, dass beim klassischen händischen Bereitstellen von Arzneimitteln ein höheres Risiko des Falschstellens besteht. Die Gefahr einer Falscheinnahme ist höher im Vergleich zum Einsatz maschinell gefertigter Wochenblister. Abrechnungstechnisch handelt es sich bei der Verblisterung um eine Zusatzleistung eines industriellen Verblisterers, einer Apotheke oder eventuell eines pharmazeutischen Unternehmens. Diese Zusatzleistung muss bezahlt werden. Wie bereits eingangs formuliert, ergeben sich Fragen danach, ob einzelne Tabletten, oder ganze Packungen erstattet werden, ob es einen Packungsaufschlag fürs Verblistern gibt oder wie bei Medikationsänderung mit angebrochenen Packungen – dem Verwurf - verfahren wird. Weiterhin ergibt sich die Frage, wie hoch die Kosten für den Versicherungsträger sind, also wie viel der Träger für die Patientenorientierte Arzneimittelversorgung im jeweiligen Land zahlt.

2.3 Compliance

Der Begriff Compliance wird in der Literatur unterschiedlich verwendet.9 Er kann zunächst mit „Therapietreue“ übersetzt werden. Wörtlich kann man ihn Einwilligung oder Zustimmung übersetzen; er bildet jedoch nur einen Teil der Thematik ab. Die WHO versteht darunter „das Ausmaß, in dem das Verhalten eines Patienten in Bezug auf Arzneimitteleinnahme, Befolgen eines Ernährungsplans oder Anpassungen der Lebensweise mit den Empfehlungen eines Heilberuflers übereinstimmt“.10 Manchmal wird der Begriff übersetzt mit „sich an die Vorgaben halten“, an anderen Stellen in der Literatur soll die Begrifflichkeit Konkordanz eine aktive Rolle des Patienten zum Ausdruck bringen. In dieser Arbeit soll die Bezeichnung als Synonym für Therapietreue benutzt werden.

Interessant, weil problematisch, ist für diese Arbeit natürlich die nicht funktionierende Therapietreue. Entsprechend wird das Ausmaß der Non-Compliance „je nach Krankheitsbild zwischen 12 und 35 Prozent (durchschnittlich 25 Prozent) geschätzt. Vor allem Patienten mit Atemwegserkrankungen, Diabetes mellitus und Schlafstörungen halten sich oft nicht an ihre Medikation. Bei vielen Langzeitbehandlungen wurden Compliance-Raten zwischen lediglich 40 und 50 Prozent ermittelt. Die Auswirkungen werden in der Praxis häufig unterschätzt.“11 Es ist kein Geheimnis, dass Non-Compliance das Therapieergebnis bis hin zur Unwirksamkeit beeinflussen kann. Eine Untersuchung bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz, die Candesartan beziehungsweise Placebo erhielten, konnte zeigen, dass mangelnde Therapietreue mit einem signifikant erhöhten Sterberisiko verbunden war.12

3. Hauptteil: Abrechnungsmodelle im Vergleich

Als Grundlage der Recherche zum Vergleich der länderspezifischen Abrechnungsmodelle wurden die jeweiligen Kostenträger, Leistungserbringer, bzw. deren Verbände direkt oder mittels Fragebogen angesprochen. Auf Grund der wenig vorhandenen Lehrliteratur wurden Gesetzestexte, Tarifverträge und medizinisch pharmazeutische Veröffentlichungen berücksichtigt. Diese verarbeiteten Informationen und Quellen stammen hauptsächlich aus dem Internet.

3.1 Deutschland

Aus Arzneimittel- und Apothekenrecht ist das industrialisierte Verblistern durch einen Dienstleister im Auftrag des Apothekers zulässig.13 „Die Neuverblisterung von Medikamenten durch Apotheken ist gesetzlich geregelt. Apothekern ist laut einem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aus 2006 erlaubt, die Verblisterung von Tabletten als Dienstleistung anzubieten. Es bedarf nach Ansicht des OVG für das Verblistern weder einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG noch einer Zulassung des Arzneimittels nach § 21 AMG.“14

Dies sind zumindest erst einmal die Grundlagen. In der Praxis überträgt die Apotheke die Verblisterungs-Aufgabe auf einen Dienstleister, der die Arznei-mittel für jeden einzelnen Patienten nach der ärztlichen Verschreibung verblistert und an den Apotheker zur Weitergabe an den Patienten liefert. Welche Art der Verblisterung – egal ob Blisterkarte, Schlauchbeutel, Multidose, Unit dose - durchgeführt wird, muss immer individuell je nach Kundenwünschen und -bedürfnissen entschieden werden.15

In Deutschland gibt es mehrere Projekte, in denen Zusatzleistungen auch zusätzlich vergütet werden, eines davon initiiert von der AOK Bayern.16 Zu den Teilnehmern gehören etwa 550 Heimbewohner in 17 Pflegeheimen und zehn Apotheken. Die AOK Bayern übernimmt die Kosten. So erhält der beteiligte Apotheker für die patientenindividuelle Arzneimittelverblisterung pro Woche und Patient eine Vergütung für die pharmazeutische Leistung und weiterhin eine Vergütung für die Verblisterung. Das Projekt dauert im Herbst 2010 an, so dass aussagekräftige Ergebnisse noch nicht vorliegen. Auch die AOK Rheinland/Hamburg plante Anfang 2010 in NRW ein Modellprojekt in Pflegeheimen und mit ambulanten Pflegediensten. Partner sollen vier Apotheken im Rheinland sein. „Mit den Apothekern rechnet die Kasse demnach tablettengenau ab, bezogen auf den Herstellerabgabepreis der größten im Markt befindlichen Packung. Für die pharmazeutische Leistung sollen die Apotheker zusätzlich 4 Euro pro Patient und Woche erhalten, für die sonstigen Leistungen im Rahmen der Verblisterung 3,50 Euro.“17

Andere Länder sind weiter. Um Erkenntnisse für Deutschland zu erzielen, greifen Autoren auf Studien zurück, etwa aus Dänemark. Lauterbach bezieht sich unter anderem auf eine Studie, die untersuchte, welche Kosten für Krankenhausaufenthalte bei den Indikationen Hypertonus, chronische Herzinsuffizienz und koronare Herzkrankheit bei der Altersgruppe der über 60-jährigen in Deutschland durch eine Arzneimittelgabe über Blister in Altenheimen maximal vermieden werden könnte. „Dies bewegt sich bei einer Reduktion der Krankenhausaufenthalte um 2% bzw. 5% allein schon für diese vier Diagnosen bei 94 Mio. €, wenn 46% angesetzt werden bei 870 Mio. €.“18 Lauterbach überträgt die Daten auf Deutschland. Demnach wären bei einer Versorgung von 1% der Bevölkerung in Deutschland „etwa 560 Mio. € jährliche Einsparungen für vermiedene oder verkürzte Krankenhausaufenthalte und Ambulanzbesuche erwartbar. Bei einer Versorgung von 3% der Bevölkerung könnten maximal bis zu 3,4 Mrd. € jährlich eingespart werden. Die Versorgung mit Blistern für den entsprechenden Anteil an der deutschen Bevölkerung würde davon etwa minimal 144 bis maximal 432 Mio. € an Ausgaben für den Anbieter einer Verblisterung kosten; ggf. entstehen weitere Kosten für die Bezahlung der Beratungsleistung der Apotheken“, führt der Autor aus.19

Lauterbach berichtet weiterhin von einer selbst angestrengten Studie. Er geht dabei grundlegend davon aus, dass den über 60-jährigen in Deutschland 56% des gesamten GKV-Fertigarzneimittelumsatzes verschrieben werden. Entsprechend ergäbe sich eine Gesamtsumme von 13,5 Mrd. €. „Geht man davon aus, dass davon etwa die Hälfte verblisterbare Medikamente sind, könnten also allein durch Verblisterung davon 6,0% auf Grund von Vermeidung von Restmengen und den Preisvorteilen durch eine tablettengenaue Abrechnung bei Einkauf von nichtindividuell zugeordneten preislich günstigeren Verpackungseinheiten eingespart werden. Dies entspricht im Maximalszenario einer absoluten Summe von etwa 417 Mio. € im Jahr 2003.“20 Natürlich gibt es noch weitere Kosten. Dazu greift Lauterbach wiederum auf die dänischen Daten zurück. Weiterhin bezieht er die Ergebnisse einer amerikanischen Studie auf die BRD und legt 50% Umsatz durch verblisterbare Medikamente zugrunde. In der entsprechenden Gruppe könnte die Verblisterung rund 140 Mio. € pro Jahr durch vermiedenen Verwurf und Preisvorteilen auf Basis von Packungsgrößen erbringen.

„Dem stünden Ausgaben für die Verblisterung von ca. 296 Mio. € gegenüber. Einsparungen auf Basis von vermiedenen Krankenhausaufenthalten etc. wären noch nicht in Anschlag gebracht“, heißt es weiter.21

Es ist aber so, dass sehr viele Apotheker die Arzneien noch per Hand sortieren. „Die Versorgung eines Patienten mit handverlesenen Medikamenten kostet bis zu neun Euro pro Woche. Apotheker, die ihre Arzneien von Blisteranbietern maschinell sortieren lassen, könnten bis zu zwei Drittel günstiger fahren…Häufig bleiben die Apotheker auf den Kosten für die Verblisterung sitzen. Allerdings geht man in dem Bericht davon aus, dass die Kassen über kurz oder lang die Kosten für die Dienstleistung übernehmen. Im Ausland sei das bereits üblich, „so in Holland, wo bereits die Hälfte der Patienten in Heimen maschinell sortierte Arzneimittel erhalten. Die Kassen können mit der Verblisterung Kosten einsparen. Da die Patienten abgezählte Tabletten erhalten, ist eine genauere Abrechnung möglich.“22 Die große Nachfrage werde erst kommen, wenn die Honorierung geklärt ist. Als Beispiel wird ein Unternehmer genannt, der im Saarland eine aktive Gesellschaft gegründet hat. Seine Kunden sind Apotheker, die Heime oder ambulante Pflegedienste betreuen. „Derzeit kann er für 2500 Patienten Wochenblister herstellen. Er hält es für möglich, die Heime zur Kostenübernahme zu überreden, sollte eine Kassenerstattung nicht zustande kommen. Sie sparen durch die Verblisterung viel Zeit und erhöhen die Qualität ihrer Medikamentenversorgung."23 Denn den Pflegekräften können Fehler unterlaufen, wenn sie Arzneimittel per Hand sortieren. Bei den Blister-Herstellern sollen die Maschinen und strenge gesetzliche Auflagen dafür sorgen, dass es nicht zur Falschmedikation kommt. Apotheker, die nicht nur für die eigenen Kunden, sondern auch für Kollegen verblistern, gelten als Arzneimittelproduzenten. Um eine Herstellererlaubnis zu bekommen, müssen sie ihre Sortiermaschine in einem Reinraum aufstellen und den Inhalt eines jeden Blisters kontrollieren, bevor sie ihn ausliefern. Um alle Anforderungen zu erfüllen, müssen die Apotheker Millionenbeträge investieren. Manche suchen sich daher finanzstarke Partner“, so die Ausführungen weiter.24

Ein bestimmtes Modell hat sich in der Diskussion noch nicht herauskristallisiert. Der 2009 entstandene Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV) möchte die verblisterten Arzneimittel am liebsten tablettengenau abrechnen. Weiterhin sollten aus Sicht des BPAV die Kosten für den Blister sowie für die pharmazeutische Dienstleistung bezahlt werden. Vorstellbar wäre hier die tablettengenaue Abrechnung auf Basis der grössten im Markt befindlichen Packung, zuzüglich einem Fixhonorar von 10 Cent pro Tablette und einen Aufschlag von 3 Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis zuzüglich der gesetzlich vorgeschriebenen Mehrwertsteuer. Die entspräche 57 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer pro verblisterter Tagesmedikation, bzw. 3,99 Euro für die Wochenmedikation.25

Im Modellprojekt der AOK Bayern wird eine pauschale Vergütung favorisiert, in diesem Falle drei Euro für den Blister. Der BPAV lehnt diese Pauschalvergütung ab, da es einen großen Unterschied ausmache, ob etwa vier oder 16 Arzneimittel verordnet sind.26

3.2 Schweden

Der gute Überblick über die Abrechnungsmodalitäten der PAV in Schweden ist ebenfalls Lauterbach zu verdanken.27 Ihm wurden unpublizierte Daten der nationalen Apothekenorganisation und Forschungsergebnisse zur Verfügung gestellt. Weiterhin unternahm er eine intensive Literaturrecherche. In Schweden beträgt die aktuelle Vergütung an Apoteket 6 SEK/Person/Tag, ungefähr 2.200 SEK, umgerechnet etwa 233 Euro pro Jahr. „Es werden 3,1 Mio. SEK für 1.000 Patienten gespart, da die Medikamente billiger abgegeben werden können.“28 Entsprechend lässt sich das Einsparungspotenzial Apotekets wie folgt berechnen: Wenn Bulkware, also nicht für den Endverbraucher bestimmte Waren in großer Liefermenge, benutzt wird, können „500 SEK/Person/Jahr (ca. 55 €) eingespart werden. Über geringeren Verwurf können weitere 800 SEK/Person/Jahr eingespart werden. Dem stehen Ausgaben in Höhe von 2,2 Mio. SEK für Verblisterung gegenüber. Dies bedeutet eine Einsparung für Apoteket ohne Effekte auf Krankenhauseinweisung etc. von 0,9 Mio. SEK pro 1.000 Patienten mit Verblisterung.“29

1999 wurden im Zuge einer Studie30 zwei Stockholmer Pflegeheime, die mit verblisterten Medikamenten im System ApoDos von Apoteket beliefert wurden, mit zwei anderen verglichen, die allerdings auch beide ein unterschiedliches Medikamentendispensierungssystem aufwiesen. „Ein Heim benutzte die klassischen Einzelrezepte und hatte einen Medikamentenvorrat auf den Stationen. Das zweite Heim hatte einen Vorrat auf den Stationen, jedoch wurden die Packungen nicht den Bewohnern zugeordnet, sondern wie in deutschen Krankenhäusern wurde eine Packung für alle Bewohner benutzt, die dieses Medikament benötigen. Die Heime wurden auf die Aspekte Kosten, Arbeitszeit der Pflegekräfte (nur ausgebildete bis auf ein Heim) und Sicherheit untersucht.“31 Das Heim mit den Packungen für alle Bewohner verschwendete genauso viel wie eines der Heime mit dem Blistersystem. Als die Medikation verändert wurde, ergaben sich für Heime mit dem ApoDos-System dieselben Kosten wie bei dem Heim, das einen Vorrat für alle Bewohner hatte.32 Diese Studie, so Lauterbach, ist aber nicht repräsentativ für Schweden und liefert auch kein Ergebnis, dass das eine System besser ist als das andere.

[...]


1 v. Eiff, W.: Patientenorientierte Arzneimittelversorgung, http://www.md-institute.com/cms/ressorts/gesundheitsoekonomie/Patientenorientierte-Arzneimittelversorgung.pdf, Abgerufen am: 2010-09-30.

2 Steimle, T.: Patientenorientierte Arzneimittelversorgung, http://www.gaa-arzneiforschung.de/e1256/e1353/e1377/infoboxContent1385/2004-2-5Steinle_ger.pdf, Abgerufen am: 2010-09-30.

3 Medinfo: http://medinfoweb.de/apps/webeditor//files/Fachtagung-Unit-Dose_im_Krankenhaus1.pdf

4 Ebd.

5 Sananet: Was ist verblistern? http://verblistern.com/verblistern.html, Abgerufen am: 2010-09-13.

6 Ebd.

7 Apoblist: http://www.apoblist.de/vorteile-des-verblisterns.html, Abgerufen am: 2010-09-13.

8 Ebd.

9 Simons, S., Roth, S., Jaehde, U.: Therapietreue dauerhaft verbessern. In:

Pharmazeutische Zeitung, http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=4148. Abgerufen am: 2010-09-13.

10 Adherence to Long-Term Therapies: Evidence for Action. New York WHO 2003.

11 Adherence to Long-Term Therapies: Evidence for Action. New York WHO 2003.

12 Ebd.

13 Kohl-Gruppe: Das System, https://www.7x4-pharma.com/unternehmen/das_system.php#top, Abgerufen am: 2010-10-10.

14 Sananet: Verblistern, http://www.verblistern.com/apotheke.html, Abgerufen am: 2010-10-10.

15 Sananet: Verblistern, http://www.verblistern.com/apotheke.html, Abgerufen am: 2010-10-10.

16 Neubauer, G.: Neue Wege in der Patienten-Heimversorgung: IfG Institut für Gesundheitsökonomik. Düsseldorf 2010.

17 Apotheke-Adhoc: Blister-Projekt, http://www.apotheke-adhoc.de/Nachrichten/Apothekenpraxis/9032.html, Abgerufen: 2010-10-11.

18 Lauterbach, K.: Verblisterung von Arzneimitteln für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege. Köln 2005, S. 5.

19 Lauterbach, K.: Verblisterung von Arzneimitteln für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege. Köln 2005, S. 5.

20 Ebd., S. 64.

21 Ebd.

22 Ebd.

23 Krieger, F.: Von Apothekern für Apotheken, In: Ärzte-Zeitung, http://www.aerztezeitung.de/medizin/med_specials/apothekerplus/?sid=495727. Abgerufen am: 2010-10-11.

24 Ebd.

25 http://www.apotheke-adhoc.de/Nachrichten/Politik/11459.html abgerufen am 2010-10-28

26 Ebd., S. 66.

27 Lauterbach, K.: Verblisterung von Arzneimitteln für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege. Köln 2005.

28 Ebd.

29 Ebd.

30 Apoteket: En Studie av Läkemedelshantering på fyra sjukhem i Södra Stockholm 2003 (Interne Studie).

31 Lauterbach, K.: Verblisterung von Arzneimitteln für Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und in der häuslichen Pflege. Köln 2005, S. 81.

32 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Abrechnungsmodelle zur patientenorientierten Arzneimittelversorgung. Ein europäischer Vergleich
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (HCM)
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
35
Katalognummer
V308593
ISBN (eBook)
9783668110502
ISBN (Buch)
9783668110519
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
abrechnungsmodelle, arzneimittelversorgung, vergleich
Arbeit zitieren
Jens Günther (Autor:in), 2010, Abrechnungsmodelle zur patientenorientierten Arzneimittelversorgung. Ein europäischer Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308593

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