Kritische Analyse des internationalen Steuerwettbewerbs. Wirtschaftliche Auswirkungen und staatliche Interventionsmöglichkeiten


Bachelorarbeit, 2015

63 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis.

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel und Vorgehensweise

2 Steueroase
2.1 Begriff und Definition
2.1.1 Steuern
2.1.2 Steueroase
2.1.3 Grundmodell rationaler Steuerhinterziehung
2.2 Formen von Steueroasen
2.2.1 Offshore-Finanzplatz
2.2.2 Gewinnverlagerung und Verrechnungspreise.
2.2.3 Onlineunternehmen
2.2.4 Wohnsitzverlagerung.

3 Internationaler Steuerwettbewerb.
3.1 Begriff und Definition
3.2 Tiebout-Modell
3.3 Pro und Kontra des internationalen Steuerwettbewerbs
3.4 Steuerwettbewerb vs. Steuerharmonisierung

4 Auswirkungen des fiskalischen Wettbewerbs
4.1 Zahlen, Daten und Fakten
4.2 Steuerbelastung
4.3 Direktinvestitionen.
4.4 Beschäftigungsgrad und Lebensstandard
4.5 Negative Auswirkungen
4.6 Entwicklung der Steueroasen

5 Maßnahmen gegen schädlichen Steuerwettbewerb
5.1 Unterbindung von Missbrauch durch die OECD
5.2 Unterbindung von Missbrauch durch die Europäische Union
5.3 Unterbindung von Missbrauch durch Deutschland

6 Lösungsansätze

7 Fazit

Literaturverzeichnis

Rechtsquellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Steueroasen der Welt

Abbildung 2: Allingham-Sandmo-Grundmodell

Abbildung 3: Double Irish with a Dutch Sandwich

Abbildung 4: Effekte nach der Tiebout Hypthese

Abbildung 5: Unternehmenssteuern im internationalen Vergleich

Abbildung 6: Investitionsentscheidung durch Steuerbelastung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Vor- und Nachteile des Steuerwettbewerbs

Tabelle 2: Entscheidungswirkung durch effektive Steuerbelastung

Tabelle 3: Trend zur Senkung von unternehmensbezogenen Steuern

Tabelle 4: Prominente Fälle von Steueroasen

Tabelle 5: Strafrahmen bei Steuerdelikten

Tabelle 6: Vergleich internationaler Patentboxen

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Unternehmerische Entscheidungen wie die Wahl des Standortes oder des optimalen Kapitalstocks werden mitunter durch die Steuern des jeweiligen Landes beeinflusst. Um sich eine vorteilhafte Position im international geführten Steuerwettbewerb zu sichern, wählen die Länder ein Steuersystem, welches Unternehmen bzw. deren Niederlassung in ihr Staatsgebiet bewegt. Beweggründe für den Staat sind hier in erster Linie die zusätzlichen Steuereinnahmen und die durch Industrieansiedlungen geschaffenen Arbeitsplätze. Deutschland wie auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union diskutieren in jüngerer Vergangenheit sehr angestrengt den Umgang mit der Thematik Steueroasen. In diesem Zusammenhang werden die meisten der heute weltweit bekannten Steueroasen mit Begrifflichkeiten wie „Steuerparadies“ oder „Steuerwüste“ konfrontiert, da sie besonders niedrige Steuerlasten und eher dürftige Steuergesetze anbieten.

Der Umstand, dass sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen die zum Teil sehr unterschiedlichen Steuergesetze in den Mitgliedsländern zu ihrem Vorteil ausnutzen, führt neben der klassischen Steuerhinterziehung zu enormen Steuerausfällen. Gesetzliche Kontrollen bzw. die finanzielle Offenlegung von Finanztransaktionen in den betroffenen Gebieten ist nicht oder nur in sehr geringem Umfang vorhanden. Ein sehr striktes Bankgeheimnis und weitere Schutzmaßnahmen sind bezeichnend für den Mangel an effektiv steuerlichem Informationsaustausch. International tätige Unternehmen, die ihre Einkünfte in Steueroasen erwirtschaften oder dorthin verschieben, können sich durch diese Umstände einer genauen Überprüfung durch ausländische Steuerbehörden entziehen. Darüber hinaus profitieren diejenigen von Steueroasen, die sowohl die Herkunft ihres Einkommens verbergen als auch der Steuerlast ihrer Heimatländern entgehen wollen. Der Publizist und Aphoristiker Hans-Horst Skupy, bringt es für die Allgemeinheit auf den Punkt: „Steueroasen spenden nur Reichen Schatten.“1 Hinzu kommen politisch motivierte Entscheidungen in Verbindung mit Rechtsprechungen, die im international geführten Steuerwettbewerb teilweise auch zu Steueroasen führen.2 Fürst Hans-Adam II von Liechtenstein, seit 1989 Staatsoberhaupt einer beliebten Steueroase, erklärte dazu: „Steuern sind schon immer hinterzogen worden. Aber mit den aufgeblähten Sozialkosten und Steuerlasten wird die Versuchung zur Steuerflucht für immer breitere Schichten unwiderstehlich. Solange man also in den wohlhabenden Ländern Steuerwüsten schafft, solange wird es auch Steueroasen geben.“3

Der international geführte Steuerwettbewerb bietet neben den damit einhergehenden positiven Veränderungen im Land auch einen Nährboden für diverse Steuervergehen. Repräsentativ sind hier große Schlagzeilen in Tageszeitungen oder diversen Nachrichtensendern, die in der Vergangenheit immer häufiger Großunternehmen oder gar Prominente durch ihre Steueraffären ins Licht der Ermittlungsbehörden rückten. Die Häufigkeit dieser Meldungen zeigen deutlich, dass Steueroasen ein aktuelleres Thema sind denn je. Mit steigender Komplexität des deutschen Steuerrechts, einer Verschärfung der Rechtsprechung sowie zunehmenden internationalen Verflechtungen sind Steueroasen keineswegs nur ein nationales Problem.

1.2 Ziel und Vorgehensweise

Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob ein direkter Zusammenhang von Steueroasen und dem international geführten Steuerwettbewerb besteht. Dabei gliedert sich die Arbeit in sieben Abschnitte. Nach der Einleitung beschäftigt sich Abschnitt zwei zunächst mit Begriffsklärungen bzw. den theoretischen Grundlagen von Steueroasen. Hierfür werden dem Begriff Steueroase für eine spätere Analyse verschiedene Wirkungsgrade unterstellt. Weiterhin soll unter Betrachtung des Modells von Alligham & Sandmo (1972) der finanzielle Vorteil durch Steuerhinterziehungen im Zusammenhang mit Steueroasen darlegt und darüber hinaus diverse Formen von Steueroasen erörtert werden.

Anschließend soll noch ein Modell von Charles M. Tiebout (1956) betrachtet werden, welches die Wirkungen des internationalen Steuerwettbewerbs auf politische Entscheidungsträger und Unternehmen bzw. Privatpersonen illustriert. Ein Vergleich der Vor- und Nachteile des internationalen Steuerwettbewerbs soll darlegen, in wie weit davon betroffene Staatsgebiete, Unternehmer bzw. Investoren einen Nutzen haben oder benachteiligt werden. Es soll herausgestellt werden, ob Steueroasen per Definition ein Resultat des internationalen Steuerwettbewerbs sind. Um erklären zu können, wie sich der steuerliche Wettbewerb auswirkt ist es wichtig, die wichtigsten Steueroasen der Welt zu kennen.

Der vierte Abschnitt beschäftigt sich daher mit der Analyse von nominaler und effektiver Steuerbelastung, dem Beschäftigungsgrad und Lebensstandart sowie dem Ausmaß entgangener Steuereinnahmen. Dabei wird zunächst dargelegt, wie viel Finanzvermögen im internationalen Steuerwettbewerb bewegt wird und wie sich unterschiedlich hohe Steuerraten auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Lassen sich Hinweise finden, dass Steueroasen ausländische Unternehmen und Investoren eher anziehen als Länder mit hohen Steuerraten? Können Steuergesetze und damit verbundene Rahmenbedingungen der Länder den Standort und das Ausmaß von ausländischen Finanzvermögen potentiell beeinflussen? In welcher Weise werden dadurch den anderen Ländern fiskalische Effekte auferlegt? Mit Hilfe der Literatur soll versucht werden, diese Fragen zu beantworten.

Im fünften Abschnitt soll sowohl auf die internationalen als auch nationalen Maßnahmen gegen einen schädlichen Steuerwettbewerb eingegangen werden. Hierzu werden diverse politische Aktionen, Gesetzesvorlagen und bereits umgesetzte Steuervorschriften näher erläutert. Am Beispiel des deutschen Steuerrechts sollen dazu mögliche Sanktionen dargelegt werden. Im abschließenden Teil dieser Arbeit sollen die gewonnen Erkenntnisse zu möglichen Lösungsansätzen für die derzeitig steuerrechtliche Lage sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene führen. Letztendlich werden die Ergebnisse dieser Arbeit noch einmal zusammengefasst und daraus Schlussfolgerungen gezogen.

2 Steueroase

2.1 Begriff und Definition

2.1.1 Steuern

Steuern werden gemäß § 3 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) definiert als „[...] Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“ Hiernach sind Steuern als Zwangsabgaben zu bezeichnen, die keine vertragliche Grundlage besitzen und deren Geldleistungen nur Bund, Ländern, Gemeinden/Kommunen sowie steuerberechtigten Kirchen zufließen.4

2.1.2 Steueroase

Definiert man den Begriff nach der Vergabe von Steueranreizen, sind die meisten Nationen der Welt als Steueroase zu bezeichnen. Angefangen von Steuervergünstigungen für Schriftsteller in Sri Lanka über die Mezzogiorno- Vergünstigungen5 in Italien oder die jetzigen Förderungen in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland. Das sind jedoch Sonderfälle, die lediglich auf vereinzelte Teilbereiche der Steuergesetze begrenzt sind.6

Die vorliegende Arbeit geht daher von einem allgemeinen Verständnis einer Steueroase aus. Ein Gebiet oder ein Staat, dass mit den dort geschaffenen gesetzlichen Regelungen die Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung fördert, wird als Steueroase (auch Steuerparadies genannt) bezeichnet.7

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erklärte unlängst Länder für Steueroasen, die:

- nur geringe oder gar keine Steuern erheben,
- weder steuerlichen Informationsaustausch noch
- Transparenz (z.B. striktes Bankgeheimnis) zeigen.

Dabei haben Steueroasen nicht immer zwangsläufig etwas mit Steuerhinterziehung zu tun. Durch das Einbeziehen ausländischer Gesellschaften versuchen Unternehmen Steuern zu vermeiden oder vermögende Personen mit ihrer Wohnsitzverlagerung ins Ausland eine Steuerlastreduzierung herbeizuführen. Dies ist völlig legitim, solange die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. In den meisten Fällen werden Steueroasen jedoch für illegale Steuervorteile genutzt.8

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Steueroasen der Welt

Als größte Steueroasen der Welt (vgl. Abb. 1)9 im Jahr 2013 galten (Top 10 in absteigender Rangfolge) die Schweiz, Luxemburg, Hong Kong, Cayman Islands, Singapur, USA, Libanon, Deutschland, Jersy (Kanalinsel) und Japan.10

Für die vorliegende Arbeit ist es daher notwendig, den Begriff Steueroasen unter drei Gesichtspunkten zu betrachten.

Steueroasen

- fungieren als ein Motor für die Wirtschaft und generieren dadurch Steuereinnahmen.
- sind ein probates Mittel zur internationalen Steueroptimierung (Steuervermeidung) und
- werden darüber hinaus für die Steuerhinterziehung missbraucht.

Steuervermeidung gilt als rechtlich zulässige Form der Steuerabwehr. Sie ensteht durch die bewusste Realisierung bzw. dem Unterlassen steuerbegründender oder -erhöhender Sachverhalte sowie durch das Ausnutzen steuermindernder Tatbestände (z.B. Standortwahl eines Unternehmens bei örtlich unterschiedlicher Gewerbesteuer).

Steuerhinterziehung wird in § 370 AO definiert und stellt nach § 369 AO eine Steuerstraftat dar. Darunter fallen insbesondere unrichtig oder unvollständig gemachte Angaben zu steuerlichen Tatsachen gegenüber Behörden (z.B. Finanzamt), die Verwendung von gefälschten bzw. nachgemachten Belegen oder das Ausnutzen der Stellung eines Amtsträgers zur Steuerverkürzung. Hier ist bereits nach § 370 Abs. 2 AO der Versuch Steuern zu hinterziehen strafbar.

Einen rein ökonomischen Erklärungsversuch für den gezielten Missbrauch bzw. die bewusst durchgeführte Steuerhinterziehung mittels Steueroasen, liefert das im folgenden Abschnitt erläuterte Modell.

2.1.3 Grundmodell rationaler Steuerhinterziehung

Das von Allingham und Sandmo (1972) veröffentlichte Modell eines rationalen Steuerhinterziehers veranschaulicht den finanziellen Vorteil eines Individuums durch Steuerhinterziehung.11 In der Literatur vielseitig beschrieben, dient es bis heute als Grundlage für weitere Modelle, wenn es um staatliche Entscheidungen hinsichtlich des Steuerrechts geht.

Betrachtet wird ein rationaler Steuerpflichtiger mit einem Bruttoeinkommen y, der eine nach dem Veranlagungsverfahren anteilige Einkommensteuer mit dem Satz t zu entrichten hat. Für den hinterzogenen Teil des Einkommens steht h und bildet damit die Basis für die Besteuerung (yh) .

Mit einer Wahrscheinlichkeit p wird dabei der Steuerbetrug aufgedeckt und im Gegenzug, dass die Steuerhinterziehung unentdeckt bleibt, ist die Gegenwahrscheinlichkeit (1− p) . Im Fall der Aufdeckung muss der Steuerpflichtige die hinterzogenen Steuern nachzahlen und darüber hinaus eine entsprechende Bestrafung in Kauf nehmen, welche ein Vielfaches s der hinterzogenen Steuern t - h ausmacht.

Somit lässt sich das Nettoeinkommen im „Ertappungsfall“ y E mit folgender Gleichung darstellen:

y E = yt - ys - t - h

Hat der Steuerpflichtige hingegen Glück und seine Tat bleibt unentdeckt, wird das Nettoeinkommen y G so dargestellt:

y G = yt -(yh)

Nach diesem Modell wird der „Homo Oeconomicus“ versuchen, soviel Steuern wie möglich zu hinterziehen, ohne sich dabei der Gefahr auszusetzen, entdeckt zu werden. Das bedeutet je größer die Wahrscheinlichkeit ist erwischt zu werden, desto kleiner ist der hinterzogene Betrag. Die folgende graphische Darstellung12 verdeutlicht das Allinhgam-Sandmo-Modell.13

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Allingham-Sandmo-Grundmodell

Dieses Modell ist bereits vielfältig erweitert und diskutiert worden. Daraus resultierende Ergebnisse haben jedoch für den Tenor dieser Arbeit keinen Nutzen und werden daher nicht weiter verfolgt.

2.2 Formen von Steueroasen

Wie bereits in Punkt 2.1.2 erläutert, kann der Begriff Steueroase nicht eindeutig definiert werden. Verschiebt man den Fokus - wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch damit assoziiert - jedoch nur auf die negativen Aspekte von Steueroasen (beispielsweise Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung), lassen sich diverse Vorgehensweisen klar definieren.

In diesem Zusammenhang sollen daher Einige der rechtlich zulässigen als auch rechtswidrigen Formen von Steueroasen näher erörtert werden.

2.2.1 Offshore-Finanzplatz

Die wohl bekannteste Form einer Steueroase ist nicht durch ihre geographische Lage gekennzeichnet14, sondern eher durch die vorherrschenden juristischen Gegebenheiten. Hier ist jedoch zwischen zwei Formen von Finanzzentren zu differenzieren. Auf der einen Seite zieht es Unternehmen aufgrund der erleichterten Durchführung von spezifischen Finanztransaktionen und der dem Ausnutzen vorteilhafter Standortfaktoren auf diese Finanzplätze. Eine mögliche Steuerersparnis ist hier von nachrangiger Bedeutung. Auf der anderen Seite suchen Unternehmen gezielt nach Finanzplätzen, deren erklärtes Ziel die

Steuervermeidung ist.15 Charakteristisch hierfür ist eine geringe

Finanzmarktaufsicht bzw. -regulierung, die geringen Steuerlasten und eine starke Ausprägung von Geheimhaltung und Vertraulichkeit.

Ein Großteil von Offshore-Finanzplätzen liegt tatsächlich auf Inseln (z.B. Cayman Islands, Isle of Man, usw.), aber auch die Schweiz oder Liechtenstein erfüllen diese Voraussetzungen. Diese Länder verfügen darüber hinaus auch über eine gute Infrastruktur, Sachkundigen aus den Bereichen der Steuer-, Finanz-, und Rechtswissenschaften sowie Treuhandberatern.16 Offshore-Finanzplätze sind also als Steueroase zu bezeichnen, wenn die Voraussetzungen für systematisch aggressive Steuerplanung gegeben sind. Einer Schätzung des Tax Justice Network zufolge werden über 30 % des weltweiten Finanzvermögens von weniger als 100.000 Menschen (entspricht etwa 0,001 % der gesamten Weltbevölkerung) über Offshore-Finanzplätze gesteuert.17

2.2.2 Gewinnverlagerung und Verrechnungspreise

Durch die wachsende Globalisierung entscheiden sich viele Unternehmen, Tochtergesellschaften im Ausland zu gründen, was vorteilhaft hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit und des Umsatzes ist. Gleichwohl nutzen diese Unternehmen die günstigen Steuerbedingungen im Ausland. Problematisch ist hier der Umstand, dass einige Unternehmen diese Möglichkeit nutzen, um die in Deutschland fälligen Steuern (teilweise auch rechtswidrig) zu mindern. Dazu sind bereits folgende Möglichkeiten aus der Praxis bekannt:

- Die Gewinnverlagerung zur ausländischen Tochtergesellschaft, die Ihren Sitz in einer Steueroase hat.
- Eine Eigenkapitalaufstockung der Tochtergesellschaft durch Fremdkapitalaufnahme der Muttergesellschaft oder
- die Verschuldung der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft.18

Der Bundesfinanzhof hat unlängst ein Urteil19 gefällt, in dem die Gewinnverlagerung an ausländische Basisgesellschaften für rechtswidrig erklärt wurde. Eine weitere Möglichkeit bietet sich rechtlich selbstständigen Unternehmen, die jedoch durch Beteiligungsbeziehungen direkt oder indirekt miteinander verbunden sind. Tauschen diese Unternehmen Lieferungen und Leistungen untereinander aus, werden hierfür sogenannte Verrechnungspreise (auch Transferpreise genannt) vereinbart. Diese Preise müssen die Unternehmen nach dem Drittvergleichsgrundsatz bzw. Fremdvergleichsgrundsatz abrechnen, d.h. auch im grenzüberschreitenden Rahmen wie zu marktüblichen Preisen gegenüber Dritten.20,21 Verkauft jedoch ein Unternehmen seinem verbundenen Unternehmen (z.B. Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft) Waren zu überhöhten Marktpreisen und hat seinen Geschäftssitz darüber hinaus noch in einem Staatsgebiet mit niedriger Besteuerung für die unternehmerische Tätigkeit, führt dies bei beiden Unternehmen zu enormen Senkungen der Steuerlast.

Das wohl bekannteste Modell zur Steuervermeidung entstammt dem irischen Wirtschaftsrecht und ist als „ Double Irish with a Dutch Sandwich “ bekannt. Hierfür gründet ein Unternehmen zwei Niederlassungen in Irland (daher Double Irish), wovon eine Lizenzrechte (z.B. für Patente) inne, aber seinen Sitz in einer Steueroase wie beispielsweise den Bermudas hat. In der folgenden Abbildung22 wird die Funktionsweise dieses Modells graphisch darstellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Double Irish with a Dutch Sandwich

Die erste Niederlassung erhält die Einnahmen aus Lizenzgeschäften und leitet diese an die zweite Niederlassung weiter. Da für den Geldtransfer in Irland eine Quellensteuer zu entrichten wäre, gründet das Unternehmen eine weitere Niederlassung in den Niederlanden (daher Dutch Sandwich) und leitet über diese

die Einnahmen weiter an die zweite Niederlassung. Die zweite

Tochtergesellschaft verschiebt dann ihre Umsätze (als Tantieme oder

Lizenzgebühren getarnt) in die Steueroase. Somit können die Einnahmen ohne Abzugssteuern an die Tochter auf den Bermudas überwiesen werden. Diese Form der Steuervermeidung kennt viele „Trittbrettfahrer“. Die weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Unternehmen wie Google, Amazon, Microsoft und Apple nutzen ebenfalls diese Möglichkeit.23

Diese beiden Formen lassen sich wie folgt praktisch am Unternehmen Starbucks nachweisen.

Das auf Kaffee spezialisierte Unternehmen mit Sitz in Seattle (Vereinigte Staaten von Amerika) vertreibt auch in Deutschland seine Produkte. Im Jahr 2011 erwirtschaftete Starbucks einen Umsatz von 117 Millionen. Euro, hatte aber beim Finanzamt einen Verlust von 5,3 Millionen Euro geltend gemacht. Dieses Minus kam nicht durch Misswirtschaft zustande, sondern wurde durch zwei Buchungsmethoden erreicht. Zum Einen entrichteten die Kaffeehäuser ca. sieben Millionen Euro für Rechte und Lizenzen an die Muttergesellschaft. Diese Einnahmen versteuerte der Konzern über seine Europazentrale in den Niederlanden. Zum Anderen wurden Kaffeelieferungen der Schweizer Schwestergesellschaft mit einem Aufschlag von 20% vergütet. Ausgehend von einem Gewinn zwischen 5 und 10 Millionen. Euro, fehlten dem deutschen Fiskus im Jahr 2011 Steuereinnahmen in Höhe von 1,5 bis 3 Millionen Euro.24

Nach der Aufdeckung dieses „Steuersparmodells“ wurde Irland sowohl durch die USA als auch die Europäische Union aufgefordert, diese Lücke im Gesetz zu schließen. Bereits zum 1. Januar 2015 können Unternehmen nur noch in Irland gegründet werden, wenn auch deren Steuersitz in Irland liegt.25,26

2.2.3 Onlineunternehmen

Für international tätige Unternehmen, die mit ihren Kunden ausschließlich über das Internet kommunizieren und damit auch keine steuerliche Betriebsstätte, d.h. nach § 12 AO „[…] jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient“ in Deutschland benötigen, können sich mit dem erwirtschafteten Gewinn dem Fiskus praktisch vollständig entziehen. Dies trifft für Internetangebote wie beispielsweise Video- und Musikdateien, Live-Cams, E- Books und Software zu, die meist durch Drittlandsunternehmer27 zur Verfügung gestellt werden.

Obwohl auch diese erbrachten Leistungen nach § 3a Abs. 5 Satz 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Verbindung mit Abschnitt 3a.12

Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) steuerpflichtig sind, haben sich laut Bundesrechnungshof nur ein Bruchteil der Drittlandsunternehmer steuerlich erfassen lassen.28 Eine steuerliche Kontrolle dieser Internetaktivitäten ist praktisch nicht vorhanden und eröffnet damit einfache Wege, keine Umsatzsteuer zu entrichten.29

Mit einer „aggressiven Steuerplanung“ gelang es vor Allem amerikanischen Großkonzernen wie beispielsweise Google, Ebay oder Amazon, erwirtschaftete Milliardengewinne fast unversteuert aus Deutschland abzuziehen.30 In Zahlen ausgedrückt bedeutete das für Amazon im Jahr 2012 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Euro, jedoch zahlte der Konzern aufgrund der internationalen Firmenkonstruktion lediglich 3,2 Millionen Euro an Steuern.31

2.2.4 Wohnsitzverlagerung

Im Hinblick auf die erhobene Steuerlast des Privatvermögens spielt die Wahl des Wohnsitzes eine gewichtige Rolle. Einkommens- oder Erbschaftsteuer werden beispielsweise in einigen Ländern gar nicht oder deutlich geringer als im Inland besteuert.32 Das Fürstentum Monaco beispielsweise unterliegt keiner Einkommens- oder Vermögensbesteuerung. Michael Schumacher wählte 1996 als Wohndomizil die Schweiz, da hier im Vergleich zu Deutschland deutlich geringere Steuern bei Privatpersonen erhoben werden.33 Ebenfalls aus rein steuerlichen Gründen wechselte der französische Schauspieler Gerard Depardieu seinen Wohnsitz und beantragte im Jahr 2013 die russische Staatsbürgerschaft.

Für eine ordnungsgemäße Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland müssen zahlreiche Steuergesetze zwingend berücksichtigt werden. Zunächst muss der Steuerpflichtige glaubhaft die Aufgabe seines Wohnsitzes (vgl. § 8 AO, „[...] wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.“) nachweisen. Weiterhin darf sein gewöhnlicher Aufenthaltsort (vgl. § 9 AO „[...] hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.“) nicht mehr in Deutschland liegen.

Um den Wegzug bzw. die Steuerflucht in ein Niedrigsteuerland von steuerpflichtigen Individuen mit überproportional hohen Einkünften aus Deutschland entgegen zu wirken, wurde die erweiterte beschränkte Steuerpflicht gemäß § 2 bis 5 Außensteuergesetz (AStG) eingeführt. Darin geregelt ist die Erhebung von Einkommensteuer sowie Erbschaft- und Schenkungssteuer. Der § 3 AStG regelte die bis 01.01.1997 erhobene Vermögensteuer.34

Zunächst ist jedoch zu klären, wie es überhaupt zu dem Phänomen Steueroase (ob rechtswidrig genutzt oder nicht) kommen kann. Dazu müssen die Umstände näher untersucht werden, die zu niedrigen oder mitunter auch nicht vorhandenen Steuerbelastungen für Individuen bzw. Unternehmen führen. Im folgenden Abschnitt soll daher untersucht werden, wie sich Steuergesetze und damit verbundene Rahmenbedingungen auf den Standort und das Ausmaß von ausländischen Finanzvermögen auswirken.

3 Internationaler Steuerwettbewerb

3.1 Begriff und Definition

Erstmals in den 1980er Jahren erwähnt und von Kritikern als nicht reales Phänomen bezeichnet, wurde der Steuerwettbewerb (in der Literatur auch Standortwettbewerb genannt) als Konkurrenzprozess der Staaten beschrieben. Ausgangspunkt dabei ist die schrittweise Senkung nationaler Steuertarife auf mobile Produktionsfaktoren.35

Mit den folgenden Tatsachen lässt sich der Steuerwettbewerb jedoch unstrittig nachweisen:

- der Faktor Kapital ist mobil und reagiert empfindlich auf Steuerbelastungsdifferenzen,
- Steuerlasten sind international verschieden hoch und einem ständigen Änderungsprozess unterworfen und
- der Wettbewerb wird von politischen Entscheidungsträgern aktiv betrieben.36

Mit dieser Möglichkeit der Kapitalbeschaffung sollen

Unternehmensneuansiedlungen erreicht oder auch Direktinvestoren in das eigene Land gezogen werden. Die mit der Steuersenkung verbundenen Einnahmeverluste, so die Theorie, sollen durch neue Investitionen überkompensiert werden. Folglich entsteht ein Wettbewerb, da jedes Land bzw. Staatsgebiet für sich versucht, mit lockeren Steuergesetzen bzw. niedrigen Steuersätzen für potentielle Kapitalgeber attraktiv zu werden.37

3.2 Tiebout-Modell

Das von Charles M. Tiebout (1956) veröffentlichte Modell zum internationalen Steuerwettbewerb veranschaulicht die Reaktion von Individuen auf das Preis-/Leistungsverhältnis, d.h. die steuerliche Belastung und die dafür angebotenen öffentlichen Leistungen einer Gemeinde.38

Die Hypothese führt dabei an, dass der von Gebietskörperschaften geführte Wettbewerb unter bestimmten Annahmen zu einer optimalen Arbeitsteilung und Spezialisierung führt. Für eine optimale Kombination aus öffentlichen Leistungen und den damit einhergehenden Steuerbelastungen wählen die steuerpflichtigen Individuen eine Gemeinde als Wohnort, die deren Präferenzen entspricht. Liegen diese Präferenzen nicht vor oder verändern sich nachteilig für den Bürger, begibt

sich das Individuum auf die Suche(in der Literatur als „voting by feet“ bezeichnet) nach einem neuen Wohnort.

Die folgende graphische Darstellung39 verdeutlicht diesen Effekt nach der Tiebout-Hypothese.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Effekte nach der Tiebout Hypthese

Symbol Bezeichnung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Um möglichst viele Bürger an einen Wohnort zu binden, zwingen sich die Gemeinden gegenseitig einen Wettbewerb auf, der dann folglich verschiedene Stufen an öffentlich bereitgestellten Gütern hervorruft. Nach der fiskalischen Analyse von Tiebout ergibt sich damit ein optimales Angebot an Gemeindedienstleistungen und eine optimale Gemeindestruktur. Dieser Wettbewerb lässt sich dem Grunde nach auch auf nationale Gebietskörperschaften übertragen.40

[...]


1 Fink, 2007, S. 109.

2 Jean-Claude Juncker (Präsident der Europäischen Kommission) wurde im November 2014 durch das Rechercheteam „Luxemburg-Leaks“ mit diversen internationalen Steuerabkommen in Verbindung gebracht, durch die Steuereinnahmen in Milliardenhöhe ausblieben.

3 Merten, 2014, S. 9.

4 Vgl. Kußmaul, 2013, S. 227.

5 Die „Cassa per il Mezzogiorno“ (CASMEZ) wurde 1950 eingeführt, um den infrastrukturschwachen Süden Italiens zu entwickeln. Bestandteile waren beispielsweise Steuererleichterungen, Investitionszuschüsse und zinsgünstige Darlehen.

6 Vgl. Seidl, 2013, S. 21f.

7 Das BMF hat am 17.04.2013 den Begriff Steueroasen in seinem FAQ aufgenommen (Definition in Anlehnung an die OECD) und Maßnahmen zur Bekämpfung erläutert.

8 Vgl. Vogel; Ashauer-Moll, 2010, S. 26.

9 Brinkmann; u.a., 2013.

10 Vgl. Havlat, 2014.

11 Das Modell verbindet Beckers ökonomische Theorie der Kriminalität (1968) mit Arrows Theorie der optimalen Portfolioselektion unter Risiko (1970).

12 Eigene Darstellung in Anlehnung an Beckmann, 2003, S. 18.

13 Vgl. Beckmann, 2003, S. 13f.

14 offshore = küstenfern.

15 Vgl. Bernhardt, 2010, S. 155f.

16 Vgl. Merten, 2014, S. 130f.

17 Vgl. Henry, 2012.

18 Vgl. Sauerland, 2007, S. 189f.

19 Vgl. BGH-Urteil vom 06.04.2005.

20 Vgl. Dautzenberg, 2015.

21 Die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) hat hinsichtlich der Einkommensbesteuerung von verbundenen Unternehmen (Art.9 des Musterabkommens für Doppelbesteuerung) eine Rechtsgrundlage für unangemessene Verrechnungspreise geschaffen.

22 Eigene Darstellung.

23 Vgl. Ehrhardt; Brigham, 2013, S. 712.

24 Vgl. Merten, 2013, S. 158.

25 Unternehmen die diesen Steuertrick bereits nutzten, haben von der irischen Regierung bis zum Jahr 2020 Gelegenheit erhalten, sich nach anderen Optionen umzuschauen und können bis dahin dieses Modell weiter anwenden.

26 Vgl. Barr; Francis, 2014.

27 Gewerbetreibende mit Sitz in Nichtmitgliedstaaten aus Sicht der Europäischen Union, z.B. USA, China und Japan.

28 Angesichts des Milliardenmarktes von Film- und Musikindustrie fallen nach Feststellung des Bundesrechnungshofs lediglich 23 Millionen Euro jährlich an Umsatzsteuer für Internetdienstleistungen aus Drittländern an.

29 Vgl. Winter, 2014.

30 Vgl. Meck, 2013.

31 Vgl. Voss, 2013.

32 Zu diesen Ländern zählen z.B. das Vereinigte Königreich Großbritannien und die Schweiz.

33 Vgl. Moritz, 2004, S. 741f.

34 Vgl. Brähler; Gernot, 2014, S. 485.

35 Vgl. Müller, 2004, S. 19.

36 Vgl. Müller, 2004, S. 50.

37 Vgl. Dautzenberg, 2015.

38 Als Antwort auf die Analysen von Musgrave („The Voluntary Exchange Theory of Public Economic“, 1939) und Samuelson („The Pure Theory of Public Expenditures“, 1954) veröffentlichte Tiebout seine Hypothese („A Pure Theory of Local Expenditures“, Journal of Political Economy 64(5), 1956, S. 416f.) zum fiskalischen Wettbewerb.

39 Eigene Darstellung.

40 Vgl. Feld, 2000, S. 27f.

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Kritische Analyse des internationalen Steuerwettbewerbs. Wirtschaftliche Auswirkungen und staatliche Interventionsmöglichkeiten
Hochschule
Internationale Berufsakademie der F+U Unternehmensgruppe gGmbH
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
63
Katalognummer
V308561
ISBN (eBook)
9783668068926
ISBN (Buch)
9783668068933
Dateigröße
852 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Steueroase, Steuervermeidung, Steuerhinterziehung, Steuerwettbewerb
Arbeit zitieren
Matthias Groening (Autor:in), 2015, Kritische Analyse des internationalen Steuerwettbewerbs. Wirtschaftliche Auswirkungen und staatliche Interventionsmöglichkeiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308561

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