Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz 2014. Eine kritische Würdigung


Bachelorarbeit, 2015

46 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Darstellung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes
2.1. Die Mütterrente
2.1.1. Gesetzeslage bis
2.1.2. Neuerungen durch die Gesetzesreform
2.1.2.1 beim Rentenbestand
2.1.2.2 beim Rentenzugang
2.2. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte
2.2.1. Gesetzeslage bis
2.2.2. Neuerungen durch die Gesetzesreform
2.3. Die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente
2.4. Die Erhöhung des Rehabilitationsbudgets
2.5. Die Finanzierung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes

3. Das Beitragssatzgesetz 2014 und das Rückwirkungsverbot
3.1. Historie des Beitragssatzgesetzes
3.2. Die Regelungen zur Festsetzung des Beitragssatzes im SGB VI
3.3. Die Betrachtung des Rückwirkungsverbotes im Grundgesetz
3.3.1. Definition der Rückwirkung
3.3.2. Die retroaktive Rückwirkung
3.3.3. Die retrospektive Rückwirkung
3.4. Anwendung auf das Beitragssatzgesetz

4. Der Gleichheitssatz im Grundgesetz
4.1. Definition des Gleichheitssatzes
4.2. Die Ungleichbehandlung
4.2.1. Die Ungleichbehandlung von Gleichem
4.2.2. Die Gleichbehandlung von Ungleichem
4.3. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung
4.3.1. Eingriff geringer Intensität
4.3.2. Eingriff größerer Intensität

5. Die Mütterrente und der Gleichheitssatz
5.1. Die rentenrechtlichen Auswirkungen der Mütterrente
5.1.1 auf den Rentenbestand
5.1.2 auf den Rentenzugang
5.2. Anwendung des Gleichheitssatzes auf die Mütterrente

6. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte und der Gleichheitssatz
6.1. Die rollierende Stichtagsregelung
6.2. Anwendung des Gleichheitssatzes auf die Altersrente für besonders langjährig Versicherte

7. Fazit

Literaturverzeichnis.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (selbst erstellt).

Tabelle 2: Mehrausgaben in der gesetzlichen Rentenversicherung durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz in Mrd. Euro

Tabelle 3: Schema zur Prüfung der Rückwirkung (selbst erstellt)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die intergenerativen Verteilungswirkungen des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes (vgl. Moog, S. 15 / Grafik selbst erstellt)..

Abbildung 2: Die allgemein-rechtsstaatlichen Grundsätze (selbst erstellt)

Abbildung 3: Prüfungsschritte bei der Prüfung von Gleichheitsrechten (vgl. Thiele, Basiswissen Staatsrecht II, S. 83 / Grafik selbst erstellt)

Abbildung 4: Die Rentenformel (selbst erstellt)

Abbildung 5: Die Entwicklung der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze zu den Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten für ein Kalenderjahr. Ein Entgelt von ungefähr einem halben Durchschnittsverdienst könnte in manchen Jahren zur Kappung der zusätzlichen Kindererziehungszeit führen (Grafik selbst erstellt). 33

1. Einleitung

Am 26. Juni 2014 veröffentlichte der Bundespräsident das „Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV- Leistungsverbesserungsgesetz)“ im Bundesgesetzblatt. Die Ausweitung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und deren Finanzierung hat für großes Aufsehen innerhalb der Bevölkerung und der Wissenschaft gesorgt. Wissenschaftler, Juristen und die Opposition im Bundestag äußerten verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetzesvorhaben der großen Koalition1. Hierbei verwendeten die Medien Schlagworte wie „Gleichheitsgebot“, „Rückwirkung“ und „Ungleichbehandlung“.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages rügten in einem Gutachten, dass bei der Prüfung der Wartezeit bei der (neuen) Altersrente für besonders langjährig Versicherte ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Artikel 3 Grundgesetz (GG) bei der Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit innerhalb der letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn vorliege.

Bei einem Blick in den Gesetzesentwurf zum RV- Leistungsverbesserungsgesetz2 fällt zudem auf, dass bei der Mütterrente zwischen Rentenzugang und Rentenbestand unterschieden wurde. Diese Unterscheidung kann bei der Rentenberechnung später Auswirkungen auf die Rentenhöhe haben.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt bei der rechtlichen Würdigung des RVLeistungsverbesserungsgesetzes. Die Arbeit soll sich hauptsächlich mit den oben genannten Schwerpunkten befassen.

Sie stellt die beitrags- und rentenrechtlichen Besonderheiten durch die unterschiedlichen Rechtsanwendungen der verschiedenen Personenkreise heraus. Anschließend erfolgt nach vorheriger Beschreibung des Gleichheitssatzes aus Artikel 3 GG eine Prüfung, ob und inwieweit die Altersrente für besonders langjährig Versicherte und die Mütterrente gegen das Grundgesetz verstoßen.

Vorher jedoch erfolgt eine Darstellung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierbei wird neben den beiden Schwerpunkten die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und die Anpassung der jährlichen Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsbudget) behandelt. Aufgrund mehrerer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Stichtagsregelungen in der Vergangenheit3 erfolgt in dieser Arbeit keine verfassungsrechtliche Betrachtung der verbesserten Erwerbsminderungsrente.

Des Weiteren erfolgt in der Thesis die Thematisierung der Finanzierung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes. Die Arbeit stellt dar, wie und womit der Gesetzesbeschluss finanziert wird, und ermittelt den durchschnittlichen finanziellen Vorteil durch Leistungen der einzelnen Jahrgänge vom sogenannten Rentenpaket. Ferner nennt sie den durchschnittlichen geldwerten Vorteil der einzelnen Jahrgänge.

In diesem Rahmen erfolgt eine Prüfung, ob das Beitragssatzgesetz 2014 als erste Maßnahme der Finanzierung gegen das Rechtsstaatsgebot aus Artikel 20 GG verstößt. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages rügten das Gesetz in einem Gutachten und wiesen darauf hin, dass die rückwirkende Festsetzung des Beitragssatzes gegen das Grundgesetz verstoße.

Abschließend werden die Ergebnisse in einem Fazit zusammengefasst und erörtert.

2. Darstellung des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes

In diesem Kapitel werden die vier Bestandteile des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes und dessen Finanzierung dargestellt. Dabei liegt die schwerpunktmäßige Darstellung bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Doch auch die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und das Rehabilitationsbudget finden Einzug in den Darstellungsteil. Zuletzt wird die Finanzierung des RVLeistungsverbesserungsgesetzes behandelt.

2.1. Die Mütterrente

Bei der „Mütterrente“ handelt es sich um keine eigene Rentenart und es ist kein rentenrechtlicher Fachbegriff. Vielmehr ist die Mütterrente „die Ausweitung der anrechenbaren Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder“4. Gleichzeitig ist „Kindererziehungszeit“ der offizielle Begriff.

Da es sich hierbei lediglich - wie das Wort bereits vermuten lässt - um eine rentenrechtliche Zeit handelt, muss ein Rentenanspruch entstehen, damit die Kindererziehungszeiten zum Tragen kommen. Neben dem Erreichen eines maßgeblichen Lebensalters muss mindestens die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Absatz 1 SGB VI erfüllt sein, um einen Anspruch auf Regelaltersrente zu erwerben.

In den folgenden Unterkapiteln wird die alte sowie die neue Gesetzeslage der Kindererziehungszeiten thematisiert.

2.1.1. Gesetzeslage bis 30.06.2014

Die Voraussetzungen für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten sowie der Umfang sind im § 56 SGB VI geregelt. „Die Kindererziehungszeit beginnt gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 SGB VI nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten“5. Jedoch gilt dies nur für Geburten ab dem Jahrgang 1992.

Für die Geburten bis 1992 endete die Kindererziehungszeit bereits nach 12 Kalendermonaten6. Rechtsgrundlage hierfür ist die alte Fassung des § 249 Absatz 1 SGB VI. Allerdings sind Elternteile gemäß § 249 Absatz 4 SGB VI von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn diese vor dem 1. Januar 1921 geboren sind. Das hat den Hintergrund, dass Personen, die vor 1921 geboren sind, bei der Einführung der Kindererziehungszeiten im Jahr 1986 bereits die Regelaltersgrenze erreicht hatten.

Deshalb existiert für diese Personenkreise der § 294 SGB VI. Demnach erhält eine Mutter, die vor dem 1. Januar 1921 geboren ist, eine Leistung für Kindererziehung für jede Lebendgeburt im Bereich der Bundesrepublik Deutschland. Unabhängig davon, ob die allgemeine Wartezeit erfüllt ist, wurde diese Leistung in Höhe des aktuellen Rentenwerts pro Geburt gemäß der alten Fassung des § 295 SGB VI ausgezahlt. Für Mütter aus dem Beitrittsgebiet gilt dieselbe Regelung, die jedoch in den §§ 294 a, 295 a SGB VI geregelt ist. Die Besonderheit hier ist jedoch, dass die Berechtigten vor dem 1. Januar 1927 geboren sein müssen und die Leistung so hoch war wie der einfache aktuelle Rentenwert (Ost)7.

2.1.2. Neuerungen durch die Gesetzesreform...

Durch die Gesetzesreform der großen Koalition wird „[...] für die Erziehung vor 1992 geborener Kinder in der Rentenversicherung ein weiteres Jahr als Kindererziehungszeit angerechnet [...]“8. Das bedeutet, dass der § 56 Absatz

5 Satz 1 SGB VI nicht von dieser Regelung betroffen ist.

Bei den Neuregelungen ist zwischen Rentenbestand9 und Rentenzugang10 zu unterscheiden11. Diese Unterscheidung ist hingegen nicht bei den vor 1921 bzw. 1927 geborenen Müttern zu treffen, da diese Leistung nicht im Zusammenhang mit einer laufenden Rentenleistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung steht. Bei diesen wurden die §§ 295, 295 a SGB VI entsprechend angepasst, sodass bei der Berechnung der Leistung nun der Betrag, der dem aktuellen Rentenwert (West oder Ost) entspricht, zweifach pro Kind ausgezahlt wird.

2.1.2.1 beim Rentenbestand

Bestandsrentner, für die am 30. Juni 2014 bereits Anspruch auf eine Rente bestand, erhalten gemäß § 307 d Absatz 1 SGB VI einen Zuschlag von einem persönlichen Entgeltpunkt für ein vor dem 1992 geborenes Kind berücksichtigt. Dieser Zuschlag ist jedoch an zwei Voraussetzungen geknüpft. Zum einen regelt § 307 d Absatz 1 Nr. 1 SGB VI, dass in der laufenden Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt berücksichtigt sein muss (In-Prinzip). Zweitens darf der Bestandsrentner nach § 307 d Absatz 1 Nr. 2 SGB VI keine Leistungen für Lebendgeburten erhalten, weil er vor 1921 oder 1927 geboren wurde. Beim In-Prinzip ist entscheidend, „[...] ob eine Kindererziehungszeit im 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt im Versicherungskonto gespeichert ist“12. Dabei ist unerheblich, ob das Kind vom 13. bis zum 24. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt tatsächlich erzogen wurde.

Der zu berücksichtigende Zuschlag von einem persönlichen Entgeltpunkt „[...] führt seit dem 1. Juli 2014 zu einem monatlichen Rentenanspruch von 28,61 Euro in Westdeutschland und 26,39 Euro in Ostdeutschland“13. „Der Zuschlag vermindert sich um Abzüge für die Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner und ggf. um Steuern.“14

2.1.2.2 beim Rentenzugang

Anders als beim Rentenbestand erhalten Personen, die noch keine Rente beziehen, keinen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten. Über eine Änderung des § 249 Absatz 1 SGB VI erfolgt für diesen Personenkreis lediglich die Ausweitung der Kindererziehungszeit um weitere zwölf auf somit insgesamt 24 Kalendermonate.

Maßgeblich ist für die Berücksichtigung der zusätzlichen Kindererziehungszeit beim Rentenzugang jedoch nicht das In-Prinzip. Es ist darauf abzustellen, ob das Kind im entsprechenden Zeitraum tatsächlich erzogen wurde15. Weitere Ermittlungen sind für die Feststellung jedoch nicht erforderlich. In den Auslegungsfragen der Deutschen Rentenversicherung Bund heißt es: „Wenn bis zum 24. Kalendermonat nach der Geburt Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung anerkannt wurden, kann an die im Versicherungskonto vorhandenen Daten angeknüpft werden. Das zusätzliche Jahr Kindererziehungszeit ist ohne weitere Ermittlungen beim Versicherten zu speichern.“16 Der Verwaltungsaufwand beim Rentenbestand und Rentenzugang ist daher identisch.

2.2. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte

Bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte handelt es sich nicht um eine neue Rentenart. Durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz ist es möglich geworden, diese Rente zu einem früheren Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, wenn bestimmte versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt sind.

2.2.1. Gesetzeslage bis 30.06.2014

Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist im § 38 SGB VI geregelt. Demnach haben Versicherte Anspruch auf die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie nach § 38 Nr. 1 SGB VI das 65. Lebensjahr vollendet und nach § 38 Nr. 2 SGB VI die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben. § 38 SGB VI ist durch das RV- Leistungsverbesserungsgesetz unberührt geblieben, weil die Voraussetzungen für die Wartezeit von 45 Jahren in den §§ 50, 51 SGB VI geregelt sind und die veränderte Altersgrenze nur für bestimmte Jahrgänge gilt. Aus diesem Grund betrafen die Änderungen und Neuerungen des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes überwiegend das Übergangsrecht17.

Gemäß der alten Fassung des § 51 Absatz 3a SGB VI wurden auf die Wartezeit von 45 Jahren folgende Zeiten angerechnet:

- „Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Hierbei findet § 55 Absatz 2 SGB VI generell Anwendung; dies gilt jedoch nicht für Zeiten, in denen wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Arbeitslosenhilfe Versicherungspflicht bestanden hat.“18
- „Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung gem. § 57 SGB VI oder Pflege gem. § 249b SGB VI.“19
- „Wartezeitmonate wegen der Ausübung einer geringfügig entlohnten versicherungsfreien Beschäftigung gem. § 52 Abs. 2 SGB VI.“20

Durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz haben sich die Voraussetzungen für die Wartezeit von 45 Jahren verändert.

2.2.2. Neuerungen durch die Gesetzesreform

Durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz sind einige Neuerungen bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte in Kraft getreten. Wie im Kapitel 2.2.1. beschrieben kam es neben einer Änderung des § 51 Absatz 3a SGB VI lediglich zu einer Reform des Übergangsrechts. So haben nach § 236 b Absatz 1 SGB VI Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf diese Rentenart, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet haben und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllen. Gemäß § 236 b Absatz 2 Satz 2 SGB VI erfolgt für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1952 geboren sind, eine stufenweise Anhebung der Altersgrenze.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Die Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (selbst erstellt)

Doch auch bei den Voraussetzungen für die Wartezeit von 45 Jahren hat sich im § 51 Absatz 3a SGB VI etwas verändert. Gemäß § 51 Absatz 3a Satz 1 Nr. 1a SGB VI werden Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung berücksichtigt, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind. „Ausgenommen von der Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit sind jedoch die letzten zwei Jahre vor Renteneintritt ('rollierende Stichtagsregelung') - es sei denn, die Arbeitslosigkeit beruht auf einer Insolvenz oder Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers. Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II und der Arbeitslosenhilfe bleiben auch weiterhin unberücksichtigt.“21 Aufgrund fehlender Informationen und administrativer Schwierigkeiten bei den Rentenversicherungsträgern erweist es sich insbesondere bei länger zurückliegenden Zeiten als schwierig, die verschiedenen Arten der Arbeitslosigkeit zu unterscheiden. Aus diesem Grund lässt das Gesetz an dieser Stelle eidesstattliche Versicherungen zu22. Neu bei der Wartezeit ist ebenfalls, dass freiwillige Beiträge gemäß § 51 Absatz 3a Satz 1 Nr. 2 SGB VI angerechnet werden, sofern 18 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden sind und die freiwilligen Beiträge nicht in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn mit einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit zusammentreffen.

2.3. Die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente

Eine weitere Komponente des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes ist die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente. Die Änderungen, die nur für alle Neurentner mit Rentenbeginn ab 1. Juli 2014 gelten, lassen sich jedoch nicht in den Anspruchsvoraussetzungen des § 43 SGB VI finden, da diese ausschließlich die Rentenberechnung betreffen.

Die erste Änderung betrifft die im § 59 Absatz 1 SGB VI definierte Zurechnungszeit. Das ist die Zeit, die bei einer Rente wegen Erwerbsminderung oder einer Rente wegen Todes hinzugerechnet wird, wenn der Versicherte das 62. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Bis zum 30. Juni 2014 endete die Zurechnungszeit bei Vollendung des 60. Lebensjahres23. „Eine Verlängerung der Zurechnungszeit um zwei Jahre vollzieht die Anhebung der Regelaltersgrenze nach und verhindert, dass das Niveau der Erwerbsminderungsrente im Vergleich zu den Altersrenten weiter sinkt.“24

Des Weiteren wurde durch das Rentengesetz im § 73 Satz 1 SGB VI ein Halbsatz hinzugefügt. Demnach werden bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit Entgeltpunkte für die letzten vier Jahre bis zum Eintritt der maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht berücksichtigt, wenn sich dadurch ein höherer Wert aus der Vergleichsbewertung gibt. Dies kann sich, wenn der Versicherte aufgrund seiner Erwerbsminderung in den letzten vier Jahren vor Rentenbeginn weniger verdient hat, positiv auf die Bewertung der Zurechnungszeit auswirken und hätte somit eine höhere Rente zur Folge.

2.4. Die Erhöhung des Rehabilitationsbudgets

Eine letzte Veränderung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes ist die Anpassung der jährlichen Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsbudget) an die demografische Entwicklung (Anhebung des Reha-Deckels). „Bisher orientierte sich das hierfür zur Verfügung gestellte Budget an der voraussichtlichen Lohnentwicklung. Mit der Gesetzesänderung wird zusätzlich noch die demografische Entwicklung, sprich die Bevölkerungsalterung bei der Budgetfestsetzung berücksichtigt.“25

Dies betrifft zwei Rechtsgrundlagen. „Mit der Änderung des § 287 b SGB VI, der i. V. m. § 220 Abs. 1 SGB VI die Ausgaben für Leistungen zur Teilhabe regelt, wird nun dem demographisch bedingten vorübergehenden finanziellen Mehrbedarf Rechnung getragen. Die jährlichen Ausgaben für Leistungen zur Teilhabe werden in der Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2050 unter Berücksichtigung einer Demographiekomponente fortgeschrieben.“26 Durch das Rehabilitationsbudget sind der Rentenversicherung für das Jahr 2014 Mehrausgaben von 0,1 Mrd. Euro entstanden. Bis zum Jahr 2020 betragen die Mehrausgaben jährlich 0,2 Mrd. Euro27. Dies ist gleichzeitig die Budgeterhöhung.

2.5. Die Finanzierung des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes

Bis zum Jahr 2030 steigen die jährlichen Kosten für das RVLeistungsverbesserungsgesetz auf bis zu 11 Milliarden Euro an. Teuerste Komponente ist die Mütterrente mit Mehrausgaben von mehr als 6 Milliarden Euro jährlich.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Mehrausgaben in der gesetzlichen Rentenversicherung durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz in Mrd. Euro28.

Ein Grundstein für die Finanzierung war das im März 2014 verabschiedete Beitragssatzgesetz 2014, das rückwirkend zum 1. Januar 2014 in Kraft trat (näheres hierzu in Kapitel 3). Eigentlich hätte der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung zu diesem Zeitpunkt auf 18,3 % sinken sollen. Für die Realisierung des Gesetzesvorhabens wurde dies nicht umgesetzt29. „Allerdings werden [...] nicht allein die Beitragszahler belastet. Vielmehr fällt auch die Rentenanpassung des Folgejahres niedriger aus, denn die Höhe der Rentenanpassung ist über den sog. Beitragssatzfaktor (§

68 Abs. 3 SGB VI) an die Entwicklung des Beitragssatzes zur RV gekoppelt. Ein um 0,6 Prozentpunkte höherer Beitragssatz reduziert die Rentenanpassung 2015 um knapp 0,8 Prozentpunkte.“30

Zunächst einmal soll das RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom Beitragszahler getragen werden. Laut der Gesetzesvorlage soll das Gesetzespaket vorerst durch das Abschmelzen der Nachhaltigkeitsrücklage finanziert werden. Gerade bei der Mütterrente ist dies verwunderlich, „da bisher das Prinzip galt, dass die Honorierung von Kindererziehungszeiten durch die Allgemeinheit gewollt und entsprechend auch aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren ist.“31

Vom Rentenpaket profitieren im Durchschnitt insbesondere die 1950 bis 1964 geborenen Personen. Zwar entstehen den jüngeren Jahrgängen durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz durchschnittlich finanzielle Vorteile, aufgrund der dauerhaften Mehrbelastung durch den Beitragssatz wandelt sich dieser Vorteil jedoch wieder in einen Nachteil um (Abbildung 1)32.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die intergenerativen Verteilungswirkungen des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes (vgl. Moog, S. 15 / Grafik selbst erstellt).

[...]


1 u. a. die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundstages und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände

2 Bundestags-Drucksache 18/909

3 u. a. BvL 10/00, 1 BvL 11/06, BverfGE 58,81

4 Feld, Rentenpaket: die Bundesregierung auf Irrwegen, S. 553

5 Weinacht, Grundriss des Rentenversicherungsrechts, S. 41

6 vgl. Schmidt, Meine Rentenversicherung, S. 23

7 vgl. Weinacht, Grundriss des Rentenversicherungsrechts, S. 42

8 Braun, Die sogenannte Mütterrente, S. 1

9 Unter den Begriff „Rentenbestand“ fallen Personen, die bereits am 30.06.2014 vor Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes Rente bezogen haben.

10 Unter den Begriff „Rentenzugang“ fallen Personen, die erst ab dem 01.07.2014 nach Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes Rente beziehen.

11 vgl. Dünn, Was ändert sich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz?, S. 157

12 Rische, Koalitionsvertrag und RV-Leistungsverbesserungsgesetz - Was erwartet die Rentenversicherung in der Legislaturperiode?, S. 3

13 Kallweit, Das Rentenpaket der Bundesregierung: Politökonomisch geschickt - ökonomisch falsch, S. 5

14 Dünn, Was ändert sich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz?, S. 157

15 vgl. Dünn, Was ändert sich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz?, S. 158

16 Auslegungsfragen zum Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, Anlage 1 zur Niederschrift zu TOP 3, AGFAVR Sondersitzung, S. 7

17 Als Übergangsrecht bezeichnet man im Rentenrecht die Rechtsgrundlagen, die mit der Zeit auslaufen und deshalb wegfallen werden.

18 Brettschneider, Das Rentenrecht. Lehr- und Arbeitsbuch für die Praxis, S. 194

19 ebenda

20 ebenda

21 Rürup, Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz - Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein, S. 65

22 vgl. Kallweit, S. 4 f.

23 vgl. Brettschneider, Das Rentenrecht. Lehr- und Arbeitsbuch für die Praxis, S. 154

24 Dünn, Was ändert sich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz?, S. 164

25 Rürup, Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz - Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein, S. 70

26 Dünn, Was ändert sich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz?, S. 164

27 Bundestagsdrucksache 18/909, S. 16

28 Bundestagsdrucksache 18/909, S. 16 (eigene Darstellung)

29 vgl. Bach, Die Verteilungswirkungen der Mütterrente, S. 448

30 Viebrock, Aktuelle Finanzlage im Herbst 2013, Beitragssatz 2014 und mittelfristige Entwicklung der allgemeinen Rentenversicherung, S. 48

31 Nagl, Aus Steuermitteln finanzieren: Mütterrente, S. 728

32 vgl. Moog, Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz. Update 2014: Alte Gewinner und junge Verlierer, S. 15

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz 2014. Eine kritische Würdigung
Hochschule
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen; Duisburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
46
Katalognummer
V308447
ISBN (eBook)
9783668065178
ISBN (Buch)
9783668065185
Dateigröße
842 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rente, Rentenrecht, Rentenpaket, Mütterrente, Altersrente, Rentenversicherung, Sozialstaat, Grundgesetz, Rückwirkungsverbot, Gleichheit, Gleichheitsgrundsatz, Sozialgesetzbuch, Rente mit 63, Altersrente für besonders langjährig Versicherte, Reha, Rehabilitation, Rechtsstaat, Rechtstaatsgebot
Arbeit zitieren
Simon Winzer (Autor:in), 2015, Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz 2014. Eine kritische Würdigung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308447

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