Automatisierung - Neue Befunde zur Charakteristik von Automatismen und deren zugrundeliegenden kognitiven Prozesse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Wissenschaftlicher Überblick zur Definition und Abgrenzung der Begriffe ‚Automatisierung’ und ‚Automatismen’

3 Merkmale von Automatisierungen
3.1 Power-law of practise
3.2 Spezifizität
3.3 Schnelligkeit der Ausführung
3.4 Geringe Varianz
3.5 Mühelosigkeit
3.6 Nutzung weniger kognitiver Ressourcen
3.7 Schwierigkeit der Kontrolle
3.8 Unterschiedliche Grade der Automatisiertheit von Automatismen

4 Funktionen von Automatisierungen

5 Der Prozess der Automatisierung
5.1 Anderson’s ACT-R Theorie
5.2 Logan’s ‚Instance Theory’
5.3 Weiter Studien und Hypothesen zum Prozess der Automatisierung

6 Schlussbemerkung/Ausblicke

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Stellen Sie sich vor, Sie sollten jemanden akkurat beschreiben, welche Handgriffe Sie in welcher Reihenfolge zur Vorbereitung Ihres täglichen Frühstückes ausführen. Obwohl Sie diese Arbeit wahrscheinlich jeden Morgen durchführen, wird es Sie etwas Mühe kosten, jeden einzelnen Arbeitsschritt im Kopf rekonstruieren zu können – und das, obwohl Sie es jeden Morgen tun! Wenn Sie Ihren gesamten Tagesablauf betrachten, wird Ihnen vielleicht auffallen, dass automatisierte Handlungen einen Großteil Ihres täglichen Lebens durchgehen – im Alltag als auch in der Berufswelt.

Automatisierungsprozesse und Automatismen spielen aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur für die Kognitionswissenschaften eine wesentliche Rolle, sondern sind auch aus fremdsprachenerwerbsspezifischer und fremdsprachendidaktischer Perspektive interessant. Die kognitionswissenschaftliche Perspektive beschäftigt sich beispielsweise mit dem Problem, wie allgemeine kognitive Prozesse speziell bei Gebrauch und Erwerb einer Fremdsprache realisiert werden, außerdem stellt sie die Frage, inwieweit Erkenntnisse über menschliche Kognition durch Erforschung fremdsprachenerwerbsspezifischer Gegenstände gewonnen werden können.

Die fremdsprachenerwerbsspezifischer Perspektive beschäftigt sich unter anderem damit, welche Faktoren in welchem Maß den optimalen L2-Lernerfolg begünstigen, wie Lernprozesse zeitlich verlaufen und welche sprachlichen Bereiche (Phonetik, Prosodie, Morphosyntax, Syntax, Lexik, pragmatische Kommunikationsstrategien) wie von Automatisierung und Automatisierungsprozessen beeinflusst werden. Außerdem stellt sie sich die Frage, inwieweit im sprachlichen Output nachgewiesen werden kann, ob es eine Erwerbschronologie gibt und welche Funktionen Automatisierungen und Automatismen generell bei L2-Erwerbsprozessen haben.[1]

Diese Arbeit soll einen wissenschaftlichen Überblick über die neuere Forschung und den wissenschaftlichen Diskurs zum Thema ‚Automatisierung’ geben. Im ersten Teil wird ein Überblick zur Definition und Abgrenzung der Begriffe ‚Automatisierung’ und ‚Automatismen’ vorgestellt. Darauf folgt eine Darstellung der Merkmale von Automatisierungen inklusive ihrer Funktionen. Im zweiten Teil werden Theorien zu Automatisierungsprozessen vorgestellt, sowie weitere Studien und wissenschaftliche Diskurse zu diesem Thema angeführt.

2 Wissenschaftlicher Überblick zur Definition und Abgrenzung der Begriffe ‚Automatisierung’ und ‚Automatismen’

Im umgangssprachlichen Gebrauch benutzt man das Wort ‚automatisiert’ für die mühelose Art und Weise, mit der man bestimmte Komponenten von standardisierten Aktionen ausführt. Viele tägliche Routinen sind so automatisch, dass man sie teilweise gar nicht mehr wahrnimmt. Angefangen mit den morgendlichen Routinen im Badezimmer bis hin zur automatischen Ausführung von komplexen Aufgaben, durchgeführt von Professionellen, existieren eine Unmenge an unbewusst ablaufenden Prozessen, die man als ‚automatisiert’ bezeichnet.

Wie im täglichen Leben existieren auch im Sprachgebrauch eine Vielzahl von Sprechhandlungen, die automatisierte Charakteristika aufweisen, z.B. in Form von Sprachmustern und Routinen, wie konventionalisierte Begrüßungen, Pausenfüller, bestimmte Idiome, Flüche, Aufforderungen, stereotype Fragen und Antworten. Ohne solche vor-fabrizierten Sprechhandlungen wäre Kommunikation schwieriger zu realisieren oder fast unmöglich.[2] Zu sprachlichen Automatismen gehören nach van Lancker (1972) konventionelle Grüße (Mahlzeit!, Waidmanns Heil!), überbenutzte Ausdrücke (Ach Gott!, Wie geht`s?), feststehende Idiome (Das ist nun mal im Leben so!, Alles klar!, Moment mal!), Pausenfüller (äh, ich sag mal, hm, also), Flüche (Verflixt!) und stereotypische Syntagmen (Wer/Was ist_?, Ich möchte ein_). Charakterisiert werden alle diese Automatismen durch ihre Formelhaftigkeit und Unveränderlichkeit, weshalb sie auch als ‚prefabricated patterns’ (Hakuta 1974), als ‚routines’ und ‚language patterns’ (Krashen 1981), als ‚lexicalized phrases’ (Nattinger/de Carrico 1992), als ‚sentence stems’ (Pawley/Syder 1983), als ‚Makrolexeme’ (Müller 2000), ‚frames’, ‚scenes’, ‚Cliches’, ‚Idiome’ und ‚Phraseologismen’ (Raupach 1984) bezeichnet, wobei diese Auflistung um weitere circa 40 Konzeptionen von Wray/Perkins (2000) ergänzt wird.[3]

In Bezug auf den Fremdsprachenerwerb erklärt Bärenfänger den automatischen Status fremdsprachlicher Äußerungen auf folgende Weise: Äußerungen werden nicht Wort für Wort auf Basis des sprachlichen Regelwissens neu gebildet, sondern über ein Arsenal vorgefertigter sprachlicher Sequenzen in der geeigneten Situation aus dem Gedächtnis abgerufen. Das heißt mit anderen Worten, dass ein Teil des mündlichen Outputs im Moment des Sprechens nicht kreativ gebildet, sondern automatisch abgerufen wird.[4] Äußerungen dieser Art sind dabei durch einen relativ hohen Grad an Komplexität und/oder Korrektheit und Flüssigkeit ausgezeichnet, der, wie Aguado[5] beschreibt, deutlich über dem „eigentlichen“ Kompetenzniveau (bzw. den übrigen – regelgeleitet gebildeten – Äußerungen) des Sprechers liegt. Selinker[6] definiert einen automatischen Prozess über die konsistente und regelmäßige Verbindung zwischen einer bestimmten Art von Input und einigen Output-Mustern. Ein automatischer Prozess entsteht somit durch die Aktivierung von assoziativen Verbindungen. Die bereits erwähnte Mühelosigkeit der Ausführung automatisierter Prozesse steht auch im Mittelpunkt von Segalowitzes Definition automatisierter Prozesse: „[...] Thus, when we perform aspects of a task automatically, we perform them without experiencing the need to invest additional effort and attention (or at least with significantly less effort and attention).][7] Die damit einhergehende Schnelligkeit der Sprachäußerungsprozesse darf aber nicht als Synonym für automatisierte Prozesse angesehen werden, auch wenn die Sprechflüssigkeit als Indikator fortschreitender Automatisierung u.a. von Raupach (1987) als auch Towell/Hawkins/Bazergui (1996) postuliert wurde[8]. Segalowitz betont vielmehr, dass sich Automatisierung auf den bedeutsamen Wandel in der Art und Weise, wie bestimmte Prozesse ausgeführt werden, bezieht.[9] Stevener bezeichnet diesen Prozess als einen Prozess „[...] sukzessiver Prozedualisierung deklarativen Wissens“[10]. Doch mehr dazu in Kapitel 5. Er unterscheidet darüber hinaus zwischen dem Prozess selbst, der Automatisierung, und seinem Ergebnis, den ‚Automatismen’. Automatismen müssen dabei aber nicht unbedingt das Endprodukt von Automatisierungen sein, „sondern können einen beliebig hohen Grad innerhalb eines als Kontinuum gedachten Automatisierungsprozesses darstellen“.[11] Somit wird auch schon die Frage nach der Beziehung zwischen automatisierten und nicht-automatisierten Prozessen angesprochen: Sollte man von einer strikten Dichotomie zwischen diesen beiden Prozessen ausgehen (d.h. entweder ist ein Prozess automatisiert oder nicht) oder von einem Kontinuum zwischen diesen beiden Polen. Dieser Frage wird noch im Laufe der Erörterung des Prozesses der Automatisierung nachgegangen, im Moment soll aber erst einmal ein Vergleich zwischen beiden Prozessen angestellt werden. Newell bietet die umfangreichste Gegenüberstellung, in dem er Automatisierung im Kontext einer bestimmten Zielsuche (z.B. ein bestimmter Buchstabe) auf einem Display (mit mehreren Buchstaben) sieht. In tabellarischer Form sehen seine Ergebnisse folgendermaßen aus:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Selinker[12] macht die Unterschiede zwischen kontrollierten und automatisierten Prozessen anhand von (a) der Aufmerksamkeit und (b) der Gedächtnisleistung deutlich: (a) Er argumentiert, dass die Assoziationen die zu sprachlichen Äußerungen führen, die bei kontrollierten Prozessen geschaffen werden, nicht durch wiederholten Gebrauch, sondern durch aufmerksamkeits-geleitete Kontrolle entstehen und somit wahrscheinlich langsamer entstehen sollten. (b) In Bezug auf die Art der Speicherung bezieht er sich auf Mc Laughlin, Rossman und McLeod:

„[...] learning involves the transfer of information to long-term memory and is regulated by controlled processes...It is controlled processes that regulate the flow of information from working to long-term memory...Thus, controlled processing can be said to lay down the „stepping stones“ for automatic processing as the learner moves to more and more dificult levels.”[13]

Er argumentiert anschließend, dass der Unterschied eben nicht in der, wie in Krashens Modell angedeuteten, Bewusstheit der Äußerung liegt, sondern in der Routinierung und Überführung der Routinen in das Langzeitgedächtnis. In diesem Sinne beginnen Lerner mit der Zeit und durch bestimmte Erfahrungen in spezifischen linguistischen Situationen die Sprache automatischer zu benutzen, und haben somit mehr ‚freie’ Aufmerksamkeit für neue Informationen, die mehr Kontrolle benötigen. Diese, wie auch bereits erwähnte Unterscheidung von Newell unterliegen der Auffassung eines kontinuierlichen Prozesses zwischen kontrollierten und automatisierten Prozessen. Bärenfänger hingegen untersucht Automatisierungen auch aus dem Blickwinkel neurologischer Erkenntnisse und erwähnt Ergebnisse, die nahe legen, dass die für kreative und automatisierte Sprachhandlungen verantwortlichen Hirnregionen unterschiedliche lokalisiert sind. Inwiefern dieses jedoch Auswirkung auf die Fragestellung der Dichotomie bzw. des Kontinuums der beiden Prozesse hat, wird nicht weiter erörtert.[14]

Auffällig ist jedoch, dass oftmals anhand der Merkmale automatisierter Prozesse die Abgrenzung zwischen automatisiert/kontrolliert vorgenommen wird. Aus diesem Grund soll sich im nächsten Kapitel mit den Merkmalen automatisierter Prozesse auseinandergesetzt werden.

3 Merkmale von Automatisierungen

Im folgenden Kapitel soll ein Überblick über den wissenschaftlichen Diskurs zu Merkmalen von Automatisierungen gegeben werden. Als Ausgangspunkt werden dabei Teile der bereits zitierten Arbeit von Olaf Bärenfänger dienen, welche dann durch weitere Quellen bestätigt bzw. ergänzt werden.

3.1 Power-law of practise

Power-law of practice ist eine Gesetzmäßigkeit, laut der bestimmte Aufgaben mit zunehmender Übung schneller ausgeführt werden können. Parallel zum steigendem Tempo nimmt die Fehlerhäufigkeit dabei ab.[15] Wie der Lernprozess dabei verläuft, kann mit Hilfe einer Lernkurve dargestellt werden, die im folgenden erläutert werden soll.

[...]


[1] Vgl. Bärenfänger, Olaf: Automatisierung der mündlichen L2-Produktion: Methodische Überlegungen. In: Börner, W.; Vogel, K. (Hsg.): Grammatik und Fremdsprachenerwerb. Tübingen 2002. S. 120f

[2] Vgl. Bärenfänger: 119

[3] Vgl. ebd.: 121

[4] Vgl. Bärenfänger: 119

[5] Vgl. Aguado, Katrin: Kognitive Konstituenten der mündlichen Produktion in der Fremdsprache: Aufmerksamkeit, Monitoring und Automatisierung. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 32. S.21

[6] Vgl. Gass, S.M.; Selinker, L.: Second Language Acquisition. Mahwah 2001. S. 210

[7] Segalowitz, Norman: Automaticity and Second Languages. In: Doughty, C.J.; Long, M.H.: The Handbook of Second Language Acquisition. 2003. S. 383

[8] Vgl. Stevener, Jan: Aufmerksamkeit, Automatisierung und Monitoring. Zur Forschungsmethodik. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 32. S. 37

[9] Segalowitz: 403

[10] Stevener: 36

[11] Vgl. Bärenfänger: 128

[12] Vgl. Selinker: 213f

[13] Mc Laughlin, Rossman und McLeod

[14] Vgl. Bärenfänger: 122

[15] Vgl. Bärenfänger:129

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Automatisierung - Neue Befunde zur Charakteristik von Automatismen und deren zugrundeliegenden kognitiven Prozesse
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Deutsch als Fremdsprache)
Veranstaltung
Contemporary research in Second Language Acquisition
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
27
Katalognummer
V30811
ISBN (eBook)
9783638319959
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Automatisierung, Neue, Befunde, Charakteristik, Automatismen, Prozesse, Contemporary, Second, Language, Acquisition
Arbeit zitieren
Doreen Frank (Autor:in), 2004, Automatisierung - Neue Befunde zur Charakteristik von Automatismen und deren zugrundeliegenden kognitiven Prozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30811

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