Der Vater-Tochter-Konflikt in Lessings "Miss Sara Sampson". Die Familie des 18. Jahrhunderts zwischen Tugend und Laster


Hausarbeit, 2014

12 Seiten, Note: 1,3

Vera Lehmann (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I.Einleitung

II.Hauptteil

1.1 Die Familie im 18. Jahrhundert
1.2 Das bürgerliche Trauerspiel
1.3 Die Vater- Tochter Beziehung
1.3.1 Sir William
1.3.2 Sara Sampson
1.3.3 Die Brief- Szene

III. Schlussteil

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„ Die Miß Sara Sampson ist von den moralischen Tendenzen erfüllt, die aus dem damaligen Zustand der deutschen Aufklärung fließen.“1

Lessings „Miss Sara Sampson“, 1755 uraufgeführt, gilt als erstes Bürgerliches Trauerspiel Deutschlands. In ihm drückt sich das selbstbewusste Bürgertum der Aufklärung aus. Traditionelle, am Vorbild des Adels orientierte Formen des sozialen Miteinanders werden durch bürgerliche Ideale ersetzt. Familie, Tugend, Gefühl, Moral und Verdienst stehen fortan im Mittelpunkt. Schon in der ersten Szene werden die Begriffe „Tugend“ und „Laster“ thematisiert, die fortan entscheidende und bedeutungsvolle Begriffe der Handlung sind.

In Lessings Bürgerlichem Trauerspiel bildet die Situation in der Familie und die familiären Autoritätsstrukturen die dramatische Ausgangsbasis. Das Auftreten des Liebhabers Mellefonts wird zum Anlass genommen, das Verhältnis von Sir William Sampson und seiner Tochter Sara zu problematisieren. Geschlechterrollen, Autoritätsstrukturen, Wertkomplexe und das individuelle Familienbewusstsein werden von Lessing thematisiert. Der genusssüchtige Mellefont lernt die tugendhafte Miss Sara Sampson kennen und lieben und entführt sie, ohne jeglichen Widerstand ihrerseits, aus ihrem Elternhaus, um sie in Frankreich zu heiraten. In einem englischen Gasthof, der Schauplatz des Geschehens ist, findet Sir William seine Tochter und ihren Geliebten und wünscht sich nichts sehnlicher, als seine Tochter wieder zu sich zurück zu holen. Sir William stellt sich von Anfang an die Frage, ob Sara tugendhaft oder lasterhaft ist, räumt seiner Tochter aber auch eine gewisse Freiheit ihres individuellen Empfindens ein. „(…) wenn dieses Vergehen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche Laster wären: ach! (…)“2Um diese Frage zu klären, schreibt Sir William im 3. Aufzug, den ich später noch genauer analysieren möchte, an Sara den „ Brief eines zärtlichen Vaters“, „der sich über nichts, als über ihre Abwesenheit beklagt.“3

In meiner Seminararbeit möchte ich die Konfliktsituation zwischen Vater und Tochter einmal genauer untersuchen und habe mir infolge dessen die Frage gestellt: Welche Autoritätsstrukturen und welche Reaktionsmuster von Vater und Tochter bestimmen die Handlung und wie sind diese zu erklären? Dazu werde ich besonders die Moralvorstellung zu Zeiten der Sampsons genauer beleuchten und mit Hilfe von Sekundärliteratur Erklärungen für ihr Verhalten suchen. Besonders den Deutungsansätzen von Karin Wurst schenke ich dabei Beachtung.

Da Lessings Bürgerliches Trauerspiel im 18. Jahrhundert spielt, unterscheiden sich die familiären Strukturen und Moralvorstellen natürlich maßgebend von den heutigen. Um die Handlungen und Denkweisen der Protagonisten des Stückes zu verstehen, bedarf es daher eines groben Überblickes über die Familie im 18. Jahrhundert, mit dem ich meine Hausarbeit beginnen möchte. Auch den Begriff des „Bürgerlichen Trauerspiels“ möchte ich im ersten Teil Teil der Arbeit noch einmal thematisieren. Im zweiten Teil möchte ich dann die Handlungen von Vater und Tochter im Einzelnen analysieren und lege mein Augenmerk dabei besonders auf die Szene 3/III.

II. Hauptteil

1.1 Die Familie im 18. Jahrhundert

„Die Autorität innerhalb der Familie ist abgestuft nach Alter und Geschlecht. Demnach ist die Tochter das schwächste Glied in der Familie.“4

„Sollte man die rechtlich-gesellschaftliche Position der Frau im 18. Jahrhundert mit einem Begriff charakterisieren, so müßte dieser „Abhängigkeit“ heißen. Da sie selbst keine Rechtspersonen sind, sind sie im juristischen Sinne von Vätern, Ehemännern, Brüdern oder anderen Vormundgestalten abhängig und besitzen an sich kein Recht auf Eigentum“5, so Karin Wurst.

Infolge dieser Abhängigkeit hatte der Vater des 18. Jahrhunderts auch eine große Verantwortung für seine Tochter. Er musste unter anderem eine angemessene Verheiratung der Tochter mit einem ehrwürdigen Mann gewährleisten und für die Familie nicht akzeptable Liebesbeziehung unterbinden. Für das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern verweist Monika Fick auf Luthers Katechismus: „Die Kinder sind ihnen gegenüber zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, der der Dank für das empfangene Leben ist.“6

Jedoch ist zu verzeichnen, dass das 18. Jahrhundert eine Wende in die familiären Strukturen bringt: „Die Familienangehörigen haben gegenüber dem Vater als Familienoberhaupt zunehmend an Eigenständigkeit und Eigenberechtigung gewonnen. Das gilt vor allem für die Beziehung der Ehegatten, aber auch für die Beziehung von Eltern und Kindern.“7Liebe wird zum legitimen, emotionalen Argument für eine Eheschließung. Für das Problem der Verheiratung heißt das, dass die Ehe immer mehr als intensive Gefühlsgemeinschaft gedacht wird. Das bringt oft eine zunehmende Zuspitzung des krisenhaften Konflikts zwischen Familieninteressen und individuellem Gefühlsanspruch mit sich, der sich auch in dem, in der Arbeit behandeltem Drama, deutlich widerspiegelt. Wo die Liebe der Kinder eigene Wege geht, wird dies als Auflehnung gegen die Eltern verstanden. Denn dann wird die kindliche Liebe von Leidenschaft verdrängt. Der Eigenwille und die Eigenliebe verhindern die Unterordnung unter dem göttlichen Willen. Solche Gefühlsansprüche sollten die jungen Frauen unterdrücken, da ihre Rolle in der Gesellschaft als der schwächere Teil der Gesellschaft sonst nicht mehr eingehalten werden kann. Campe schreibt dazu in seinem Ratgeber: Frauen leben „in einem abhängigen und auf geistige sowol als körperliche Schwäche zielenden Zustand“8und weiter, „es ist (…) der übereinstimmende Wille der Natur und der menschlichen Gesellschaft, dass der Mann des Weibes Beschützer und Oberhaupt , das Weib hingegen die sich ihm anschmiegt, sich an ihn haltend und stützend, treue, dankbare und folgsame Gefährtin und Gehülfin seyn soll.“9

Entzieht sich die Tochter ihrer Rolle im Familiengefüge, disqualifiziert sie sich moralisch. Die moralische Integrität, die Tugend der Tochter, ist also maßgeblich in der Erfüllung ihrer Tochter-Rolle verankert. Diese Tugend der Tochter wird außerdem mit der sexuellen Enthaltsamkeit gleichgestellt. In Campes Ratgeber findet sich der Hinweis auf Keuschheit als die zentrale weibliche Tugend: „Keuschheit und Schamhaftigkeit- eine der ersten und wesentlichen Hauptteile der weiblichen Tugend, weil nicht bloß des Weibes ganze Ehre, sondern auch ihre ganze Glückseligkeit davon abhängt.“10Die reine, tugendhafte Tochter darf also Gefühle hegen und ausdrücken, muss sich aber vor allem hüten, was ihre Reinheit und Keuschheut bedroht- und das sind letztendlich alle Einflüsse der außerfamiliären Welt, die als bedrohliche Gegenwelt zur familiären Geborgenheit gesehen wird.11Die Tugend der Tochter zur damaligen Zeit, als zentrales Thema des Dramas wird von Inge Stephan als „terroristisches Instrument, das Angst und Schrecken verbreitet und die Körper von ihren Sinnen trennt“, charakterisiert. Und auch Wolfram Mauser spricht von der „Starre der Tugendvorstellung als Tugend Misere“ in Miss Sara Sampson.

1.2 Das bürgerliche Trauerspiel

Im folgendem möchte ich das viel diskutierte Thema aufgreifen, warum Lessing seine Miss Sara Sampson als ein Bürgerliches Trauerspiel veröffentlichte und welche Auswirkung dies für die Handlung hat.

Die Opferung der tugendhaften Tochter wird infolge einer im 18. Jahrhundert neu formulierten Ideologie der Kleinfamilie konstitutiv für das bürgerliche Trauerspiel.

„Lessing begründete in Deutschland das moderne bürgerliche Trauerspiel, (…) damit begann das deutsche Bürgertum auf der Bühne den Kampf gegen die Fürstenherrschaft.“12

[...]


1Eloesser, Arthur: Das bürgerliche Drama. Seine Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin: W. Hertz (Bessersche Buchhandlung) 1898, S. 10.

2Ich zitiere nach der Version: Lessing, G.E.: Miss Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen, Stuttgart: Reclam 2012.

Bei künftigen Zitaten aus diesem Stück wird nur die Seite angegeben, Hier: S.6.

3Miss Sara Sampson, S. 42.

4Götte, Rose: Die Tochter im Familiendrama des 18. Jahrhundert, Bonn: Beltz-Verlag 1964, S.7.

5Wurst, Karin A. (Hg.): Frauen und Drama im achtzehnten Jahrhundert, Köln: Böhlau-Verlag GmbH 1994, S. 20.

6Fick, Monika: Lessing Handbuch. Leben- Werk- Wirkung, 3. Auflage, Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 2010, S.154.

7Mitterauer, Michael/ Sieder, Reinhard: Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie, 5. Aufl., München: C.H.Beck 1991, S. 123.

8Campe, Joachim Heinrich: Väterlicher Rath für meine Tochter, Braunschweig 1796 [Nachdruck Paderborn: Beas Edition 1997, S.18.

9Ebenda, S. 20.

10Campe, S. 138.

11Vgl.: Hempel, Brit: Sara, Emilia, Luise: drei tugendhafte Töchter. Das empfindsame Patriarchat im bürgerlichen Trauerspiel bei Lessing und Schiller, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006, S. 37.

12Lemke, Anja: „Medea fiam“: Akterzeugung zwischen Rhetorik und Ästhetik in Lessings „Miss Sara Sampson“, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 86, 2012, S. 206-223, hier: S.206.

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Details

Titel
Der Vater-Tochter-Konflikt in Lessings "Miss Sara Sampson". Die Familie des 18. Jahrhunderts zwischen Tugend und Laster
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
12
Katalognummer
V308089
ISBN (eBook)
9783668063501
ISBN (Buch)
9783668063518
Dateigröße
422 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Germanistik, Lessing, Miss Sara Sampson, Vater- Tochter Konflikt, Familie im 18. Jahrhundert
Arbeit zitieren
Vera Lehmann (Autor:in), 2014, Der Vater-Tochter-Konflikt in Lessings "Miss Sara Sampson". Die Familie des 18. Jahrhunderts zwischen Tugend und Laster, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308089

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