Die Odyssee des (Drehbuch-) Schreibens. Die ewig gleiche Reise des Helden

Christopher Vogelers "Odyssee des Drehbuchschreibens" angewandt auf die "Tyrannenmörder" Karl Childers und Friedrich Schillers "Wilhelm Tell"


Seminararbeit, 2004

36 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Exkurs: Die Verwandtschaft von Drehbuch und Drama
2.1 Die „Poetik“ des Aristoteles im Bezug auf die Gattung Drehbuch

3. Vogelers „Odyssee des Drehbuchschreibens“ und Campbells „Der Heros in tausend Gestalten“- Die Theorie von der ewig gleichen Wiederkehr derselben Geschichten

4. Überprüfung der Thesen der „Odyssee des Drehbuchschreibens“ an Hand Billy Bob Thorntons „Sling Blade“ und Schillers „Wilhelm Tell“
4.1 Synopsis “Wilhelm Tell”
4.2 Synopsis “Sling Blade”
4.3 Die Etappen der Reise
4.3.1 Erste Etappe: Die gewöhnliche Welt
4.3.2 Zweite Etappe: Die Berufung
4.3.3 Dritte Etappe: Weigerung
4.3.4 Vierte Etappe: Begegnung mit dem Mentor
4.3.5 Fünfte Etappe: Überschreiten der ersten Schwelle
4.3.6 Sechste Etappe: Proben, Verbündete, Feinde
4.3.7 Siebte Etappe: Annäherung an die geheimste Höhle
4.3.8 Achte Etappe: Die äußerste Prüfung
4.3.9 Neunte Etappe: Die Belohnung
4.2.10 Zehnte Etappe: Der Rückweg
4.3.11 Elfte Etappe: Die Auferstehung
4.3.12 Zwölfte Etappe: Rückkehr mit dem Elixier

5. Ergebnis des Vergleichs und Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Thema dieser Hausarbeit ist die Frage, ob es ein universelles Muster für den Weg des Protagonisten gibt, nach dem gelungene Geschichten funktionieren. Dabei werde ich mich an Christopher Vogelers Buch “Die Odyssee des Drehbuchschreibens”, das diese These vertritt, halten und sie an Hand von zwei Werken überprüfen.

Gerade in dem Bereich der Drehbuch- und Unterhaltungsliteratur werden immer wieder Bücher angeboten, die Rezepte für erfolgreiche Werke anbieten. Der Drehbuchpapst Syd Field stellt in seinem Werk “Das Drehbuch” klar, in welcher Filmminute welche Wendepunkte auftreten müssen, damit das Drehbuch funktioniert. Er und andere ähnliche Autoren konzentrieren sich jedoch in erster Linie auf einen spannenden Handlungsverlauf, der sich durch das Einhalten bestimmter formaler Aspekte ergibt, auf die schon Aristoteles in seiner Poetik hinweist.

Vogeler geht davon aus, ein universelles Muster gefunden zu haben, das sich daraus ergibt, dass der gelungene Held einer Geschichte sowohl in den überlieferten Mythen als auch in modernen Geschichten immer dieselben Entwicklungsschritte durchmachen muss. Da dieses Muster sich auch in der realen Welt wiederhole, gelinge so auch eine stärkere Identifikation mit dem Helden. Vogeler stützt sich bei seiner These auf den Mythenforscher Joseph Campbell, der die großen Religionen, Märchen, Mythen und Bräuche auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht hat.

Beide stellen fest, dass sich alle Geschichten immer wieder aus denselben Bauelementen zusammensetzen lassen, die ihren Ursprung schon in den alten mythischen Überlieferungen haben. Diese Bauelemente ergeben die immer gleiche Reise des Helden, die jedoch nie an Aktualität verliere. Dies liegt besonders an der Zeitlosigkeit und Allgemeinheit der Mythen. Für beide liegt der Mythos fern von der Lüge, weil er uns helfe, Aspekte unseres Selbst zu erkennen, die der reinen Verstandestätigkeit verschlossen bleiben würden[1].

Campbell schrieb sein Buch “Der Heros in tausend Gestalten” 1948, um den Menschen zu verdeutlichen, dass sich in allen Mythen und religiösen Überlieferungen ähnliche Wahrheiten wiederspiegeln. Die Erkenntnis dieser Einsichten sowie die Erkenntnis, dass sich die meisten Weltanschauungen eher ähneln als unterscheiden, sollte zu einem besseren Verständnis innerhalb der Menschheit beitragen. Campbell Buch dient vorrangig psychologischem und philosophischem Interesse.

Vogeler dagegen schrieb sein Buch, das 1997 erschienen ist, um Autoren, insbesondere Drehbuchautoren, einen Leitfaden für gute Geschichten zu geben. Er bezieht sich auf Campbell, um zu zeigen, dass der gelungene Held einer Geschichte immer noch dieselben Stationen durchmachen muss wie die Helden alter Mythen. Er selbst schlägt vor, seine Thesen an Hand eines selbstgewählten Buches zu überprüfen.

Wenn Vogeler Recht hat, muss seine Theorie sich auch auf die großen Werke der Literatur beziehen lassen können, deshalb soll seine These auch an einem Klassiker der Dramenliteratur, Schillers “Wilhelm Tell“, überprüft werden. Gleichzeitig werde ich “Sling Blade” von Billy Bob Thornton, ein modernes Drehbuch, auf Vogelers These hin untersuchen, um den Vergleich abzurunden.

Beide Beispiele behandeln das Motiv des Tyrannenmordes. Auch die Verschiedenheit der Gattungen ist nur vordergründig, wenn man dem Lesen den Vorrang vor der Inszenierung gibt.

Zunächst gehe ich deshalb in einem Exkurs über die Verwandtschaft von Drehbuch und Drama sowie gesondert auf die Poetik ein, da sich seine Anforderungen an die Tragödie zum größten Teil auch auf Drehbücher übertragen lassen. Daraufhin interpretiere ich die einzelnen Szenen der beiden Werke im Hinblick auf die Übereinstimmung mit den jeweiligen Etappen der Reise des Helden nach Vogeler. Dabei geht es nicht um eine vollständige Interpretation, sondern darum, herauszufinden, inwieweit Vogelers Theorie auf zwei scheinbar völlig weit auseinanderliegende Werke zutrifft. Dabei werde ich mich auf das “Zweite(s) Buch: Die Etappen der Reise” konzentrieren und untersuchen, inwieweit Karl Childers und Wilhelm Tell den “Weg des Helden“ vollziehen.

2. Exkurs: Die Verwandtschaft von Drehbuch und Drama

In diesem Exkurs möchte ich darlegen, warum ein Drehbuch ebenso wie ein Drama gelesen werden kann, um zu zeigen, dass es sich durchaus lohnt, sich auch mit einem Drehbuch literaturwissenschaftlich auseinander zusetzen. Natürlich wird ein Drehbuch in erster Linie dafür geschrieben, um verfilmt zu werden. Genauso aber sind Dramen dazu da, auf der Bühne umgesetzt zu werden und dennoch würde keiner die literarische Eigenständigkeit etwa von Schillers “Wilhelm Tell” bezweifeln. Auch in der Literaturwissenschaft wird die Vorlage gegenüber der Umsetzung immer den Vorrang besitzen. Ein gutes Drehbuch muss also genauso für sich stehen können, wie ein gutes Drama. Die Umsetzung auf der Bühne oder auf der Leinwand ist stets nur eine Interpretation der Vorlage. Der Herausgeber von “Spectaculum-Texte moderner Filme” Enno Pastalas, stellt sich im Nachwort seines Werkes ebenfalls der Frage nach der Lesbarkeit von Filmen. Er führt zunächst Gegenstimmen wie die von Rene Claire (“Film ist das, was man nicht erzählen kann.”[2]) oder Fernand Leger (“Der Irrtum des Films ist das Drehbuch.”[3]) an. Er weist darauf hin, dass sich die Avantgarde vor allem von den neuen Möglichkeiten des Films berauschen ließ, während sie sich gegen jede Literaturhaftigkeit des Films wehrte. Jegliche Effekte, wie Überblendungen, Großaufnahmen etc. sind längst Standard geworden, während selbst die aufwendigsten Computeranimationen, die das heutige Kino zu bieten hat, den Stoff nicht mitreißender machen müssen. Patalas betont, dass vielmehr gerade die literaturhaften Filme ihre Zeitlosigkeit unter Beweis gestellt hätten, während die Filme, bei denen die technischen Mittel im Vordergrund standen, schneller gealtert seien. Patalas sieht den Grund dafür darin, dass die emotionale Aufladung jeder Szene den Zuschauer eher lähmt als verzaubert.

“In der penetrant “beseelten” Welt erkennt der Zuschauer nichts wieder als seine eigene schöne Seele; er identifiziert sich mit allem, indem er alles mit sich identifiziert.”[4]

An anderer Stelle führt er die G.B. Shaw zugeschriebene Antwort auf die Frage an, ob Film Kunst sein könnte, : “Ja, wenn man die Bilder wegließe und sich auf die Zwischentitel beschränkte.”[5]

Ein anderes Phänomen, dass die Lesbarkeit von Drehbüchern unterstreicht, ist der Erfolg der sogenannten “Readings”. Dabei werden unverfilmte aber interessante Drehbücher von Schauspielern gelesen, wobei außer der Rollenverteilung nichts inszeniert wird. Die besten Filme entstehen immer noch im Kopf.

In erster Linie spiegelt sich in diesen Aussagen die Relevanz des Stoffes wieder. Hier schließt sich auch der Kreis zu Aristoteles und seiner Haltung zu Dramen. “Zudem tut die Tragödie auch ohne bewegte Darstellung ihre Wirkung, wie die Epik.”[6] Bei einem gelungenen Drama erscheint die Inszenierung also fast zweitrangig.

2.1 Die „Poetik“ des Aristoteles im Bezug auf die Gattung Drehbuch

Wenn man sich mit Drehbüchern literaturwissenschaftlich auseinandersetzt, gibt es in keiner Literaturgattung so viele formale und inhaltliche Parallelen wie zu den klassischen Tragödien und Komödien. Beide sind in Szenen unterteilt, die sich aus sparsamen Regieanweisungen und den Dialogen zusammensetzen. Beide sind für die Umsetzung auf der Bühne oder der Leinwand gedacht. Dabei ist es interessant zu beobachten, dass viele Bühnenstücke verfilmt und viele Filme schließlich auch für die Bühne inszeniert werden, wie etwa Büchners „Woyzeck„. Die Grenzen verwischen immer mehr, was jedoch noch viel zu wenig Interesse für das Drehbuch als Literatur nach sich zieht. Natürlich lassen sich auch Drehbücher triviale und hochwertige Werke finden. Dass das Drehbuch mit denselben Mitteln wie die Tragödie oder Komödie interpretiert werden kann, zeigt sich auch darin, dass dieselben Strukturelemente auf es zutreffen, die Aristoteles in der „Poetik“ insbesondere für die Tragödie fordert. Diese betreffen vor allem den Handlungsverlauf, das was in der Sprache des Drehbuchautoren Plot genannt wird. Aristoteles bezeichnet die Nachahmung von Handlung in der Dichtkunst als Mythos.[7] Dabei bezieht er sich nicht auf bestimmte überlieferte Mythen, sondern auf die „Zusammensetzung der Geschehnisse“[8] schlechthin. Der „Mythos“, die Handlung steht für Aristoteles in dem Drama an erster Stelle, dann erst komme die Figurengestaltung oder die Wahl der sprachlichen Mittel. Die Tragödie solle nicht in erster Linie Menschen, sondern Handlung und Lebenswirklichkeit abbilden. Dem steht jedoch die aktuelle Forderung, auch nach Vogeler entgegen, dass das Drehbuch „characterdriven“ sein soll. Die darzustellende Handlung sei jedoch nicht beliebig, sondern müsse in sich geschlossen und von bestimmter Größe sein. Als Ganzes definiert Aristoteles etwas, das Anfang, Mitte und Ende aufweist, die Konzentration auf eine Hauptfigur mache noch keine Einheit aus. Alles, „was ohne sichtbare Folgen vorhanden sein oder fehlen kann, ist nicht Teil des Ganzen.“[9] Genauso wird von dem Drehbuch erwartet, dass jede Szene dem Plot dient. Dies dient nicht nur der Steigerung der Spannung, sondern ist auch mit den pragmatischen Bedingungen verknüpft. Sowohl der Film als auch das Theaterstück beschränken sich auf eine Länge von ca. 1,5 Stunden, ein Zeitmaß, in dem der Rezipient an einem Stück konzentriert folgen kann aber auch der Produktionsaufwand im Rahmen bleibt. Im Gegensatz zur Epik, die wie Aristoteles betont, in die Breite geht und täte sie es nicht, oft kümmerlich wirken würde, werden Film und Bühnendarstellung in der Regel ohne Unterbrechung verfolgt.

„Das Schöne beruht nämlich auf der Größe und der Anordnung.“, dieses Zitat lässt Aristoteles Vertrauen in die formalen Aspekte der Dichtkunst deutlich werden. In jedem Fall werden nicht nur Übereinstimmungen mit der „Poetik“ des Aristoteles, sondern auch, dass die Gattung Drehbuch wie das Drama stark auf Anordnung, d.h. neben aller künstlerischer Freiheit auch auf die Einhaltung formaler Aspekte angewiesen ist.

3. Vogelers „Odyssee des Drehbuchschreibens“ und Campbells „Der Heros in tausend Gestalten“- Die Theorie von der ewig gleichen Wiederkehr derselben Geschichten

Vogelers schreibt, dass auch die Geschichten, die heute erzählt werden, Anteil an der “uralten Energie des Mythos”[10] hätten. Er bezeichnet den Mythos als eine “Metapher für ein Mysterium jenseits unseres Verständnisvermögens”[11], das uns helfen könnte, verborgene Aspekte unseres Selbst zu begreifen. In allen Formen des Erzählens, wie in Märchen, Filmen und Geschichten, aber auch in Träumen fänden sich die selben stets wiederkehrenden Bauelemente wieder. Vogeler fasst sie unter dem Begriff die“ Reise des Helden” zusammen.[12] Für Vogeler besitzt die Rezeption von Geschichten im Idealfall immer auch einen psychologischen Effekt. Der Leser etwa soll nach der Lektüre das Gefühl haben, eine befriedigende und umfassende Erfahrung gemacht zu haben. Vogeler geht im Sinne Campbell sogar so weit, das Geschichtenerzählen als Mittel zur “Weltverbesserung” vorzustellen. Im Gegensatz zu der “Odyssee des Drehbuchschreibens” bezieht sich Campbell nicht auf Filme, sondern auf die alten Mythen und die großen Religionen. Er weist nach, dass in diesen immer wieder dieselben Motive und Strukturen zu finden sind, so dass die Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern und Religionen gegenüber den Unterschieden überwiegen. Campbells Intention ist eben das bessere Selbst- und Fremdverständnis, dass ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Aber auch Vogeler beschränkt sich nicht auf Hinweise zum praktischen Schreiben, sondern sieht die Etappen der Reise des Helden auch als Hürden und Chancen in der tatsächlichen menschlichen Existenz an.

[...]


[1] Campbell, S. 9

[2] Hrg. Patalas: Spectaculum, S. 442

[3] Ebd.

[4] Hrg. Patalas: Spectaculum, S. 442

[5] Ebd., S. 444

[6] Aristoteles: Poetik, S. 97

[7] Aristoteles, S.19

[8] Ebd.

[9] Ebd., S. 29

[10] Vogeler: Odyssee des Drehbuchschreibens, S. 10

[11] Ebd., S. 9

[12] Ebd., S. 13

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die Odyssee des (Drehbuch-) Schreibens. Die ewig gleiche Reise des Helden
Untertitel
Christopher Vogelers "Odyssee des Drehbuchschreibens" angewandt auf die "Tyrannenmörder" Karl Childers und Friedrich Schillers "Wilhelm Tell"
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Neuere Deutsche Literatur)
Veranstaltung
Fiktion, Mimesis, Mythos, Poesie. Grundbegriffe und Grundfragen der Literaturwissenschaft
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
36
Katalognummer
V30806
ISBN (eBook)
9783638319904
ISBN (Buch)
9783638650670
Dateigröße
1729 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Christopher Vogelers 'Odyssee des Drehbuchschreibens' angewandt auf die 'Tyrannenmörder' Karl Childers und Wilhelm Tell.
Schlagworte
Odyssee, Schreibens, Reise, Helden, Fiktion, Mimesis, Mythos, Poesie, Grundbegriffe, Grundfragen, Literaturwissenschaft
Arbeit zitieren
Daniela Nagel (Autor:in), 2004, Die Odyssee des (Drehbuch-) Schreibens. Die ewig gleiche Reise des Helden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30806

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Odyssee des (Drehbuch-) Schreibens. Die ewig gleiche Reise des Helden



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden