Kompetenzerwerb. Entwicklung eines pädagogischen Leitfadens für die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter


Diplomarbeit, 2014

119 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Novellierung des Rettungsassistentengesetzes
2.1. „Lebenslanges Lernen“
2.2. Kernelemente der Notfallrettung
2.3. Das Aufgabengebiet der Rettungsassistenten
2.4. Die bisherige Ausbildung der Rettungsassistenten
2.5. Gesetzliche Regelungen
2.5.1. Notkompetenzregelung der Bundesärztekammer
2.5.2. Maßnahmenkatalog des DBRD e.V.

3. Kompetenzen
3.1. Kompetenzen und Veränderungen in der Notfallsanitäterausbildung
3.2. Das Kompetenztheoretische Modell im Kontext der Notfallsanitäterausbildung
3.2.1. Arten des Handelns
3.2.2. Arten des Lernens
3.2.3. Die Verknüpfung von Handeln und Lernen im Sinne der Kompetenzen
3.3. Anwendung des Kompetenzerwerbs im Sinne des EQR
3.4. Modulentwicklung auf Grundlage des Kompetenztheoretischen Modells

4. Angewandte Bildungstheorien

4.1. Impulse aus dem Behaviorismus

4.1.1. Offener und neu entdeckter Frontalunterricht

4.2. Impulse aus dem Kognitivismus

4.3. Impulse aus dem Konstruktivismus

4.3.1. Impulse aus der systemisch konstruktivistischen Denkweise

5. Handlungsorientiertes Lehren und Lernen
5.1. Merkmale des handlungsorientierten Lehren und Lernens
5.2. Grenzen des handlungsorientierten Lehren und Lernens
5.3. Die Lernanforderungen an den Bildungsteilnehmer
5.4. Die Lehranforderungen an den Lehrer
5.5. Lösungen für Probleme bei rettungsdienstrelevanten Gruppenarbeiten

6. Die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter – die „drei“ Lernorte
6.1. Lernort Schule – Theoretisch-Praktischer Unterricht
6.1.1. Handlungsorientiertes Lernen durch Lernfelder
6.1.2. Schwerpunkte in der Umsetzung des Lernfeldansatzes
6.2. Lernort Praxis – Praktische Ausbildung
6.2.1. Praxisanleitung / Praxisbegleitung
6.2.2. Lernortkooperation / Kommunikation
6.3 Lernort für Training und Transfer
6.3.1. Handlungsketten zum Erwerb von Fertigkeiten
6.3.2. Skills / Circle of Learning
6.3.3. Lern- und Praxisaufgaben zur Transferleistung

7. Evaluation als pädagogisches Mittel
7.1. Leitfragen, Ziele und die Planung von Evaluationen
7.2. Die Evaluation im gemeinsamen Kontext der Pädagogik
7.3. Hinweise für die Beteiligten einer Evaluation
7.4. Die Modifikation von Evaluationen
7.5. Vor- und Nachteile von Evaluationen bei Bildungsteilnehmern
7.5.1. Zensuren / Noten
7.5.2. Wortgutachten im Sinne der mündlichen Prüfung
7.5.3. Selbstbeurteilung
7.6. Evaluationsempfehlungen für die Ausbildung zum Notfallsanitäter
7.6.1. Hinweise zur Erstellung von schriftlichen und mündlichen Prüfungen
7.6.2. Überprüfung des Kompetenzerwerbs

8. Vergleich auf internationaler Ebene am Beispiel Finnlands

9. Diskussion

10. Zusammenfassung / Conclusion

11. Literaturverzeichnis

12. Anhang

1. Einleitung

Veränderungen zielen darauf ab, bestehende Strukturen und Gegebenheiten neu zu konzipieren. Es entstehen dabei immer Chancen und Möglichkeiten, etwas zu verbessern, etwas zu aktualisieren und auch verständlicher zu gestalten. Natürlich sind mit Veränderungen auch Ängste und Sorgen verbunden, da oftmals nicht ersichtlich ist, in welche Richtungen sich diese Erneuerungen und Umstellungen entwickeln. Deshalb bedarf es umfassender, gründlicher Überlegungen und Abwägungen im Vornherein, bevor es zu Ärgernissen und Unstimmigkeiten kommt.

Weitreichende Veränderungen bringt auch das – seit Anfang diesen Jahres – gültige Gesetz der Notfallsanitäter mit sich.

Die Notfallmedizin erhält dadurch ein neues, längst überfälliges Paradigma, welches tiefgreifende Veränderungen in den bisherigen Ausbildungsstrukturen nach sich zieht, ebenso wie in der berufs- und fachpraktischen Umsetzung. Mit der Novellierung etabliert sich nunmehr ein neuartiger Beruf. Er schließt sich anderen Gesundheitsfachberufen mit einer dreijährigen Ausbildung an. Auch hier machen sich natürlich Sorgen und Ängste breit.

Wie wird sich die Ausbildung der bisherigen Rettungsassistenten verändern?

Welche Kompetenzen sind nun zu vermitteln, und vor allem durch welche Methoden?

Wird es eine verbindliche, rechtliche Grundlage zur Ausübung des moderneren Berufsbildes geben? Offene Fragen, die vor allem an der Ausbildung beteiligte Institutionen und Personen aufwerfen, genauso aber auch die Angestellten im Rettungsdienst, welche sich selbst mit dieser höher gestellten Berufsgruppe konfrontiert sehen.

Eine Umgestaltung der zweijährigen Rettungsassistentenausbildung zur dreijährigen Notfallsanitäterausbildung bedeutet nicht, dass einfach nur ein weiteres Ausbildungsjahr hinzugefügt und mit zusätzlichem Lehrstoff gefüllt wird. Nein, es geht um gänzlich neue Wertbestimmungen des Berufsbildes, welches auf dem europäischen Sektor Vergleichbarkeit erfahren muss. Dies verlangt hinsichtlich der Ausbildung und Pädagogik neue didaktische und methodische Konzepte. Auch die Planung der inhaltlichen Gestaltung der dreijährigen Ausbildung ist aktuell nicht bis ins Detail abgeschlossen. Themen wie Lernortvernetzung oder Praxis- und Handlungsorientierung sind bisher sogar gänzlich unberührt.

Im Hinblick auf aktuelle, zukünftige medizinische Bedürfnisse und die Thematik des – „Lebenslangen Lernens“ – sowie internationaler Vergleichbarkeit setzt die Ausbildung neue Maßstäbe für die Bildungsteilnehmer und auch an die Lehrkräfte.

Es bieten sich auf diesem Wege neue Chancen, dem Berufsbild von Anfang an eine eigenständige und anspruchsvolle Perspektive aufzuzeigen.

Mit der Ausbildung zum Notfallsanitäter entsteht ein neuwertiges Berufsbild am Horizont der Gesundheitsfachberufe.

Aufgrund der Aktualität der Thematik entstand für uns die Frage:

Welche pädagogischen Herausforderungen sind für die Etablierung des neuen Berufsbildes zu bewältigen, um den gesteigerten Erwartungen gerecht zu werden?

Unsere Überlegungen fließen dabei in einem pädagogischen Leitfaden zusammen, welcher als Diskussionsgrundlage dienen soll, um zu weiteren Gedankengängen hinsichtlich der Ausbildung von Notfallsanitätern anzuregen.

Es ist nicht vorgesehen, die dreijährige Ausbildung curricular, inhaltlich und strukturiert darzustellen. Mit dieser Arbeit können lediglich pädagogische Ansätze aufgezeigt werden, da ein ausführliches Konzept eine nicht abdeckbare Größe in unserer Diplomarbeit einnehmen würde.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit, wird bei Berufsbezeichnungen und Qualifikationen, i.d.R. nur in der männlichen Form geschrieben.

Es ist jedoch stets die männliche und weibliche Form gemeint.

2. Novellierung des Rettungsassistentengesetzes

Die demografische und medizinisch-technische Entwicklung sowie zunehmend differenziertere Vorsorge-, Diagnostik- und Behandlungsmethoden haben dazu geführt, dass bereits 2004 das Krankenpflegegesetz novelliert wurde. Der gleiche Sachverhalt, die zunehmende Knappheit an Fachkräften und stetig wachsendes Bestreben nach qualitativ hochwertigerer Leistungserbringung, lassen in jüngster Zeit auch die Ausbildungsstrukturen der Rettungsassistenten verstärkt ins Blickfeld von Gesellschaft und Politik rücken.

Die Gesellschaft hat sich verändert, es entstehen neue Fragen und Ansprüche, Anforderungen und Erwartungen, welche sich auch an das Berufsbild des Rettungsassistenten richten.

Ein tiefgreifender Wandel, der aber nicht nur am Berufsbild, sondern verstärkt an der Ausbildung ansetzen muss, um den Bedürfnissen gerecht zu werden.

Es ergeben sich inhaltliche und formale Veränderungen, welche die weitere Entwicklung der neuen Ausbildungsstruktur der Notfallsanitäter entscheidend beeinflussen.

2.1. „Lebenslanges Lernen“

In der zukünftigen Ausbildung zum Notfallsanitäter ist der Bildungsinhalt, ja sogar die Wissensvermittlung in Form der Methodik, komplett zu überdenken und neu zu strukturieren. Vordergründig sind dabei die beruflichen Schlüsselqualifikationen bzw. Schlüsselkompetenzen.

„Sie sind definiert als eine Kombination aus Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen, die an den jeweiligen Kontext angepasst sind. Schlüsselkompetenzen sind diejenigen Kompetenzen, die alle Menschen für ihre persönliche Entfaltung, soziale Integration […] benötigen.“ (Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen – ein Europäischer Referenzrahmen 2006:5)

Im Sinne des Lebenslangen Lernens sind sie wichtig, um sich ständig neuem Wissen zuzuwenden und dieses verständlich anzueignen und umzusetzen, anzuwenden aber auch um sich im sozialen (Arbeits-) Umfeld zu integrieren.

Allein auf erworbenem Wissen kann nicht mehr gebaut werden, es ist nicht von Beständigkeit, es unterliegt einer gewissen „Halbwertzeit“. Bildungsinhalte sollten aus diesem Grund nicht nur einen entsprechenden Grad von Aktualität mit sich bringen, sondern stets eine fortlaufende Aktualisierung und Aneignung von neuem Wissen beim Bildungsteilnehmer hervorrufen. Es ist unverkennbar, das diesbezüglich auch in der Aus- und Weiterbildung zur präklinischen Notfallmedizin der Begriff des „Lebenslangen Lernens“ einen höheren Stellenwert erfahren muss.

Analysiert man die inhaltlichen Ausbildungsstrukturen der angehenden Rettungsassistenten, dann wird deutlich, dass neues Wissen bisher vorwiegend durch reine Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten ergründet wurde.

Der Anreiz zum „Lebenslangen Lernen“ kam dabei grundsätzlich zu kurz, weil mehr Wert auf reines Faktenwissen gelegt wurde. Die in der neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie dem Notfallsanitätergesetz zwingend geforderten und notwendigen Kompetenzen sind auf diese Art und Weise sicher kaum zu erreichen.

Um eine vollständige Handlungskompetenz zu erhalten, kann dieser Grad des Kompetenzerwerbs nur durch handlungsorientierten Wissenserwerb beschritten werden. Kompetenzen sind in ihrem Umfang dauerhaft zu aktualisieren, zu vertiefen und anzuwenden. Dadurch entwickelt der Bildungsteilnehmer Fähigkeiten und Fertigkeiten, um sein Wissen und sein Handeln zu reflektieren. Dieses wird dabei neu strukturiert und gefestigt.

Die erworbenen Strukturen können nun auf ähnlich ablaufende Prozesse und Situationen angewendet werden.

In der Ausbildung der Rettungsassistenten wird bisher zu viel unvernetztes Detailwissen vermittelt. Oft liegen die Schwerpunkte, wie in fast allen Gesundheitsfachberufen, zu erheblichen Anteilen im medizinischen Sektor und den daraus hervortretenden Kenntnissen.

Reine Fachkenntnisse und spezifisches Fachwissen an sich weisen allerdings heute bei Weitem nicht mehr den Stellenwert auf, den sie sicher noch vor einigen Jahren besaßen. Vielmehr muss es das Ziel sein, den Bildungsteilnehmern die nötigen Schlüsselqualifikationen zu vermitteln. Denn dadurch sind sie, ohne Frage, im beruflichen Alltag in der Lage sich weiteres Fachwissen selbst anzueignen.

Ein hoher Stellenwert des Lebenslangen Lernens, kombiniert mit der intensiven Erarbeitung von Schlüsselqualifikationen und -kompetenzen führen – bei gleichzeitiger individueller und regelmäßiger Adaptation an berufliche Anforderungen – beim Bildungsteilnehmer zum holistischen Wissens- und Kenntniserwerb.

2.2. Kernelemente der Notfallrettung

Bestehende Kernelemente der Notfallrettung sind und bleiben die Aufrechterhaltung des Lebens, lebensnotwendiger Körperfunktionen sowie die stets beginnende Wiederherstellung der Gesundheit von Notfallpatienten, die sich in einem kritischen oder lebensbedrohlichen Zustand befinden. In der Notfallmedizin, oder auch Präklinik, gilt es im Sinne des Patienten, unter einem gewissen Zeitaspekt, die Transportfähigkeit herzustellen, um ihn dann unter fachgerechter Versorgung und Betreuung in ein entsprechend geeignetes Klinikum zu bringen. (BbgRettG 2008:§3 Abs. 2) Dabei muss der Patient vital überwacht und mit den nötigen, zur Verfügung stehenden Mitteln und Medikamenten versorgt werden.

Die präklinische Notfallrettung durch nichtärztliches Personal besitzt hier eine Sonderstellung. Ob Rettungsassistent oder Notfallsanitäter, das Besondere liegt bei beiden Berufsgruppen in der interdisziplinären Schnittstelle zur Profession des (Not-)Arztes.

Ärzte und nichtärztliches Personal arbeiten eng miteinander zusammen, um dem Versorgungsauftrag am Patienten gerecht zu werden. Zum nichtärztlichen Personal im Rettungsdienst zählten bisher Rettungssanitäter mit einem 520 Stunden (13 Wochen) umfassenden Ausbildungsprogramm (Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst (520 Stundenprogramm) 1977) und Rettungsassistenten, deren Ausbildung seit 1989 mit insgesamt 2.800 Stunden, im regulären Ausbildungszeitraum von zwei Jahren, belegt ist. (RettAssG 1989:§§4,7)

Neben den Notärzten sind es die Rettungsassistenten, welche bisher die Verantwortung im Notfalleinsatz getragen haben. Das Erreichen der dafür notwendigen, umfassenden Qualifikation mit entsprechenden Kompetenzen war und ist somit wesentliche Voraussetzung für eine fach- und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung.

Die Zahl der Rettungseinsätze steigt seit Jahren kontinuierlich an.

Zurückzuführen ist dies auf den demografischen Wandel und die, Dank des medizinischen Fortschrittes, größere Anzahl Alter und Hochbetagter. Diese Zahlen der Einsatzstatistik werden weiter zunehmen. Das korreliert natürlich auch mit einem Anstieg notarztrelevanter Einsätze. „Wir werden in Zukunft ein Problem mit der Arzt- und Klinikdichte bekommen. Dann werden auch die Eintreffzeiten der Notärzte länger werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten.“ (Nößler 2012)

Im Zuge der Konzipierung der Gesetzesgrundlage und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung der Notfallsanitäter führten diese Erkenntnisse zu einem Umdenken.

Die Ausbildung ist demnach von Grund auf so zu strukturieren, dass den Notfallsanitätern die nötigen Kompetenzen direkt mit auf den Weg gegeben werden. Eine Anpassung an ausgewählte ärztliche Aufgaben und Maßnahmen muss erfolgen. Sollte man diesen Schritt verpassen oder zeitlich um Jahre nach hinten verschieben, wären die Folgen für die Patienten bereits heute absehbar. Eine medizinische Minderversorgung als resultierende Konsequenz steht dabei an erster Stelle. Auch die erhoffte Neustrukturierung eines erweiterten Kompetenzumfanges der Notfallsanitäter, im Vergleich zum Rettungsassistenten, wäre dadurch gefährdet.

Um auf die interdisziplinäre Schnittstelle zwischen nichtärztlichem Personal und Notärzten zurückzukommen, muss es das Ziel sein, dass die mit einer umfassenden Handlungskompetenz ausgebildeten Notfallsanitäter in der Lage sind, selbstverantwortend und vollständig Einsätze durchzuführen. Vor allem bei Notfalleinsätzen, die durch eigenständige, beherrschende Maßnahmen zur Stabilisierung des Notfallpatienten führen, ohne dass die Dringlichkeit eines Notarztes verpflichtend ist. (NotSanG 2014:§4 Abs.2)
Mit entsprechend ausgestatteten Kompetenzen kann man auf diese Weise Notarzteinsätze reduzieren und der geringen Ärztedichte entgegenwirken.

Deutschlandweit ist es etwa die Hälfte aller Notfalleinsätze, die unter Hinzunahme eines Notarztes durchgeführt werden. (Schmiedel, Behrendt 2011) Darunter fallen auch Einsätze, bei denen es sich lediglich um eine rechtliche Absicherung der Rettungsassistenten handelt. Wie zum Beispiel beim Legen eines peripher venösen Zuganges und folgendem Anschluss einer Vollelektrolytlösung bei leichten Kreislaufstörungen.

Laut Empfehlung der Bundesärztekammer (BÄK) ist dafür ein Notarzt hinzuzuziehen.

Diese Kompetenzerweiterung muss den Notfallsanitätern zuerkannt werden, um die Einsatzzahlen der Notarzteinsatzfahrzeuge nicht unnötig hoch zu halten.

Es sei an dieser Stelle allerdings davor gewarnt zu glauben, dass der Notarzt in seiner Funktion überflüssig werden könnte. Es kann lediglich das Ziel sein, dass Notärzte für jene Einsätze zur Verfügung stehen und einsatzbereit bleiben, für welche sie auch zwingend erforderlich sind.

2.3. Das Aufgabengebiet der Rettungsassistenten

Oft sind die Rettungsassistenten mit ihrem Rettungs- und Transportwagen (RTW) als Erste am Einsatzort. Sie nehmen eine Erstversorgung des Patienten vor und assistieren dem Notarzt am Einsatzort. Somit stellen beide Berufsgruppen gemeinsam eine optimale Versorgung des Patienten sicher. Sollte der Notarzt den Einsatzort nicht rechtzeitig erreichen können, ist der Rettungsassistent – von Beginn des Einsatzes bis zum Eintreffen des Arztes – allein für eine kompetente und qualifizierte Betreuung sowie adäquate Versorgung des Patienten zuständig. Bei nicht-notarztrelevanten Einsätzen trägt der Rettungsassistent die alleinige Verantwortung bis zur Übergabe des Patienten in der Klinik. Dort hat er die Pflicht, den Patienten direkt einem Arzt zuzuführen.

Wenn sich das regional zugeteilte Notarzteinsatzfahrzeug bereits in einem anderen Sektor des Einsatzgebietes befindet, kann dabei die Anfahrt zum neuen Notfallort weit über 20 Minuten hinausgehen. In diesem Fall ist der Rettungsassistent komplett allein auf sich und seinen Teampartner gestellt. Nach §3 des RettAssG soll die Ausbildung dazu befähigen, den Rettungsassistenten als Helfer des Arztes vorzubereiten. Darüber hinaus soll er lebensrettende Maßnahmen in Abwesenheit des Arztes übernehmen, bis dieser den Notfallort erreicht.

Unter Berücksichtigung der erforderlichen Gegebenheiten sind die Transportfähigkeit herzustellen und der Patient unter Beobachtung und Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Körperfunktionen zu transportieren, so dass er direkt einem Arzt zugeführt werden kann. (RettAssG 1989:§3) Dies ist in aller Regel der Arzt in der zentralen Notaufnahme oder Rettungsstelle des nächstgelegenen Klinikums.

In solchen Fällen besitzt der Rettungsassistent vor Ort und auch während des Transportes bereits eine hohe Verantwortung dem Patienten gegenüber.

Das Bewusstsein dafür ist bereits in der Ausbildung zu legen, welche bisher dem bundeseinheitlichen Rettungsassistentengesetz (RettAssG) von 1989 unterlag.

Der RettAss, wie er in seiner Kurzform auch genannt wird, ist einer der wenigen auf Bundesebene gesetzlich geregelten Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungsdauer von zwei Jahren. Im Rettungsdienst ist er der einzige Beruf mit staatlicher Anerkennung.

2.4. Die bisherige Ausbildung der Rettungsassistenten

Die Ausbildung des Rettungsassistenten verteilt sich auf zwei Jahre.

Sie wird dabei gesplittet in einen theoretisch-praktischen und einen praktischen Anteil.

Der theoretisch-praktische Anteil „besteht aus mindestens 1.200 Stunden theoretischer und praktischer Ausbildung und dauert, sofern er in Vollzeitform durchgeführt wird, zwölf Monate. Er wird von staatlich anerkannten Schulen für Rettungsassistenten durchgeführt und schließt mit der staatlichen Prüfung ab.“ (:§4) Der Unterricht ist dabei gegliedert in allgemeine medizinische Grundlagen, allgemeine und spezielle Notfallmedizin, Organisation und Einsatztaktik, Berufs- Gesetz- und Staatsbürgerkunde. (RettAssAPrV 1989:Anlage 1)

In den meisten Rettungsdienstschulen beginnt die Ausbildung mit einem zwölfwöchigen Überblick über die genannten Themen. Diese inhaltlich eingeschränkte Kurzfassung wird kombiniert mit vier Wochen Einführungspraktikum auf verschiedenen Stationen einer Klinik und ebenfalls vier Wochen Einführungspraktikum in einer Lehrrettungswache.

In der dreizehnten Woche erfolgen Kenntnis und Fertigkeitsüberprüfungen in mündlicher, schriftlicher und praktischer Form. Nach Bestehen dieser Prüfungen erhalten die meisten zukünftigen Rettungsassistenten, in Abhängigkeit der jeweiligen Schulordnung, innerhalb ihrer Ausbildung den Zwischenabschluss zum Rettungssanitäter. (Grundsätze zur Ausbildung des Personals im Rettungsdienst (520 Stundenprogramm) 1977) Darauf folgend wird das bisher erworbene Wissen sukzessive vertieft und mit weiteren Praktika versehen. Jene Praktika begrenzen sich allerdings auf die Kliniken.

Die Lehrrettungswachen sind erst wieder im zweiten Ausbildungsjahr relevant.

Insgesamt müssen die angehenden Rettungsassistenten während des ersten Ausbildungsjahres mindestens 580 Stunden Klinikpraktika absolvieren, um die nötigen Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln. Diese sind in den Bereichen Anästhesie, Intensivpflege, allgemeine Pflege und Notaufnahme / Rettungsstelle durchzuführen.

Zum Abschluss des ersten Ausbildungsjahres folgt das Staatsexamen.

Wie in den meisten Abschlussprüfungen der Gesundheitsberufe sind auch hier eine schriftliche, praktische sowie mündliche Prüfung zu absolvieren.

Dies geschieht unter Aufsicht der jeweiligen Landesprüfungsbehörde. (RettAssAPrV 1989:§§4,5) Somit gelten das erste Ausbildungsjahr und zugleich der gesamte theoretisch-praktische Anteil der schulischen Ausbildung als abgeschlossen.

Der zweite Ausbildungsteil – das Anerkennungsjahr – zugleich das zweite Jahr der Ausbildung, findet separat und ausschließlich in den Lehrrettungswachen statt.

Es handelt sich dabei um staatlich anerkannte Ausbildungswachen, welche zur Aufnahme von Jahrespraktikanten berechtigt sind. (RettAssG 1989:§7) In Vollzeitform sind dies 1.600 Stunden in besagten zwölf Monaten. Neben der praktischen Tätigkeit und dem Begleiten, Durchführen, Dokumentieren und Reflektieren von Notfalleinsätzen müssen die Bildungsteilnehmer in der Rettungswache mindestens 50 theoretische Unterrichtsstunden absolvieren. Darin sind die in der theoretischen und praktischen Ausbildung – nach § 1 RettAssAPrV – erworbenen Kenntnisse zu vertiefen.

Um die Berufsbezeichnung – staatlich anerkannter Rettungsassistent – führen zu dürfen, ist am Ende des zweiten Ausbildungsjahres ein Abschlussgespräch nötig. In diesem wird durch einen von der zuständigen Landesbehörde beauftragten Arzt, gemeinsam mit dem betreuenden Lehrrettungsassistenten, festgestellt, ob der Auszubildende im Anerkennungsjahr die theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten miteinander verknüpfen, sicher anwenden und umsetzen konnte. (RettAssAPrV 1989:§2) Nach zwei Jahren ist die Ausbildung damit abgeschlossen.

Die Struktur der Ausbildung ist und war somit in keinster Weise mit anderen Berufen im Gesundheitssystem vergleichbar.

Zum 01. Januar 2014 trat dafür nun das neue Notfallsanitätergesetz in Kraft.

Das RettAssG hat allerdings noch bis 31. Dezember 2014 Bestandschutz.

Das bedeutet, wer seine Ausbildung zum Rettungsassistenten noch im genannten Zeitraum beginnt, darf diese auch zu Ende führen.

2.5. Gesetzliche Regelungen

Im alltäglichen Arbeitsablauf sind die Rettungsassistenten im Notfalleinsatz oft auf sich allein gestellt und müssten ärztliche Maßnahmen ohne Beisein eines Arztes durchführen, um den Patienten vor schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen zu bewahren.

Die Rechtslage dafür ist jedoch noch immer nicht eindeutig geklärt.

Schon 1992 kritisierte die Bundesärztekammer, dass unzutreffender Weise die Auffassung entstand, der Rettungsassistent wäre ein medizinischer Fachberuf, dem auch die Erlaubnis zur Durchführung spezifischer ärztlicher Leistungen im Rettungsdienst übertragen wurde.

Jedoch gilt für die Ausübung der Heilkunde eine gesonderte Erlaubnis oder der Arztvorbehalt. (HeilprG 1975:§1) Die Bundesärztekammer besteht hier auf eine klare Abgrenzung in der Zusammenarbeit mit den Rettungsassistenten.

Sie beruft sich auf zwei konkrete Ansätze:

1. Dem Rettungsassistenten werden lediglich ärztliche Leistungen im Beisein des Arztes delegiert und
2. Im Sinne der „Notkompetenz“ des Rettungsassistenten greift der Rahmen des rechtfertigenden Notstandes. (Bundesärztekammer 1992:1)

Die Delegation, um den ersten Ansatz aufzugreifen, beinhaltet allein die Übertragung ärztlicher Leistungen und Aufgaben auf Nicht-Ärzte.

Die Rettungsassistenten werden im Rahmen der übertragenden Aufgaben tätig und erbringen somit assistierende Aufgaben. Daher die Berufsbezeichnung (Rettungs-)Assistent. Berechtigterweise kommen immer wieder Fragen bezüglich des Rechtsrahmens auf.

Die Bundesärztekammer macht an dieser Stelle deutlich, dass die Anordnungsverantwortung stets beim Arzt liegt, die Durchführungsverantwortung aber grundsätzlich bei demjenigen, der die Maßnahme ausführt. (:1)

Ein entscheidender Hinweis: Der Arzt hat auch die Pflicht vorher zu Prüfen ob der Rettungsassistent sich zur Ausführung jener Aufgaben eignet und entsprechende Qualifikationen besitzt. Unberührt davon bleiben spezifisch ärztliche Leistungen, sie sind allein dem Arzt vorbehalten. Dazu gehören das Stellen der Diagnose sowie therapeutische Entscheidungen. (:2)

2.5.1. Notkompetenzregelung der Bundesärztekammer

Zum zweiten Ansatz, der Notkompetenz, ist folgendes zu sagen: Es gibt gesetzliche Regelungen, die dem Rettungsassistenten eine Gleichstellung mit jedem Bürger bescheinigen und solche, die ihm vorbehaltliche Aufgaben zusichern, ja sogar unter bestimmten Voraussetzungen dazu befähigen, die dem Arzt vorbehaltene Heilkunde auszuüben.

In welchem Feld man sich rechtlich befindet, ist in der akuten Notfallsituation nicht immer ganz eindeutig zu klären. So betrachtet ist dieser Teil eine rechtliche Grauzone.

Wie jeder Bürger hat er die Pflicht zur Hilfeleistung oder wird, bei unterlassener Hilfeleistung, belangt. Im Strafgesetzbuch heißt es: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ (StGB 2014:§323c) Von einem Rettungsassistenten mit einer zweijährigen Ausbildung ist allerdings mehr zu erwarten, als nur diesen Tatbestand zu erfüllen. Es richten sich höhere Ansprüche an seine Fähigkeiten, die rechtlich dem Berufsbild zugeschrieben sind.

In seiner Rettungsdiensttätigkeit besitzt er über die allgemeine Hilfspflicht hinaus weitere, besondere Verpflichtungen. Er muss als Garant rechtlich dafür einstehen, dass der „Tatbestandliche Erfolg“ nicht eintritt, eine Straftat oder ein Schaden somit ausbleibt.

Es wird an dieser Stelle also das „Nichtstun“ bestraft. Diese Verpflichtung zum aktiven Tätig werden, Rettungshandlungen durchzuführen, bezeichnet man als Garantenstellung oder Garantenpflicht. Die reine Garantenstellung ergibt sich aber nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen, aus dem absolvieren der Ausbildung oder aufgrund besonderer Fähigkeiten.

Sie bezieht sich stattdessen immer auf bestimmte Rechtsgüter und Personen.

In diesem Fall ist die Rede von einer freiwilligen Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten, z.B. die Übernahme der (ärztlichen) Behandlung während der Arbeitszeit. (Jäger 2011:289)

Obwohl es in Deutschland eine flächendeckende notärztliche Versorgung gibt, kann es vorkommen, dass der Rettungsassistent mit seinem begleitenden Rettungssanitäter zu Beginn des Einsatzes auf sich allein gestellt ist. Nicht selten sogar komplett ohne Notarzt auskommen muss, da dieser mehrere Rettungswagen der Region gleichzeitig bedient. (vgl. Kap. 2.2.)

In diesem Fall trifft der Rettungsassistent eigene Entscheidungen in voller Verantwortung und übernimmt – bei lebensbedrohlichen Situationen und zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden – ärztliche Maßnahmen, ohne Delegation und Weisung.

„Für den objektiv gegebenen Verstoß gegen den Arztvorbehalt zur Ausübung der Heilkunde, kann der Rettungsassistent in dieser Situation den rechtfertigenden Notstand in Anspruch nehmen.“ (Bundesärztekammer 1992:2) Diese Maßnahmen sind nicht willkürlich freigegeben, sondern finden sich wieder im Notkompetenz-Katalog der Bundesärztekammer. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Gesetzesgrundlage, sondern lediglich um eine Empfehlung.

Damit der Rettungsassistent am Notfallort Maßnahmen durchführen darf, die dem Arzt nach Heilberufsgesetz vorbehalten sind, muss vorausgesetzt sein, dass er auf sich allein gestellt ist und entsprechend ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig eintreffen wird.

Dazu gehören „Maßnahmen, die er aufgrund eigener Diagnosestellung und therapeutischer Entscheidung durchführt, [welche] zur unmittelbaren Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Notfallpatienten dringend erforderlich sind.“(:2) In diesem Passus der Bundesärztekammer heißt es weiterhin, dass das gleiche therapeutische „Ziel durch weniger eingreifende Maßnahmen nicht erreicht werden kann […]“.

Der Notkompetenzkatalog enthält – nach dem bisherigen wissenschaftlichen Stand der Notfallmedizin – Kriterien, welche zur Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Notfallpatienten bisher nur Ärzten vorbehalten waren.

Es handelt sich dabei um folgende, spezifisch ärztliche Maßnahmen:

Die Intubation ohne Relaxantien, die Venenpunktion, die Applikation kristalloider Infusionen sowie ausgewählter Medikamente und die Möglichkeit der Frühdefibrillation. Der Rettungsassistent darf nach dieser Notkompetenz-Empfehlung der BÄK auch nur solche Maßnahmen übernehmen und durchführen, die er gelernt hat und deren sichere Ausführung er zum Zeitpunkt der Durchführung gewährleisten kann. (:3)

Durch die dargelegte Beschneidung der Kompetenzen sowie der Eingrenzung einer optimalen patientenorientierten Versorgung kann diese rechtliche Sachlage somit für das neue Berufsbild nicht als zufriedenstellend gelten.

Um dieser dunklen Grauzone geltenden Rechts entgegen zu wirken, gab es bereits 2006 erste Anläufe zur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes (RettAssG).

Damals drängten einzelne Abgeordnete der FDP, unter Federführung von Jens Ackermann, Hartfrid Wolff und dem bis Ende 2013 designierten Gesundheitsminister Daniel Bahr (Bundesminister für Gesundheit 05/2011 – 12/2013) in einem Antrag an die damalige Bundesregierung auf eine Novellierung des Gesetzes. Die Fraktion der FDP verweist in ihrem Antrag von 2006 darauf, dass das seit 1989 geltende Rettungsassistentengesetz im Hinblick auf den damaligen medizinischen Stand „völlig überholt und mangelhaft“ (Westerwelle, Guido u. a. 2006:1) sei.

Was fehlt ist eine eindeutig zugewiesene Kompetenz. „Die derzeitige Rechtslage gibt hier nur unzureichende Vorgaben und zwingt die Rettungskräfte in die Situation, bis zum Eintreffen eines Notarztes bei der Durchführung von lebenserhaltenden Maßnahmen in einem rechtsfreien Raum zu agieren.“ (:1)

Allein das seit 01. Januar 2014 geltende Notfallsanitätergesetz und die dazugehörige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung werden daran nichts ändern. Zudem fehlt eine Freigabe und Zuordnung von Maßnahmen, die in erforderlichen Notfallsituationen auch ohne Hinzuziehen eines Notarztes durchgeführt werden dürfen.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Veröffentlichung eines Maßnahmenkataloges durch den Deutschen Berufsverband Rettungsdienst e.V. (DBRD) und dem Bundesverband Ärztlicher Leiter Rettungsdienst e.V. (ÄLRD).

2.5.2. Maßnahmenkatalog des DBRD e.V.

Die erste Auflage des Maßnahmenkataloges für Notfallsanitäter wurde aktuell am 15.02.2014 durch den Deutschen Berufsverband Rettungsdienst e.V. veröffentlicht. Im Anschreiben werden „invasive und heilkundliche Maßnahmen empfohlen, die im Rahmen der Notfallsanitäterausbildung erlernt werden sollen.“

(Katalog für invasive und heilkundliche Maßnahmen durch Notfallsanitäter 2014:1)

Im Sommer des vergangenen Jahres begann der DBRD zusammen mit dem Bundesverband Ärztlicher Leiter Rettungsdienst e.V. den Pyramidenprozess. Dabei handelt es sich um einen Abstimmungs- und Erörterungsprozess, welcher invasive Maßnahmen für zukünftige Notfallsanitäter berät. Im NotSanG sind Ausbildungsziele benannt, welche sowohl invasive Maßnahmen (NotSanG:§4 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe c) als auch bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen, heilkundliche Maßnahmen beinhalten. Diese werden vom Bundesverband der ÄLRD standardmäßig vorgegeben.

Bereits sieben Monate früher, am 15.07.2013, wurden im Pyramidenprozess die fachlichen Anforderungen an die invasiven Maßnahmen noch einmal klar formuliert:

- „Sie müssen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse lebensrettend wirken oder geeignet sein, schwere Folgeschäden zu vermeiden.
- Sie müssen im Rahmen der dreijährigen Ausbildung auch bis zum vorgesehenen Kompetenzniveau ausbildbar sein.
- Für jede einzelne Maßnahme muss eine Risiko-Nutzenabwägung vorgenommen werden, in die die Anwendungshäufigkeit und die mit einer Anwendung verbundenen Gefahren eingehen.“ (:2)

In Anlehnung an den § 4 Abs. 2 Nummer 1 des NotSanG gilt es die invasiven Maßnahmen noch einmal zu klassifizieren. An dieser Stelle wird im Gesetz von eigenverantwortlicher Durchführung und im § 4 Abs. 2 Nummer 2 von eigenständiger Mitwirkung im Rahmen der Assistenz zum Notarzt gesprochen.

Die eigenverantwortliche Durchführung von Maßnahmen wird im Sinne des Kompetenzniveaus mit dem Begriff „beherrschen“ dargelegt.

Es reicht demnach nicht, bestimmte Maßnahmen nur zu erlernen, einzuüben oder separat in irgendeiner Form nachzuweisen. Gleichermaßen sollte jede Ausbildungsstätte den Anspruch hegen, nichts unversucht zu lassen, um möglichst alle zu erlernenden Maßnahmen bis auf das Kompetenzniveau „beherrschen“ voranzubringen. Eine wichtige Rolle spielt dabei allerdings die Ausbildbarkeit im vorgegebenen Ausbildungszeitraum. Sie wird sich differenzieren müssen zwischen der Schule und den Praxiseinrichtungen. Einige Maßnahmen können am Phantom geübt, erlernt und nachgewiesen werden, jedoch nicht bis in die Kompetenzstufe der Beherrschbarkeit. Der Bericht und die Bewertung des DBRD unterstützen die These, dass dies teilweise nur in der Praxis am direkten Patienten möglich ist. (:5)

Bei der eigenständigen Mitwirkung im Rahmen der Assistenz zum Notarzt ist im Notfallsanitätergesetz noch eine Ausnahme aufgeführt.

Es ist die Rede von eigenständigem Durchführen heilkundlicher Maßnahmen, welche

„vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst oder entsprechend verantwortlichen Ärztinnen oder Ärzten bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden“ können. (NotSanG 2014:§4 Abs. 2)

Dem regional zuständigen Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstbereiches wird somit die Möglichkeit gegeben, weitere heilkundliche Maßnahmen an die Notfallsanitäter zu übertragen, sofern sie dem erforderlichen Nachweis zur Überprüfung und Verantwortung bestimmter Fertigkeiten und Kenntnisse Stand gehalten haben.

In diesem Sinne trägt der Ärztliche Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) die Verantwortung für die Durchführung der Maßnahmen, die vom Notfallsanitäter ausgeübt werden.

Die mit dieser gewichtigen Verantwortung versehenen ÄLRD sind deshalb gut beraten, einer regelmäßigen Überprüfung und Nachweispflicht der heilkundlichen Maßnahmen – seitens der Notfallsanitäter – nachzukommen.

Für die deutschlandweite Übertragungspraxis von ärztlichen Kompetenzen auf Notfallsanitäter sowie der Schaffung der dafür nötigen Voraussetzungen ist in der Ausbildung bereits der Grundstein zu legen.

Eine enge Zusammenarbeit mit den ortsansässigen ärztlichen Leitern scheint seitens der Schulen von großem Wert, um sie für die direkte Ausbildung und regelmäßige Reflexion mit einzubeziehen.

Schließlich liegen deren Hauptaufgaben in der Überwachung des medizinischen Qualitätsmanagements bezüglich der Patientenversorgung und -betreuung.

Die ärztlichen Leiter bewirken, „dass im Rettungsdienst organisationsübergreifend die notwendigen Strukturen aufgebaut und die Prozessabläufe konstant sach-, zeit- und bedarfsgerecht erbracht werden.“ (Deutsches Ärzteblatt:1281) Somit haben sie die Befugnisse, auf sämtliche Vorgehens- und Arbeitsweisen bezüglich der Optimierung von Patientenoutcomes hinzuwirken. In Absprache mit den jeweiligen Leitern der Rettungsdienstbereiche sorgen sie also für eine bestmögliche und qualitativ hochwertige Aus-, Fort- und Weiterbildung.

Um eine Optimierung und Intensivierung des zuvor erwähnten Maßnahmenkataloges in den regionalen Rettungsdienstbereichen voranzubringen und um eine endgültige beständige Regelkompetenz zu erschaffen, ist die Einbeziehung der jeweiligen ärztlichen Leiter in die Ausbildung von großem Vorteil und von hoher Bedeutsamkeit.

Neben der regelmäßigen, weiterführenden Aktualisierung und Anpassung des Maßnahmenkataloges hat sich der Bundesverband der ÄLRD vorgenommen, gemeinsam mit dem DBRD und den medizinischen Fachgesellschaften, standardisierte Ablaufprozesse (Standard Operating Procedures, kurz SOPs) zu erarbeiten.

Diese sollen sich nach nationalen und internationalen Leitlinien richten.

Durch die Implementierung solcher wissenschaftlichen und mit Studien belegten Leitlinien kann die Qualität der Ausbildung, aber vor allem die qualifizierte Versorgung aller Notfallpatienten durch Notfallsanitäter in Deutschland noch einmal verbessert werden.

Zum aktuellen Zeitpunkt liegen dazu jedoch keine neuen Veröffentlichungen vor.

Als Fundament für den generellen Kompetenzerwerb in der Ausbildung zum Notfallsanitäter müssen Bildungstheorien und didaktische Modelle herangezogen werden, welche gleichzeitig als empirische Grundlage für die Ausbildung gelten.

3. Kompetenzen

Bildungspolitisch begann sich bereits vor über 10 Jahren eine Konjunktur des Kompetenzbegriffs in Europa zu etablieren. Hintergrund ist die Globalisierung mit ihren dynamischen und wissensbasierten Wirtschaftsräumen. Es entstand eine Neubewertung des Lernens und damit auch ein Umdenken in der Berufsausbildung. (Gnahs 2010:15–24)

Dieser Entwicklungsprozess macht auch nicht vor der novellierten Rettungs-assistentenausbildung halt. Eine Neuorientierung im Sinne der Kompetenzentwicklung und Vertiefung der Ausbildungsinhalte macht es notwendig, sich dem Prozess des beruflichen Kompetenzerwerbs zu stellen. Hintergrund ist jedoch auch die „neue Geschwindigkeit“ mit der allgemeine, berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen die Berufswelt konfrontieren. Der Wettbewerb, die Schnelllebigkeit der Technik und die Flexibilität machen auch vor medizinischen Berufen nicht halt. Eine Umorientierung in der Aus- und Weiterbildung ist somit unabdingbar. (Bretschneider 2006:4)

Der Kompetenzbegriff ist in den letzten Jahren immer mehr zum Mittelpunkt von Ausbildungsinhalten geworden und zielt auf die persönliche Entfaltung, Teilhabe, angemessenes Handeln und eine gesellschaftliche Verantwortung ab. (Gnahs 2010:12)

Kurz gesagt, was ein Mensch „kann“ indem er sachkundig, handlungs- und reflexionsfähig ist. Im Sinne der Aus- und Weiterbildung wird eine Qualifikation nunmehr nur noch als Signal verstanden und nicht mehr als Garant für berufliches Handeln. (Hof 2002:80)

Hintergrund ist der Erwerb von Kompetenzarten:

- Fachkompetenz: Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person
- Methodenkompetenz: situative und flexible kognitive Fähigkeiten welche auch zur
Aneignung neuer Kenntnisse dienen
- Sozialkompetenz: Kooperatives Teamwork, Empathie und prosoziales Verhalten
- Handlungskompetenz: sachgerechte- und verantwortliche Anwendung in entsprechenden Handlungssituationen, welche ein komplexes und Eigenständiges Tun erfordern
- kommunikative Kompetenz: sprachliche Ausdrucksfähigkeit und ein kommunikatives Teamwork
- Personalkompetenz: Disposition eines Menschen mit seinem Wissen und seinen
Werten & die Möglichkeit der Reflektion und dessen Anpassung
- inhaltliches Basiswissen: naturwissenschaftliche wie sozialwissenschaftliche Grundlagen
und ethisches Basiswissen aus den Bereichen Geschichte,
Pädagogik, Soziologie, Politik und Biologie (Prenzel 2008:133)

Bereits seit 1970 sprach sich der Deutsche Bildungsrat für die Förderung von Schlüsselqualifikationen aus um Bildungsteilnehmer zu Kooperation und Verantwortung zu befähigen. (Roy 1997:51–52) Die europäische Union definiert heute, zusätzlich den Erwerb von Schlüsselqualifikationen, wie die der Sprachenkompetenz oder PC-Kompetenz.

(Gnahs 2010:27) Diese können mitunter uneingeschränkt für den Rettungsdienst definiert und handlungsorientiert angewandt werden. (vgl. Kap. 6.)

Um komplexe Anforderungen, welche im Rettungsdienst ständige Begleiter sind, erfolgreich zu bewältigen, benötigt es Wissen, kognitive und praktische Fähigkeiten, wie auch soziale Verhaltenskomponenten. Der Kompetenzbegriff bietet somit eine Orientierung an den Ergebnissen und Verwendungsmöglichkeiten im Rettungsdienst und deren Ausbildung.

Im Hinblick auf den schulischen Verlauf, ist der Kompetenzbegriff outputorientiert und löst das Inputsystem ab. (:17) Inputsteuerung beschreibt sozusagen die alte Logik durch detailgenaue inhaltliche Vorgaben und seine Ressourcenverwendung. (Bauer 2007:163) Lernzielvorgaben nach dem Inputsystem sagen somit nur wenig über Fertigkeiten und Fähigkeiten am Ende der Berufsausbildung aus. (Hallet 2006:21) Es ist aber wichtig, was der Bildungsteilnehmer am Ende seiner Ausbildung an Kompetenzen erworben hat (Output). Genauer gesagt geht es „um verbindliche Erfolgskriterien, die als Mindeststandards der Kompetenzentwicklung der Bildungsteilnehmer für verschiedene Wissensbereiche definiert werden.“ (Bauer 2007:163) Das Wissen stellt zwar weiterhin die zentrale Grundlage von Handlungsfähigkeit dar, eine Differenzierung zwischen Wissen und Handeln wurde jedoch in den letzten Jahren stark diskutiert und hat dadurch die Kompetenzentwicklung vielfältig geprägt. Passives Lernen rückt in den Hintergrund und ändert die Lernumwelt von der bloßen Theorie hin zu aktiven Lehr- und Lernelementen. (Hof 2002:80)

Um Kompetenzen schulisch zu erwerben, müssen eine Anzahl von allgemeinen Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen erfüllt sein, welche nun kurz benannt werden sollen: (Helmke 2012:30–31)

Schule muss Unterricht anbieten zudem der Bildungsteilnehmer einen Zugang hat.

2. Die Ausstattung der Schule muss den Erwerb von Wissen fördern. Gemeint sind hierbei z.B. helle Räume, bequeme Stühle, Internet und eine eigene Schulbibliothek.

3. Weitere Rahmenbedingen auf Seiten der Bildungsteilnehmer sind z.B.: die Gesundheit der Person, die Begabung, die Emotionen des Bildungsteilnehmers, die finanziellen Mittel des Einzelnen, die persönliche Disposition, das Vorwissen und die Erfahrungen die der Bildungsteilnehmer bereits gemacht hat.

Um die Kompetenzen zu realisieren muss auf der einen Seite der Bildungsteilnehmer mit seinem Wissen, Wollen und Können betrachtet werden und auf der anderen Seite die Umwelt, mit ihren Bedingungen wie Befugnissen oder den Erwartungen. Person und Umwelt werden anschließend in eine Handlungssituation gebracht. Dieses führt nach Hof (Hof 2002:86) zu einer Mobilisierung, welche als Kompetenz und damit als Ausmaß der Realisierung bezeichnet werden kann. Hierbei steht das Subjekt im Mittelpunkt, welches auch im Sinne einer Persönlichkeitskompetenz eigene Gefühle, Werte und Mut in die entstandene Performance mitbringen soll. Im Bezug auf den Rettungsdienst sind die daraus resultierende Empathie und Verantwortung unabdingbar. Der Begriff der Performance ‒ bezogen auf die Kompetenz ‒ umschreibt demzufolge die Bewältigung von „neuartigen Situationen unter Zuhilfenahme der vorhandenen Kenntnisse und Fertigkeiten mit dem entsprechenden Interesse, sich dem neuen Gegenstand zu widmen“. (Tschekan 2011:46)

3.1. Kompetenzen und Veränderungen in der Notfallsanitäterausbildung

Im Sinne der Ausbildung sind viele der genannten Kompetenzen (vgl. Kap. 3.) uneingeschränkt auf den Notfallsanitäter anwendbar. Denn der Notfallsanitäter ist als Kompetenzträger besonderen An- oder Herausforderungen ausgesetzt. (Jung 2010:17)

Zum Beispiel muss der Notfallsanitäter beim Patienten nicht nur die Krankheit oder Verletzung erkennen (Fachkompetenz), mit dem Patienten empathisch umgehen (Personalkompetenz), im Team arbeiten (Sozialkompetenz) sondern auch Einsatzdaten dokumentieren können (PC-Kompetenz). Mit der dreijährigen Ausbildung zum Notfallsanitäter entsteht somit eine Wende in der Ausbildung von Rettungsdienstfachpersonal: von klassischen behavioristischen Elementen hin zum Kompetenzerwerb und klaren Elementen zukunftsweisender Bildungstheorien.

Es geht nicht mehr um den Erwerb von eng definierten Kenntnissen und der damit verbundenen Sachlogik, sondern um den Erwerb von Fähigkeiten für geplante Handlungsabsichten.

Wissen wird nunmehr fachlich und strategisch entwickelt um es zielgerichtet einzusetzen und zu evaluieren. Die Erweiterung auf drei Ausbildungsjahre und die Definition von Kompetenzen in der Ausbildungsprüfungsverordnung legen hiermit ein geeignetes Fundament zu Grunde. (NotSanAPrV 2014:§2 Abs.1)

Die Selbstständigkeit und Selbstorganisation des Bildungsteilnehmers werden zum pädagogischen Ziel für die Herausforderungen im Berufsalltag des Notfallsanitäters.

(Jung 2010:17) Konstruktivistische Elemente und die veränderte Rolle des Lehrers führen den Bildungsteilnehmer in einen Situationsbezug. (vgl. Kap. 5.3. und 5.4.) Die Einbindung in den Kontext und die Wahrnehmung der unterschiedlichen Kompetenzarten sollen die Eigenaktivität erhöhen und den Bildungsteilnehmer zur oben genannten Mobilisierung (vgl. Kap. 3.) führen. Kompetenzentwicklung eröffnet im Berufsleben somit individuelle Handlungsspielräume. (Bretschneider 2006:12) Im gesamten Entwurf der gesetzlichen wie auch kompetenzorientierten Elemente wurde stets die novellierte Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung aus dem Jahr 2004 als Parallelwerk heran gezogen. (Bundesministerium für Gesundheit 2012:25-26) Dies unterstreicht, wie überfällig eine Überarbeitung der Rettungsassistentenausbildung auf der Zeitschiene geworden ist.

3.2. Das Kompetenztheoretische Modell im Kontext der Notfallsanitäterausbildung

Weder für den Notfallsanitäter noch für den Rettungsassistenten besteht bzw. bestand ein empirisch untersuchtes didaktisches Modell. Im Folgenden wird sich auf das kompetenztheoretische Modell der Pflegedidaktik von Frau Prof. Dr. Christa Olbrich bezogen. Grund ist die unter 3.1. erwähnte Parallelität zur Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung. Das Modell entstand aus einer wissenschaftlichen Studie und erfasst im Ursprung die Kompetenzen der Pflege. Die zentrale Frage des Modells besteht darin, zu klären, wie Kompetenz entwickelt werden kann. (Olbrich & Darmann-Finck 2009:64) Da sich viele Analogien zum Rettungsdienst in der Ausbildung und im Umgang mit den Patienten finden lassen, ist eine Umsetzung in der Ausbildung von Notfallsanitätern durchaus möglich und nach unserer Meinung sinnvoll. Besonders vorteilhaft erscheint, dass die Kompetenzen sich gestuft und hierarchisch gemäß von Entwicklungsstufen anordnen lassen. Im Hinblick auf die komplexen Abläufe im Umgang mit dem Patienten und den differenzierten gestaffelten Ausbildungsmöglichkeiten im Rettungsdienst, ist dieses Modell ein sehr gutes Mittel auch der Novellierung der Rettungsassistentenausbildung gerecht zu werden. Die Stufenbildung bezieht sich in den weiteren Ausführungen insbesondere auf die Notfallsanitäterausbildung und begründet sich in der Analyse des Kompetenzerwerbs. Die Stufenbildung darf jedoch nicht additiv oder statisch verstanden werden, sondern Kompetenz entwickelt sich dynamisch und wechselseitig. (Jung 2010:100)

Im weitesten Sinne könnte diese Stufenbildung auch sehr vereinfacht auf die Differenzierung von Rettungssanitätern, Rettungsassistenten und auf den Notfallsanitäter angewendet werden. Da die Ausbildungszweige von Rettungssanitätern und Rettungsassistenten jedoch bisher keiner Kompetenzorientierung unterliegen, wird auf eine weitere Ausführung verzichtet und sich hauptsächlich dem neuen Beruf des Notfallsanitäters gewidmet.

Um den komplexen Anforderungen an die kompetenzorientierte Didaktik Rechnung zu tragen werden im Weiteren die Arten des Handelns und des Lernens unterschieden. Diese werden hierarchisch im Anschluss wieder zusammengefügt und ergeben für die Ausbildung ein anwendbares Regelwerk für die Anwendung von unterschiedlichen Kompetenzschwerpunkten in der Arbeit am Patienten.

3.2.1. Arten des Handelns

Im kompetenztheoretischen Modell wird vorab in verschiedene Stufen des Handelns unterschieden um die differenzierten Handlungsabläufe sichtbar zu machen.

Es werden folgende Handlungsmöglichkeiten unterschieden (Olbrich & Darmann-Finck 2009:64–66) und bereits dem Rettungsdienst beispielhaft zugeordnet:

Das regelgeleitete Handeln

Es dient der Anwendung von Wissen und Kenntnissen.

Im Sinne der Arbeit am Patienten oder in Ausbildungssituationen ist das Ziel, dass Routinesituationen ausgeführt werden können. Als Beispiel kann die Blutdruckmessung oder das Anlegen eines EKGs angebracht werden. Einfache Handlungsabläufe sind Inhalt der Ausbildungssequenzen und sollen sich am Patienten in stabilen Situationen wiederfinden.

Die Handlung muss daher weder hinterfragt noch vertieft werden. An dieser Stelle wird die Basis zum Handlungskompetenzerwerb gelegt. (Olbrich 1999:61)

Das situativ-beurteilende Handeln

Hier geht es darum, Situationen beurteilen zu können und das Handeln auf der Basis einer eigenen Einschätzung voran zu bringen. Es ist zu erkennen, dass der Handlungsspielraum nun eine größere Dimension einnimmt. Es wird voraussetzt, dass gewissermaßen Verantwortung in den Vordergrund gestellt werden muss.

Kognitive und emotionale Ebenen werden angesprochen und bieten pädagogisch die Möglichkeit Fachgebiete wie Soziologie, Psychologie, Sozialmedizin und Gerontologie gezielter als bisher einzusetzen.

Grenzen müssen jedoch ganz klar in Ihrer Auslegung und Handlung gewahrt werden.

Die Möglichkeit der Kompetenzabgabe für den Notfallsanitäter muss definiert sein. Hintergrund ist die konfliktreiche und abgelöste Notkompetenz mit ihrer Rechtsunsicherheit und den Grad der schwammigen Auslegung (Empfehlung) durch die Bundesärztekammer. (vgl. Kap. 2.5.)

Das reflektierende Handeln

Es beschreibt Handlungen in intersubjektiven Interaktionen. Hier soll ein Bezug zum Patienten hergestellt und in der daraus resultierenden Situation in Einklang gebracht werden. Das Rollenverständnis und das Bewusstwerden des persönlichen Menschenbildes stehen beim reflektierenden Handeln im Vordergrund und lassen erkennen, wie umfangreich eine Behandlungssituation für den Notfallsanitäter sein kann. Gegenstand der Reflektion ist der Patient, wie auch die eigene Person. (:57)

Das ethisch-aktive Handeln

In der letzten Handlungsmöglichkeit geht es um das ethisch-aktive Handeln. Situationen mit Patienten sollen abschließend mit ethischen Aspekten und aktivem Handeln verknüpft werden. Die Pflegeperson bzw. der Notfallsanitäter steht für die Würde und die Rechte des Patienten stellvertretend ein und soll kommunikativ tätig werden. Dies kann sich von Reden, Streiten bis hin zum Aufzeigen von Grenzen erstrecken. Sichtbare Hilfe für den Patienten ist zielführend und soll vor Werteverletzungen schützen. (:57–58) Gerade im Team und bei Interessenkonflikten mit Notarzt, Klinikarzt, Hausarzt oder Angehörigen stellt dieser Handlungsaspekt mitunter ein hilfreiches Konstrukt dar. Probleme entstehen meist durch ein ethisches Dilemma oder fehlenden Kompetenzen der beteiligten Berufsgruppen.

(Salomon 2005:542–547) Schulisches Ziel muss daher auch die Vertiefung von Interdisziplinarität sein, welche ein Verständnis für die Probleme anderer Berufsgruppen aufzeigen muss.

3.2.2. Arten des Lernens

Um Handlungen auszuführen, müssen vorab auch Lernarten benannt worden sein um die Handlungen anschließend mit den Lernarten zu verbinden und im Kontext mit dem Erwerb von Kompetenzen zu bringen. Folgende Arten des Lernens gilt es aufzuführen bzw. gehören in die Definition des didaktischen Modells: (Olbrich & Darmann-Finck 2009:67)

Das deklarative Lernen

Das deklarative Lernen dient der Aneignung von Fakten und Prinzipien. Hierbei werden einfache Inhalte gelehrt und gelernt welche anschließend zur Ausführung dienen.

Im Prinzip können hierbei alle Basismaßnahmen erlernt werden (was man lernt).

Das prozedurale Lernen

Bei Vorgängen und Verfahrensweisen hilft das prozedurale Lernen und geht der Frage nach, wie man lernt. Hierbei können Algorithmen Anwendung finden, welche den Teilnehmer in klar definierten Situationen einen Lösungsweg aufzeigen. Im Prinzip werden nun die Basismaßnahmen angewandt.

Das konditionale Lernen

Mit dem konditionellen Lernen kann der Teilnehmer entscheiden, wann und wo er welches Wissen anwendet. Da jede Situation unterschiedlich ist, muss auch das Wissen ständig in einer anderen Konstellation angewandt werden. Der Teilnehmer lernt also je nach Situation sein Wissen anzuwenden. Eine Akkommodation des Wissens soll hierbei zu einer Verhaltensänderung führen. (vgl. Kap. 7.6)

Das reflektierte Lernen

Durch Einsicht und Reflektion kann der Bildungsteilnehmer lernen, sich selbst in der Situation zu reflektieren und empathische Grundzüge an sich zu erkennen.

Ein besseres Verständnis zur Situation des Patienten ist hierbei zielführend. Auch die Selbstreflektion stellt ein hohes Maß an Persönlichkeitsbildung und Selbstbewusstseinsbildung dar.

Der Teilnehmer ist somit in der Lage, auch eigene Fehler zu erkennen und auf diese angemessen zu reagieren.

Das identitätsfördernde Lernen

Die Bildungsteilnehmer lernen mit veränderten Ansprüchen und Erwartungen durch die Umwelt umzugehen. Das identitätsfördernde Lernen zeigt die Bedeutung der eigenen Person im Lernprozess und führt dazu angemessen auf Veränderungen zu reagieren und sein Wissen und Verhalten anzupassen. Als anspruchsvollste Art des Lernens endet hiermit auch die Aufzählung der Lernarten im Sinne des kompetenztheoretischen Modells von Frau Prof. Dr. Olbrich.

3.2.3. Die Verknüpfung von Handeln und Lernen im Sinne der Kompetenzen

Um die nun bekannten Formen des Handelns und Lernens in einen Kontext zu bringen, werden die Handlungsformen mit den Lernarten verknüpft. Die Zuordnung ist hierarchisch und wird wie folgt beschrieben. (Olbrich 2004)

Die erste Form der Zuordnung bezieht sich auf das regelgeleitete Handeln und die Lernarten deklarativ wie auch prozedural. Ist diese Kombination gelungen, ist der Bildungsteilnehmer in der Lage einfache Routinesituationen zu bewerkstelligen.

Durch eine einfache Ansammlung von Wissen, kann der Bildungsteilnehmer dieses transparent abrufen und in stabilen Situationen auch Vorgänge oder Verfahrensanweisungen befolgen. Diese Zuordnung muss sich am Anfang der Ausbildung wiederfinden. Anwendungsmuster finden sich, ohne vorab definiert worden zu sein, bereits in der Rettungsassistentenausbildung wieder. Grund ist, dass die Ausbildung zum Rettungsassistenten die Sanitäterausbildung häufig in Kombination mit sich bringt.

(vgl. Kap. 2.4.)(NotSanAPrV 2014:§1 Abs.2) Hierbei werden in dieser ersten Zuordnung Grundsteine für den Erwerb von Handlungskompetenzen gelegt.

Wie unter 4.2. beschrieben, sind hierbei vor allem Aspekte des Kognitivismus zu finden. Auch Anteile des behavioristisch geprägten Frontalunterrichts können an dieser Stelle für die Grundlagenvermittlung von Vorteil sein, müssen jedoch angepasst werden.

Diese in der Pädagogik umstrittene Methode des Frontalunterrichtes sollte jedoch nicht überhand nehmen und letztendlich nur der Vermittlung von allgemeinen Grundlagen (Basics) dienen. Bewusst lehnen wir den Frontalunterricht also nicht ab, denn offene Unterrichtsformen, eine moderne Gestaltung, Raumregie, Körpersprache und Interaktionen bieten auch für den Frontalunterricht eine neue Sozialform an.

[...]

Ende der Leseprobe aus 119 Seiten

Details

Titel
Kompetenzerwerb. Entwicklung eines pädagogischen Leitfadens für die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter
Hochschule
Charité - Universitätsmedizin Berlin  (CC1 - HUMAN-UND GESUNDHEITSWISSENSCHAFTEN)
Veranstaltung
Medizinpädagogik
Note
1,8
Autoren
Jahr
2014
Seiten
119
Katalognummer
V307512
ISBN (eBook)
9783668057104
ISBN (Buch)
9783668057111
Dateigröße
1072 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Notfallsanitäter, Pädagogik, Medizinpädagogik, Notfallsanitäterausbildung, Didaktik, Novellierung, Rettungsassistent, Rettungssanitäter, Präklinik, Berufsausbildung, Rettungsdienst, Notfallmedizin, Notfallpädagogik, Ausbildung, Rettungsmedizin, Berufsschule
Arbeit zitieren
Dipl. med. päd. Alexander Huwe (Autor:in)Dipl. med. päd. Jochen Kircheis (Autor:in), 2014, Kompetenzerwerb. Entwicklung eines pädagogischen Leitfadens für die dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307512

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