Ökologische Angepaßtheit und kulturelle Akzeptanz von Projektmaßnahmen in einer Traditionellen Gesellschaft


Diplomarbeit, 1993

96 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel der Untersuchung
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Charakterisierung der Untersuchungsregion

2 Methodisches Vorgehen
2.1 Wahrnehmung im kulturellen Kontext
2.2 Fallstudie
2.3 Quellenstudium
2.4 Teilnehmende Beobachtung
2.5 Befragung von Projektbeteiligten

3 Theorie der Entwicklungsarbeit
3.1 Nachhaltige Landnutzung und Verwendung lokaler Ressourcen
3.2 Selbstbestimmte Entwicklung von Technologie
3.3 Interkulturelle Kommunikation

4 Allgemeiner Hintergrund
4.1 Traditionelle Landnutzungssysteme
4.1.1 Wanderfeldbau
4.1.2 Gemeindewald
4.1.3 Bewässerungsfeldbau
4.2 Situation in Nordthailand
4.2.1 Drogenhandel im »Goldenen Dreieck«
4.2.2 Geopolitische Situation in Thailand nach 1940
4.2.3 Ökologische und ökonomische Situation

5 Kultur und Wirtschaftsweise der Akha
5.1 Herkunft und Geschichte
5.2 Kulturelle Besonderheiten
5.3 Traditionelle Landnutzung
5.4 Aktuelle Probleme

6 Projektbeschreibung
6.1 Das Projekt
6.1.1 Entstehung und Ziele
6.1.2 Aufbau der Organisation
6.1.3 Arbeitsweise
6.2 Das propagierte Landnutzungssystem
6.2.1 Propagierte Maßnahmen
6.2.2 Soziokulturelle Voraussetzungen
6.2.3 Ökologische und ökonomische Erwartungen
6.3 Projektstand
6.3.1 Realisierte Neuerungen
6.3.2 Probleme bei der Umsetzung
6.3.3 Probleme innerhalb der HADF
6.4 Bewertung des propagierten Landnutzungssystems
6.4.1 Beurteilung der Neuerungen
6.4.2 Methodische Änderungsvorschläge
6.4.3 Technische Änderungsvorschläge
6.5 Veränderungsvorschläge zu Problemen innerhalb der HADF

7 Diskussion
7.1 Prognose
7.2 Ableitung allgemeinerer Aussagen

Literaturverzeichnis

Anhang
A 1 Höhenlinienbild des Gebietes um Pakha Sukjai
A 2 Bestandteile der Feldforschung (Vorhaben)
A 3 Leitfaden für die Feldforschung (Orientierungsfragen)
A 4 Leitfaden für die Befragung von Dorfbewohnern (in Englisch)
A 5 Aussagen von Bewohnern Pakha Sukjais
A 6 Bodennutzungsintensität
A 7 Bodenabtrag in Abhängigkeit von der Fruchtfolge, der Hanglänge und der Hangneigung
A 8 Geschichte der Kuomingtang in Nordthailand
A 9 Sloping Agriculture Land Technology (SALT)
A 10 Tuenjai Deetes' Adress
A 11 The Lomi-Akha of Mae Salong (n.n., no title, no date, appr. 1990)
A 12 Gewinnung und Ausbringung von organischem Dünger
A 13 Integration von Feuer- und Nutzholz in Konturhecken
A 14 Maßnahmen zur Reduzierung des Oberflächenabflusses und Hebung der Wasserverfügbarkeit

Verzeichnis der Abbildungen

1.1: Thailand mit angrenzenden Staaten
1.2: Bezirk Mae Chan, Kartenausschnitt von Abb. 1.1

2.1: Klassifikation der Beobachtungsformen

3.1: Vergleich der Konzepte »Technologietransfer« und »Farmer first«
3.2: Aktivitäten der Bauern und Rolle der Berater

4.1: Zusammenhang zwischen Brachedauer und Bodenproduktivität im Wanderfeldbau
4.2: »Spirale« bei steigender Besiedlungsdichte

5.1: Wanderung der Akha
5.2: Teil des Feldgürtels um Pakha Sukjai (Zentrum)

6.1: Administrative Struktur des Projekts
6.2: Partizipationsmodell der HADF
6.3: Zusammenhang zwischen Ziel, Maßnahmen und Mitteln
6.4: Entwicklung soziokulturell angepaßter Lösungen
6.5: Selbstversorgung mit Reis
6.6: Reaktion auf Besucher
6.7: Mögliche Antworten auf Probleme des Mitarbeiterstabes
6.8: Möglichkeiten zur Erweiterung des Fachwissens

Verzeichnis der Tabellen

6.1: Beteiligung an der Umstellung auf Alley Cropping in Pakha Sukjai
6.2: Nutzung von »Umlaufkrediten« in Pakha Sukjai

Verzeichnis der Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Zu Beginn der 90er Jahre herrscht größeres Elend, Unterernährung und mehr soziale und politische Unruhe als vor 25 Jahren. Keines der großen Ziele der beiden letzten Entwicklungsdekaden wurde erreicht. Der Blick richtete sich auf die marginalisierten Standorte. Mehr als ein Viertel aller Menschen hängen in ihrem Lebensunterhalt von traditioneller, extensiver Landbewirtschaftung ab. Mit ihrer Subsistenzwirtschaft produzieren sie nicht für den ökonomischen Markt und sind keine Abnehmer seines Angebots. Aus der Sicht einer nach Industrialisierung strebenden Gesellschaft ist das als verschwenderisch im Sinne der Nationalökonomie anzusehen: Die Dorfgemeinschaft, die sich mit Subsistenz zufrieden gibt, bindet Ressourcen und Produktivkräfte, die rationell zur Mehrung des Wohlstands einzusetzen wären. Die Entwicklungsanstrengungen richteten sich deshalb auf die Modernisierung dieser Bewirtschaftungsweisen. Marginalisierung und kulturelle Entwurzelung traten in der Folge verstärkt auf. [VERHELST, S.19 ff.]

Für große Teile der Bevölkerung war das mit negativen Begleiterscheinungen verbunden. Vorbehalte kamen gegen diesen Fortschritt und die moderne, industrialisierte und individualistische Gesellschaft auf. Unter diesen Voraussetzungen konnten die staatlichen Programme die Zielbevölkerungsgruppen kaum motivieren. Der Blick richtete sich auf basisorientierte Nicht-Regierungsorganisationen. Es wurden Hoffnungen in Entwicklungsansätze gesetzt, die auf lokale oder regionale Zusammenarbeit mit der marginalisierten Bevölkerung aufbauten. Die Betroffenen sollten in die Projektplanung und Ausführung einbezogen werden. Aufbauend auf ihr traditionelles Wissen sollten sie selber die Anpassungen an die neuen Umstände entwickeln, die ihrem kulturellen Selbstverständnis und der Tragfähigkeit des Ökosystems entsprechen. [WARREN, S.161]

Die kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Entwicklungsarbeit spiegelte sich auch im Methodenstreit wieder. Nach Auffassung einer Gruppe von Theoretikern und Praktikern kann der Transfer landwirtschaftlichen Wissens (TOT - Transfer of Technologie) als Kreisprozeß angesehen werden: Forschungszentren geben wissenschaftliche Ergebnisse an Beratungsdienste weiter, wo sie in Botschaften transformiert werden, die verschiedene Gruppen von Bauern[1] erreichen sollen. Die Bauern wiederum sollen über ihren Bedarf, ihre Probleme und Erfahrungen berichten, was zu Forschungen auf neuen Gebieten Anregung gibt. [Benad und Lupanga, S.463] Gleichzeitig waren Klagen über eine mangelhafte Weitergabe landwirtschaftlichen Wissens und landwirtschaftlicher Neuerungen an die Landbevölkerung verbreitet. Der Grund dafür wurde häufig im Traditionalismus - dem »Widerstand gegen Veränderung« der bäuerlichen Bevölkerung gesehen. Andererseits wurden Defizite im Beratungswesen, fehlende Geldmittel und Mangel an geschultem Personal dafür verantwortlich gemacht. [Benad und Lupanga, S.465]

Kritiker dieses TOT-Modells sehen die Probleme an anderen Stellen: die Kommunikation erscheint ihnen meist als eine Einbahnstraße: von Systemen aus Forschung und Beratung zu den Bauern, aber kaum umgekehrt. In Forschungsinstituten werde bevorzugt bio(techno)logisch an landwirtschaftliche Probleme herangegangen. Fragen der ökonomischen Durchführbarkeit, der Anpassung an bestehende Landnutzungssysteme oder kulturelle Besonderheiten fänden wenig Beachtung. Das Augenmerk scheint isoliert auf die Steigerung der Produktion gerichtet zu sein. [Benad und Lupanga, S.463 f.] Dem Inhalt der Beratung und seiner Eignung für die Bauern werde zu wenig Beachtung geschenkt. Darüber hinaus mangele es meist an den für die Übernahme des Empfehlungs-»Pakets« notwendigen Ressourcen wie Einnahmequellen, Kredit oder der Verfügbarkeit der Einsatzmittel. Oder es werden nicht die besondere Situation und die daraus entwickelten, vorrangig zu verfolgenden Ziele und Techniken der Landbevölkerung berücksichtigt. [BENAD und Lupanga, S.465]

Aufbauend auf diesen Erfahrungen wurden partizipatorische Ansätze in der Entwicklungshilfe erarbeitet. Sie zielen darauf hin, der ländlichen Bevölkerung bei der Gestaltung und Umsetzung von Beratungsinhalten mehr Freiraum zu lassen. Diese können aber nicht isoliert umgesetzt werden. Günstige Rahmenbedingungen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene entscheiden mit über den Erfolg solcher Ansätze. Wenn innerhalb der nach Industrialisierung strebenden Gesellschaft kein Verständnis und Respekt für andersartige Lebensweisen und Lebensziele aufgebracht werden, ist ohnehin alles Theorie. Der mächtigere Kulturkreis fordert den Kulturkreis, der die zahlenmäßig kleinere Gruppe stellt, zu Umstellungen und Verzicht auf. Der Zwang zum Wandel wird nicht aufzuheben sein. Es stellt sich nur die Frage, welchen Unterschied es gesellschaftlich und für die Identität der Betroffenen macht, ob eine Gemeinschaft den Wandel selbst gestaltet oder zur Übernahme fremd wirkender Maßnahmen gezwungen wird.

1.2 Ziel der Untersuchung

In Nordthailand versuchen thailändische Regierungsstellen und NRO's den Wanderfeldbau der Bergvölker zu stoppen. Methoden der modernen oder nachhaltigen Landbewirtschaftung und des Erosionsschutzes sollen eingeführt werden. Damit soll ihre Existenz gesichert und dem Entstehen sozialer und wirtschaftlicher Not vorgebeugt werdem. Eine dieser Organisationen ist die Hill Area Development Foundation (HADF), bei der ich 31/2 Monate zu Gast war. Sie genießt internationale Anerkennung für ihren bisherigen Beitrag zur Dorfentwicklung.

Aufgabe des Projektes ist es, Bergvölker in der Umgebung von Mae Salong bei der Umstellung von traditionellem Brandrodungsfeldbau auf eine ökologisch verträglichere, nachhaltige Landbewirtschaftung zu beraten und zu unterstützen. Meine Studie beschränkt sich weitgehend auf die Entwicklungsarbeit der HADF bei einem der Bergvölker - den Akha - in einem der Projektdörfer. Ziel meiner Untersuchung ist, die ökologischen und kulturellen Bedingungen des traditionellen Landnutzungssystems denen des Projektansatzes gegenüberzustellen. Erfolge und Schwierigkeiten bei der Umstellung des Landnutzungssystems sollen erkennbar werden. Daraus können Schlüsse über Methoden und Inhalt der Beratungsarbeit der HADF gezogen werden. Schließlich sollte es möglich sein, allgemeingültige Aussagen darüber abzuleiten, unter welchen Bedingungen NRO's eine Alternative in der Entwicklungszusammenarbeit darstellen und was die Voraussetzungen für verbesserte Beratungsinhalte sind. Die in dieser Fallstudie erkennbaren sinnvollen Ansätze und auftretenden Probleme können für ähnliche Situationen in anderen Entwicklungsvorhaben sensibilisieren.

1.3 Aufbau der Arbeit

Im Untersuchungsprozeß kamen verschiedene Methoden der qualitativen Sozialforschung zur Anwendung. Sie werden zunächst erläutert, und die Auswahl wird begründet. Die theoretischen Ausführungen zur Entwicklungsarbeit beschreiben ein sozio-ökonomisches und methodisches Konzept als Grundlage für eine Bewertung der Leistung der HADF. Um die Situation der Bergvölker, die Anstrengungen und die Ziele der HADF einzuordnen, ist eine Darstellung der Landnutzungssysteme und der Situation in Nordthailand notwendig. Die Kultur der Akha und die aktuellen Probleme im Dorf vor dem Eintreffen der HADF liefern den Hintergrund zur Beurteilung der Umstellungsmaßnahmen und Arbeitsweise der HADF. Der Einblick in die Geschichte der HADF führt die Schwierigkeiten der Anwesenheit und die Entstehung der Ziele vor Augen. Die Gegenüberstellung von Projektabsichten und Projektwirklichkeit soll verdeutlichen, inwieweit die propagierten Maßnahmen zur Lösung der ökonomischen und ökologischen Probleme beitragen und in welchem Maße die Bevölkerung an den Entwicklungsvorhaben partizipiert. Zusammenfassend werden die realisierten Neuerungen unter Berücksichtigung aller genannten Aspekte zu beurteilen sein.

Unter Bezug auf die theoretischen Vorüberlegungen sollen methodische und technische Veränderungsvorschläge für die gastgebende HADF entwickelt werden. Der mögliche Entwicklungsgang und der zu erwartende Beratungsbedarf soll anschließend prognostiziert werden. Damit lege ich der Trägerorganisation terre des hommes[2], die meinen Aufenthalt im Projekt vermittelt hat, meine Einschätzung des Entwicklungsbedarfs und der Bedeutung der Förderung des Projektes vor. Abschließend sollen aus den Ergebnisse dieser Fallstudie allgemeingültige Aussagen herausgearbeitet werden. Sie können für andere Projekte und Organisationen nützlich sein.

1.4 Charakterisierung der Untersuchungsregion

Thailand erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung zwischen Malaysia und Ostburma über

Abbildung 1.1: Thailand mit angrenzenden Staaten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1620 km. Seine größte Breite erreicht es mit 780 km zwischen Laos im Osten und Burma[3] im Westen. Im Süd­osten grenzt es an Kambodscha. Mit einer Fläche von 513115 km ist es etwa so groß wie Frankreich.

In Nordthailand leben neben der thaisprechenden Bevölke­rung verschiedene Völker im Hochland. Mit zusammen 500.000 Menschen sind diese Bergvölker gemessen an der Gesamtbevölkerung (ca 60 Mio.) in Thailand ethnische Minderheiten. Ein Großteil der Untersuchungen zur vorliegen­den Diplomarbeit fanden in einem Akha-Dorf statt. Akha bezeichnet einen der sechs »Bergstämme«[4] (Hilltribes) Thailands. nach: DONNER, S.44

Die HADF hat ihr Büro in der Provinzhauptstadt Chiang Rai im Norden Thailands. Das Projektgebiet liegt im Bezirk Mae Chan etwa 60 km (11/2 h Fahrzeit) nordwestlich von Chiang Rai in der Umgebung von Mae Salong. Die Berge dieser Region erheben sich auf Höhen über 1000 m (vgl. Anhang A 1, Höhenlinienbild des Gebietes um Pakha Sukjai). Sie weisen extreme Hangneigungen auf. Entwaldung und Erosion durch Wanderfeldbau sind überall sichtbar.

Abbildung 1.2: Bezirk Mae Chan, Kartenausschnitt von Abb. 1.1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Untersuchungen fanden in Pakha Sukjai in der Zeit vom 22. März bis zum 1. Juli 1992 statt. Pakha Sukjai ist eines von 7 Dörfern verschiedener Bergvölker (Akha, Lahu, Lisu). Die HADF versucht dort seit 7 Jahren nachhaltige Landnutzung, Erosionsschutz, Wiederaufforstung und Dorfentwicklung zu fördern. Meine Hauptansprechpartner waren die Projektkoordinatorin Tuenjai Deetes, die Mitarbeiterin Juthamas Rajchaprasit (Mitarbeitertraining) und Luk Naam (Information und Dokumentation).

Das Projektgebiet liegt auf Höhe des 20. Breitengrades. Das Klima ist durch die Passatwinde bestimmt. Die jährliche Niederschlagsmenge variiert zwischen 1300 und 2100 mm. Der südwestliche Monsun von Mai bis Oktober sorgt für eine Regenzeit mit einem Höhepunkt von 300-400 mm Niederschlag im August. Der nordöstliche Monsun bestimmt das Wetter von November bis April. In dieser Zeit fällt kaum Niederschlag. Die Nachttemperaturen können im Januar bis auf 0°C zurückgehen. Die Durchschnittstemperatur liegt im Januar bei 10-14°C. [HETZEL, S.22] Der heißeste Monat ist der April mit Temperaturen bis 38°C. Die natürliche Vegetation sind gemischte, laubabwerfende Dipterocarpaceen-Wälder mit Teak, Bambus, Eichen und anderen. [DONNER, S.88 f.]

In der Region sind gut drainierte, tiefgründige, lateritische und podsolige Böden verbreitet. Die Bodenreaktion liegt zwischen pH 4,5 und 6,5. Die podsoligen Böden mit lehmiger Struktur sind aufgrund ihres hohen Verwitterungsgrades wenig ertragreich. Das gleiche gilt für die hellgelben bis tiefroten lateritischen Böden aus basenarmem Material. Einzig die flachgründigen bräunlich-roten lateritischen Böden aus Schiefer und seinen metamorphischen Äquivalenten mit Bodenreaktionen von pH 5,5 bis 7 zeigen höhere Ertragspotentiale. Fruchtbarer Oberboden und Humusauflagen sind bei geringem Bodenbedeckungsgrad und starker Hangneigung durch die hohen Niederschlagsmengen gefährdet oder bereits erodiert. [FIA, S.14]

2 Methodisches Vorgehen

Ich habe mir die Aufgabe gestellt, in einem konkreten Fall die Problematik der Umstellung eines traditionellen Landnutzungssystems zu erfassen. Die Fürsprache von terre des hommes ermöglichte diese Fallstudie. Gleichzeitig bedeutete diese Fürsprache, daß ich darauf vorbereitet sein sollte, als Kontrolleur, Experte oder Fürsprecher empfangen zu werden. Als was ich empfangen, wurde hing davon ab, ob mein Gesprächspartner zur Entwicklungsorganisation oder zur Dorfbevölkerung gehörte. Die Wahrnehmung oder Erwartungshaltung beeinflußt den Zugang zu Informationen. Dementsprechend gehe ich zunächst auf Probleme der Wahrnehmung ein. Die Vielzahl der zusammentreffenden Kulturen machte es erforderlich, Aussagen, Beobachtungen und Interpretationen ständig neu zu prüfen und unter dem Eindruck neuer Ereignisse zu reflektieren. Die Technik zur Informationsgewinnung war jeweils situationsabhängig zu wählen. Die Techniken werden unterschieden und die wesentlichen Merkmale beschrieben. Am Ende gebe ich einen Überblick zum methodischen Vorgehen.

2.1 Wahrnehmung im kulturellen Kontext

Jede Kultur entwickelt eigene Weisen der Wahrnehmung und des Denkens. Die Vorstellungen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und Regeln im Umgang mit Menschen, Lebewesen und Dingen unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Auf der Ebene des Betrachtens (Forscher), Helfens (Entwicklungsorganisation) oder Empfangens (Dorfbevölkerung) gelten jeweils andere Wertesysteme. Der außenstehende Betrachter aus der »entwickelten« Welt ist zunächst seinen Beurteilungskriterien verhaftet und an seine kulturell gewachsenen Interpretationen gebunden. Um dennoch zu einem Verständnis des Erlebens und Wahrnehmens in einer anderen Kultur zu gelangen, muß er ethnozentrische[5] und typisiernde Betrachtungsweisen reflektieren. Er muß sich bewußt bemühen, die Werte der anderen ernst zu nehmen und sie aus deren Situation heraus zu verstehen. Er muß die Dynamik von Kultur und Kulturwandel bei der Begegnung von zwei oder mehr Kulturen einbeziehen können. [ALBRECHT, 1987, S.86 ff.]

Für den interkulturellen Kontakt von Helfer und Empfänger trifft meist ein Paradoxon zu. Diejenigen, die helfen wollen, sind aus sozialpsychologischer Sicht in einer Kultur aufgewachsen, die eher Dominanz, Unselbständigkeit und Hilfsbedürftigkeit fördert. Bei denjenigen, denen geholfen werden soll, gehören eher Hilfsbereitschaft und Verantwortungsgefühl zur Kultur. Gegenüber einem Fremden aber verhält sich der Empfänger weniger hilfsbereit und eher mißtrauisch. Er wird nicht in dem Maße wie der Helfer von Zweifeln des Kulturrelativismus befallen. [v.d. OHE, S.17] Mit erkennbarer Bereitschaft, selber vom anderen lernen zu wollen kann es dem Helfer gelingen, dieses Paradoxon teilweise aufzulösen. Werner v.d. OHE zitiert einen Afrikaner, der dies so ausgedrückt:

"Schicken Sie uns Menschen, die selber ausreichend entwickelt sind, um ihre Fähigkeiten und Schwächen zu kennen, ausreichend entwickelt, um zu wissen, was sie von uns lernen können ... Denn es werden diejenigen sein, die uns respektieren können und die wir respektieren werden." [v.d. OHE, S.18]

Dies bezieht sich zwar auf Helfer aus Europa, trifft aber ebenso auf Thailänder zu, die ethnischen Minderheiten Thai-Kultur bringen wollen. Die Art der Wahrnehmung und des Denkens ist kulturell bestimmte. Sie legt fest, wie Erfah­rungen aus der Auseinandersetzung mit der Umwelt strukturiert und geordnet werden [ALBRECHT, 1987, S.87]. Umgekehrt wirken kulturelle Produkte wie z.B. Arbeitsgeräte und soziale Organisationsformen prägend auf die Art der Wahrnehmung und des Denkens. Bestandteile der (Subsistenz)Kultur der Empfänger zu verändern, zu entfernen oder zu ersetzen würde bedeuten, das Denken zu verändern und der Wahrnehmung Teile ihrer »Identifikationsmuster« zu rauben.

Fremdbestimmter sozio-kultureller und ökonomischer Wandel führt zu psychischem Leiden, wenn die ursprünglichen Kompetenzen in der veränderten gesellschaftlichen Umwelt nicht mehr anwendbar sind. Erscheinungen wie »Verweigerung« und »Apathie« können als Ausdruck der Entfremdung gelten. Von einigen Ethnopsychoanalytikern wird dieses im Sinne von Modernisierungsplänen dysfunktionale Verhalten als – aktive oder passive – Abwehr von aufgezwungenen Produktionsweisen, Verhaltenserwartungen und Wertsystemen angesehen. [v.d. OHE, S.16]

"Manifestationen dieser Verweigerungshaltung (oder auch der »Unfähigkeit« in einer »entfremdeten« Welt zu leben) sind z.B. als Faulheit, Verschlagenheit oder Kriminalität bezeichnete Verhaltensweisen." [v.d. OHE, S.16, Klammern im Orginal]

Werden solche Eigenschaften über eine längere Zeit einer ethnischen Minderheit zugeschrieben, können sie schließlich auch beobachtet werden. Eine derartige Zuschreibung konstituiert quasi fremdbestimmt die Identität der »unterdrückten Ethnie« [v.d. OHE, S.17]

2.2 Fallstudie

Um einen genaueren Einblick in das Zusammenwirken einer Vielzahl von Faktoren zu gewinnen, empfiehlt sich die Untersuchung eines einzelnen Falls. Es geht darum, ein ganzheitliches, realistisches Bild des sozialen und ökonomischen Wandels im Entwicklungszusammenhang zu zeichnen. Das Entwicklungsvorhaben der Hill Area Development Foundation (HADF) in der Umgebung von Mae Salong kann als exemplarischer Fall gelten. Die HADF gilt international als beispielgebend[6] und nimmt für sich in Anspruch, partizipativen Ansätzen zu folgen.

"Die Auswahl der Untersuchungseinheiten geschieht also systematisch daraufhin, einen Fall, eine Untersuchungseinheit zu finden, die die theoretischen Konzepte des Forschers komplexer, differenzierter und profunder gestalten kann. ... Die Untersuchungseinheit für die erste Einzelfallstudie wird aufgrund ihrer Eignung als extremer oder idealer Typ ausgewählt. Dabei ist der Forscher auf Vermutungen oder äußerliche Merkmale angewiesen." [LAMNEK, S.22, Hervorhebungen im Original]

Die für die vorliegende Arbeit als Untersuchungseinheit gewählte Entwicklungsarbeit der HADF in einem Dorf der Akha, einer ethnischen Minderheit, stellt den extremen Fall dar, der in der qualitativen Sozialforschung gefordert wird. Dabei geht es um den Versuch, mit dem intensiven Studium eines Falles Material zu sammeln, das Aussagen über konkrete Wirklichkeit und Wahrnehmungen dieser Wirklichkeit durch konkrete Personen zuläßt [LAMNEK, S.16]. Einerseits bringt der Forscher Vermutungen über die soziale Wirklichkeit in den ihm fremden Kulturraum mit. Andererseits wird von ihm Offenheit in der Entwicklung theoretischer Konzepte und Hypothesen geforderte. Das kann er nur verwirklichen, wenn er der untersuchten sozialen Einheit die Chance läßt, sich authentisch, d.h. unbeeinflußt und natürlich zu äußern [LAMNEK, S.18]. Offene, kommunikative Erhebungstechniken und naturalistische Untersuchungssituationen eröffnen dem Forscher die Chance des alltagsweltlichen Fremdverstehens[7]. Dazu dienen Techniken wie offene und narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung und Gruppendiskussionen. Entsprechend der Komplexität des Untersuchungsgegenstands schälen sich Einsichten in Zusammenhänge und Strukturen der einzelnen Bestandteile des Geschehens erst allmählich und unter ständiger Anpassung der Methoden an den Erkenntnisstand heraus. (s. Anhang A2: Bestandteile der Feldforschung, S.67)

2.3 Quellenstudium

Zur Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes gehörte einerseits die Aufstellung von Vermutungen über die dort anzutreffende kulturelle und ökonomische Wirklichkeit und andererseits die Auswahl angemessener Methoden zum Erschließen der Vorgänge und zur Prüfung der Hypothesen und Konzepte. Als Material standen wissenschaftliche Veröffentlichungen aus den Bereichen Ethnologie, Ökonomie, Entwicklungs­zusammenarbeit und Sozialforschung zur Verfügung. Zeitungsartikel, Erlebnisberichte und Projektbeschreibungen aus der Hand der Förderorganisation ergänzten das schriftlich vorliegende Material.

Während sich mittels diesen Materials erste Hypothesen, Untersuchungsschwerpunkte und Konzepte zum Vorgehen entwickeln ließen, ermöglichten Quellen im Gastland differenziertere und veränderte Betrachtungen. Nationale Forschungseinrichtungen und die Projektorganisation boten eine Fülle umfassenden, mehr allgemeinen, aber auch projektspezifischen Materials. In diesen Schriften drückten sich die individuellen und gesellschaftlichen Absichten, Einstellungen, Annahmen über die Umwelt und Situationsdeutungen der Schreiber aus. Die Schriften spiegeln die Merkmale des soziokulturellen Systems wieder, dem sie angehören [LAMNEK, S.167]. Mangels thailändischer Sprachkenntnisse beschränkte ich mich auf englischsprachige Veröffentlichungen. Im Vergleich zu thaisprachigen Publikationen bleibt dieser Bereich aber von Restriktionen durch die Militärregierung weitgehend verschont, wodurch die Beschränkung eher quantitativer als qualitativer Art sein dürfte.

Autoren thailändischer, »westlicher«[8] und anderer ethnischer Herkunft führen eine kontroverse Diskussion über Zusammenhänge, Ziele und Vorgehensweisen in der Entwicklung Nordthailands. Gespräche mit ihnen und einigen Experten lieferten wertvolle Anregungen und Informationen. Die Gegensätzlichkeit der Positionen ließ die Komplexität des Geschehens erahnen. Es führte die Bedeutsamkeit vor Augen, die der Wahl der Erhebungstechniken zufiel. Jeder untersuchten sozialen Einheit mußte Raum zu authentischer Darstellung geboten werden. Einsichten aufgrund von Gesprächen und Beobachtungen veranlaßten mich zu Nachforschungen in Quellen und vice versa. Diese Spirale der Fragen und Erkenntnisse sollte mich zu einem Verstehen führen.

2.4 Teilnehmende Beobachtung

Keine der genannten Techniken alleine führt zum angestrebten Verstehen. Ein Interview (s. 2.5) liefert Hinweise auf Einstellungen, Meinungen, Gefühle, Vorstellungen und Verhaltenserwartungen. Die Erinnerung der Befragten wird Lücken aufweisen und subjektiv sein. Eventuell wollen sich die Befragten bewußt nicht erinnern, machen verwirrende oder ablenkende Aussagen und verdrängen oder rationalisieren die erlebte Realität. Vergleiche, Rückbezüge und die Einbeziehung von Informationen aus anderen Quellen erlauben eine Annäherung an die fremde Situation. Erst die Verschränkung der verschiedenen Techniken zur wiederholten Prüfung und Kontrolle hinsichtlich der Gültigkeit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit des Fremdverstehens ermöglicht den Entwurf eines schlüssigen Bildes und liefert verwertbare Ergebnisse.

Die Beobachtung erlaubt einerseits die Überprüfung von Aussagen anhand von geschaffenen oder aber fehlenden Fakten. Andererseits gelingt es, unabhängig von der Bereitschaft oder Fähigkeit einzelner der Untersuchungsgruppe zu erzählen, soziales Verhalten zu einem Zeitpunkt festzuhalten, zu dem es tatsächlich geschieht. Wenn aufgrund von Sprachbarrieren die Gesprächsmöglichkeiten zusätzlich begrenzt sind, können Eindrücke, die mittels Beobachtung gesammelt werden, eine Stütze sein. Da die Beobachtung an die sinnliche Wahrnehmung geknüpft ist, ergeben sich Limitierungen für diese Technik. Entsprechend den verfügbaren Ressourcen (ein Beobachter, drei Monate Aufenthalt) und den Bedingungen, die durch die angestrebte Güte der Studie vorgegeben sind (Diplomarbeit), ist eine überschaubare Untersuchungseinheit (eine NRO, eine Ethnie, ein Dorf) zu wählen, die in ihrem Verhalten auf bestimmte lokal abgrenzbare Räume angewiesen ist. [LAMNEK, S.238] Der enge zeitliche Rahmen macht eine Beschränkung der Beobachtung auf bewußt gewählte Ausschnitte der Realität unumgänglich. Der Versuch, Perioden (Ende der Trockenzeit) zu wählen, die Rückschlüsse auf unbeobachtete Phasen (Erntezeit und »Winter«) erlauben, gelingt nur bedingt. Extreme Situationen und spontane Ereignisse, die bestimmte Rückschlüsse zulassen würden, gehen nicht in die gesammelten Informationen ein, wenn sie nicht anderen Quellen zu entnehmen sind. Viele Beobachtungen zu sozialen Phänomenen würden ohne Randinformationen unverständlich bleiben, weil miteinander verknüpfte, an verschiedenen Orten gleichzeitig stattfindende Ereignisse nicht beobachtbar sind. Einstellungen, Meinungen und ähnliches, wofür eher in Gesprächen Anhaltspunkte gewonnen werden, durch Beobachtung zu erfassen, ist nur bedingt möglich, und beschränkt sich eher auf zufällig auftretende Diskrepanzen zwischen Aussagen und Verhalten. [LAMNEK, S.239 f.]

In Abgrenzung zur Alltagsbeobachtung, die unseren Erfahrungen und unserem sozialen Verhalten zugrunde liegt, muß die wissenschaftliche Beobachtung eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Verzerrende, selektive Wahrnehmung und die Beeinflussung der Wiedergabe durch Ziele und Vorstellungen des Beobachters sind mögliche Fehlerquellen, die damit aufgewogen werden sollen. Beobachtete Tatbestände, die zudem noch fotografisch dokumentiert werden können, lassen sich leichter einer Prüfung unterwerfen, als erschlossene Sinn- und Bedeutungszusammenhänge. Mit einer systematischen Planung und Aufzeichnung der Beobachtung soll hier eine Überprüfungsmöglichkeit geschaffen werden. Der unstrukturierten Beobachtung, die auf differenzierte und konkrete Hypothesen aufbaut, geht eine Phase der naiven Beobachtung zur Informationsgewinnung und Hypothesenbildung voraus. (s. Anhang A3: Leitfaden für die Feldforschung, S.67)

Abbildung 2.1: Klassifikation der Beobachtungsformen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach: LAMNEK, 1989, S.242; Hervorhebungen zur Kennzeichnung der gewählten Beobachtungsformen

Eine verdeckte Beobachtung, bei der die Identität als Forscher nicht zu erkennen gegeben wird in dem Bestreben, eine Modifikation des Verhaltens zu vermeiden, birgt die Gefahr, im Falle der Aufdeckung eine vertrauensvolle Atmosphäre zu stören. Sie schied für mich als Europäer in Thailand ohnehin aus. Die gastgebende HADF und die Dorfbevölkerung war über den Zweck meines Aufenthaltes in groben Zügen orientiert, womit die gewählte Beobachtungsform als offen zu bezeichnen ist. Abhängig davon, ob die Tätigkeitsbereiche und die Belange des Verstehensprozesses es möglich und angeraten erscheinen lassen, variiert der Grad der Teilnahme an den Aktivitäten der HADF oder der Dorfbevölkerung zwischen »involviertem Beteiligten« und »distanziertem Beobachter« Eindrücke und Ergebnisse aus dieser Teilnahme hielt ich in Form von Gedächtnisprotokollen im Anschluß an die Beobachtung fest, um die Natürlichkeit der beobachteten Situation nicht durch Mitschreiben zu stören. Schwächen dieser Vorgehensweise wie Fehlinterpretationen, Vergessen oder Weglassen versuchte ich dadurch auszugleichen, daß ich diese Tagesberichte immer wieder einer Überprüfung anhand von neugewonnenen Eindrücken unterzog, um mich dabei an vergessene oder scheinbar unwichtige Details zu erinnern.

Ohne eine Teilnahme im sozialen Feld und die vorausgehende Vertrauensbildung gelangt der Beobachter nicht an Insider informationen. Es muß zu erkennen sein, daß dem Forscher an Erkenntnissen gelegen ist, die letztlich auch den Betroffenen zugute kommen sollen. Einen Grundstein legt die Anpassung an die herrschenden Sitten und Gebräuche im Rahmen des Erwartbaren. Glaubhaft wird der Forscher aber aufgrund persönlicher Eigenschaften. Wahre Achtung, Anerkennung und das Bemühen, sich in die Situation der zu Beobachtenden hineinzuversetzen, müssen erkennbar sein. Letzteres ist nicht nur methodologisch eine wichtige Voraussetzung, sondern auch als Basis für die gegenseitige menschliche Annahme entscheidend. Ohne sie kann ein längerer Aufenthalt in einem fremden Kulturkreis zu psychischem Streß werden und die Wahrnehmung verzerren. [LAMNEK, S.274 ff.]

2.5 Befragung von Projektbeteiligten

Besonders am Anfang des Aufenthaltes im Projekt sind informelle Gespräche wichtig, die es beiden Seiten erlauben, einen persönlichen Eindruck zu gewinnen und eine vertrauensvolle, entspannte Atmosphäre zu schaffen. In diesen persönlichen Gesprächen und Diskussionen bietet sich immer wieder Gelegenheit, Einfühlungsvermögen, Engagement und gegenseitige Achtung deutlich werden zu lassen. Die Wahrung eines gewissen Maßes an Distanziertheit dient nicht nur dazu, die Ernsthaftigkeit des Forschungsanliegens und Kompetenz erkennen zu lassen, sondern auch der Objektivität und dem Interesse, sich weder zur NRO noch zur ethnischen Minderheit den Zugang durch zu enge Verbindungen zum einen oder anderen sozialen Feld zu versperren.

Um etwas zu den Einstellungen, Deutungen und Wirklichkeitsstrukturierungen der Projektmitarbeiter zu erfahren sind Prädeterminationen und Suggestionen zu vermeiden. Mit offenen[9] Fragen und der Bereitschaft, selber auf Fragen zu antworten, beteiligte ich mich an einem Diskurs, in dessen Verlauf durch Agieren und Interpretieren Deutungs- und Handlungsmuster gegenseitig erklärt und verändert wurden. [LAMNEK, S.62]

"Die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Antworten der Befragten sind nicht einfach Produkt einer unabänderlichen Auffassung, Meinung oder Verhaltensweise, sondern sie sind prozeßhaft generierte Ausschnitte der Konstruktion und Reproduktion von sozialer Realität." [LAMNEK, S.62, Hervorhebung im Original]

Das qualitative Interview ist eine angemessene und geeignete Methode, wenn die Bedingungen einer wissenschaftlichen Hypothesenprüfung und des angestrebten Fremdverstehens erfüllt werden. Selbst wenn standardisierte Interviews mit vorgegeben Fragen und skalierten Antwortmöglichkeiten ebenso geeignet wären, wären sie in dieser Situation nicht realisierbar und stünden im Gegensatz zu den für die teilnehmende Beobachtung aufgestellten Anforderungen.

Gespräche mit ausgewählten Projektmitarbeitern waren bei vorhandenen Englischkenntnissen unproblematisch. Größere Schwierigkeiten ergaben sich für Gespräche mit Akhas. Die andere soziokulturelle und politisch-ökonomische Realität dieser ethnischen Minderheit und eine möglicherweise ambivalente Einstellung zur Anwesenheit der HADF machte ein vorsichtiges Herangehen notwendig. Die »erzählende Befragung« ist die Technik, mit der authentische Äußerungen gewonnen werden können.

Das narrative Interview ermöglicht die sprachliche Rekonstruktion abgelaufener Ereignisse und deren retrospektive Deutung aus der Sicht der Handelnden, da der Erzähler den Verlauf des Interviews bestimmt. Eingriffe ins Gespräch sind auf eine Sicherstellung des Verlaufs begrenzt. Der Interviewer besteht nicht auf der Beantwortung vorformulierter Fragen aus einem der Orientierung dienenden Leitfaden. Er kann aber darum bitten, unverstandene Äußerungen zu erklären oder zu präzisieren, indem er eine offene Frage stellt, vorsichtig interpretiert oder paraphrasiert. [LAMNEK, S.72 f.]

Für die narrativen Interviews suchte ich einen Interviewer aus dem Dorf, der auch Thai sprechen konnte. Er erfüllte die Voraussetzungen des Interviewers: er konnte sich der Sprache der Dorfbewohner in der Ausdrucksweise anpassen, da er selber im Dorf nach den dort geltenden Regeln lebte und sich wahrscheinlich in die verschiedenen Familien und Probleme hineinzudenken vermochte. Den Leitfaden für die Befragung von Dorfbewohnern (Anhang A4, S.68) ließ ich mit Hilfe einer Projektmitarbeiterin dem Interviewer erläutern. Er war bereit, die Instruktionen zur Interviewtechnik (s.u.) in ihrer Bedeutsamkeit nachzuvollziehen und zu beherzigen. Die Gespräche zeichnete er auf Tonband auf. Die vertrauliche Behandlung der Äußerungen war die Vorbedingung für die Gesprächsbereitschaft. Im Interesse der offenen und angstfreien Äußerungsmöglichkeit wählte ich einen Übersetzer außerhalb des Kreises der HADF. Im Anschluß an die Interviewphase übersetzte er die Aufzeichnungen von Akha direkt ins Englische. Die Aussagen dreier Dorfbewohner sind im Anhang A5 (S.69) dokumentiert.

2.6 Kurzübersicht zum Vorgehen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3 Theorie der Entwicklungsarbeit

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Entwicklungsvorstellungen. Die Hill Area Development Foundation (HADF) verfolgt das Ziel einer ökologisch angepaßten Entwicklung. Dies ist aus einer Kritik des ökonomischen Entwicklungsansatzes heraus zu verstehen[10], der angesichts der Bedingungen im Bergland Nordthailands ausscheidet, wie kurz zu begründen sein wird. Die weiteren Ausführungen beschreiben die technischen und methodischen Anforderungen, wie sie der Literatur zu entnehmen sind. Damit möchte ich den Orientierungsrahmen liefern für eine spätere Einschätzung der Leistung der HADF und die vorgesehene Entwicklung von Veränderungsvorschlägen.

3.1 Nachhaltige Landnutzung und Verwendung lokaler Ressourcen

In vielen Ländern der »3.Welt« arbeiten die Planer auf einen Anschluß des Landes an den Weltmarkt hin. Die Landwirtschaft soll für einen größeren Markt produzieren und mit der ökonomischen En5twicklung im Land Schritt halten. Zur Steigerung der Produktion werden Maschinen, Hochertragssorten, Düngemittel und Pestizide eingesetzt. Das System ist auf nicht erneuerbare Ressourcen wie fossile Brennstoffe und Phosphor angewiesen. Kleinbauern haben selten Zugang zu Krediten für die Anfangsinvestitionen. Mangels umfassender Kenntnisse unterliegen sie spätestens im nachfolgenden Verdrängungswettbewerb. Spezialisierung und Monokulturen erhöhen die Anfälligkeit für Schwankungen des Marktes oder der Ökologie. Beteiligte Betriebe werden aufgrund dieser Faktoren zunehmend abhängig von Beratung und Hilfen. Gleichzeitig »erodieren« lokal angepaßte genetische Ressourcen und traditionelles Wissen. Die ökologischen und sozialen Begleiterscheinungen haben Zweifel an diesen Entwicklungsansatz geweckt.

Deshalb wird vielfach nach Wegen gesucht, wie ein degradierendes Landnutzungssystem zu retten und zu intensivieren ist, um die wachsende Bevölkerung zu versorgen. Dabei muß mehreren Faktoren Rechnung getragen werden: Die Lücke zwischen Eigenproduktion und Bedarf veranlaßt viele Familien zur Einsparung von Feldarbeit, um als Tagelöhner zu arbeiten. Externe Mittel zur Steigerung oder Umstellung der Produktion und Kreditmöglichkeiten sind nahezu unerreichbar. Die Transportmöglichkeiten sind meist schlecht und unerschwinglich. Die zu entwerfenden Maßnahmen müßten also die Ertragfähigkeit und den Schutz des Bodens verbessern, ohne Mehrarbeit, Kosten oder Ertragseinbußen bei der Umstellung zu verursachen.

Nachhaltige Landnutzung und Verwendung Lokaler Ressourcen[11] ist eine Konzeption, die daran ausgerichtet sein soll. Dabei wird nach Neuerungen gesucht, die ökologisch angepaßt und ökonomisch durchführbar sind. Zu den ökologischen Anforderungen zählt, daß die natürlichen Ressourcen erhalten bleiben und das Landnutzungssystem in das übrige ökologische System eingepaßt ist. Ökonomisch durchführbar heißt, daß das System eine angemessene Ernte auf einem stabilen Niveau liefert. Es muß die Kosten eingesetzter externer Mittel decken und den gewohnten Lebensstandard ermöglichen. Das Landnutzungssystem soll sozial gerecht sein. Dazu gehört eine wirksame Beteiligung an allen Entscheidungsprozessen und der gleichberechtigte Zugang zu Land, Informationen, Märkten und erschwinglichem Kapital. Zur sozialen Gerechtigkeit gehört die Anerkennung der Würde aller Menschen, unabhängig von Religion, Geschlecht, sozialer Stellung oder kultureller Zugehörigkeit. Es stellt sich aber die Frage, ob all diese Veränderungen auch sozio-kulturell verträglich sind.

Jede Kultur gliedert die Umgebung nach den ihr eigenen Ordnungsstrukturen. Kultur ist als Verhaltensumfeld zu verstehen, das sich Menschen in der Interaktion mit der Umwelt schaffen. Die Umwelt enthält die Bedingungen, Ziele und Instrumente, denen entsprechend sie gestaltet und gegliedert wird. Diese Handlungen konstituieren die Wirklichkeit. Die Gegebenheiten, die sich dokumentieren und wissenschaftlich definieren lassen, gehören in jeder Kultur verschiedenen Handlungssystemen an. [BOESCH, S.21-32] Der Außenstehende im Entwicklungsprozeß einer fremden Kultur sollte zu einer interaktionistischen Denkweise finden. Er muß anerkennen, daß kulturelle und spirituelle Wurzeln die Identität und die Entwicklungsziele einer Gesellschaft bestimmen.

Der Begriff »Entwicklung« ist kulturspezifisch. An seine Stelle könnte man den allgemeineren Terminus »gutes Leben« setzen. Es gibt keinen universellen Bezugspunkt dessen, was wünschenswert ist. In manchen Kulturen provoziert »Entwicklung« Vorstellungen wie »Chaos« oder »Rückschritt«. [VERHELST, S.86 f.] Wenn ich im folgenden von Entwicklung spreche, meine ich die selbstbestimmte Anpassung der Kulturen an die sich wandelnde Umwelt. Die Sicherung des langfristigen Überleben oder soziale Werte sind in einer anderen Kultur möglicherweise anders realisiert und bewertet. Unbekannte Werte der fremden Kultur werden für Außenstehende zunächst schwer erkennbar sein. Eingriffe von außen wären aus diesem Grund problematisch.

Bei allen außengeleiteten Maßnahmen würden objektive und kulturell verankerte Hindernisse auftreten. Die Bevölkerung wird eine eigene Analyse der Situation und eigene Versuche mit vorgeschlagenen Neuerungen durchführen müssen. Bei der Entwicklung der nötigen Methoden und Techniken kann die Beratung helfen. Lösungen, die nicht selbst entwickelt wurden, werden aufgegeben, sobald sie unbefriedigende Ergebnisse bringen und die treibende Kraft (Beratungs- oder Entwicklungsorganisation) wegfällt. Das zeigen Erfahrungen in der Vergangenheit. Selbstentwickelte Lösungen würden wahrscheinlich weiterentwickelt werden, wenn es nötig wird. Der Ansatz Bedarfsorientierte Entwicklung von Technologie[12] baut auf dieser Einschätzung auf und versucht, den Betroffenen das Rüstzeug dazu in die Hand zu geben.

3.2 Selbstbestimmte Entwicklung von Technologie

Technologie ist im erweiterten Sinne zu verstehen und umfaßt neben landwirtschaftlichen Techniken auch die kulturspezifische Form der Wahrnehmung, Zusammenarbeit und des Umgangs mit Situationen. Bei der selbstbestimmten Entwicklung von Technologie (SET) ist das Ziel die Stärkung der Eigenständigkeit ländlicher Gemeinden. Diese Eigenständigkeit umfaßt die Fähigkeit, einerseits Technologien den Bedürfnissen und der Umwelt anzupassen und andererseits die Dauerhaftigkeit des Entwicklungsprozesses sicherzustellen. Veränderungen der äußeren Umstände und eine Gefährdung der langfristigen Grundlagen ihrer Existenz gilt es sicher zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Die Basis zu dieser Fähigkeit der Gemeinschaft bildet die Kompetenz jedes einzelnen, Problemzusammenhänge und Möglichkeiten zu erkennen. Jeder einzelne der Gemeinschaft ist mitverantwortlich für die Entwicklung. Die Arbeit der Berater richtet sich auf die Ermutigung zu Initiative, Kreativität und eigenverantwortlichem Handeln. Forschung, Wissenschaft, Beratungsdienst und Regierungsarbeit werden entmystifiziert und die Fähigkeit der Betroffenen zur Problemlösung und Entwicklung der nötigen Technologie gefördert. Dieses Konzept der Beratung würde sich vom herkömmlichen »Technologietransfer« unterscheiden.

Abbildung 3.1: Vergleich der Konzepte »Technologietransfer« und »Farmer-First«

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach: CHAMBERS, S.182

Ausgangspunkt der Bemühungen der Beratung ist das traditionelle Wissen. Es beinhaltet lokale Technologien, Kultur und sozio-ökonomische Aspekte. Traditionelles Wissen beruht auf historischen Erfahrungen, Intuition und direkt erfahrbaren Ereignissen. Neue Technologien müssen aus diesen kulturell verwurzelten, lokalen Wissenssystemen, den innewohnenden Erfahrungen und sozio-ökonomischen Strukturen heraus entwickelt werden, um in sie eingebettet zu sein. Ansatzpunkt zum Testen und Entwickeln neuer Technologien sind die spontanen Experimente von Bauern. Die Vorteile der eigenständigen Experimente der Bauern liegen in der Wahl relevanter Themen und der Orientierung an ihren Prioritäten und Mitteln. Die Grenzen ihrer Möglichkeiten sind bedingt durch anfänglich begrenzte Einsicht in biologische und andere Zusammenhänge. Der Aufbau, die Methoden und die Auswertung der Experimente basieren auf diesem Vorverständnis und vermitteln neue Einsichten.

Der Berater muß die Entscheidungen der Betroffenen darüber, was gelöst und welche Neuerungen getestet werden sollen, respektieren. Sein Eingriff in das bestehende System soll den lokalen Entwicklungsprozeß nur beschleunigen, nicht steuern. Der Berater ist aufgefordert danach zu suchen, was die Bauern wollen und benötigen. Der Berater hat viele Möglichkeiten, die Analysetätigkeit der Dorfbevölkerung hervorzulocken, zu ermutigen, zu erleichtern und zu fördern. Er kann den Antrieb, die Gelegenheit und den Anreiz zu Zusammenkünften und Diskussionen unter den Bauern liefern. Bei Bedarf kann er assistieren, indem er Grundsätze, Methoden und Ideen vermittelt. Dabei kann es sich um lebende Beispiele in der Umgebung oder um Wissen des Beraters handeln. Die Bauern würden aus dieser Reihe von Vorschlägen entsprechend ihren Prioritäten und ihrer Situation auswählen, testen und weiterentwickeln. Im Laufe dieses Prozesses werden die analytischen Fähigkeiten, das Bewußtsein und das Selbstvertrauen gestärkt. [CHAMBERS, S.183 f.] Experimente, die Entwicklung neuer Technologien und die Erweiterung des Wissens sind als sozio-kultureller Prozeß zu verstehen.

Abbildung 3.2: Aktivitäten der Bauern und Rolle der Berater

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[13]

nach: CHAMBERS, S.183

Die Beratungsarbeit kann dazu beitragen, daß die Dorfgemeinschaft die spontanen Experimente zu einem systematischen und gezielten Forschungsprozeß weiterentwickelt. Ihr Forschen und Entwickeln soll sie befähigen, ihr Anbausystem entsprechend den veränderten Bedingungen zu gestalten und die Kontrolle über die Ressourcen und die Entscheidungsfindung zu gewinnen. SET bedeutet einen Wechsel von bäuerlicher Beteiligung an außengeleiteten Experimenten zu außenstehender Beteiligung an den selbstgeleiteten Experimenten der Bauern. [PTD, Bd.1, S.21 f.]

Die Versuche, gemeinsame Planung, Auswertung und Weitergabe der Erkenntnisse sollten Resultate bringen, die alleine nicht zu erzielen wären und die einen überzeugenden Nutzen im Verhältnis zum Aufwand erkennen lassen. Prozesse, die stark von der Initiative und der Leistungsfähigkeit der Berater abhängen, ebben ab. Das Ziel Eigenständigkeit und Selbstbestimmung ist dann nicht erreicht. Die Anwesenheit der Entwicklungs- oder Beratungsorganisation ist weiter nötig. Ursache dieser Unentbehrlichkeit können in einer mangelnden Koordination mit Regierungsstellen oder einer gestörten Kommunikation zwischen Beratern und Bauern liegen.

3.3 Interkulturelle Kommunikation

Der Berater muß sich bei seinem Eintritt in die Welt der Bauern der kulturellen Unterschiede bewußt sein. Der ganzheitlichen, oft spirituellen Wahrnehmung der Bauern steht er mit einer wissenschaftlichen Wahrnehmung isolierter, toter Materialien gegenüber. Seine Rolle ist nicht die eines Lehrers, der überlegene moderne Technologie mitbringt und besser weiß, was für die Bauern gut ist. Vielmehr sollte es ihm um Kommunikation und einen offenen Lernprozeß gehen. Aufmerksames Zuhören, verständnissuchendes Nachfragen und ein respektvolles Gegenübertreten in Gestik und Dialog sind dafür die Voraussetzung. Achtung des Einzelnen und der fremden Kultur müssen erkennbar sein. Bei einer gestörten Kommunikation werden die Reden zunehmend monologisch und mechanisch. Niemand hört dem Gegenüber zu und jeder verschließt sich den Gedanken, Sorgen und Ideen des anderen. Sprache und Sprachgebrauch müssen dem sozio-kulturellen Stand der Zielgruppe angepaßt sein. Auf der Basis von Gleichberechtigung können Ratschläge angehört und Neuerungen getestet werden. Der Berater soll seine Ideen und Kenntnisse einbringen wie die Bauern auch. [CHAMBERS, S.185 f.] Die Eigenleistung bei der Entwicklung von Lösungen und der Gestaltung der Medien zur Verbreitung stärkt das Vertrauen in die Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen. Das häufig anzutreffende Gefühl, fremdgeleitet zu sein, kann so durchbrochen und neues Selbstvertrauen gewonnen werden.

4 Allgemeiner Hintergrund

Im folgenden werden die traditionellen Landnutzungssysteme beschrieben, die in Thailand anzutreffen sind. Die wissenschaftliche Behandlung des Wanderfeldbaus soll eine vorurteilsfreie Betrachtung des ursprünglichen Landnutzungssystems der Akha ermöglichen. Die Beschreibung des Bewässerungsfeldbaus macht Werte und Betrachtungsweisen der Thais deutlich. Das wird für ein Verständnis der Ziele und Maßnahmen der Hill Area Development Foundation (HADF) von Bedeutung sein. Der Überblick zur politischen, ökonomischen und ökologischen Situation liefert den Hintergrund, vor welchem die Leistungen der HADF stattfinden.

4.1 Traditionelle Landnutzungssysteme

Nordthailand besteht überwiegend aus langen Gebirgsketten, durchsetzt mit Talsohlen, in denen Flußläufe und bewässerte Reisfelder das Landschaftsbild bestimmen. In den Höhenlagen siedelten bis vor etwa zwanzig Jahren fast nur die verschiedenen unabhängigen, Wanderfeldbau praktizierenden Bergvölker. In der Zentralregion begann die Agrarindustrie ganze Landstriche zu vereinnahmen. Viele der marginalisierten thailändischen Familien drängten nach Norden. Zahlenmäßig übertrifft die Thaibevölkerung die Bergvölker inzwischen in einem Verhältnis von sechs zu eins. Relativ fruchtbare Tallagen machen nicht ganz zehn Prozent der Gesamtfläche der Region aus. Ein Großteil der Thais lebt dort von Naßreis. Zunehmend betreiben sie auch Anbau von Mais, Bohnen und Gemüse in den angrenzenden Hanglagen. [TONGDEELERT, S.101]

Sorten und Anbausysteme der Bergvölker und der Thais entstanden im Laufe von Jahrhunderten in Anpassung an die lokalen Bedingungen und Erfordernisse. Jede Gemeinschaft versorgte sich selber mit allem Lebensnotwendigen. Durch den Handel und die Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft geht die eigenhändige Herstellung mancher Güter inzwischen zurück. Trotzdem finden die im folgenden beschriebenen Landnutzungssysteme - zumindest in Nordthailand - zum Teil noch ihre Anwendung und gewähren eine weitgehende Selbstversorgung.

4.1.1 Wanderfeldbau

Der Wanderfeldbau[14] ist den ökologischen Bedingungen der Tropen angepaßt, solange der Boden nicht als knapper Faktor auftritt. Ein Feld wird in diesem Anbausystem gewechselt, wenn die Erträge (nach 2 bis 5 Ernten) stark nachlassen. Der Aufwand für die Unkrautbekämpfung und Bodenbearbeitung wird dann größer, als derjenige für eine Neurodung. Während einer Waldbrache von 10 bis 25 Jahre werden durch tiefreichende Wurzeln Nährstoffe aufgeschlossen und über das Laub wieder in obere Bodenschichten gebracht. Nach der Rodung ist der Boden zunächst frei von Unkraut- und Grassamen. Schaderreger sind ebenfalls selten. [BLANCKENBURG, S.127]

Beim Verbrennen der oberirdischen Pflanzenmasse werden die darin vorhandenen Nährstoffe mineralisiert. Die höchsten Erträge sind daher im ersten Jahr zu erzielen. Die Nährstoffe aus der allmählichen Zersetzung der Wurzeln erlauben die Ernten der folgenden Jahre. Aufwendungen für Dünger, Pflanzenschutz- und Unkraut­bekämpfungsmittel entfallen in diesem Nutzungssystem, solange kaum mehr als die Befriedigung der Grundbedürfnisse angestrebt wird und die Landreserven reichen. Für eine Bevölkerung, die über kein oder nur ein geringes Einkommen verfügt, ist der Wanderfeldbau nicht nur die traditionelle, sondern oft auch ökonomisch die einzig mögliche Bodennutzungsform.

Innerhalb einer Anbauperiode werden je nach der Güte der Böden und den anderen Standortbedingungen zwischen 5 bis 33 Prozent des Landes genutzt, während der Rest in verschiedenen Vegetationsstadien brachliegt. Bei einem Ackerbedarf von 2 ha für eine durchschnittliche (vier- bis achtköpfige) Familie würde eine Landreserve zwischen 6 ha und 40 ha benötigt, damit das System ökologisch und ökonomisch stabil ist. Infolge der kurzen Anbauphase und der langen Brachedauer liegt die Tragfähigkeit des Landes für Besiedelung bei 10 bis 40 Menschen pro Quadratkilometer. Die Siedlungsdichte kann als gering angesehen werden, wenn die Brachedauer größer ist, als zur Regeneration der Bodenfruchtbarkeit nötig wäre (s. Abb. 4.1, Fall a). Das Landnutzungssystem ist im Gleichgewicht, solange eine vollständige Regeneration stattfinden kann (Fall b). Wenn die Brache beendet wird, bevor die Fruchtbarkeit ihr ursprüngliches Niveau erreicht hat, nimmt die Ertragsfähigkeit nicht nur innerhalb der einzelnen Anbauphasen, sondern auch von Anbauphase zu Anbauphase ab (Fall c) [ANDREAE, S. 94]. Die im Gleichgewicht befindliche Ausschöpfung der Ressourcen (»balanced exploitation«) geht in Raubbau (»soil mining«) über.

Abb. 4.1: Zusammenhang zwischen Brachedauer und Bodenproduktivität im Wanderfeldbau

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach: BLANKENBURG, S. 131

[...]


[1] Der Plural umfaßt selbstverständlich Bauern und Bäuerinnen. In diesem und in ähnlichen Fällen (wie Mitarbeiter/innen, Dorfbewohner/innen etc.) habe ich, wenn beide Geschlechter gemeint sind, auf die jeweils getrennte Aufführung der beteiligten Geschlechter zugunsten eines besseren Leseflusses verzichtet.

[2] und Brot für die Welt als einer weiteren, an den Untersuchungsergebnissen interessierten Trägerorganisation

[3] Nach dem Putsch 1988 benannten die Militärs Burma in Myanmar um. Die meisten relevanten Ereignisse fallen in die Zeit vor der Umbenennung. Um Verwirrungen zu vermeiden belasse ich es beim Namen »Burma«

[4] Es gibt mehr als sechs Bergvölker. Meist werden aber nur die zahlenmäßig Bedeutensten genannt. Im einzelnen handelt es sich um die Karen, Hmong (Meo) und Yao (sino-tibetische Familie), die Akha, Lahu und Lisu (tibeto-burmesischen Untergruppe) sowie um die Htin, Khamu und Lua (austro-asiatische Sprachfamilie). [DONNER, S.99]

[5] Die gewonnenen Erkenntnisse verlieren an Aussagewert, wenn die geltenden Sinn- und Bedeutungszusammenhänge des analysierten soziokulturellen Systems nicht beachtet werden und wenn der Beobachter den Beobachteten sein eigenes Sinnverständnis unterlegt. [LAMNEK, S.236]

[6] zuletzt mit der Verleihung des Umweltpreises der UNESCO in Rio de Janeiro im Juni 1992 an die Projektkoordinatorin Tuenjai Deetes

[7] In der qualitativen Sozialforschung wird jegliches Verstehen als Fremdverstehen bezeichnet, nicht nur bei der Erforschung fremder Kulturen und Völker, sondern auch bei Subkulturen oder sozialen Randgruppen innerhalb größerer Gesellschaften.

[8] Mit dieser verbreiteten Sprechweise werden Gesprächsgegner aus Europa oder Nordamerika als Gruppe zusammengefaßt. Die »westliche« Lebensweise wird in Thailand oft geringgeschätzt und nicht als Kultur angesehen. Dies ist insofern zu erwähnen, da sonst manche Kontroverse nicht verstanden würde.

[9] Offene Fragen im methodischen Sinne versuchen Vorfestlegungen und Beeinflussung zu vermeiden.

[10] und der bhuddistischen Tradition des gesunden Maßes, worauf ich hinweise, nicht aber näher eingehe

[11] Low External Input and Sustainable Agriculture (LEISA) [PTD, Bd.2, S.4]

[12] People-centered Technology Development (PTD)

[13] Chambers verwendet hier den Begriff convenor.

[14] Als Synonym werden in der deutschsprachigen Literatur Brandrodungsfeldbau und Urwechselwirtschaft verwendet. In der englischsprachigen Literatur wird allgemein von swidden agriculture, shifting cultivation oder verurteilend von » slash and burn« gesprochen.

Ende der Leseprobe aus 96 Seiten

Details

Titel
Ökologische Angepaßtheit und kulturelle Akzeptanz von Projektmaßnahmen in einer Traditionellen Gesellschaft
Hochschule
Universität Hohenheim  (Agrarsoziologie, Landwirtschaftliche Beratung und angewandte Psychologie)
Note
1
Autor
Jahr
1993
Seiten
96
Katalognummer
V3075
ISBN (eBook)
9783638118521
Dateigröße
1061 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thailand, Akha, Nachhaltige Landwirtschaft, Entwicklungsprojekte, Wanderfeldbau, Beratungsmethoden
Arbeit zitieren
Martin Müller (Autor:in), 1993, Ökologische Angepaßtheit und kulturelle Akzeptanz von Projektmaßnahmen in einer Traditionellen Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3075

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