Stalinismus als Totalitäres System. Die Herausbildung der Massen in der Totalitarismus Theorie von Hannah Arendt


Hausarbeit, 2015

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Massen in der Totalitarismus Theorie von Hannah Arendt
2.1 Voraussetzungen für eine Massenbewegung
2.2 Die Massen
2.3 Die totalitäre Bewegung

3. Anwendung der Theorie von Hannah Arendt auf den Stalinismus
3.1 Liquidation der Klassengesellschaft
3.2 Die Atomisierung der Gesellschaft
3.3 Weitere Einwirkungen auf die Massen während des Stalinismus

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Welche totalitären Systeme gab es und wie lang gab es sie? Diese Frage ist unter Politikwissenschaftlern umstritten. Der Großteil der Wissenschaftler ist sich einig, dass das NS-Regime in Deutschland ein totalitäres System war und mit dem Tod Hitlers und der Niederlage Deutschlands im Jahr 1945 endete. Das zweite totalitäre System soll die Sowjetunion gewesen sein. Bei dieser ist sich die Wissenschaft noch nicht einig, ob sie tatsächlich ihre ganze Existenz lang totalitär war. Es wird oft angeführt, dass sie nur während der Herrschaft Stalins (1927 - 1953) ein totalitäres System war. Die Wissenschaftlerin Hannah Arendt vertrat in ihrer bekannten Totalitarismus Theorie diese Auffassung. In dieser Arbeit wird ihre Theorie über die Rolle der Massen im Totalitarismus auf die Zeit Stalins angewandt. Es wird untersucht, ob während der Herrschaft Stalins diese für den Totalitarismus und dessen totalitäre Bewegung nötigen Massen in der Sowjetunion bestanden. Dazu wird die Theorie Hannah Arendts bemüht, um darzustellen, welche Eigenschaften diese Massen haben müssen. Im zweiten Schritt wird Untersucht ob diese Massen in der Sowjetunion bestanden.

2. Die Massen in der Totalitarismus Theorie von Hannah Arendt

Kennzeichnend für totalitäre Bewegungen ist die Schnelligkeit mit der ihre Führer ausgewechselt und vergessen werden. Diese Eigenschaft totalitärer Bewegungen hängt mit der Unbeständigkeit der Massen und dem damit verbundenen Massenruhm zusammen. Die Bewegung ist im Totalitarismus überlebenswichtig. Sie kann sich nur so lange halten, wie sie in Bewegung bleibt, ihr Umfeld in Bewegung versetzt. Aus dieser Bewegung resultiert eine Kontinuitätslosigkeit die keinen Status Quo und keinen Blick in die Vergangenheit kennt. Bewegung und Massen sind entscheidend für die totale Herrschaft. Diese ist ohne die Massenbewegung nicht möglich. Die Massenbewegung muss den Totalitarismus unterstützen auch wenn sie von diesem terrorisiert wird. (vgl. Arendt, 2006, S. 663 ff.)

2.1 Voraussetzungen für eine Massenbewegung

Totalitäre Bewegungen sind überall dort denkbar wo Massen nach politischer Organisation streben. Die Massen an sich zeichnen sich durch folgendes aus:

- keine gemeinsamen Interessen
- kein spezifisches Klassenbewusstsein
- lassen sich in keiner auf gemeinsamen Interessen beruhenden Organisation1 strukturieren
- existieren in jedem Land, zu jeder Zeit
- bilden i. d. R. die Mehrheit der Bevölkerung
- die meiste Zeit politisch neutral, bis politisch desinteressiert.

Eine totalitären Massenbewegung ist nur möglich wenn sie Millionen Menschen erfasst. (vgl. Arendt, 2006, S. 163 ff.) Um die totale Herrschaft zu errichten, muss ein Land „über genügend Menschenmaterial verfügen, (Zeitanpassung des Autors) um die ungeheuren Verluste an Menschenleben, die der totale Herrschaftsapparat dauernd fordert, zu ertragen. (Arendt, 2006, S. 665). Nur wenn große Massen an Menschen entbehrlich ist, ohne das Land zu entvölkern ist eine totale Herrschaft realisierbar. (vgl. Arendt, 2006, S. 667)

Um die totalitären Massen zu bilden wird eine Führer-Person benötigt die innerhalb der Massen Popularität genießt. Ihre Popularität wird von den Massen Zeit ihres Lebens getragen und nicht mit Hilfe der Propaganda geschaffen. Die Propaganda totalitärer Systeme korrespondiert nicht mit der Realität, doch ist sie im Bezug auf die Werte und Ziele der Bewegung und deren Führer nicht verlogen. Die Führer bringen die Massen durch die Glorifizierung ihrer, für die Revolution nötigen Verbrechen hinter sich und zeigen sich als handelnde Subjekte, die die Menschen in eine scheinbar bessere Zukunft führen. Der totalitäre Führer kann nicht willkürlich regieren er hängt von dem Willen der totalitären Massen ab. Diese wird von ihm verkörpert, ohne ihn würde die totalitäre Massen nicht existieren. Hannah Arendt schreibt dazu: (vgl. Arendt, 2006, S. 657 ff.) „ Ohne den Führer sind die Massen ein Haufen, ohne die Massen ist der Führer ein Nichts. “ (Arendt, 2006, S. 701)

Hier ist ein Widerspruch innerhalb der Theorie auszumachen. Die Führer genießen die Popularität der Massen und behalten diese Zeit ihres Lebens. „ Ohne den Führer sind die Massen ein Haufen, ohne die Massen ist der Führer ein Nichts. “ (Arendt, 2006, S. 701) Im vorhergehenden Teil hieß es, „Kennzeichnend für totalitäre Bewegungen ist die Schnelligkeit mit der ihre Führer ausgewechselt und vergessen werden. Diese Eigenschaft totalitärer Bewegungen hängt mit der Unbeständigkeit der Massen und dem damit verbundenen Massenruhm zusammen.„ Wenn die Massen den Führer verlassen, lösen sie sich selbst auf. Ohne die Massen gibt es keine totalitäre Bewegung. Es bleibt die Frage offen, in wie weit die Schnelligkeit des Austauschs des Führers und die Unbeständigkeit der Massen mit der Popularität des Führers und dem ihn umgebenen Personenkult verbunden werden kann.

2.2 Die Massen

Die Massen in den totalitären Bewegungen des 21. Jahrhunderts unterscheiden sich von den bis dato bekannten Massenbewegungen in ihrer Opferbereitschaft. Mag es noch verständlich erscheinen, dass die Massen sich nicht über am Gegner begangene Verbrechen beklagen, so ist es unverständlich warum sie sich auch dann nicht beklagen wenn die Verbrechen gegen ihresgleichen begangen werden. Die Opfer dieser Verbrechen sind selbst dadurch nicht in ihrer Überzeugung zu erschüttern. Die Parteidisziplin, derer sie sich unterstellen und die sich über das ganze Land erstreckt ist stärker als der Instinkt zur Selbsterhaltung des Individuums. (vgl. Arendt, 2006, S. 660 ff.)

Diese Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft legt der Mensch innerhalb der Bewegung solange an den Tag, wie diese funktioniert, sprich in Bewegung ist. Der dafür nötige Fanatismus bricht in jenem Moment zusammen, indem die Bewegung ihre Anhänger verlässt. Mit dem verschwinden der Bewegung, verschwindet auch deren Überzeugungen aus den Köpfen der Anhänger.

Vor dem Untergang der Bewegung ist das fanatisierte Mitglied durch Argumente nicht zu erreichen und durch negative Erfahrungen nicht zu erschüttern. Es verschmilzt mit der Bewegung und nimmt sich selbst als eigenständiges Subjekt nicht mehr wahr. Dies macht das Mitglied unempfindlich gegen jegliche negative Erfahrung und lässt es nicht mal Angst vor dem Tod empfinden. (vgl. Arendt, 2006, S. 657 ff.)

Die Massen besitzen keine Klassenbasis. Nachdem Wegfall der Klassenstruktur entsteht „ eine unorganisierte Massen verzweifelter und ha ß erfüllter Individuen, die nichts verband auß er der allen gemeinsamen Einsicht, da ß [ … ] diejenigen welche bisher die Gemeinschaft vertreten [ … ] in Wahrheit Narren waren, die sich mit den bestehenden M ä chten verbündeten, um alleübrigen [ … ] in den Abgrund zu führen. “ (Arendt, 2006, 678)

Zwischen den in den Massen sich befindlichen Individuen besteht die Gemeinsamkeit den Zerfall ihrer gewohnten Welt bzw. die Zersetzung der Gesellschaftsordnung gesehen zu haben. (vgl. Arendt, 2006, S. 685) Die Massen streben danach etwas neues zu schaffen, das unabhängig von ihren materiellen Bedürfnissen ist, etwas das mehr als nur das eigene Leben beeinflusst. Sie versuchen ihrem tristen Alltag zu entfliehen indem sie ihr Leben nach den Dogmen der Bewegung ausrichten und ihren Menschenverstand an diese abgeben. (Arendt, 2006, S. 679 ff.)

2.3 Die totalitäre Bewegung

Die totalitären Bewegungen akquirieren ihre Mitglieder aus den unpolitischen Massen, die von anderen Parteien aufgegeben wurden. Das nicht vorhandene politische Wissen der Massen, wird von der Bewegung ausgenutzt und ermöglicht ihr neue Formen der Propaganda. Die Bewegung muss nicht im politischen Diskurs argumentieren und stellt sich bewusst außerhalb des Parteiensystems auf. Sie propagiert ihren Anhängern, dass alle Bürger die nicht für sie sind, gegen sie sind. Alle Unterschiede zwischen der Massen und dem Rest sind sozialer, völkischer, oder psychologischer Natur und nicht änderbar. (vgl. Arendt, 2006, S. 668 ff.)

Totalitäre Bewegungen bedienen sich der demokratischen Freiheiten um selbige abzuschaffen. Die Demokratie davor zu schützen ist ein schweres unterfangen. Die demokratischen Freiheiten gründen auf der Gleichheit aller Bürger. Damit etwas gleich werden kann, muss es anfangs erst einmal ungleich sein, sei es durch soziales

Milieu, politische Einstellung, Beruf etc.. Die Klassengesellschaft bildet die soziale und und politische Struktur eines Nationalstaates. Sie wird zusammen mit den demokratischen Institutionen und demokratischen Freiheiten von der Massengesellschaft aufgelöst. (vgl. Arendt, 2006, S. 671 ff.)

Die Gleichheit der Massen ist für die totalitäre Herrschaft nicht ausreichend. Sie muss die gemeinsam erlebte Welt der Individuen vollkommen Zerstören und die Menschen in ein Gefühl der Verlassenheit stürzen. Dadurch entsteht eine „ v ö llig unzusammenh ä ngende Gesellschaftsmasse, deren heterogene Gleichf ö rmigkeit aus nicht nur isolierten, sondern auf sich selbst und nichts sonst zurückgeworfenen Individuen besteht. “ (Arendt, 2006, S. 695) Die Massen verderben und zerstören die Einstellungen und die Kultur des kompletten Volkes. (vgl. Arendt, 2006, S. 675)

Um die Atomisierung der Gesellschaft zu erreichen, sind die Menschen so voneinander zu separieren, dass sie sich hilflos und verlassen fühlen. Dies wird mit Hilfe von Verhaftungen und fingierten Anklagen, in denen nicht nur sie sondern auch ihr ganzes Umfeld angeklagt wird erreicht. Der Mensch kann unter diesen Umständen niemanden mehr nah sein, denn die Nähe zum Menschen allein kann für ihn eine Gefahr darstellen. In einer totalen Herrschaft ist überhaupt nur der zu gebrauchen, der bereit ist seine Freunde zu verraten. (vgl. Arendt, 2006, S. 697)

Die totalitären Bewegungen verlangen von den Individuen eine Treue wie keine andere Partei oder Bewegung. Totalitäre Führer und Bewegungen müssen sich auf diese verlassen können. Diese Treue kann nur von absolut isolierten Individuen geleistet werden, die weder an Familie, Freunde, oder Bekannte gebunden sind. Ohne Freunde und Familie, kann nur die Partei dem Individuum einen festgeschrieben Platz innerhalb der Gesellschaft geben. Treue ist an Personen und Inhalte gebunden somit abhängig von der Meinung des Menschen. Menschen können ihre Meinungen über jemanden oder etwas ändern. Deswegen haben totalitäre Bewegungen konkrete Ziele und Inhalte eliminiert, damit keinen Meinungen darüber möglich sind. (vgl. Arendt, 2006, S. 698 ff.)

[...]


1 Keine Parteien, Interessenverbänden, lokalen Selbstverwaltungen, Gewerkschaften, oder Berufsvereinen

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Stalinismus als Totalitäres System. Die Herausbildung der Massen in der Totalitarismus Theorie von Hannah Arendt
Hochschule
Universität Regensburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die politischen Systeme Mittel- und Osteuropas
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V307205
ISBN (eBook)
9783668054097
ISBN (Buch)
9783668054103
Dateigröße
602 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sowjetunion, Stalinismus, Stalin, Totalitarismus, Massen, Kommunismus, Hannah Arendt, Osteuropa
Arbeit zitieren
Martin Birkner (Autor:in), 2015, Stalinismus als Totalitäres System. Die Herausbildung der Massen in der Totalitarismus Theorie von Hannah Arendt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307205

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