Situationen pflegender Angehöriger. Eine empirische Studie in der Marktgemeinde Nordhalben


Fachbuch, 2015

157 Seiten

Sonja Rattinger (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung

2 Pflegebedürftigkeit und Demographischer Wandel
2.1 Definition der Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen
2.2 Aktueller Bezug

3 Pflegende Angehörige
3.1 Definition und Begriffsbestimmung
3.2 Familienpflege
3.3 Motivation der pflegenden Angehörigen
3.4 Typen pflegender Angehörige
3.4.1 Delegierende Angehörige
3.4.2 Distanzierende Angehörige
3.4.3 Aktiv pflegende Angehörige
3.4.4 Psycho-sozial-stabilisierende Angehörige

4 Belastungen pflegender Angehöriger
4.1 Physische Belastungen
4.2 Psychische Belastungen
4.3 Emotionale Belastungen
4.4 Soziale Belastungen
4.5 Temporäre Belastungen
4.6 Finanzielle Belastungen

5 Ressourcen pflegender Angehöriger
5.1 Objektressourcen
5.1.1 Wohnsituation
5.1.2 Notwendige Grundlagen für die Pflege
5.1.3 Transportmöglichkeiten und -mittel
5.1.4 Finanzielle Stabilität und abgesicherte eigene Zukunft
5.1.5 Getroffene Vorkehrungen
5.2 Lebensbedingungen und -umstände als Ressourcen
5.2.1 Familienstabilität
5.2.2 Soziale Beziehungen und Begleitung
5.2.3 Vertrautheit und Loyalität mit Freunden
5.2.4 Unterstützung und Hilfe durch das soziale Netz
5.2.5 Unterstützung durch Sozialversicherungsträger
5.2.6 Unterstützung durch kompetente Ärzte und Gesundheitsberufe
5.2.7 Persönliche Gesundheit
5.2.8 Berufliche Situation
5.3 Personale Ressourcen
5.3.1 Positives Kohärenzgefühl
5.3.2 Gefühl, für andere wichtig zu sein
5.3.3 Gefühl, eine gute Beziehung zum Pflegebedürftigen zu haben
5.3.4 Optimistische und positive Lebenseinstellung
5.3.5 Humor
5.3.6 Gefühl von Unabhängigkeit
5.3.7 Gefühl der eigenen sozialen Sicherheit
5.3.8 Gefühl der sozialen und kulturellen Integration
5.3.9 Glaube und Spiritualität
5.3.10 Zeit
5.3.11 Handlungskompetenzen
5.4 Energieressourcen
5.4.1 Geld und finanzielle Möglichkeiten
5.4.2 Informationen und Wissen
5.4.3 Personenbezogene Energiequellen
5.4.4 Worte der Anerkennung und Dankbarkeit der Pflegebedürftigen
5.4.5 Erfolge
5.4.6 Soziale Netzwerke und Beziehungen

Abstract

Die Veröffentlichung beschäftigt sich mit der Situation pflegender Angehöriger am Beispiel der Marktgemeinde Nordhalben, die aufgrund des demografischen Wandels eine starke Verschiebung der Altersstruktur aufweist. Es wird den Fragen nachgegangen welche Belastungen, Ressourcen und Unterstützungen die Probanden erleben sowie welche Wünsche sie aufgrund ihrer Situation äußern. Dabei wird auf die aktuelle Situation von 10 pflegenden Angehörigen in der Marktgemeinde Nordhalben eingegangen. Ziel ist die Feststellung benötigter sozialarbeiterischer Interventionen und welche Maßnahmen entwickelt werden könnten.

Die Fragestellungen werden im qualitativen Paradigma durch leitfadengestützte teilstandardisierte Interviews mit pflegenden Angehörigen bearbeitet. Dabei stützt sich die Erhebung der Belastungen auf die Arbeit von Lützenkirchen et al. (2014), wobei die deutsche Fassung des Zarit Burden Interviews (Zarrit et al. 1980) als Einstiegsfragen verwendet werden, die Ressourcenerhebung auf das Instrument RPA (Assessment zur Erfassung Ressourcen pflegender Angehöriger) nach Mischke (2012).

Zusammenfassend werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt und im Hinblick auf eine künftige Tätigkeit der Sozialen Arbeit innerhalb der Marktgemeinde Nordhalben betrachtet.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung insgesamt. Jahresende (Eigene Darstellung unter Verwendung von Destatis 2013b:7)

Abb. 2: Ranking der genannten Beweggründe (Eigene Darstellung generiert mit MS-Excel 2010 auf Datengrundlage von Perrig-Chiello 2012:136)

Abb. 3: Grundmodell zum Zusammenhang zwischen Belastung, Beanspruchung und individueller Einflussgröße (Eigene Darstellung in Anlehnung an Roßbach et al. 2007:3)

Abb. 4: Prozessmodell der Pflegebelastung (Eigene Darstellung in Anlehnung an Pearlin et al. 1990)

Abb. 5: Topographische Lage des Forschungsfeldes (Karte generiert mit OpenStreetMap)

Abb. 6: Darstellung der Pflegestufen in Relation zum Alter der Pflegebedürftigen innerhalb der Stichprobe (Eigene Darstellung generiert mit MS-Excel 2010)

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Merkmale privater Hauptpflegepersonen (Eigene Darstellung in Anlehnung an TNS Infratest Sozialforschung 2004 zit. in Schneekloth & Wahl 2005:77)

Tab. 2: Beweggründe pflegender Angehöriger (Prozent der Ja-Antworten) (Eigene Darstellung in Anlehnung an Perrig-Chiello 2012:136)

Tab. 3: Zuordnung des G-ZBI an die Belastungsdimensionen

Tab. 4: Zuordnung der bedeutsamen Ressourcen pflegender Angehörige nach Mischke (2012) an die Ressourcendimensionen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

Nirgends findet sich ein Werbeschild, in keiner Zeitschrift ist ein Werbeinserat zu finden und kein Werbespot in Radio oder Fernsehen weißt auf ihn hin: Den größten Pflegedienst der Bundesrepublik Deutschland! Und es gibt ihn doch - und er arbeitet gut! Würde man Umfragen danach ausrichten, so ergäben sich zahlreiche Spekulationen, doch wohl die wenigsten könnten diesen Pflegedienst benennen. Er arbeitet häufig rund um die Uhr und meist kostenlos - sieht man von Zuwendungen wie dem Pflegegeld nach SGB XI ab. Es handelt sich bei diesem Pflegedienst um Rund 1,2 Millionen pflegende Angehörige, die meist ohne Lobby, ohne geregelte Arbeitszeiten, gewerkschaftliche Vertretung oder Mindestlohn sich um die Belange ihrer Pflegebedürftigen kümmern.

Trotzdem sind sie in ihrer Situation von Belastungen unterschiedlicher Art betroffen, verfügen über Ressourcen, die es ihnen ermöglicht ihre tägliche Pflegeleistung zu erbringen und haben Wünsche, wie sie ihre Situation gerne verändert sehen. Hiervon sind auch pflegende Angehörige der Marktgemeinde Nordhalben betroffen, deren Lage durch Abwanderung und Strukturschwäche sich überdies negativ auswirkt. Gerade in den Pionierphasen der Sozialen Arbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts widmete sich diese der Verschränkung von Krankheit und Armut als damalige vorrangige Belastung und forderte zum fürsorgerischen Handeln auf. Sie machte auf soziale Missständen aufmerksam und diente so als Indikator sozialer Probleme (Franzkowiak 2006:12). Neben diesem illuminativen Charakter zeichnet sich Soziale Arbeit aber auch als handlungsorientierte Wissenschaft aus, die Hilfen und Unterstützungen anbietet. Um hier aktiv zu werden benötigt sie Daten und Fakten aus theoretischen und empirischen Quellen um gezielte Maßnahmen zu planen und erfolgversprechende Interventionen durchzuführen.

Die nachfolgende Arbeit geht daher zunächst theoretisch im Rahmen einer Literaturrecherche auf den aktuellen Kenntnisstand zu Belastungen und Ressourcen pflegender Angehöriger ein. Der sich anschließende empirische Teil verfolgt die Absicht, die Situation durch leitfadengestützte Interviews in Hinblick auf Belastungen, Ressourcen und Wünsche im Forschungsfeld der Marktgemeinde zu erheben um schließlich beide Erkenntnisse zusammen zu führen. Die eigene Expertise wird zur Triangulation genutzt und die Einrichtung einer Beratungsstelle als ein möglicher Weg zur Unterstützung pflegender Angehöriger vorgestellt.

2 Pflegebedürftigkeit und Demographischer Wandel

Nach aktuellen Erkenntnissen betrifft Pflegebedürftigkeit überwiegend ältere Menschen, was eine Korrelation zum demografischen Wandel innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bedeutet. Daher dürfte die Anzahl pflegebedürftiger Menschen entscheidend mit der zahlenmäßigen Entwicklung der Menschen höheren Alters korrespondieren (Destatis 2010:5). Gemäß dem Statistischen Bundesamtes steigt die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit außerdem bei älteren Menschen mit zunehmendem Alter deutlich an. Rund 31% der über 80jährigen waren demnach im Jahr 2007 pflegebedürftig (Destatis 2010:5). Innerhalb einer Prognose gibt das Statistische Bundesamt einen Überblick, wie sich nach ihren Einschätzungen die einzelnen Altersgruppen bis zum Jahr 2050 gegenüber 2009 entwickeln. So zeichne sich eine signifikante Verschiebung der Altersstruktur hin zu höheren Altersklassen ab und habe zur Folge, dass sich die Anzahl der Menschen gegenüber heute in allen Altersstufen über 60 deutlich erhöhe. ÄAuch innerhalb der Gruppe der 60-Jährigen und Älteren steigen aufgrund des aktuellen Altersaufbaues immer mehr Menschen in die höheren Altersstufen hinauf: Im Jahr 2050 gibt es dann mehr als 10 Millionen über 80-Jährige (2009: gut 4 Millionen), die Zahl der 60- bis 80-Jährigen ist gegenüber 2030 (22 Millionen) aber schon wieder deutlich auf 17,7 Millionen gefallen. Damit verschiebt sich die Struktur innerhalb der älteren Bevölkerung zu den Altersgruppen, die tendenziell ein höheres Risiko haben, pflegebedürftig zu werden oder in Folge einer Krankheit stationär behandelt zu werden“ (Destatis 2010:5) fasst das Bundesamt seine Prognose zusammen. Obwohl innerhalb der Bundesrepublik Deutschland eine rückläufige Bevölkerungszahl vorliegt, ist andererseits trotzdem mit einem Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen und der Zahl der Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern zu rechnen. Dabei ist der Anstieg neben dem demographischen Wandel und dem Anteil der Pflegebedürftigen davon abhängig, wie sich die einzelnen Altersgruppen künftig entwickeln werden. ÄSteigender Wohlstand, eine bessere Ernährung und weniger körperlich belastende Arbeit könnten beispielsweise dazu führen, dass Menschen künftig nicht nur länger, sondern auch länger gesund leben“ (Destatis 2010:5). Dieses wünschenswerte Szenario konnte aber durch Vergleichszahlen der letzten Jahre nicht bestätigt werden, vielmehr war seit Durchführung der Statistik auf Bundesebene durchgängig eine Zunahme der Pflegebedürftigen zu beobachten (Destatis 2010:21).

2.1 Definition der Pflegebedürftigkeit und Pflegestufen

Da pflegende Angehörige sich um Personen kümmern, bei denen eine Pflege- bedürftigkeit besteht, muss hier zunächst der ÄBegriff der Pflegebedürftigkeit“ definiert werden. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XI erhalten nur Personen, die der Definition gemäß diesem Sozialgesetzbuches entsprechen. Gemäß § 14 SGB XI liegt eine Pflegebedürftigkeit vor bei ÄPersonen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße […] der Hilfe bedürfen“ (§ 14 SGB XI 2014). Dabei wird nachfolgend dargelegt, dass Krankheiten oder Behinderungen in diesem Sinne

1. ÄVerluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat,
2. Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane,
3. Störungen des Zentralnervensystems wie Antriebs-, Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen sowie endogene Psychosen, Neurosen oder geistige Behinderungen“ (§ 14 Absatz 2 SGB XI 2014) sind.

Die hier zugrunde liegende, derzeit aktuelle Fassung des SGB XI sieht dabei im § 15 eine Einteilung in drei Pflegestufen vor.

Pflegestufe I

Bei Personen, die der Pflegstufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit) zugeordnet werden, handelt es sich um Pflegebedürftige, die Äbei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen“ (§ 15 Absatz 1 Satz 1 SGB XI 2014).

Pflegestufe II

Der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen zugeordnet, die Äbei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche

Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen“ (§ 15 Absatz 1 Satz 2 SGB XI 2014).

Pflegestufe III

Die derzeit höchste graduelle Ausprägung stellt die Pflegestufe III dar. In ihr werden pflegebedürftige Personen eingeteilt, die Äbei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen“ (§ 15 Absatz 1 Satz 2 SGB XI 2014).

Dabei sieht das SGB XI im § 15 Absatz 3 explizit auch pflegende Familienangehörige beziehungsweise Personen vor, die nicht als Pflegekraft ausgebildet sind. ÄDer Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muß [sic!] wöchentlich im Tages- durchschnitt

1. in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen,
2. in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen,
3. in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen (§ 15 Absatz 3 SGB XI 2014).

2.2 Aktueller Bezug

Für die Bundesrepublik Deutschland gibt das Statistische Bundesamt (2013a:5) 2,5 Millionen Pflegebedürftige insgesamt an. Davon werden lediglich 30% (743000 Pflegebedürftige) in Pflegeheimen vollstationär versorgt. Der überwiegende Anteil von 1,76 Millionen Pflegebedürftigen, das entspricht 70% werden zu Hause versorgt (Destatis 2013a:5). ÄDavon erhielten 1 182 000 Pflegebedürftige ausschließlich Pflegegeld, das bedeutet, sie wurden in der Regel zu Hause allein durch Angehörige gepflegt. Weitere 576 000 Pflegebedürftige lebten ebenfalls in Privathaushalten. Bei ihnen erfolgte die Pflege jedoch zusammen mit oder vollständig durch ambulante Pflegedienste“ (Destatis 2013a:7).

Damit ist festzustellen, dass 3,1% der Bevölkerung pflegebedürftig ist (Destatis 2013b:6). Jedoch verteilt sich diese Pflegebedürftigkeit bundeseinheitlich nicht homogen. ÄDer Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung insgesamt (Pflegequote) variierte zwischen den Bundesländern: Den Höchstwert wies Mecklenburg-Vorpommern mit rund 4,1% auf. Danach folgten Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit 3,8%. Geringe Anteile lagen für Baden-Württemberg (2,6%) und Bayern (2,6%) […]“ (Destatis 2013b:6). Beim Blick auf die Ebene der Landkreise zeigt sich ein ebenso vielfältiges Bild. Der Ä[…] geringste Anteil der Pflegebedürftigen [war] im bayerischen Landkreis Freising (1,6%) und der Stadt München (1,8%) feststellbar. Dem folgten Erlangen sowie die Landkreise Erding und Erlangen- Höchstadt (alle jeweils 1,9% und in Bayern)“ (Destatis 2013b:6). Für den Landkreis Kronach, einem ehemaligen Zonenrandgebiet, in dem auch die Marktgemeinde Nordhalben liegt, stellt das Statistische Bundesamt eine Pflegebedürftigkeitsquote von 4,3% fest (Destatis 2013b:19), was über dem Höchstwert von Mecklenburg- Vorpommern (4,1%) liegt. Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht die Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nochmals grafisch.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung insgesamt.

Jahresende 2011

(Eigene Darstellung unter Verwendung von Destatis 2013b:7)

3 Pflegende Angehörige

Der Begriff des pflegenden Angehörigen wird inzwischen in zahlreichen Publikationen zu diesem Themenbereich verwendet. Dabei existiert jedoch nicht immer Einigkeit darüber, welcher Personenkreis inkludiert ist. Es werden neuerdings auch Begrifflichkeiten wie Äpflegender Zugehöriger“ oder Äinformelle Pflegeperson“ verwendet, um anzudeuten, dass die Pflegeperson nicht unbedingt in einem Verwandtschaftsverhältnis zum Pflegebedürftigen steht (Lützenkirchen et al. 2014:23). So geht nach Huber (2009:17) der Begriffsteil ÄAngehörige“ weit Äüber den Begriff Familie hinaus und schließt neben leiblich Verwandten auch entfernte Verwandte, Ehe- und Lebenspartner, Freunde, Bekannte, Vereinsmitglieder aus ehemaligen Organisationen, Mitarbeiter der religiösen Gemeinde und Nachbarn ein.“ Fringer (2011:9) gibt eine Aufstellung, wie sich die sozialen Beziehungen zwischen Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen zeigen. Demnach sind 28% der pflegenden Angehörigen Ehepartner bzw. Partner innerhalb einer eheähnlichen Gemeinschaft, 26% Töchter, 12% Mütter, 10% Söhne, 8% Freunde, Nachbarn oder Bekannte, 7% sonstige Verwandte, 6% Schwiegertöchter, 2% Enkel und Enkelinnen und 1% Väter. Eine annähernd gleiche Verteilung sehen auch Schneekloth & Wahl (2005:77), die unter Bezugnahme auf TNS Infratest Sozialforschung (2004) auch auf Geschlecht und Alter der pflegenden Angehörigen eingehen. Eine detaillierte Aufstellung ist der Tabelle 1 zu entnehmen.

Tabelle 1: Merkmale privater Hauptpflegepersonen

(Eigene Darstellung in Anlehnung an TNS Infratest Sozialforschung 2004 zit. in Schneekloth & Wahl 2005:77)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.1 Definition und Begriffsbestimmung

Eine normative Definition der pflegenden Angehörigen ist im Sozialgesetzbuch XI expliziert. Hier findet sich im § 19 SGB XI folgende Nominaldefinition: ÄPflegepersonen im Sinne dieses Buches [Anm.: SGB XI] sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 in seiner häuslichen Umgebung pflegen“ (§ 19 SGB XI 2014). Dabei werden innerhalb dieser Explizitdefinition nicht auf Verwandtschaftsverhältnisse eingegangen, wodurch sie einer Realdefinition sehr nahe kommt und alle Möglichkeiten der Unterstützung durch Verwandte, Bekannte, Freunde und Nachbarn zulässt. Hier soll, in Übereinstimmung mit Lützenkirchen et al. (2014:23) gelten, dass unter dem Begriff Äpflegende Angehörige“ Pflegepersonen verstanden werden, die sowohl zur Familie des Pflegebedürftigen gehören, als auch kein familiales bzw. verwandtschaftliches Verhältnis haben.

3.2 Familienpflege

Vom Begriff des pflegenden Angehörigen, was vordergründig eine familiale, verwandtschaftliche Relation zwischen Pflegebedürftigen und Pflegeperson vermuten ließe, ist der Begriff der ÄFamilienpflege“ abzugrenzen. Im Bereich der Familien- und umweltbezogenen Pflege traten vor allem Marie-Luise Friedemann und Christina Köhlen (Friedemann & Köhlen 2010) im deutschsprachigen Raum hervor. Familienpflege meint nicht die Pflege innerhalb der Familie sondern vielmehr, dass Ädie Familie und die weitere Umwelt in die Pflege einzubeziehen“ (Friedemann & Köhlen 2010:20) sind. Dies ist hier nicht Gegenstand der Untersuchung des theoretischen noch des empirischen Teils dieser Arbeit.

3.3 Motivation der pflegenden Angehörigen

Zum Teil wird in der einschlägigen Literatur zur Situation pflegender Angehöriger von Motiven, zum Teil von Motivation gesprochen. Eine Einteilung, die der Idee der Motive folgt, findet sich beispielsweise bei Pasch (2010).

Sie teilt die Motive zur Pflegeübernahme in drei Gruppen ein:

- Moralische Motive
- Finanzielle Motive
- Sozialisationsfunktion der Frau

(Pasch 2010)

Allerdings wird im weiteren Verlauf des Diskurses wiederum nicht konsequent in Motiv und Motivation unterschieden. Da zum Verständnis der Situation pflegender Angehöriger dies auch nicht unbedingt als notwendig erachtet wird, soll auch im Rahmen dieser Darstellung keine strikte Trennung erfolgen.

Um als pflegender Angehöriger die Pflege eines anderen Menschen zu übernehmen werden die unterschiedlichsten Gründe genannt. Perrig-Chiello (2012:134ff) beschreibt Beweggründe, die die Entscheidung zu pflegen beeinflusst. Ihre Daten stützen sich dabei auf eine Studie, die 2009/2010 in Zusammenarbeit zwischen Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello (Universität Bern, Projektleitung), Prof. Dr. Francois Höpfinger (Universität Zürich) und Dr. Brigitte Schnegg (Universität Bern) in der deutschsprachigen Schweiz durchgeführt wurde. Dabei wurde sichtbar, dass auch Unterschiede in Bezug auf das familial-verwandtschaftliche Verhältnis bestehen.

Werden die unterschiedlichen Beweggründe aller Befragten in einer Reihenfolge gebracht, so ergibt das Ranking total, dass an erster Stelle die Motivation Liebe und Zuneigung (384 Prozentpunkte) genannt wird. An zweiter Stelle mit 372 Prozentpunkten wird die moralische Verpflichtung, gefolgt von der Motivation, dass Pflege ein gutes Gefühl gibt (363 Prozentpunkte) genannt. Mit 338 Prozentpunkten rangiert das Gefühl der Verpflichtung auf Rang 4, gefolgt von der Notwendigkeit bzw. Alternativlosigkeit (317 Prozentpunkte). An sechster Stelle nannten die pflegenden Angehörigen dass die Kosten für eine professionelle Pflege zu hoch seien (241 Prozentpunkte). Es schließt sich an, dass der Pflegebedürftige nicht von einer anderen Person gepflegt werden wolle (Rang 7, 198 Punkte) und ein zufälliges Ergeben der Pflegesituation mit 174 Prozentpunkten auf dem 8. Rang. Eine religiöse Überzeugung wird mit 110 Prozentpunkten erst am Ende auf Platz 9 genannt.

Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse der Studie und gibt in Prozent die Ja Antworten der Probanden zur Frage nach entsprechenden Beweggründen an.

Tabelle 2: Beweggründe pflegender Angehöriger

(Prozent der Ja-Antworten)

(Eigene Darstellung in Anlehnung an Perrig-Chiello 2012:136)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Ranking der genannten Beweggründe

(Eigene Darstellung generiert mit MS-Excel 2010 auf Datengrundlage von Perrig-Chiello 2012:136)

3.4 Typen pflegender Angehörige

Um gleichzeitig die Unterschiedlichkeit, wie auch die Gleichheit der pflegenden Angehörigen zu verdeutlichen, könnte man zusammenfassen: ÄPflegende Angehörige sind wie alle pflegende Angehörige. Pflegende Angehörige sind wie manche pflegende Angehörige. Pflegende Angehörige sind spezielle pflegende Angehörige!“ Obwohl sicherlich jeder pflegende Angehöriger einzigartig in seiner Situation und im Erleben seiner individuellen Lebenslage ist, kann unter Rückbezug auf Daneke (2000:152ff) eine Kategorisierung erfolgen.

Daneke (2000:152) unterscheiden dabei zwei Typen von Angehörige pflegebedürftiger Menschen und differenziert anschließend weiter in:

- Delegierende Angehörige
- Pflegende Angehörige
- distanzierende Angehörige
- aktiv pflegende Angehörige
- psycho-sozial-stabilisierende Angehörige

Daneke (2000:152ff)

Dabei verweist bereits Huber (2009:19) darauf, dass eine Äreine Form der Zuordnung eines Angehörigen in einem der […] Typen […] nicht möglich sein [wird]. Eher sind die Grenzen sehr verschwommen und je nach Lebenslage und momentaner Befindlichkeit wird der Angehörige verschieden in Erscheinung treten.“

3.4.1 Delegierende Angehörige

Der delegierende Angehörige sieht sich als Überwachungsinstanz für Pflege- leistungen. Pflegeheim oder ambulanter Pflegedienst stellen für ihn Service- Einrichtungen dar, deren Tätigkeit er beurteilt und bewertet ohne gleichzeitig über Kenntnisse und Einblick in die Arbeit des Personals zu verfügen. Besuche finden nicht regelmäßig statt sondern ähneln Momentaufnahmen, aus denen sie sich ein eigenes Gesamtbild generieren. (Daneke 2000:152). Damit stellt er ein Potential für Äfamiliäre Konflikte, aber auch für Probleme mit dem professionellen Pflegedienst“ (Huber 2009:17) dar. Nach Steinhardt (2010:14) sind rund ein Viertel aller Angehörigen diesem Typus zuzurechnen.

3.4.2 Distanzierende Angehörige

Zu den distanzierenden Angehörigen rechnet Daneke (2000:153) einen Typus, der sich vorwiegend organisatorischen Aufgaben widmet. Hierzu gehören beispielsweise die Verwaltung der Finanzen, rechtliche Angelegenheiten oder die Wäsche- versorgung. Die eigentlich pflegebedürftige Person tritt dabei in den Hintergrund. Zu ihr existiert eine gewisse Distanz und häufig ein angespanntes Verhältnis. Huber (2009:18) weißt darauf hin, dass distanzierende Angehörige eher Schwierigkeiten haben, Bedürfnisse, Wünsche oder Probleme des gepflegten Angehörigen zu handhaben. ÄVerstärkt wird diese Spannung dann, wenn der distanzierte Angehörige sieht, dass die betreute Person mit den professionellen Pflegekräften offener umgeht und das führt zu Eifersucht“ (Huber 2009:18). Ursächlich begründet sich die Distanz darin, dass in diesen Familien körperliche Zuneigung, Zärtlichkeit und liebevoller Umgang miteinander eher unüblich sind und waren (Daneke 2000:153).

3.4.3 Aktiv pflegende Angehörige

Die Gruppe der aktiv pflegenden Angehörigen wird repräsentiert durch Menschen, die sich mit der (notwendigen) Pflegesituation auseinandergesetzt haben und diese akzeptieren. Aktiv pflegende Angehörige kennen Wünsche und Bedürfnisse, wie auch aktuelle gesundheitliche Lage und medizinische Notwendigkeiten ihrer Pflegebedürftigen. Meist haben sie selbst bereits eine jahrelange Pflegekarriere hinter sich, so dass sie - ohne über eine professionelle Ausbildung zu verfügen - als Experten für den betroffenen Pflegebedürftigen gelten dürfen (Daneke 2000:153- 154). Innerhalb einer extramuralen Versorgung durch den ambulanten Pflegedienst leben sie meist gemeinsam in einer Wohnung (Huber 2009:18) und haben oft Schwierigkeiten damit, die Verantwortung im Rahmen eines Heimeinzuges an das Pflegepersonal abzugeben beziehungsweise verbringen dann viel Zeit in der stationären Einrichtung, was zum Teil zu Konflikten mit dem dortigen Personal führt (Daneke 2000:154; Steinhardt 2010:14).

3.4.4 Psycho-sozial-stabilisierende Angehörige

Als weiteren Typus nennt Daneke (2000) die psycho-sozial-stabilisierenden Angehörigen, die auf die psychische bzw. soziale Betreuung ihres Angehörigen fokussieren und das diesbezügliche Wohlbefinden stark gewichten. Die Beziehung wird durch einen offenen Umgang und Fürsorglichkeit geprägt, was sich durch die Förderung familiärer Kontakte ausdrückt. Angehörige dieses Typs verhindern möglichst die soziale Isolation des Pflegebedürftigen und stellen soziale Kontakte zu Familienangehörigen, Freunden und Bekannten her. Hierzu werden Spaziergänge und Ausflüge genutzt um durch Gespräche und gemeinsame Erlebnisse ein möglichst normales Leben und Erleben aufrecht zu erhalten (Daneke 2000:154 - 155).

Wie eingangs erwähnt stellen dabei Angehörige selten eine eindeutige oder gar homogene Gruppe dar. Die Grenzen sind eher fließend (Daneke (2000). Vielmehr tendieren pflegende Angehörige zeitlich variabel einmal eher, vor allem zu Beginn der Pflegebedürftigkeit, zu distanzierendem Verhalten, im späteren Verlauf eher zu einem psycho-sozial-stabilisierenden Verhalten. Abhängig sei dies laut Daneke (2000:152) untere anderem von der aktuellen Lebensphase, der Tagesform und momentaner Befindlichkeit des pflegenden Angehörigen. Dem entspricht auch Horn (2009:19), die Pflege als einen dynamischen Prozess versteht und den pflegenden Angehörigen in diesem Kontext nicht in einer fixierten typischen Rolle sieht. Unter Rückbezug auf andere Pflegeexperten fasst Horn (2009:19) zusammen, dass jede Pflegegeschichte ihren individuellen Beginn, eine eigene und einzigartige Entwicklung (Prozess) und letztlich eigene Lösung habe.

4 Belastungen pflegender Angehöriger

Wenn es um die Belastung pflegender Angehöriger geht, so ist zunächst festzustellen, dass die Begriffe ÄBelastung“ und ÄBeanspruchung“ in der Literatur zum Teil uneinheitlich verwendet werden (Richter & Hacker 1998 zit. in Lützenkirchen et al. 2014:29), zum Teil auch synonym. Lützenkirchen et al. (2014:29) verweisen dabei darauf, dass auch Äin der englischsprachigen Literatur […] verschiedene Begriffe, wie z. B. burden, strain oder stress“ verwendet werden. Generell gilt, dass pflegende Angehörige sehr unterschiedlichen Belastungsarten ausgesetzt sind. Sie wirken aus der Pflegesituation auf den pflegenden Angehörigen ein. ÄDie Belastung ist die Gesamtheit aller auf den Menschen [Anm.: dem pflegenden Angehörigen] einwirkenden Faktoren der […] [Pflege] und […] [des Pflegesettings]. Sie ist abhängig von der Höhe und Dauer der einzelnen Belastungsart“ (Martin & Wölk 2008:17). Die Belastung ist folglich eine Funktion aus den einzelnen Teilbelastungen, deren Belastungshöhen und ihrer Belastungsdauer.

Demzufolge kann für die Belastung folgende Formel angegeben werden:

Belastung = f (Teilbelastungen, Belastungshöhe, Belastungsdauer)

Die auf den pflegenden Angehörigen einwirkende Belastung führt zu einer Reaktion. Diese kann beispielsweise psychischer, somatischer oder emotionaler Natur sein. ÄDiese Antwortreaktion ist die Beanspruchung […]. Die Beanspruchung ist neben der Höhe und Dauer der Belastung zusätzlich von den individuellen Eigenschaften“ (Martin & Wölk 2008:17) des pflegenden Angehörigen abhängig.

Für die Beanspruchung lässt sich demzufolge in Abhängigkeit von der Belastung folgende Formel angeben:

Beanspruchung = f (Belastung, individuellen Eigenschaften)

Die individuellen Eigenschaften stellen also subjektive, in der Person der pflegenden Angehörigen liegende individuelle Einflussgrößen dar, die sich als Moderatorvariable auf das Geschehen auswirken. Dieser Zusammenhang wird in der Abbildung 3 nochmals veranschaulicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Grundmodell zum Zusammenhang zwischen Belastung,

Beanspruchung und individueller Einflussgröße

(Eigene Darstellung in Anlehnung an Roßbach et al. 2007:3)

Aufgrund der Schwierigkeit stets zwischen Belastung und Beanspruchung zu trennen wird hier der Begriff ÄBelastung“ unabhängig von der tatsächlichen Funktion verwendet.

4.1 Physische Belastungen

Pflegende Angehörige werden nach Seidl (2007:48) durch die Notwendigkeit der andauernden Präsenz und der durch die Anforderungen der Pflege entstehenden körperlichen Anstrengungen stark physisch belastet. Überdies kommt aus Zeitmangel erschwerend dazu, dass notwendige Regenerationsmöglichkeiten nicht wahrgenommen werden, was sich wiederum auf die körperliche Gesundheit nachteilig auswirkt (Seidl 2007:49). Seidl (2007:49) stellt dabei fest, dass ältere pflegende Angehörige eher an altersbedingten Erkrankungen wie Osteoporose, Arthrose und Diabetes mellitus leiden, ihre eigenen Arztbesuche reduzieren und hierdurch weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen erfahren.

Da Pflege auch häufig schwere körperliche Arbeit bedeutet, geben in Befragungen etwa 80% der Pflegenden an, dass sich durch ihre Tätigkeit ihre körperliche Verfassung verschlechtert habe (BAGSO 2012:15). Dementsprechend identifizierte Gräßel (1998 zit. in DEGAM 2005.8) 50% mehr physische Beschwerden bei pflegenden Angehörigen im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt. So treten, erhoben durch den Gießener Beschwerdebogen im Vergleich zur nicht pflegenden Bevölkerung eine signifikant erhöht ausgeprägte Erschöpfung, Gräßel (1998 zit. in DEGAM 2005.8) spricht von 74% der Fälle, von Gliederschmerzen (75%) sowie von Herz- (64%) und Magenbeschwerden (60%) auf. Die DEGAM-Leitlinie ÄPflegende Angehörige“ gibt mit Bezug auf mehrere Autoren (Fischer 1995; Lichte, Beyer & Fischer 1998 und Kiecolt-Glaser 1999) für eine längere Pflegebelastung ein häufigeres Auftreten von Gelenkbeschwerden und Sturzfolgeerkrankungen an, die aller Wahrscheinlichkeit durch die häusliche Pflege ausgelöst wurde, sowie negative Einflüsse auf das kardiovaskuläre, endokrine und immunologische System (DEGAM 2005:8). Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch Perrig-Chiello (2012:152), die beispielsweise degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates der pflegenden Angehörigen auf körperlich anstrengende Tätigkeiten wie das Heben, Tragen und Umsetzen des Pflegebedürftigen zurückführt. Lützenkirchen et al. (2014:58) bekam den körperlichen Belastungsfaktor ÄRückenbelastung“ innerhalb ihrer Studie als schwerste und häufigste physische Belastung rückgemeldet. ÄEin Interviewpartner gab an, als Folge der Pflegeleistung Schmerzen in ganzen Körper zu haben“ (Lützenkirchen et al. 2014:58).

4.2 Psychische Belastungen

Eine Quelle psychischer Belastungen der pflegenden Angehörigen stellen die Erkrankungen des Pflegebedürftigen bzw. das sich daraus herleitende Erleben und Verhalten dessen beispielsweise als Depressionen, psychomotorische Erkrankungen, Trauer, Verlust oder Schuldgefühle dar (Brunner 2013:26). Oyebode (2003:45-53; Box 4) listet dabei unter anderem folgendes störendes und / oder beunruhigendes Verhalten (Factors that correlate with increased stress or poorer well-being in carers) auf:

- Rückzug des zu Pflegenden

(Withdrawal in the care-recipient)

- Veränderung der Rollen und Rollenkonflikte

(Having conflicting roles and responsibilities)

- Keine Unterstützung vom Partner

(Having no support from a partner)

- Keine Unterstützung vom sozialen Umfeld

(Having no social support)

- Beschränkte Auswahl der Bewältigungsstrategien

(Having a narrow range of coping strategies)

- Keine aktive Nutzung der Bewältigungsstrategien

(Not using active, problem-solving coping strategies)

- Die vorhandene Beziehung als schlecht zu bewerten

(Rating the current relationship as poor)

- Keine positive Rückmeldung vom zu Pflegenden zu bekommen

(Reporting no satisfactions from caring)

(Oyebode 2003:45-53; Box 4)

Für die psychischen Belastungen pflegender Angehöriger finden sich in der Literatur zwei Ursachen: Zum einen übertragen sich die psychischen Probleme der Pflegebedürftigen als Belastungen auf den Angehörigen, zum anderen sind körperliche Gesundheit und psychische Befindlichkeit Äzwar unterschiedliche Entitäten, […] stehen aber in engem Zusammenhang und beeinflussen sich gegenseitig“ (Perrig-Chiello 2012:152). Innerhalb der DEGAM-Leitlinie werden neben Depressionen mit Traurigkeit, Pessimismus und Reizbarkeit auch Entschlussunfähigkeit, vor allem bei den Partnern, weniger bei filialen pflegenden Angehörigen als Auswirkung und rückbezüglich auch als belastender Faktor genannt (DEGAM 2005:8 unter Bezug auf Adler et al. 1996, Eccles et al. 1998 und Kiecolt- Glaser 1999). Dabei ist feststellbar, dass sich auch nach Heimaufnahme des Pflegebedürftigen oder dessen Tod psychische Probleme wie Depressionen nicht wesentlich bzw. unmittelbar bessern. Ursache hierfür könnten Versagensgedanken der Pflegenden sein (Eccles et al. zit. in DEGAM 2005:8). Nach Monaten erst beobachtete Schulz (2003 zit. in DEGAM 2005:8) eine deutliche Entlastung der depressiven Situation, vor allem dann, wenn der Pflegebedürftige verstorben war. Dies lässt eine Korrelation zur Nähe des pflegenden Angehörigen zur pflegebedürftigen Person vermuten. Unklar bleibt dabei ob es hauptsächlich die räumliche oder emotionale Nähe ist, die Hauptverursacherin ist. Lützenkirchen et al. (2014:59) kommen zu dem Ergebnis im Rahmen ihrer Studie, dass Ä[][s]ieben Mal und damit am häufigsten […] die ständige Präsenz und Verfügbarkeit für den Gepflegten als psychisch am belastendsten angeführt [wird]. An zweiter Stelle werden verschiedene Frustrationen mit sechs Nennungen angegeben wie z. B. das Akzeptieren des sich immer weiter verschlechternden Zustandes des Gepflegten und das Akzeptieren der begrenzten eigenen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten.“ Es deutet sich hier also ein verminderter bzw. externalisierter Locus of Control in Zusammenhang mit einer niedrigen Handhabbarkeit (Sense of Manageability) als ein Faktor für psychische Belastung an.

Insgesamt nennen Lützenkirchen et al. (2014:59) folgenden psychischen Belastungsfaktoren:

- ständige Präsenz und Verfügbarkeit
- Frustrationen
- Erschöpfung
- Ein- und Durchschlafstörungen
- ständiges Pflichtgefühl
- Undankbarkeit und Aggressivität des Pflegebedürftigen
- eigene Unsicherheit im Umgang mit dem Pflegebedürftigen in Verbindung mit
- Angst, etwas falsch zu machen
- Planungsbedürftigkeit der eigenen Lebensführung (Verlust der eigenen
Spontaneität)
- zusätzliche Beanspruchung durch die eigene berufliche Tätigkeit
- ständiges ÄGedankenkreisen“ um den Gepflegten
- permanente Anspannung, Sorgen
- Warten auf den Tod des Gepflegten

(Lützenkirchen et al. 2014:59)

4.3 Emotionale Belastungen

In starkem Zusammenhang zu den psychischen Belastungen stehen die emotionalen Belastungen der pflegenden Angehörigen. So geben bis zu 37% der pflegenden Angehörigen eine emotionale Belastung durch die Pflege an (DEGAM 2005:9). ÄMit steigender Pflegedauer nimmt die emotionale Erschöpfung zu, ebenso die Ohnmacht, nicht mehr helfen zu können, Schuld und Versagensgefühle sowie Enttäuschung über eigene Grenzen und Undankbarkeit des Kranken“ (DEGAM 2005:9 unter Bezug auf Grond 1994 und Halsig 1994). Die starken emotionalen Belastungen basieren neben Verlustängsten vor allem auf emotionalem Stress, der entsteht, wenn pflegende Angehörige - wie jeder andere Mensch - innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen, was die Pflegebeziehung auszeichnet, permanent Äauf Kosten der eigenen Gefühle auf das Befinden anderer [Anm.: der Pflegebedürftigen] eingehen muss. Interaktionsstress kann so auf Dauer das seelische und körperliche Wohlbefinden beeinträchtigen mit entsprechenden negativen Folgen für die Leistungsfähigkeit, […] [Zufriedenheit] und Gesundheit. Dabei enden emotionale Belastungen in der Regel nicht mit […] [der momentanen Beendigung der Pflegetätigkeit]: Sie beeinträchtigen in verstärktem Maße […] [das gesamte] Privatleben und damit […] [die] Erholungszeit“ (psyGA 2014:1). Es entsteht aufgrund dieser emotionalen Belastungen in Zusammenhang mit nachlassender Freude auch die Gefahr Abneigung gegenüber dem Pflegebedürftigen zu entwickeln. Diese Abneigung kann sich bei einer Externalisierung zu Gewalt gegenüber dem Gepflegten entwickeln, bei einer Internalisierung, verbunden mit etwaigen Schuldgefühlen, kann es zu Burn-out-Zuständen beim pflegenden Angehörigen kommen (psyGA 2014:1).

4.4 Soziale Belastungen

Perrig-Chiello (2012:170) verortet innerhalb der SwissAgeCare-Studie 2010 soziale Belastungen in den Bereich der sekundären Stressoren. Beispielhaft nennt sie ein Zitat (B. A., Tochter) aus dieser Untersuchung: ÄSo gross [sic!] ist mein Freundeskreis natürlich nicht mehr. Ich muss mir diese Zeit richtig abstehlen. Weil irgendwann laden die mich nämlich nicht mehr ein“ (Perrig-Chiello 2012:170). Seidl (2007:47) nennt die Hilflosigkeit des Pflegebedürftigen als einen entscheidenden Faktor dafür, dass, je nach Ausprägung es zu einer Steigerung der Beaufsichtigung durch den pflegenden Angehörigen kommt bzw. zum Teil kommen muss. In schweren Fällen kann daraus eine 24-Stunden-Betreuung erwachsen, wodurch der Angehörige an den Gepflegten Ägebunden“ wird. Durch das ÄAngebunden sein“ (Pasch 2010:25) entkommen sie nicht mehr dem häuslichen Umfeld, wobei die mentale Bindung das Stecken von Grenzen und das Zeitnehmen für sich selbst erschwert (Holuscha 1992:79). ÄBesonders bei dementen oder verwirrten Menschen ist es erforderlich, dass den ganzen Tag über jemand anwesend ist und den Gepflegten Äim Auge behält“. Diese permanente Anwesenheit wird zur Belastung. Auch wenn der pflegende Angehörige sich bewusst Zeit und Abstand zu nehmen versucht, ist es für sie/ihn schwierig, von der Pflegesituation abzuschalten“ sieht Huber (2009:24) die Lage und bestätigt damit Aussagen der DEGAM-Leitlinie Nr. 6, die unter Bezug Adler et al. (1996), Fischer (1995) sowie Klingenberg (1999) darauf hinweist, dass die Einschränkung der Freizeitaktivitäten und soziale Isolation häufige Folgen der Pflegeverpflichtungen sind (DEGAM 2005:9). Dabei konstatiert Adler et al. (1996 zit. in DEGAM 2005:9) einen Zusammenhang zur der Stärke der emotionalen Bindung: ÄJe enger die emotionale Bindung ist, desto größere soziale Einschränkungen können auch durch hohe Ansprüche der Pflegebedürftigen hervorgerufen werden.“ Lützenkirchen et al. (2014:60) stellt fest, dass von den Betroffenen in sozialer Hinsicht häufig der Wegfall der eigenen Unabhängigkeit als Belastung erlebt wird. Pflegende Angehörige spüren dies beispielsweise als Belastungserleben in mangelnder Flexibilität und Spontaneität in den Gestaltungs- möglichkeiten des eigenen Alltags. Bedauert wird, dass Hobbies, Freunde und Bekannte hinten angestellt werden müssen und allgemein ein Einschnitt in die eigene Privatsphäre erlebt wird. ÄDie soziale Belastung liegt darin, dass ich eigentlich ein spontaner Mensch bin und auch gerne mit Freunden was unternommen habe“ gibt Lützenkirchen et al. (2014:61) als ein Interviewbeispiel wider.

4.5 Temporäre Belastungen

Die temporären Belastungen, denen pflegende Angehörige ausgesetzt sind, inkludieren zwei Dimensionen: Einerseits wenden Sie viel Zeit für die Pflege und Betreuung der Pflegebedürftigen auf, was zu einer zeitlichen Belastung führt, da, andererseits zu wenig Zeit für eigene Bedürfnisse und Interessen übrig bleiben. ÄDurch Pflege kommt es zu weniger Freizeit und zu weniger Kontakt zu Freunden und Bekannten; bei einem Drittel fehlt es sogar an Zeit für den eigenen Haushalt. Die Pflege strukturiert den Tag sehr stark“ (DEGAM 2005:9-10 unter Bezug auf Bösch et al. 1998, Halsig 1994, Keseberg 1999 und Lichte 2000). Mit zunehmender Pflegekarriere und der progredienten Verschlechterung des Zustandes und der Pflegebedürftigkeit des Gepflegten sehen Schulz et al. (2003 zit. in DEGAM 2005:10) im ÄEndstadium einer Pflegesituation“ pflegende Angehörige Äfast ‚rund um die Uhr‘ in die Pflege eingebunden […] [was mit] entsprechenden sozialen und psychischen Belastungen“ einhergeht.

4.6 Finanzielle Belastungen

Für pflegende Angehörige kann allein bereits das Beantragen von Förderungen und Unterstützung wie beispielsweise Pflegegeld nach § 37 SGB XI (Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen) oder nach § 64 SGB XII (Pflegegeld) als große Belastung empfunden werden. Pasch (2010:27) sieht in der Einstufung bereits häufig ein ÄGoodwill“ des Arztes und bedauert, dass das Pflegegeld bereits Äso knapp bemessen [ist], dass es für die Aufwendungen gerade ausreicht […].“ Nach einer erfolgten positiven Verbescheidung entlastet zwar das Pflegegeld die Angehörigen finanziell, allerdings führen Beantragung, lange Bearbeitungszeiten und organisatorische Hürden zu Belastungen (Brunner 2013:27). Schuß (2000:150) sieht im Wegfall eines Gehaltes oder der fehlenden Finanzkraft des Pflegebedürftigen die Hauptursache für die ökonomischen Belastungen des pflegenden Angehörigen. Finanzielle Aufwendungen sind vielfältig: So schlagen zahlreiche Kleinigkeiten wie Nahrung, spezielle Pflegemittel (Seifen, Lotionen etc.) oder auch einfach zusätzliche Putz- und Reinigungsmittel zu Buche und verschlechtern schnell die finanzielle Situation, da staatliche Unterstützungsleistungen meist diese Kosten nicht vollständig decken (Holuscha 1992:76-77). ÄDurch dieses Minus in der Geldbörse müssen für die Pflegetätigkeiten Abstriche gemacht werden, wobei es zu einer Verschlechterung der Pflegequalität kommt“ (Brunner 2013:28).

Ein weiterer und, sofern es dazu kommen muss, weitaus größerer finanzieller Aspekt ist die Anpassung der Wohnräume. Oft erfolgt eine Wohnraumanpassung aufgrund des Mangels an Geldmitteln überhaupt nicht oder bestenfalls notdürftig. Sofern Veränderungen stattfinden, handelt es sich meist um kleinere Maßnahmen im Zimmer des Pflegebedürftigen oder es erfolgt einfach nur eine Umstellung der Möbel (Seidl 2007:52-53). Ein weiterer Aspekt ist, dass viele pflegende Angehörige ihre Berufstätigkeit, sofern zuvor überhaupt vorhanden, aufgeben oder zeitlich und in der Folge auch monetär einschränken. Brunner (2013:33) stellt hierzu unter Bezugnahme auf mehrere Autoren fest, dass es dazu unterschiedliche Studienergebnisse gäbe: ÄZwischen 16 und 59% reduzieren ihre Arbeitszeit im Angestelltenverhältnis und ca. 5% geben die Berufstätigkeit [auf]. Dies hat finanzielle Einbußen zur Folge.“ Grund hierfür ist, dass Pflege und Betreuung durchaus zu einem 24-Stunden-Job für den pflegenden Angehörigen werden kann. ÄDaher muss die Berufstätigkeit des Pflegenden zusätzlich bewältigt oder in Folge der hohen zeitlichen Anforderungen durch die Pflege eingeschränkt oder vollständig aufgegeben werden. Neben einer dauerhaften Überbelastung führt dies häufig zu finanziellen Schwierigkeiten“ (Lützenkirchen et al. 2014:125). Problematisch sieht dabei Lützenkirchen et al. (2014:125) auch die zukünftige finanzielle Situation des pflegenden Angehörigen. Durch Verzicht auf die eigene Berufstätigkeit führt dies nämlich zu geringeren Zahlungen an den Rentenversicherungsträger und damit im eigenen Alter, welches durchaus ebenso von Pflegebedürftigkeit geprägt sein kann, zu niedrigeren Leistungen dieser Sozialversicherung (Lützenkirchen et al. 2014:125).

Bei der Zusammenschau der einzelnen Belastungen können diese nicht addiert werden. Vielmehr bedingen sie sich gegenseitig und determinieren untereinander durchaus ihre eigene Verstärkung, was sich in einer Verschlechterung der Lage des pflegenden Angehörigen durch mehrere Belastungen und deren Zusammenspiel auswirkt. Das Ganze ist in diesem Fall eben tatsächlich mehr als die Summe der Einzelteile. Um hier den pflegenden Angehörigen Hilfe angedeihen zu lassen ist ein holistischer Blick unter Beachtung der gegenseitigen Wechselwirkungen und Verstärkungen der Einzelbelastungen notwendig. Seitens der Pflegekräfte beispielsweise eines ambulanten Pflegedienstes muss dies in Erwägung gezogen werden, seitens der Sozialen Arbeit muss ein systemischer Blick auf die Komplexität des Gesamtsystems gerichtet sein!

5 Ressourcen pflegender Angehöriger

Waren in der Vergangenheit eher die Beanspruchungen und Belastungen im Fokus der empirischen Forschung, so treten zunehmend auch die Ressourcen und der persönliche Umgang des pflegenden Angehörigen mit der aktuellen Pflegesituation in das Interesse der Wissenschaft (Perrig-Chiello 2012:176). Erste Übersichtsarbeiten finden sich hierzu beispielsweise bei Pinquart & Sörensen (2003) sowie bei Carretero et al. (2009). In wie weit Ressourcen zur Bewältigung der Belastungen eingesetzt werden ist unabhängig von der Schwere der Pflegebedürftigkeit des Angehörigen oder der Schwelle der Belastbarkeit des pflegenden Angehörigen individuell Ävon Person zu Person unterschiedlich und von verschiedenen Komponenten“ (Perrig- Chiello 2012:176) abhängig. ÄIn der psychologischen Forschung ist man sich darüber einig, dass ähnliche Stressoren, wie sie in vergleichbaren Pflegesituationen denkbar sind, zu unterschiedlichem Stresserleben führen“ (Perrig-Chiello 2012:176). Während in der allgemeinen Stressforschung eher Modelle wie das Transaktionale Stressmodell nach Prof. Richard S. Lazarus (1979, 1999 sowie Lazarus & Launier 1981) oder das Modell der Salutogenese nach Aaron Antonovski (1979, 1983, 1987) sowie Formen des Copings anhand der Stressampel nach Gerd Kaluza (2005) beschrieben werden, stellen Pearlin et al. (1990) ein Prozessmodell der Pflege- belastung vor, welches innerhalb der Überlegungen zum Pflegesetting entstand und sich speziell auf diesen Kontext bezieht.

Dabei ist der Ausprägungsgrad der Pflegebelastung eine Funktion eines komplexen Zusammenspiels aus Kontextfaktoren, primären und sekundären Stressoren sowie Ressourcen, die individuell und pflegesettingspezifisch unterschiedlich ausfallen und somit auch unterschiedliche Auswirkungen auf Erleben und Verhalten, wie auch Gesundheit des pflegenden Angehörigen nach sich ziehen (Pearlin et al. 1981, 1990). Pearlin (1990) sieht dieses Zusammenspiel dabei nicht als stabil an sondern vom Pflegeverlauf abhängig. Pflegestress und damit das individuelle Belastungs- erleben des pflegenden Angehörigen wird neben den genannten Komponenten von intervenierenden Variablen determiniert, zu denen persönliche Bewältigungs- strategien (Copings) und erhaltenen oder zumindest wahrgenommenen soziale Support zählen. Die genannten Komponenten des Modells sind voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig. Die folgende Abbildung stellt diesen Relationsprozess gegenseitiger Einflussnahme graphisch dar (Pearlin 1990).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Prozessmodell der Pflegebelastung

(Eigene Darstellung in Anlehnung an Pearlin et al. 1990)

Eine aktuelle Studie zur Bedeutung der Ressourcen für pflegende Angehörige führte Claudia Mischke (2012) im Rahmen ihrer Dissertation durch. Innerhalb einer strukturierten qualitativen Inhaltanalyse nach Mayring Ressourcen und stellte diese dar in:

- Objektressourcen
- Lebensbedingungen und -umstände als Ressourcen
- Personale Ressourcen
- Energieressourcen

(2003) identifizierte sie

(Mischke 2012)

Während Lützenkirchen et al. (2014:78) davon ausgehen, dass dem Pol Stress der Pol Ressourcen gegenüber liegt und ÄStressoren […] durch Entdeckung, Wahrnehmung, Stärkung und Erweiterung von Ressourcen entgegengewirkt werden“ (Lützenkirchen et al. 2014:78) kann, vertritt Mischke (2012:73) eine holistischere Auffassung. Mischke (2012:73) stellte dabei fest, dass viele gefunden Ressourcen sowohl als Stressor, als auch als Unterstützung fungieren, denn Äihr Fehlen bzw. das Gefühl von Bedrohung oder der Verlust einzelner Ressourcen wird von pflegenden Angehörigen teilweise als belastendes Erlebnis thematisiert.“ Als Beispiel wird die Unterstützung durch Familienmitglieder genannt: Die tätige Unterstützung beschreiben viele Probanden der Studie als Ressource, während andererseits der ÄRückzug oder die Ignoranz anderer Familienmitglieder als Verlust erlebt“ (Mischke 2012:73) wird. Sie fasst daher zusammen, dass Gewinn und Verlust sich nicht unbe- dingt gegeneinander ausschließen. Trotzdem darf die Auffassung Lützenkirchens et al. (2014:78) durchaus beigepflichtet werden, dass durch die ÄFokussierung vorhandener und noch aktivierbarer Ressourcen mithilfe Sozialer Arbeit […] das Stressniveau pflegender Angehöriger gesenkt werden [kann].“ Eine Zuordnung von Ressourcen zu möglichen Stressoren stellt eben maximal eine eindeutige Relation, nicht aber eine eineindeutige Funktion dar. So sieht Lützenkirchen et al. (2014:78) es als Bestandteil der Sozialen Arbeit an, dass die Entwicklung und Erhaltung psychischer und sozialer Ressourcen und somit die Ressourcenaktivierung eine zentrale Rolle im Handeln der Sozialen Arbeit für pflegende Angehörige darstellt. Aufgabe der Sozialen Arbeit ist hier die ÄErweiterung der Handlungsspielräume als Zielgröße von Unterstützungsprozessen“ (Lützenkirchen et al. 2014:78).

5.1 Objektressourcen

Ressourcen die eine materielle Präsenz darstellen und sich dadurch unter anderem auf den Lebensstandard und indirekt hierdurch wiederum auf das Selbstwertgefühl auswirken, summiert Mischke (2012:74) unter dem Begriff der Objektressourcen. Die Pflege und Betreuung eines pflegebedürftigen Menschen durch dessen Angehörigen prägt im Laufe der Pflegezeit zunehmend den Alltag des pflegenden Angehörigen und drängt somit verschiedene Lebensaspekte in den Hintergrund. Ressourcen wie beispielsweise passende, angemessene und / oder mehr Kleidung als benötigt, notwendige, nützliche Haushaltsgeräte, angemessene Ernährung und die Möglichkeit Kindern die notwendigsten Dinge zur Verfügung zu stellen scheinen für pflegende Angehörige in ihrer aktuellen Lebenssituation ebenso keine oder eine lediglich nachgeordnete Bedeutung zu haben, wie Extras für Kinder, Geld für persönliche Extras, angemessener Finanz-Kredit, finanzielle Vermögenswerte oder auch das Selbstwertgefühl als materielle Ressource (Mischke 2012:74). Mischke (2012:74) gibt an, dass sie zumindest in den Interviews ihrer Studie hierzu keine Hinweise gefunden zu haben. ÄDagegen scheinen insbesondere die nachstehenden Ressourcen in der Kategorie der Objektressourcen für pflegende Angehörige wichtig“ (Mischke 2012:74).

Bedeutsame Aspekte der Objektressourcen sind demnach:

- Wohnsituation
- Notwendige Grundlagen (Hilfsmittel, Gegenstände, Materialien) für die Pflege
- Transportmöglichkeiten und -mittel
- Finanzielle Stabilität und abgesicherte eigene Zukunft
- Getroffene Vorkehrungen

(Mischke 2012:75 - 78)

5.1.1 Wohnsituation

Die Wohnsituation stellt eine facettenreiche Objektressource dar. Pflegende Angehörige sehen sowohl im Wohnen im gleichen Haushalt wie auch in getrennten Haushalten einen Vorteil (Mischke 2012:75). ÄEinigen pflegenden Angehörigen ist beispielsweise die Möglichkeit des Rückzugs in einen eigenen Bereich wichtig, um etwas Ruhe und Abstand zu finden oder auch […], weil sie diese Nähe nicht gewohnt sind“ (Mischke 2012:75).

5.1.2 Notwendige Grundlagen für die Pflege

Als Ressource sieht Mischke (2012:76) es an, dass dem pflegenden Angehörigen notwendige Grundlagen für die Durchführung der Pflege zur Verfügung stehen. Hierzu zählen Hilfsmittel und Medizinprodukte wie Pflegebett, Badewannenlifter, Wechseldruckmatratzen zur Dekubitus-Prophylaxe, Aufstehhilfen und andere mehr. Beispielhaft benennt Mischke (2012:76) eine Aussage aus einem Interview (I-15:14) ihrer Studie, in dem der pflegende Angehörige angibt, dass es ÄGold wert“ sei, einen Lifter zu haben, sonst Äwäre es ja gar nicht mehr möglich, sie [Anm.: Gemeint ist die Pflegebedürftige] aus dem Bett zu holen.“

5.1.3 Transportmöglichkeiten und -mittel

Transportmöglichkeiten und Transportmittel sind häufig erst mit größerem finanziellem Aufwand zu beschaffen oder zu unterhalten. ÄGrößere materielle Ressourcen, wie beispielsweise ein Aufzug oder ein behindertengerechtes Auto, gehören in der familiären Pflege nicht zur Normalität“, konstatiert Mischke (2012:76). Oft ist hierzu ein erheblicher Finanzeinsatz notwendig. Andererseits wären diese Ressourcen wünschenswert, da sie insbesondere eine Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen und somit für den pflegenden Angehörigen, wie auch für den Pflegebedürftigen von Bedeutung sind.

5.1.4 Finanzielle Stabilität und abgesicherte eigene Zukunft

Je nachdem, wie prospektiv pflegende Angehörige ihre eigene finanzielle Situation für die Zukunft einschätzen spielt diese eine Rolle als Ressource oder wirkt sich, bei negativer Bewertung als Belastung aus. So sieht Mischke (2012:76) eine positive Einschätzung als entlastend und somit als Ressource an. Innerhalb ihrer Studie verweist sie dabei auf eine Aussage im Interview I-20:172 und zitiert den Probanden damit, dass es ihm nicht schlecht gehe, er habe keine Existenzängste aufgrund eines gesicherten Lebens und eigenem Wohneigentum. ÄEine pessimistische Einordnung begünstigt das Erleben von Belastungen. Entsprechend führen vor allem Berufsaufgabe, Arbeitslosigkeit, Kündigung und fehlende Rentenabsicherung zu einer negativen Bewertung und einem Gefühl von Bedrohung und Verlust“ (Mischke 2012:77). Allerdings relativiert sie ihre Einschätzung dahingehend, dass bei pflegenden Angehörigen diese Wirkung abgemildert wird, wenn ÄGeld und Status im Leben […] eine untergeordnete und im Vergleich zu anderen Dingen unwichtige Rolle spielen […], vor allem dann, wenn eine Grundsicherung gegeben ist“ (Mischke 2012:77).

5.1.5 Getroffene Vorkehrungen

Erleichternd wirken sich zudem getroffene Vorkehrung des Pflegebedürftigen auf die Ressourceneinschätzung des pflegenden Angehörigen aus. Hierzu sind Testament, Patienten- und Betreuungsvollmacht und dergleichen zu rechnen. Diese können den Alltag des pflegenden Angehörigen maßgeblich erleichtern, da einerseits keine Auseinandersetzung und notwendige Energie zur Regelung derartiger Fragen in den Focus rücken, andererseits weil Ädie Pflegebedürftigen wichtige Entscheidungen im Vorfeld getroffen hat, die der pflegenden Angehörigen die Bewältigung der Situation erleichtern können“ (Mischke 2012:78).

5.2 Lebensbedingungen und -umstände als Ressourcen

Unter der Kategorie der Lebensbedingungen und Lebensumstände summiert Mischke (2012:79-90) nicht-materielle Ressourcen unterschiedlicher Genese. Diese Ressourcen Äkönnen sowohl erarbeitet sein (z. B. die berufliche Stellung oder eine gute Partnerschaft), genetisch beeinflusst sein (z. B. die Gesundheit und/oder sie können einem ‚in die Wiege gelegt werden‘ (z. B. die Abstammung und der soziale Status)“ (Mischke 2012:79). Beachtenswert bei dieser Art der Ressourcen sei, dass sie zum Einen Äressourcenprotektiv und -fördernd wirken“ und darüber hinaus den pflegenden Angehörigen als Empowerment dienen können und ihn über die Öffnung des Zugangs zu anderen Ressourcen einen Zugewinn generieren.

Die Lebensbedingungen und -umstände als Ressourcen inkludieren nach Mischke (2012:80-90) folgende Teilaspekte:

- Familienstabilität
- Soziale Beziehungen und Begleitung
- Vertrautheit und Loyalität mit Freunden
- Unterstützung und Hilfe durch das soziale Netz
- Unterstützung durch Sozialversicherungsträger
- Unterstützung durch kompetente Ärzte und Gesundheitsberufe
- Persönliche Gesundheit
- Berufliche Situation

5.2.1 Familienstabilität

In der Stabilität der Familie ist ein starker Protektivfaktor und Motivator für pflegende Angehörige zu sehen. So können Erinnerungen an positive Gemeinsamkeiten und vergangenen Ereignissen Ädas Belastungserleben in der Pflegesituation reduzieren“ (Mischke 2012:80). Vorrangig ist hier die Ehe oder eheähnliche Partnerschaft zu sehen. So zitiert Mischke (2012:80) das Interview I-06:13 damit, dass die pflegende Angehörige angibt, auf eine sehr gute Ehe und Partnerschaft zum Pflegebedürftigen zurückblicken zu können und daher Äein sehr tolles Leben“ gehabt zu haben. Die Familienstabilität beinhaltet darüber hinaus ÄRückhalt, Verständnis und Unter- stützung“ auch anderer Familienangehöriger und stellen eine Ressource mit Äerheblichen immateriellen Wert“ dar (Mischke 2012:80). Dies gilt auch in dem Maße, als dass andere Familienangehörigen zum Teil in die Funktion eines Ähartnäckigen Gesundheitswächters“ für den Pflegebedürftigen, wie auch für den pflegenden Angehörigen eintreten, was aber von den pflegenden Angehörigen geschätzt werde. Es vermindere nämlich permanent vorhandene Schuldgefühle gegenüber der pflegebedürftigen Person und veranlassten die Pflegenden beispielsweise zur ÄWahrnehmung von [eigenen] gesundheitsbezogenen Terminen, wie Arztterminen, Massagen, Krankengymnastik oder Ausgleichssport“, die erst durch die ÄBeharrlichkeit und die Unterstützung von engen Familienangehörigen“ realisiert würden (Mischke 2012:80-81) Dass eine intakte Familienstabilität als starke Ressource einzuschätzen ist, kann am Gegenteil festgemacht werden. So beschreibt Perrig-Chiello (2012:200-201) die Situation, wenn filiale Hilfe dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Kind die Mutter oder den Vater aktiv pflegt, das andere Kind sich durch finanzielle ÄUnterstützung“ aus der Verantwortung stiehlt. ÄIn solchen Konstellationen ‚kaufen‘ sich die nicht beteiligten Geschwister oft von der Verantwortung gegenüber den Eltern ‚frei‘: Dem pflegenden Geschwisterteil wird Geld für den Lohnausfall überwiesen oder Geld für das Anschaffen von Hilfsmitteln für einen oder beide Elternteile zur Verfügung gestellt“ (Perrig-Chiello 2012:200-201) Interessanter Weise gilt analog weiter oben gesagtes, dass nicht klar ist, ob es sich um Belastung oder Ressource handelt und diese erst durch die Interpretation des pflegenden Angehörigen entsteht. So gibt Perrig-Chiello (2012:200) einen Fall an, indem Y. P. (Tochter) äußert: ÄIch werde auch voll von meinen Geschwistern unterstützt. Sie lassen mir voll freie Hand. Sie sind froh, dass sie wissen, es schaut jemand.“

5.2.2 Soziale Beziehungen und Begleitung

Zwar gibt es laut Perrig-Chiello (2012:191) keinen Konsens darüber, in welcher Art und Weise sich soziale Ressourcen genau auf die Reduzierung der Pflegebelastung oder auch der Steigerung des Wohlbefindens beim pflegenden Angehörigen auswirken, allerdings zeigen beispielsweise die Ergebnisse des Schweizer Gesundheitsberichtes 2008, dass die Erkrankungsgefahr für pflegende Angehörige mit viel und starkem sozialen Support eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweist (Meyer 2009 zit. in Perrig-Chiello 2012:191) ÄDie soziale Unterstützung ist im Kontext der Pflegesituation zentral und kann einer pflegenden Bezugsperson helfen, mit der Belastung umzugehen, oder in Form von Übernahme von Aufgaben oder einem Zuspruch sogar die Belastung vermindern. Familienmitglieder, Freunde oder Nachbarn können wesentlich zu einer besseren Betreuung der Pflegebedürftigen und zu einer Entlastung der pflegenden Angehörigen beitragen“ (Perrig-Chiello 2012:191). Durch den Erhalt von Freundschaften und Bekanntschaften gelingt es außerdem dem pflegenden Angehörigen Äein Stück bisheriger Alltagsnormalität“ (Mischke 2012:81) zu wahren. Da dies nicht immer uneingeschränkt und wie gewohnt möglich ist, da einfache Weggehen, Ausgehen oder irgendwo Treffen meist ohne einen organisatorischen Aufwand unmöglich ist, beschreiten diese zum Teil auch neue Wege und zeigen Kreativität in der Verwirklichung der Befriedigung dieser Bedürfnisse nach sozialen Kontakten. ÄDas Einlassen auf und die Idee für neue Gestaltungsmöglichkeiten dieser Kontakte kann daher ebenso als Ressource betrachtet werden wie das Fortbestehen der Freundschaften“ (Mischke 2012:81) selbst. Mit dem Verweis auf ein im Rahmen ihrer Studie geführtes Interview mit der Aussage: ÄIch habe den [Anmerkung der Verfasserin: Freundeskreis] weiterhin gepflegt. Ich konnte ja nicht mehr so rausgehen, also hab ich die Leute eingeladen, immer mehr eingeladen. ‚Kommt zu mir, ich kann nicht mehr raus, aber kommt zu mir‘ […]“ (I-25:329 in Mischke 2012:81) bekräftigt Mischke (2012) ihre Aussage und erweitert diese gleichermaßen, dass die Aktivierung des sozialen Netzwerkes nicht nur vom pflegenden Angehörigen alleine und dessen Bereitschaft und Engagement abhänge sondern Ävor allem vom sozialen Umfeld, ob dieses sich auf die neue Situation einlassen kann bzw. will“ (Mischke 2012:82). Soziale Beziehungen und Begleitung in Form sozialer Netzwerke sorgen somit als Ressource für Entlastung, für Äwillkommene Abwechslung und Unterhaltung, geben Rückhalt und helfen, das Gefühl der Isolation abzubauen“ (Perrig-Chiello 2012:199).

5.2.3 Vertrautheit und Loyalität mit Freunden

Die Unterkategorie ÄVertrautheit und Loyalität mit Freunden“ als Aspekt der Lebensbedingungen und -umstände als Ressourcen wirkt zunächst das Gleiche zu sein, wie die vorgenannte Unterkategorie ÄSoziale Beziehungen und Begleitung“. Während aber soziale Beziehungen und Begleitung sich primär auf Familienangehörige beziehen und Freunde und Bekannte in ihrer Eigenschaft als Unterhalter und Animatoren für Alltagsgespräche, Small Talk und Zeitvertreib sekundär einbeziehen, meint Mischke (2012) unter der hier dargestellten Vertrautheit und Loyalität mit Freunden eine Ressource dahingehend, dass pflegende Angehörige einen loyalen Menschen haben, dem sie sich anvertrauen können, Ängste und Sorgen aussprechen und teilen können. Der ÄSpaßfaktor“, der natürlich in jeglicher Familienbeziehung und Freundschaft nie zu kurz kommen sollte, gerät hier in den Hintergrund und weicht einer Vertrautheit, die sich eher in Beratung und eigener psychosozialen Unterstützung manifestiert. ÄDas Vorhandensein von einem oder mehreren vertrauten Menschen und/oder Freunden, die zuhören, denen man sich anvertrauen kann und mit denen man seine Gefühle und Ängste teilen kann“ so Mischke (2012:82) wird als Ressource eingeschätzt.

5.2.4 Unterstützung und Hilfe durch das soziale Netz

Unklar bleibt, warum Mischke (2012) eine weitere Kategorie in Bezug auf die Unterstützung und Hilfe durch das soziale Netz bildet. Vielmehr hätte und hat sie diese Ressource bereits eingehend unterschieden, was sich auch in ihren einleitenden Worten widerspiegeln. ÄSoziale Beziehungen bilden als wichtigstes Sicherungs- und Kommunikationsnetz im Alltag bedeutsame Ressourcen, insbesondere dann, wenn Hilfe und Unterstützung benötigt werden, oder einfach das Austauschen bzw. Mitteilen von Gedanken, Erfahrungen und Problemen hilfreich ist“ (Mischke 2012:83). Lediglich der Einbezug ehrenamtlicher Dienste, auf die pflegende Angehörige als Ressource zurückgreifen können um sich beispielsweise persönliche Freiräume zu schaffen, unterscheidet diese Kategorie von den vorgenannten und könnte - je nachdem, wie großzügig der Begriff ÄBekannte“ bzw. ÄSoziales Netzwerk“ definiert wird, auch in die vorgenannten Kategorien eingegliedert werden. Der wissenschaftlichen Korrektheit, vor allem, nachdem sich der empirische Teil dieser Arbeit unter anderem auf das Konzept der Ressourcen nach Mischke (2012) stützt, soll aber durch die Darstellung dieser Subressource Rechnung getragen werden.

5.2.5 Unterstützung durch Sozialversicherungsträger

Im Verlauf einer Pflegekarriere können pflegende Angehörige in vielfältiger Weise mit den Trägern der Sozialversicherung in Berührung kommen. Zwar werden hier pflegende Angehörige untersucht, deren zu pflegende Person dem Pflege- bedürftigkeitsbegriff des § 14 SGB XI entsprechen und somit wahrscheinlich mit Sozialgesetzbüchern, aus den Leistungen beispielsweise zur Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) oder der Gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) nicht ergeben. Trotzdem können sich Schnittstellen zu Sozialversicherungsträger der Gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI), der Gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V), und der Sozialhilfe (SGB XII) sowie gegebenenfalls auch der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) in Bezug auf den Pflegebedürftigen, aber auch zu SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende), SGB III (Arbeitsförderung) oder SGB VI (Gesetzliche Rentenversicherung) in Bezug auf die eigene Person ergeben. Mischke (2012:84) verweist darauf, dass die Äaktive, engagierte Unterstützung einschließlich nützlicher Hinweise durch die verantwortlichen Sozialversicherungsträger […] pflegenden Angehörigen helfen, den Pflegealltag stressfreier zu bewältigen.“ Findet dies als kontinuierlich erlebte Begleitung statt, so wird dies von vielen Angehörigen als Ressource erlebt, die auch ein Gefühl vermittelt, ernst und wichtig genommen zu werden (Mischke 2012:84). Allerdings vermutet Mischke (2012:84), dass pflegende Angehörige diese Erfahrung eher seltener machen und ihnen Seitens der Träger der Sozialversicherung Anerkennung und Respekt für ihre Leistung eher seltener entgegen gebracht wird und das, Äobwohl dies […] motivieren und aufbauen würde.“ Erleben jedoch die pflegenden Angehörigen die Zusammenarbeit mit und zwischen Behörden und Trägern der Sozialversicherung als förderlich und konstruktiv, so wirkt sich dies erleichternd auf Organisation und Bewältigung des Pflegealltags aus. Hier nennt Mischke (2012:84) vor allem den Wegfall unnötiger Wege und Fahrzeiten, das ÄMehrmalsausfüllen“ von Anträgen oder die mehrmalige Zusammenstellung von Unterlagen.

5.2.6 Unterstützung durch kompetente Ärzte und Gesundheitsberufe

Besonders in der ersten Phase der Übernahme einer Pflegetätigkeit empfinden es pflegende Angehörige als Erleichterung durch schnelle und fachkundige Diagnostik ärztlicherseits beziehungsweise Tipps und Unterstützung bei der Bewältigung von Alltagsproblemen des Pflegebedürftigen durch beruflich Pflegende und andere Gesundheitsfachberufe Unterstützung zu erfahren (Mischke 2012:85). ÄNeben einer zielgerichteten medizinischen Therapie ermöglicht die Diagnosestellung der pflegenden Angehörigen die Auseinandersetzung mit den Symptomen und pflegerischen Phänomenen der Erkrankung“ (Mischke 2012:85). Diese Unterstützung wird umso bedeutender angesehen bei Angehörigen, deren Pflegekarriere erst beginnt und die nicht bereits andernorts pflegerische Erfahrungen erwarben, da sie meist zuvor keine konkrete Vorstellung von der Krankheit und den damit verbundenen pflegerischen Problem des Pflegebedürftigen haben. Mischke (2012:85) weist dabei darauf hin, dass gerade dann, wenn der Pflegebedürftige an einer, mit Verhaltensänderungen einhergehenden Erkrankung (z. B. solchen, die zu Demenz führen wie Morbus Alzheimer (DAT), Morbus Pick, Multi-Infarkt-Demenz (MID) u. a.) leidet, frühzeitige Kenntnis der Diagnose, Ursachen und Symptome den Pflegealltag und die Bewältigung des selbigen erleichtern.

Neben ärztlichem Rat sehen es pflegende Angehörige als hilfreich an, Hilfe, Unterstützung und Informationen durch Pflegedienste und Angehörigen anderer Medizinalfachberufe wie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Logopäden zu erhalten. ÄDer Besuch durch die Spitex [Anm.: Gemeint ist die Spitalexterne Hilfe und Pflege in der Schweiz, vergleichbare Aufgaben erfüllen die ambulanten Pflegedienste der Bundesrepublik Deutschland bzw. die extramurale Versorgung in Österreich] ist nicht nur eine Arbeitsentlastung, sondern für viele Angehörige auch eine Möglichkeit zur sozialen Interaktion und eine Abwechslung im Alltag“, resümiert Perrig-Chiello (2012:221) und weist auf die drohende Gefahr hin, dass ansonsten die Gefahr für den pflegenden Angehörigen bestehe, den ÄFokus ganz auf die pflegebedürftige Person und deren Bedürfnisse und Probleme zu richten.“

Als weitere Subressource sieht Mischke (2012) im Aspekt ÄUnterstützung durch kompetente Ärzte und Gesundheitsberufe“ auch die Möglichkeit fachlichen Rat durch Selbsthilfe- und Angehörigengruppen zu erfahren. Auch diese Möglichkeit beinhaltet eine Ressource, die hier herein fällt. Selbsthilfegruppen fungieren als ÄAustauschbörse insbesondere für Erfahrungen und Tipps, beispielsweise für den Umgang mit der Pflegebedürftigen oder zur Erleichterung der Pflege“ (Mischke 2012:85-86). Wichtig ist für viele Angehörige dabei die personelle Kontinuität seitens der verschiedensten Ansprechpartner und Gesundheitsdienst, häufig wechselndes Personal wirkt eher belastend (Mischke 2012:86).

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Ende der Leseprobe aus 157 Seiten

Details

Titel
Situationen pflegender Angehöriger. Eine empirische Studie in der Marktgemeinde Nordhalben
Autoren
Jahr
2015
Seiten
157
Katalognummer
V306450
ISBN (eBook)
9783668043831
ISBN (Buch)
9783668043848
Dateigröße
3179 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pflegende Angehörige, Soziale Arbeit, Studie, Marktgemeinde Nordhalben, Zarit Burden Interview
Arbeit zitieren
Sonja Rattinger (Autor:in)Horst Siegfried Kolb (Autor:in), 2015, Situationen pflegender Angehöriger. Eine empirische Studie in der Marktgemeinde Nordhalben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306450

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