Skandale und Sporttestimonials

Der Einfluss medialer Darstellungsweisen auf die Wahrnehmung und Bewertung von Produkt und Testimonial


Masterarbeit, 2012

119 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG
1.1 ERKENNTNISLEITENDES INTERESSE
1.2 AUFBAU DER ARBEIT

2 TESTIMONIALWERBUNG
2.1 BEGRIFFSBESTIMMUNG UND -ABGRENZUNG
2.2 DERTERMINANTEN DES WERBEERFOLGES MIT TESTIMONIALS
2.2.1 Glaubw ü rdigkeit (Source Credibility Model)
2.2.2 Attraktivität (Source Attractiveness Model)
2.2.3 Symbolische Bedeutung (Meaning-Transfer-Model)
2.2.4 Kongruenz (Match-Up-Hypothese)
2.3 PROBLEME UND RISIKEN

3 SKANDALE UND IHRE MEDIALE VERBREITUNG
3.1 SKANDALE UND DIE ROLLE DER MEDIEN
3.2 DER PROZESS DER SKANDALISIERUNG
3.3 SKANDALE IM SPORT UND SKANDALISIERTE SPORTLER
3.3.1 Zum Skandalisierungspotenzial von Sportlern
3.3.2 Der Sportskandal und die Bedeutung der Sportart
3.4 ÜBERTREIBUNGEN UND DER UMGANG MIT UNGESICHERTEN INFORMATIONEN
3.4.1 Umgang mit Ungewissheit
3.4.2 Absichtliche Ü bertreibungen

4 THEORETISCHE GRUNDLAGEN
4.1 BESONDERHEITEN BEI DER VERARBEITUNG NEGATIVER INFORMATIONEN
4.1.1 Diagnostiziät
4.1.2 Häufigkeit und Erwartungshaltung
4.2 TRANSFERTHEORETISCHE ANSÄTZE
4.2.1 Assoziative Netzwerke und Aktivierungsausbreitung
4.2.2 Konsistenztheoretische Ansätze und das Heider ‘ sche Balance-Modell
4.3 KOMMUNIKATORBASIERTE EFFEKTE
4.3.1 Framing
4.3.1.1 Medien-Frames
4.3.1.2 Framing-Effekte
4.3.2 Glaubw ü rdigkeit der Quelle
4.3.2.1 Bezugsobjekte von Glaubwürdigkeitsattributionen
4.3.2.2 Nutzergenerierte und redaktionelle Inhalte

5 EMPIRISCHER FORSCHUNGSSTAND
5.1 TESTIMONIAL- UND PRODUKTMERKMALE
5.2 VERBINDUNG ZWISCHEN TESTIMONIAL UND PRODUKT
5.3 ART DER NEGATIVEN INFORMATIONEN
5.4 VERMITTLUNG DER NEGATIVEN INFORMATIONEN
5.4.1 Inhaltliche Gestaltung der Nachricht
5.4.2 Art der Nachrichtenquelle
5.5 ZUSAMMENFASSUNG DES EMPIRISCHEN FORSCHUNGSSTANDES

6 HYPOTHESEN

7 METHODIK
7.1 DESIGN
7.2 MATERIAL
7.2.1 Zur Wahl des Testimonials
7.2.2 Zur Wahl des Produkts
7.2.3 Verbindung zwischen Produkt und Testimonial
7.2.4 Negative Informationen ü ber das Testimonial
7.3 ABLAUF
7.4 ERHEBUNGSINSTRUMENTE
7.5 STICHPROBE UND DATENERHEBUNG

8 ERGEBNISSE
8.1 BESCHREIBUNG DER STICHPROBE
8.2 VORBEREITENDE ANALYSEN
8.2.1 Verteilung der Versuchspersonen
8.2.2 Korrelationen
8.3 PRÜFUNG DER HYPOTHESEN
8.3.1 Bewertung des Testimonials
8.3.2 Bewertung des Produkts
8.4 WEITERFÜHRENDE ANALYSEN

9 DISKUSSION
9.1 ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE
9.2 EINORDNUNG UND INTERPRETATION
9.3 METHODISCHE EINSCHRÄNKUNGEN
9.4 IMPLIKATIONEN

10 FAZIT

LITERATUR

ANHANG

Abbildungsverzeichnis

ABB.1. Z IELSETZUNGEN VON T ESTIMONIALWERBUNG

ABB.2. DAS MEANING-TRANSFER MODELL

ABB.3. DIE SKANDALUHR

ABB.4. VEKTORANSATZ EINES SPORTSKANDALS

ABB.5. ÜBERTREIBUNGEN UND DER UMGANG MIT UNGEWISSHEIT

ABB.6. SCHEMATISCHE DARSTELLUNG DES ÜBERTRAGUNGSPROZESSES NEGATIVER INFORMATIONEN

ABB . 7. SCHEMATISCHE DARSTELLUNG DER VERBINDUNG VON WISSENSEINHEITEN

ABB.8. TRIADISCHES BEZIEHUNGSMODELL

ABB.9. MÖGLICHE BEZIEHUNGSKONSTELLATIONEN IM BALANCE-MODELL NACH HEIDER.

ABB.10. KOGNITIVES GLEICHGEWICHT DURCH EINSTELLUNGSÄNDERUNG

ABB.11. FRAMING ALS MEHRSTUFIGER PROZESS.

ABB.12. BEZUGSOBJEKTE VON GLAUBWÜRDIGKEITSZUSCHREIBUNG

ABB.13. MEHRFAKTORIELLER VERSUCHSPLAN (2X2) PLUS KONTROLLGRUPPE

ABB.14. KONSTRUIERTE WERBEANZEIGEN MIT JAMIE O'BRIEN

ABB.15. BEWERTUNG DES TESTIMONIALS IN EXPERIMENTAL- UND KONTROLLGRUPPE(N).

ABB . 16. GESCHÄTZTE RANDMITTEL DER GPCS UND DER GPPS

Tabellenverzeichnis

TAB. 1. E MPIRISCHER F ORSCHUNGSSTAND ZUR W IRKUNG VON NEGATIVEN T ESTIMONIAL -I NFORMATIONEN

TAB. 2. G RAD DER KOMMUNIZIERTEN S ICHERHEIT DER NEGATIVEN I NFORMATIONEN

TAB. 3. G ESCHLECHT UND K ONSUMH Ä UFIGKEIT VON E NERGY D RINKS IN E XPERIMENTAL - UND K ONTROLLGRUPPE ( N )

TAB. 4. V ERTEILUNG POTENZIELLER S T Ö RGR Öß EN AUF E XPERIMENTAL - UND K ONTROLLGRUPPE ( N ) A

TAB. 5. Z USAMMENH Ä NGE ZWISCHEN ABH Ä NGIGEN - UND S T Ö RVARIABLEN (P EARSON ’ S R ).

TAB. 6. B EWERTUNG DES T ESTIMONIALS

TAB. 7. B EWERTUNG DES T ESTIMONIALS (D IFFERENZEN ZUR K ONTROLLGRUPPE ).

TAB. 8. Z WEIFAKTORIELLE V ARIANZANALYSE MIT DEN M ITTELWERTDIFFERENZEN ZUR K ONTROLLGRUPPE

TAB. 9. M ITTELWERTE DER D IFFERENZEN BEI DER B EWERTUNG DES P RODUKTS

TAB. 10. Z WEIFAKTORIELLE V ARIANZANALYSE MIT DEN M ITTELWERTDIFFERENZEN ZUR K ONTROLLGRUPPE

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Werbung hat längst sämtliche Bereiche unseres Alltags infiltriert. Dabei hat sich die werbliche Reizüberflutung zu einem der größten Probleme für Werbetreibende entwickelt (Koernig & Boyd, 2009). Im Kampf um die knappe Aufmerksamkeit der Konsumenten hat sich der Einsatz von prominenten Testimonials in der Werbung etabliert. Der Nutzen für Werbetreibende geht dabei weit über die Funktion als Blickfang hinaus: Testimonials emotionalisieren und personali- sieren Werbebotschaften und erleichtern die Speicherung und Weiterverarbeitung der Werbe- reize (Schaaf, 2010a). Durch die Inszenierung einer glaubwürdigen Verbindung können darüber hinaus Imageattribute auf das Produkt und die Marke übertragen werden. Populäre Athleten erfreuen sich daher einer besonderen Beliebtheit - und das nicht nur in der Vermarktung von Sportprodukten. In den USA bedient sich mittlerweile jede vierte Werbekampagne den promi- nenten Werbeträgern - hier zu Lande sind es rund 20% (Schierl & Schaaf, 2007). Dabei zahlen Unternehmen enorme Summen für das Gesamtpaket aus physischer Attraktivität, Leistungs- stärke und einer hohen Beliebtheit - all das, was sich gleichsam für das Produkt manifestieren soll.

Doch was passiert, wenn prominente Sport-Testimonials - etwa durch skandalöses Verhalten - mit negativen Informationen in Kontakt geraten? Ereignisse wie die Kokain-Affäre um Christoph Daum, die Brandstiftung des Bayern Profis Breno Borges oder die Aufdeckung von Dopingaffä- ren wie jüngst bei Lance Armstrong gelangen immer wieder an die Öffentlichkeit. Sie treffen auf ein kommerzielles Mediensystem, das - geprägt durch ein hohen Zeit- und Konkurrenzdruck - die entsprechenden Ereignisse allein aus nachrichtenwerttheoretischen Gesichtspunkten auf- greift und eigeninterpretatorisch weiterverarbeitet (Oehmer, 2011). Kommt der Skandalisie- rungsprozess erst einmal ins Rollen (Burkhardt, 2011), können Imageschäden entstehen, die nicht nur das Testimonial sondern auch das beworbene Produkt bzw. die Marke betreffen (Till & Shimp, 1998).

1.1 Erkenntnisleitendes Interesse

Während positive Aspekte der Testimonialwerbung seit Jahrzehnten erschöpfend thematisiert werden, existiert eine eher überschaubare Fülle an Arbeiten, die die Wirkung negativer Informa- tionen im Zusammenhang mit Testimonial-Beziehungen beleuchtet (White, Goddard & Wilbur, 2009). Dabei sind vor allem die Umstände, unter denen negative Informationen über ein Testi- monial der beworbenen Marke oder dem beworbenen Produkt schaden, nur teilweise empirisch überprüft worden. So besteht z.B. Unklarheit darüber, inwiefern die Gestaltung und Präsentati- on der negativen Informationen, die stark von der medialen Berichterstattung und insbesondere der journalistischen Aufbereitung abhängt, die Effektivität von Testimonialwerbung beeinflusst.

Die forschungsleitende Fragestellung dieser Arbeit ist, welchen Einfluss negative Informationen über ein Sport-Testimonial auf die Wahrnehmung des Testimonials und des beworbenen Pro- dukts haben. Auch wenn diese Fragestellung kein absolutes Novum darstellt, stellt ihre Beant- wortung immer Sinne einer Replikation in jedem Fall einen Erkenntnisgewinn dar. Zusätzlich werden zwei relevante Aspekte thematisiert, die bisher in diesem Forschungskontext vernach- lässigt wurden: (a) Der Grad der Sicherheit, mit dem die negativen Informationen kommuniziert werden und (b) die (Nachrichten-)Quelle, über die die negativen Informationen über ein Testi- monial vermittelt werden.

Die beschriebene Thematik weist eine hohe praktische Relevanz auf, da enorme Summen für Werbekampagnen mit prominenten Sporttestimonials ausgegeben werden und entsprechende Risiken transparent und kalkulierbar sein sollten.1 Je fundierter die Kenntnisse über potenzielle Risiken sind, desto eher lassen sich daraus entsprechende Maßnahmen ableiten. Ferner be- steht großer Nachholbedarf auf empirischer Ebene - vor allem aus kommunikations- und medi- enwissenschaftlicher Perspektive.

1.2 Aufbau der Arbeit

Um sich der formulierten Forschungsfrage schrittweise zu nähern, sollen zuerst die zwei zentra- len Aspekte dieser Arbeit - Skandale und Sporttestimonials - in Kapitel 2 und Kapitel 3 grund- legend und vorerst separat voneinander aufgearbeitet werden. In Kapitel 2 wird dargestellt, (a) welche Ziele mit Testimonialwerbung verfolgt werden, (b) welche Determinanten den Erfolg von Testimonialwerbung beeinflussen und (c) welche Risiken dabei bestehen. In Kapitel 3 wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Medienschaffende im Prozess der Skandalisierung ein- nehmen und inwiefern (Medien-)Skandale als Ergebnis einer medialen Inszenierung angesehen werden können. Dabei soll insbesondere das Skandalisierungspotenzial von Spitzensportlern berücksichtigt werden, welches sich nicht zuletzt in Abhängigkeit der betriebenen Sportart von anderen Prominenzgattungen unterscheidet.

Kapitel 4 stellt das theoretische Grundgerüst dieser Arbeit dar, das sich in drei Teile unterglie- dern lässt: (1) Im ersten Teil wird der fundamentalen Frage nachgegangen, warum negative Informationen anders verarbeitet werden als positive Informationen („Negativity Bias“) und wel- che besonderen Eigenschaften von negativen Informationen diesen ungleichen Informationsve- rarbeitungsprozess verursachen. (2) Anschließend werden ausgewählte transfertheoretische Ansätze und Modelle vorgestellt, die auf das zentrale Erkenntnisinteresse dieser Arbeit - den werberelevanten Auswirkungen von negativen Testimonial-Informationen - abzielen. (3) Da die Vermittlung von negativen Informationen über prominente Persönlichkeiten im Regelfall über die massenmediale Verbreitung von Nachrichten erfolgt, widmet sich der dritte Teil des vierten Kapitels den kommunikatorbasierten Effekten. Dabei soll einerseits anhand des Framing- Konzeptes dargestellt werden, auf welche Weise die Rahmung einer Nachricht deren Verarbei- tung beeinflussen kann (Framing-Effekte). Anderseits soll die Verarbeitung von redaktionellen und nutzergenerierten Inhalten auf der Grundlage von Glaubwürdigkeitsattributionen erörtert werden.

In Kapitel 5 wird der empirische Forschungsstand zur Wirkung von negativen Testimonial- Informationen dargestellt. Dabei werden die relevanten Aspekte dieses Wirkungszusammen- hangs in vier Gruppen unterteilt, die nacheinander aufgearbeitet werden. Kapitel 6 fasst die auf theoretischer und empirischer Ebene gewonnen Erkenntnisse zusammen, bevor daraus konkre- te Forschungshypothesen abgeleitet werden. In Kapitel 7 werden die methodischen Aspekte des durchgeführten Webexperimentes dargestellt, deren Ergebnisse achten Kapitel vorgestellt und im neunten Kapitel diskutiert werden. Eine Schlussbetrachtung erfolgt in Kapitel 10.

2 Testimonialwerbung

Im folgenden Kapitel soll der zentrale Gegenstand dieser Arbeit - Testimonialwerbung - grund- legend charakterisiert werden. In einem ersten Schritt soll ein einheitliches Begriffsverständnis herausgearbeitet werden und eine Einordnung des Kommunikationsinstruments erfolgen. Um sich der Frage zu nähern, inwiefern negative Informationen den Erfolg von Testimonialwerbung beeinflussen können, muss der Erfolg von Testimonialwerbung zunächst anhand erreichbarer Ziele konkretisiert werden. Das Erreichen dieser Ziele hängt wiederum von unterschiedlichen Faktoren ab, die in diesem Kapitel als Determinanten des Werbeerfolgs mit Testimonials vorge- stellt werden. Sie lassen sich den klassischen Modellannahmen der angloamerikanischen Tes- timonial-Literatur zuordnen, welche die Werbewirkung von Testimonials aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Abschließend werden mögliche Probleme und Risiken von Testimo- nialwerbung aufgezeigt, so dass eine grundlegende Einordnung der Problemstellung erfolgen kann.

2.1 Begriffsbestimmung und -abgrenzung

Der Begriff „Testimonial“ findet seinen Ursprung im Lateinischen und leitet sich aus den Begrif- fen ‚ testari ‘ (= bezeugen) bzw. ‚ testimonium ‘ (= Zeugnis, Beweis) ab. Schierl und Schaaf (2007, S. 294) schließen daraus, dass prominente und nicht-prominente Personen im Rahmen von Werbekampagnen als Testimonials auftreten, indem sie „gewissermaßen Zeugnis (…) ablegen und sich für das beworbene Produkt verbürgen“. Obwohl dieses Verständnis in der deutsch- sprachigen Literatur und Marketingpraxis weit verbreitet ist (Dudzik, 2006; Haase, 2001), sollen in Anlehnung an Schaaf (2010a) zwei Aspekte kritisch angemerkt werden: Erstens bezeichnet der Begriff ‚Testimonial‘ der angloamerikanischen Literatur folgend nicht die Person an sich, sondern die von der Person getroffene Aussage. Zweitens impliziert der terminologische Ur- sprung ein gewisses Maß an Unbefangenheit, was aufgrund des kommerziellen Charakters in der Werbepraxis nicht gegeben ist (ebd.).

Im englischen Sprachgebrauch umgeht man diese terminologischen Spitzfindigkeiten, indem überwiegend der Begriff celebrity endorsement verwendet wird.2 „The celebrity endorser is de fined as any individual who enjoys public recognition and who uses this recognition on behalf of a consumer good by appearing with it in an advertisement” (McCracken, 1989, 310). Im Gegen- satz zu Schierl und Schaaf (2007) werden also Personen, die nicht im Interesse der Öffentlich- keit stehen („typical consumer endorser“), von der Betrachtung ausgeschlossen (McCracken, 1989, S. 310), was auch für diese Arbeit gelten soll. Schaaf (2010a, S. 47) präzisiert dieses Verständnis, in dem sie sowohl reale, als auch virtuelle Sportakteure einbezieht, die in der Ziel- gruppe „über eine hohe medial zugeschriebene Bekanntheit“ verfügen, und „im Rahmen der Mediawerbung direkt oder indirekt mit einem Produkt, einer Dienstleistung oder einem Thema in einer Anzeige platziert“ sind.

Als Unterform der klassischen Mediawerbung ist Testimonialwerbung vom sog. Individualspon- soring abzugrenzen. Auch wenn beide Instrumente der Unternehmenskommunikation häufig miteinander kombiniert werden, bestehen entscheidende Unterschiede: Sponsoring ist als sog. „Below the line“ Maßnahme in der Lage, Personen (z.B. durch Trikotwerbung) in nicht- kommerziellen Situationen anzusprechen (Hermanns & Kiendl, 2007). Während die entspre- chenden Botschaften also entweder live vor Ort oder im redaktionellen Teil der Medien auftau- chen, tritt Testimonialwerbung als „Above the Line“ Maßnahme ausschließlich im werblichen Teil der Medien auf. Dabei haben Werbetreibende die Möglichkeit, die Botschaft hinsichtlich visueller, auditiver und kontextueller Elemente komplexer zu gestalten, als es beim Sponsoring möglich wäre (Meenaghan, 1983).

Dem weiteren Verlauf der Arbeit liegt das oben dargestellte Begriffsverständnis von Schaaf (2010a) zu Grunde, die sich damit auf prominente Sporttestimonials bezieht. Um Missverständ- nissen vorzubeugen, wird der Begriff Testimonial synonym mit dem englischen Begriff celebrity endorser verwendet und bezieht sich dementsprechend auf die werbende Person - nicht auf die Botschaft.

2.2 Derterminanten des Werbeerfolges mit Testimonials

Da das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit eng mit der Wirkung von Testimonialwerbung verbun- den ist, sollen im vorliegenden Kapitel einige ausgewählte Determinanten dargestellt werden, die den (Miss-)Erfolg von Testimonialwerbung maßgeblich beeinflussen können. Bevor diese aufgezeigt und den einschlägigen Wirkungsmodellen zugeordnet werden, sollen kurz die rele- vanten Zielgrößen von Testimonialwerbung in der Werbepraxis und der Wissenschaft umrissen werden.

Grundsätzlich lassen sich marktpsychologische und -ökonomische Zielgrößen unterscheiden (Schaaf, 2010a). Letztere (wie z.B. Umsatzsteigerung) stellen zwar die ultimativen Zielgrößen von Werbemaßnahmen dar (Crompton, 2004), lassen sich aber nur indirekt durch Werbung beeinflussen und können im Nachhinein äußerst schwierig auf einzelne Werbemaßnahmen zurückgeführt werden (Siegert & Brecheis, 2005).3 Daher lässt sich auch bei Marketingverant- wortlichen eher eine Fokussierung marktpsychologischer Zielgrößen wie die Schaffung von Aufmerksamkeit (89%), die Steigerung der Markenbekanntheit (76%) oder die Verbesserung des Marken- bzw. Unternehmens-Image (53%) erkennen (Abbildung 1) (Olsson, 2009). Die Steigerung des (Produkt-)Abverkaufs wurde hingegen nur von jedem vierten Marketingverant- wortlichen (26%) genannt (ebd.).4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1. Zielsetzungen von Testimonialwerbung (Olsson, 2009, S. 20)

Auch in der Wissenschaft werden hauptsächlich marktpsychologische Zielgrößen betrachtet:5 Dabei geht es im Wesentlichen um die Effektivität von Testimonialwerbung, die sich aus den (häufig unterschiedlich operationalisierten) Konstrukten der (1) Kaufabsicht, (2) der Einstellung gegenüber der Marke, (3) der Einstellung gegenüber der Werbemaßnahme, (4) der Glaubwür- digkeit, (5) der Erinnerung und (6) der Wiedererkennung zusammensetzt (Amos, Holmes und Strutton, 2008).

Amos et al. (2008) identifizieren insgesamt neun relevante Merkmale von Testimonials („source effects“), von denen sie einen Effekt auf diese marktpsychologischen Zielgrößen annehmen: (1) Leistung („celebrity performance”), (2) Negative Informationen („negative information”), (3) Glaubwürdigkeit („celebrity credibility”), (4) Kompetenz („celebrity expertise”), (5) Vertrauens- würdigkeit („celebrity trustworthiness”), (6) Attraktivität („celebrity attractiveness”), (7) Vertraut- heit („celebrity familiarity”), (8) Sympathie („celebrity likeability”) und (9) Kongruenz („celebri- ty/product fit”).

Abgesehen von negativen Informationen - auf die im weiteren Verlauf der Arbeit noch ausführ- lich eingegangen wird - finden sich die genannten Merkmale als Bestandteile der zentralen Modellannahmen der angloamerikanischen Testimonial-Literatur wieder. Zu ihnen zählen das „Source Attractiveness Model“ von McGuire (1985), das „Source Credibility Model“ von Hovland, Janis und Kelley (1953), die Match-Up-Hypothese von Forkan (1980) und das „Meaning Transfer“ Modell von McCracken (1989) (zit. nach Erdogan, 1999, S. 297). Während die Source Modelle die Bedingungen thematisieren, unter denen die Persuasion einer Quelle bzw. Botschaft variiert, berücksichtigen die Überlegungen der Match-Up-Hypothese und des Meaning Transfer Modells auch den Zusammenhang zwischen Testimonial- und Produkteigen- schaften.

2.2.1 Glaubwürdigkeit (Source Credibility Model)

Das Source Credibility Model von Hovland et al. (1951) entstand im Rahmen der Forschungs- arbeiten der sog. Yale-Gruppe um Carl Hovland, die seit den 1940er Jahren der Frage nach einer möglichen Persuasion bzw. Einstellungsänderung durch Kommunikation nachgehen (zit. nach Schenk, 2007). Es basiert auf der grundlegenden Annahme, dass die Glaubwürdigkeit einer Quelle (bzw. eines Kommunikators) den Meinungsbildungsprozess des Rezipienten be- einflusst. Bereits 1951 untersuchten Hovland und Weiss die Wirkung identischer Aussagen auf die Einstellungsänderung von Studenten und manipulierten dabei lediglich die Glaubwürdigkeit der Quelle (Hovland & Weiss, 1951). Dabei zeigten sie, dass eine signifikant größere Anzahl der Probanden ihre Meinung im Sinne der gelesenen Nachricht ändert, „when the material was attributed to a ‘high credibility’ source than when attributed to a ‘low credibility’ source“ (ebd., S. 642). Doch unter welchen Bedingungen wird eine Quelle als glaubwürdig angesehen? Hovland et al. (1953) kristallisieren in ihrem Modell zwei Komponenten heraus, die das latente Konstrukt Glaubw ü rdigkeit determinieren: Sachverständnis („expertness“) und Vertrauenswürdigkeit („trustworthiness“) (zit. nach Ohanian, 1990, S. 41). Unter Sachverständnis verstehen sie die wahrgenommene Fähigkeit des Kommunikators, valide Aussagen zu treffen und unter Vertrau- ensw ü rdigkeit die empfundene Bereitschaft des Kommunikators, valide Aussagen zu treffen (McCracken, 1989, S. 311). Die Arbeiten der Yale-Gruppe und speziell das Source Credibility Modell zeigen die Bedeutung der Glaubwürdigkeit einer Quelle für die persuasive Wirkung von Testimonialwerbung auf und liefern einen bis heute weit verbreiteten Ansatz zur Operationalisierung von Glaubwürdigkeit (Ohanian, 1990). Auf Grund seines eindimensionalen Charakters erklärt der Ansatz der Source Credibility jedoch nur einen (kleinen) Ausschnitt im Wirkungsprozess von Testimonialwerbung (Erdogan, 1999; McCracken, 1989).

2.2.2 Attraktivität (Source Attractiveness Model)

Einen weiteren Ausschnitt soll das Source Attractiveness Modell nach McGuire (1985) beleuch- ten (zit. nach Erdogan, 1999). Analog zum Source Credibility Modell wird davon ausgegangen, dass die Attraktivität die Überzeugungskraft eines Kommunikators beeinflusst. Dass die physi- sche Attraktivität eines Testimonials verschiedene Zielgrößen der Werbung (wie z.B. die Ein- stellung oder Kaufabsicht) positiv beeinflussen kann, konnte anhand einer Fülle von Arbeiten gezeigt werden (siehe zusammenfassend Amos et al., 2008). So erhöht bspw. die physische Attraktivität eines Kommunikators die Bereitschaft des Empfängers, bestimmte Informationen zu akzeptieren, da dieser sich eher mit einem attraktiven als mit einem weniger attraktiven Kom- munikator identifiziert (Cohan & Golden, 1972, zit. nach Erdogan, 1999). Ähnlich wie die Glaubwürdigkeit kann auch Attraktivität nicht als eindimensionales Konstrukt verstanden wer- den. Das Attraktivitätsverständnis des Source Attractiveness Modells geht daher über die reine physische Attraktivität hinaus. Erst das Zusammenspiel der Komponenten Vertrautheit („familiarity“), Sympathie („likeability“) und Ä hnlichkeit („similarity“), die der Rezipient mit der Quelle verbindet, bestimme die wahrgenommene Attraktivität der Quelle (Ohanian, 1990). Die Effektivität einer Botschaft beruhe dabei hauptsächlich auf eben diesen Dimensionen der At- traktivität der Quelle (McCracken, 1989). Zusammenfassend beschreibt McCracken (1989) die beiden Source Modelle als „a necessary part of our understanding of the endorsement process. But, they do not capture everything at issue in the endorser process” (S. 311).

2.2.3 Symbolische Bedeutung (Meaning-Transfer-Model)

Die Kritik von McCracken (1989) zielt im wesentlich darauf ab, dass sich die Source Modelle zu sehr auf die Eigenschaften der Quelle beschränken und andere Aspekte im Wirkungsprozess außer Acht lassen. Anders ausgedrückt: Die Erkenntnisse der Source Modelle können - wenn überhaupt - als notwendiges, nicht aber als hinreichendes Kriterium für den Erfolg von Testi- monialwerbung angesehen werden. Das Meaning-Transfer Modell von McCracken (1989) geht zwar auch davon aus, dass gewisse Eigenschaften der Quelle die Effektivität von Testimonial- werbung erhöhen, beschränkt sich dabei aber nicht auf die Dimensionen Glaubw ü rdigkeit und Attraktivität. McCracken (1989) sieht vielmehr die Gesamtheit an Bedeutungen, die dem Testi- monial zugeschrieben werden, als ausschlaggebend an. Diese können in ihrer Anzahl und Viel- falt stark variieren, z.B. hinsichtlich Alter, Persönlichkeit, Lifestyle, Geschlecht, sozialem Status, etc. (ebd., S. 312).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2. Das Meaning-Transfer Modell (McCracken, 1989, S. 315)

Parallel existiert das Phänomen, dass kulturelle Bedeutungen in modernen Konsumgesellschaf- ten über bestimmte Wege zirkulieren. Bedeutungen, die bspw. einem bestimmten Produkt zu- geordnet werden (z.B. Cabriolet = Freiheit), finden über den Erwerb des Produkts den Weg in das Leben des Konsumenten. Der Prozess des Meaning-Transfers lässt sich bezogen auf Testimonialwerbung in drei Phasen unterteilen (Abbildung 2).

In der ersten Phase eignet sich das (spätere) Testimonial durch seine öffentlichen Auftritte (ge- spielte Rollen, sportliche Leistungen, etc.) differenzierte Bedeutungen an. In diesem Prozess wirkt die eigene Karriere des Prominenten wie eine große Werbekampagne für sich selbst (ebd., S. 315). In der zweiten Phase werden diese Bedeutungen durch Werbung auf das Pro- dukt übertragen. Dabei sollte ein Testimonial ausgewählt werden, das alle für das Produkt ge- wünschten Bedeutungen repräsentiert. Bei der immensen Fülle an Bedeutungen, die jedes prominente Testimonial mitbringt, sollte die Gestaltung der Werbung zusätzlich nur auf die ge- wünschten Bedeutungen abzielen und nichtgewünschte Assoziationen ausblenden. In einem letzten Schritt gelangen die Bedeutungen in das Leben der Konsumenten. Ähnlich wie die Pro- minenten bzw. späteren Testimonials in der ersten Phase ihr “Selbst” geschaffen haben, möch- ten auch Konsumenten diesen identitätsbildenden Prozess durchlaufen. McCracken (1989) betont dabei, dass dieser Prozess nicht automatisch abläuft: „The consumer must claim the meanings and then work with them” (S. 317). Testimonials bieten dem Konsumenten also erst einmal nur Bedeutungen in materieller Form (Produkt) an, zeigen ihm aber zugleich, dass sie selbst der lebende Beweis für eine mögliche Manifestation dieser Bedeutungen sind (ebd.).

Das Modell von McCracken (1989) schreibt also den Quellen eine wesentlich differenziertere Bedeutung zu als die Source Modelle. Darüber hinaus bezieht es sowohl Produkt als auch Konsument mit ein: Schließlich entscheidet der Konsument, welche speziellen Bedeutungen er im Rahmen seiner Identitätsbildung begehrt und inwiefern ihm ein bestimmtes Produkt dabei helfen kann, diese Attribute für sich zu beanspruchen.

2.2.4 Kongruenz (Match-Up-Hypothese)

Die Match-Up-Hypothese, die im Wesentlichen aus den Arbeiten von Forkan (1980) und Ka- mins (1990) hervorgeht (zit. nach Erdogan, 1999; Simmers et al., 2009), thematisiert explizit den Bezug zwischen Testimonial und Produkt. Die zentrale Annahme besteht darin, dass die Effektivität von Testimonialwerbung auch von der Art des beworbenen Produkts bzw. von der Kongruenz zwischen dem Image des Testimonials und dem Image der beworbenen Marke bzw. dem Produkt abhängt (Koernig & Boyd, 2009). Mit der stetig zunehmenden Anzahl an For- schungsergebnissen zu diesem Thema haben sich differenziertere Erkenntnisse herausgebil- det, die an dieser Stelle nicht erschöpfend dargestellt werden können (siehe exemplarisch Boyd & Shank, 2004; Till & Busler, 2000; für eine kritische Auseinandersetzung mit der Match-Up- Hypothese siehe Ang & Dubelaar, 2006).

Insgesamt kann jedoch festgehalten werden, dass auch die Kongruenz zwischen Produkt und Testimonial im Sinne der Match-Up-Hypothese zu den zentralen Determinanten des Werbeerfolges von Testimonials zählt (Amos et al., 2008) - speziell im Rahmen von Testimonialbeziehungen mit Sportlern (Koernig & Boyd, 2009).

2.3 Probleme und Risiken

Natürlich ist der Einsatz von Testimonials auch mit gewissen Risiken und Problemen behaftet. Für eine sinnvolle Systematisierung lässt sich in Anlehnung an Schaaf (2010a) ein Ansatz der neuen Institutionenökonomik heranziehen, der sich auf die bestehenden Informationsasymmet- rien zwischen Prinzipal (werbetreibendes Unternehmen) und Agent (Testimonial) bezieht. Die Informationsdefizite des Auftraggebers, die letztlich die Risiken der Testimonialwerbung bedin- gen, lassen sich drei Modelltypen zuordnen: Hidden Characteristics (versteckten Charakterei- genschaften), Hidden Intention (versteckten Absichten) und Hidden Action (versteckten Hand- lungen).

Unter Hidden Characteristics lassen sich Eigenschaften des Testimonials subsumieren, die vom Auftraggeber vor Vertragsabschluss nicht vollständig beurteilt werden können. Dadurch kann es zu einer Fehlauswahl von Testimonials kommen, die schließlich in unerwünschten Werbeeffek- ten resultieren kann. Schaaf (2010a) beschreibt an dieser Stelle sieben Hidden Characteristics:

(1) Ü berstrahlungseffekte treten auf, wenn Testimonials eine so dominierende Präsenz in Wer- bekampagnen haben, dass sie die Aufmerksamkeit weg von dem Produkt auf sich selbst len- ken. Dieses Phänomen kann auch als „Vampir-Effekt“ (Schierl & Schaaf, 2007) oder Überschat- tungseffekt (Erdogan, 1999) bezeichnet werden. (2) Pinocchio-Effekte beschreiben eine Art Vertrauenslust des Rezipienten bzw. Glaubwürdigkeitsverlust des Testimonials. Sie resultieren aus dem Eindruck, dass Testimonials die beworbenen Produkte nur aufgrund der hohen Hono- rare und nicht aus eigener Überzeugung nutzen bzw. bewerben (Schaaf, 2010a). Ähnliche Wir- kungen treten auf, wenn (3) eine geringe Kongruenz zwischen dem Produkt und den Persön- lichkeitsmerkmalen des Testimonials besteht (Till & Busler, 2000), oder wenn (4) Testimonials während oder kurz nach einer Kampagne weitere Werbeverpflichtungen eingehen (Ü berlage- rungseffekte) (Schaaf, 2010b). Ferner kann es aufgrund eines zu hohen Werbedrucks bzw. einer Omnipräsenz bestimmter Werbekampagnen zu (5) sog. Wear-Out-Effekten kommen, wenn positive Werbewirkungen aufgrund von Abnutzungserscheinungen ausbleiben, oder so- gar zu (6) Reaktanz und Bumerangeffekten, wenn Konsumenten eine Widerstandshaltung ge- genüber den persuasiven Werbebotschaften entwickeln und zum Konkurrenzprodukt abwan- dern (Schaaf, 2010a). Schließlich können (7) negative Imageattribute, z.B. aufgrund unerwartet hervortretender, negativer Charaktereigenschaften, auf das Produkt transferiert werden (negati- ver Imagetransfer) (ebd.).

Hidden Intentions beschreiben verborgene Handlungsabsichten, die nach Vertragsabschluss überfallartig vom Testimonial offenbart werden können (Schaaf, 2010a). Da der Auftraggeber innerhalb der Vertragszeit auf gewisse Leistungen und die Kooperationsbereitschaft des Testi- monials angewiesen ist, kann das Testimonial im Rahmen von sog. Hold-Up-Versuchen „mit einem Abbruch der Kooperation drohen, Nachverhandlungen führen oder Vertragslücken zu seinem eigenen Vorteil interpretieren (ebd., S. 218). Schaaf (2010a) unterscheidet zwischen verborgenen Handlungsabsichten im Rahmen der Werbemittelproduktion, wie z.B. das Einfor- dern zusätzlicher Nebenleistungen oder eines kreativen Mitspracherechts, und verborgenen Handlungsabsichten im Rahmen der integrierten Kommunikation. Letztere entstehen, wenn Testimonials den hohen Arbeitsaufwand ablehnen, der durch die Kombination verschiedener Kommunikationsinstrumente (Events, TV-Auftritte, etc.) entsteht.

Die dritte Form der auftretenden Informationsasymmetrien stellen Hidden Actions (verborgene Handlungen) dar, die vor dem Hintergrund der hier thematisierten Wirkungszusammenhänge von besonderem Interesse sind. Sie beschreiben die Unkontrollierbarkeit von Testimonialhand- lungen, die im Laufe der Vertragszeit auftreten können. „These circumstances, referred to here as ‘negative events’, can range widely from accidents that hinder a celebrity's ability to perform to exposure for substance abuse“ (Louie & Obermiller, 2001, S. 41). Schaaf (2010) unterschei- det in diesem Zusammenhang zwischen negativen Handlungen, die im Sportbereich (Doping, unfaires sportliches Verhalten, Misserfolge, Verletzungen, etc.) oder im Privatleben (Ehebruch, Drogen missbrauch, Steueraffären, Straftaten, etc.) auftreten können. Diese Unterteilung macht insofern Sinn, als dass sie die Besonderheiten von Sporttestimonials unterstreicht: „Athletes present the additional risk of injury, which reduces visibility and performance, reducing endorsement potential“ (Charbonneau & Garland, 2005, S. 2). Ferner können auch nicht verlet- zungsbedingte Leistungsabfälle eine Gefahr für die Wahrnehmung des beworbenen Produkts dar - vor allem wenn sie zeitlich mit dem Start einer neuen Werbekampagne zusammentreffen (Yannopoulos, 2012).

3 Skandale und ihre mediale Verbreitung

Die gefühlte Präsenz von Skandalen in den Medien hat sich erhöht.6 Bergmann und Pörksen (2009) sehen vier mögliche Gründe für die zunehmende Skandalberichterstattung: (a) Die Zahl der Normverstöße hat sich erhöht, (b) journalistische Enthüllungspraktiken sind effektiver ge- worden, (c) die Gesellschaft ist sensibler für moralische Verfehlungen geworden oder (d) das Mittel der Skandalisierung wird aufgrund seiner aufmerksamkeitserregenden Wirkung medial inflationär eingesetzt. Letztere Annahme liegt auch dem vorliegenden Kapitel zu Grunde. Bevor der konstruktive Prozess der Skandalisierung mit seinen kreativen und dramaturgischen Ele- menten vorgestellt wird, soll das Phänomen Skandal grundlegend und vor allem im Hinblick auf seine mediale Bedingtheit betrachtet werden. Da professionelle Sportler einer besonderen Prominenzgattung angehören, werden einige Spezifika herausgearbeitet, die bei der Skandali- sierung von Spitzensportlern relevant sein können. Abschließend sollen journalistische Vorge- hensweisen und Rahmenbedingungen hinterfragt werden, die das überstürzte Publizieren von ungesicherten Informationen begünstigen.

3.1 Skandale und die Rolle der Medien

Nach Thompson (2000, S. 13) bezieht sich ein Skandal auf Handlungen oder Ereignisse „in- volving certain kinds of transgressions which become known to others and are sufficiently se- rious to elicit a public response”. Verstöße gegen geltende Normen bzw. „gegen den Leitcode des sozialen Referenzsystems“ (Burkhard, 2011, S. 131) bilden die Voraussetzung für die Ent- stehung von öffentlicher Empörung, dem „Kerngeschehen eines jeden Skandals“ (Bergmann & Pörksen, 2009, S. 8). Doch nicht alle Normverstöße müssen zwingend in einem Skandal enden. Andererseits müssen auch nicht alle Skandale, über die in den Medien berichtet wird, auf realen Tatsachen beruhen. Um einen Skandal auszulösen reicht es aus, wenn eine erfolgreiche Insze- nierung eines Missstandes auf ein interessiertes Publikum trifft (Thompson, 2000).

Der sich daraus ergebende Spielraum bedarf weiterer Erklärung: Bulkow und Petersen (2011) charakterisieren einen Skandal als zweidimensionales Konstrukt, an dem mindestens drei Ak- teure beteiligt sind:7 Der (a) Skandalierte verstößt gegen eine geltende Norm, wird vom (b) Skandalierer öffentlich des Normverstoßes beschuldigt, worauf (c) Dritte auf bestimmte Weise reagieren. Die beiden Dimensionen setzen sich aus dem eigentlichen Sachverhalt und dem Prozess der Skandalisierung zusammen, den Bulkow und Petersen (2011, S. 12) als „komple- xes Kommunikationsverfahren“ bezeichnen. Der Sachverhalt eines Skandals bezieht sich auf die inhaltliche Ebene der Normverstöße. Diese sind (1) immer auf menschliches Handeln zu- rückzuführen, (2) können in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen mit jeweils eigenen Wertvorstellungen auftreten (Politik, Religion, Sport, etc.) und (3) sind von übergeord- neten Kulturkreisen sowie Modernisierungsprozessen abhängig (ebd.). Werden jene Normver- stöße nicht medial dargestellt, bleiben sie (wenn überhaupt) einer kleinen Teilöffentlichkeit vor- behalten und entfalten keine gesellschaftlich relevante Wirkung. Werden sie hingegen medial dargestellt, treffen sie auf ein öffentliches Publikum, dessen Reaktion sowie Grad an Empörung über den Erfolg der Skandalisierung entscheidet: „Ruft die Anprangerung der beklagten Zu- stände keine Resonanz hervor oder verläuft sich nach einiger Zeit im Sande, ist die Skandali- sierung erfolglos“ (Kepplinger, 2009, S. 179). Somit entsteht ein Skandal erst aus dem Zusam- menspiel von Normbruch, Aufdeckung und Kommunikation durch den Skandalierer sowie der Empörung einer Öffentlichkeit.

Aus konstruktivistischer Sichtweise kann Realität nicht objektiv erfasst werden, da Beobachtun- gen jeglicher Art von individuellen Wahrnehmungen, Vorerfahrungen, Erwartungen, etc. geprägt sind. Realität kann also nicht entdeckt, sondern nur aus Sinneswahrnehmungen konstruiert werden (vgl. Burkhard, 2006). Demnach lassen sich auch vermeintliche Normverstöße bzw. ihre Wahrnehmung als Skandal auf Seiten der Skandalierer als Konstruktionen verstehen (ebd.). Burkhardt (2011) unterscheidet vor dem Hintergrund der Skandalkonstruktion drei Skandalkon- texte, die sich durch einen unterschiedlichen Medialisierungsgrad auszeichnen: Skandale ohne Medienberichterstattung, medialisierte Skandale und Medienskandale (ebd.). Erstere können aufgrund ihrer verhältnismäßigen geringen Wirksamkeit vernachlässigt werden. Medialisierte Skandale sind als bereits existente Skandale zu verstehen, über die in den Medien berichtet wird. Dabei sind die Skandalierer außerhalb des berichtenden Mediensystems anzusiedeln und der wesentliche Diskurs findet in der betroffenen Teilöffentlichkeit statt (ebd.). Bei Medienskan- dalen übernehmen die Medien selbst die Rolle des Skandalierers. Sie „berichten nicht einfach über Skandale, die unabhängig von ihnen existieren“ sondern „produzieren sie, indem sie sozia- len Zuständen, Ereignissen oder Entwicklungen ein spezifisches narratives Framing geben, das als Skandal etikettiert wird“ (Burkhardt, 2011, S. 132). Der Erfolg der Skandalisierung hängt dabei von spezifischen journalistischen Interpretationen und Narrationsstrategien ab. Bergmann und Pörksen (2009) sprechen in diesem Zusammenhang von inhaltlichen Mustern und einer nötigen Dramaturgie mit Anfang, Höhepunkt, überraschendem Wendepunkt und Ende.

Oehmer (2011) erweitert den Blick auf Medienskandale um eine nachrichtenwerttheoretische Perspektive. Die Nachrichtenwert-Theorie geht davon aus, dass die Publikationswahrschein- lichkeit einer Meldung von bestimmten Ereignismerkmalen abhängt. Je eher bestimmte Nach- richtenfaktoren (z.B. Personalisierung, Prominenz, Schaden, Nähe, Überraschung, Konflikt, etc.) in hohem Maße auf ein Ereignis zutreffen, desto größer ist der Nachrichtenwert und somit die Wahrscheinlichkeit der Publikation einer Meldung. Nach Oehmer (2011) wird das Produkt Skandal nach journalistischen Verarbeitungs- und Selektionsroutinen erzeugt, um die Rezepti- onswahrscheinlichkeit und damit den Verkauf des Produkts zu erhöhen. Bestimmte Nachrich- tenwerte werden dabei nicht „als genuine Eigenschaften des Ereignisses selbst [angesehen], sondern als Merkmale der Meldung konzipiert“ (Oehmer, 2011, S. 158). Mit anderen Worten: Nachrichtenfaktoren, die in einer Meldung über ein Ereignis auftauchen, müssen nicht zwingend der Grund für die Publikation dieser Meldung sein. Ihre Anzahl und Präsenz kann durchaus als Folge einer spezifischen Ereignisdefinition angesehen werden (ebd.). Die ökonomischen Grün- de der Skandalproduktion werden durch eine Schätzung von Sloterdijk (2007, nach Bergmann & Pörksen, 2009, S. 8; siehe auch Pörksen und Detel, 2012) unterstrichen, nach der in moder- nen Nationen täglich zwanzig bis dreißig „Erregungsvorschläge lanciert [werden], von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen“.8

3.2 Der Prozess der Skandalisierung

Um den Mechanismus einer Skandalisierung weiter zu veranschaulichen, soll im Folgenden ein Phasenmodell in Anlehnung an Burkhardt (2006) vorgestellt werden. Ganz allgemein werden dem Prozess der Skandalisierung vier funktionale Phasen zugeschrieben (Bulkow & Peters, 2011; Pörksen & Detel, 2012; Storm & Wagner, 2011; Thompson, 2000).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3. Die Skandaluhr (Burkhardt, 2006, S. 204)

Nach Burkhardt (2006) lassen sich dementsprechend Latenz-, Aufschwung-, Etablierungs- und Abschwungphase unterscheiden. Zusätzlich ergänzt er diese vier Phasen um eine Rehabilitationsphase. Das Modell visualisiert diese Phasen in Form einer „Skandaluhr“, die die Dramaturgie der Skandalisierung veranschaulichen soll (Abbildung 3).

Der Latenzphase lässt sich das eigentliche Vergehen, der Normverstoß zuordnen. Bulkow und Petersen (2011, S. 180) merken an, dass „die Verfehlung (…) dabei aktuell sein oder bereits längere Zeit zurückliegen“ kann. Am Ende der Latenzphase erfolgt die journalistische Aufde- ckung eines Schlüsselereignisses, in der die Protagonisten der Öffentlichkeit vorgestellt wer- den.9 Sie dient also analog zur dramatischen Inszenierung im Theater der Einführung in die Erzählhandlung (Burkhard, 2006). In der Aufschwungphase werden die Schlüsselereignisse und Protagonisten kontextualisiert, d.h. die journalistische Berichterstattung konzentriert sich auf weitere thematische Aspekte und Nebenhandlungen, während das Interesse auf Seiten der Rezipienten zunimmt. Die ersten beiden Phasen der Skandalisierung beschränken sich also auf die Bekanntmachung und Einordnung eines Normverstoßes. In der Etablierungsphase wird hingegen eine Entscheidung gesucht. Dabei werden die betroffenen Parteien (Skandalisierter und betroffene Subsysteme) öffentlich angehört, bevor „das Richten über die Schuld oder auch die Unschuld des Skandalisierten mit dem Ziel der Korrektur öffentlichen Fehlverhaltens“ statt- findet (Burkhardt, 2006, S. 204). Dabei kommt es zur sog. „Skandalklimax“, die im Modell tref- fend um fünf vor 12 beginnt. Um 12 Uhr erreichen Medienberichterstattung und emotionale Erregung der Rezipienten ihren Höhepunkt (ebd.). Je nach Erfolg der Skandalisierung wird der Skandalierte nun „symbolisch aus dem sozialen System durch Exklusion aus der Medienöffent- lichkeit ausgeschlossen“ (Burkhardt, 2011, S. 143). An dieser Stelle lässt sich also ein drama- turgischer Wendepunkt feststellen: Die drei ersten Phasen haben zu einer Entscheidung ge- führt, die nun in der Abschwungphase qualifiziert wird. Dabei werden die Stellungnahme des Skandalisierten sowie die zuvor geführten Abhandlungen überprüft. In dieser Phase klingt der Skandal entweder von alleine aus (z.B. aufgrund sinkenden Interesses), oder zieht Konsequen- zen in Form von Lösungen (Rücktritt, soziale bzw. juristische Sanktionierungen, Entlassung, etc.) nach sich (Bulkow & Petersen, 2011, S. 181). Sofern das (potenzielle) Verhalten des Skandalisierten keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt, kann der Skandalisierte reha- bilitiert werden, was in der fünften Phase (Rehabilitationsphase) stattfindet (Burkhard, 2006). In dieser Phase normalisiert sich die Medienberichterstattung. Die Sanktionierung des Skandali- sierten durch die Öffentlichkeit endet.

Wie die Visualisierung anhand einer Uhr zeigt, kann der Prozess der Skandalisierung als ein dynamischer Prozess aufgefasst werden, der in seinen einzelnen Phasen durch eine unterschiedlich hohe Intensität der Medienberichterstattung und durch thematische sowie personelle Verschiebungen gekennzeichnet ist (Bulkow & Petersen, 2011). Dass diese Dynamik im Laufe einer Skandalisierung nicht rein zufällig auftritt, sondern im Sinne eines schöpferischen Prozesses von Journalisten inszeniert wird, bekräftigt die These einer Skandalproduktion (Bergmann & Pörksen, 2009; Burkhardt, 2006; Kepplinger, 2012).10

3.3 Skandale im Sport und skandalisierte Sportler

Als Personen des öffentlichen Lebens stehen auch professionelle Sportler häufig im Zentrum von Skandalisierungsprozessen.11 Im Vergleich zu den prominenten Vertretern anderer Gesellschaftsbereiche wie der Politik oder der Popkultur lassen sich für Spitzensportler einige Besonderheiten feststellen, die im Folgenden kurz reflektiert werden sollen.

3.3.1 Zum Skandalisierungspotenzial von Sportlern

Es lässt sich feststellen, dass die mediale Inszenierung von Helden und Idolen im Sport beson- ders stark ausgeprägt ist (Bette, 2007; Rowe, 1997; Shuart, 2007; Storm & Wagner, 2010). Nach Bette (2007, S. 245 f.) ist „der Spitzensport im letzten Jahrhundert zum zentralen Helden- system der modernen Gesellschaft aufgestiegen“. Die Gründe dafür liegen einerseits in den sportinternen Bedingungen, die sich von anderen gesellschaftlichen Teilsystemen unterschei- den: Vermeintliche Heldentaten sind im Sport direkt beobachtbar (Stadien, Sporthallen, Are- nen). Um sie wahrzunehmen bedarf es keiner intellektuellen Kennerschaft oder spezifischen Voraussetzungen, da sie einer simplen Sieg-Niederlage-Logik folgen (ebd.). Die im Spitzen- sport verankerte Rekord- und Steigerungslogik („höher, schneller, weiter“), die Ergebnisoffen- heit und damit verbundene Spannungsträchtigkeit sowie die Möglichkeit, individuelle Leistungs- fähigkeit selbstheroisch zu demonstrieren, tragen ferner zur „Heldenfähigkeit des Spitzensports“ bei (Bette, 2007, S. 249). Obwohl das System Spitzensport einer eigenen inhärenten Logik folgt, bestehen strukturelle Verbindungen zu anderen gesellschaftlichen Teilsystemen (Storm & Wagner, 2010), die ebenfalls von der Heroisierung von Spitzensportlern profitieren: „In this way, modern sport provides something that related systems cannot solely produce themselves“ (ebd., S. 7). So bestehen Verbindungen zum Wirtschaftssystem, wenn Sportler für Produkte werben, Verbindungen zur Politik, wenn nationale Sportler symbolisch für den Fortschritt und die Innovationsfähigkeit eines Staates stehen, oder Verbindungen zu den Massenmedien, wenn Sportler die Aufmerksamkeit der Rezipienten und schließlich die Auflage bzw. Einschaltquote steigern. Die Inszenierung von Sporthelden wird also gleichzeitig durch sportinterne und - externen Gegebenheiten begünstigt.

Die Hochstilisierung zum Helden gestaltet sich für Sportler aus zwei Gründen problematisch: Zum einen trägt der Heldenstatus wesentlich zur dramaturgischen Gestaltung der Skandalisie- rung bei. Massenmedien setzten dabei gezielt auf das Wechselspiel von Heldenverehrung und (symbolischer) Heldentötung, um ihrem eigenen Dramatisierungs- und Personalisierungsbedarf gerecht zu werden (Bette, 2007). „Eigenständige Zweige des Journalismus (…) sind inzwischen darauf spezialisiert, Helden zu entlarven, um der breiten Mehrheit Gefühle der Zufriedenheit und Normalität zu vermitteln“ (ebd., S. 260). Somit nehmen Spitzensportler im Verlauf medialer Narrationsstrukturen konträre Rollen als Helden, Bösewichte oder Dummköpfe ein (Lines, 2001).

Auf der anderen Seite zieht die mediale Konstruktion und Darstellung von Sporthelden auch kulturelle Erwartungshaltungen der Rezipienten nach sich (Lines, 2001). Dabei werden die Wer- te und Ideale, die Sportler aufgrund ihrer Leistungen und Auftritte im Rahmen des aktiven Sports verkörpern, auf ihr Privatleben übertragen, um insgesamt ein kongruentes Bild des Sportlers zu entwickeln. Genau hier sieht Rowe (1997, S. 207) das größte Potenzial für die Entstehung eines Skandals: „[T]he behavior of sports stars becomes scandalizing when there is a radical disparity between their bodily dispositions on and off the field of play.” Nach Rowe (1997) basiert der Heldenmythos von Sportlern auf dem Zusammenspiel von herausragenden sportlichen Leistungen und der zugeschriebenen Vornehmheit („nobility“) des Athleten. Die Kongruenz zwischen Person und Persona - also zwischen dem Sportler (bzw. seiner Rolle auf dem Platz) und der Privatperson - stellt dabei eine implizite Bedingung für den Heldenstatus dar (ebd.). Rowe (1997) unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass Spitzensportler im Ge- gensatz zu Schauspielern oder Musikern weniger Raum für die Entfaltung ihrer privaten Per- sönlichkeit haben. Während abweichendes Verhalten der Protagonisten aus der Film- und Pop- kultur in gewisser Weise toleriert wird, stehen professionellen Sportlern nur relativ einge- schränkte Möglichkeiten zur Verfügung, ihre private Persönlichkeit mit dem Status des Sport- helden zu vereinbaren.

Connor und Mazanov (2010) illustrieren eine im Spitzensport übliche Konstellation von Um- ständen, die in ihrer Gesamtheit die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Skandalen erhöht. Die Basis dieser Konstellation ist das symbiotische Verhältnis zwischen Wirtschaft, Sport und Medien, welches zu einer Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sportsystems ge- führt hat (siehe auch Schauerte, 2008). Die daraus resultierende Vermarktung und Konstruktion von Sport-Superstars (oder Sporthelden) führt zu einem Medieninteresse, dass zwangsläufig weit über die reine Sportberichterstattung hinaus geht: „Players are now part of a media complex that scrutinises their activities; they are feted as heroes and stars worthy adoration and, hence, more in-depth examination“ (Conner & Mazanov, 2010, S. 214). Das gesteigerte Medieninteresse zielt nun auch auf das Privatleben von Sportlern, die aus verschiedenen Grün- den ein erhöhtes Potenzial für skandalöses Verhalten aufweisen: Sie befinden sich (leistungs- bedingt) in einer jungen Phase ihres Lebens und verfügen über ein Übermaß an Geld.12 Zusätz- lich werden ihre individuellen Handlungsspielräume und Entfaltungsmöglichkeiten durch den institutionellen Charakter der Sportorganisation (z.B. durch den Trainer oder Mannschafts- bzw. Gruppennormen) eingeschränkt, so dass der Wunsch nach unkontrollierten Verhalten entsteht (ebd.).13 Darüber hinaus führen Conner und Mazanov (2010) an, dass sich das Verhältnis zwi- schen Sportjournalisten und Sportlern verändert habe. Während prekäre Informationen damals zurückgehalten wurden, um den Kontakt zu den Sportlern zu pflegen, werden sie nun im Zwei- felsfall veröffentlicht. Der Fokus auf negative Nachrichten ist dabei nicht zuletzt auf den hohen Konkurrenzdruck zwischen den Medienanstalten zurückzuführen, die um die Aufmerksamkeit der Rezipienten kämpfen.

3.3.2 Der Sportskandal und die Bedeutung der Sportart

Negative Informationen über Sportler können in nahezu jeder erdenklichen Form und unter verschiedenen Umständen auftreten (siehe auch Kapitel 2.3). Es stellt sich daher die Frage, wie sich diese Normverstöße von Sportlern systematisieren lassen, um letztlich von einem Sport- skandal sprechen zu können. Häufig erfolgt in diesem Zusammenhang eine strikte Unterschei- dung zwischen negativen Informationen, die durch Handlungen im Sport (Doping, unfaires sportliches Verhalten, Misserfolge, etc.) oder durch Handlungen im Privatleben (Ehebruch, Dro- genmissbrauch, Steueraffären, Straftaten, etc.) auftreten (Sassenberg, 2010; Schaaf, 2010; Morgan, Summers & Sassenberg, 2008; White, 2011). Folgt man den Ausführungen von Rowe (1997) zur erwarteten Kongruenz zwischen Person und Persona (siehe Kapitel 3.3.1), erweist sich diese Trennung als unbrauchbar. Obwohl auch Sassenberg (2010, S. 6) dieser strikten Trennung folgt, räumt sie ein, dass die Auswirkungen von Normverstößen im Privatleben von professionellen Sportlern sensibel von der ausgeübten Sportart abhängen können: „As different types of sports have different codes of conduct and different expectations of what is acceptable, the type of sport seems relevant in determining the magnitude of the impact that a transgression might have“. Bei dem Versuch, einen konstitutiven Rahmen für einen Sportskandal zu entwi- ckeln, greifen Hughes und Shank (2005) genau diesen Aspekt auf. Sie identifizieren insgesamt vier Merkmale, die einem Sportskandal zu Grunde liegen: Ein Skandal ist demnach (1) entwe- der illegal oder unmoralisch, (2) betrifft mehrere Personen oder Personengruppen (3) über ei- nen andauernden Zeitraum und - (4) verletzt die Integrität der betreffenden Sportart (ebd.). Dabei kann die Verletzung der Integrität der betreffenden Sportart unabhängig davon erfolgen, ob der Verstoß im Rahmen des Sports oder auf privater Ebene stattfindet. Der zentrale Aspekt ist die Verletzung einer Erwartungshaltung, die wiederum eng mit den Attributen der Sportart oder des Sportlers verbunden ist.

Um diesen Aspekt weiter zu veranschaulichen, soll kurz Bezug auf ein Modell von Storm und Wagner (2010) genommen werden, das drei Idealtypen eines Skandals beschreibt (Abbil- dung 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.4. Vektoransatz eines Sportskandals (Storm und Wagner, 2010, S. 18)

„All three types seek to identify how an ideal-typical sports scandal dislocates existing expecta- tion structures” (Storm & Wagner, 2010, S. 17). Erwartungshaltungen werden demnach entweder in Bezug zu bestehenden Traditionen, Charaktereigenschaften oder bürokratischen Struktu- ren gebrochen. Dabei treten diese Idealtypen nicht in reiner Form auf, sondern mit einer jeweils unterschiedlichen Gewichtung der drei Vektoren. Die Auswirkungen des Skandals hängen schließlich von der Gewichtung der unterschiedlichen Vektoren ab (ebd.). Als plakatives Bei- spiel sei hier das Sexualdelikt von Mike Tyson angeführt: Aufgrund der geringen Differenz sei- ner Brutalität und Gnadenlosigkeit innerhalb und außerhalb des Rings zeigte sich hier ein relativ kongruentes Bild von Person und Persona. Da in diesem Fall keine charismatische Dislokation vorliegt, konzentrierte sich die Medienberichterstattung schnell auf die institutionellen Rahmen- bedingungen („bureaucratic dislocation“) hinsichtlich der sexuellen Beziehung von Sportstars zu ihren „Sportgroupies“ (vgl. Rowe, 1997). „In the Tyson affair, the focus shifted quickly away from the perpetrator of the scandal and onto its institutional formation and exploitation“ (ebd., S. 215). Betrachtet man vergleichend die Tiger Woods Affäre, so bestehen vorrangig Verletzungen tradi- tioneller (Ehebruch) und charismatischer Erwartungshaltungen, die nicht zuletzt auf Grund der Sportart (Golf) und der damit verbundenen Werte aufgebaut wurden.

3.4 Übertreibungen und der Umgang mit ungesicherten Informationen

Skandale basieren häufig auf der übertriebenen Darstellung tatsächlicher Normverstöße. Nach Kepplinger (2011 a) sind Übertreibungen zu unterscheiden, die entweder in Kenntnis oder aber in Unkenntnis der Tatsachen erfolgen. Bei absichtlichen Übertreibungen sind dem Journalisten die Fakten bekannt - es handelt sich um Differenzen zwischen der Realitätssicht des Journalisten und seiner Darstellung der Realität (Abbildung 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5. Übertreibungen und der Umgang mit Ungewissheit (Eigene Darstellung in Anlehnung an Kepplinger, 2011 a, S. 163 f.)

Sollten bestimmte Sachverhalte wie z.B. die Größe von bestehenden oder drohenden Schäden zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht bekannt sein, so handelt es sich hingegen um Diffe- renzen zwischen der Realität und der Realitätssicht (bzw. der Realitätseinschätzung) des Jour- nalisten. In diesem Fall kann nicht von absichtlichen Übertreibungen die Rede sein, sondern vom Umgang mit Ungewissheit (ebd.). Beide Formen sollen im Folgenden kurz dargestellt wer- den.

3.4.1 Umgang mit Ungewissheit

Der Umgang mit Ungewissheit gehört zum journalistischen Alltag. Viele Nachrichten enthalten Vermutungen über das Eintreten gewisser Ereignisse (z.B. der griechische Staatsbankrottsog. Zukunftsaussagen) oder suggerieren durch das Übergehen von Wahrscheinlichkeiten eine höhere Relevanz ihrer Nachrichten (z.B. Schweinegrippe - sog. Risikodarstellungen) (Kepplinger, 2011 b). Nach Kepplinger (2011 b, S. 100) enthalten einfache Nachrichten zwei implizite Wahrscheinlichkeitsaussagen: „[E]ine über die Existenz des Sachverhaltes und eine über die Richtigkeit der Information“. Demnach stellt sich für Medienschaffende die Frage, ob und auf welche Weise sie die Unsicherheiten ihrer Nachricht kennzeichnen. Sie können einer- seits auf die Wahrscheinlichkeit hinweisen, mit der ein Ereignis eingetreten ist oder eintreten wird (Wahrscheinlichkeit des Geschehens), oder Hinweise darüber geben, mit welcher Sicher- heit ihre Vermutungen zutreffen (Wahrscheinlichkeit von Existenzbehauptungen) (Kepplinger, 2011 b). Inwiefern dieser Spielraum zu Ungunsten der Wahrheit bzw. zu Ungunsten einer rea- listischen Einschätzung von Bedrohungen genutzt werden kann, veranschaulicht Kepplinger anhand zweier Fallstudien zur Berichterstattung über den BSE-Skandal und der Öl-Brände im Irak (vgl. ebd., für weitere Studien siehe zusammenfassend Kunczik & Zipfel, 2005, S. 212 ff.).14 Die Ursachen für den fragwürdigen Umgang mit Unsicherheit können natürlich primär in einem Mangel an verlässlichen und passend vorliegenden Informationen liegen. Inwiefern die hier thematisierten Formen von übertriebenen Darstellungen auf das Rollenverständnis von Journa- listen, welches das Publizieren von unsicheren Informationen zu Zwecken der Aufklärung der Gesellschaft u.U. rechtfertigt (Deutscher Presserat, 2008), oder auf „institutionell bedingte Fak- toren wie Aktualitätsdruck und […] Zwang zur Steigerung von Quote und Auflage“ zurückzufüh- ren ist (Kunczik & Zipfel, 2005, S. 220 f.), soll an dieser Stelle nicht weiter hinterfragt werden.

3.4.2 Absichtliche Übertreibungen

Absichtliche Übertreibungen stehen in einem krassen Widerspruch zum journalistischen Rollen- verständnis. Nach Ziffer 2 des Pressekodex sind die zu publizierenden Informationen „auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben“ (Deutscher Presserat, 2008, S. 3). Dieser wird im Tagesgeschäft deutscher Redakteure scheinbar nur bedingt berücksich- tigt. Nach einer Untersuchung von Kepplinger (2011a) halten 26 Prozent der befragten Redak- teure Übertreibungen generell (!) und weitere 52 Prozent in Ausnahmefällen für vertretbar. Nur ein Fünftel sprach sich generell gegen überspitze Darstellungen von Sachverhalten aus (ebd.).15 Redakteure, die nur in Ausnahmefällen überspitzte Darstellungen für vertretbar halten (52%), nannten die „Beseitigung eines Missstandes“ (88%), den „Reiz einer starken Geschich- te“ (26%), die „Zwänge des Wettbewerbs um Leser“ (18%), „Diskussionsanregungen“ (5%), „Stilmittel, z.B. in Glossen“ (2%) oder das klare Herauszuarbeiten eines Themas (1%) als Ausnahme, die für sie eine Übertreibung rechtfertigt.

Es ist festzuhalten, dass das Mediensystem Voraussetzungen schafft, die das Publizieren von überspitzt dargestellten Inhalten, vagen (aber nicht als vage gekennzeichneten) Zukunftsprog- nosen oder relationslosen Risikodarstellungen fördern. Unabhängig davon, ob jene Formen der Übertreibung aus kommerziellen Motiven oder dem Rollenverständnis journalistischer Arbeit hervorgehen, ist ihnen - einzeln oder in Summe - eine Wirkung zuzuschreiben, die einerseits die Rezipienten und anderseits die Protagonisten der Berichterstattung betrifft (Kepplinger, 2011a).

4 Theoretische Grundlagen

Um sich der eingangs formulierten Fragestellung auf theoretischer Ebene zu nähern, sollen unterschiedliche Erklärungsansätze herangezogen werden. Dabei ist der Anspruch dieser Ar- beit, die Wahrnehmung von negativen Informationen und ihre werberelevanten Auswirkungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten: Zum einen soll eine Auseinandersetzung mit dem (möglichen) Transfer von negativen Kognitionen auf ein beworbenes Produkt erfolgen. Dazu werden lerntheoretische Ansätze sowie Modelle aus der Kognitions- und Sozialpsycholo- gie vorgestellt. Da die Verarbeitung von negativen Informationen maßgeblich von der medialen Aufbereitung abhängt, wird das Konzept des Framing dargestellt. Dabei geht es in Anlehnung an Scheufele (2004) in erster Linie um einen wirkungszentrierten Framing-Ansatz, der „beleuch- tet, inwieweit eine bestimmte Rahmung in den Medien (…) die Vorstellungen, Urteile und Ent- scheidungen von Rezipienten (…) beeinflusst“ (S. 48). Schließlich wird in Anlehnung an das Source Credibility Modell nach Hovland der Effekt der Glaubwürdigkeit einer Quelle vor dem Hintergrund der Informationsverarbeitung und Einstellungsbildung beleuchtet. Einleitend wer- den einige grundlegende Besonderheiten bei der Verarbeitung von negativen Informationen angerissen.

4.1 Besonderheiten bei der Verarbeitung negativer Informationen

Negative Informationen, wie sie im Folgenden betrachtet werden, können grundlegend als „presentation of input which somehow denigrates the object of the message“ verstanden wer- den (Weinberger, Allen & Dillon, 1981, S. 399). Im Vergleich zu positiven Informationen üben sie einen gewaltigen, überproportionalen Effekt auf die menschliche Informationsverarbeitung und Eindrucksbildung aus (Weinberger et al., 1981; siehe auch Fiske, 1980; Ito, Larsen, Smith & Cacioppo, 1998; Kensinger & Corkin, 2003; Mizerski, 1982; Smith & Petty, 1996; Skowronski & Carlston, 1987). Die enorme Tragweite dieses Phänomens, das allgemein als „Negativity- Bias“ (oder „Negativity Effect“) bezeichnet wird (Rozin & Royzman, 2001), kann an dieser Stelle nicht vollständig aufgearbeitet werden.16 Es soll allerdings kurz aufgezeigt werden, warum negative Informationen eine derartige Wirkung zeigen und welche Auswirkungen diese bei der Bewertung von Personen haben.

Einen globalen Erklärungsansatz liefern Baumeister, Bratslavsky, Finkenauer und Vohs (2001). Sie erläutern aus evolutionstheoretischer Perspektive, dass Organismen, die sensibel auf nega- tive Informationen reagieren, eher dazu in der Lage sind, Bedrohungen zu überleben, ihre Gene zu verteilen und schließlich ihre Art zu erhalten. Menschen seien daher im Zuge ihrer Entwick- lung psychologisch so konstruiert, dass sie negativen Informationen von Natur aus eine höhere Bedeutung beimessen. Die Tatsache, dass soziale (und biologische) Systeme auf die Funkti- onsfähigkeit ihrer einzelnen Komponenten angewiesen sind, unterstreicht diese These. Wäh- rend keine einzelne Komponente dazu in der Lage ist, ein System zu erhalten, kann das Fehlen einer beliebigen Komponente den Zusammenbruch des gesamten Systems bewirken.17 Analog dazu veranschaulicht das sog. Kettenprinzip („ chain principle “) bildhaft, dass die Wirkungskraft einer Kette von der Stärke ihres schwächsten Gliedes abhängt: Während die Schwächung ei- nes beliebigen Gliedes die gesamte Kette schwächt, hat die Stärkung eines beliebigen Gliedes keinen Effekt auf die Stärke der Kette (ebd.). Nach Baumeister et al. (2001) schlägt sich diese Gewichtung auch im menschlichen Informationsverarbeitungsprozess nieder.

Mit Bezug auf die eingangs formulierte Fragestellung soll die Relevanz negativer Informationen im Bereich der Personenwahrnehmung und Eindrucksbildung („impression formation“) aufgezeigt werden. Dabei geht es grundlegend darum, den Einfluss bestimmter Informationen auf die Gesamtbewertung einer Person zu untersuchen. „A robust finding in the impression formation literature is the negativity effect; that is, people place more weight on negative than positive information in forming overall evaluations of a target” (Ahluwalia, 2001, S. 204). Im Folgenden sollen einige Gründe dafür aufgezeigt werden.

4.1.1 Diagnostiziät

Skowronski und Carlston (1987) gehen davon aus, dass Personen andere Individuen (und Ob- jekte) auf der Grundlage der verfügbaren Informationen (Hinweise) kategorisieren. Da der In- formationsgehalt der einzelnen Hinweise stark variiert, sind bestimmte Hinweise besser dazu geeignet, alternative bzw. konkurrierende Kategorien auszuschließen. Diese Eigenschaft be- zeichnen Skowronski und Carlston (1989, S. 436) als „category diagnosticity“. Je höher der Grad der Diagnostizität einer Information ist, desto klarer kann eine kategoriale Zuordnung er- folgen. Je klarer diese Zuordnung aufgrund der vorliegenden Hinweise erfolgen kann, desto klarer gestaltet sich auch der Gesamteindruck über die betreffende Person. Informationen mit einem hohen Grad an Diagnostizität werden also bei der Eindrucksbildung stärker gewichtet, da sie einen höheren Beitrag zum Gesamteindruck leisten. Ganz allgemein wird negativen Hinwei- sen in diesem Zusammenhang ein stärkerer diagnostischer Charakter zugeschrieben, weil die Zuordnung zu positiven Kategorien im Falle der Präsenz von negativen Informationen deutlich schwieriger ist als umgekehrt. Die Präsenz von positiven Hinweisen stellt hingegen kein Aus- schlusskriterium für die Zugehörigkeit zu negativen Kategorien dar (Baumeister et al., 2001). Betrachtet man bspw. die Bewertung der Ehrlichkeit einer Person, dann besitzt der Hinweis, jemand habe in einer wichtigen Angelegenheit gelogen, eine stärkere Diagnostizität als die In- formation, jemand habe in einer anderen wichtigen Angelegenheiten die Wahrheit erzählt. Da auch Lügner häufig die Wahrheit erzählen, ist dieser Hinweis weniger informativ (bzw. diagnos- tisch) und wird entsprechend geringer gewichtet.18

4.1.2 Häufigkeit und Erwartungshaltung

Neben der Diagnostizität negativer Informationen tragen zwei weitere Aspekte zu der stärkeren Gewichtung von negativen Informationen bei: Zum einen die unterschiedliche Häufigkeit, mit der negative und positive Ereignisse auftreten, und zum anderen die Erwartungshaltung der Rezipienten (Smith & Petty, 1996). Ganz allgemein wird davon ausgegangen, dass negative Informationen im Zusammenhang mit Personen seltener auftreten und dadurch als herausra- gender (im negativen Sinne) oder außergewöhnlicher wahrgenommen werden (Fiske, 1980; Mizerski, 1982; Smith & Petty, 1996; Weinberger et al., 1981). Dadurch erzeugen sie mehr Aufmerksamkeit und werden schließlich tiefer verarbeitet als positive Informationen. Die gerin- gere Frequenz negativer Informationen ist konsequenterweise auch mit der menschlichen Er- wartungshaltung verbunden (Rozin & Royzman, 2001). Wird diese etwa durch eine unerwartet auftretende negative Information verletzt, wird die Information einer genaueren Untersuchung („scrutiny“) unterzogen (Smith & Petty, 1996). Mizerski (1982, S. 302) beschreibt in diesem Zusammenhang eine überraschend auftretende negative Information als „more shocking or surprising, and therefore has more influence on forming evaluations”. In Anlehnung an Lalwani (2006) basiert sowohl die These der Häufigkeit, als auch die These der Erwartungshaltung auf der Grundannahme, dass Menschen die Welt und ihr Leben im Ganzen als positiv betrachten.19 Demnach liegt der Ausgangspunkt für die Bewertung von Sachverhalten tendenziell weiter im positiven Bereich einer fiktiven Bewertungsskala (ebd.). Negative Informationen stellen somit einen stärkeren Kontrast zu den Erwartungen dar und werden als extremer angesehen. Eine stärkere Verarbeitung negativer Informationen erfolgt also einerseits, weil sie seltener auftreten (Reiz des Neuen), und andererseits weil sie einen größeren Kontrast zu den Erwartungen bilden und als extremer wahrgenommen werden (ebd.).

4.2 Transfertheoretische Ansätze

Geraten Sporttestimonials in Verbindung mit negativen Informationen, werden diese zunächst vom Rezipienten verarbeitet und können schließlich zu einer Änderung der Einstellung gegen- über dem Testimonial führen. Durch die bewusst hergestellte, enge Verbindung zwischen Tes- timonial und Produkt können die negativen Informationen auch auf das Produkt übertragen werden (Abbildung 6).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6. Schematische Darstellung des Übertragungsprozesses negativer Informationen (Eigene Darstellung in Anlehnung an Kahuni, Rowley & Binsardi, 2009)

Das Phänomen des (negativen) Imagetransfers wurde in der Werbewirkungsforschung (und vor allem anhand der Übertragung positiver Eigenschaften) vielfach empirisch untersucht und be- stätigt (Glogger, 1999). Im folgenden Kapitel sollen die entsprechenden theoretischen Grundla- gen herausgestellt werden. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf die Voraussetzungen gelegt werden, unter denen ein möglicher Transfer von negativen Informationen möglich wird.

4.2.1 Assoziative Netzwerke und Aktivierungsausbreitung

Assoziatives Lernen aus kognitivistischer Perspektive basiert auf der Grundannahme, das Ge- dächtnis funktioniere als eine Art Netzwerk, dessen Gedächtnisinhalte untereinander durch Assoziationen miteinander verbunden sind (Till & Shimp, 1998). Assoziative Netzwerke beste- hen grundlegend aus zwei Komponenten: Knotenpunkten und Verbindungen. Dabei repräsen- tieren Knotenpunkte bestimmte Wissenseinheiten („ concepts “), während die Verbindungen („ links “) zwischen diesen Knotenpunkten die semantische Relation der Wissenseinheiten bzw. die Assoziationen darstellen (Anderson & Pirolli, 1984). Nach Collins und Loftus (1975) ergibt sich die volle Bedeutung einer Wissenseinheit erst über alle verfügbaren Verbindungen, die ihrerseits wiederum über eine Vielzahl an Knotenpunkten hinausgehen können. Verbindungen zwischen Knotenpunkten weisen darüber hinaus eine unterschiedliche Relevanz für jede Wis- senseinheit auf (ebd.). Abbildung 7 zeigt die schematische Darstellung (eines Fragmentes) eines assoziativen Netzwerkes.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7. Schematische Darstellung der Verbindung von Wissenseinheiten (Collins & Loftus, 1975, S. 412)

Die temporäre Zugänglichkeit von im Langzeitgedächtnis gespeicherten deklarativen Wissenseinheiten hängt von ihrer situativen Relevanz und damit ihrem Aktivierungsgrad ab. Erst wenn dieser einen Schwellenwert übersteigt, werden Informationen für das Arbeitsgedächtnis zugänglich (Anderson, 1983). Die Aktivierung von Wissenseinheiten erfolgt jedoch nicht isoliert voneinander. Tragen verbundene Wissenseinheiten zur Gesamtbedeutung der ursprünglich abgefragten Wissenseinheit bei, werden diese durch Ausbreitung der Aktivierung ebenfalls verfügbar gemacht. Anderson und Pirolli (1984, S. 791) beschreiben den Vorgang der Aktivierungsausbreitung („ Spreading Activation “) als einen Prozess, „by which activation spreads from node to node along network links, making knowledge associated with particular sources of activation (...) available for processing”. In welcher Breite benachbarte Knotenpunkte aktiviert werden, hängt von der Stärke der ursprünglich aktivierten Wissenseinheit ab (Anderson, 1983).

Wenn nun zwei Knotenpunkte, die zunächst keinerlei assoziative Verbindungen zueinander haben, künstlich miteinander verbunden werden, entsteht nach einiger Zeit eine simultane Akti- vierung der relevanten Netzwerkinformationen beider Knotenpunkte, die daraufhin dem Arbeits- gedächtnis zur Verfügung stehen. Sobald die Verbindung stark genug ist, werden z.B. bei der Verarbeitung von produktbezogenen Gedächtnisinhalten auch die relevanten Wissenseinheiten des verbundenen Testimonials aktiviert. Somit werden auch negative Informationen, die im Falle eines Skandals mit dem Testimonial assoziiert werden, mit dem Produkt in Verbindung gebracht, da die entsprechenden Knotenpunkte bzw. Wissenseinheiten simultan aktiviert wer- den.

[...]


1 ADIDAS zahlte im Jahr 2010 die astronomische Summe von 260.000.000 € für den Basketballer Derrick Rose, der sich im Gegenzug 10 Jahre als Testimonial für ADIDAS Basketballschuhe verpflichten ließ.

2 Neben dem Begriff „Celebrity Endorser“ werden teilweise die Begriffe „Spokesperson“ oder „Presenter“ synonym verwendet (Haase, 2001).

3 Insbesondere beim simultanen Einsatz mehrerer Kommunikationsmaßnahmen können Interaktions- und Interdependenzeffekte auftreten („Spill-over-Effekte“). „Carry-over-Effekte“ treten auf, wenn Werbemaßnahmen aus vorherigen Werbekampagnen auf den Rezipienten nachwirken. Zusätzlich können konjunkturelle Einflüsse und Konkurrenzaktivitäten die Zurechenbarkeit von ökonomischen Zielgrößen stören (Woisetschläger, 2006, S. 38 f.).

4 Diese Ergebnisse beziehen sich auf eine Erhebung des tns-emnid Instituts, bei der Marketingverantwortliche (n=202) aus den 500 größten deutschen Unternehmen befragt wurden.

5 Natürlich werden auch andere Zielgrößen untersucht: So lässt sich z.B. anhand von Ereignisstudien („event studies“) der Einfluss von Testimonialwerbung auf Aktienkurse untersuchen (siehe z.B. Agrawal & Kamakura, 1995; Louie, Kulik & Jacobson, 2001).

6 Förster (2007) untersuchte ein Archiv aller wichtigen deutschen Zeitungen und Zeitschriften nach dem Begriff „Skandal“ und konnte im Zeitraum von 1996 (3879 Beiträge) bis 2006 (7125 Beiträge) fast eine Verdoppelung der Treffer feststellen (nach Bergmann & Pörksen, 2009).

7 In Anlehnung an Neckels (1989, zit. nach Bulkow & Petersen, 2011).

8 Bergmann und Pörksen (2009) fragen, ob Skandale der Gesellschaft nützen oder schaden. Kepplinger (2009) sieht sie einerseits als wichtiges Korrektiv für das Versagen von Kontrollmechanismen einer demokratischen Gesellschaft. An sich stelle die Skandalisierung von Missständen jedoch noch keinen Wert dar, sondern hänge von der Abwägung verschiedener Faktoren ab (z.B. Art und Größe des Missstandes, intendierte positive Folgen, nicht intendierte negative Folgen, etc.). Burkhardt (2006) hält die Reduzierung der Skandalisierung im Sinne einer ökonomischen Ausrichtung des Mediensystems auf Profitmaximierung für zu kurz gegriffen. Eine abschließende Antwort auf diese Frage anhand einer ausführlichen Darstellung und Bewertung der gesellschaftlichen Funktionen von (Medien-)Skandalen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Für einen systemtheoretischen Zugang siehe Burkhard (2006, S. 112 ff.) oder - speziell für das gesellschaftliche Teilsystem Sport - Storm und Wagner (2011).

9 Burkhardt scheint sich an dieser Stelle selbst nicht ganz sicher zu sein, ob die „sehr große Quantität der Berichterstattung (…) scheinbar schlagartig mit der Latenzphase“ einsetzt (2011, S. 142), oder ob in der Latenzphase „im Vergleich zu den folgenden Phasen relativ wenig Berichterstattung“ stattfindet (2006, S. 181).

10 So bestätigt bspw. der Enthüllungsjournalist Hans Leyendecker, dass er Informationen über skandalöse Ereignisse portioniere, um die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu gewinnen und aufrecht zu erhalten „Niemand kann jedoch von mir verlangen, dass ich alles, was ich weiß, auf einmal präsentiere“ (Lyendecker, 2009, zit. nach Bergmann & Pörksen, 2009, S. 212).

11 Wenn in den folgenden Ausführungen von „Sportlern“ gesprochen wird, so sind stets professionelle Sportler gemeint, die medial präsent sind.

12 Nach Roach und Sharyn (2006, zit. nach Conner & Mazanov) sind junge Männer im Alter zwischen 20 und 24 Jahren besonders anfällig für Normverstöße.

13 Nach Goffman (1961) repräsentiert der Spitzensport eine totale Institution „where individuals are subsumed within an all-encompassing social structure that limits their expression and tightly controls their actions” (zit. nach Conner & Mazanov, 2010, S. 215).

14 Zum BSE-Skandal: Die Nachrichten, die verschiedene Tageszeitungen und Magazine innerhalb eines Jahres zum BSE-Skandal veröffentlichten, enthielten verblüffend wenig Informationen (im einstelligen Prozentbereich) über die bestehenden Risiken (Zahl der BSE-Rinder in Deutschland, registrierte Fälle von vCJK in Deutschland, etc.), welche die vermeintliche Bedrohung dramatisch relativiert hätten. Zu den Ölbränden: Untersucht wurde die Berichterstattung des Spiegel und der FAZ. Beide Medien hatten unterschiedliche und im Nachhinein als falsch zu betrachtende Vorstellun- gen von den Folgen der Öl-Brände. Dabei charakterisierten sie die erwarteten Entwicklungen nicht nur inhaltlich unter- schiedlich, sondern gingen auch unterschiedlich mit der fragwürdigen Sicherheit ihrer Zukunftsaussagen um. Während der Spiegel seine Ansichten als relativ sicher darstellte und mit passenden „Expertenaussagen“ untermauerte, blieb die FAZ vorsichtiger und ließ auch Experten zu Wort kommen, die eine konträre Ansicht zu den erwarteten Entwicklung hatten (Kepplinger, 2011 b).

15 Zwei Prozent haben sich enthalten.

16 Für umfassende Einblicke siehe Baumeister, Bratslavsky, Finkenauer und Vohs (2001) oder Rozin und Royzman (2001).

17 Baumeister et al. (2001) beziehen sich einerseits auf soziale Systeme, in denen die Komponenten Wasser, Nahrung und Schutz gegenüber Feinden das Funktionieren des Systems gewährleisten. Auf biologischer Ebene nennen sie das Zusammenspiel der Organe (Herz, Lunge, Leber, Magen, Gehirn, etc.).

18 Dieser Ansatz schließt allerdings nicht aus, dass auch positive Hinweise vergleichsweise stärker verarbeitet werden können, wenn sie eine höhere Diagnostizität aufweisen („Positivity-Bias“). So sind bspw. positive Hinweise für die Bewertung von Intelligenz (Skowronski & Carlston, 1989) oder von Fähigkeiten (Lewicka, Czapinsinki & Peeters, 1992) meist informativer und diagnostischer als negative Hinweise. Für die (moralische) Bewertung von Personen sind jedoch negative Hinweise ausschlaggebender.

19 Lalwani (2006, S. 13) verweist auf eine Reihe von Arbeiten, die diese These stützen. Dieser Ansatz lässt sich für bestimmte Bereiche spezifizieren: So liegt bspw. die Erwartungshaltung gegenüber professionellen Sportlern hinsicht- lich der Einhaltung gesellschaftlicher Normen höher als bspw. bei Rock-Musikern. Nach Baumeister et al. (2001) ist die These jedoch auf Amerikaner und Westeuropäer (dort wo ein Großteil der Forschungsarbeit stattfindet) zu beschrän- ken.

Ende der Leseprobe aus 119 Seiten

Details

Titel
Skandale und Sporttestimonials
Untertitel
Der Einfluss medialer Darstellungsweisen auf die Wahrnehmung und Bewertung von Produkt und Testimonial
Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln
Autor
Jahr
2012
Seiten
119
Katalognummer
V306378
ISBN (eBook)
9783668055643
ISBN (Buch)
9783668055650
Dateigröße
4609 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
skandale, sporttestimonials, einfluss, darstellungsweisen, wahrnehmung, bewertung, produkt, testimonial
Arbeit zitieren
M.A. Tobias Menzel (Autor:in), 2012, Skandale und Sporttestimonials, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306378

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Skandale und Sporttestimonials



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden