Bewerten, Beurteilen und Benoten. Alternative Methoden zur Leistungsbewertung im Sportunterricht


Masterarbeit, 2015

97 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärung
2.1 Leisten und Leistung
2.2 Leistungsmessung und Leistungsbewertung

3. Problematiken der Leistungsbewertung im Sportunterricht
3.1 Relevanz der Notengebung für das Fach Sport
3.2 Rechtliche Bestimmungen zur Leistungsbewertung im Sportunterricht
3.3 Funktionskonzepte schulischer Leistungsbewertung
3.4 Die Sportzensur
3.4.1 Vor- und Nachteile
3.4.2 Die Dreikomponentennote
3.5 Beurteilungsfehler

4. Alternative Methoden der Leistungsbewertung
4.1 Kriterienkatalog
4.2 Kompetenzbeurteilungsbögen
4.3 Lernentwicklungsbericht
4.4 Alternative Bewertungsmethoden unter Einbeziehung der SuS
4.4.1 Allgemeine Ziele der Schülermitbestimmung
4.4.2 Die Selbstbewertungsmethode Beispiel: Das „Kann-Buch“
4.4.3 Wechselseitige Bewertung Beispiel: Die „Turn-Jury“

5. Untersuchung einer alternativen Methode der Leistungsbewertung am Beispiel der „Turn-Jury“
5.1 Konzeption der Untersuchung
5.1.1 Inhalt und Zielsetzung
5.1.2 Der Untersuchungsrahmen
5.1.3 Die Untersuchungsgruppe
5.2 Durchführung der Unterrichtseinheit
5.2.1 Ergebnisdarstellung
5.3 Theoretische Darstellung und Einordnung der Forschungsmethode
5.4 Durchführung und Auswertung der Datenerhebung
5.4.1 Der Gesprächsleitfaden
5.4.2 Das Schüler-Interview
5.4.3 Das Lehrer-Interview
5.4.4 Zusammenfassung der Datenerhebung

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

"Nicht die Ziffern von 1 bis 6 sind das eigentliche Übel, ... sondern die Urteilsprozesse, die zu diesen Ziffern hinführen." (R. Schwarzer)

Das Zitat, welches diese Arbeit einleitet, initiiert bereits die Problematik, mit der sich diese Arbeit auseinandersetzt.

Seit vielen Jahren wird die Sinnhaftigkeit und der Zweck einer Notenvergabe im Schulsport fachdidaktisch und fachpädagogisch diskutiert. Dabei stehen sowohl die Inhalte und Formen der Notenvergabe als auch die Lehrerinnen und Lehrer als Zensierende im Fokus der Debatte. Im Rahmen dieser Unstimmigkeiten stellt sich immer wieder die Frage, warum müssen Schüler[1] dann eigentlich bewertet werden? Ist es nicht ausreichend sie gut zu unterrichten und ihnen damit Freude am Lernen bzw. Sporttreiben zu bereiten?

Scheint es aus pädagogischer Sicht auch noch so wünschenswert, sich von einer Leistungsbewertung zu distanzieren und sich nur auf die Qualität des Unterrichts zu konzentrieren, so unumgänglich ist auch die Tatsache, dass die Schule in unserer Gesellschaft eine Berechtigungsfunktion übernommen hat und somit zur Leistungsbeurteilung, zum Vergleich von Schülern und anschließend zur Selektion verpflichtet ist.

Aus diesem Grund soll der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht auf einer grundsätzlichen Diskussion über die Notwendigkeit der Leistungsbewertung liegen, sondern viel mehr an der Qualität des eigentlichen Bewertungs-prozesses ansetzen.

Im Sportunterricht stellt die Leistungsbewertung eine besondere Anforderung dar, weil hier motorische Leistungen ermittelt werden und dabei, im Gegensatz zu anderen Fächern, individuelle körperliche Voraussetzungen eine Rolle spielen. Dennoch muss auch der Bewertungsprozess im Sportunterricht den Mindestanforderungen an Transparenz und Objektivität als allgemeinen Bewertungsprinzipien genügen.

Für die Bewertung und Zensierung von Schülerleistungen werden dabei in der Regel fremdbestimmte Normen und Maßstäbe als Grundlage der Beurteilung verwendet. Diese Bewertungskriterien werden von den Schülern meist hingenommen, aber nur selten vollständig akzeptiert oder verstanden.

Dieser Umstand kann dazu führen, dass das Lernen und Leisten im Sportunterricht als Zwang zum „Noten-Machen“ abgestempelt wird. Die Schüler fühlen sich infolgedessen unter Druck gesetzt, sind demotiviert und verlieren zunehmend das Interesse am Sporttreiben. Das kann und darf nicht das Ziel von Sportunterricht sein. „Eine Reform der Leistungsbewertung ist überfällig“ (Winter 2004, S.3).

In Anlehnung an dieses Zitat legt die vorliegende Arbeit ihren Schwerpunkt auf die kritische Auseinandersetzung mit der herkömmlichen Leistungsbewertung und bietet davon ausgehend neue Ansätze und Methoden, die den Bewertungsprozess pädagogisch sinnvoll optimieren können. Die Aufmerksamkeit im Bewertungs- und Zensierungsprozess soll dabei auf die Schüler gelenkt werden. Welche Möglichkeiten gibt es, die Schülerleistungen in der Bewertung differenzierter zu betrachten und den Bewertungsprozess für die Lernenden transparenter zu machen?

Diese Überlegungen führten zu der Frage, ob man Schüler nicht in diesen Prozess integrieren kann, sie ein Stück weit mitbestimmen lässt und somit mehr Transparenz und Zufriedenheit schafft. Um diese Frage zu beantworten, wird eine der vorgestellten alternativen Bewertungsmethoden in der Praxis durchgeführt und anschließend qualitativ ausgewertet. Dadurch sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, inwieweit diese Form der Bewertung im Schulalltag überhaupt anwendbar ist und wie die Möglichkeit zur Mitbestimmung von Schülern und Lehrern empfunden wird. Hierfür wird insbesondere der Einfluss der Alternativmethode auf die Merkmale Zufriedenheit, Transparenz und Motivation untersucht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das wesentliche Ziel der Arbeit ist, auf die verschiedenen Problematiken des Bewertungsprozesses hinzuweisen und neue schülerorientiertere Möglichkeiten in den Fokus zu rücken.

Anhand des Forschungsteils soll dann die Frage beantwortet werden ob und inwieweit die durchgeführte Alternativmethode unter Einbeziehung der Schüler für die Unterrichtspraxis geeignet ist und welche Perspektiven Lehrer und Schüler hinsichtlich Zufriedenheit, Transparenz und Motivation haben.

Sekundär geht es aber auch darum, den Leser zum Nachdenken über die Problematik der Leistungsbewertung anzuregen. Was ist das Ziel einer „gerechten“ Leistungsbewertung? Gibt es diese überhaupt? Was steht im Mittelpunkt, die Leistung oder der Schüler? Diese und viele weitere Fragen, die sich im Rahmen dieser Arbeit stellen, sollen den Leser zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Bewertungsthematik bewegen und ihn dazu anhalten, über Möglichkeiten und Alternativen nachzudenken.

Zum Aufbau der Arbeit

Zu Beginn erfolgt die theoretische Klärung der Begrifflichkeiten und ihre Bedeutung für diese Arbeit. In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll den Leistungsbegriff im schulischen Kontext zu definieren. Darüber hinaus sollen die Prozesse der Leistungsmessung und -bewertung näher erläutert werden.

Im weiteren Verlauf geht es dann um einige Grundlagen und Bestimmungen zur Leistungsbewertung des Sportunterrichtes, wobei hier verstärkt auf die im Rahmen des Bewertungsprozesses auftretenden Problematiken eingegangen wird. Neben der Diskussion um die Relevanz der Notengebung für das Fach Sport, wird auch die Problematik der verschiedenen Notenfunktionen thematisiert. Beschrieben werden in diesem Zusammen-hang der Dualismus zwischen gesellschaftlicher und pädagogischer Funktion der Leistungsbewertung sowie der schmale Grad zwischen Motivation und Leistungsdruck.

Weiterhin erfolgt in diesem Kapitel eine kritische Auseinandersetzung mit der Sportzensur. Im Rahmen der Vor- und Nachteile soll geklärt werden, inwieweit die Zusammenfassung von Schülerleistungen zu einer solchen Ziffernote den Ansprüchen einer differenzeierten Leistungsbewertung gerecht werden kann. Im Anschluss daran soll die Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Beurteilungsfehler gerichtet werden, die den vermeintlich objektiven Bewertungsprozess stets beeinflussen können.

Auf Grundlage der dargestellten Problematiken werden im nächsten Kapitel alternative Methoden der Leistungsbewertung, die sich im Laufe der letzten Jahre herausgebildet haben, angeführt. Hierbei geht es zunächst darum, Methoden aufzuzeigen, die auf eine differenziertere Leistungsbeurteilung zielen. Dazu zählen die Beurteilungskriterienliste, Kompetenzbeurteilungs-bögen und eine Form der verbalen Beurteilung, der sogenannte Lernentwicklungsbericht. Alle drei Formen der Leistungsbewertung eignen sich dazu, eine detailliertere und differenziertere Auskunft und über den Lernstand und die Lernentwicklung der einzelnen Schüler zu geben.

Im zweiten Teil dieses Kapitels geht es dann um Möglichkeiten der Leistungsbewertung, bei denen Schüler direkt und indirekt in den Bewertungs- und Benotungsprozess einbezogen werden. In diesem Zusammenhang werden zwei verschiedene Anwendungsformen dargestellt. Die Schülerselbstbewertung, bei der die Lernenden ihr eigenes Lern- und Leistungsverhalten reflektieren und die wechselseitige Bewertung, bei der sich die Schüler gegenseitig bewerten.

Um letztlich ein differenziertes Urteil über die Funktionalität und Anwendbarkeit einer solchen Alternativmethode zu geben, folgt im empirischen Teil dieser Arbeit die Untersuchung einer Bewertungsmethode unter Einbeziehung der Schüler im konkreten Handlungsfeld des Sportunterrichtes. Zunächst werden die Konzeption der Untersuchung und die Forschungsmethode theoretisch dargestellt und kurz in den Kontext der empirischen Sozialforschung eingeordnet. Anschließend erfolgt die genaue Beschreibung der Durchführung, die dann systematisch ausgewertet wird.

Im abschließenden Fazit werden dann die Ergebnisse noch einmal zusammengefasst und in Bezug zu den theoretischen Ausgangspunkten gesetzt. Die Arbeit schließt mit einem kleinen Ausblick auf weitere Forschungsansätze.

2. Begriffserklärung

2.1 Leisten und Leistung

Der Leistungsbegriff spielt im täglichen Sprachgebrauch sowie in der gegenwärtigen bildungspolitischen Debatte eine beachtliche Rolle (vgl. Jürgens, 2005, S.26).

Auch in den Überlegungen zur Problematik der Leistungsbewertung und zu möglichen Alternativen der Leistungsbeurteilung ist eine Definition des schulisch gültigen Leistungsbegriffs zwingend notwendig. Natürlich muss der Leistungsbegriff immer hinsichtlich seiner verschiedenen Bezugsfelder geklärt werden, da es keine einheitliche Definition gibt. So wird Leistung beispielsweise im Wirkungsfeld der Physik oder der Wirtschaft grundlegend anders definiert als im schulischen bzw. pädagogischen Kontext.

Die folgenden Erläuterungen beziehen sich auf die menschliche Leistung, eben die, die auch in der Schule erbracht wird.

Die sprachlichen Wurzeln des Wortes „leisten“ stammen aus dem Lateinischen und sind auf „Fußspur“ oder „Furche“ zurückzuführen. Die Pädagogik kommt demnach zu folgender Definition: Leisten ist als das Handeln innerhalb einer vorgegebenen Spur zu verstehen und die Leistung ist das Produkt dieser zielgerichteten Handlung (vgl. Nuding, 1997, S.2).

Eine ähnliche, ergänzende Definition findet sich bei Balz/Kuhlmann (2003, S.194), die Leistung als Ergebnis einer absichtsvollen Handlung beschreiben, die anschließend bewertet, eingeordnet und verglichen werden kann. Leisten bezeichnet demnach den Prozess des Leistungsfortschritts über einen längeren Zeitraum.

Die Auffassung der Kultusministerkonferenz im Hamburger Abkommen, die noch heute in Zeugnis- Versetzungs- und Prüfungsordnungen ihre Gültigkeit hat, beschreibt Leistung als die Erfüllung von Aufgaben, für die die Schüler mit entsprechender Note oder Beurteilung bewertet werden.

Wenn der Leistungsbegriff für alle Fächer der Schule die gleiche Gültigkeit hat, ergibt sich die Art der Leistung aus der Art der Anforderung. Im Klassenunterricht werden beispielsweise andere Anforderungen gestellt als im Sportunterricht (vgl. Scherler, 2000, S. 169).

Eine Besonderheit tritt im Bezug auf den Schulsport auf. Hier wird der eigentlich wertneutrale Leistungsbegriff zunehmend mit Erfolg gleichgesetzt und es kommt zu einer Art Unterteilung in ‚Erfolg‘ und ‚Misserfolg‘. Im Schulsport ist Leistung somit eine Art Maßeinheit, die auf Erfolgsskalen beruht (vgl. Söll, 2005, S.374f).

Der Fachausdruck der Leistung wird in neueren pädagogischen Arbeiten allerdings als ein Überbegriff für eine Vielzahl von Kompetenzen verwendet, die eben nicht ausschließlich auf das sportliche Können ausgerichtet sind. Dazu zählen, in Anlehnung an die Sinnperspektiven des Sportunterrichtes,

(1) der kreative Umgang mit Sport sowie die Angstbewältigung und Risikoabschätzung als psychische und soziale Selbstkompetenz,
(2) die Sozialkompetenz mit dem Schutz der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler unter Einsatz von individuellen Normen,
(3) die Möglichkeit zur Dokumentation der individuellen Leistungssteigerung sowie die Reflektion über Lehr- und Lernwege in Form der Methodenkompetenz und
(4) die Sachkompetenz unter Berücksichtigung der theoretischen und praktischen Lehrinhalte (vgl. Almreiter 2008).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Kompetenzmodell der Leistung im Sportunterricht (vgl. Almreiter 2008)

Eine sportliche Leistung setzt motorische Fertigkeiten und Fähigkeiten als Grundlage voraus. Sie zeichnet sich durch Kenntnisse über die Voraussetzungen und Folgen von Bewegungshandlungen aus, damit diese effektiv und situationsgerecht genutzt werden können (vgl. Döring, 2009, S.14)

Die Leistung im Sportunterricht ist deutlich von denen des institutionalisierten, normengebundenen Sportes außerhalb der Schule abzugrenzen. Sie umfasst neben den motorischen, kognitiven und sozialen Dimensionen eine Beziehung zum schulischen Kontext, indem die subjektiven Leistungserfahrungen im Sinne einer Entwicklungsförderung pädagogisch gefiltert werden“ (Döring, 2009, S.15).

2.2 Leistungsmessung und Leistungsbewertung

Der Begriff Leistung meint also die Erfüllung einer bestimmten Anforderung. Dieser Erfüllung wird bei der Leistungsbewertung ein bestimmter Wert zugeschrieben. Diese Bewertung setzt allerdings zuvor eine Leistungsmessung voraus, das heißt, die erbrachten Leistungen müssen zunächst erfasst werden (vgl. Sacher in: Scherler, 2000, S. 175).

Der Messvorgang unterliegt stets den drei Gütekriterien: Objektivität, Validität und Reliabilität, die im späteren Verlauf noch kurz erläutert werden.

Leistungen lassen sich anhand von verschiedenen Skalenniveaus messen. Auf der Rangskala wird dem Messergebnis ein einfacher Wert zugeordnet, der eine Rangfolge festlegt, wie z.B. 1.Platz, 2. Platz. 3.Platz usw. Auf der Intervallskala wird der gemessenen Leistungen eine Zahl zugeordnet, die auch etwas über die Abstände zwischen den einzelnen Werten aussagt. Beispielsweise so: Schüler A war Erster und drei Sekunden schneller als der Zweite. Auf der Verhältnisskala wird zunächst ein Nullpunkt definiert um dann das Verhältnis der Werte zueinander bestimmen zu können. Also etwa so: Schüler A springt 3,20m, das ist doppelt so weit wie 1,60m (vgl. Sacher, 2004, S.33).

Die Erhebung und Auswertung einer Leistung beinhaltet noch keine Interpretation. Erst anschließend in der Leistungsbewertung wird der gemessene Wert in Beziehung zu einem Maßstab gesetzt, wofür verschiedene Kategoriesysteme verwendet werden können. Zudem wird hierfür eine Bezugsnorm notwendig. Die erbrachte Leistung wird dabei in Beziehung zum Bewerteten, zu den Anderen oder zum Lernziel gesetzt (vgl. Jürgens, 1998, S.41).

Bewerten oder Beurteilen?

Im Rahmen der Literaturrecherche rund um das Thema Bewertungs-möglichkeiten von Schülerleistungen fiel immer wieder auf, dass vor allem die Begriffe ‚Bewerten‘ und ‚Beurteilen‘ scheinbar synonym verwendet werden und sich ihre Bedeutung auf den ersten Blick kaum unterscheiden lässt. Zum besseren Verständnis möchte ich daher eine kurze Differenzierung der beiden Begriffe vornehmen.[2]

Beim Bewerten sowie Beurteilen geht es grundsätzlich um eine möglichst objektive Analyse der Ist- und Sollsituation der erbrachten Leistung. Dafür müssen die Leistungskriterien, also die geforderten Leistungen, klar definiert sein. Diese sind nämlich der Maßstab sowohl für die Bewertenden als auch für die Bewerteten (vgl. Brühlmeier in: Der Schweizer 24/1980).

Die beiden Begriffe sind nicht eindeutig voneinander abzugrenzen und werden daher auch im alltäglichen Sprachgebrauch oft gleichgesetzt. Legt man die in den Begriffen enthaltenen Worte „Wert“ bzw. „Wertung“ und „Urteil“ zugrunde, kann das die Begriffsbestimmung erleichtern.

Bewerten bedeutet, einen Sachverhalt an übergeordneten, erkennbaren Werten bzw. bekannten Kriterien zu messen sowie eine selbstständige Bewertung unter Verwendung dieser Kriterien zu formulieren.

Beurteilen bedeutet, zu einem Sachverhalt oder einem Problem ein begründetes, selbstständiges Urteil unter Verwendung von Fachwissen und Fachmethoden zu formulieren (vgl. ebd.).

Beurteilungen finden häufig in Form einer „Verbalbeurteilung“ statt und sind demnach eher subjektiv, d.h. auf den Beurteilten und seine persönlichen Fähigkeiten bezogen.

„Beurteilung setzt Beobachtung voraus“ (Söll, W. 2005, S.59). Der Beurteilende nimmt demzufolge am Unterrichtsgeschehen teil und richtet seine Aufmerksamkeit auf den zu beurteilenden Schüler und dessen Interaktionen (vgl. ebd.). Der Begriff „Beurteilen“ impliziert die Tätigkeit des Teilens, nämlich das gedankliche Einteilen in Kategorien, wie z.B. gut und schlecht oder richtig und falsch. Es entsteht dadurch ein Konstrukt aus subjektiver Wahrnehmung und Beobachtung.

Die Bewertung einer Leistung erfordert allerdings einen Maßstab, der eine weitergehende Zuordnung ermöglicht (vgl. Jürgens, 2000, S.42).

Bewertungen finden daher in der Regel anhand einer Art Noten- oder Punkteskala statt und sind demzufolge eher objektiv, d.h. auf die Leistungskriterien bezogen. Die aus dem Schulalltag bekannte Zensurenskala (sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend, mangelhaft und ungenügend) dient als Beispiel für ein solches Zuordnungssystem (vgl. ebd.).

Es zeigt sich also, dass die Leistungsdiagnose ein komplexes Verfahren ist, welches sich aus mehreren Phasen, wie Beobachtung, Messung, Beurteilung, Bewertung und Benotung, zusammensetzt. Diese Teilaspekte gehen zwar nicht selten ineinander über, sind aber bei genauerer Betrachtung durchaus zu differenzieren.

3. Problematiken der Leistungsbewertung im Sportunterricht

3.1 Relevanz der Notengebung für das Fach Sport

Im Fach Sport wird durch die Lehrkraft eine versetzungswirksame Sportnote vergeben, deren Grundlage in der die Bewertung und Benotung des Leistungs- und Lernverhaltens der Schüler liegt. Um Fortschritte in den Lernprozessen zu verdeutlichen, müssen schulsportliche Leistungen durch Lernkontrollen in zeitlichen Abschnitten überprüft werden. In der Praxis werden diese Leistungsermittlungen, meist in Form von abschließenden Zensierungen, oft durch den Rhythmus der behandelten Inhalte bestimmt und stehen demzufolge am Ende der entsprechenden Lernintervalle (vgl. Aschebrock / Pasch, 2004, S. 9).

Kurz gesagt: Die Schülerinnen und Schüler erhalten nach Abschluss eines Themengebietes eine Bewertung für ihre in dieser Unterrichtseinheit erbrachte Leistung. Die Ziffer der Note gibt dann entsprechend Auskunft über die Bewältigung bzw. Nicht-Bewältigung der Unterrichtsanforderungen. Die Zeugnisnote setzt sich wiederum aus den Einzelnoten der jeweiligen Unterrichtsinhalte zusammen, die mit gleicher Gewichtung in die Halbjahres- oder Endnote einfließen (vgl. ebd. S.9).

Die Notwendigkeit der Notengebung wird im Fach Sport seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Der Sportunterricht ist im Fächerkanon als gleichwertiges und versetzungsrelevantes Fach angesehen, daher ist eine Sonderstellung auch in Bezug auf die Leistungsbewertung nicht zulässig.

Auch wenn das Fach Sport im Vergleich zu den harten Fächern wie Mathematik oder Deutsch im Allgemeinen als weiches Fach bezeichnet wird, ist die Lehrkraft zur Auslese verpflichtet (vgl. Miethling in: Sportpädagogik 04/97, S.20).

Laut Balz/Kuhlmann (2003, S.205) hat der Sportunterricht sogar noch eine Besonderheit, da es im Gegensatz zum Klassenunterricht „[…] um Bewegungshandeln geht, das auf künstlich geschaffenen und regelgeleiteten Problemen beruht“. Darüber hinaus findet man nur bei der Zensurenfindung im Fach Sport die Berücksichtigung der individuellen Voraussetzung oder der Lernbereitschaft. Diese Teilzensuren sucht man in anderen Fächern vergeblich (vgl. ebd., S.205).

Gewisse Aspekte führen nichtsdestotrotz dazu, dass einige Pädagogen eine gänzliche Abschaffung der Leistungsbewertung für das Fach Sport fordern. Neben einer gewissen Dualität zwischen der Selektions- und der Motivationsfunktion einer Zensur, auf die in einem der folgenden Kapitel eingegangen wird, verstärkt die Tatsache, dass sportliche Leistungen von den physiologischen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler abhängig sind, die empfundene Ungerechtigkeit der Zensierung im Fach Sport. Diese individuellen Grundvoraussetzungen sind zum größten Teil genetisch bedingt und können nur in geringerem Ausmaß verändert werden. Da die Schulzuweisungen und Bildungsempfehlungen nach Abschluss der vierten Klasse die Sportnote der Schüler nicht berücksichtigen, ergeben sich für das Fach Sport in der Sekundarstufe I nicht selten große Leistungsunterschiede, die eben in den anderen Fächern durch die Selektion abgeschwächt werden (vgl. Miethling, 1997, S.21).

So wünschenswert eine gänzliche Abschaffung der Leistungsbewertung aus pädagogischer Sicht vielleicht erscheinen mag, so bedenklich ist sie aus bildungspolitischer Sicht. Die ästhetischen und künstlerischen Fächer, zu denen Sport gezählt wird, haben derzeit ohnehin schon einen schweren Stand im Fächerkanon der gesamten Schulfächer. Mit Abschaffung der Leistungsbewertung würde gleichzeitig die Berechtigung als gleichwertiges und ebenso ernst zu nehmendes Fach mehr und mehr schwinden (vgl. Scherler 2000, S. 186). „Erst schafft man die Note, dann die Teilnahmepflicht und schließlich das Fach ab!“ (Scherler, 2000, S.186).

3.2 Rechtliche Bestimmungen zur Leistungsbewertung im Fach Sport

Richtlinien und Grundsätze der Leistungsbewertung werden durch Erlasse, Verordnungen und das Schulgesetz der jeweiligen Bundesländer reguliert. Die einzelnen Bundesländer Deutschlands geben die zu entwickelnden Kompetenzen und geforderten Inhalte des Unterrichtsfaches Sport in den jeweiligen Lehrplänen bzw. Kerncurricula verbindlich vor. Nach Tillmann (1996, S.7) wird in Lehrplänen festgelegt, welche schulischen Anforderungen eine Gesellschaft an die Folgegeneration stellt. Er enthält Aussagen über die Ziele des (Fach-) Unterrichts, gibt Auskunft über anzustrebende Kenntnisse und Fertigkeiten und gliedert die Reihenfolge und Zuordnung von Inhalten. Auf diese Weise sichert er eine einheitliche Grundlage.

Für die Leistungsbewertung im Sportunterricht gelten im Allgemeinen die rechtlichen Bestimmungen zu „Zeugnisse an den allgemeinbildenden Schulen“. Hier werden allgemeine Bewertungsgrundlagen und Richtlinien zur Leistungserfassung angeführt. Darüber hinaus ist eine tabellarische Auflistung der Notenbezeichnungen (Ziffernoten) und deren jeweilige Definitionen zu finden, die als einheitliche Richtlinie genutzt werden soll (vgl. Landesschulbehörde Niedersachen (Hrsg.), 2014, S.4).

In den „Bestimmungen zum Schulsport“ werden zudem speziell für das Fach Sport folgende Beurteilungsschwerpunkte formuliert:

Bewertet werden sollen alle sportmotorischen, sowie fachbezogenen Leistungen, deren Inhalte und Ziele durch die Rahmenrichtlinien vorgegeben sind. Zudem soll der individuelle Lernfortschritt jedes Einzelnen in Abhängigkeit seiner körperlichen Voraussetzungen, seiner Gesundheit und seinem allgemeinen Entwicklungsstandes berücksichtigt werden. Die Bereitschaft am Sportunterricht teilzunehmen und die sozialen Verhaltensweisen sollen ebenso in die Bewertung einfließen wie der Leistungswille und das zu beobachtende Lernverhalten.

Innerhalb dieses Rahmens sollen der Lernfortschritt und die sportmotorischen Fähigkeiten vorrangig in der Bewertung berücksichtigt werden (vgl. Nds. Kultusministerium (Hrsg.) 1998, S.33).

Zu welchen Teilen die einzelnen Bewertungsschwerpunkte in die Gesamtnote einfließen wird in den Bestimmungen nicht festgelegt. Die Lehrkraft muss ihre Bewertung allerdings zu jedem Zeitpunkt offen legen und begründen können. Messbare Leistungen erfolgen auf der Grundlage von allgemeingültigen Tabellen (vgl. ebd. S.43)

„Der Beurteilungs- und Ermessenspielraum des Sportlehrers bei der Leistungsbewertung ist Teil seiner pädagogischen Freiheit“ (Weiß in: Sportunterricht 06/05, S. 65).

3.3 Funktionskonzepte schulischer Leistungsbewertung

Warum wird in den Schulen die Lernleistung überhaupt beurteilt? Was wird von den Zensuren und Zeugnissen erwartet? Diese Fragen lassen sich in der Regel mit der Zuschreibung von Funktionen beantworten. So sollte sich jeder Lehrer die Frage stellen, wie er seine Note begründen und welche Funktionen er der Leistungsbewertung zuweisen kann (vgl. Tillmann, 2000, S.37).

Die Leistungsbewertung von Schülerinnen und Schülern kann abhängig vom jeweiligen Kontext viele Funktionen erfüllen, die in der Literatur in verschiedener Weise zugeordnet und kategorisiert werden:

Die Notenvergabe fungiert in aller Regel als Instrument für die Erfüllung der allgemeinen Schulfunktionen. Unter den schulischen Funktionen der Zensierung sind Prozesse der Sozialisation, der Qualifizierung, der Persönlichkeitsentwicklung und der Selektion zu verstehen. Diese Funktionen werden als allgemeingültige Aufgaben der Bildungsinstitution gesehen und tragen somit zur Umsetzung des gesamtgesellschaftlichen Zugangs- und Berechtigungssystems bei (vgl. Creutzberg, et al., 1996).

In Anlehnung an diese allgemeinen Schulfunktionen lassen sich weitere Funktionen noch spezieller differenzieren, wie beispielsweise die Selektionsfunktion, die Berichts- oder auch Rückmeldefunktion, die Orientierungsfunktion, die Motivationsfunktion, die Kontrollfunktion, die Berechtigungsfunktion und noch einige weitere.

Die Abgrenzung dieser einzelnen (Unter-) Funktionen voneinander ist schwierig und die Definitionen sind oftmals sehr ähnlich. Teilweise überschneiden sich die Funktionen auch in ihrer Bedeutung, sodass festgehalten werden kann, dass eine Leistungsbeurteilung immer eine Vielzahl von Funktionen zugleich haben kann (vgl. Karner, 2004, S.43).

Eine Übereinstimmung findet sich in der Literatur allerdings in der Trennung von pädagogischen Funktionen und gesellschaftlichen Funktionen. Während die pädagogischen Funktionen der Leistungsbewertung in der Förderung und Optimierung der individuellen Lernprozesse zu finden sind, hat die gesellschaftliche Funktion vorrangig die Auslese von Schülerinnen und Schülern zum Ziel.

Da es in diesem Kapitel weniger um eine differenzierte Darstellung der einzelnen Funktionskonzepte geht als um Problematiken, die im Zusammenhang mit Leistungsbewertungen auftreten, soll im Folgenden der Zwiespalt zwischen dem pädagogischen und dem gesellschaftlichen Anspruch der Leistungsbewertung in den Fokus gerückt werden.

Leistungsnote vs. Pädagogische Sportnote

Die herausgestellte Doppelfunktion der Sportnote, einmal im Sinne der individuellen Förderung und zum andren als Instrument der Auslese lässt sich mit den Begriffen Leistungsnote und pädagogische Sportnote umschreiben. Während die Leistungsnote als reines Abbild der meist gemessenen und auf motorisch-sportlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten reduzierte Leistung zu verstehen ist, bezieht sich der zweite Begriff auf eine mehr ganzheitliche Betrachtung der Schülerleistungen und des Lernprozesses im Sportunterricht.

Einerseits soll die Schule als gesellschaftliche Institution die Funktion der Auslese übernehmen, auf der anderen Seite soll sie aber auch jeden einzelnen Schüler auf sein individuelles gesellschaftliches Leben vorbereiten. Diese Anforderung stellt die Schule vor eine schwere Aufgabe.

Eine einseitig orientierte Bewertung oder Beurteilung, die sich auf das reine Erfassen von sportmotorischen Leistungen beschränkt, ist für die Schüler oft nicht transparent und kann folglich die Entwicklung der persönlichen Selbsteinschätzung bzw. Selbstbewertung verhindern.

„Als pädagogischer Grundsatz muss die Unterschiedlichkeit der Lernenden akzeptiert werden und im Sinne einer individuellen Bewertungs- und Benotungspraxis im Sportunterricht Einzug halten“ (Döring, 2009, S.12)

Die Komplexität der Notengebung kann demnach nicht durch eine Leistungsnote wiedergegeben werden, sondern muss durch das Heranziehen von leistungsbegleitenden Merkmalen und Verhaltensweisen an die Individualität der Schülerinnen und Schüler angepasst werden. Dazu zählen neben der regelmäßigen Teilnahme am Sportunterricht und der Vollständigkeit der Sportbekleidung, die Mitarbeit, die Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft sowie die Zusammenarbeit von Jungen und Mädchen, das selbstständige Erarbeiten von Aufgaben, das gegenseitig Anregungen geben und das Kritik üben (vgl.Söll/ Kern, 1999).

Die Entwicklung der in den Rahmenrichtlinien und Lehrplänen aufgeführten Bildungsziele, weg von der reinen Wissens- und Könnensvermittlung in den einzelnen Fachbereichen und hin zu einer fächerübergreifenden Kompetenzentwicklung der Lernenden, sollte eine richtungsweisende Vorgabe für den Sportunterricht sein.

Zudem hat die Schule einen Erziehungsauftrag zu erfüllen, der ebenfalls im Widerspruch mit dem gesellschaftlichen Anspruch steht.

„Erziehung soll sich daran orientieren, daß der einzelne selbständig und verantwortlich handeln lernt, Initiative entwickelt und zur Mitgestaltung des Zusammenlebens bereit und befähigt wird; der einzelne soll zur verantwortlichen Gestaltung seines Lebens, zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in der Gemeinschaft befähigt werden, sich selbst und seinen Standort in der Welt verstehen und gültige Maßstäbe gewinnen und Hilfen finden zur Sinngebung seines Lebens“ (Röbe, 1992, S. 34).

Auch hier steht nicht die Auslese im Vordergrund, sondern die individuelle Entwicklung der einzelnen Personen. Nach Röbe steht das schulische Leistungsprinzip immer im Widerspruch zu der pädagogischen Verantwortung der Schule und den institutionellen Regelungen (vgl. ebd.). Diese Doppelfunktion stellt die Institution Schule vor ein bisher unlösbares Problem, wie Sacher zusammenfasst:

"Die Bildungspolitiker müssen sich entscheiden, ob sie eine Schule wollen, die primär eine Erziehungs- und Bildungsinstitution ist, oder eine solche, welche hauptsächlich die Funktion einer Siebtrommel für die Zuteilung von Bildungs-, Berufs- und Lebenschancen erfüllt. Beides zugleich kann man nicht haben, und man darf Lehrer nicht vor die unlösbare Aufgabe stellen, miteinander auszusöhnen, was zutiefst unverträglich ist“ (W. Sacher, 1996, S. 61-62).

Motivation vs. Selektion und Disziplinierung

Häufig wird davon ausgegangen, dass Schüler allein durch den Umstand, dass eine Leistung benotet wird, mehr Aufmerksamkeit und Anstrengungsbereitschaft zeigen. Eine Funktion der Notengebung wäre demnach die Motivationsfunktion. Gute Noten sollen als Belohnung wahrgenommen werden und darüber hinaus als Anreiz gelten, weiterhin gute Leistungen erbringen zu wollen. Schlechte Noten dagegen sollen die Schülerinnen und Schüler auffordern, ihre Anstrengungsbereitschaft in Zukunft zu steigern und die sportlichen Leistung dementsprechend zu verbessern (vgl. Jürgens & Sacher, 2000, S.23-24).

Kritisch betrachtet kann diese Motivationsfunktion allerdings auch im Widerspruch mit der zuvor beschriebenen Selektionsfunktion der Schule stehen. Die im Sportunterricht erzielte Leistung findet sich in der Sportnote des Zeugnisses wieder, die unter anderem als Auslesekriterium für weiterführende Schulen dient. Damit haben Zensuren, eben auch die Sportnote, für die schulische und berufliche Laufbahn der Schüler eine entscheidende Bedeutung. Angesichts dieser Argumentation wird der Widerspruch zwischen dieses beiden Funktionen sehr deutlich: Auf der einen Seite soll eine Leistungsbewertung die Motivation der Schülerinnen und Schüler fördern, auf der anderen Seite lastet durch das Wissen um die Auslese eine beachtlicher Leistungsdruck auf den Lernenden, was sich vermutlich eher negativ auf die Lernmotivation auswirkt (Sacher, 2001, S.10).

Zudem führen wiederholte Misserfolge nicht wie erwartet zur Steigerung der Motivation, sondern wirken sich stattdessen negativ auf das Selbstbild des Schülers auf und können Gleichgültigkeit, Aggression und Verweigerung zur Folge haben (vgl. Jürgens & Sacher, 2000, S.27).

Noch problematischer wird es, wenn dieser Druck nicht von allein entsteht, sondern von außen aufgebaut wird und Noten im Rahmen ihrer sogenannten Disziplinierungsfunktion missbraucht werden.

Sacher (2001, S.9) führt dazu aus, dass Rückmeldungen zu Leistungen, wie bereits beschrieben, in bestimmten Fällen wirklich einen positiven Disziplinierungseffekt, im Sinne einer realistischeren Selbsteinschätzung und vermehrter Anstrengungsbereitschaft, haben können. Ebenso weist er aber auch auf die Gefahr des Missbrauchs dieser Disziplinierungsfunktion hin, und zwar wenn es um eine gezielte Vorgehensweise gegen einzelne Schüler geht und die Note unabhängig von erbrachten Leistungen instrumentalisiert wird.

Ein beliebtes Beispiel aus der Praxis ist, wenn Eltern ihre Kinder für gute Leistungen belohnen, für schlechte Leistungen bestrafen. Schüler sehen sich infolgedessen permanent unter Druck gute Leistungen bringen zu müssen und verlieren die Freude am Lernprozess.

3.4 Die Sportzensur

Um Schülerleistungen im schulsportlichen Kontext zu benennen und voneinander abzugrenzen, wird in der Regel die Zensurenskala herangezogen (vgl. Jürgens, 2005, S.61).

Gemäß dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03.10.1968 werden folgende Notenbezeichnungen und Notenziffern verwendet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(vgl. Landesschulbehörde Niedersachen (Hrsg.), 2014, S.4).

Seit der Einführung des Sportunterrichts in Deutschlands Schulen im 19. Jahrhundert, ist die Sportzensur häufig Auslöser heftiger Debatten (Tillmann in: Pädagogik 02/01, 2001, S. 45). Laut Ingenkamp (1985, S.177) wird die Sportzensur ihren zugedachten Aufgaben nicht gleichermaßen gerecht (vgl. Kapitel 3.3) und hat nur deshalb weiterhin Bestand, weil sie die geläufigste und am einfachsten handhabbare Beurteilungsform ist.

3.4.1 Vor- und Nachteile

Das Ziel einer Zensur ist es, den gegenwertigen Leistungsstand des Schülers aufzuzeigen. Außerdem hilft sie dabei, den weiteren Lernprozess der Schüler zu strukturieren (vgl. Volkamer 1978, S.111). Schüler, Lehrer und auch Eltern können sich an der entsprechenden Note orientieren und darauf reagieren. Bei einer Note im oberen Bereich beispielsweise können Eltern und Lehrkräfte positives Feedback leisten und das Kind weiter fordern. Aber auch im unteren Notenspektrum sollte man das Kind immer motivieren und gegebenenfalls Fördermaßnahmen veranlassen (vgl. Becker 2007, S. 72).

Wie bereits angesprochen, sorgt eine Sportzensur außerdem für die Anerkennung des Faches im Fächerkanon. Das Fach Sport würde ohne eine relevante Sportzensur eine Sonderstellung einnehmen, was wiederum weitergehende Folgen für die Berufsrolle des Lehrers haben könnte. Die Gleichstellung des Sportlehrers gegenüber seinem Kollegium könnte beispielsweise in Frage gestellt werden, was zu sozialen Belastungen führen kann. Ebenso auch die „Beziehung“ zwischen den Schülern und dem Sportlehrer, da die Sonderstellung des Faches eventuell auch auf den jeweiligen Lehrer übertragen und dieser somit als weniger „wichtig“ wahrgenommen wird (vgl. Volkamer 1978, S.121).

Studien zeigten, dass ein Großteil der Beteiligten die Sportzensur befürwortet. Untersuchungen Schröders ergaben, dass sich 80 % der Schülerinnen und Schüler die Beibehaltung der Sportzensur wünschen und nur 3% diese ablehnen (vgl. Volkamer, 1978, S.111). Untersuchungen Kröners zufolge, befürworten auch 76% der Sportlehrer eine Beibehaltung der Sportzensur, während 13 % diese ablehnen und 3% eine neutrale Haltung zu dieser Thematik einnehmen (vgl. ebd. S.114). Gall fand heraus, dass sich 80 % der Eltern grundsätzlich für die Beibehaltung von Noten und Zeugnissen aussprechen (vgl. Gall, 1971, S. 29f).

Nicht außer Acht zu lassen ist auch der Aspekt der Motivation, denn die Vergabe von Noten im Sportunterricht kann bei richtiger Handhabung motivationsfördernd auf die Schüler wirken. (vgl. Volkamer 1978, S.114).

Problematisch wird es, wie bereits beschrieben, wenn diese Motivation in Leistungsdruck umschlägt, weil nur noch die Note im Fokus steht. Im Schulsport soll die Bewegungsfreude und die Schulung verschiedener sportmotorischer Kompetenzen im Mittelpunkt stehen und nicht das reine Streben nach guten Zensuren (vgl. Gall, 1971, S. 29f).

Zudem erhält die Leistung mit der Notengebung eine Art Tauschwert, der die Schüler dazu veranlasst, nur so lange Leistung zu bringen, wie man etwas dafür bekommt, in diesem Fall eine Note. Die Sportzensur dient hier als extrinsische Motivation und begrenzt dadurch die Möglichkeit, im Sportunterricht zu erfahren sich aus eigenem Antrieb zu bewegen (vgl. Volkamer 1987, S.92).

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass Zensuren die Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität[3] nicht erfüllen und somit der eigentlichen Leistung der Schüler nicht gerecht werden (vgl. ebd., 1987, S.87).Sportliche Leistungen sind zum einen von bestimmten körperlichen Voraussetzungen abhängig, die angeboren und nur in geringem Maße beeinflussbar sind. Zum anderen fließen in die Sportnote viele verschiedene Bewertungs- und Beurteilungsgegenstände ein, was daran zweifeln lässt, dass eine einheitliche Note diese sinnvoll zusammenfassen kann (vgl, Söll & Kern, 2005, S. 180).

Kritisiert wird auch, dass bei der Notenfindung im Fach Sport Faktoren wie Angst und Bewegungshemmung nur unzureichend berücksichtigt werden (vgl. Gall, 1976, S.28).

Mit der Vergabe einer Note werden die gesamten Schülerleistungen zu einer Aussage zusammengefasst. Geist (1997, S.33) lässt aber anklingen, dass Schüler leicht den Eindruck gewinnen, dass Lehrer vielmehr auf die einmalige Leistung in der Prüfungssituation wert legen, als auf das Geleistete während der gesamten Unterrichtseinheit. Diese Annahme lässt darauf schließen, dass der Bewertungsprozess und die Zusammensetzung ihrer Sportnote für Schüler nur sehr bedingt bis gar nicht nachvollziehbar ist.

[...]


[1] Um inhaltliche Umständlichkeiten und sprachliche Wiederholungen zu vermeiden, werden die Begriffe Lehrer und Schüler im Folgenden teilweise nur in der männlichen Form verwendet. Dies kann jedoch geschlechtsneutral gewertet werden.

[2] In der Literatur werden die beiden Begriffe oft gleichbedeutend verwendet, beziehen sich aber auf verschiedene Prozese. Zur besseren Lesbarkeit werdenbdie Begriffe auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit teilweise synonym verwendet.

[3] Die Erklärung der Gütekriterien erfolgt in einem späteren Abschnitt

Ende der Leseprobe aus 97 Seiten

Details

Titel
Bewerten, Beurteilen und Benoten. Alternative Methoden zur Leistungsbewertung im Sportunterricht
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
97
Katalognummer
V306004
ISBN (eBook)
9783668040526
ISBN (Buch)
9783668040533
Dateigröße
1161 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Leistungsbewertung, Sportunterricht, Noten, Bewertung, Leistung, Sport, Transparenz, Beurteilung, Schülerleistungen, Alternativen, alternative Bewertung, Möglickeiten, Optimierung, Notenvergabe, Schülermitbestimmung, Bewertunsprozess, Methoden, Zufriedenheit, Beuwertungskriterien, Beurteilungskriterien, Beurteilungsfehler
Arbeit zitieren
Anne Schillingmann (Autor:in), 2015, Bewerten, Beurteilen und Benoten. Alternative Methoden zur Leistungsbewertung im Sportunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306004

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