Reformen brauchen politische Führung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inlatsangabe

I. Demokratie und Reformen

II. Führung in der Demokratie

III. Führung der Reformen

IV. Reformen brauchen politische Führung

Literatur

I. Demokratie und Reformen

Die Zufriedenheit der Deutschen in die Leistungsfähigkeit ihrer demokratischen Institutionen hat einen Tiefpunkt erreicht. Noch nie seit Beginn der Messung war das Vertrauen der Bürger in die Vertreter des politisch-administrativen Systems hierzulande auf einem derart niedrigem Niveau (dazu Scheuner 2005: 8-11). Vertreten werden die Interessen des Souveräns. Vor ihm müssen sich politische Entscheider legitimieren. Allgemeines, freies und gleiches Wahlrecht ermöglicht es dem Wahlbürger politische Entscheidungsträger zu beauftragen, allgemeinverbindliche Entscheidungen zum Wohle des Ganzen zu treffen: „ (...) Parteienwettbewerb, authentische Informations-, Meinungs-, Oppositions- und Koalitionsfreiheit für alle Staatsbürger, regelmäßige Wahl der politisch Herrschenden (und die Chance ihrer Abwahl) durch die Stimmberechtigten und die Einbettung in die Strukturen des Verfassungsstaates (...) “ charakterisieren demokratisch konstituierte Staaten (Schmidt 2000: 26).

Gerade moderne demokratische Gesellschaften - wie die 15 Jahre junge bundesdeutsche Republik - leben vom „ Vorschuss an Vertrauen “ in die Leistungsfähigkeit der Sozial- und Wirtschaftsordnung (Korte/Weidenfeld 2001: 11). Politische Entscheidungsträger haben die Pflicht Rahmenbedingungen dieser Ordnung zu entwerfen. Sie müssen ihre Kraft darauf verwenden, die Fähigkeit zur Veränderung dieser Rahmenbedingungen zu bewahren und auszubauen. Die Demokratie gilt als das leistungsfähigste Gesellschaftssystem. Der pluralistische Wettstreit konkurrierender Reformkonzepte ermöglicht es dem Wähler, sich für das bestmöglichste Konzept, mithin die fähigste Führung - in der Wahrnehmung der Bürger - zu entscheiden.

Aber was heißt »Führung« in Demokratien? Gerade in Umbruchsphasen gilt: „ Auch (oder sogar vor allem) in einem demokratischen Staat, wo jeder gehört werden darf und Pluralismus existiert, muss kontrolliert, koordiniert, konsultiert, inspiriert werden “ (Clemens 2000: 172). Führung ist dabei nicht nur ein stark diskutiertes Konstrukt der Organisationsforschung und des sozialwissenschaftlichen Elfenbeinturmes. Führung manifestiert sich überall dort, wo Menschen interagieren und indes gemeinsam versuchen Probleme zu lösen und Aufgaben zu erfüllen. Führung ist daher vor allem ein Alltagsphänomen. Dass es dabei Alpha-Tiere geben muss, die das Rudel zur Umsetzung eines Zieles anleiten und dessen Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken, ist selbstverständlich (siehe auch Schmid 2005: 257).

Die Leadership-Forschung differenziert drei Faktoren, die bei der Beurteilung der Führungsleistung zu berücksichtigen sind (dazu Blondel 1987: 5 u. 80ff.; Elcock: 2001):

- Personale Faktoren (die Persönlichkeit);
- Zeitbedingt-strukturelle Faktoren (das situative Umfeld);
- Politisch-institutionelle Faktoren (institutioneller und politischer Rahmen).

Personale Faktoren wie „ (…) Menschenkenntnis und praktische Vernunft, ideologische Gemeinsamkeiten und persönli­che Verbindungen, rhetorisches Talent und taktisches Geschick, schnelles Handeln und geduldiges Warten (…) “ zeichnen den individuellen politischen Akteur aus (Kepplinger/ Maurer 2005: 187). Sie versetzen ihn in die Lage strategische Ziele umzusetzen; funktional eigene und kollektive Interessen durchzusetzen.

Dabei besteht die Notwendigkeit auf zeitbedingt-strukturelle Faktoren zu reagieren, die durch Krisen und den zu lösenden Aufgaben determiniert werden. Externe und interne Wirkungsfaktoren nehmen Einfluss auf die Regierbarkeit der Republik und tangieren den Bürger in solch starkem Maße, dass sie als Gefährdung für ein friedvolles Zusammenleben wahrgenommen werden.

In der Fähigkeit beteiligter Akteure, gegebene politische Institutionen zur Lösung dieser Problematiken zu nutzen, entfaltet sich der wirkungsmächtige Wille zum »Reformieren«. Politisch-institutionelle Faktoren begründen sich in den Strukturmerkmalen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.

II. Führung in der Demokratie

Wie funktionieren diese Institutionen und welche formellen und informellen Entscheidungspfade müssen politische Akteure antizipieren, um Entscheidungen durchzusetzen?

Politische Führung hierzulande wird zunächst durch die Bedingungen der »Parteiendemokratie« determiniert. Das deutsche Parteiensystem ist durch „ Kontinuität und Konzentration “ geprägt (Korte/Fröhlich 2004: 92). Zunehmende Auflösung der Parteibindungen führt indes zur Krise der politischen Repräsentation (dazu Vesper 2001: 148-183). Politische Führung erfordert dabei von Entscheidungsträgern flexible Anpassung an „ komplexe Wählermärkte “ (Korte 2000). Der strategische Spielraum für die Parteien hat sich erhöht: Unterschiedliche Wählerschichten können angesprochen werden.

Von politischen Führungskräften wird infolgedessen aber inhaltliche Flexibilität verlangt. Politische Eliten in Deutschland werden über die Parteien rekrutiert. Parteimacht ist damit nach wie vor die entscheidende Machtressource politischer Spitzenakteure.

Das personalisierte Verhältniswahlrecht reguliert Handlungsspielräume politischer Führungskräfte. Absolute Mehrheiten oder Minderheitenregierungen bilden die Ausnahme. Regierungen hierzulande sind daher zumeist Koalitionsregierungen. Wir leben in einer »Koalitionsdemokratie« (siehe auch Korte/Fröhlich 2004: 94-98). Koalitionen sind Zweckbündnisse. Informelle Entscheidungswege sind zum Kennzeichen von Koalitionsregierungen geworden. Dies führt zu einer zunehmenden Informalisierung des politischen Prozesses (dazu Kropp 2003 am Beispiel des Koalitionsmanagements der rot-grünen Bundesregierung: 23-31). Informelle Entscheidungszentren werden zu alternativen Machtzentren - nicht nur - für exekutive Entscheidungsträger. In jedem Fall erschwert die deutsche Koalitionsdemokratie den politischen Akteuren Programmatiken durchzusetzen - gar vorzubereiten -, die nicht von vornherein die Bedürfnisse des jeweiligen Koalitionspartners berücksichtigen.

Kooperativer Föderalismus zeichnet sich durch eine stark ausgeprägte »Politikverflechtung« aus, wodurch eine Vielzahl von »Nebenregierungen« und »Vetospieler« hervorgebracht werden (zum Vetospieler Ansatz vgl. Tsebelis 2001). Politische Entscheidungsträger orientierten sich an den Bedingungen der »verhandelnden Wettbewerbsdemokratie« (siehe auch Korte/Fröhlich 2004: 75). Mehrheitsdemokratische (Wettbewerbsdemokratie) und konsensuale (Verhandlungsdemokratie) Entscheidungsmodi treten parallel auf (ebd.: 73-79). Gegenseitige Abhängigkeit bestimmt die Suche nach Konflikt- und Problemlösungen und erzeugt spezifische Verhandlungszwänge. Diese institutionellen Strukturen präjudizieren beteiligte Akteure auf „ konsens- und kooperationsorientiertes Verhalten “ (Kaine 2004: 14). Diese Anforderungen verlangen von individuellen politischen Akteuren die Fähigkeit gegenseitige Abhängigkeiten zu managen, was zumeist zu Konsens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner führt.

Professionalisierte Kommunikation zwischen politischen Entscheidungsträgern wird überdies zunehmend zum Machtfaktor. Die Reichweite medial-vermittelter Botschaften hat sich deutlich erhöht. Akteure orientieren sich am politischen Meinungsklima; Politische TV-Prominenz kommuniziert direkt mit der Öffentlichkeit, unter Umgehung des Parteiapparates.

Die Anbindung an PR-Akteure (Journalisten, Meinungsforscher, Beraterstäbe etc.) und die Entbindung von Parteiorganisationen, führt zur Überbewertung des Politikmarketing gegenüber der tatsächlichen Programmarbeit. Es dominieren „ kurzfristig-taktische Personenziele “ gegenüber „ langfristig-strategischen Organisationszielen “ (Jarren/Donges 2002: 74-75). Dies stärkt die Partei- und Fraktionsführung, gleichzeitig verlieren die Führungseliten des nachgeordneten Apparates ihre Gestaltungs- und Partizipationschancen. Gewandelte Kommunikationsmuster der politischen Eliten untereinander und mit den Bürgern, erfordern mediale Kompetenz als Grundvoraussetzung der politischen Kommunikation in der Mediendemokratie (dazu Korte/Fröhlich 2004: 98-101).

Unter diesen Bedingungen heißt politische Führung daher: täglich „(...) Mehrheiten aus sehr unterschiedlichen Interessengruppen (...) zu schmieden. Es gilt die Sachrationalität der geplanten Maßnahme mit der politischen Vermittlungs- und Durchsetzungsrationalität abzuwägen. Politische Führung ist deshalb häufig mehr pragmatische Moderation als hierarchische Steuerung “ (ebd.: 188).

Doch wie ist trotz dieser komplexen politisch-institutionellen Faktoren politischer Führung eine effiziente Führungstätigkeit möglich?

Der Politikwissenschaftler Herman Finer charakteri­sierte in seinem 1950 veröffentlichten Werk »The Theory and Practice of Modern Government« politische Führung mit vier C-Begriffen (Finer zit. n. Jäger 1992, S. 81):

- „Consciousness",
- „Coherence",
- „Constancy" und
- „Conscientiousness".

Diese Faktoren sind von Nöten, um nicht nur zu verwalten, sondern auch politisch zu gestalten.

„» Consciousness « meint das Wissen um Prinzipien und Ziele, die eine Zukunftsvision verheißen, verbunden mit einer Kosten-Nutzen-Kalku­lation zur Erreichung des Zieles, nicht nur für das gesamte Gemeinwesen, sondern auch im Hinblick auf eine gerechte Belastung der einzelnen Teile der Gesellschaft. » Coherence « ist das Zusammenführen aller politi­schen Kräfte auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel. » Constancy « bedeutet Stetigkeit des Zieles und des Weges. » Conscientiousness « schließlich heißt Verantwortlichkeit „ (...) für das Zustandekommen von ,consciousness', ,coherence' und ,constancy' in Übereinstimmung mit dem Willen des Souveräns, eine nie erlahmende Anerkennung von Verpflichtung (Obligation). Es bedeutet Verantwortlichkeit zur Initiative." (Jäger 1992: 81).

Neben den Sachkompetenzen stellen diese Eigenschaften zentrale Qualifikationen dar, die es politischen Entscheidungsträgern ermöglichen gestalterisch tätig zu werden. Zugleich sind sie funktionale Voraussetzungen zum politischen Führen nach innen (Machtapparat) und nach außen (dem Bürgern), sie bilden die zentralen Faktoren „ (…) für eine effektive und dauerhafte Aus­übung der durch Wahlen verliehenen Macht “ (Kepplinger/ Maurer 2005: 187).

Politisch zu führen setzt demgemäß zunächst voraus eigene Machtpotentiale zu schaffen und diese dauerhaft zu sichern, um überhaupt Problemlösungen in Angriff zu nehmen. Führungsverhalten muss daher flexibel sein, es muss auf sich verändernde politische Konstellationen reagieren und diese antizipieren.

Politische Führung beinhaltet somit mehr als die funktionale Kontrolle über das Gesetzgebungsverfahren, nämlich „ (...) die langfristige und stetige Verfolgung politischer Konzepte einerseits und die Integrierung und Überzeugung sowohl der politischen Institutionen wie der Bürger andererseits “ (Jäger 1992: 81).

III. Führung der Reformen

Wie können jedoch politische Reformen, mithin Mentalitätswandlungen, implementiert werden?

Unter den beschriebenen Strukturmerkmalen ist der einzelne politische Spitzenakteur hierzulande immer weniger in der Lage aus eigener Kraft Maßnahmen und Programmatiken durchzusetzen. Auch wenn die personalen Eigenschaften dazu vorhanden sind. Führen unter Reformdruck bedeutet besonders Führung durch Verhandlung.

Dazu bedarf es jedoch zunächst der Responsivität - Aufnahmebereitschaft und Sensibilität - für Wünsche und Interessen der Bürger. Die Erwartung an die Politik bzw. deren Handeln - die Aufnahmebereitschaft für die Ängste und Nöte der von Reform- und Wandlungsprozessen betroffenen Bürger wiederzufinden - ist zur Kernforderung an moderne politische Führung geworden.

Die kommunikative Vermittlung der Reformtätigkeit:

- die Notwendigkeit getroffener Maßnahmen;
- die Ziele der Maßnahme
- und der Weg zu deren Umsetzung,

sind die zentralen Aufgaben der politischen Führung in Krisenzeiten. Essentiell ist daher die Herstellung eines Kausalzusammenhanges zwischen Maßnahmen und Zielen der Reformen.

Diese haben zudem die unangenehme Angewohnheit, dass sich schmerzhafte Entscheidungen, die Politikern heute Stimmen kosten, erst in der Zukunft auszahlen. Somit können die Entscheidungsträger die Ernte ihrer Maßnahmen nicht selber einbringen. Solche Pfade trotzdem einzuschlagen, erfordert einerseits die Fähigkeit langfristiger Orientierung anstelle kurzfristigen Reaktionismus, andererseits aber vor allem Mut.

Menschen verlangen nach politischen Akteuren, die die Kraft aufbringen, auch ungeliebte Wahrheiten auszusprechen. Dies setzt voraus, krisenhafte Realitäten nicht mittels Phrasen der politischen Vermarktung zu vermitteln. Betroffene wissen meist selbst in welcher Problemlage sie sich befinden, sie ertragen es, wenn man darüber spricht. Gesucht wird eine Sprache, die die Menschen verstehen, frei von symbolischer Reform-Rhetorik , die die Realität der Betroffenen nicht abbildet. Von Nöten ist: Eine Reformsprache.

Die Bereitschaft der Menschen, ihren Teil zu Veränderungen beizutragen, ist größer als allgemein angenommen, sie müssen jedoch von der Sinnhaftigkeit des Reformkurses überzeugt werden. Dies ist die Aufgabe der neuen politischen Führung. Stetigkeit, auch in der Kommunikation laufender Maßnahmen, ist eine Grundvorrausetzung für erfolgreiche Reformen. Unter den Bedingungen der medialen Öffentlichkeit fällt es politischen Entscheidern schwer an einer Linie festzuhalten und nicht immer neue Baustellen zu definieren. Noch mühsamer fällt es jedoch Betroffenen, den Richtungsänderungen der Akteure - sowohl der Politik als auch den Medien - zu folgen.

Politische Führung in Krisenzeiten erfordert mehr als die Fähigkeit zur Konservierung des Bestehenden, es bedarf der mutigen Initiierung, der konsequenten Durchsetzung und der stetigen Vermittlung von Reformprozessen. Gefragt ist der Wille gegen Widerstände Entscheidungen zu treffen und dafür Zustimmung herzustellen; dies ist nur durch eine angemessene Form der Kommunikation zu erreichen.

Hier spiegelt sich die Sehnsucht danach wider, dass politische Entscheider Handlungszwänge formulieren (Aufrichtigkeit), dass sie sachlich ihre Problemlosungsvorschläge vortragen (Sachlichkeit), dass sie über Individual- und Parteiinteressen hinweg, auf die Problemlösung hinwirken (Bündnisse der Reformer) und dass sie Vertrauen stiften, anstelle Ängste zu wecken (Authentizität).

Genau dann entstehen nutzbringende Chancen, aus der diffusen öffentlichen Unzufriedenheit und der Einsicht in notwendige Veränderungen auch politische Mehrheiten zu formen. Die politische Führung muss diese ergreifen, nur so kann sie auf eine Wiederbelebung des Vertrauens ihrer Bürger hoffen. Führung von Reformen verlangt die Kunst problembehaftete Realitäten zu kommunizieren und gleichzeitig Problemlösungen verständlich aufzuzeigen. Es gilt die Menschen mitzunehmen und ihnen keine Ängste vor unlösbaren, krisenhaften Situationen einzureden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Reformen brauchen politische Führung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Führung in der Politik
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
12
Katalognummer
V305777
ISBN (eBook)
9783668039193
ISBN (Buch)
9783668039209
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
reformen, führung
Arbeit zitieren
Alexander Stock (Autor:in), 2005, Reformen brauchen politische Führung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305777

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