Ist Schumpeter ein Postdemokrat? Ein Vergleich von Colin Crouch und Joseph Alois Schumpeter


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Der Wähler bei Crouch und Schumpeter
2.1 Der Wähler bei Schumpeter
2.2 Der Wähler bei Crouch
2.3 Ein Vergleich der Wähler

3. Die Elite bei Crouch und Schumpeter
3.1 Die Elite bei Schumpeter
3.2 Die Elite bei Crouch
3.3 Ein Vergleich der Elite

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Auch nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 bleibt das Thema Politikverdrossenheit, wie eine rot blinkende Signalleuchte, bestehen. Mit einer Wahlbeteiligung von lediglich 71%, kehrte knapp ein Drittel der Bevölkerung der Politik den Rücken. Colin Crouch nahm sich dieser Entwicklung an und formte sie zur Postdemokratie. Er zeichnet damit eine Art apokalyptisches Bild einer Demokratie, die von einer kleinen Elite regiert wird, während das Volk in eine apathische Rolle fällt. Bei dieser sehr kurzen Beschreibung der Postdemokratie sollte jedem angehenden Politikwissenschaftler mindestens eine Assoziation in den Kopf springen. Denn bereits knapp 60 Jahre zuvor, fasste Joseph Alois Schumpeter, auf eine ähnliche Weise, die Demokratie seiner Zeit zusammen. Ist Schumpeter folglich der erste Postdemokrat? Fast 60 Jahre bevor der Begriff überhaupt in diesem Kontext existierte. Um das beantworten zu können, beschäftigt sich diese Arbeit mit den beiden Hauptwerken der genannten Autoren und stellt anhand zweier charakteristischen Merkmalen einen Vergleich an.

Dazu wird im ersten Schritt das Wählerbild beider Autoren beschrieben und anschließend verglichen, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich zu machen. Das Gleiche wird mit dem zweiten Merkmal, der Elitenführung und der damit auch zusammenhängenden Rolle des Volkes, vollzogen. Der Vergleich beschränkt sich auf die einzelnen Details und reißt nur an einzelnen Stellen den Gesamtkontext an. Erst im Fazit wird mit Hilfe der Erkenntnisse des 2. und 3. Kapitels ein Vergleich, unter der Berücksichtigung des Gesamtkontextes, gezogen. Sodass letztendlich die Frage der Hausarbeit beantwortet wird und die Antwort ist so befriedigend, wie es bei den meisten differenzierten Analysen der Fall ist: Eigentlich ja, aber irgendwie auch wieder nicht.

Zu Joseph A. Schumpeter gibt es unzählige Werke, die sich mit ihm beschäftigen. Angefangen von seiner Biografie, über seine wirtschaftlichen Ansichten, bis hin zu seinen politischen Theorien. Er wird neben Max Weber und Anthony Downs zu den elitistischen Demokratietheorien gezählt und findet selbst in Standardwerken zu Demokratietheorien einen Platz, wie beispielsweise in Manfred G. Schmidts „Demokratietheorien“.[1]

Der Begriff der Postdemokratie, wie er heute in der wissenschaftlichen Literatur verwendet wird – um eklatante Defizite etablierter Demokratien zu beklagen, wurde erst Anfang der 2000er geformt.[2] Besonders geprägt wurde der Begriff durch Colin Crouch und sein Werk, das den Titel „Postdemokratie“ trägt.[3] Dadurch gab es einen Aufwind des Begriffs in der wissenschaftlichen Debatte und er wurde vermehrt in politischen Zeitschriftenaufsätzen aufgegriffen, beispielsweise in dessen Widmung in einer Ausgabe des ApuZ von 2011.[4] Und selbst in neuen Werken über die Demokratie, wie in Paul Noltes „Was ist Demokratie?“, wird der Begriff Postdemokratie und vor allem Colin Crouch' Definition immer wieder aufgegriffen.[5]

Da es zu zu meiner expliziten Fragestellung keine Werke oder Aufsätze gibt, werde ich mich fast ausschließlich auf das Hauptwerk von Schumpeter „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ beziehen.[6] Und als Vergleichspunkt zur Postdemokratie werde ich meine Informationen aus dem genannten Werk „Postdemokratie“ von Colin Crouch beziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass kein Vergleichsaspekt, durch gefilterte Sekundärliteratur, verloren geht.

2. Der Wähler bei Crouch und Schumpeter

2.1 Der Wähler bei Schumpeter

Schumpeter trifft ein niederschmetterndes Urteil über den Durchschnittswähler. Konträr zum homo oeconomicus, der zu Schumpeters Zeit die politische Ökonomie dominierte, spricht Schumpeter dem Wähler die Fähigkeit zur weitsichtigen Rationalität ab.[7]

Denn es gibt mehrere psychologische Einflüsse, die den Menschen in seiner Rationalität beeinflussen.[8]

Er argumentiert zum einen, dass sich aufgrund der Mengenpsychologie das Verantwortungsgefühl des Wählers schmälert, da er „Mitglied eines handlungsfähigen Komitees, des Komitees der ganzen Nation“ ist.[9] Dadurch, so Schumpeter: „verwendet er auf die Meisterung eines politischen Problems weniger disziplinierte Anstrengung als auf ein Bridgespiel“.[10] Das Verantwortungsgefühl des Wählers wird dabei umso kleiner, je unbedeutender die Folgen seiner Entscheidung auf sein direktes Umfeld sind.[11]

Die Bridgespiel-Analogie bedient eine weitere Ursache für die eingeschränkte Rationalität der Wähler. Diametral zu einem Bridgespiel, sind die Folgen einer Entscheidung in der Politik nicht sofort erkennbar, sodass dem Wähler meist die Übersicht fehlt.[12] Dies hat zur Folge, dass „der typische Bürger auf eine tiefere Stufe der gedanklichen Leistung [fällt, SM], sobald er das politische Gebiet betritt. […] Sein Denken wird assoziativ und affektmäßig.“[13] Schumpeter ist zudem davon überzeugt, dass „die Masse der Menschen nicht in der Lage ist, Alternativmöglichkeiten rational zu vergleichen, und immer alles akzeptiert, was ihr erzählt wird.“[14]

Daraus lässt sich bereits schließen, dass er dem Durchschnittswähler ein gewisses Maß an passivem Verhalten zuschreibt. Dieser Punkt wird noch deutlicher, wenn Schumpeter der Mehrheit der Wähler eine politische Teilnahms- und Initiativlosigkeit vorwirft. Laut ihm, entwickeln sie nicht von selbst feste Ansichten und sind erst recht nicht in der Lage, ihre Interessen zu artikulieren und sie in Handlungen umzuwandeln.[15]

Der Mensch ist außerdem leicht zu beeinflussen und kann mithilfe von Werbung und Überredungskünste in seiner rationalen Entscheidung beeinflusst werden, wobei die Argumentation dabei keine vordergründige Rolle spielt.[16] Die kurzfristigen Wahlversprechen sind nämlich ausschlaggebend für seine politischen Entscheidungen.[17] Und je weniger rational die Werbung der Wähler aufgebaut wird, desto wirksamer ist sie.[18] Das hat zur Folge, dass „die kritischen Fähigkeiten des Volkes“ nicht geweckt werden.[19] Somit kommt Schumpeter zu dem Schluss, die Wähler als „korrumpierte Richter“ und „schlechte Kenner ihrer langfristigen Interessen“ zu klassifizieren.[20]

2.2 Der Wähler bei Crouch

Auch Crouch zeichnet ein negatives Bild des Durchschnittswählers. Immerhin unterscheidet Crouch zwischen zwei grundlegenden Typen – dem negativen und dem positiven Modell. Das positive Bürgermodell geht von einem aktiven Bürger aus, der sich über seine Interessen bewusst ist und sich für dessen politische Umsetzung einsetzt. Er beteiligt sich am Gemeinwesen, indem er die ihm verfügbaren institutionellen Möglichkeiten, wie beispielsweise das Recht zu wählen oder Interessengruppen zu bilden, nutzt. Das negative Bürgermodell beschreibt einen Bürger, dessen Ziel nicht die politische Teilnahme ist, sondern lediglich die Be- bzw. Verurteilung der herrschenden Politiker. Der Bürger nimmt eine passive Rolle ein. Die Politik wird als eine Angelegenheit der Elite angesehen und man gibt sich mit der passiven Kontrolle dieser zufrieden.[21]

Crouch seiner Ansicht nach, überwiegt das negative Modell, was Grund zur Besorgnis ist, „da offensichtlich gerade die positiven Staatsbürgerrechte die kreativen Energien dieses politischen Systems ausmachen.“[22] Kennzeichnend dafür sind beispielsweise sinkende Wahlbeteiligung, Alterung und Schrumpfung der Parteienmitgliedschaft und das sinkende Vertrauen in das politische System.[23]

Crouch teilt die Meinung, dass der Wähler manipulierbar ist. Ermöglicht wird es, indem die Massenmedien und die Politiker Methoden des Showbusiness und Marketings übernehmen.[24] Kurze plakative Werbetexte sind das Vorbild für Politik und Massenmedien. Die Argumentation und politische Diskussion schreitet von der rationalen in die emotionale über.[25] Das führt letztendlich dazu, dass „das Niveau der politischen Diskussion und die Kompetenzen der Bürger weiter sinken.“[26] Crouch fasst es prägnant zusammen, wenn er sagt „Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt.“[27] Crouch hebt zwar hervor, dass diese Art von Politik nicht undemokratisch ist, da die Politiker weiterhin an der Meinung der Wähler gekoppelt sind. Jedoch ist es nicht förderlich für eine Demokratie, da ein großer Teil der Bevölkerung dadurch in die Rolle eines manipulierten und passiven Teilnehmers fällt.[28]

[...]


[1] Schmidt, Manfred G.: Demokratietheorien. Eine Einführung. Bonn 2010.

[2] Jörke, Dirk: Colin Crouch, in: Massing P./Breit G./Buchstein H. (Hrsg.): Demokratietheorien. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn 2011. S. 325.

[3] Crouch, Colin: Postdemokratie. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm. Frankfurt am Main 2008.

[4] Aus Politik und Zeitgeschichte 1-2/2011.

[5] Nolte, Paul: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart. München 2012.

[6] Schumpeter, Joseph A.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 7. erweiterte Auflage. Tübingen/Basel 1993. S. 414.

[7] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 414.

[8] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 411f.

[9] Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 415.

[10] Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 415.

[11] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 414f.

[12] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 415.

[13] Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 416f.

[14] Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 212.

[15] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 235;429.

[16] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 409.

[17] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 414.

[18] Vgl. Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 418.

[19] Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 418.

[20] Schumpeter (1993): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. S. 414.

[21] Vgl. Crouch (2008): Postdemokratie. S. 22f.

[22] Crouch (2008): Postdemokratie. S. 22f.

[23] Vgl. Nolte, Paul: Von der repräsentativen zur multiplen Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2011. Heft 1-2. S. 6.

[24] Vgl. Crouch (2008): Postdemokratie. S.32.

[25] Vgl. Crouch (2008): Postdemokratie. S. 38.

[26] Crouch (2008): Postdemokratie. S. 64.

[27] Crouch (2008): Postdemokratie. S. 10.

[28] Vgl. Crouch (2008): Postdemokratie. S. 32f.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Ist Schumpeter ein Postdemokrat? Ein Vergleich von Colin Crouch und Joseph Alois Schumpeter
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die politische Theorie und Ideengeschichte
Note
2,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
17
Katalognummer
V305679
ISBN (eBook)
9783668036833
ISBN (Buch)
9783668036840
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Joseph Schumpeter, Colin Crouch, Postdemokratie, Demokratietheorie, Politikverdrossenheit, elitäre Demokratie
Arbeit zitieren
Sinisa Mihajlovic (Autor:in), 2013, Ist Schumpeter ein Postdemokrat? Ein Vergleich von Colin Crouch und Joseph Alois Schumpeter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305679

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