Der Vertrag von Lissabon. Ein demokratischer Fortschritt


Hausarbeit, 2014

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Demokratiedefizite der Europäischen Union vor dem Lissabon-Vertrag

3. Die Fortschritte durch den Vertrag von Lissabon
3.1 Stärkung der parlamentarischen Kompetenzen
3.2 Höhere Transparenz
3.3 Bürgerinitiative

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Vom 22.-25. Mai 2014 findet die nächste Europawahl statt. Dabei haben die Unionsbürger die Möglichkeit die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments zu beeinflussen. Das Europäische Parlament ist das unmittelbare Repräsentationsorgan der Unionsbürger und folglich die erheblichste direkte Einflussmöglichkeit auf die europäische Gesetzgebung.[1] Das Europäische Parlament hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen beachtlichen Kompetenzaufstieg erlebt und ist somit zum „zweitwichtigsten Kommunikationspartner der gesellschaftlichen Kräfte aufgestiegen.“[2] So auch im Vertrag von Lissabon. Ein grundlegendes Ziel des Vertrags war die Stärkung demokratischer Legitimation europäischer Politik.[3] In den folgenden Kapiteln wird erörtert, welche Demokratiedefizit vor dem Lissabonner Vertrag bestanden und wie effektiv diese durch ihn behoben werden konnten. Dabei spielt das Europäische Parlament – als das EU-Organ mit dem kürzesten Legitimationsstrang – eine zentrale Rolle. Die Analyse soll letztendlich eine Antwort darauf geben, inwiefern der Vertrag von Lissabon die demokratische Legitimation europäischer Politik stärken konnte.

Zu Beginn gehe ich auf einzelne demokratische Defizite ein, an denen sich die weitere Analyse orientiert. Wobei bereits schon hier der Fokus auf dem Europäischen Parlament liegt. Im darauffolgenden Schritt werden drei Aspekte – parlamentarische Kontrolle, Transparenz und Bürgerinitiative – präziser behandelt. In Bezug darauf wird analysiert, wie effektiv diese Aspekte reformiert wurden, um eine stärkere Legitimation der Europäischen Union zu gewährleisten. In diesem 3. Kapitel steht das Europäische Parlament im Mittelpunkt, wobei auf die neue Rolle der nationalen Parlamente eingegangen wird. Abschließend findet im Fazit eine zusammenfassende Betrachtung und persönliche Bewertungen der Reformen des Lissabon-Vertrags statt. Die Reformen werden dazu in den Gesamtkontext eingebunden, um deren Fortschritt adäquat bewerten zu können.

Da der Vertrag von Lissabon einen Meilenstein in der europäischen Reformgeschichte darstellt, gibt es entsprechend unzählige Werke dazu. Markus Möstls „Einführung zum Vertrag von Lissabon“[4] bietet einen fundierten Überblick zum Thema. Für die Gewährleistung unterschiedlicher Sichtweisen eigneten sich Sammelbände. Hierbei waren „Europäische Demokratie in guter Verfassung?“[5] von Klaus Hoffmann und Kolja Naumann und „Der Vertrag von Lissabon“[6] von Andreas Marchetti und Claire Demesmay äußerst hilfreich.

2. Demokratiedefizite der Europäischen Union vor dem Lissabon-Vertrag

Seit dem Vertrag von Nizza und vor allem seit dem gescheiterten Verfassungsvertrag[7], lastete ein Reformdruck auf der Europäischen Union. Dabei wurde besonders das Demokratiedefizit der Europäischen Union bemängelt.[8] Die Kritik bezog sich auf lange Legitimationsstränge und unzureichende Transparenz.[9] Hinzu kommt die schwache Stellung des direkt-gewählten Europäischen Parlaments und eine fehlende effektive Methode der Bürgerpartizipation gelegt.

Es bestand vor dem Lissabon-Vertrag ein duales Legitimationsprinzip in der Europäischen Union. Zum einen durch die direkte Wahl des Europäischen Parlaments – „Union der Bürger“. Zum anderen durch den Rat, der von den jeweiligen demokratisch legitimierten Regierungen gebildet wird – „Union der Staaten“. Das Defizit ergab sich aus der schwachen Stellung des Europäischen Parlaments. Wird dazu berücksichtigt, dass durch dessen direkte Wahl eine stärkere Legitimation gewährleistet wird, wiegt dieses Defizit besonders schwer.[10] So wurde das Europäische Parlament in den meisten Fällen bei den Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt oder nur angehört. Lediglich bei ungefähr 18% der Gesetzgebungsverfahren hatte das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht.[11] Somit konnte das Europäische Parlamente nur in wenigen Fällen seine Kontrollfunktion wahrnehmen. Währenddessen wurde der Großteil der politischen Entscheidungen von dem Rat und der Europäischen Kommission, an dem Europäischen Parlament vorbei, getroffen.

Selbst direktdemokratische Elemente helfen wenig, wenn diese in der Praxis weitgehend wirkungslos sind. So beispielsweise das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament.[12] Denn das Initiativmonopol im Gesetzesverfahren liegt bei der Kommission.[13] Folglich bleibt festzuhalten, dass es den Unionsbürgern an einer direkten und vor allem effektiven Partizipationsmöglichkeit fehlte und die parlamentarische Kontrolle äußerst defizitär war.

Ein weiterer Punkt ist die unklare Verantwortlichkeit innerhalb der Struktur der Europäischen Union. Diese Problematik ergibt sich aus einer unpräzisen und teilweise überschneidenden Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung. Das führt zu Identifikationsschwierigkeiten bei den Unionsbürgern, was wiederum den Integrationsprozess beträchtlich hemmt.[14] Auch bei den Arbeitsprozessen fehlt es an Transparenz. Weder die Unionsbürger noch kontrollierende Organe werden ausreichend über umzusetzende Inhalte informiert. Dadurch werden die vorgesehenen Kontrollfunktionen nichtig und die breite Öffentlichkeit wird aus dem Gesetzgebungsprozess vollkommen ausgeschlossen. Demokratietheoretisch ist solch eine Praxis äußerst fragwürdig.[15]

Mit dem Vertrag von Lissabon unternahm die Europäische Union den Versuch die eben geschilderten Defizite zu beheben. So wurde eine stärkere parlamentarische Kontrolle, eine stärkere Einbeziehung der Unionsbürger und eine eindeutigere Zuständigkeit der unterschiedlichen Organe angestrebt.[16]

3. Die Fortschritte durch den Vertrag von Lissabon

3.1 Stärkung der parlamentarischen Kompetenzen

Im Mittelpunkt steht das Europäische Parlament, das durch den Vertrag von Lissabon an Macht gewinnt. Wie bereits erwähnt, ist das Europäische Parlament besonders wichtig für die Legitimität der Europäischen Union.[17] Somit war der Ausbau seiner Rolle offensichtlich der einfachste und sinnvollste Weg. Die Mitbestimmungsrechte bei Gesetzgebungsverfahren wurden auf weitere 35 Entscheidungsfälle ausgedehnt. Hiermit wurde das Mitentscheidungsverfahren nicht nur in „ordentliches Gesetzgebungsverfahren“ umbenannt, sondern ist damit, nach Zahl der Artikel betrachtet, der Normalfall. Die Erweiterung umfasst zentrale Politikbereiche, wie beispielsweise die Asyl- und Einwanderungspolitik oder Maßnahmen gegen internationale Kriminalität und Terrorismus.[18] Auch bei den Verfahren der Zustimmung gewinnt das Europäische Parlament an Bedeutung für Grundsatzentscheidungen, wie beispielsweise im jährlichen Haushaltsverfahren.[19] Zusätzlich wurde dem Europäische Parlament die Wahl des Kommissionspräsidenten zugestanden, wobei der Vorschlag des Kandidaten durch den Europäischen Rat erfolgt.

Jedoch wird dieser das Ergebnis der Wahl des Europäischen Parlaments bei seinem Vorschlag berücksichtigen.[20] Die Kontrollfunktion wurde insofern erweitert, dass im Artikel 17 des EU-Vertrags die Verantwortlichkeit der Kommission rechtlich festgelegt wurde:

„Die Kommission ist als Kollegium dem Europäischen Parlament verantwortlich. Das Europäische Parlament kann nach Artikel 234 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einen Misstrauensantrag gegen die Kommission annehmen.“[21]

Diese Kompetenzerweiterungen sind ein beachtlicher Fortschritt gegenüber dem Vertrag von Nizza. Sie können aber die Demokratiedefizit des Europäischen Parlaments nicht ausreichend beseitigen.

Es bestehen weiterhin einige Defizite bei der Gesetzgebung. Das Europäische Parlament besitzt, auch nach dem Vertrag von Lissabon, ausschließlich eine negative Gesetzgebungskompetenz und selbst diese kann es nicht konstant wahrnehmen.[22] So wird es in den meisten Entscheidungsfällen nur angehört, unterrichtet oder hat sogar keinerlei Beteiligung daran.[23] Darunter fallen politisch sensible Fragen, wie beispielsweise steuerlicher Art[24] oder Bereiche der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.[25] Das Europäische Parlamente wurde insgesamt gestärkt, aber ist weiterhin kein vollkommen gleichwertiger Gegenspieler zum Rat.[26] Der Rat bleibt das politische und rechtliche Gravitationszentrum der Europäischen Union.[27]

[...]


[1] Vgl. Möstl, Markus: Vertrag von Lissabon. Einführung und Kommentierung. Konsolidierte Fassung der Verträge und deutsche Begleitgesetzgebung. 2010 München. S. 83.

[2] Mross, Oliver: Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union. Ein Beitrag zur Stärkung der demokratischen Legitimation? Berlin 2010. S. 147.

[3] Vgl. Höreth, Markus: Die EU-Organe nach dem Vertrag von Lissabon, in: Marchetti, Andreas/Demesmay, Claire (Hrsg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung. Baden-Baden 2010. S. 169.

[4] Möstl (2010): Vertrag von Lissabon.

[5] Hofmann, Klaus/Naumann, Kolja (Hrsg.): Europäische Demokratie in guter Verfassung? Tagesband zum Kolloquium von Mehr Demokratie e.V. und der Demokratie-Stiftung an der Universität zu Köln. Baden-Baden 2010.

[6] Marchetti, Andreas/Demesmay, Claire (Hrsg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung. Baden-Baden 2010.

[7] Der Verfassungsvertrag oder auch „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ wurde 2002 eineinhalb Jahre von einem Konvent entworfen und im Oktober 2004 von allen Regierungen unterzeichnet. Der Verfassungsvertrag sah, im Vergleich zum Lissabon-Vertrag, eine stärkere europäische Integration vor. Bei der Ratifizierung stimmten im Juni 2005 sowohl Frankreich als auch die Niederlande in einer Volksabstimmung dagegen.

[8] Vgl. Marchetti, Andreas/Demesmay, Claire: Der Vertrag von Lissabon: Welche Grundlage für Europa?, in: Marchetti, Andreas/Demesmay, Claire (Hrsg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung. Baden-Baden 2010. S. 26.

[9] Vgl. Möstl (2010): Vertrag von Lissabon. S. 24.

[10] Vgl. Schmitz, Thomas: Die Stärkung der Legitimation grundlegender Reformen der Union durch die Konventsmethode, in: Hofmann, Klaus/Naumann, Kolja (Hrsg.): Europäische Demokratie in guter Verfassung? Tagesband zum Kolloquium von Mehr Demokratie e.V. und der Demokratie-Stiftung an der Universität zu Köln. Baden-Baden 2010. S. 128.

[11] Vgl. Hofmann, Andreas/Wessels, Wolfgang: Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon – ein weiterer Schritt auf der Suche nach Problemlösungsfähigkeit und demokratischer Legitimität, in: Hentges, Gudrun/Platzer, Hans-Wolfgang (Hrsg.): Europa – quo vadis? Ausgewählte Problemfelder der europäischen Integrationspolitik. Wiesbaden 2011. S. 29.

[12] Vgl. Ebd. S. 27.

[13] Vgl. Sauer, Heiko: Organstruktur und Willensbildung nach dem Lissabonner Vertrag, in: Rill, Bernd (Hrsg.): Von Nizza nach Lissabon – neuer Aufschwung für die EU. München 2010. S. 29.

[14] Vgl. Ebd. S. 27.

[15] Vgl. Mross (2010): Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union. S. 68.

[16] Vgl. Europäische Union (Hrsg.): Der Vertrag auf einen Blick. Unter URL: http://europa.eu/lisbon_treaty/glance/index_de.htm (abgerufen am 12.02.2014 und zuletzt aktualisiert am o.J.).

[17] Vgl. Hofmann/Wessels (2011): Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon. S. 28f.

[18] Vgl. Ebd. S. 29.

[19] Vgl. Ebd. S. 30.

[20] Vgl. Sonicksen, Jared: Die demokratischen Grundsätze, in: Marchetti, Andreas/Demesmay, Claire (Hrsg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung. Baden-Baden 2010. S. 157.

[21] Art. 17 Abs. 8 EUV, in: Marchetti/Demesmay (Hrsg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung. Baden-Baden 2010. S. 165.

[22] Vgl. Mross (2010): Bürgerbeteiligung am Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union. S. 72.

[23] Vgl. Hofmann/Wessels (2011): Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon. S. 29.

[24] Vgl. Möstl (2010): Vertrag von Lissabon. S. 69.

[25] Vgl. Höreth (2010): Die EU-Organe nach dem Vertrag von Lissabon. S. 197.

[26] Vgl. Franzius/Preuß (2012): Die Zukunft der europäischen Demokratie. S. 24.

[27] Vgl. Huber, Peter M.: Der Beitrag des Europäischen Parlaments zur demokratischen Legitimation der EU, in: Hofmann, Klaus/Naumann, Kolja (Hrsg.): Europäische Demokratie in guter Verfassung? Tagesband zum Kolloquium von Mehr Demokratie e.V. und der Demokratie-Stiftung an der Universität zu Köln. Baden-Baden 2010. S. 40.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Der Vertrag von Lissabon. Ein demokratischer Fortschritt
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die internationale Politik
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
15
Katalognummer
V305677
ISBN (eBook)
9783668037144
ISBN (Buch)
9783668037151
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vertrag von Lissabon, Lissaboner Vertrag, Europäische Union, Demokratie, Demokratiedefizit, Bürgerbeteiligung, Bürgerinitiative, Lissabon-Vertrag, Transparenz, Refmorm, EU, Reform, EU-Reform, Partizipation, EU-Parlament, EU-Rat, Europäischer Rat, Lissabon, Vertrag, Defezit
Arbeit zitieren
Sinisa Mihajlovic (Autor:in), 2014, Der Vertrag von Lissabon. Ein demokratischer Fortschritt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305677

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