Das Verhältnis von Ohnmacht und Unbewusstem in E.T.A. Hoffmanns „Das Gelübde“


Hausarbeit, 2015

16 Seiten, Note: 2,7

Doris Wehrmann (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung..

2. Die Ohnmacht in der Literatur.
2.1. Historischer Überblick zum Motiv der Ohnmacht
2.2. Forschungsstand
2.3. Ohnmacht und Unbewusstes.

3. E.T.A. Hoffmann: Das Gelübde
3.1. Formen der Ohnmacht
3.2. Unbewusste Wahrnehmung.

4. Das Verhältnis von Ohnmacht und Unbewusstem in E.T.A. Hoffmanns „Das Gelübde“

5. Literaturverzeichnis.

1. Einleitung

Im Rahmen des Präsenzseminars „E.T.A. Hoffmann und das Unbewusste“ in München im Wintersemester 2014/2015 wurde der Aspekt des Unbewussten, in Anlehnung an Sigmund Freud, in E.T.A. Hoffmanns Nachtstücken, unter anderem am Beispiel der Novelle „Das Gelübde“, eingehend untersucht.

Neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur bekannteren Novelle „Die Marquise von O…“ von Heinrich von Kleist, lag das Augenmerk der Besprechung auf dem Motiv der Ohnmacht. Aus zeitlichen Gründen konnte das Verhältnis von Ohnmacht und Unbewusstem nicht umfassender besprochen werden, so dass ich mich dazu entschied, eine Hausarbeit zu dieser Thematik zu verfassen und somit näher darauf einzugehen.

Wie ich bereits bei meinen Recherchen feststellte, befasst sich die Wissenschaft zwar mit zahlreichen Facetten der Körpersprache und nonverbalen Kommunikation in der Literatur, jedoch kommt der Ohnmacht dabei eine eher nebensächliche, sogar vernachlässigte Rolle zu.

In Kapitel 2.1 und 2.2 der Hausarbeit wird daher ein Überblick zum Motiv der Bewusstlosigkeit gegeben sowie der Stand der Forschung skizziert.

Kapitel 2.3 widmet sich dem Vergleich von Ohnmacht und Unbewusstem, wobei ich lediglich Bezug zu literarischen Inszenierungen herstellen werde, da eine Ausweitung auf Bereiche der Psychoanalyse den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde.

Im zweiten Teil der Arbeit unterziehe ich das Ohnmachtsmotiv und das Unbewusste anhand der ausgewählten Novelle einer näheren Betrachtung.

In Kapitel 3.1 werden unterschiedliche Formen der Ohnmacht dargestellt und verglichen. Anhand von Textbeispielen werde ich auf die handlungsrelevanten Verdrängungs- und Erkenntnisohnmacht eingehen.

Kapitel 3.2 befasst sich mit der unbewussten Wahrnehmung der Hauptfigur Hermenegilda.

Abschließend werde ich ein Fazit zu den erbrachten Untersuchungen ziehen und zusammenfassend aufzeigen, in welchem Verhältnis Ohnmacht und Unbewusstes zueinander stehen.

2. Die Ohnmacht in der Literatur

„Denn in der Ohnmacht spricht die Seele, indem sie das Bewußtsein verliert; und der Körper wird sprechend, indem ihm die Sinne schwinden.“ (Inka Mülder-Bach)[1]

Das Phänomen der Ohnmacht gilt bereits seit der Antike als Spiegel innerster Emotionen eines Menschen. Wie das eingangs aufgeführte Zitat beschreibt, tritt im Zustand der Ohnmacht das unbewusste Wesen einer Person ans Licht und drückt aus, was mit Worten nicht auszudrücken ist. Als Kommunikation durch Nicht-Kommunikation wird die Bewusstlosigkeit zwar als Forschungsgegenstand der Körpertheorie wahrgenommen, jedoch als literarische Inszenierung vernachlässigt. Wie die folgenden Kapitel veranschaulichen werden, wurde das Motiv der Ohnmacht aus medizinischer und philosophischer Perspektive zwar untersucht und definiert, aus literaturwissenschaftlicher jedoch halten sich einschlägige Analysen in Grenzen.

2.1. Historischer Überblick zum Motiv der Ohnmacht

In der Antike herrschte aus medizinisch-philosophischer Sicht eine Einheit von Körper, Geist und Seele vor.[2]Geriet diese Einheit in ein Ungleichgewicht, kam es als psychosomatische Reaktion darauf zu einer Ohnmacht. Lukrez beschreibt in „De rerum natura“ im ersten Jahrhundert vor Christus die Situation einer Bewusstlosigkeit damit, dass der Körper in Korrelation zur Seele stehe, welche diesen gleichermaßen bewusst und unbewusst zum Zusammenbruch führt.[3]Die Ohnmacht wird bereits seit der Antike topisch mit Furcht und Schrecken verbunden, weist jedoch weder auf die geschlechtsspezifische Annahme hin, Frauen seien besonders affin für eine Ohnmacht,[4]noch kommt es zu einer sexuellen Konnotation derselben.

Ab dem frühen 19. Jahrhundert werden die Betrachtungen zum Phänomen der Ohnmacht in Zuge der Empfindsamkeit differenzierter. Mit der zeitgenössischen Auffassung, Frauen seien schwächer, weniger solide und empfindsamer, reagieren sie auf Reizüberflutungen eher mit einer Ohnmacht als Männer.[5]Die Herabstufung der Empfindsamkeit als Zeichen der Schwäche dient als „biologische Rechtfertigung für weibliche Disposition“ zu einer Ohnmacht.[6]Dadurch wird zugleich die erhöhte Anfälligkeit für psychische Erkrankungen von Frauen durch nicht ausgelebte Sexualität erklärt.[7]Mit Aufkommen der Tugendlehre wird die Ohnmacht mit Sinnlichkeit verknüpft und gilt in der Literatur als Zeichen nicht gewusster und nicht bewusster Sexualität.[8] Dies trifft, wie die Ausführungen zu den Ohnmachtsfällen in Hoffmanns Novelle „Das Gelübde“ zeigen werden, auch auf die Protagonistin zu. Die männliche Ohnmacht dagegen wurde nie mit sexuellen Schwellensituationen in Verbindung gebracht.[9]

Ein weiteres interessantes Gebiet, das sich mit dem Motiv der Bewusstlosigkeit beschäftigt, findet sich in der Kunstgeschichte. Dies soll nur am Rande erwähnt werden, da es weder Schwerpunkt noch Forschungsgegenstand dieser Arbeit ist. Trotzdem eröffnen sich hier neue Perspektiven auf die Thematik, welche zugleich Anknüpfungspunkte zu literarischen Interpretationen sein können. Auch hier ist der Tugendbegriff eng verbunden mit bildlich dargestellten Ohnmachtssituationen und der zeitgemäßen Auslegung von der Unterdrückung sexuellen Begehrens der Frau als Glückversprechen um 1800.[10]

2.2. Forschungsstand

Obwohl das Phänomen der Ohnmacht, wie in Kapitel 2.1. beschrieben, bereits seit der Antike als Ausdruck von Kommunikation durch Nicht-Kommunikation wahrgenommen und aus medizinisch-philosophischer Sicht untersucht wurde, fallen umfassende Monographien zum Ohnmachtsmotiv in der Literatur spärlich aus. Nach wie vor scheinen andere Formen der Körpersprache in der Literatur (u.a. Erröten, Zittern, Weinen) von weitaus größerem Interesse zu sein.[11]Am häufigsten wird die Thematik in der Kleistforschung aufgegriffen. Da sich diese Hausarbeit jedoch mit einem Werk E.T.A. Hoffmanns beschäftigt, soll der Forschungsstand lediglich anhand der für diese Arbeit relevanten Sekundärliteratur dargestellt werden.

In ihrer Dissertation von 2012 vergleicht Julia Freder die Ohnmachten bei Kleist mit denen anderer Autoren wie Schiller, Goethe und Hoffmann.[12]Hier erwähnt Freder u.a. die mangelnde Auseinandersetzung mit der Thematik seitens der Forschung, obwohl die Ohnmacht in vielen Werken handlungsbestimmend ist.[13]Besonders anzumerken ist die umfassende Sammlung aller Ohnmachten in den Gesamtwerken der untersuchten Autoren in detaillierten Tabellen.

Eine weitere Dissertation zur Ohnmacht erschien 2011 von Cécile Ellwanger. Das Augenmerk der Arbeit liegt hierbei auf der weiblichen Ohnmacht in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Untersucht wird die inszenierte Bewusstlosigkeit in Briefromanen (Richardson), Dramen (Lessing, Schiller, Kleist) und Novellen (Kleist).[14]Birgit Trummeter geht in ihrer Doktorarbeit von 1999 noch spezifischer auf die Ohnmacht in der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts ein.[15]

Weitere Fallstudien mit Bezug zur Bewusstlosigkeit finden sich bei Inka Mülder-Bach im Hinblick auf die weibliche Ohnmacht im Allgemeinen[16]sowie bei Roland Galle, der die Ohnmacht in der Literatur der Aufklärung untersucht.[17]Beiden ist gemein, dass die Thematik hier länderübergreifend behandelt wird.[18]Einen juridisch-medizinischen Ansatz verfolgt Christine Künzel in ihren Untersuchungen zu Vergewaltigungslektüren; als literarisches Beispiel wählt sie wiederum Kleists „Marquise von O...“.[19]

Festzustellen ist demnach, dass das Kleist’sche Werk in der Ohnmachtsforschung deutscher Literatur die meiste Beachtung findet. Werke von Goethe, Schiller oder Lenz werden dabei nur vergleichend untersucht bzw. hier findet die Ohnmacht nur eine Randbemerkung im Hinblick auf das Gesamtwerk; dem Werk Hoffmanns wird am wenigsten Aufmerksamkeit zuteil.[20]

Zusammenfassend wird die Bedeutung des Phänomens der Ohnmacht in der Literatur zwar wahrgenommen und anerkannt, jedoch mangelt es nach wie vor an der Bereitschaft seitens der Literaturwissenschaft, sich umfassender mit der Relevanz dieses Motivs „als Teil des literarischen Symbolinventars im deutschsprachigen Raum des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts“[21]auseinanderzusetzen.

2.3. Ohnmacht und Unbewusstes

Sigmund Freud gilt als Begründer der Psychoanalyse und maßgebend in der Erforschung des Unbewussten. Jedoch war er nicht der erste, der versuchte, die im Innersten eines Menschen verborgenen Wünsche zu begründen. Bereits 1776 erwähnt Ernst Platner in seinen „Philosophischen Aphorismen“ den Begriff des „Unterbewußtseyns“.[22]Während Freud davon ausgeht, dass eine Vorstellung, die einmal im Bewusstsein vergegenwärtigt wurde, im Unterbewussten gespeichert wird und dort latent verborgen bleibt, bis eine Erinnerung daran diese wieder hervorruft,[23]ist Behrens zusätzlich der Meinung, dass auch „unreflektierte Wahrnehmungen in der Lage sind, nicht bewusstes (auch körperliches) Handeln auszulösen“.[24]

Im Hinblick auf die Ohnmacht bedeutet dies, das einmal im Unbewussten Verdrängtes im Innersten „zur Wirkung gelangen“[25]und durch eine Reaktion in Form einer Erschütterungsohnmacht abgewehrt werden. Somit ist das Unbewusste, das hervorzubrechen droht, immer ausschlaggebender Auslöser einer Ohnmacht.[26]

[...]


[1]Inka Mülder-Bach: Die Feuerprobe. In: Das Laokoon-Paradigma. Zeichenregime im 18. Jahrhundert. Berlin: Akademie-Verlag 2000, S. 525-543

[2]Julia Freder:Es ist bloß ein Anstoß von Schwindel. Ohnmachten bei Heinrich von Kleist im Vergleich mit Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, J.M.R. Lenz, E.T.A. Hoffmann, Sophie La Roche und Sophie Mereau. Vienenburg: 2012, S. 1

[3]Cécile Ellwanger: Zwischen Stabilität und Konflikt: ohnmächtige Frauen in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. München: 2011, S. 26

[4]ebd., S. 32

[5]Mülder-Bach (2000), S. 529

[6]Birgit Trummeter: Die Ohnmacht. Inszenierungen eines Phänomens von Körperlichkeit in der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Mannheim: 1999, S. 14

[7]Freder (2012), S. 7

[8]Mülder-Bach (2000), S. 530

[9]ebd., S. 527

[10]vgl. Pia Schmid: Verfolgte Unschuld und ohnmächtiges Weib. Zu zwei Motiven in Frauenzeitschriften um 1800. In: Blick-Wechsel. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Kunst und Kunstgeschichte. Hg. von Ines Lindner. Berlin: Dietrich Riemer Verlag 1989, S. 415-428

[11]Trummeter (1999), S. 31

[12]Freder (2012).

[13]ebd., S. 16

[14]Ellwanger (2011).

[15]Trummeter (1999).

[16]Mülder-Bach (2000).

[17]Roland Galle: Szenarien der Ohnmacht im Jahrhundert der Aufklärung. In: Leib-Zeichen. Körperbilder, Rhetorik und Anthropologie im 18. Jahrhundert. Hg. von Rudolf Behrens und Roland Galle. Würzburg: Königshausen & Neumann GmbH 1993, S. 103-123

[18]Ellwanger (2011), S. 15

[19]Christine Künzel: Vergewaltigungslektüren. Zur Codierung sexueller Gewalt in Literatur und Recht. Frankfurt/Main: Campus-Verlag 2003

[20]Freder (2012), S. 18

[21]ebd., S. 18

[22]Ellwanger (2011), S. 71

[23]Freud, Sigmund: Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten in der Psychoanalyse (1912). In: Sigmund Freud. Studienausgabe. Bd. 3: Psychologie des Unbewußten. Hg. von Alexander Mitscherlich u.a. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1975, S. 25-36

[24]Ellwanger (2011), S. 73

[25]ebd., S. 71

[26]Mülder-Bach (2000), S. 527

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Ohnmacht und Unbewusstem in E.T.A. Hoffmanns „Das Gelübde“
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar „E.T.A. Hoffmann und das Unbewusste“
Note
2,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V305527
ISBN (eBook)
9783668033900
ISBN (Buch)
9783668033917
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hoffmann, Unbewusstes, Ohnmacht, Gelübde, E.T.A. Hoffmann, Ohnmachtsmotiv, Tugend, Vergewaltigung, Unterbewusstsein, Bewusstlosigkeit, Erkenntnis, Verdrängung, Novelle, Heinrich von Kleist, Die Marquise von O, Körpersprache, Psychoanalyse, Freud, Sigmund Freud
Arbeit zitieren
Doris Wehrmann (Autor:in), 2015, Das Verhältnis von Ohnmacht und Unbewusstem in E.T.A. Hoffmanns „Das Gelübde“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305527

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